Die Rivalität zwischen Bernini und Borromini


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2001

16 Pages, Note: 2


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG
1.1 Einführung
1.2 Werdegänge

II. PHASEN
2.1 Zusammenarbeit Das Hochaltarziborium in St. Paul
2.2 Direkte Konkurrenz Der Südturm von St. Peter und der Vierströmebrunnen
2.3 Indirekte Auseinandersetzung Der Kuppelbau von S. Ignazio

III. BEZÜGE ZUM BAROCK

IV. ZUSAMMENFASSUNG

V. ABBILDUNGEN

VI. LITERATUR UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG

1.1 Einführung

Die Besonderheiten der Konkurrenz zwischen Francesco Borromini und Gianlorenzo Bernini liegen in der Unterschiedlichkeit ihrer Stile, Fähigkeiten und Charaktere.

Bernini war eindeutig der bedeutendere Künstler, der es früh verstand durch Beziehungen und gesellschaftliches Auftreten Gönner auf seine Seite zu bringen und sich so eine dominierende Stellung in der römischen Kunstszene zu sichern. Borromini hingegen war in langen Lehrjahren zu einem überragenden Architekten und Ingenieur gereift. Zeitgenossen beschrieben ihn als mürrischen und introvertierten, aber gleichzeitig sehr gewissenhaften Techniker.[1]

Trotz ihrer herausragenden Fähigkeiten hingen beide von der Gunst der Päpste ab, allein deren Fürsprache entschied über die Vergabe von Ämtern und Aufträgen.

Die hier näher untersuchten Bauwerke sind jeweils Anlass oder Ausdruck der Konkurrenz zwischen Borromini und Bernini gewesen. Insbesondere Details ihrer Entstehungsgeschichte sind von ausschlaggebender Bedeutung. Kunsthistorische Gesamtdarstellungen der Bauwerke würden einerseits den Rahmen dieser Arbeit sprengen, andererseits sind sie für das für eine Darstellung der Rivalität entbehrlich.

1.2 Werdegänge

So unterschiedlich Bernini und Borromini in ihrem Stil waren, so sehr unterschieden sie sich auch in ihrer Herkunft:

Borromini[2]

Francesco Borromini wurde 1599 in Bissone am Luganer See geboren. Sein Vater, ein Baumeister in den Diensten des örtlichen Lehnsherren, schickte ihn 1608 zur Ausbildung nach Mailand. Über seine frühen Jahre existieren kaum gesicherte Informationen, belegt ist erst wieder der Beginn seiner Steinmetzlehre, die er vermutlich direkt nach dem Abschluss einer Schulbildung begann. Als junger Steinmetz sollte Borromini ausschließlich nach Vorlagen etablierter Künstler arbeiten, dennoch ließ er eigene Ideen in sein Werk miteinfließen. 1619 wurde ihm gekündigt. Borromini verließ Mailand, um in Rom seine Ausbildung zu vervollkommnen.

In Rom kam er bei seinem Verwandten Leone Garavo unter, der ihm auch eine Arbeitsstelle auf der Baustelle der Peterskirche vermittelte. 1621 starb Garavo, zu diesem Zeitpunkt war Borromini gerade als Meister in die Zunft der Marmorbildhauer aufgenommen worden.

Nun wurde Carlo Maderno, der Petersbaumeister auf den jungen Architekten aufmerksam. Schnell war Borromini als Zeichner und bald darauf als Assistent bei Maderno angestellt. Schon bald befanden sich Lehrer und Schüler in einem regen architektonischen Dialog. Borromini entwickelte schon in dieser Zeit seinen eigenen Stil, der sich mehr und mehr von dem seines Meisters unterschied.[3]

Borrominis Ausbildung zum Architekten entsprach durchaus dem damaligen Usus, zuerst eine Lehre abzuschließen, in dem Beruf zu arbeiten, um dann erst zu einem Architekten in die Lehre zu gehen und ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben.

Bernini[4]

Im Gegensatz zu Borromini war die Karriere Berninis von früh auf vorbereitet. 1598 in Neapel geboren, zog er mit seiner Familie 1606 nach Rom. Sein Vater Pietro nahm ihn in die Lehre und vermittelte ihm erste Kontakte zu späteren Auftraggebern, etwa zu dem damaligen Papst Paul IV oder Kardinal Maffeo Barberini. Es scheint erwiesen zu sein, dass die scheinbar genialen Frühwerke Berninis zumindest in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstanden, um der Karriere Gianlorenzos auf die Sprünge zu helfen.

