Die Frage nach dem idealen Staat bei Platon und Luther


Trabajo Escrito, 2000

17 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhalt

A: Einleitung

B: Platon
1.0 Auf der Suche nach einer neuen Verfassungsordnung
1.1 Ausgangspunkt
1.2 Das Wesen der Gerechtigkeit
2.0 Das Allheilmittel: Die Philosophenherrschaft
2.1 Theoretische Grundlagen
2.1.1 Ideenlehre
2.1.2 Anamnesislehre
2.1.3 Der Philosoph als idealer Herrscher
2.2 Illustration an Hand des Höhlengleichnisses
2.3 Die Erziehung als Lösungsweg
3.0 Zusammenfassung

C: Luther
1.0 Das biblische Menschenbild
2.0 Der Staat
2.1 Zwei-Reiche-Lehre
2.2 Das Verhalten des Christen gegenüber dem Staat
2.3 Grenzen des Staates
2.4 Der christliche Fürst

D: Vergleich
1.0 Annäherungen
1.1 Motive
1.2 Legitimation des Staates
1.3 Gesetze
2.0 Differenzen
2.1 Gedankenwelt
2.2 Gerechtigkeit
2.3 Lösungsansatz

E: Persönliche Stellungnahme

Als ich mein Herz darauf richtete, Weisheit zu erkennen und das Treiben zu besehen, das auf Erden geschieht da sah ich am Ganzen des Werkes Gottes, dass der Mensch das Werk nicht ergründen kann, das unter der Sonne geschieht. Wie sehr der Mensch sich auch abmüht, es zu er- forschen, so ergründet er es nicht. Und selbst wenn der Weise behauptet, es zu erkennen, er kann es doch nicht ergründen. (1) (Salomon)

(1) Die Bibel. Buch Prediger (Kohelet) 8,16f

A: Einleitung

Die Idee oder vielmehr der Wunsch nach dem idealen Staat in dessen Grenzen Frieden und Gerechtigkeit herrschen, hat die Menschen schon immer bewegt und herausgefordert. Große Philosophen und Staatsdenker (weniger die Staatslenker) haben sich bemüht jeweils ihren idealen Staat zu konzipieren. Einer von ihnen war ganz sicher Platon, dessen Entwurf eines gerechten Staates bis heute heftig disku- tiert wird. Bei der Beschäftigung mit Platon wurde ich als (protestantischer) Christ, der an der Bibel in ihrer Gesamtheit als Gottes inspirierte und damit autorisierte Wort festhält, im positiven Sinne "provoziert", indem ich mich fragte: Welche Antworten kann ich als Christ bei der Frage nach dem gerechten Staat geben ? Auf der Suche nach Antworten bin ich bei dem von mir sehr geschätzten Reformator Luther fündig geworden. Seine berühmte Schrift "Von weltlicher Obrigkeit - Wie weit man ihr Ge- horsam schuldig ist", ist zwar im Vergleich zur "Politeia" Platons wesentlich weniger umfangreich, aber dennoch ausreichend, eine christliche Alternative anzubieten.

So ist die vorliegende Seminararbeit ein Versuch. Sie versucht zwei große Denker der Menschheit bei der Suche nach dem idealen Staat gegenüber zu stellen.

Auf Grund der nahezu unendlichen scheinenden Materialfülle können beide Staats- konzepte nur sehr grob erfasst und umschrieben werden. Dies geschieht in den ers- ten beiden Hauptteilen (B/C). Anschließend werden beide Konzepte miteinander verglichen. (D) Dabei werden sowohl die Punkte herausgearbeitet, bei denen eine Annäherung greifbar scheint, als auch die Punkte, bei denen die Unterschiede handgreiflich sind.

Eine persönliche Kritik bildet den Abschluss dieser Arbeit (E).

