Musical oder Sitcom? "Mein Musical" als Beispiel für Intermedialität zwischen Theater und Fernsehen


Hausarbeit, 2019

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sitcoms
2.1 Scrubs

3. Theater im Film

4. Mein Musical
4.1 Die narrative Struktur
4.2 Inszenierung
4.3 Intermedialität zwischen Musical und Sitcom

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

1. Einleitung

Die Serie Scrubs (2001-2010) ist eine Dramedy-Sitcom von Bill Lawrence. Sie handelt von den Problemen junger Ärzte, im beruflichen und privaten Bereich. Erzählt wird die Serie aus der Sicht des jungen Arztes John “ID” Dorian (Zach Braff). Weitere Hauptfiguren sind sein bester Freund Dr. Christopher Turk (Donald Faison), seine Freundin Dr. Elliot Reid (Sarah Chalke), die Krankenschwester Carla Espinosa (Judy Reyes), Dr. Perry Cox (John McGinley) und Chefarzt Dr. Bob Kelso (Ken Jenkins). Die Folge Mein Musical ist die sechste Folge der sechsten Staffel. Patti Miller (Stephanie D’Abruzzo) bricht im Park zusammen und hört von da an jeden, der zu ihr spricht, singen - egal was sie hört, sie nimmt es als Musik wahr. JD und Elliot bringen sie daraufhin ins Krankenhaus. Dort soll herausgefunden werden, was ihr fehlt. Dabei werden alle möglichen Tests gemacht, bis sich herausstellt, dass sie an einem Aneurysma in der Nähe des Temporallappens leidet.

In der Folge, die unter der Regie von Will Mackenzie realisiert wurde, werden die klassischen Stilmittel von Scrubs, die teilweise typisch für Sitcoms sind, mit denen des traditionellen Hollywoodmusicals vermischt. Das Hollywoodmusical ist das künstlichste und artifiziellste Genre des Films. Dementsprechend unterscheiden sich einige Szenen der Folge deutlich von der gewöhnlichen Gestaltung der Serie, vor allem in Bezug auf Farbe und Kostüme. Immer, wenn die Patientin Patti Miller die Szene betritt, verwandeln sich normale Dialogszenen in Musicalszenen mit Gesang und Tanz. So werden Dialogszenen emotionalisiert und Atmosphären geschaffen, die die emotionale Erzählung der Geschichte unterstützen. In dieser Arbeit soll es darum gehen, inwiefern die Folge Mein Musical (2007 ) sich theatraler Elemente bedient, um die Sitcom Scrubs situativ zu einem Filmmusical zu machen. Wie gelingt der Wechsel zwischen den verschiedenen Genres? Welche Wirkung wird dadurch erzielt? Um diese Fragen anhand der genaueren Betrachtung und Analyse einiger Szenen beantworten zu können, sollen zunächst in einem Theorieteil die typischen Stilmittel einer Sitcom beziehungsweise der Sitcom Scrubs betrachtet werden. Anschließend werden typische theatrale Elemente des Musicals und des Filmmusicals dargestellt, um abschließend in der Analyse untersuchen zu können, inwieweit diese typischen Elemente der verschiedenen Genres vermischt wurden und welche Wirkung damit erzielt wird.

2. Sitcoms

Das Genre „Sitcom” wird von verschiedenen Autor_innen1 sehr unterschiedlich definiert. Jürgen Wolff präsentiert in seinem Werk Sitcom - Ein Handbuch für Autoren eine vergleichsweise einfache Definition:

Der Begriff Sitcom steht für “Situation Comedy” und bezeichnet damit eine halbstündige Fernsehsendung, deren Protagonisten sich in vergleichsweise lustigen Situationen wiederfinden (Wolff 1997, 15).

Brett Mills diskutiert die Frage nach der Definition des Genres etwas genauer, und stellt dabei fest, dass die Definition des Genres je nach Autor stark variiert. Für ihn stellt sich dementsprechend folgende Frage: ,,If the people who make sitcom can’t decide what it is that defines their output, what value is there in thinking about such programming generically, then?” Auf der einen Seite müssten Sitcoms unterschiedlich genug sein, um interessant zu sein, auf der anderen Seite müssen Sie genügend gemeinsame Eigenschaften besitzen, um alle gemeinsam als Sitcom betrachtet zu werden.

