Eine düstere Prophezeiung, ein Fort voller Geheimnisse und ein Invalide am Rande des Wahnsinns – Achim von Arnims packende Erzählung "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" entführt den Leser ins Marseille des 18. Jahrhunderts, wo Romantik und Realismus auf beunruhigende Weise miteinander verschmelzen. Rosalie, gezeichnet von einem vermeintlichen Fluch ihrer Mutter, kämpft um das Schicksal ihres geliebten Mannes Francœur, einem kriegsversehrten Soldaten, der auf dem Fort Ratonneau eine Festung der Besessenheit errichtet. Ist Francœur tatsächlich vom Teufel besessen, wie abergläubische Stimmen behaupten, oder verbirgt sich hinter seinem Wahnwitz eine tieferliegende, medizinische Ursache? Graf Dürande, der pragmatische Kommandant von Marseille, versucht, die drohende Eskalation zu verhindern, während die Stadt am Rande eines Aufruhrs steht. Arnim verwebt geschickt romantische Motive wie Teufelsglaube und Schicksalsverhängnis mit realistischen Elementen, die die Geschichte in einem neuen Licht erscheinen lassen. Die Erzählung erkundet die Grenzen zwischen Vernunft und Aberglaube, zwischen Liebe und Wahnsinn, und stellt die Frage, wie viel Realität in unseren tiefsten Ängsten steckt. Dabei bedient sich Arnim einer auktorialen Erzählweise, die den Leser tief in die Gefühlswelt der Charaktere eintauchen lässt, ohne dabei auf wertende Kommentare zu verzichten. "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" ist nicht nur eine spannende Abenteuergeschichte, sondern auch eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der menschlichen Natur, den Wirren des Krieges und der zerstörerischen Kraft von Vorurteilen. Ein fesselndes Werk der Romantik, das den Leser bis zur letzten Seite in Atem hält und zum Nachdenken über die wahren Ursachen von Besessenheit und Heilung anregt. Entdecken Sie eine Welt, in der das Übernatürliche greifbar scheint und die Grenzen der Realität verschwimmen, eine Erzählung über Krieg, Wahnsinn, die Kraft der Liebe und die Macht der Heilung, eingebettet in die malerische Kulisse Südfrankreichs.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Formales
2 Romantische und realistische Elemente
2.1 Motiv des Teufels
2.2 Francœurs Heilung
Zusammenfassung
Einleitung
Die Erzählung "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" gehört heute neben der "Isabella von Ägypten, Kaiser Karl des fünften erste Jugendliebe" zu Achim von Arnim`s bekanntesten und am häufigsten interpretierten Werken. Sie erschien 1818 in den von Friedrich Wilhelm Gubitz herausgegebenen "Gaben der Milde" zu Gunsten der Kriegsverletzten aus dem Freiheitskrieg gegen Napoleon. Auch Arnim hatte 1813 an diesem Krieg teilgenommen, und zwar als Hauptmann eines Berliener Landsturmbataillons. Nach den Kriegen gibt es viele Kriegsversehrten. Arnim greift diese Thematik für seine Erzählung auf: Die Hauptfiguren der Erzählung sind ein (allerdings im siebenjährigen Krieg 1756- 1763)
kriegsversehrter französischer Soldat und seine deutsche Frau.
Arnims nutzte als Quelle vermutlich ein Ereignis, das sich in Marseille tatsächlich ereignet hat: Ein Kriegsinvalider hatte sich auf dem Fort Ratonneau gegenüber dem Hafen eingeschlossen und drohte damit, die Stadt zu beschießen. Soldaten hatten den Mann überwältigt und ins Irrenhaus abgeführt. Auf diese Information aus dem „Almanach historique de Marseille pour l`annee bissextile 1772, chez Jean Mossy“ könnte Arnim auf seiner Reise über Nizza nach Marseille gestoßen sein. In diesem Fall wäre Arnims größte Veränderung der Quelle die Einführung Rosalies, Francœurs deutscher Frau.
