Die Verteilung der Verfügungsrechte in den russischen Printmedien im Verlauf des Privatisierungsprozesses und die weitere Entwicklung


Trabajo Escrito, 2000

15 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1.) Einleitung

2.) Status quo vor der Perestroika

3.) Ideologische Privatisierung

4.) Erste vermögensrechtliche Privatisierung

5.) Zweite vermögensrechtliche Privatisierung

6.) Ausblick

Anhang: Literaturverzeichnis

1.) Einleitung

Mit dem am 1. August 1990 in Kraft getretenen Gesetz "Über die Presse und andere Mittel der Masseninformation"1 wird in der Sowjetunion die Privatisierung des Medienbereiches eingeleitet. In dieser Arbeit soll die im Zuge der Privatisierung erfolgte Verteilung der Verfügungsrechte im Bereich der Printmedien untersucht sowie deren weitere Entwicklung skizziert werden. Dabei steht das "Recht am geschriebenen Wort" als das wesentliche Verfügungsrecht im Mittelpunkt.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Principal-Agent-Modell: Komplexe Organisationen (Staat, Wirtschaft) bedürfen der Arbeitsteilung sowie einer Hierarchie von Autorität. Daher gehen zwei Parteien oder mehr ein Principal- Agent-Verhältnis ein, in dem der Principal (Vorgesetzte) über die Verfügungsrechte an dem Besitz greifbarer und ungreifbarer Güter (z.B. Macht, Eigentum) sowie die Autorität besitzt und das Risiko trägt. Der Agent (Untergebene) handelt im Namen des Principal; dabei verfügt er diesem gegenüber über einen Informationsvorsprung hinsichtlich der geleisteten Arbeit sowie der erzielten Ergebnisse. Diese Informationsasymmetrie kann dazu führen, daß der Agent ohne Wissen des Principal Arbeitsleistung (Arbeit wird z.B. durch Freizeit ersetzt) bzw. Informationen über die Nutzung von Vermögenswerten zurückhält (z.B. persönliche Bereicherung). Auf dem sowjetischen Wirtschaftssektor begann dieser Prozeß bereits in den 60er Jahren und führte dazu, daß die Verfügungsrechte an den Staatsunternehmen bei Zusammenbruch der Sowjetunion bereits an die Agents übergegangen waren. Diese wußten ihren Besitz auch durch den Privatisierungsprozeß hindurch zu wahren: Die neuen Besitzer waren die alten. Von Interesse wird es im Kontext dieser Hausarbeit sein, vorhandene Analogien zum Privatisierungsprozess des Wirtschaftssektors herauszufinden.

Als Ausgangsbasis wird in Kapitel zwei der Frage nachgegangen, wie sich die Beziehung zwischen dem Principal - Staat/Partei - und den Agents - Journalisten im Printbereich - vor der Perestroika gestaltete. Zur Versinnbildlichung der Beziehung wird - was für die gesamte Arbeit gilt - der Frage nach der Pressefreiheit bzw. der Unabhängigkeit der Presse nachgegangen.

In Anlehnung an Hübner2 erfolgt eine organisatorische Einteilung der drei sich anschließenden Kapitel in "Ideologische Privatisierung", "Erste vermögensrechtliche Privatisierung" und "Zweite vermögensrechtliche Privatierung". Im Mittelpunkt eines jeden Kapitels steht dabei die Auseinandersetzung der involvierten Protagonisten - Staat/Partei, Journalisten, später auch: Banken und Großunternehmen - um das Recht am geschriebenen Wort. Kapitel drei "Ideologische Privatisierung" umfaßt den Zeitraum von Glasnost und Perestroika, d.h. 1985/86 -1990. Kapitel vier "Erste vermögensrechtliche Privatisierung" setzt ein mit dem Inkrafttreten des oben genannten sowjetischen Pressegesetzes und deckt den Zeitraum 1990 bis 1992 ab. In Kapitel fünf "Zweite vermögensrechtliche Privatisierung" erweitert sich der Kreis der Protagonisten um Großfirmen und Banken, die ab 1992 verstärkt in den Mediensektor investieren. In Kapitel sechs gehe ich abschließend auf die Frage ein, ob das Verfügungsrecht am geschriebenen Wort im Printbereich trotz struktureller Zwänge eines bereits vorgeformten Raumes im Sinne der Pfadabhängigkeit den Besitzer wechseln konnten.