B: Platon

1.0 Auf der Suche nach einer neuen Verfassungsordnung

1.1 Ausgangspunkt

Platon erlebte während des Peloponnesischen Krieges die Niederlage Athens, die mit einem Verfall der Verfassung und der Institutionen einherging. Die Herrschaft der Dreißig mit ihren politischen Untaten schreckten ihn genauso ab, wie die Regierung der Oligarchen, die seinen von ihm hochgeachteten Lehrer Sokrates, den er als "meinen liebenälteren Freund" und als "den gerechtesten seiner Zeit" bezeichnete (7.Brief Platons, zitiert in Kersting, S.3) hinrichten ließen. Der Staat und nicht nur er, sondern das Gemeinwesen insgesamt, die Kultur und Moral lagen darnieder. Die Ty- rannen hatten die Herrschaft übernommen und machten ihrem Namen alle Ehre. Platon schreckte dies ab. Ihm wurde bei der Betrachtung der Krise "ganz schwinde- lig zumute" und er kam zu der Überzeugung, dass "alle bestehenden Verfassungs- ordnungen samt und sonders politisch verwahrlost sind." (7.Brief Platons, zitiert in Kerstung, S.1).

Mit dieser düsteren Ausgangssituation sah sich Platon konfrontiert. Davon ausgehend machte er sich auf den Weg, eine neue Verfassungsordnung zu erdenken, in der die Gerechtigkeit wieder einen zentralen Stellenwert im Staat einnimmt.

1.2 Das Wesen der Gerechtigkeit

Damit eine Staatsordnung überhaupt gerecht sein kann, muss das Wesen der Ge- rechtigkeit zuvor geklärt werden. Was ist überhaupt Gerechtigkeit ? Diese Frage wird im ersten Buch der Politea ausführlich im dialogischer Form behandelt. Sokrates un- terhält sich mit drei verschieden Gesprächspartnern über die Gerechtigkeit. Eine ab- schließende Definition wird hier noch nicht gefunden, aber die Diskussionsteilneh- mer kommen am Ende zu der Erkenntnis: "Der Gerechte ist also glücklich und der Ungerechte unglücklich." und: "Unglücklichsein bringt aber keinen Lohn, Glücklich- sein dagegen wohl." (Politeia 354a). Die Gerechtigkeit ist also als etwas Erstrebens- wertes, da sie der menschlichen Seele angemessen ist. (Blum, S.13)

Im zweiten Buch wird zu Beginn der Idealstaat erötert, um mit dessen Hilfe die Ge- rechtigkeit besser zu erforschen. Auch hier gelingt noch keine Definiton der Gerech- tigkeit, sondern es wird zunächst das Wesen der Un gerechtigkeit beschrieben.

In einer Gegenüberstellung des Ungerechtesten mit dem Gerechtesten kommt man zu dem Schluss: " der höchste Grad der Ungerechtigkeit besteht darin , dass man als gerecht erscheint, ohne es zu sein. Dem vollendet Ungerechten müssen wir also ... zulassen, dass er bei den gr ößten Ungerechtigkeiten, die er begeht, sich den Ruf der gr ößten Gerechtigkeit erwirbt " (Politeia 361a).

Erst im vierten Buch kann das Wesen der Gerechtigkeit definiert werden: " Das mein Freund, sagte ich, wird die Gerechtigkeit sein: das man das Seine tut." (Poli- teia 432e) Damit meint Sokrates, dass jeder in dem Stand bleiben sollte, zu dem er von Natur aus bestimmt ist. Wenn zwei Handwerker wie Schuster und Zimmermann ihre Berufe tauschen würden, so wäre dies für die Stadt kein Schaden. Sollte aber ein Handwerker aus irgendeinem Grund danach streben in den nächst höheren Stand der Krieger aufzusteigen, so würde dieser Tausch "das Verderben der Stadt bedeuten." (Politeia 434a-c)

Der Staat muss ein guter Staat sein, wenn er ein gerechter Staat sein will. Und er ist nur dann ein guter Staat, wenn er Eins ist, also eine Einheit bildet. Jede Veränderung im Staat bedeutet Unordnung und damit Zerfall. Nur dann ist der Staat gut, wenn er unveränderlich besteht.

Analog gilt das für die Gerechtigkeit im Menschen. Ein Mensch ist dann gerecht, wenn seine Seele eine Einheit bildet, in der jeder Teil seine Aufgabe erfüllt. Besteht ein Zwiespalt, so ist der Mensch ungerecht.