Mit 20 Jahren wurde Bernini relativ früh in die Zunft der Marmorbildhauer aufgenommen und galt fortan als Meister.

Über seinen Förderer Barberini wurde Scipione Borghese, einer der reichsten Nepoten Roms auf ihn aufmerksam. Er beauftragte Bernini mit seinen ersten großen Figurengruppen „Aeneas, Anchises und Ascanius“, der „David“ und „Apoll und Daphne“. Durch diese Werke konnte Bernini seinen Ruf als führender Bildhauer Roms bekräftigen.[5]

Aufgrund seiner Verdienste wurde er 1621 in den Adelsstand erhoben. Dies bedeutete einen gesellschaftlichen Aufstieg, Kontakte zu den herausragendsten Persönlichkeiten Roms und somit eine sichere Auftragslage. Bernini erlebte seinen ersten künstlerischen Höhepunkt unter Papst Gregor XV. Als jedoch Maffeo Barberini im Jahre 1623 als Papst Urban VIII. den Thron bestieg, machte er Bernini zum unangefochtenen künstlerischen Direktor Roms.

Papst Urban beorderte Bernini an die Seite Carlo Madernos um den Innenausbau der Peterskirche fertigzustellen. Von nun an sollte der erst 24 jährige Bernini den alteingesessenen Maderno langsam aus seinem Amt verdrängen. 1629, nach dem Tod Madernos, trat Bernini das Amt des Petersbaumeisters offiziell an.[6]

1625 trafen die beiden ungleichen Menschen schließlich aufeinander: Bernini als oberste Autorität der römischen Kunstszene und Borromini als Assistent des alternden Petersarchitekten.

II. PHASEN

Im Verhältnis von Bernini und Borromini lassen sich drei entscheidende Phasen unterscheiden: Zunächst ihre Zusammenarbeit unter Papst Urban VIII von 1625-33, in dieser Zeit entstanden unter anderem das Hochaltarziborium in St. Peter und der Familienpalast der Barberini. Ab 1644 traten sie in direkte Konkurrenz zueinander, am deutlichsten wird diese anhand Borrominis Gutachten über Berninis Glockenturm in St. Peter und der Entstehungsgeschichte des Vierströmebrunnens an der Piazza Navona erkennbar. Ihre Gutachten zu dem Kuppelbau in S. Ignazio beschreiben am besten eine letzte Phase der indirekten Konkurrenz.

2.1.1 Zusammenarbeit in St. Paul

Es ist strittig, in welcher Beziehung Bernini und Borromini zu Beginn ihrer Zusammenarbeit zueinander standen. Die Meinungen reichen von einem Meister-Schreiber Verhältnis hin zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit.[7]

Fest steht aber, dass Borrominis technisches Wissen sehr bald unersetzlich für den hauptsächlich künstlerisch begabten Bernini war. In diesem Sinne ist von einer in etwa gleichberechtigten Arbeitsteilung auszugehen. Weitere Quellen sprechen von einer durchaus freundschaftlichen Verbundenheit.[8]

Als Maffeo Barberini, der frühe Gönner Berninis, 1623 zum Papst gewählt wurde, begannen die Innenausbauten in St. Peter. Beauftragt wurde wider Erwarten nicht der Dombaumeister Carlo Maderno, sondern Bernini.

Das Hauptprojekt war ein einer konstantinischen Basilika nachempfundener Baldachin über der Grabstätte Petri. Dieses Hochaltarziborium gilt als erstes Kunstwerk des Hochbarock und ist wohl das imposanteste Bauwerk, das Bernini und Borromini zusammen verwirklichten.

Die statischen Berechnungen an den Säulen des Baldachins überforderten den jungen Architekten. Er holte sich Rat bei seinem Vater Pietro und seinem Bruder Luigi.

Der erste erwiesene Kontakt zwischen Bernini und Borromini fand während der Errichtung der Säulen statt. Borromini war für sämtliche technische Zeichnungen verantwortlich, die als Vorlagen an die Gießerei gingen. Bernini überwachte den Guss und die Aufstellung der Säulen.

Mit dem Tod Madernos wurde Bernini offiziell zum Petersbaumeister ernannt. Er soll Borromini eindringlich gebeten haben auch für ihn als Assistent weiterzuarbeiten, ein Hinweis auf die Unsicherheit des neuen Meisters.[9]

Nicht zuletzt aufgrund Berninis mangelndem technischen Fachwissen wurde Borromini Schritt für Schritt zu dessen architektonischen Berater.