2.) Status quo vor der Perestroika

Das Pressewesen der UdSSR gründete auf dem Kommunikationsmodell Lenins, welches der Presse die drei politischen Funktionen der "kollektiven Propaganda, kollektiven Agitation und kollektiven Organisation" zuwies. Daraus ergab sich eine enge Verflechtung von Partei und Presse, wobei letztere ideologische Parteipositionen zu vermitteln und die Massen für die sich daraus ergebenen Zielvorstellungen zu mobilisieren hatte. Daß die Nachrichtenauswahl und - bearbeitung dementsprechend gehandhabt wurde, konnte durch vielfältige Lenkungs- und Kontrollmechanismen gewährleistet werden:

Zu den einflußreichsten Lenkungsmechanismen zählte das Medien- und Informationsmonopol der KPdSU sowie die daraus resultierende Strukturierung der Presselandschaft gemäß des territorial-administrativen Aufbaus der Partei- und Staatsorgane. Dieses kam durch die Bindung einer jeden Zeitung an ein Organ aus Staat und Partei von der Allunionsebene hinunter bis zu den regionalen Institutionen zum Ausdruck. So fungierte beispielsweise die Izvestija als Organ des Obersten Sowjets der UdSSR und die Pravda als Organ des ZK der KPdSU. Daneben spielten die Steuerung der Personal- und Kaderpolitik, das bei der Partei angesiedelte Informationsmonopol über die staatlichen Nachrichtenagenturen sowie der Alleinanspruch von Partei und Staat auf Lizenzierung und Finanzierung der Presse ein wesentliche Rolle. Auch Papierverteilung, Druckhäuser und Organisation der Vertriebswege waren beim Staat monopolisiert.

Mit Hilfe von effektiven und umfassenden Kontrollmechanismen wußten Partei und Staat ihr Informationsmonopol zu wahren: So war u.a. die dem Ministerrat der UdSSR unterstellte zentrale Zensurbehörde "Glavlit"3, die eng mit Parteipropaganda- und Sicherheitsbehörden zusammenarbeitete, für die Vorzensur zuständig. Dies geschah auf der Grundlage einer jährlich überarbeiteten Auflistung sämtlicher Tabuthemen, die den Chefredakteuren zugestellt wurde. Ein Eingriff erfolgte in der Regel nur dann, wenn vorgeschaltete Kontrollebenen versagt hatten. Dazu zählten u.a. die in zweiwöchigem Turnus stattfindenden Instruktionssitzungen, auf denen die Chefredakteure der führenden Allunionszeitungen über die aktuelle Parteipolitik unterrichtet wurden. Ferner gaben die Agitprop-Abteilungen der KPdSU "ihren" Zeitungen konkrete Anweisungen, welche Themen in welcher Form bearbeitet werden sollten.

Im Gegensatz zu dem z.B. im Wirtschaftssektor schon lange vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Privatisierung erfolgten allmählichen Übergang der Verfügungsrechte vom Principal, d.h. dem Staat auf die Agents kann im Printbereich von einer ähnlichen Entwicklung nicht die Rede sein. Partei und Staat hatten das Recht am geschriebenen Wort in ihrer Hand monopolisiert und ließen Übergriffe seitens der Agents, d.h. der Journalisten nicht zu. Es gab nur sehr wenige Ausbruchversuche wie z.B. das Samizdat4: Seit den 60er Jahren wurden z.B. Einzelheiten zu verhafteten und verurteilten Dissidenten im geheimen produziert und verteilt. Allerdings beschränkte sich diese alternative Gegenöffentlichkeit in der Regel auf nur sehr kleine Personenkreise vorzugsweise aus der Intelligenzija. Darüber hinaus waren Verfasser und Verteiler von Samizdat-Publikationen, wenn sie erwischt wurden, drakonischen Strafsanktionen des Staates ausgeliefert.

3.) Ideologische Privatisierung

Auf dem XVII. Parteitag Ende Februar 1986 wurden die unter den Schlagworten "uskorenie" (Beschleunigung) und "perestrojka" (Umbau) auf dem ZK-Plenum im April 1985 von Michail Gorbatschow vorgestellten Reformpläne offiziell bestätigt. Als Instrument zur Umsetzung seiner Reformvorhaben sollte dabei "glasnost'" dienen. Glasnost bedeutete in diesem Zusammenhang nicht Offenheit im Sinne einer pluralistischen Presse- und Meinungsfreiheit, sondern kann am ehesten mit Publizität, Öffentlichkeit bzw. Transparenz übersetzt werden5. In einem weiteren Schritt kündigte Gorbatschow auf dem ZK-Plenum im Januar 1987 die "Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft" an, womit in erster Linie der Ausbau des sozialistischen Meinungspluralismus, d.h. die öffentliche Erörterung parteiinterner Meinungsdivergenzen gemeint war.

