Liedloff - Auf der Suche nach dem verlorenen Glück / Waldkindergarten


Exposé / Rédaction (Scolaire), 2002

20 Pages, Note: 1.2


Extrait


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Buch

3. Die kindliche Entwicklung
3.1 Die Geburt
3.2 Das Getragenwerden
3.3 Die Wirkung des Unterbewußtseins
3.4 Kriechen, Krabbeln und Heranwachsen
3.5 Die Freiwilligkeit
3.6 Der Umgang mit Schmerz, Krankheit und Unfällen

4. Persönliche Stellungsnahme

5. Pädagogisches Konzept zu Theorien der Literatur
5.1 Waldkindergarten
5.1.1 Die organisatorische Notwendigkeit
5.1.2 Die pädagogische Einschätzung des Waldkindergartens

6. Die Natur-Idee

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Auf diese Literatur bin ich aufgrund der Empfehlung einer Bekannten aufmerksam geworden.

Beim Lesen wurde mir dann bewußt, daß das Buch für mich die Antwort auf die Frage hat: „Warum die Menschen in Ländern wie Asien und Afrika für mich als Besucherin dieser Länder, mir weit offener und vertrauensvoller entgegentreten, als die meisten Menschen im westlichen Raum.

Sicherlich ist nicht nur das Getragenwerden von den Kindern alleine die Ursache für die herzlichere Art dieser Menschen, jedoch wollte ich für mich persönlich auch herausfinden, welche Defizite sich in unser Gesellschaft durch die übliche Form von Erziehung ergeben.

Meine schriftliche Abhandlung will versuchen, Bezüge zu Möglichkeiten in der Pädagogik zu finden, und ob Werte, wie sie Jean Liedloff beschreibt, in unserer Kultur überhaupt noch vermittelt werden können, sowie , welche Probleme sich daraus ergeben können. Das Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ von Jean Liedloff beinhaltet die Erfahrungen und Beobachtungen, welche die Autorin in insgesamt zweieinhalb Jahren die sie mit den Yequana Indianern im Dschungel von Venezuela gelebt hat, machte. Ihre Beobachtungen und auch psychologischen Betrachtungsweisen klärten für mich als Leserin einige Fehleinstellungen in unserer heutigen Erziehung, sowie sie mir auch verdeutlichten, wie mangelndes Vertrauen in unserer Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit wird. Sicher können im privaten und persönlichen Bereich die Theorien, die sich aus J. Liedloffs Erkenntnissen heraus ergeben, weit aus besser umgesetzt werden, als in der Jugendhilfe, doch es sind nicht immer die großen Projekte die Ergebnisse bringen können, denn unser so unentwegtes Fortschreiten macht behutsame „Rückschritte“ erforderlich.

2. Zum Buch

J. Liedloff, eine Amerikanerin, begann dieses Buch nach ihrer fünften Forschungsreise in den südamerikanischen Urwald zu schreiben und es wurde 1977 zum ersten Mal veröffentlicht. Gegenwärtig lebt sie als Publizistin und Psychotherapeutin in London. Durch Zufall kam sie mit verschiedenen dort lebenden Eingeborenenstämmen in Kontakt, als sie sich mit einer Gruppe von Abenteurern auf die Suche nach Diamanten begab. Ihre Aufmerksamkeit erregte dort zuerst der Stamm der Tauripan Indianer, und sie bemerkte, daß die Kinder dieses Stammes durchweg recht gut erzogen waren. Ihre Aufmerksamkeit galten dabei Verhaltensweisen, die sie für unsere Verhältnis als ungewöhnlich empfand und dies muß wohl den Ausschlag für ihr weiteren Beobachtungen und dieses Buch gewesen sein. In dem sie beispielsweise erwähnt, wie die Tauripan-Helfer, die bei einer Aktion, ein schweres Kanu an einen anderen Flußeinstieg zu tragen, ihre Arbeit recht „locker“ nahmen und auch in größten Schwierigkeiten den Humor nicht verloren. Sie lachten eher über das Gewicht des Bootes, was die eigentlich schwere Tätigkeit beinahe wie ein Spiel erscheinen lies.

J. Liedloff beobachtete auch sich selbst und die begleitenden Europäer und stellte fest, daß die Stimmung die herrschte, einem wie sie es nannte „Kulturtief“ glich, während dessen die Tauripan ihr kameradschaftliches Zusammenspiel genossen. Auf späteren Expeditionen fand sie noch weitere Hinweise auf tolerantes und soziales Zusammenleben, sowie Vertrauen und Zufriedenheit.

Auch hier bemerkte sie, daß gewisse Grundeinstellungen vorherrschen, wie z.B. die Tatsache, daß ein Stammesbewohner, der in der Stadt aufwuchs wieder aufgenommen wurde, aber mit keinerlei Aufgaben was seinen und den Lebensunterhalt des Stammes betraf, beauftragt wurde. Sein Verhalten dabei führte zu keinerlei Problemen, der junge Mann entschied selbst, wann es an der Zeit war sich in die Gemeinschaft ein zu bringen, bzw. etwas zum Unterhalt seiner Familie beizutragen. Das faszinierende an diesem Verhalten ist die Geduld derer, die ihn wieder aufnahmen und nichts von ihm erwarteten, sondern darauf vertraut haben, daß der ehemals in der Stadt aufgewachsene junge Mann selbst bemerkt, was für ihn gut ist und dann aktiv wird. Ein weiteres Beispiel mag wohl die Zufriedenheit sein. Auch wenn der Weg zum Wasser holen weit ist, wird dieser trotzdem mühelos bewältigt, und auch nicht daran gedacht, etwas an dieser Situation zu ändern (z.B. Wasserleitungen aus Bambus zu verlegen).

Vielleicht könnten wir auch unser tägliches Tun mit mehr Freude verrichten, wenn nicht der stetig zunehmende Leistungsdruck, finanzielle Hintergründe, sowie unsere Ansprüche uns zur Arbeit zwingen würden. In der Yequana Sprache jedoch existiert kein Wort für Arbeit und auch keine Beurteilung von Leistung. Es herrschen die Grundsätze von Kooperation und Teamarbeit, sowie das Einteilen der Kräfte und Energien, an die keine negativen Gedanken und Spannungen abgegeben werden, sondern die mit Witz, Humor und Geselligkeit einfacher zu bewältigen sind.

Auch bei geschäftlichen Beziehungen (Tauschhandel) steht die gute Beziehung zuein- ander im Mittelpunkt und nicht die Tatsache einen möglichst günstigen Handel abzuschließen.