Beide überarbeiteten die noch von Maderno stammenden ersten Entwürfe für das Hochaltarziborium. Die Arbeitsteilung war dennoch klar: Borromini bearbeitete architektonische und statische Probleme, während Bernini die Dekoration des Baldachins überarbeitete.

Borrominis zunehmende Bedeutung als Architekt spiegelt sich in seiner Entlohnung wieder: Das Grundgehalt der Petersbaumeister betrug 16 2/3 scudi pro Monat; Borromini hingegen erhielt 25 scudi. Die Gehaltserhöhung könnte auf Fürsprache Berninis zurückgehen, der mehr und mehr von der Arbeit seines Assistenten abhängig wurde und ihn somit bis zur Fertigstellung an der Baustelle halten wollte.[10]

Während der allein von Borromini geleiteten Arbeiten am Palazzo Barberini, einem weiteren gemeinsamen Projekt, erschienen zunehmend mehr „künstlerische Kompetenzen“[11] die die Freiheit des Architekten immer mehr einschränkten. Zudem wurden entscheidende Bauabschnitte gegen den Willen Architekten verändert. Hinzu kam Borrominis neues Selbstbewusstsein und sein Wunsch als selbstständiger Architekt zu arbeiten. Schließlich kündigte er die Arbeiten an dem Palazzo.

1632 wurde Borromini zum Architekten der Sapienzakirche ernannt. Dies geschah auf Empfehlung Berninis. Über dessen Motiv gibt es erneut Kontroversen: Portoghesi vermutet, Bernini wollte seinen Partner dazu bewegen, weiterhin am Palazzo Barberini und am Hochaltarziborium zu arbeiten. Marcello geht davon aus, dass Bernini sich von Borromini befreien wollte, indem er ihn weglobte. Fagiolo glaubt sogar Bernini wollte seinen Konkurrenten von weiteren Aufträgen der Barberini-Familie fernhalten.[12] Burbaum hingegen geht davon aus, dass Borromini aus eigenem Antrieb Bernini um die Stelle bat. Weder das Hochaltarziborium noch der Palazzo forderten seine architektonischen Fähigkeiten, er wollte jedoch genau diese unter Beweis stellen.[13]

Ein weiterer Aspekt scheint die Entlohnung der Architekten zu sein: Borromini erhielt etwa ein Zehntel dessen, was Bernini bezog. Wichtiger noch als Geld, schien Borromini die Anerkennung für eine Arbeit gewesen zu sein: Bernini gab Leistungen Borrominis als seine eigenen aus, etwa beim Bau des Hochaltarziboriums oder beim Palazzo Barberini. Auch in Berninis Werkstatt gab es mehrere Beispiele dieser Praxis, vgl. auch 1.3. Wenn Borromini mit diesen Tatsachen an die Öffentlichkeit gegangen wäre, hätte er der Reputation von Roms führendem künstlerischem Direktor empfindlichen Schaden zugefügt.[14]

Aus dieser Perspektive erscheint die Stellenvermittlung als stille Absprache am Rand der Erpressung. Schon bald nach der Empfehlung Berninis trennten sich die Wege der früheren Partner. Es begann eine Phase der direkten Konkurrenz und Auseinandersetzung.

2.2 Direkte Konkurrenz: Der Südturm von St. Peter und der Vierströmebrunnen

Die Rivalität zwischen den beiden Architekten geht wohl auf Borrominis Verlangen zurück, sich durch ein Gutachten für vergangene Ungerechtigkeiten zu rächen. Bernini hingegen revanchierte sich schnell und wies während der Planungen des Vierströmebrunnens Borromini erneut in seine Schranken.

Mit dem Amtsantritt Giambattista Pamphilis als Papst Innozenz X. änderten sich die Bedingungen für Bernini und Borromini grundsätzlich. Genoss Bernini unter Urban VIII. noch jegliche Unterstützung und Fürsprache, so musste er jetzt mit der strikten Negierung und Zerstörung aller barberinischen Beziehungsgeflechte rechnen. Ferner ließ Innozenz die Finanzpraktiken des Clans untersuchen, der Reichtum der Barberinis und die Leere der Staatskasse waren verdächtig. Jetzt war auch Berninis Rolle als künstlerischer Direktor und wichtigster Künstler Roms gefährdet.