2.0 Das Allheilmittel: Die Philosophenherrschaft

Die Bestimmung des Wesens der Gerechtigkeit reicht noch nicht aus, um den idea- len Staat zu verwirklichen. Es muss eine weitere Frage geklärt werden. Wer soll die Stadt gerecht regieren ? Wer ist dazu in der Lage ? Die Regierenden müssen die Besterzogenen sein, wenn der Staat in guter Verfassung bleiben soll. (Pol. 412a) Letztendlich müssen die Philosophen zu Herrschern werden oder umgekehrt (Schu- bert,S.86). Platon selbst war wohl zutiefst von dieser Idee überzeugt. So schreibt er in dem schon zitierten siebten Brief: "Es wird also die Menschheit, so erkläre ich, nicht von ihrem Elend erlöst werden, bis entweder die Gemeinschaft der wahren und echten Philosophen zur Herrschaft im Gemeinwesen gelangt oder bis die Machtha- ber im Staate durch göttliche Fügung wahrhaft zu philosophieren sich entschlie ßen." (zitiert in Kersting, S.1)

Um diese für den modernen Menschen doch etwas erstaunliche Position Platons besser zu verstehen, ist es notwendig einen kleinen Abstecher in die Ideenlehre Pla- tons zu machen, da sie die Grundlage für den Machtanspruch des Philosophens bil- det.

2.1 Theoretische Grundlagen

2.1.1 Ideenlehre

Platon war überzeugt, das es eine schlimme Verkürzung wäre, nur die Dinge als wirklich anzusehen, die wir hier auf Erden mit unseren Sinnen wahrhaben können. So gibt es zwar auf der Erde schöne Dinge zu betrachten, doch diese unterscheiden sich von der Schönheit an sich.

Woher wissen wir überhaupt, dass es schöne Dinge (a) gibt ? Wir können es nur wissen, weil es die Idee der Schönheit (A) gibt, die man mit den Sinnen nicht wahrnehmen kann und die nicht in Zeit und Raum existieren. Das Schöne (A) ist die Idee, das Allgemeine in vollkommener Weise. So ist die Schönheit (A) das Original und muss als Schönheit an sich von den schönen Dingen (a) unterschieden werden, die nur ein Abbild des Originals sind. Die schönen Dinge (a) sind dabei immer nur verzerrte und abgeschattete Wiedergabe der Wirklichkeit.

Nach dem Muster der Urbilder ist die stoffliche Welt geformt, versehen mit beträchtlichen Defekten. So besteht die stoffliche Welt voller Schein und Täuschung. Die Wahrheit liegt jenseits des sinnlich Fassbaren. (Kersting, S.188.192-194)

2.1.2 Anamnesis-Lehre

Die grundsätzliche Möglichkeit schöne Dinge als schön zu erkennen, setzt die Idee der Schönheit voraus. Diese Erkenntnis, dass es eine Schönheitsidee gibt, wird durch die schönen Dingen ausgelöst. Dieses "Auslösen" der Erkenntnis ist nur mög- lich, weil der Mensch sich an die Idee wiedererinnert. Die Erkenntnis der Idee aus dem Wahrgenommenen, setzt ein Stadium der Präexistenz der unsterblichen Seele voraus. In dieser Präexistenz schaute die Seele die Idee und erinnert sich an diese, sobald sie die Dinge hier auf Erden wahrnimmt. (Kersting, S.194)

2.1.3 Der Philosoph als Herrscher

Was macht den Philosophen zum Philosophen ? Wodurch unterscheidet er sich vom Nicht-Philosophen ? GemäßPlatons Überzeugung ist nur der Philosoph zu einer I- deenschau fähig. Er interessiert sich nicht für die schönen Dinge (a), also das mit den Sinnen Fassbare, sondern er strebt danach das Wesen des Schönen selbst zu schauen und sich daran zu freuen. Die anderen Menschen sind dazu nicht in der Lage. Sie werden immer nur als Schaulustige für schöne Stimmen, Farben, Gestal- ten, (Autos) schwärmen, aber nie mit dem Geist das Schöne an sich erfassen.

Dementsprechend sind auch nur die Philosophen in der Lage, mit aller Schärfe und Deutlichkeit die wichtigen Dinge wie Gerechtigkeit und Tugenden in ihrem Idealzu- stand wahrhaftig zu erkennen. Deshalb muss der Philosoph auf Grund seiner Er- kenntnis herrschen. Er muss Politiker werden, denn nur er kennt das Ideal, die Idee, das Urbild am Besten und nur er kann deshalb alle Ungerechtigkeit und alles Üble abwenden und einen Wandel zum Guten herbeiführen, denn nur in der Idee, dem Original ist gesichertes Wissen möglich. Im Bereich der Sinne gibt es nur ungesi- cherte Meinungen. (Kersting, S.192.229, Blum S.21) So braucht der Philosoph als Herrscher auch keine Gesetze, denn weil er das Ideal kennt, sind Gesetze unnötig. Er kann ohne Gesetze regieren und entscheiden (Blum, S.17).