Was dieses Buch von J. Liedloff meines Erachtens nach Lesenswert macht sind die Beispiele einer Gesellschaft, die noch recht ursprünglich lebt und uns verdeutlichen kann wie degeneriert, kompliziert und weit wir uns von einer selbstverständlichen und natürlichen Ursprünglichkeit entfernt haben.

Den Weg zurück können wir nicht finden, aber das positive Wissen aus dieser

Ursprünglichkeit kann uns auf verlorene und vergessene Werte zurück besinnen und uns zum Nachdenken anregen

Schön ist alles,

was Himmel und Erde verbindet:

der Regenbogen, die Sternschnuppen, der Tau, die Schneeflocken

doch am schönsten ist

das Lächeln eines Kindes,

das die himmlische Wiese noch nicht vergessen hat.

Zenta Maurina

3. Die kindliche Entwicklung

In diesem Kapitel möchte ich anhand von J. Liedloffs Literatur die Eigenheiten sowohl der Entwicklung der Kinder bei dem Yequana-Stammes, als auch in unserer Gesellschaft gegenüberstellen. Diese Entwicklung beginnt nicht erst mit der Geburt, sondern schon im kurz nach der Zeugung und im Bauch der Mutter. Im diesem Stadium unterscheiden Natur- und Zvilisations-Völker noch nicht gravierend von einander, da wir alle noch sehr stark an natürliche Gesetzlichkeit gebunden sind. Größere Unterschiede, die auch für das Kind beeinflussend sein können finden wir jedoch bei der Geburt.

3.1 Die Geburt

Bei noch vielen Naturvölkern ist die Geburt Teil des Lebens und wird unter Umständen von der Mutter alleine vollzogen.

Bei dem Volk der Yequana beobachtete Liedloff, das nach Austritt des Kindes aus dem Körper der Mutter, gleich ein enger Körperkontakt besteht.

„Wenn es selbständig zu atmen begonnen hat, und friedlich auf seiner Mutter ausruht, nachdem es von Ihr gestreichelt wurde bis es ganz ruhig ist, und wenn die Nabelschnur gänzlich aufgehört hat zu pulsieren und danach durchgeschnitten wurde, wird das kleine Wesen an die Brust gelegt, ohne Verzögerungen irgend einer Art- sei es zum Waschen, Wiegen oder Untersuchen, oder was auch sonst. Genau zu diesem Zeitpunkt, sobald die Geburt vollendet ist, wenn die Mutter und das Baby sich zum ersten Mal als getrennte Einzelwesen begegnen, mußdas erfolgreiche Ereignis der Prägung statt finden.“

In unserer Gesellschaft bedeutet Geburt meist ein traumatisierendes Erlebnis für die Säuglinge, die in einen grell erleuchtet Welt geboren; und von der Mutter recht schnell getrennt werden. Die Säuglinge schreien oft, bis sie vor Erschöpfung einschlafen und anschließend voller Angst wieder erwachen.

Bei den Yequana Müttern ist der Säugling von Geburt an ein Teil ihres Lebens, sowie auch ein Teil der Umwelt und der Mitmenschen. Er kann dabei auf die Nähe der Mutter von Anfang an vertrauen.

Nicht so sicher und einfach haben es Kinder die in unsere westliche Welt hinein geboren werden. Sie befinden sich sowohl im Krankenhaus; sowie mit unter auch in ihrem späteren Leben in einem „emotionalen Leerraum“; der ihnen nur die Möglichkeit gibt, durch Schreien aufmerksam auf sich zu machen. Dies soll nicht bedeuten, das Yequana Kinder nicht auch schreien, doch höre sich das nach Liedloffs Meinung nicht so dramatisch an und das Kind des Naturvolkes hätte weniger Anlaß dazu, da es sich unentwegt getragen, bei der Mutter befindet oder von einem anderen Familien- oder Stammesmitglied, sowie älteren Kindern getragen und umsorgt wird. Außerdem ermöglicht die direkte Zugriffsnähe zur Mutterbrust, dem etwas älteren Säugling, die Möglichkeit sich selbst zu nähren. Hier können zusätzlich noch unterbe- wußt bei dem Kind Gefühle wie Sicherheit, Eigenverantwortlichkeit, Vertrauen und Autonomie angesprochen werden und bilden des weiteren eine selbstverständliche Lebensgrundlage. Liedloff erwähnt zudem, das die Selbstsicherheit von Kindern stark durch die Beziehung zur Mutter und vor allem in dieser frühen Phase ausgebildet wird. Diese Gefühle können noch nicht bewußt wahrgenommen werden sind aber Grundlagen 6 die dieser kleine Mensch erfährt und später auf selbstverständliche Weise in das spätere Leben umgesetzt kann.

Unsere Babys lernen die Gefühle wie Verlassenheit und Getrenntsein, oder weggelegt werden, kennen; wo sie im Kinderbett neben Plüschtieren die ihnen das Gefühl nicht alleine zu sein geben sollen, erwachen.

Sicherlich hat sich im Laufe der Zeit auch einiges in diesem Verhalten geändert Seit dieses Buch erschien ist, können schon einige Menschen zum Nachdenken und Handeln inspiriert worden sein. Doch die Vorstellungen das uns Alle in der westlichen Gesellschaft, diese Erfahrungen geprägt haben, läßt uns auch Rückschlüsse auf viele unserer „gesellschaftlichen“ Krankheiten wie Beziehungsstörungen, Vereinsamung, Egoismus aber auch so manchen psychischen Krankheiten ziehen.

3.2 Das Getragenwerden

Die Yequana Kinder werden von Geburt an von der Mutter oder andern Stammes- mitgliedern getragen. So kann der Säugling überall mit hingenommen werden und sein Leben ist von Anfang an voll mit Reizen und Anregungen. Er schläft zu Beginn noch viel, gewöhnt sich dabei aber unterbewußt an Stimmen, Geräusche und Lichtunter- schiede, aber auch an Gerüche und sich verändernde Temperaturen in seiner Umwelt.