Es entstanden staatlich gebilligte Freiräume in der Presseberichterstattung, und erste Ansätze einer Reformpresse bildeten sich heraus. Bald erweiterte sich der Kanon der traditionellen Glasnost-Themen wie z.B. Korruption und Mißwirtschaft um Berichterstattungen zum Thema Drogenmißbrauch und Prostitution. Innerhalb von nur wenigen Jahren wurden zahlreiche weitere Tabus gebrochen. Gute Beispiele hierfür sind die Diskussion von religiösen Fragen und eine in den Zeitungen öffentlich ausgetragene Geschichtsdebatte, die in den Monaten Juni und Juli 1988 einen vorläufigen Höhepunkt in der von der Pravda öffentlich diskutierten Frage fand, ob in der Sowjetunion tatsächlich eine sozialistische Gesellschaft verwirklicht worden sei. Die Vorreiterrolle bei der allmählichen Liberalisierung der Presse kam jedoch im wesentlichen der Reformpresse zu. Die illustrierte Wochenzeitschrift "Ogonek" und die Wochenzeitung "Moskovskie Novosti" z.B. vertraten dabei in der Regel die radikalsten Standpunkte. Der Großteil der etablierten Medien agierte jedoch eher zurückhaltend und hielt vorwiegend an der traditionellen Berichterstattung fest.

In dem Maße, in dem der Reformprozeß voranschritt, kam es zu einem Glasnost-Gefälle in Politik und Medien. Die Reformgegner traten im Laufe der Zeit in offene Opposition zur Politik Gorbatschow's ein und trugen ihre Differenzen mit den Reformbefürwortern via Medien zunehmend in der Öffentlichkeit aus. Der Großteil der Medien wiederum ging recht bald zur aktiven Parteinahme über, was zu einer Polarisierung der Zeitungslandschaft führte. Im Zuge der politischen Eigendynamik von Glasnost interpretierten Radikalreformer und liberale Journalisten gegen Ende der 80er Jahre Glasnost vermehrt als Presse- und Meinungsfreiheit im westlich-pluralistischen Sinne. Die damit einhergehende Schwächung Gorbatschow's, der zunehmend in die Rolle eines Vermittlers zwischen Radikalreformern und Konservativen gedrängt wurde, führten dazu, daß Gorbatschow in die Gewohnheiten seiner Vorgänger zurückfiel und versuchte, die Presse zu seinem Vorteil wieder an die Leine zu legen. So wurde ein Ende 1988 geführtes zweistündiges Interview mit dem entlassenen Chef der KPdSU Moskaus, Boris Jelzin, von der Zensur nicht freigegeben. Des weiteren wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Reformpresse durch Manipulierungen bei der Papierzuteilung, dem Zugang zu Druckkapazitäten und im Vertriebssystem in ihrer Arbeit zu behindern. Eine andere Form der Einflußnahme des Staates bestand in der Repression von Journalisten. Manaev bewertet daher die Situation der russischen Printmedien dahingehend, "daß es zu einer Demokratisierung der Inhalte gekommen sei, von einer Demokratisierung der Strukturen jedoch nicht die Rede sein könne"6. Gegen diese Auffassung spricht allerdings, daß strukturelle Auflösungserscheinungen gegen Ende der 80er Jahre durchaus zu beobachten sind: So existierte die Zensurbehörde Glavlit nach wie vor, trat jedoch seit 1988 kaum noch in Erscheinung, wie u.a. der Herausgeber der Socialistitscheskaja Industria, Alexander Baranov 1989 in einem Interview sagte7. Daß der Begriff der "ideologischen Privatisierung" für den in diesem Kapitel bearbeiteten Zeitraum seine Berechtigung hat, zeigt sich nicht zuletzt durch die im Februar 1990 erfolgte Streichung des in der sowjetischen Verfassung festgeschriebenen Herrschaftsmonopols der KPdSU: Der Verlust des Informationsmonopols und damit einhergehend des Verfügungsrechtes am geschriebenen Wort wurde hiermit verfassungsrechtlich abgesegnet.