Kurz gesagt: Ein guter Staat ist der Staat, in dem das Gute verwirklicht wird. Dazu kommt es nur, wenn der Philosoph herrscht. Und darum muss der Philosoph an die Macht.

Am Höhlengleichnis wird dies deutlich.

2.2 Illustration an Hand des Höhlengleichnisses

In der Höhle befinden sich gefesselte, unbewegliche Menschen. Hinter dem Rücken der Menschen gibt es ein Feuer und eine Brücke auf der Menschen gehen und aller- lei Gegenstände tragen Die gefesselten Menschen sehen nur Schatten der Wirklich- keit an der Wand. Einer der Menschen wird von den Fesseln gelöst (= der Philo- soph)

Er begibt sich außerhalb der Höhle und erblickt sich im Spiegelbild. Später sieht er die Sonne als Grund für das Spiegelbild, für das Sein an sich und für das Gute (= die Idee des Guten). Nach dieser Erkenntnis begibt er sich in die Höhle zurück mit dem Ziel die Wirklichkeit zu verkünden, die Menschen von den Schattenbildern zu befreien und sie in die wahre, echte Realität zu bringen. Leider ist er durch den Hel- ligkeitsschock so geblendet, dass er bei der Rückkehr in die Höhle zunächst nichts sehen kann und somit zum Gespött seiner Leidensgenossen wird, die sogar drohen ihn zu töten, falls er versuchen sollte, jemanden zu befreien und ans Licht zu führen. (Blum, S.19)

Dieses Gleichnis illustriert sehr anschaulich die Gedankenwelt Platons. Die Men- schen liegen gefesselt in ihren Elend in einer dunklen Höhle und sehen nur Schattenwelten, die sie für die Realität halten, erkennen aber nie das wahre Vollkommene. Nur einem gelingt der Ausbruch, dem Philosophen. Er geht den Weg der Erkenntnis, der "schmerzvoll, mühselig, eine einzige Plage" ist (Kersting, S.226). Hat er die Erkenntnis dann erlangt, so muss er die Erfahrung machen, dass die Menschen in der Höhle nicht darauf gewartet haben "gesagt zu bekommen, dass (ihr) bisheriges Leben falsch gelebt war." (Kersting, S.226) Der Philosoph erlebt Spott und Ablehnung, ja Feindschaft. Trotdem muss der Philosoph herrschen, denn nur er war außerhalb der Höhle und hat die Sonne, die Idee des Guten gesehen.

2.3 Die Erziehung als Lösungsweg

Ein weiterer zentraler Aspekt wird an diesem Gleichnis sichtbar. Der Philosoph er- langt nicht automatisch, von alleine, die nötige Erkenntnis, sondern "er soll befreit werden, um dann seinerseits aus Einsicht den Staat zu gründen. Zu diesem Zweck soll er erzogen werden." (Suhr, S.156) So spielt die Erziehung des Philosophen im platonischen Staat eine entscheidende Rolle. Ist die Herrschaft des Philosophen das Arzneimittel für den Staat, so ist die Erziehung des Philosophens der Weg zur Apo- theke. Dabei sollen nur die "trefflichsten Naturen" genötigt werden, das Erzie- hungsprogramm zu durchlaufen mit dem Ziel "das Gute zu sehen und die Reise aufwärts dahin anzutreten" (Pol 519c). Nachdem sie das Gute dann geschaut haben, müssen sie die Rückreise antreten zu den noch Gefangenen und ihnen die Erkennt- nisse ihrer Reise mitteilen. (Pol 519c)

3.0 Zusammenfassung

Platons Staatsidee, wie sie oben kurz skizziert wurde, enthält zusammenfassend beschrieben folgende essentielle Punkte:

- Der Mensch muss seine natürlichen Grenzen beachten und einhalten. Jede Grenzverletzung bedeutet den Niedergang des Staates, da er dann ungerecht wird. So soll jeder in dem Stand bleiben, in dem er sich von Natur aus befindet. Dies gilt insbesondere für den dritten Stand.
- Gerechtigkeit heißt, dass jeder das Seinige tut. Gerecht ist das, was für den Staat gut ist, denn was für den Staat gut ist, ist auch für den Einzelnen gut.
- Der Wert des Einzelnen besteht darin, dass er als Glied des Gefüges seinen Platz einnimmt.
- Demokratie, Abstimmungen oder gar revolutionäre Umtriebe gibt es im Staat nicht. Das alles ist unnötig, weil der Philosoph in der Lage ist, alle Dinge allein zum Guten zu entscheiden. So wird das Staatsgefüge einzementiert. Veränderung bedeutet Verfall.
- Das Allheilmittel für den Staat ist die Herrschaft des Philosophens. Dieser wird durch strenge Auswahl und Erziehung zum Philosophen.

Bleibt noch zu sagen, dass Platon selbst sich wahrscheinlich als die Inkarnation des wahren Philosophenherrschers sah.

C: Luther

1.0 Das biblische Menschenbild

Martin Luther war in der Bibel zu Hause. Die Bibel war für ihn das inspirierte Wort Gottes. Damit war sie oberste Autorität und letzte Instanz in allen Glaubens- und Le- bensfragen. Nicht umsonst lautet eine der Säulen der Reformation: "sola scriptura - allein die Schrift". Um Luther und seine Lehre über den Staat besser zu verstehen, ist es daher nötig sich mit der Bibel auseinander zu setzen, v.a. mit dem biblischen Menschenbild.

Das biblische Menschenbild beinhaltet zwei Seiten. Auf der einen Seite ist der Mensch, als Ebenbild Gottes geschaffen, geadelt und hat somit eine unvergleichbar hohe Würde. Diese Ebenbildlichkeit Gottes umfasst den Menschen in seiner Gesamtheit "als lebendige, vernunftbegabte, entscheidungsfähige und moralisch denkende Person." (Ryrie, S.225) Auf der anderen Seite beschreibt die Bibel den Menschen als ein gefallenes Geschöpf. Durch den Sündenfall verlor der Mensch seine einzigartige Gemeinschaft mit Gott. Die Folgen dieses Falles sind vielfältig. Eine der gravierensten Folgen ist die Boshaftigkeit des Menschen.

So berichtet schon das erste Buch der Bibel: "Und der Herr sah, dass die Bosheit des Menschen auf der Erde gro ßwar und alles sinnen der Gedanken seines Herzen nur Böse den ganzen Tag." (1.Mose 6,5) Auch das NT folgt klar dieser Linie. So sagt Christus selbst: " Was nennst du mich gut ? Niemand ist gut, als nur einer, Gott." (Lukas 18,19) Der Apostel Paulus bringt das böse Herz des Menschen auf den Punkt, wenn er schreibt: " Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alles sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer." (Römer- brief 3,9-12)

Diese beiden Seiten des biblischen Menschenbildes muss man im Auge haben, um Luther Recht zu verstehen.

2.0 Der Staat

2.1 Zwei-Reiche-Lehre

Luther unterscheidet zwei Gruppen von Menschen. Die einen gehören zum Reich Gottes, die anderen gehören zum Reich der Welt. Die Menschen, die zum Reich Gottes gehören bezeichnet Luther als "wahrhaft Glaubende in Christus". (Luther, S.18) Als Christen sind sie durch den Opfertod Jesu am Kreuz von ihrer Schuld und Sünde gerettet. Sie bekommen durch Christus eine neue Natur und können dadurch die Boshaftigkeit ihres Herzens überwinden. Deshalb braucht man für sie keine Re- gierung: " wenn alle Welt aus rechten Christen bestünde, so wäre kein Fürst, König oder Herrr nötig oder von Nutzen." (Luther, S.19) Hierbei geht Luther von der These aus, dass das Herz der Christen verändert ist. Diese Veränderung kommt durch einen neuen Lebensstil zum Ausdruck.Nicht mehr die Ungerechtigkeit wird ge- tan, sondern die Gerechtigkeit. So kann man damit rechnen, dass Christen von selbst viel mehr tun "als alles Recht und Lehre fordern können." (Luther, S.19) Deshalb brauchen die Christen keinen Staat und keine Gesetze.