„In der Phase des Getragenwerdens, in der Zeit zwischen der Geburt und dem freiwilligen Beginn des Krabbelns, gewinnt ein Säugling Erfahrungen und erfüllt damit seine ihm angeborenen Erwartungen; von hieraus gelangt er zu neuen Erwartungen oder Wünschen, die er dann ihrerseits erfüllt. Wenn er wach ist, bewegt er sich sehr wenig und ist gewöhnlich in entspanntem und passivem Zustand. Seine Muskeln haben Spannkraft; er ist nicht in der stoffpuppenähnlichen Verfassung, in der er schläft, aber er wendet nur das Minimum an Muskelaktivität auf, das erforderlich ist, um die Dinge zu tun, die in dem jeweiligen Stadium getan werden müssen: zu essen oder defäkiern. Ihm fällt auch ziemlich früh die Aufgabe zu, -wenngleich nicht sofort nach Geburt-, Kopf und Körper in einer unendlichen Vielfalt von Haltung und Gleichgewicht zu halten (um Aufmerksamkeit zu zeigen, zu essen oder zu defäkieren); je nach den Tätigkeiten und Stellungen des ihn tragenden Menschen.“(Seite 71) Liedloff scheibt außerdem, das der Säugling im ewigen Jetzt lebt und wenn er getagen werden würde, dies als Glückseligkeit empfände.

Bei einem nicht ständig getragenen Säugling hingegen, erfahre dieser einen Zustand von unerfülltem Verlangens in der Öde eines Tagesgeschehens, und die von den Vorfahren her stammenden Erwartungen würden durch jenen überlagert -keineswegs geändert oder ersetzt werden -, die sich auf der eigenen Erfahrung her gründen würden. Ein Kind in unserer Gesellschaft, das von der Mutter und ihrem Körper getrennt „verwahrt“ wird, könne nicht fühlen das die Mutter nicht weit entfernt ist und auch gleich zur Stelle ist, wenn es sich melden sollte. Nicht immer wird seinem Weinen sofort nachgegangen, meistens sei dies der Fall, wenn die Mutter zuvor gerade ihr Kind versorgt habe, und diese Weinen nach Zuwendung nicht ernst nimmt. Nach den früheren Expeditionen in die Indianerwelt veröffentlichte J. Liedloff einen Artikel in der New York Times in dem sie beschrieb wie wenig Platz eine Mutter ihrem natürlichen mütterlichen Instinkt gewährt:

„Ich würde mich schämen, den Indianern gegenüber zuzugeben, das dort wo ich herkomme, die Frauen sich nicht imstande fühlen, ihre Kinder großzuziehen, bevor sie ein Buch mit den von einem fremden Mann geschriebener Anleitung dazu gelesen haben.“

So scheinen in unserer Gesellschaft die natürlichen Muttergefühle aufgrund von wissenschaftlichen Theorien unterdrückt zu werden, und das bisher selbst unterbewußt Erlebte, an die Kinder weitergegeben. Was für unsere Kinder bedeuten könnte das Schreien auf das Gehalten- und Getragenwerden auszurichten. Gerade dieses Getragenwerden kann auch ein Miteinbeziehen für das Kind in den Alltags- Rythmus (schaukelnde Bewegungen durch z.B. gehen... des tragenden Menschen), aber auch die unterbewußte Wahrnehmung der Umwelt bedeuten. Das Kind erfährt die Umwelt durch einen anderen Blickwinkel, der sich auf ca. der Höhe des Erwachsen befindet, steht aber auch je nach Trageart, im direkten Bezug mit der tragenden Person und nimmt zusätzlich auch die Gegebenheiten von Umwelteinflüssen auf, (Sonne, Wind ;Regen, Licht, Schatten, Drinnen, Draußen ) und kann somit ein vertrauensvolleres Verhältnis zur Person, aber auch zur Umwelt entwickeln. Im grassen Gegensatz scheint dabei die Erfahrungen, die ein Säugling im Kinderwagen macht, zu stehen. Er nimmt die Umwelt wenn überhaupt nur bruchstückhaft wahr, wirkt schreckhafter gegenüber fremden Geräuschen und nur das hin und her Schaukel des Wagens scheint ihn beruhigen zu können.

Liedloff behauptet außerdem, das Kinder schreckhafter sein würden, wenn sie sich außerhalb der Sicherheitszone der Arme, von Bezugspersonen befinden und erwähnt zusätzlich, das Kinderwagen oder Wiegen nur einen mangelhaften Ersatz für das Getragenwerden darstellen und das Kind von seinen eigentlichen Erwartungen und Bedürfnissen entfernen.

Nach Liedloffs Theorie entwickelt ein Säugling der nicht getragen wurde, ein eher kompensatorisches Verhalten, das sich darin äußert, daß er heftig mit den Armen wedelt, den Kopf von einer Seite zur anderen dreht; um nach ihrer Meinung eine Art Kribbeln im Körper zu erzeugen, und sich so einen ihn tragenden Menschen zu ersetzen versucht. Sie thematisiert auch das Lutschen am Daumen, das ihres Erachtens nach eine Beschäftigung sei, bei der ein gesättigtes Kind versuche, sich mit dieser unterbewußten Beschäftigung, den Leerraum auszufüllen.

Aber es scheinen auch mehr Menschen in unserer Gesellschaft, den „Rückschritt“ zum Tragen des Kindes wieder gemacht zu haben und stellen dabei fest, daß Kinder schnel- ler einschlafen wenn sie getragen werden, weniger weinen und sich freundlicher und offener entwickeln.

3.3 Die Wirkung der unterbewußten Wahrnehmung

Der Säugling und auch das Kleinkind erleben ihre Umwelt noch nicht bewußt.

Jedoch ist er/es trotzdem ein wichtiger Teil im Leben der Mutter oder der Bezugsper- son und deren Tätigkeiten, wenn er getragen wird. Er kann dabei auf diese Umgebung vertrauen, oder wie bei den Yequanas sich eigenständig an der Brust der Mutter versorgen. Ansonsten tut ein Säugling in dieser Phase recht wenig, doch es werden ihm unterbewußt die Erfahrungen und Abenteuer eines beschäftigten Menschen, der ihn trägt, zu Teil.

Auch wird mit dem Kind gespielt. Es sind Spiele, die wir auch bei uns kennen, wie weg 8 heben vom Körper und das Kind wieder zum Körper hinzu heben, und später dann das Hochwerfen des Kindes in die Luft und es wieder aufzufangen...etc.. Diese Spielereien, die dem Kind und den Erwachsenen in Verzückung versetzen, sprechen aber auch unterbewußt den Vertrauensbereich des Säuglinges an und sie können später wichtige Erfahrungswerte für das Kind bedeuten.