Bernini hatte weiterhin das auf Lebenszeit vergebene Amt des Dombaumeisters inne, am päpstlichen Hof waren es jedoch andere, die von der Gunst Innozenz’ profitierten. Bernini musste sich vornehmlich mit privaten Aufträgen beschäftigen.

Borromini hingegen hatte sich in der Zwischenzeit mit dem Bau der Kirche S. Carlo alle Quattro Fontane endgültig als Star-Architekt bewiesen. Er war einer der Günstlinge des neuen Papstes und bekam dementsprechend prestigeträchtige Aufträge. Er hatte freie Hand bei der Umsetzung seiner Projekte, die in ihrer Bedeutung gleichrangig mit jenen Berninis zu Zeiten Urbans waren. Dennoch dominierte er nicht die römische Kunstszene, wie es Bernini konnte.

Nun, da sich Borromini in der stärkeren Position befand, versuchte er seinen ehemaligen Partner aus dem Kunstgeschehen zu drängen. Ein willkommener Anlass war ein Gutachten, das er über Berninis missglückten Südturm St. Peters verfassen sollte. Borromini griff Berninis technische Fähigkeiten scharf an, in der Hoffnung, jenen damit für immer zu diskreditieren. Neben vielen erfolgreichen Projekten, u.a. der Errichtung des Tritonbrunnens auf der Piazza Barberini, war der Bau des südlichen Glockenturms in St. Peter nicht zufrieden stellend verlaufen. 1641 mussten die Arbeiten abgebrochen werden, es zeigten sich Risse in der Fassade, 1646 musste der Turm abgerissen werden.[15] Ob Borrominis Rat zum Abriss des Turms letztendlich auf statischen oder persönlichen Erwägungen beruhte wird heftig diskutiert.[16]

Letzten Endes scheint beides eine Rolle gespielt zu haben: Alle anderen Gutachten bescheinigten gravierende statische Fehler, rechneten diese jedoch Berninis Vorgänger Maderno an. Borrominis persönliches Interesse Bernini zu demütigen darf jedoch nicht unterschätzt werden. Vielmehr wollte er demonstrativ auf dessen technische Schwächen hinweisen. In künstlerischer Sicht hielt sich Borromini zunächst zurück und erkannte seine Unterlegenheit an, so reichte er auch keinen Entwurf für den Neubau des Turms ein.

Als Innozenz X. ca. 1645 Entwürfe für einen Brunnenneubau auf der Piazza Navona in Auftrag gab, wurde Bernini von der Teilnahme ausgeschlossen. Borrominis Gutachten schien seinen Zweck erfüllt zu haben.[17]

1647 erhielt Borromini den Zuschlag für den Brunnen und begann bald darauf mit den konkreten Bauplänen. Ein Jahr später präsentierte Bernini dem Papst einen versilberten Entwurf, der dem Vorschlag Borrominis künstlerisch weitaus überlegen war, aber dennoch auf dessen Konzept basierte.

Borromini plante, am Sockel eines Obelisken die vier Weltströme symbolisch entspringen zu lassen. Der Brunnen sollte die Weite des Platzes betonen, und sich ansonsten harmonisch an die Gegebenheiten anpassen. Berninis Entwurf übertrumpfte künstlerisch und inhaltlich: Er personifizierte die vier Weltströme Ganges, Nil, Donau und Rio della Plata. Ergänzend fügte er Tiere und Pflanzen der vier bekannten Weltteile hinzu. Den Obelisk krönte eine Taube, gleichzeitig Zeichen des Friedens und der Allmacht der Kirche unter Innozenz.[18]

Borromini traf diese Enttäuschung zutiefst: Er hatte ein Jahr intensiver Vorbereitung in das Projekt gesteckt und zuvor sogar die Wasserversorgung des zukünftigen Brunnens entwickelt. Der Brunnen wäre das erste derartige Kunstwerk des Architekten geworden und war für ihn deshalb besonders wichtig. Durch die erfolgreiche Weiterentwicklung seines eigenen Konzepts hatte Bernini eindeutig seine künstlerische Überlegenheit ausgespielt. Allein die Tatsache, dass Berninis Ruhm erneut auf Vorarbeiten Borrominis basierte, musste jener als besondere Demütigung empfinden.

Borromini versuchte wütend den Papst zur Rede zu stellen und verschleppte bewusst Arbeiten an einer weiteren Baustelle.

Er war doppelt geschlagen: einerseits ging der Auftrag an seinen Erzrivalen, andererseits ging der Papst nach Borrominis heftigen Reaktionen auf Distanz zu seinem ehemaligen Schützling und wandte sich fortan Bernini zu.