This means that while sitcoms such as Arrested Development (Fox, 2003-6), That’s So Raven (Disney Channel, 2003-7), (...)might all deal with different kinds of subject matter, have different shooting styles and appeal to different audiences, they nevertheless remain sitcom because they have enough similarities to those programmes already understood as belonging to the genre. (Mills 2013,25).

Zunächst einmal kann die Sitcom dadurch definiert werden, dass sie sich eindeutig von bestimmten, nicht unterhaltenden TV-Formaten wie Nachrichten und Dokumentationen unterscheidet. Sitcoms sollen Entertainment bieten. Sitcoms zeichnen sich durch einen starken Fokus auf das schauspielerische („actorly”) aus und entfernen sich in ihrer Erzählung oft bewusst vom Realismus: „the genre has been described as making ‘no concession to social realism’” (ebd, 27). Sitcoms handeln von wiederkehrenden Charakteren an wiederkehrenden Orten. Dadurch, dass sie oft entweder vor Live- Publikums aufgeführt werden oder aber aufgenommenes Lachen eingespielt wird, könnte man sie als artifiziell bezeichnen: „the audience is aware of watching a play, a performance, a comedy incorporating comic activity” (Mintz 1985, 115). Narrativ folgen Sitcoms oft dem Muster, dass einzelne Folgen abgeschlossene Handlungen erzählen, in denen Dinge passieren, die die Normalität der Serie in Frage stellen. Diese wird jedoch abschließend zu jeder Folge wiederhergestellt - es kommt zum “Happy End”. Mills beschreibt in seinem Buch einige Schwierigkeiten, das Genre konkret abzugrenzen, kommt aber zu dem Fazit, dass sich Sitcoms vor allem durch ihre Intention, Komik in den Vordergrund zu stellen, auszeichnen. Die beschriebenen, häufig anzutreffenden Eigenschaften wie Länge, Handlung und Artifizialität sind mehr als Konventionen zu betrachten, die aus dieser Intention heraus entstehen. Sie sind dabei das Resultat der Intention, Komik darzustellen, und nicht unbedingt als feste Genreeigenschaften zu betrachten.

Die Komik, der Humor ist also das zentrale Element von Sitcoms. Wie jedoch wird dieser erzeugt? Jürgen Wolff beschreibt vor allem den Fokus auf Dialog. „Das Einzige, was sie reichlich haben, ist Dialog” (Wolff 1997, 84). Dabei ist es wichtig, dass diese Dialoge „zu den Figuren passen” (ebd. 86). Der Dialog muss natürlich wirken und der Humor dabei knapp und präzise sein. „Im Theater sind längere Monologe durchaus üblich. In der Sitcom spricht eine Figur in der Regel kaum länger als drei bis vier Zeilen” (ebd, 86). Passend zum Dialog sollten Sitcom-Figuren etwas tun, während sie sprechen. Zusätzlich zum Humor des Dialogs kann dabei eine Art „physische Komik” (ebd, 85) erschaffen werden. Dies kann zum Beispiel durch „gestischen Humor” (ebd, 89) passieren.