Noch ein Beispiel für unterbewußte Wahrnehmung und wie sich diese auch auf spätere Erfahrungsfelder auswirken kann, möchte ich aus Liedloffs Buch zitieren:

„Ein Bad gehört von Geburt an zur täglichen Routine, aber jedes Kleinkind wird auch in schnelle Flüsse getaucht: zuerst nur mit den Füßen, dann mit den Beinen, schließlich mit dem ganzen Körper. Das Wasser wird immer reißender, bis zu strudelnden Strom- schnellen und Wasserfällen, und wenn die Reaktion des Babys wachsendes Selbstver- trauen offenbahrt, wird auch die Zeit länger, die man es dem Wasser aussetzt. Ehe es laufen oder auch nur denken kann, entwickelt sich das Yequana- Baby schon zum Ex- perten im Einschätzen der Kraft, Richtung und Tiefe von Gewässern durch Beobacht- ung. Die Mitglieder seines Stammes gehören zu den fähigsten Weißwasser-Kanufahrer der Welt. (Seite75)

Liedloff erklärt die unterbewußten Erfahrungen zusammenfassend einige Seiten später folgender Maßen:

Der Säugling speichert also jedes Stückchen positiver Erfahrung, das er gesammelt hat, gleichgültig, in welcher Erfahrungsreihe es auftrat oder wie bruchstückhaft immer es sein mag. Er mußjedoch am Ende dieses Sammelvorgangesüber das erforderliche Minimum einer jeweiligen Erfahrung verfügen, um diese als Grundlage für weitere Erfahrungen der jeweiligen Reihe benutzen zu können. Solange das vorausgehende Erfahrungskontingent nicht erfüllt ist, können die Erfahrungen der nächsten Stufe tausendmal vorkommen, ohne daßsie zum Reifen des Individuums beitragen würden.“(Seite 93)

In wie weit auch das Verhalten der Mutter und der alltägliche Umgang, auch in der Reinlichkeiterziehung des Säuglings, von diesem wahrgenommen wird möchte ich kurz zusammen fassen. Die Autorin ist der Meinung, daß in unserer Kultur der Mutter das Wickel des Kindes mitunter nicht leicht fällt, und sie dies oft auch mit widerwilligem Gefühlen erledigt, und dieser Widerwille beim Kind selbst auch als Fehlverhalten seiner Seits, abge- speichert werden kann. Ähnlich erfährt das Kind auch die Ablehnung der Mutter, wenn es beispielsweise nach den Haaren greift und daran zu ziehen beginnt, etwas umschmeißt, oder sabbert. Die unterbewußt erlebte Haltung der Mutter diesen Vorfällen gegenüber, können die Vorläufer von Angst und Schuldgefühlen sein, die einen Menschen in späteren Leben beschäftigen können.

Bei einem Naturvolk scheinen diese Art von Benehmen weit annehmender und humorvoller gehandhabt zu werden. Jedoch sollte man dabei nicht die äußeren Gegebenheiten, wie das Leben in der Natur und die Nacktheit vergessen die, die Reinlichkeitserziehung des Säuglings auch erleichtern können. So schreibt Liedloff:

„..Wenn er sie vollsabbert, nimmt sie selten Notiz davon. Wischt sie ihm mit dem Handrücken den Mund ab, so geschieht das in der halb abwesenden Art, in der sie auch sich selbst pflegt. Wenn er sich naßmacht oder defäkiert, lacht sie vielleicht, und da sie selten alleine ist, lachen auch ihre Gefährten, und sie hält das Kind so schnell sie kann von sich ab, bis es sein Geschäft beendet hat... (Seite 77)

Setzt später dann die Reinlichkeitserziehung ein, jagt man das Kleinkind nach Draußen, wenn es den Boden der Hütte beschmutzt.“(Seite 78)

Was unseren Kindern nach Meinung von Liedloff fehlen würde, wären die Gefühle des Vertrauens und des Selbstgefühles, das sich auch im Säuglingsalter unbewußt bildet. Weiter führt sie an, daß das Wachsen in die Unabhängigkeit und die Kraft zur emotionalen Reifen, weitgehend der Beziehung die sich beim Getragenwerden herausgebildet hat, entspringt. Das Kind könne nur durch die Mutter unabhängig werden, wenn diese die richtige Rolle einnehmen und das Getragenwerden ermöglicht würde, so lautet einer der Leitsätze der Autorin.

Viele Menschen in unserer Zeit und Kultur sprechen auch davon, daß ihre als Säugling getragene Kinder ausgeglichener, lebens- und kontaktfreudiger, sowie aufgeweckter sind. Jedoch ist es schwer zu beweisen, ob sie ohne diese Erfahrung des Tragens sich nicht ebenso entwickelt hätten.

Wie wir auch bei Maria Montessori den Grundgedanken finden, das Erziehung nur sinnvoll ist, wenn die Umgebung (Umwelt) den seelischen Bedürfnissen des Kindes gerecht wird, so finden sich auch bei den Yequana Beispiele für diese Haltung. Liedloff beschreibt dabei die Situation, wie ein Vater für seinen gerade mit dem krabbeln beginnenden Sohn, eine Art Laufstall gebaut hatte, in den der kleine Mensch gesetzt wurde und nach einem kurzen Moment, ein für ein Yequana-Kind untypisches Schreien von sich gab. Der Vater nahm seinen Sohn unverzüglich wieder heraus, wo das Kind sich nach einiger Zeit wieder beruhigte, während der Vater beschloß, seine Konstruktion wieder aufzulösen.

So könnte hier auch ein Montessori Leitsatz stehen, der besagt, das der Erwachsene nicht seinen Willen dem Kind aufdrängen sollte, da er somit die Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umgebung hemmt und dieses sich nicht mehr nach seinem inneren Bauplan entwickeln könne.

3.4 Kriechen, Kabbeln und Heranwachsen

Auch in diesen Phasen zeigt sich bei den Yequana-Kindern, wie wichtig die Vorerfahrung des Getragenwerdens für sie waren, wenn sie nach ihrem Willen ent- sprechend, von der Mutter vertrauensvoll losgelassen werden. Sicherlich entwickeln sich die ersten Ausflüge von der Mutter weg langsam und auch in der Gewißheit, das diese sich in unmittelbarer Nähe befindet und jederzeit, wieder zu ihr zurückgekehrt werden kann.