4.) Erste vermögensrechtliche Privatisierung

Die erste vermögensrechtliche Privatisierung setzte mit dem am 1. August 1990 in Kraft getretenen sowjetischen Mediengesetz ein. Neben Art. 1 PrG, in dem jegliche Form der Zensur verboten wurde, fiel der mit Art. 7 PrG eingeführten Funktion des Gründers eine bedeutende Rolle zu: Von diesem Zeitpunkt an durften partei- und staatsunabhängige Gruppierungen und Organisationen eigene Medien herausgeben. Vor diesem Datum bereits existierende Printmedien mußten sich offiziell als Gründer registrieren lassen. Als empfindliche Schwachstelle erwies sich bald, daß sich an der Monopolstellung der Partei in den Bereichen Papier- und Druckindustrie, Transport- und Vertriebswesen nichts geändert hatte. Auch die Nachrichtenagenturen verblieben in Staatsbesitz und gingen nach Zusammenbruch der Sowjetunion ebenfalls an den Rechtsnachfolger über. Ab 1991 wurden die Zeitungen nach dem neuen Aktienrecht meist in Aktiengesellschaften geschlossenen Typs umgewandelt. Anteilseigner waren in der Regel nur die Mitarbeiter der Zeitungen.

Innerhalb eines halben Jahres wurden 8.000 Zeitungen und Zeitschriften registriert, wobei es sich bei der Hälfte von ihnen um Neugründungen handelte. Der Lösungsprozeß der etablierten Reformpresse von ihren Herausgebern war in den meisten Fällen konfliktgeladen. Im Falle der Zeitschrift "Ogonek" stellte sich der vom ZK der KPdSU unterstützte Pravda-Verlag der von dem Redaktionskollektiv beantragten Registrierung massiv entgegen, und die Gründerfunktion wurde dem Blatt erst nach monatelangen Streitereien zugesprochen. Da es sich hier um keinen Einzelfall handelt, ging der Lösungsprozeß als "Gründer-Streit" in die Literatur ein. Der Großteil der etablierten Presse verblieb jedoch vorerst bei ihren Herausgebern, da sie u.a. bei der Papierzuteilung seitens des Staatskomitees für das Presse und Verlagswesen (Goskompetschat) Anrecht auf die Zuteilung größerer sowie subventionierter Papiermengen hatten. Erst im Anschluß an den August-Putsch 1991 lösten sich weitere Blätter von ihren Herausgebern und beantragten ihre Registrierung als unabhängige Gründer (u.a. Pravda, Izvestija).

Auch wenn allgemein Konsens darüber besteht, daß die Liberalisierung der Presse 1990 und 1991 ihre Blüte erreichte, so wird die Frage nach dem Grad der in diesem Zeitraum erreichten Pressefreiheit in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Laut Wendler8 sind die liberalen Elemente des sowjetischen Mediengesetzes sowie seiner Fortschreibung in dem russischen Mediengesetz 19929 kein Garant für die Entwicklung demokratisch-pluralistischer Medienstrukturen. Murray10 und von Steinsdorff11 sehen zwar wie Wendler die Schwächen des Mediengesetzes, sind aber der Meinung, daß es trotzdem den Grundstein für eine unabhängige vierte Gewalt gelegt habe. Als Beweis führt Murray die Existenz zahlreicher staats- und parteiunabhängiger Blätter an, die trotz aller Widrigkeiten florierten. Des weiteren haben sich die etablierten Printmedien ihrer staatlichen Bevormundung entledigen können. Murray ist jedoch einer Meinung mit Wendler, daß die Pressefreiheit nicht unbedingt gesichert sei. So reagierte z.B. die Reformpresse (z.B. Izvestija, Argumenty i Fakty) sehr kritisch auf die Ereignisse im Januar 1991 in Litauen, bei denen sowjetische Spezialeinheiten 13 unbewaffnete Menschen erschossen. Dies veranlaßte Gorbatschow zu dem Versuch, das Mediengesetz außer Kraft zu setzen, womit er jedoch an dem Widerstand der liberalen Abgeordneten scheiterte. Auch die Reaktionen Jelzins jeweils auf den August-Putsch 1991 sowie den Sturm auf das Weiße Haus 1993, per Dekret umgehend die oppositionellen (d.h.konservativen) Blätter schließen zu lassen, spricht eine deutliche Sprache. Daß die Dekrete aufgrund der umgehend erfolgten massiven Proteste der Medien in beiden Fällen nach kurzer Zeit wieder aufgehoben wurden, spricht für die Behauptung von von Steinsdorff, daß die tradierte Form der Presselenkung von oben nicht mehr funktionierte.