Zum Reich der Welt gehören nun alle Menschen, "die Nicht-Christen sind." (Luther, S.20) Sie sind im Gegensatz zu den Christen die Ungerechten die eben nicht tun, was Recht ist. Da sie nicht das Rechte tun, brauchen sie das Recht, das Gesetz und den Staat. Diese sind somit "dem Schwert unterworfen", damit sie "nicht tun kön- nen,.was ihrer bösen Art entspricht." (Luther S.20) Der Staat ist also unabdingbar notwendig, um dem Bösen zu wehren und den Rechtschaffenen zu schützen. (Lu- ther, S.17)

Der Idealzustand wäre also ein Staat, in dem lauter Christen leben würden. Dann würde es kein Unrecht mehr geben. Das ist natürlich eine sehr idealistische und uto- pistische Vorstellung. Und auch Luther erkannte dies sehr genau. Ihm war völlig klar, dass die Welt niemals nur aus Christen bestehen wird: "denn die Welt und die Masse bleibt unchristlich, auch wenn sie alle getauft sind und Christen hei ßen." (Luther, S.21) So werden "die Bösen... immer in der Überzahl gegenüber den Rechtschaffe- nen" sein. (Luther, S.22) Genau aus diesem Grund wird es immer einen Staat ge- ben. Seine Aufgabe besteht darin äußerlich Frieden zu schaffen und die bösen Wer- ke abzuwehren.

2.2 Das Verhalten des Christen gegenüber dem Staat

Wie soll sich nun der Christ, der eigentlich keinen Staat braucht, dem Staate gegen- über verhalten ? Luther hat hier eine klare Antwort. Da die staatliche Autorität von Gott gegeben ist, muss der Christ der staatlichen Autorität Gehorsam leisten. (Lu- ther, S.24) Der Christ soll der Obrigkeit dienen, nicht weil er sie für sich selber braucht, sondern weil die Obrigkeit für die anderen (die Ungerechten) nützlich ist. In- dem der Christ der Obrigkeit dient, dient er gleichzeitig seinem Nächsten, weil der Staat dafür sorgt, dass der Nächste in Frieden leben kann. So ist die Nächstenliebe ein Motiv für den Christen dem Staate Gehorsam zu leisten. Der von Luther gefor- derte Gehorsam ist allerdings kein Kadavergehorsam. Luther setzt dem Gehorsam der Regierung gegenüber Grenzen: "Ist dann, wenn ein Fürst unrecht hätte, sein Volk auch verpflichtet, ihm zu folgen ? Antwort: Nein. Denn es gebührt sich für niemand, etwas gegen das Recht zu tun, sondern man muss Gott, der das Recht haben will, mehr gehorchen als den Menschen (Apostelgeschichte. 5,29)." (Luther, S.56) Der Gehorsam gegenüber Gott steht weit höher als der Gehorsam gegenüber einem Menschen.

2.3 Grenzen des Staates

GemäßLuther hat die staatliche Gewalt ihre Grenzen. Aus den Worten Je- su: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen " (Matthäus 10,28) folgert Luther: "Ich wenigstens meine hier sei die Seele klar genug allen Menschen aus der Hand genommen und allein unter Gottes Gewalt gestellt." (Luther, S.37) Der Staat hat also keine Macht über die Seele. Zwar kann der Staat ein bloßes Lippenbekenntnis von seinen Untertanen einfordern, aber "das Herz vermögen sie auf keinen Fall zu zwingen, und sollten sie sich darüber zerrei ßen." (Luther, S.39)

Analog zur Seele verhält es sich mit dem Glauben. Auch der Glaube ist ein freies Werk "zu dem man niemand zwingen kann." (Luther, S.39) Der Staat erlebt erneut seine Grenzen. Anstatt den Glauben zu meistern, soll er lieber die bösen Werke meistern, denn die Seele und der Glaube unterliegen nicht "der Gewalt des Kaisers." (Luther, S.41) Eine logische Konsequenz dieser These lautet, dass die Staatsmacht den Glauben weder fördern noch bekämpfen darf. So ist es nicht Aufgabe des Staates die Irrlehre und Ketzerei zu bekämpfen. Dies geschieht allein durch das Wort Gottes. Staatlich Maßnahmen helfen diesbezüglich nicht. (Luther, S.44/45) So wird der Staatsapparat noch einmal eingeschränkt.