Nach Liedloffs Erfahrungen, wurden den Yequana-Kinder Sicherheit und Anregungen aus der Umwelt bewußter, und so wenden sie sich von der Mutter losgelöst, dem Erkunden der Umwelt zuerst durch Kriechen, später durch Krabbeln zu; mit einem Selbstbewußtsein, das mehr Umfang und Tiefe hat, als bei einem Kind aus unserer Zivilisation. Auch nehme der von dem Kind zu genüge genossene Körperkontakt ab, was jedoch nicht bedeutet, daß die Zugriffsnähe zur Mutter vom Kind nicht mehr benötigt werden würde, sondern als Selbstverständlichkeit, auch in späterem Alter, vorausgesetzt wird. Ein Yequana-Kind hätte in dieser Phase die Tendenz, zu experi- mentieren und die Umwelt zu erkunden, sowie es auch die schon von den Vorfahren gegebene Folge erwarte, die Bewegung und Raum beinhalte und außerdem eine Vielfalt an Menschen, Situationen, Gegenständen, aber auch Gefahrenquellen biete; die es ohne direkte Abhängigkeit von der Mutter überwinden könne. Hier schreibt Liedloff, das Gefahrenquellen den Kindern offen zugänglich seien, d.h. das Messer und Macheten 10 offen liegen gelassen werden und somit auch für Kinder zugänglich sind. Die sich jedoch daran nicht verletzen würden, selbst wenn sie in deren Nähe spielen oder z.B. Messer an der Klinge und nicht am Griff anfassen würden. Sie ist der Meinung das Gefahren von ihnen intuitiv überwunden und von ihrem Selbsterhaltungsmechanismus dabei gelenkt werden. Auch habe das Kind, das z.B. um eine Grube von 1,5 m Tiefe, herum spielen würde, die Verantwortung für seine Beziehung zu den gegebenen Möglichkeiten selbst übernommen. Das einzige was die Familie oder der Yequana- Stamm von ihren Kinder erwarten, sei die Tatsache, das sie sich um sich selbst kümmern könnten.

Was nicht bedeutet, das die Yequana-Mutter ihr Kind unbeaufsichtigt im Lager zurücklassen würde sondern, daß sie auch bei einem Wechsel der örtlichen Gegebenheiten, beim Absetzen des Kindes, auf dessen Eigenverantwortlichkeit vertrauen würde und es auch ohne direkte Beaufsichtigung unversehrt bliebe.

Die Autorin erwähnt hier zur Verdeutlichung, das Babys über eine ganze Reihe von natürlicher Überlebensmechanismen verfügen, die bei den Sinnesorganen auf gröbster Ebene beginnen und bis hin zu einer höchst brauchbaren Alltagstelepathie, auf weniger erklärbarer Ebene, reichen kann.

„Es ist der Instinkt der für die Selbsterhaltung sorgt“ Wie in unserer Kultur dem Selbsterhaltungstrieb, so wie dem natürlichen Instinkt des Kindes, die Autonomie entzogen wird, erwähnt Liedloff so:

„Gibt die Mutter dem sozialen Instinkt des Kindes zu erkennen, daßsie von Ihm erwartet, ihr die Sorge für seine Sicherheit zuüberlassen, so wird es kooperieren und entsprechend handeln.“(Seite 106) d.h. auch, daß wir über das Kind hinweg bestimmen, wie selbständig und selbstbewußt dieses werden kann.

Beim Heranwachsen nehmen die Kinder der Yequana mit jedem Tag ihres Lebens auch die kulturellen Gegebenheiten ihres Volkes auf. Sie erlernen dabei z.B. die Verhaltensweisen der Geschlechterrollen. Hier steht das Rollenbeispiel des Vaters, für die Stabilisierung des sozialen Verhältnis in der Gemeinschaft, während das Rollenbeispiel der Mutter, für zärtlich, umsorgende Art steht.

Spielzeuge bietet die natürliche Umgebung an sich an, aber auch kindgerechte Alltagsgegenstände (Paddel, Pfeil und Bogen, Maniok- Reibe...) sind hier vorhanden. Diese Alltagsgegenstände werden unverbindlich und nur auf Verlangen des Kindes, diesem zu Verfügung gestellt und es beginnt, das was es bei den Erwachsenen an Tätigkeit mit diesen Gegenständen gesehen hat, intuitiv nachzuahmen.

Das Kind selbst bestimme dabei die Art der Tätigkeit, das Tempo und die Methode und auch die Zusammenarbeit beruhe dabei auf absolute Freiwilligkeit. Das Volk der Yequana ist dabei der Auffassung, daß ein Kind, auch wenn es noch nicht sprechen kann, sehr gut seine Bedürfnisse klar machen kann und es sinnlos sei, etwas anzubieten, nachdem das Kind nicht verlangt hat.

„..schließlich ist das Ziel der kindlichen Aktivität eine Entwicklung von Selbstvertrauen. Bietet man ihm entweder mehr oder weniger Unterstützung an, als es wirklich braucht, so wird sein Ziel leicht vereitelt. ..“(Seite 112) Ebenso wird die Persönlichkeit des Kindes als gut respektiert. Die Sprache der Yequana verzichte auf Ausdrücke wie „braves Kind etc., denn es wird angenommen, daß das 11 Kind in seinen Motiven, in Übereinstimmung zur Gesellschaft steht. Was es tut, wird als Handlung, eines von Geburt an „richtigen“ Geschöpfes betrachtet. Liedloff spricht hier von der „Annahme des angeborenen Sozialtriebes“, den die Yequana auch bei anderen Menschen voraussetzten würden. In dieser Annahme könnte auch die Begündung liegen, warum dieses Volk auf „erzieherisch Maßnahmen“, wie Heran- führen, Beeinflussung oder Einmischung in die Entwicklung, verzichten.

Ähnliche Ansätzen dieser Verhaltensweisen finden wir bei uns, in der antiautoritären

Erziehung, aber auch in der Montessori- Pädagogik (..Bauplan des Kindes, Freiarbeit...) Liedloff formuliert die Einstellung des Naturvolks aus ihren Beobachtungen heraus so: „Die Neugier des Kindes und sein Wunsch, selber Dinge zu tun, bestimmt die Fähigkeit zu lernen, ohne irgendeinen Teil der Gesamtentwicklung aufgeben zu müssen. Anleitung kann nur bestimmte einzelne Fähigkeiten auf Kosten anderer vertiefen, nichts jedoch vermag das volle Spektrums einer angeborenen Fähigkeitenüber die angeborenen Grenzen hinaus zu verbreiten. Den Preis, den das Kind dafür zahlt, daßes zu dem geführt wird, was seine Eltern für es als das Beste erachten, ist die Beeinträchtigung seiner Ganzheit.“(Seite 113-114)

Statt dessen bekommt das natürliche Vorbild des Erwachsenen die lenkende Rolle, wie bereits schon erwähnt wurde.