1 Formales
Der Erzähler zeigt ein auktoriales Erzählverhalten und gewährt in der Innensicht Einblick in die Gefühlswelt der Figuren. Dennoch sind Erzählerkommentare eher selten. Ein Beispiel für einen auktorialen Erzählerkommentar ist die Stelle "Nach solchem Tage läßt sich in einem Menschenleben selten noch etwas erleben, was der Mühe des Erzählens wert wäre" (S. 2101 ). Der Erzähler tritt wertend hervor. Der Kommentar selbstreferentiell, bezieht sich also auf den literarischen Text: Diese Geschichte sei "des Erzählens wert" gewesen, ansonsten gebe es aus dem Leben der Protagonisten nichts weiter zu berichten.
Die Erzählung kann in drei Teile gegliedert werden. Der erste Teil umfasst den Holzbeinbrand von Graf Dürand (S. 187-189). Bereits hier wird das Feuer- Motiv eingeführt. Im zeitlichen Handlungsablauf liegt dieser Abschnitt in der Mitte.
Rosalies Rückschau in direkter Rede (S. 189-193) stellt den zweiten Teil dar. Erst hier wird die 'eigentliche' Hauptfigur, nämlich der 'tolle Invalide' Francœur, eingeführt. Danach läuft die Handlung linear und ohne Unterbrechungen weiter; dieser dritte Teil macht den größten Textabschnitt aus.
2 Romantische und realistische Elemente
In „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“ sind sowohl romantische als auch bereits realistische Elemente auszumachen. Romantische Motive und Ereignisse sind so in den Text eingebaut, dass sie in den Rahmen eines realistischen Erzählens passen. Am Beispiel des Teufelsmotivs soll dies im folgenden erläutert werden: der Glaube an Fluch und Schicksalsverhängnis ist romantisch, aber durch die materialistische Erklärung bleibt dieses Motiv realistisch.
2.1 Motiv des Teufels
Der Teufelsglaube wird eingeführt von Rosalie. Ihre Mutter übergab sie wegen der unliebsamen Verbindung mit einem Franzosen „mit feierlicher Rede dem Teufel“ (S. 191). Rosalie glaubt fest an diesen Fluch, der auf ihr lastet. Francœurs Krankheit erklärt sie sich dadurch, dass ein Teil des Fluchs mit der Heirat auf ihn übergegangen sein müsse. Damit vertritt sie eine romantische Auffassung, denn sie glaubt an wunderbare Vorgänge, an Fluch und Schicksal. Eine entgegengesetzte, realistische Haltung nimmt vor allem Graf Dürande, der Kommandant von Marseille, ein. Er nimmt Rosalies Geschichte von Fluch und Teufel nicht wirklich ernst und überführt als erster das Teufelsmotiv in eine semantische Ebene: „ein Franzose hat immer den Teufel im Leibe!“. Für ihm ist der Teufel eher ein Sinnbild. Dürande macht aus dem Motiv ein Wortspiel, womit er dem Teufel geradezu positive Eigenschaften zuschreibt: für einen Franzosen ist es offenbar nicht schlecht, ihn im Leibe zu haben. Als Francœur das Fort in Besitz nimmt wird die Sache für Graf Dürande zwar „ein teuflischer Ernst“ (S. 203), aber auch hier benutzt er das Wort in übertragenem Sinne und fürchtet nicht etwa eine übernatürliche, wunderbare Macht.
Francœur steht zwischen diesen beiden Extremen. Als er erstmals damit konfrontiert wird, dass er vom Teufel besessen sein soll, sagt er nur „er wisse nichts vom Teufel“ (S. 198). Später redet er so, als glaube er selber daran, dass der Teufel in ihm ste>der Teufel und im Namen des Teufels sage ich euch, redet kein Wort“. Diese Aussage wird aber zweifach relativiert:
Die Möglichkeit der geistigen Verwirrung Francœurs auf Grund einer Kopfverletzung ist in der Erzählung zu diesem Zeitpunkt bereits eingeführt. Seine Worte unterliegen daher immer der Möglichkeit, Gerede eines Verrückten zu sein. Zum Zweiten scheint er seine `Besessenheit` auch in seinem geistig entrückten Zustand nicht all zu ernst zu nehmen, sondern er kommentiert beinahe ironisch das, was alle von ihm zu glauben scheinen. Beinahe grotesk wirkt es, wenn er Rosalie als „Satanas“ ihre Kleider zurück schicken lässt.