2.4 Der christliche Fürst

Luther hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, wie ein Christ den Staat re- gieren soll. Dabei stellt er zunächst einmal fest, dass "ein kluger Fürst ein gar selte- ner Vogel ist, ein noch viel seltenerer ein rechtschaffener Fürst. Sie sind im allge- meinen die gr ößten Narren oder die schlimmsten Bösewichter " und weiter dass, wenn der Fürst ein Christ ist, dies "eines der gro ßen Wunder und das allerteuereste Zeichen göttlicher Gnadeüber das betreffende Land" ist (LU, S.43/44).

Dem christlichen Fürsten malt Luther das Vorbild Christi vor Augen. Er soll dienen statt herrschen, die Untertanen nicht als Eigentum betrachten, sondern sich überle- gen, wie er den Menschen nützlich sein kann. (LU, S.51) Weiterhin soll der christli- che Fürst sich in die Abhängigkeit von Gott begeben und ihm um Weisheit bitten für seine Regentschaft. Den " Übeltätern" soll er mit "ma ßhaltendem Ernst" und nötiger Strenge begegnen. Auf seine Vertrauten und Ratgebern darf er sich nicht blindlings verlassen, sondern er muss jene mit Verstand und Vernunft überwachen. (LU,S.54/57f)

D: Vergleich

1.0 Annäherungen

So unterschiedlich die Ausgangslage, das historische Umfeld und die Gedankensysteme zwischen Platon und Luther auch sind, so kann man doch einige Annäherungs tendenzen erkennen.

1.1 Motive

Zunächst einmal sind die Motive ähnlich. Platon sah das dekadente Gemeinwesen seiner Zeit und wollte den gerechten Staat erdenken und gründen, um Abhilfe zu schaffen. Auch Luther sah das unrechte Handeln der Regierenden seiner Zeit, kritisierte sie deswegen massiv und bot sowohl für das einfache Volk als auch für die Fürsten biblisch begründete Handlungsalternativen an. Christus war dabei für ihn das Vorbild - dienen statt herrschen.

1.2 Legitimation des Staates

Für beide Denker stand die Frage nach der Legitimation des Staates nie zur Debatte. Beide gingen davon aus, dass der Mensch in Gemeinschaft leben muss und dass eine Gemeinschaftsordung (= der Staat) nötig ist.

1.3 Gesetze

Platon und Luther beschreiben unterschiedliche "Idealzustände", die aber interes- santerweise ein gemeinsames Merkmal haben: Regieren ohne Gesetze. Bei Platon regiert der Philosoph ohne Gesetz allein auf Grund seiner Erkenntnis. Bei Luther brauchen die Christen kein Gesetz, weil sie unter der Herrschaft Christi stehen und deswegen lieber Unrecht leiden als Unrecht verüben.

2.0 Differenzen

2.1 Gedankenwelt

Die Ausgangsbasis der Gedankenwelt Platons und Luthers unterscheidet sich we- sentlich voneinander. Für Platon steht das Wahre und Vollkommene im Vordergrund zu dem sich der Philosoph aufschwingen muss. Luther dagegen findet in der Bibel einen persönlichen Gott, der den Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat. Von diesem Gott ausgehend, ist die Staatsautorität begründbar, solange sie sich an Gottes Recht und Ordnung hält. Die letzte Autorität also ist nicht der Mensch, sondern Gott, dem der Mensch (ob Fürst oder Untertan) allein Gehorsam schuldig ist. Platon erhebt dagegen den Menschen zur letzten Autorität, indem er den Philosophen die alleinige Herrschaft und Vollmacht zubilligt.

2.2 Gerechtigkeit

Hier findet sich ein deutlicher Unterschied. Platon fordert die Einheit der Seele und damit des Staates. Erst dann ist die Gerechtigkeit erreicht. Luther dagegen entzieht dem Staat die Macht über die Seele. Gerecht handelt der Mensch, wenn er Christus zum Vorbild hat, Liebe übt, Unrecht leidet, auf eigene Ansprüche verzichtet und dem Nächsten dient anstatt sich selbst.