2.1 Scrubs

Scrubs unterscheidet sich in der Machart von vielen Sitcoms. Die Serie wurde mit einer Kamera und nicht in einem Studio, sondern an realen Drehorten gedreht - im Gegensatz zu vielen anderen Sitcoms, die häufig Mehrkamera-Produktionen sind. Auch werden keine Lacher eingespielt. Das Gefühl, eine Performance zu beobachten, wie von Mintz beschrieben, geht dadurch in Scrubs im Vergleich zu anderen Sitcoms verloren. Scrubs kann „zu den ersten Vertretern des Dramedy-Genres gezählt werden” (Schlicker 2013, 42). Wie in vielen anderen Sitcoms auch, wird hier viel gestischer Humor genutzt. Alexander Schlicker schreibt, dass die Figuren „in ihren meist übertriebenen Gesten und Bewegungen auf die Tradition der physisch plakativen Komikperformanz der Stummfilmzeit verweisen (...)”. Die Hauptfigur der Serie, John Dorian, fungiert als „autobiographischer (Rahmen-)Erzähler” (ebd., 43), das heißt konkret, dass die Serie von seinen Erzählungen begleitet wird und er den Zuschauer zu Beginn jeder Folge in die Handlung einführt, zum Ende ein persönliches Fazit zieht und zwischendrin immer wieder seine Gedanken als Voice-Over zu hören sind. Somit erlebt man die Serie zum einen aus Sicht von John Dorian mitsamt seiner persönlichen Bewertung und Reflexion der Handlung, während der Zuschauer zum anderen gleichzeitig die Handlung und zusätzlich Dorians Gedanken aus eigener Perspektive betrachtet und für sich selbst reflektiert. Diese Erzählform bildet den narrativen Kern der Serie. Eine besondere Form von Dorians Erzählung sind dabei seine sogenannten „Tagträume”. Diese sind oft völlig überzogen und skurril. Laura Angermann stellt in Ihrer Arbeit einige Beispiele vor.

J.D. denkt darüber nach, dass sich Elliot in der Klinik nicht sehr willkommen und unwohl fühlt. Er setzt die Klinik mit der High School gleich: Elliot hat geflochtene Zöpfe, trägt einen Headgear, eine unattraktive Brille und ein Outfit der „High School Marching Band“. Carla und ihre Kolleginnen sind Cheerleaderinnen und Turk und seine Freunde Football-Spieler. Elliot geht sehr ungeschickt den Hauptweg der Kantine entlang, stürzt und alle anderen „Schüler der High School“ lachen sie aus (Angermann 2014, 102).

Dadurch, dass diese Tagträume eindeutig von der Realität abgegrenzt werden, kann auf der einen Seite eine realistische Geschichte erzählt werden, die jedoch durch vollkommen unrealistische Darstellungen humorvoll präsentiert werden kann. „Durch J.D.s „laute Gedanken“ in Kombination mit seinen skurrilen Vorstellungen und Tagträumen, wird eine völlig neutrale Situation komisch” (ebd, 88). Scrubs erzeugt also komische Momente, indem unrealistische Situationen, die eindeutig von der Realität abzugrenzen sind, präsentiert werden. Nach der Definition des Genres Sitcom von Mills könnte man auch sagen: Scrubs wird zur Sitcom, indem es unrealistische, von der Realität eindeutig abzugrenzende Dinge darstellt, denn erst dadurch entsteht die Komik in Scrubs; und erst die Komik macht die Serie zur Sitcom.

3. Theater im Film

Theater und Film treffen oft aufeinander. So gibt es unzählige Verfilmungen von Theaterstücken, es gibt Aufzeichnungen von Theaterstücken. Auch gibt es immer wieder Filme, die von der Theaterwelt handeln. Andreas Böhn schreibt in seinem Aufsatz Theatralität im Film: „Das Theater gehört zu den Künsten, denen der Film am Beginn seiner Geschichte Gestaltungsmittel entlehnte, um sie dann zu transformieren und mit anderen zu spezifisch filmischen Formen zu integrieren” (Böhn 2003, 375). Der Film war also anfangs in gewisser Weise vom Theater abhängig, laut Böhn folgte daraufhin aber eine Phase der „dezidierten Abgrenzung.” Dennoch existieren „betonte Verwendungen von theatralischen Formen in Filmen”. Dadurch entsteht nach Böhn eine „Intermedialität von Theater und Film” (ebd., 377). Werden Mediengrenzen zwischen mindestens zwei konventionellen Medien überschritten, wird dies als Intermedialität bezeichnet. Oft werden verschiedene Medien miteinander kombiniert, in diesem Fall das Medium Theater mit dem Medium Film - eine „Addition verschiedener medialer Systeme“ (Rajewsky 2002). Theatralität, als „Inbegriff der medialen Verfasstheit des Theaters” wird also in den Film einbezogen. Nach Sonja Eisl zeichnet sich „im zeitgenössisch­postmodernen Kino ein regelrechter Trend ab zu spartenübergreifenden, intermedialen und hybriden Produktionen” (Eisl 2007, 13).