Die größte Gefahr für die Existenz einer unabhängigen Presse sehen Wendler und von Steinsdorff in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes vor allem nach der Aufhebung der Preisbindung ab 1991. Aufgrund des staatlichen Monopols an Papier- und Druckkapazitäten sowie dem Vertriebssystem konnte der Staat bereits vorher indirekt politische Einflußnahme ausüben. Nach den immensen Preissteigerungen, die ab 1992 einsetzten, wurde recht bald der Ruf nach Subventionen laut, dem Jelzin nachkam, indem er ein Dekret über staatlich fixierte Papierkosten erließ und umfangreiche Kredite in Aussicht stellte. Die Gefahr, daß sich damit politisches Wohlverhalten seitens der Zeitungen erkaufen läßt, liegt auf der Hand. Als Beispiel für eine solche "Transaktion" führt Wendler den Kredit von über 21 Millionen Rubel an, der die "Pravda" vor ihrem unmittelbar bevorstehenden Bankrott retten sollte. Murray dagegen stellt die Behauptung auf, daß die Kreditvergabe relativ gleichmäßig erfolgt sei; zur Beweisführung führt er eben diesen Kredit sowie die Finanzspritze an, die der "Sovietskaja Rossija" zuteil wurde - bei beiden Zeitungen handelte es sich um oppositionelle Blätter.

Im Vergleich zu dem fast totalen Informationsmonopol früherer Jahrzehnte nehmen sich die nach wie vor regelmäßig erfolgten Versuche des Staates, Einfluß auf die Presse auszuüben, eher als "Gängeleien" aus. Die harten wirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen stellten für den russischen Pressemarkt eine viel größere Herausforderung dar als die staatlichen Einmischungsversuche. Nur noch sehr wenige Blätter waren in der Lage, die Notsituation ohne fremde Hilfe in den Griff zu bekommen.

5.) Zweite vermögensrechtliche Privatisierung

Ab 1992 gingen die Zeitungs-Aktiengesellschaften zunehmend dazu über, Anteile an finanzstarke Banken und Großfirmen zu verkaufen. Hintergrund dafür war die Hoffnung, der Wahl zwischen dem finanziellen Aus und einer erneuten Abhängigkeit vom Staat aus dem Wege gehen zu können. Man war der Meinung, daß journalistische Unabhängigkeit12 im Verbund mit ökonomischer Absicherung am ehesten durch diese Vorgehensweise zu gewährleisten sei. Die Fremdfirmen verbanden ihr wirtschaftliches Engagement mit politischen Absichten: Zum einen erhofften sie sich, über "ihre" Zeitungen ihre wirtschaftlichen und politischen Ziele gegenüber der Regierung durchzusetzen. Zum anderen suchten sie nach Verbündeten, um die Verankerung des politischen und wirtschaftlichen Systems voranzutreiben.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und inwieweit das Recht am geschriebenen Wort in die Hände der Fremdfirmen überging bzw. über Beteiligungen des Staates an Großfirmen (z.B. 36 % an Lukojl) an diesen zurückfiel. Karaulnik spricht von einem "System tabuisierter Personen, Themen, politischer oder Kommerzorganisationen, die aufgrund ihrer besonderen Finanzbeziehungen zur jeweiligen Zeitung nicht kritisiert werden dürfen" und sieht eine neue Variante der Zensur13. Die Präsidentschaftswahlen 1996, in der die unabhängige Presse konzertiert mit ihren Besitzern Jelzin zum Sieg über den Kommunisten Sjuganow verholfen hatte, kann hier als Beispiel angeführt werden. Diese Einmütigkeit mag allerdings von der Befürchtung der Presse und Unternehmen hergerührt haben, daß ein Sieg Sjuganows die politische und ökonomische Kehrtwende bedeutet hätte. Die Izvestija-Lukojl-Affäre zeigt gleichfalls medienstrukturelle Schwächen auf: Nachdem die Zeitung am 1. April 1997 einen Artikel aus "Le Monde" nachdruckte, in der über eine angebliche Selbstbereicherung des damaligen Premierministers Tschernomyrdin berichtet wurde, betrieb Lukojl, der mit dem Premier eng verbundene Hauptaktionär, mit Erfolg die Absetzung der gesamten Izvestija-Führungsspitze. Laut Hübner14 war - neben der Wahrung eines vom ökonomischen Standpunkt aus guten Verhältnisses zu Tschernomyrdin - der wesentliche Grund Lukojls für diesen Schritt der Versuch, die einsetzende Lawine von geschäftsschädigenden Berichterstattungen über fragwürdige Geschäftspraktiken der Firma (u.a. über Verbindungen zur organisierten Kriminalität) zu unterbinden. Diesen Versuch der Einflußnahme seitens Lukojls - und nicht des Staates - verbucht Hübner als Pyrrhussieg, da die "Izvestija" ihre besten Journalisten und viele Leser verlor. Medienbeteiligungen werden jedoch auch in Rußland zunehmend unter gewinnorientierten Aspekten betrachtet - womit sich die Einmischung des Unternehmens in die journalistische Unabhängigkeit der Zeitung als kontraproduktiv herausstellte.