In unserer Kultur, werden nach Liedloffs Meinung, oft größere Aufmerksamkeit vom Erwachsenen, sowie dessen Bestätigung eingefordert und sie führt dabei das Verhalten des Kindes, auf den Mangel des Getragenwerdens zurück. Zusätzlich würden unsere Kinder unentwegt beaufsichtigt und verunsichert durch Sätze wie : „Paß auf daß du nicht...; - Verletze dich nicht...“etc. Diese Botschaften taugten dabei weder zur Unfall- verhütung, noch dazu gesundes Selbstbewußtsein zu entwickeln. Die Verunsicherung der Kinder, die durch diese Botschaften entstanden sind, versuchten wir später mit Lob und anerkennende Bemerkungen, aber auch Ermutigungen, wieder auszugleichen. Dem natürlichen Instinkt der Kinder, werde dabei jegliche Selbständigkeit und Selbst- bewußtsein abgesprochen und später wieder versucht dieses „aberzogene“ natürliche Selbstbewußtsein durch „künstliches“ aufzubauen. Letztlich wurde dieses Verhalten uns selbst so beigebracht und die Angst, sowie der Mangel an Urvertrauen und -instinkt, von Generation zu Generation unserer Gesellschaft weitergegeben. Außerdem, kommt bei uns Erziehern noch der gravierende Aspekt der Aufsichtspflicht hinzu der zusätzlich, einen Teil unseren erzieherischen Auftrages darstellt und auch nicht, meiner Meinung nach, außer Acht gelassen werden sollte, da die Kinder aus den meisten Familien, aber auch die Kinder in Heimen, die natürliche Intuitionen mitunter schon verloren haben. Hier gelten nicht mehr die Regeln des Urvolkes, das auf intuitive Gefahrenwahrnehmung vertraut hat, sondern unsere kulturell bedingte Erziehung steht zwischen Vernachlässigung und Überbehütung.

„Ein gesundes Kontinuum- Kind verfügtüber eine Reihe von angeborenen Tendenzen, das Passende zu tun, wie z.B. nachahmen, erforschen, prüfen, sich oder andere nicht verletzen, hereinkommen, wenn es regnet, angenehme Laute von sich geben und ein freundliches Gesicht machen, wenn sich andere Menschen richtig verhalten, auf Zeichen bei jüngeren Kindern zu reagieren usw. Ein Kind hingegen, das Versagen erfuhr oder von dem man gemeinschaftsfeidliches Verhalten erwartet, kann gegen sein angeborenes Gespür für Richtigkeit in dem gleichen Maße verstoßen, in dem man gegen seine Bedürfnisse und seine Empfindlichkeit für die Erwartungen anderer verstoßen hat.“(Seite 117-118)

3.5 Die Freiwilligkeit

Die Kinder, aber auch die Erwachsenen des Yequana-Volkes werden im Zusammen- leben miteinander, zu nichts gezwungen, oder zu Verhaltensweisen, sowie dem Erfüllen von Aufgaben überredet. Hierbei basiert die allgemeine Haltung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und den Kindern wird die Entscheidungsfreiheit, was z.B. die Beteiligung an Unternehmungen, oder allgemeine Tätigkeiten betreffen kann, sowie die Urteilskraft, in den meisten Fällen, selbst überlassen. Das schärft nicht nur die Sinne gegenüber Eigenverantwortlichkeit, sondern auch die Mitverantwortung und ermöglicht es, ein freiwilliges und natürliches Verhältnis zu Tätigkeiten zu finden, aber auch zur Gemeinschaft aufzubauen.

„Bei den Yequana wird die Urteilskraft eines Menschen für hinreichend angesehen, jede Entscheidung zu treffen, zu der er sich motiviert fühlt. Der Impuls, eine Ent- scheidung zu treffen, ist Beweis der Fähigkeit, dies auf angemessene Weise zu tun. Kleine Kinder treffen keine größeren Entscheidungen; sie haben ein starkes Interesse an ihrer Selbsterhaltung, und in Angelegenheiten, die ihr Entscheidungsvermögen überschreiten, erwarten sie von denÄlteren, daßdiese beurteilen, was das beste ist. Dadurch, daßman dem Kind von klein auf die Wahlüberläßt, bleibt seine Urteilskraft von höchster Wirksamkeit, beim Delegieren ebenso wie beim Treffen von Ent- scheidungen. Vorsichtäußert sich in dem Maße, in dem Verantwortung im Spiel ist, und Irrtümer kommen auf diese Weise außerordentlich selten vor. Eine so gefällte Ent- scheidung trifft beim Kind nicht auf Widerstand und funktioniert daher harmonisch und angenehm für alle Betroffenen.“(Seite 124-125)

3.6 Der Umgang mit Schmerz, Krankheit und Unfall

Die Yequana Indianer sind ebenso wie wir den Gefahren der Umwelt ausgesetzt. Was uns jedoch von ihren Erfahrungen unterscheidet, ist die Tatsache, daß sie in einem natürlichen Umfeld, diese Gefahren ausgesetzt sind, während wir diese in einer Welt sind, die wir selbst so „geschaffen“ haben.

Liedloff erwähnt aber auch noch andere Unterscheidungen, wie die Tatsache, daß die Menschen der Yequana weniger wehleidig gegenüber heilenden Behandlungen und deren Schmerzhaftigkeit sind. So liesen sich Kinder und Erwachsene, bei diesen schmerzhaften Behandlungen von der Mutter oder der Frau, bei dem Ertragen der Schmerzen trösten und seien, sowohl vor als auch nach diesen Behandlungen, weniger ängstlich und leidend, wie sie es aus unserer Gesellschaft kenne.

Die Autorin behandelte oft Wunden und Krankheiten bei diesem Volk und beschreibt dabei auch, die recht tolerante Haltung gegenüber unabsichtlich zugefügten Wunden, von z.B. einem Spielgefährten, die von seiten des Verletzten, keinerlei Vorwurf an den Spielgefährten richtete, und von diesem auch kein Schuldgefühl zu erkennen gewesen sei.

Wie schon zu den Gefahrenquellen erwähnt wurde, herrscht ein offener und selbstver- ständlicherer Umgang mit diesen. Dies wird von Liedloff am Beispiel von offenem Feuer noch einmal verdeutlicht, wie geschickt und selbstverständlich ein Kind mit einem brennenden Holzspan umgehen kann, ohne sich zu verbrennen oder die Hütte in Brand zu stecken.

„Der hier maßgebliche Faktor ist offenbar die Zuteilung von Verantwortung. Der Mechanismus des Sich-um-sich-selbst-Kümmerns ist bei den meistem westlichen 13 Kindern nur teilweise in Kraft, da ein Großteil der Last von erwachsenen Aufsichtspersonenübernommen worden ist.