Die mediale Spezifität des Films wird durch die Übernahme der Gesetze des Theaters bereichert. Dies geschieht zum Beispiel über Artifizialisierung. Der Film-Raum wird als Kunst-Raum markiert. Durch Farbfilter kann die Szene verkünstlicht werden. Dies ist vor allem typisch für Filmmusicals. Marcel Göken schreibt, dass diese häufig „durch eine starke Farbsättigung und Kontrastreichtum” geprägt sind (Göken 2014, 9). Zur Artifizialierung tragen auch bühnenhafte Auf- und Abgänge bei. Artifizialisierung wird oft gerade im Musical eingesetzt, um die Überzeichnung zu legitimieren. Göken nennt als Beispiel eine Szene aus Moulin Rouge:

Bei den Worten ‘the end’ fahrt die Kamera zurück aus dem erstarrten Filmbild und gibt wieder den Blick auf das Theaterproszenium frei, während sich der Vorhang langsam schließt. Der rote Theatervorhang ‘rahmt’ somit das Filmdrama und legt zugleich dessen Artifizialität als Kunstwerk offen. Diese dergestalt als ‘künstlich’ markierte Umgebung [...] legitimiert [...] die überzeichnenden und idealisierenden Elemente (ebd 2014, 130). Die in dieser Szene vorgenommene Rahmung stellt an sich ebenfalls eine Übernahme eines Gesetzes des Theaters in den Film dar. Die Einrahmung des Bildfeldes erinnert an einen Bühnenausschnitt im Theater. Unterstützt wird dies durch die Zentralperspektive. Oft wird diese im Film übernommen, um theatralen Raum zu erschaffen. Im Theater wird dabei oft auf einen symmetrischen Bildaufbau geachtet, mit Fokus auf die wichtigen Figuren, die meist im Vordergrund stehen.

Die durch die beschriebenen Stilmittel entstehende Künstlichkeit ist dabei gewollt, denn während der Film seine Inszenierung häufig verstecken will, möchte das Theater diese offensichtlich machen.

Im Unterschied zur Fernsehshow und zum Spielfilm mit ihrem behaupteten Realismus (...) bleibt hier ‘das Mediale nicht einfache Effekt- und Affektproduktion’, sondern verweist mit diesem ‘bewussten und bewusst gemachten Verfahren’ auf eine ‘organisierende Instanz’. Die medialen Mittel werden offengelegt. (Eisl 2007, 26).

Verschiedene Verfremdungskonzeptionen werden dementsprechend angewandt. Eine theatralische Sprechweise oder die Verwendung von Schauspielern als Requisite erscheinen zwar nicht realistisch, betonen aber die Künstlichkeit.

4. Mein Musical

Die Folge Mein Musical weicht in vielen Punkten von anderen Folgen der Serie ab. Teile der klassischen narrativen Struktur der Serie werden aufgegeben, um der Dramaturgie eines typischen Filmmusicals mehr zu entsprechen. Auch in der Inszenierung werden viele verschiedene Stilmittel eingesetzt, um Theatralität zu erzeugen und dem Rezipienten das Gefühl zu geben, ein Musical zu sehen - zumindest teilweise. Denn, auch das ist entscheidend: Letztendlich bemüht sich die Serie trotz allem, sich selbst treu zu bleiben. Es entsteht das Gefühl, eine typische Folge Scrubs zu sehen, auch wenn dem offensichtlich nicht so ist. Dies funktioniert, da klassische Stilmittel der Serie beibehalten und mit denen des Filmmusicals vermischt werden - und, wie später deutlich wird, der Humor der Serie mit der artifiziellen und theatralen Inszenierung gut harmoniert.