Das wunderbare Motiv der Teufelsbesessenheit wird am Ende materialistisch erklärt und durch eine medizinische Erklärung aufgelöst. Der Ausgang der Erzählung gibt einer realistischen Auffassung recht. Indem der Knochensplitter aus Francœurs Kopf entfernt wird, verschwindet auch der Wahnsinn oder der Teufel daraus. Eine Art Bewertung des Teufelsglaubens lässt sich jedoch im Verlauf der Geschichte schon früher ausmachen, denn an den Teufel glauben nur die einfachen, ungebildeten Figuren.
Rosalies Mutter ist die erste, die den Teufel ins Spiel bringt. Als Prostituierte (sie „sah viele Männer bei sich“, S. 189) gehört sie zu den untersten Gesellschaftsschichten. Rosalie stammt damit aus der selben Schicht und hat ebenso wenig Bildung wie ihre Mutter. Bei diesen beiden ist der Glaube an den Teufel am heftigsten ausgeprägt. Weitere Figuren in diesem Zusammenhang sind Basset, Kammerdiener des Grafen Dürande, und der Mönch Philipp. Basset bezeichnet der Erzähler als „armen Schwätzer“ (S. 198), während Philipp als ängstlicher Eiferer in einer lächerlichen Szene gedemütigt wird: er hängt an seinem Mantel am Zaun fest.
Graf Dürande nutzt das Teufelsmotiv wie schon erwähnt nur in übertragenem Sinne. Er steht Rosalies abergläubischen Ansichten zwar freundlich, aber eher skeptisch entgegen. Der Teufel taucht in seinen Reden nur in übertragenem Sinne, oftmals spielerisch und in geradezu positivem Sinne auf. Als gebildeter Mann von hoher Stellung vertritt der Kommandant eine realistische Auffassung von Francœurs `Besessenheit`, die sich am Ende der Erzählung auch bewahrheitet.
Der Soldat Francœur dagegen ist sowohl in seinem Glauben an den Teufel als auch in seiner gesellschaftlichen Stellung in der Mitte anzusiedeln.
Interessant ist auch, dass der Teufel allein durch die Sprache in die Vorstellungswelt der Figuren Einzug hält. Rosalies Mutter ist der Ausgangspunkt dieser Entwicklung. Rosalie nimmt die Vorstellung auf und trägt sie zum Kommandanten. Dieser erwähnt erstmals den Teufel gegenüber Francœur. Dessen Antwort auf die Frage Dürandes verdeutlicht prägnant die Wirkung der Rede über den Teufel und fungiert als Vorausdeutung, die sich bewahrheiten soll: „Man darf den Teufel nicht an die Wand malen, sonst hat man ihn im Spiegel“ (S. 195). In der Folge wird Francœur tatsächlich zu einem `Teufel`, der ganz Marseille bedroht. Auch dieses Mittel ist als realistisch einzuschätzen: die `poetische Auferstehung` des Teufels wird mitvollzogen. Die natürliche Herkunft der fantastischen Figur wird offenbart. Die menschlichen Vorstellungen über den Teufel materialisieren sich durch die Sprache.
Francœurs Heilung
Als Francœurs Kopfwunde aufplatzt, häufen sich noch einmal fantastische, romantische Elemente: die brennende Zündschnur wird durch Blut und Tränen gelöscht, während ein Wirbelwind das Pulver weg und die Teufelsflagge vom Turm herab weht. Im Anschluss fliegen in einer idyllischen Szene zwei Tauben um die wieder vereinte, glückliche Familie. Genau zur gleichen Zeit, so erfährt Rosalie später, stirbt ihre Mutter. Die Tauben werden vom Erzähler zumindest soweit in einen realistischen Rahmen integriert, als er sie schon vorher einführt: es handelt sich vermutlich um das Taubenpaar, welches Francœur beim Einzug in das Fort von seinen Vorgängern erstanden hat (S. 196). Auch Francœurs Erklärung „Sie waren, wie gute Engel, meines Kindes Spielkameraden auf dem Fort gewesen“ (S. 209) macht die Szene zumindest etwas wahrscheinlicher. Das idyllische Flair und die mögliche symbolische Deutung der zwei Tauben mit grünen Blättern im Schnabel bleiben dabei dennoch erhalten. Für die wundersame Löschung der Zündschnur dagegen sowie für die anderen Ereignisse muss man schon ein großes Maß an Zufall bemühen, um sie in eine realistische Auslegung zu integrieren. Dennoch wäre eine solche Begründung nicht völlig ausgeschlossen.