2.3 Indirekte Auseinandersetzung: Der Kuppelbau von St. Ignazio

Der Vierströmebrunnen war der letzte Schauplatz einer direkten Auseinandersetzung der beiden Architekten. Ihre Rivalität bestand trotzdem fort. Allerdings äußerte sie sich nur noch mittelbar.

1651 gehörten sowohl Bernini als auch Borromini einer Kommission an, die ein Gutachten über den komplizierten Bau einer Kuppel in der Jesuitenkirche S. Ignazio erstellen sollte. Zu den Gutachtern gehörten zudem Girolamo Rainaldi und Alessandro Algardi.

1628 entwarf Orazio Grassi, von den Ideen mehrerer Architekten beeinflusst, ein Modell der Kirche. Er sah Flachdächer mit leichtem Gefälle vor, um die Silhouette der Kirche nicht durch Giebel zu stören. Die Flachdächer sollten zudem begehbar sein und einen Panoramablick ermöglichen. Grassi hatte jedoch nur bis 1632 die Bauleitung inne und wurde dann von Antonio Sasso abgelöst. Sasso, der bereits zuvor an ersten Planungen der Kirche beteiligt war, änderte Grassis Entwurf stark ab und verkomplizierte dadurch den Bau der Kuppel erheblich. Sasso favorisierte ein herkömmliches Spitzdach und erhöhte die Außenmauern beträchtlich. Grassi gab ein Gutachten in Auftrag, dass seine Kritik bestätigte. Grassis begehbare Flachdächer wurden umgesetzt, die erhöhten Außenmauern blieben aber erhalten. Während im Innenraum der Kirche noch Grassis Maße galten und auch die Innenkuppel danach gebaut werden musste, mussten im Außenbereich Sassos Umbauten berücksichtigt werden. Durch die erhebliche Erhöhung der Außenmauern und somit des Flachdachs hätte auch die Außenkuppel erhöht werden müssen.[19]

Drei mögliche Lösungen wurden diskutiert. Die Erste sah vor die Außenkuppel wie geplant zu bauen, sie nahm in Kauf, dass die Kuppel von außen kaum sichtbar durch die Fassade verdeckt würde. Der zweite Ansatz schlug eine Erhöhung der Fundamente der Außenkuppel vor, dies hätte aber die Beleuchtung des Innenraums erschwert und Probleme bei der harmonischen Gesamtabstimmung des Gebäudes nach sich gezogen. Die dritte Alternative schließlich wurde von Orazio Grassi vorgestellt. Er wollte die Kuppel auf der ursprünglichen Höhe, Fassade und Kuppeldach jedoch so miteinander verbinden, dass man die Kuppel als solche nicht von außen erkennen konnte. Somit umging er die Probleme, die der erste Lösungsansatz in sich barg.

Bernini stand den ersten beiden Ansätzen ablehnend gegenüber, da sie nach seiner Meinung in jedem Fall die Wirkung der Kuppel zerstörten. Den dritten Vorschlag lehnte er zwar nicht ab, kritisierte ihn dennoch heftig.

Er brachte einen eigenen Vorschlag ein: Die Dächer des Querhauses sollten deutlich niedriger werden, um wenigstens von der Seite eine freie Sicht auf die Kuppel zu ermöglichen. Bernini berücksichtigte bei seinem Vorschlag jedoch nicht die Hauptseite, das Langhaus, an dem die Fassade unverändert hoch bleiben sollte. Der statische Aspekt des Umbaus wird von Bernini überhaupt nicht thematisiert, ebenso vernachlässigt er Veränderungen in der Perspektive des Innenraums durch die unterschiedlichen Höhen von Lang- und Querhaus.

Bernini präsentierte einen technisch und finanziell äußerst aufwendigen Plan, der jedoch die eigentlichen Problemstellungen nicht hinreichend lösen konnte.