Ein Blick auf die Beteiligungen von Banken und Wirtschaftskonzernen an Printmedien15 zeigt einerseits, daß ein großer Teil von Medienbeteiligungen sich in den Händen weniger Konzerne bzw. Holdings konzentriert - eine Entwicklung, die im globalen Trend liegt. Die mit der Medienkonzentration einhergehende Diskussion, daß der Medien- und damit auch Zeitungsmarkt zunehmend monopolisiert werde, was in bezug auf die Pressefreiheit sehr bedenklich sei, ist jedoch nichts spezifisch Russisches: Das Problem der Wechselbeziehung von Medienkonzentration und Pressefreiheit ist z.B. auch in der Bundesrepublik Deutschland zu einem festen Bestandteil der medienpolitischen Diskussion geworden. Andererseits sind nicht alle Printmedien fest in einer Hand, sondern Beteiligungen sind häufig auf mehre Eigner gestreut. Daneben gibt es Zeitungsunternehmen, die sich ohne Fremdkapital zu Medienkonzernen entwickelten. Dies sowie die Tatsache, daß die diversen Eigner, deren politische Linie in "ihren" Zeitungen durchaus zum Ausdruck kommt, unterschiedlichen Interessen und Interessensgruppen verhaftet sind, führt im Ergebnis zu einer pluralistischen Zeitungslandschaft. Dies beeinträchtigt letztendlich auch die Möglichkeiten staatlicher Einflußnahme: Das kurzfristige Verbot Jelzins von oppositionellen Zeitungen im Zuge der Unruhen Oktober 1993 war der letzte Versuch, unabhängige Medien direkter staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Versuche einer indirekten Einflußnahme des Staates - zumindest im Printbereich - können seitdem nur noch über "enge Kooperation" mit den an Printmedien beteiligten Großaktionären erfolgen. Aufgrund des recht bunten ideologischen Bildes, das die unterschiedlichen politischen Einstellungen der Zeitungseigner ergibt - so hat auch die Kommunistische Partei ein nicht unbedeutendes Zeitungsimperium aufgebaut - dürfte aber die Wirkung einer solchen Vorgehensweise bezweifelt werden.

6.) Ausblick

Mit dem von Michail Gorbatschow Mitte der 80er Jahre eingeleiteten Reformprozess geriet das ca. sieben Jahrzehnte lang intakte Informationsmonopol des sowjetischen Staates ins Wanken. Im Gegensatz zu den Verfügungsrechten im Wirtschaftssektor, die zu diesem Zeitpunkt in einem beträchtlichen Umfang bereits vom Principal auf die Agents übergegangen waren, setzte dieser Prozeß im Printbereich erst jetzt ein. In enger Wechselbeziehung mit dem Voranschreiten der Reformen und dem beginnenden Zerfall der Sowjetunion Ende der 80er Jahre verloren Partei und Staat zunehmend die Kontrolle über das Recht am geschriebenen Wort. Diese Entwicklung, die innerhalb von nur wenigen Jahren das nachholte, was in der Wirtschaft drei Jahrzehnte dauerte, fand im sowjetischen Mediengesetz bzw. in der Fortschreibung des russischen Mediengesetzes seine rechtliche Verankerung.