4.1 Die narrative Struktur

„Die Serie Scrubs wird von der Hauptfigur Dr. John „J.D.“ Dorian erzählt. Er steht als Ich-Erzähler im Mittelpunkt und berichtet die stattfindenden Ereignisse aus seiner eigenen Perspektive” (Angermann 2014, 88). Genau das ist jedoch in dieser Folge nicht der Fall. J.D. eröffnet zwar anfangs ganz normal mit einleitenden Worten die Folge. Sobald aber die Patientin Patti Miller ihren ersten Auftritt hat, ändert sich das. In ihrer ersten Szene bricht sie im Park zusammen (TC 00:00:45). Einige Leute, unter anderem J.D. und Elliott kommen zur Hilfe gelaufen und fragen sie, ob alles in Ordnung sei. Ab hier beginnt das „Musical”, denn von nun an wird aus der Sicht der Patientin erzählt - was sich auch dadurch bemerkbar macht, dass die Darsteller plötzlich anfangen zu singen. Sie wundert sich noch darüber („Why are you singing - wait - why am I singing?”) bevor ihr schwarz vor Augen wird und sie ins Krankenhaus gebracht wird. Erst zum Abschluss der Serie, als die Patientin durch eine Operation geheilt ist und keine Musik mehr hört, das Musical also vorbei ist, übernimmt J.D. wieder die Rolle des Erzählers (Timecode 00:21:13). Damit werden Sitcom und Musical voneinander abgegrenzt. Es entsteht der Eindruck, als würde innerhalb der Folge zwischen Sitcom und Musical gewechselt werden. Das hat einige Vorteile: Die Serie gibt nicht ihre komplette Struktur auf, und fügt sich damit viel nahtloser in den Gesamteindruck der Serie ein. Es wäre durchaus möglich gewesen, von der ersten Sekunde an ein Musical zu inszenieren, und dies bis zum Abspann durchzuziehen. So jedoch bleibt die Serienrealität erhalten, während gleichzeitig ermöglicht wird, ein Musical mit all seinen Stilmitteln zu präsentieren. Man könnte auch sagen, dass hier ein Kompromiss zwischen dem Realitätsanspruch der Serie oder auch des Films im Allgemeinen und der Artifizialität des Musicals gesucht und gefunden wurde. Auch werden die Musicalszenen eindeutig von der Realität abgegrenzt, indem Gesang und Tanz offensichtlich nur im Kopf der Patientin stattfinden. Sobald sie die Szene verlässt, wechselt Gesang in Dialog - und umgekehrt, wenn sie die Szene betritt. Die narrative Struktur der Serie ermöglicht also einen Kompromiss zwischen Serienrealität und Musical und sorgt gleichzeitig dafür, dass Gesang- und Tanz glaubhaft von der Realität abgegrenzt werden. Das ermöglicht wiederum eine möglichst artifizielle und theatrale Inszenierung der Gesangsszenen. Marcel Göken trennt zwischen “realdiegetisch” und “idealdiegetisch”:

Unter der ‘idealisierten’ Ebene im Filmmusical ist jene zu begreifen, in der (im Regelfall) die musikalischen Nummern stattfinden. Die Realitätsebene wiederrum ist jene Ebene, in der sich der Rest der Handlung vollzieht. Um eine bessere Trennschärfe zu ermöglichen, wird in dieser Arbeit den Begriffen ‘realdiegetisch’ und ‘idealdiegetisch’ der Vorzug gegeben (Göken 2014, 70).

Diese Definition soll für den weiteren Teil der Arbeit übernommen werden.