...Dies ist ein weiters Beispiel für den Versuch, die Natur zu verbessern; ein weiteres Beispiel für das Mißtrauen gegenüber Fähigkeiten, die nicht vom Verstand kontrolliert werden, und für die gewaltsameÜbernahme ihrer Funktionen durch den Intellekt, der gar nicht die Fähigkeit besitzt, alle wichtigen Informationen zu berücksichtigen. ...Für jeden der Kontinuum-Prinzipien im zivilisierten Leben anwenden möchte, wird dieser Glauben an die Selbstschutzfähigkeit der Kinder eins der schwierigsten Probleme darstellen.“(Seite 136, 137)

4. Persönliche Stellungsnahme

Die Grundgedanken das Kinder , die getragen werden sich besser entwickeln können, finde ich sinnvoll und beachtenswert, so wie ich auch dabei eine Alltagsfunktionalität erkennen kann. Die Yequana-Prinzipien an sich, scheinen jedoch in unserer Gesell- schaft, im privaten Familienbereich leichter zu verwirklichen zu sein ,wie in öffentlichen Einrichtungen, damit meine ich Kindergärten, Heime, Krankenhäuser oder Schulen.

Sicherlich gibt und gab es auch schon Modelle, in denen Teile aus dieser ursprünglichen Art des Zusammenlebens und der pädagogische Ansatz verwirklicht werden konnte. Ich denke an Möglichkeiten, wie sie schon in den 70er Jahren in Kinderläden praktiziert wurden, oder die sich in Heimen ergeben könnten, wenn dabei Wohngruppen in verschiedenen Altersgruppen zusammenleben, und nicht nur Vollzeit, sondern auch „ganzheitlich“ betreut werden kann. Vielleicht könnte das Modell des SOS- Kinderdorfes, eine ähnliche Grundlage dazu bieten.

Grundsätzlich mehr von dem Getragenwerden-, Freiheit- und Freiwilligkeitsideen sind sicherlich in der Familie selbst besser zu verwirklichen (z.B. Adoption von Säuglingen). Zusätzlich halte ich es aber auch für wichtig, nicht alle Erkenntnisse zu dogmatisieren, denn wir haben uns ein recht großes Stück von dieser, den Yequana noch eigenen, Ursprünglichkeit entfernt; und wir können auch nicht unsere kulturelle Realitäten, ganz gleich wie diese aussehen mögen; den Kindern vorenthalten.

Aus eigenen Erfahrungen mit heranwachsenden Säuglingen, weiß ich zudem, wie schwer es ist, sie ohne bewußte Beaufsichtigung „machen zu lassen“, außerdem bin ich der Meinung, das die Mütter teilweise intuitiver mit ihren Kindern umgehen können, wie Bezug- oder Betreungspersonen es können.

Unsere teilweise degenerierte und künstliche Umwelt ist auch viel komplizierter gestaltet, als bei einen natur- und erdverbundenen Volk es der Fall ist. Das scheint für mich mit einer der Gründe zu sein, warum die Angst vor dieser selbst- geschaffenen Welt größer ist, als das Vertrauen in den natürlichen Überlebenstrieb des Kindes. Die Yequanas und die Theorien von Liedloff stellen für mich persönlich einen Versuch dar, den ich bei dem Umgang mit „eigenen“ Kinder versuchen möchte. In unserem Beruf als Erzieher jedoch denke ich, daß so Grundprinzipien, wie Bewegung, Freiräume, Eigeninitative und -verantwortlichkeit, so wie die Freiheit in der Lebensgestaltung, nur teilweise verwirklicht oder vermittelt werden können; sowie ich glaube, daß es sinnvoller ist, dabei in kleinen Schritten und behutsam vorzugehen.

Doch das Paradies ist verriegelt.

Wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es von hinten irgendwo wieder offen ist.

Heinrich von Kleist

5. Pädagogisches Konzept zu den Theorien aus der Literatur

Fern ab von Urwald, Urvolk und Urinstinkt, werden bei uns noch immer, auf fast natürliche Weise Kinder geboren, denen dieser westliche Raum als „natürlicher“ Lebensraum zur Verfügung steht. Wo wir als Mutter oder Väter im privaten Bereich die Idee des Getragenwerden praktizieren können, sind jedoch so manches Mal dem freien Beweguns- und Entfaltungsdranges der Kinder von außen Grenzen gesetzt. In den Städten , in denen grauer Asphalt und Straßenverkehr den Dschungel ersetzt haben, fehlt der natürliche Lebensraum um den Kindern naturbezogene Erfahrungen zu ermöglichen.

Der Bewegungsdrang der Kinder erfährt dabei einen gravierenden Einschnitt und in den Kinderzimmern türmen sich Plüschtiere und vorgefertigte Spielideen, die Ersatz für ihn, aber auch viele andere Bedürfnisse darstellen. Die Möglichkeiten, wie die Kinder ihre Umwelt noch naturbezogen oder frei erleben können sind recht beschränkt. Der Waldkindergarten, sowie einzelne naturpädagogische Erlebnisbereiche, könnten hierbei noch die Yequana-Theorien teilweise umsetzen, oder orientieren sich unter- bewußt an diesen.

5.1 Waldkindergarten

Der erste Waldkindergarten wurde vor ca. 43 Jahren durch Ella Flatau in Dänemark, ins Leben gerufen. Mittlerweile sind auch bei uns vereinzelt Waldkindergärten, die zum täglichen Lebensraum und Erfahrungsfeld von Vorschulkindern dienen sollen, konzipiert und gegründet worden.

Als Beispiel möchte ich hier den Waldkindergarten „Ameisenhaufen“ anführen und wie sich der Alltag der Kinder dort gestaltet.

Der Tag der Kinder beginnt dort nach dem Eintreffen, mit einem Morgenkreis, singen oder einem Spiel. Meist folgt darauf ein gemeinsames Frühstück, das bei sehr kaltem Wetter auch im Bauwagen eingenommen werden kann.

Anschließend können die Kinder frei im Wald spielen. Sie sind fast bei jedem Wetter draußen und suchen sich selbst ihre Abwechslung, denn der Wald steckt voller Ideen. Kreativität bedeutet hier, sich mit den vorhandenen Dingen (Stöcken, Blättern...) und Gegebenheiten (Wetter, Jahreszeit...) auseinander zu setzten. So wird der Wald zum Spielraum.

Durch diese äußeren und natürlichen Einflüsse scheinen die Kinder ruhiger, konzentrierter und gelassener zu werden, was auf die Tatsache der ausreichenden Bewegungsmöglichkeiten zurück zu führen ist.

Die Wissenschaftler sprechen hier davon, das die Bewegung die Grundlage aller geistigen Entwicklung darstellt und diese 3-4 Stunden pro Tag von Kindern benötigt werden. Leider schränkt die Umwelt die Bewegung der Kinder all zu oft ein. Der Waldkindergarten ermöglicht ihnen jedoch diesen Freiraum und sie können sich austoben, ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachgehen, sowie die natürlichen Formen der Umgebung entdecken und erfahren.