2.3 Lösungsansatz

Beide Denker sehen die Ungerechtigkeit des Menschen und suchen nach einem Lö- sungsansatz. Platon sieht die Lösung in der Erziehung zum Philosophen. Der Staat braucht eine Elite. Luther sieht auf Grundlage des biblischen Menschenbilds sowohl den Adel des Menschen als auch die Boshaftigkeit und Ungerechtigkeit des Men- schen stärker als Platon und erwartet nicht vom Menschen die Erlösung aus dem Elend. Seine Lösung ist das Reich Gottes, in dem alle Menschen Christen sind, die ohne einen Staat auskommen. Allerdings weißLuther sehr wohl, das die Welt immer unchristlich sein wird und diese Vorstellung deshalb utopisch ist. Bleibt für ihn die eschatologische Lösung. Christus wird als König wiederkommen und dann wird das Reich Gottes diesen Namen zu Recht tragen. Die Lösung für das Elend des Menschen ist demnach transzendent. Sie liegt außerhalb der menschlichen Möglichkeiten. Platon sucht die Lösung dagegen im Menschen.

E: Persönliche Stellungnahme

Die Beschäftigung mit der Platon und Luther war für mich sehr anregend und ein persönlicher Gewinn. Als Christ stehe ich Martin Luther natürlicherweise wesentlicher näher als Platon. Luthers Gedanken konnten mich begeistern, da sie fest verwurzelt sind in der Heiligen Schrift. Hinzu kommt die treffende und pointentierte Ausdrucks- weise Luthers, die die richtige Würze hineinbringt. Ich halte seine Ausführungen für ausgewogen, realistisch und überzeugend.

Platons Lehre dagegen löst bei mir Unbehagen aus. Sein Bestreben einen durch strenge Erziehung gewonnenen -nahezu gottgleichen- Menschen an die Spitze des Staates zu setzen ist beängstigend. Lehrt doch die Geschichte, dass alle Versuche einem Menschen oder einer kleinen Gruppe von Menschen die ganze Macht über ein Gemeinwesen zu übertragen, meistens in einem Desaster geendet sind. Bedenkt man dann noch den hohen Stellenwert den Platon der Erziehung der Elite beimisst, so liegt der Gedanke an die Eugenik des 3.Reiches nahe.Der evangelische Pfarrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer sagte einmal: "Ein Führer ohne Führer ist ein Verführer." Ein gottähnlicher Führer, wie Platon ihn sich wünscht, der nie- mand außer sich selbst verantwortlich ist, ist eine gefährliche Person. Insofern kann ich Popper in seiner harschen Kritik an Platon nur beipflichten, der ihn charakterisier- te als "ersten gro ßen politischen Ideologen, der in Klassen und Rassen dachte und Konzentrationslager vorschlug." (Popper, Einleitung S.IX).

Spätestens nach Hitler und Stalin dürfte deutlich sein, dass, um in der Sprache Luthers zu reden, der Fürst, der sich an die Stelle Gottes auf den Thron setzt, im besten Fall ein Narr, im schlimmsten Fall ein Teufel ist.

Literatur

Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit: Blum, Wilhelm u.a.: Politische Philosophen. 3.Auflage München 1997

Bibel: Zitate nach der Revidierten Elberfelder Übersetzung. Wuppertal: Brockhausverlag

Kersting, Wolfgang: Platons "Staat". 1.Aufl. Darmstadt: Wiss.Buchges 1999

Metzger, Wolfgang: Luther, Martin: Von weltlicher Obrigkeit. Bd.4 der Calwer Lutherausgabe. Neuhausen-Stuttgart.: hänssler 1996

Meyers Grosses Taschenlexikon in 24 Bänden. 4.Auflage Mannheim 1992

platon: Der Staat. 2.Aufl. München: DTV 1991

Popper,Karl: Die offene Gesellschaft. Bd.1:Der Zauber Platons. 7.Aufl Tübingen: UTB 1992

Ryrie, Charles: Die Bibel verstehen. Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft 1996

Schubert, Andreas: Platon:"Der Staat":ein einführender Kommentar. Pader-born:Schöningh 1995

Suhr, Martin: Platon: Einführungen. Frankfurt/Main: Campus Verlag 1992

Winzer, Fritz (Hrgs.): Kulturgeschichte Europas. Köln o.J

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Detalles

Título
Die Frage nach dem idealen Staat bei Platon und Luther
Universidad
LMU Munich
Curso
Grundkrus Politische Theorie
Calificación
2
Autor
Año
2000
Páginas
17
No. de catálogo
V106910
ISBN (Ebook)
9783640051854
Tamaño de fichero
445 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Frage, Staat, Platon, Luther, Grundkrus, Politische, Theorie
Citar trabajo
Kai Braun (Autor), 2000, Die Frage nach dem idealen Staat bei Platon und Luther, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106910

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