Der Kontrollverlust war jedoch weder abrupt noch total: An die Selbstverständlichkeit der Hegemonie in den Massenmedien gewöhnt, gab der Staat sein Verfügungsrecht nicht kampflos preis. Wie oben aufgeführt, ist diese Auseinandersetzung noch nicht beendet, auch wenn dem Principal der direkte Zugriff mittlerweile versagt ist. Die Tatsache, daß es sich mittlerweile nur noch um Versuche der "Einflußnahme" handelt, die, selbst wenn sie erfolgreich sind, nur noch indirekt erfolgen können, spricht dafür, daß das Recht am geschriebenen Wort seinen Besitzer gewechselt haben dürfte - auf konkreten Besitz kann direkt und unmittelbar zugegriffen werden! Es sollte jedoch betont werden, daß der "Altbesitzer" seine Besitzansprüche noch nicht aufgegeben hat. Meines Erachtens kann man die eingangs gestellte Frage, ob das Verfügungsrecht trotz struktureller Zwänge eines bereits vorgeformten Raumes im Sinne der Pfadabhängigkeit seinen Besitzer gewechselt habe, durchaus mit einem "Ja" beantworten.

Die Frage stellt sich dann aber nach dem neuen Besitzer - ist es die Presse, oder sind es die Großaktionäre? Aufgrund der widersprüchlichen Literaturlage erscheint es mir sinnvoll, diese Frage in meiner Hausarbeit nicht abschließend zu beantworten. Karaulnik16 spricht von einer "neuen Form der Zensur", die von den Fremdbesitzern ausgeübt werde. Hübner17 kommt zu dem Fazit, "daß die Pressefreiheit in Rußland durch den Einstieg der Fremdfirmen insgesamt außerordentlich profitiert habe", und Pleines18 befindet sich mit seiner Meinung, "daß trotz politischer Einflußnahme Spielräume für kritische Berichterstattung gewährleistet sei", irgendwo in der Mitte. Meiner Meinung nach wird man die Entwicklung in Rußland wohl noch einige Jahre lang beobachte müssen, um mit einem "Ja" oder "Nein" antworten zu können.

Die Entwicklungen auf dem russischen Pressemarkt scheinen aufgrund der Vergangenheit des Landes zu sehr durch eine "russische Brille" betrachtet zu werden. Das Phänomen der Medienkonzentration und die damit einhergehende Befürchtung, daß dies die Pressefreiheit bedrohe, ist mittlerweile weltweit fester Bestandteil der medienpolitischen Agenda geworden, und das nicht ohne Grund:

So verlangte z.B. Leo Kirch, Chef einer der drei den bundesdeutschen Medienmarkt beherrschenden Medienkonzerne und mit 35 % Anteilseigner des Springer-Konzerns, 1995 die Absetzung des Chefredakteurs der SpringerTageszeitung "Die Welt", nachdem dieser einen seiner politischen Einstellung zuwiderlaufenden Leitartikel veröffentlichte hatte. Darüber hinausgehend ist generell die Presse- und Meinungsfreiheit auch in pluralistischen Gesellschaften immer wieder Attacken ausgesetzt, wie z.B. an der "sterilisierten", durch die USRegierung vorzensierten Berichterstattung zum Golf-Krieg zu sehen ist. In diesem Kontext stellt sich somit die Frage, ob der russische Pressemarkt nicht auf dem besten Wege in einen "normalen" Medienalltag ist.

Literaturverzeichnis

Hübner, Peter (1998), Pressefreiheit in Rußland - Großaktionäre als Zensoren? In: Berichte des Bundesinstitutes für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 34-1998

Karaulnik, M. (1997), Wer kontrolliert den Medienmarkt in Rußland? In : Wostok 1, S. 8-9

Koslatschow, Alexei (1993), Who is Who auf dem Zeitungsmarkt in Rußland? In: Wostok 1, S. 72 f.

Manaev, Oleg (1991), Etablierte und alternative Presse in der Sowjetunion unter den Bedingungen der Perestroika, in: Media Perspektiven 2/91

Murray, John (1994), The Russian Press from Brezhnev to Yeltsin, Edward Elgar

Pleines, Heiko (1997), Entwicklungen im russischen Medienmarkt, in: Media Perspektiven 7/97

von Steinsdorff, Silvia (1994), Rußland auf dem Weg zur Meinungsfreiheit, LIT- Verlag

Wendler, Hauke (1995), Rußlands Presse zwischen Unabhängigkeit und Zensur: Die Rolle der Printmedien im Prozeß des politischen Systemwandels 1990- 1993, in: Golczewski, Franz; Schlarp, Karl-Heinz; Trautmann, Günter (Hg.), Osteuropa - Geschichte, Wirtschaft, Politik, Band 6, LIT-Verlag.