Die Erzieherin der „Ameisen“-Kinder spricht hier auch an, daß die befürchtete Erhöhung von Verletzungsgefahren, durch kindliche Selbsteinschätzung und Körperbeherrschung (Koordination) ausgeglichen werden kann und außerdem die Kinder nur die Aufgaben und Gefahren ansteuern, die sie auch bewältigen können.

5.1.1 Die organisatorische Notwendigkeit

In den von der LWV verfaßten Informationen zum Waldkindergarten, finden sich hier einige zu beachtenden organisatorischen Richtlinien die Wochenplanungen, aber auch die Elternarbeit betreffen.

Diese Elternarbeit sei dabei eine grundsätzliche Notwendigkeit ,die zu den üblichen

Aufgaben, zusätzlich Absprachen und Informationen alltägliche Dinge, wie wetterfeste Kleidung und die Planung des Wochenprogrammes, beinhalten muß.

5.1.2 Die pädagogisch Einschätzung des Waldkindergartens

Welche Erfahrungsräume ein Waldkindergarten für Kinder bietet und warum er mir geeignet scheint, was die Theorien aus der Liedloff Literatur betrifft, möchte ich hier kurz stichworthaft erwähnen.

Im Waldkindergarten wird die Körperlichkeit in der Erziehung betont:
- Aufbau des Selbstwertgefühles durch die Erfahrung der eigenen Körperlichkeit
- Entstehung des Selbstbildes, durch Erfahrungen aus Aktivität und Bewegung, kann die Umwelt gestaltet oder verändert werden
Waldkindergarten fördert die Sinneswahrnehmung:
- Offenbarung der Welt durch riechen, schmecken, sehen, tasten , hören, hüpfen ♦ Freie Natur schult Sinneswahrnehmung
- Erlebnisraum Wald als Beispiel für ein gut funktionierendes Wahrnehmungssystem
Entwicklung des Naturbezuges im Waldkindergarten:
- Kinder lernen natürlich Zusammenhänge (wie Jahreszeit, Pflanzenwuchs, tierische Lebensräume) erkennen und einzuschätzen
- positiver Naturbezug
Waldkindergarten als Beitrag zur Gesundheitsförderung:
- Abhärtung gegen Krankheiten durch Aufenthalt und Bewegung in freier Natur (Voraussetzung ist angemessene Kleidung)
- Vorbeugung gegen Bewegungsstörungen, Allergien ♦ Beitrag zur Verbesserung von Koordinationsfähigkeit
- begünstigt Ernährung (durch z.B. Erfahrungsfelder: Limonade zieht Wespen an, Ameisen mögen Süßigkeiten)
Waldkindergarten fördert gute Beziehung zwischen Kindern und Erziehern:
- Kinder können Bewegungsdrang frei ausleben und selbst bestimmen: z.B. „Klettere ich hoch, falle ich tief!“
- Erzieher können gewähren lassen, da Folgen von ungeschicktem Verhalten sich natürlich ergeben

Ein naturnahes Umfeld kann die Entwicklung der Kinder günstig beeinflussen. Wenn Kinder nur wenig sinnvolle Anregungen und kaum Spielmöglichkeiten in der Natur vorfinden, ist auch ein natürliches und phantasievolles Spiel in ihr nicht mehr möglich. Um dies kurz und prägnant aus dem Buch „Ökologische Spiel(t)räume“ zu zitieren:

„Nur wer seine Umwelt intakt erlebt und die Natur mit allen Sinnen erfährt, wird sie auch schützen“

6. Die Natur-Idee

Wald und Natur können nicht nur in Form von Kindergärten sinnvoll sein, sondern können auch als Naturerfahrung und Freiräume in der Nähe eines Kinderheimes liegen (z.B. Waldhaus in Malsch). Dort können sich die Jungen in ihrer Freizeit selbständig beschäftigen und ihre Naturerfahrungen machen.

Ein kleiner unterstützender Schritt für mich als Erzieher könnte darin bestehen, das Interesse der Kinder und Jugendlichen durch Spaziergänge oder Versteckspiele in den Wald zu lenken, jedoch den jungen Menschen die Entscheidung, ob sie diesen Raum für sich nutzen möchten, selbst zu überlassen.

Leider ist nicht immer Natur in der unmittelbaren Nähe von solchen Einrichtungen. Ein weiterer kleiner Schritt in die Natur, Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Selbstvertrauen, könnte ein freiwillige Aktion im Bezug auf Kreativität mit Natur- materialien darstellen. Diese könnte ohne große Planung, sich aus einem Spaziergang ergeben, bei dem zufällig Gegenstände gefunden werden, die Kinder selbst zur Kreativität anregen. Es sollte dabei jedoch auf Aufgabenstellung oder direkte Anleitung verzichten werden.

Es gibt sicher noch viele Möglichkeiten und Ideen, wie die Kinder zurück zu ihren eigenen Werten finden können, wenn diese es wollen, und wir Erzieher, aber auch Eltern, nicht zuviel für sie planen und ihnen Vorschriften machen, die sie wegbringt von Eigenschaften, die sie vielleicht noch besitzen und die uns selbst schon lange aberzogen wurden.

Quellenverzeichnis

Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück

Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit

Beck`sch Reihe, München 1980

Landesjugendamt:Informationen zum Waldkindergarten

Landeswohlfahrtsverband, Würtemberg-Hohenzollern

Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze e.V.: Ökologische Spiel(t)räume

ISBN 3-00-00-1904-9

Schulunterlagen:Montessori- Pädagogik

Sprüche aus:

Barbara und Hans Hug (Hrsg.):Blätter die uns durch das Jahr begleiten Kreuz-Verlag, Stuttgart 1992

Friedhelms: Kreativ Werkstatt

Zell a.H., Mai 2001

Filmmaterial von Sabine Howe:Mehr als nur ein Kinderspiel Waldkindergarten Ameisenhaufen

Geo TV auf Arte

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Liedloff - Auf der Suche nach dem verlorenen Glück / Waldkindergarten
Note
1.2
Auteur
Année
2002
Pages
20
N° de catalogue
V106777
ISBN (ebook)
9783640050529
Taille d'un fichier
488 KB
Langue
allemand
Mots clés
Liedloff, Suche, Glück, Waldkindergarten
Citation du texte
Christiane Bolg (Auteur), 2002, Liedloff - Auf der Suche nach dem verlorenen Glück / Waldkindergarten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106777

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