Zusammenfassung
In Achim von Arnims Erzählung „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“ sind sowohl romantische als auch realistische Motive auszumachen. Dabei lässt sich feststellen, dass sich Realistisches und Wunderbares nicht etwa mischt, wie es zum Beispiel in Ludwig Tiecks „Der blonde Eckbert“ der Fall ist. In Tiecks Märchen vermengen sich die beiden Ebenen derart, dass eine Trennung nicht mehr möglich scheint. Die Grenze zwischen Realität und Fantastischem sind aufgelöst und nicht mehr zu erkennen.
In “Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau” gibt es dagegen klar trennbare Auffassungen von Francœurs Krankheit. Eine wunderbare, die eine teuflische Besessenheit ins Spiel bringt, und eine realistische, die von einer Kopfverletzung ausgeht. Der Ausgang der Geschichte gibt einer materialistischen, medizinischen Deutung recht. Zwar gibt es romantische Motive, man kann diese jedoch alle in einen realistischen Rahmen eingliedern.
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Häufig gestellte Fragen
Was ist "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" von Achim von Arnim?
Die Erzählung "Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau" ist ein bekanntes Werk von Achim von Arnim, das 1818 in den "Gaben der Milde" erschien. Es handelt von einem kriegsversehrten französischen Soldaten und seiner deutschen Frau.
Was sind die Hauptthemen der Erzählung?
Die Erzählung behandelt die Themen Krieg, Versehrtheit, romantische und realistische Elemente, Aberglaube, Wahnsinn und die Kraft der Liebe.
Welche romantischen und realistischen Elemente finden sich in der Erzählung?
Romantische Elemente sind beispielsweise der Glaube an Flüche und Schicksalsverhängnis (das Teufelsmotiv), während realistische Elemente in der materialistischen Erklärung dieser Motive liegen. Die Heilung Francœurs durch Entfernung eines Knochensplitters aus seinem Kopf ist ein Beispiel für ein realistisches Ende.
Welche Rolle spielt das Teufelsmotiv in der Erzählung?
Das Teufelsmotiv wird von Rosalie eingeführt, die an einen Fluch glaubt, den ihre Mutter auf sie gelegt hat. Andere Figuren, wie Graf Dürande, betrachten den Teufel eher als Sinnbild. Am Ende wird der Teufelsglaube materialistisch durch eine medizinische Erklärung aufgelöst.
Wie ist die Erzählung aufgebaut?
Die Erzählung ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil umfasst den Holzbeinbrand von Graf Dürand, Rosalies Rückschau in direkter Rede und der dritte Teil, der den größten Textabschnitt ausmacht, beschreibt die Handlung linear fortlaufend.
Welche Erzählperspektive wird in der Erzählung verwendet?
Der Erzähler zeigt ein auktoriales Erzählverhalten und gewährt Einblick in die Gefühlswelt der Figuren, jedoch sind Erzählerkommentare eher selten.
Wie wird Francœurs Wahnsinn erklärt?
Francœurs Wahnsinn wird zunächst als Besessenheit vom Teufel dargestellt, aber am Ende realistisch durch eine Kopfverletzung erklärt. Durch die Entfernung des Knochensplitters verschwindet auch der Wahnsinn.
Welche Rolle spielen die Figuren Rosalie, Francœur und Graf Dürande?
Rosalie glaubt fest an den Fluch und das Teufelsmotiv. Francœur schwankt zwischen dem Glauben an den Teufel und der Realität. Graf Dürande, der Kommandant von Marseille, nimmt Rosalies Aberglauben nicht ernst und vertritt eine realistische Auffassung.
Wie endet die Erzählung?
Die Erzählung endet mit Francœurs Heilung, nachdem ein Knochensplitter aus seinem Kopf entfernt wurde. Die Familie ist wieder vereint und glücklich.
- Citation du texte
- Andrea Geiss (Auteur), 2002, Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. Romantische und realistische Elemente., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107443