Darüber hinaus ermöglicht diese Struktur eine sogenannte dual-focus narration. Göken beschreibt diese als vor allem in klassischen Hollywoodmusicals typische Erzählstruktur, bei welcher aus Sicht von zwei Personen erzählt wird. In klassischen Musicals sind es meist ein Mann und eine Frau, welche am Ende zusammenfinden und ein Paar werden. Er beschreibt aber auch, dass in modernen Musicals immer mehr Abwandlungen dieser klassischen Erzählform zu finden sind. Er schreibt, dass sich diese für Musicals typische dual-focus narration auch in Form „der Überlagerung zwischen Imagination und Realdiegese” stattfinden kann. Genau das ist in dieser Folge auch der Fall. Darüber hinaus ermöglicht die eindeutige Abgrenzung zwischen Musical und Sitcom ein Happy End für das Musical, während nach ‘Abschluss’ des Musicals noch Zeit bleibt, über Probleme zu berichten, die den Serienprotagonisten in den nächsten Folgen bevorstehen werden, schließlich läuft die Serienhandlung weiter. Der Realitätsanspruch der Serie wird am Ende der Folge noch einmal betont: J.D. schließt die Folge mit einem Fazit ab, dass wie folgt lautet: „In Musicals gibt es immer ein Happy End. Im Leben dagegen kann es sein, dass wenn man bekommt was man will, das vermisst was man zurückgelassen hat” (Timecode 00:21:37). Die Künstlichkeit des Musicalteils der Folge wird also nicht nur anerkannt, sondern hervorgehoben, während der andere Teil, der der normalen Sitcomrealität entspricht, gleichgesetzt wird mit „dem Leben” beziehungsweise der Realität.

Die klassische narrative Struktur wird also aufgegeben, um einen Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Serie und den Ansprüchen eines Musicals zu finden. Dabei wird die Serienrealität eindeutig von dem Musical innerhalb dieser Realität abgegrenzt und damit zum einen ein Kompromiss zwischen Realitätsanspruch der Serie und Artifizialitätsanspruch des Musicals zu finden. Zum anderen wird durch die eindeutige Abgrenzung der Idealdiegese von der Realität, welche dadurch erfolgt, dass von vornherein klar ist, dass dies alles nur im Kopf der Patientin stattfindet, ermöglicht, dass der künstlichen und übertriebenen Inszenierung kaum Grenzen gesetzt sind, ohne dass die Serienrealität in Frage gestellt wird.

4.2 Inszenierung

Die narrative Struktur der Folge ermöglicht eine möglichst theatrale Inszenierung, ohne dass dabei die Serienrealität in Frage gestellt wird. Wie werden nun für das Musical typische Elemente in die Folge eingebaut und wie erfolgt der Wechsel zwischen Sitcom beziehungsweise Realdiegese und Musical beziehungsweise Idealdiegese?

Ein entscheidender Punkt ist die Ästhetisierung. Auch hier wurde in erster Linie von der Serienrealität ausgehend inszeniert, was sich vor allem auch daran bemerkbar macht, dass keine unüblichen Drehorte oder - bis auf wenige Ausnahmen - besondere Belichtung gewählt wurde. Der Fokus liegt nicht hauptsächlich auf der Spektakularität und Inszenierung, wie es für postmoderne Filmmusicals durchaus üblich wäre, sondern darauf, die Serienrealität wie gewohnt darzustellen, aber immer wieder kurzfristig aufzubrechen.

Stellen wir uns einen heutigen Zuschauer vor, der sich im Kino — mehr oder weniger zufällig einen ‘Klassiker’ der Filmmusicalgeschichte, etwa Vincente Minnellis AN AMERICAN IN PARIS aus dem Jahr 1951, ansieht. Er wird hierbei mit einigen inhaltlichen und ästhetischen Elementen und Aspekten konfrontiert werden, die zu den wesentlichen Konventionen des Filmmusicals gehören, beispielsweise der diegetische Gesang (und Tanz) der Figuren, durch den sie ihren Emotionen Ausdruck verleihen, (...) und die visuell überzeichneten Filmbilder, die durch eine starke Farbsättigung und Kontrastreichtum geprägt sind (Göken 2014, 9).

[...]


1 Im Folgenden wird aus Gründen der Lesbarkeit das vereinfachende Maskulin verwendet

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Musical oder Sitcom? "Mein Musical" als Beispiel für Intermedialität zwischen Theater und Fernsehen
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Medienkultur und Theater)
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
24
Katalognummer
V1066643
ISBN (eBook)
9783346520968
ISBN (Buch)
9783346520975
Sprache
Deutsch
Schlagworte
musical, sitcom, mein, beispiel, intermedialität, theater, fernsehen
Arbeit zitieren
Falk Neubert (Autor:in), 2019, Musical oder Sitcom? "Mein Musical" als Beispiel für Intermedialität zwischen Theater und Fernsehen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1066643

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