[...]


1 Im folgenden wird die Rede vom "sowjetische Mediengesetz" sein.

2 Hübner, Peter (1998), Pressefreiheit in Rußland - Großaktionäre als Zensoren? In: Berichte des Bundesinstitutes für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 34-1998.

3 Glavnoe upravlenie po ochranie gosudarstvennych tain i petschati - Hauptverwaltung für Angelegenheiten der Literatur und der Verlage.

4 Der Begriff Samizdat stammt aus dem russischen von "sam izdat' " = selbst herausgeben

5 Wendler, Hauke (1995), Rußlands Presse zwischen Unabhängigkeit und Zensur: Die Rolle der Printmedien im Prozeß des politischen Systemwandels 1990-1993, in: Golczewski, Franz; Schlarp, Karl-Heinz; Trautmann, Günter (Hg.), Osteuropa - Geschichte, Wirtschaft, Politik, Band 6, LIT-Verlag

6 Manaev, Oleg (1991), Etablierte und alternative Presse in der Sowjetunion unter den Bedingungen der Perestroika, in: Media Perspektiven 2/91, S. 96 ff.

7 Steele (1989) in: Murray, John (1994), The Russian Press from Brezhnev to Yeltsin, Edward Elgar

8 Wendler, Hauke (1995), Rußlands Presse zwischen Unabhängigkeit und Zensur: Die Rolle der Printmedien im Prozeß des politischen Systemwandels 1990-1993, in: Golczewski, Franz; Schlarp, Karl-Heinz; Trautmann, Günter (Hg.), Osteuropa - Geschichte, Wirtschaft, Politik, Band 6, LIT- Verlag.

9 Ein wichtiger Bestandteil des russischen Mediengesetzes ist, daß staatlichen Institutionen der Besitz von eigenen Publikationsorganen untersagt wurde.

10 Murray, John (1994), The Russian Press from Brezhnev to Yeltsin, Edward Elgar

11 von Steinsdorff, Silvia (1994), Rußland auf dem Weg zur Meinungsfreiheit, LIT-Verlag

12 Der Verkauf von Anteilen ging in der Regel mit einer schriftlichen Zusicherung seitens der Käufer einher, sich jeglicher politischen Einflußnahme zu enthalten.

13 Karaulnik, M. (1997), Wer kontrolliert den Medienmarkt in Rußland? In : Wostok 1, S. 8-9.

14 Hübner, Peter (1998), Pressefreiheit in Rußland - Großaktionäre als Zensoren? In: Berichte des Bundesinstitutes für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 34-1998.

15 Ders.

16 Karaulnik, M. (1997), Wer kontrolliert den Medienmarkt in Rußland? In : Wostok 1, S. 8-9

17 Hübner, Peter (1998), Pressefreiheit in Rußland - Großaktionäre als Zensoren? In: Berichte des Bundesinstitutes für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 34-1998

18 Pleines, Heiko (1997), Entwicklungen im russischen Medienmarkt, in: Media Perspektiven 7/97

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Detalles

Título
Die Verteilung der Verfügungsrechte in den russischen Printmedien im Verlauf des Privatisierungsprozesses und die weitere Entwicklung
Universidad
Free University of Berlin
Curso
Grundkurs: Politik Osteuropas - Einführung
Calificación
1,3
Autor
Año
2000
Páginas
15
No. de catálogo
V107086
ISBN (Ebook)
9783640053612
Tamaño de fichero
436 KB
Idioma
Alemán
Notas
- Politikwissenschaftlicher Begriff der Verfügungsrechte auf die russischen Printmedien angewandt, d.h. Arbeit ist eine Kombination aus den FB Politikwissenschaften und Publizistik - Achtung: Arbeit in 2000 erstellt, die Medienlandschaft Rußlands ist ständig in Bewegung, daher kann einiges, was einmal aktuell war, schon längst überholt sein, dies betrifft in erster Linie den Schluß der Arbeit
Palabras clave
Verteilung, Verfügungsrechte, Printmedien, Verlauf, Privatisierungsprozesses, Entwicklung, Grundkurs, Politik, Osteuropas, Einführung
Citar trabajo
Christina Wienken (Autor), 2000, Die Verteilung der Verfügungsrechte in den russischen Printmedien im Verlauf des Privatisierungsprozesses und die weitere Entwicklung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107086

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