Er musste damit gerechnet haben, dass sein Vorschlag als unbrauchbar abgelehnt wurde. Zum einen erklärt dies die Arbeitssituation bei den Jesuiten: die Konzepte mehrerer Architekten waren bunt zusammengewürfelt verwirklicht worden und auch zur Zeit der Gutachten wurde um die Umsetzung gestritten. Bernini war es als einer der großen Künstler Roms jedoch gewohnt, allein mit der Durchführung eines Projektes betraut zu werden und als einzige Autorität den Verlauf der Arbeiten zu bestimmen. Von sehr viel größerer Bedeutung erscheinen allerdings seine mangelnden technischen Fähigkeiten. Durch ein solches Projekt, das allein architektonisches Fachwissen und weniger künstlerische Fähigkeiten erforderte, hätte Bernini erneut seine Reputation als Architekt riskiert. Die Erinnerungen an den Glockenturm in St. Peter und das Wissen um Borromini als weiteren, ihm überlegenen Gutachter hielten ihn von einem ernsthaften Konzept ab.[20]

Borromini hingegen unterstützte den dritten, Grassis Entwurf. Sein einziger Kritikpunkt war die von Grassi geplante Laterne, die er für überflüssig hielt. Borromini verwies auf andere Kirche, die er entworfen hatte und die nach demselben Prinzip gebaut waren, etwa S. Carlino oder S. Ivo.

Das „Verstecken“ der Kuppel widerspricht vollkommen der römischen Tradition, es stammt aus der Lombardei, der Heimat Borrominis.

Besonders auffällig an Borrominis Gutachten ist der Aufwand und das Interesse, mit dem er Grassis Entwürfe kopierte und prüfte.

Dies beweist erneut seine Professionalität als Architekt. Er setzte sich sorgfältig mit den baulichen Voraussetzungen, den möglichen Lösungen und eigenen Erfahrungen auseinander und präsentierte ein fundiertes Gutachten.[21]

Berninis Entwurf erscheint aufwändiger und ausschließlich auf die optische Wirkung der Kuppel bedacht und ohne jegliche technische Überlegungen gewollt unrealisierbar. Obwohl er zu dieser Zeit kaum Aufträge bekam, war ihm das Risiko einer neuerlichen Blamage zu hoch.

Borromini wollte seine ganze technische Überlegenheit ausspielen, um den Jesuitenorden von der Qualität seiner Arbeit zu überzeugen und um dadurch weitere Aufträge zu erhalten.

Letzten Endes wurde keines der Gutachten umgesetzt. Das Problem von S. Ignazio wurde durch eine Holzdecke mit einer aufgemalten Illusion einer Kuppel gelöst.

Mit dem Tod von Papst Innozenz X. war auch die große Zeit Borrominis zu Ende. Ähnlich wie zuvor Bernini verursachte der Tod des Gönners bei ihm einen nachhaltigen Karriereknick. Der neue Papst Alexander VII. war ebenso wie Bernini Toskaner und holte diesen mit allen Ehren an den päpstlichen Hof zurück.[22] Bernini hatte bald wieder den Status des wichtigsten Künstlers und Architekten Roms inne. Borromini erhielt kaum noch päpstliche Aufträge und wenn, musste er seine Pläne zunächst dem Papst vorlegen und Korrekturen dulden. Eine besondere Erniedrigung des ehemaligen Stararchitekten.

III. BEZÜGE ZUM BAROCK

Der Epoche des Barock war von einem ständigen Widerstreit von Extremen gekennzeichnet. Modernes war noch vormodern und musste sich erst langsam gegen antike und mittelalterliche Gewohnheiten durchsetzen. Die Etablierung des Protestantismus gegen die bislang allmächtige katholische Kirche beantwortete diese mit dem vermehrten Bau von Kirchen, die die Ehrfurcht vor dem insbesondere katholischen Glauben erhalten sollte. Dietrich Schwanitz bezeichnet diese Bauwut als „Propagandakunst der katholischen Kurie“.[23] Bernini und Borromini profitierten von dem Willen der Päpste, der fortschreitenden Säkularisierung ein Bollwerk aus Kirchen entgegenzusetzen. Die Etats für solche Bauvorhaben schienen unendlich groß zu sein, ein Ende nicht in Sicht.

Ebenso wollten die herrschenden Familien ihre Macht und ihren Reichtum repräsentiert sehen. Der in 2.1.1 erwähnte Palazzo Barberini und die dazugehörige Piazza können als Paradebeispiel für diesen Wunsch gelten. Auch wenn Bernini und Borromini zeitweise auf solche Privataufträge angewiesen waren, päpstliche Großaufträge waren aufgrund ihres Geldsegens und der meist uneingeschränkten künstlerischen Freiheit ungleich attraktiver.

„Es gibt nichts Beständigeres als die Unbeständigkeit“, dieses Zitat aus Grimmelshausens „Simplizissimus“ galt für das ganze barocke Europa kurz vor der Aufklärung, aber auch für Bernini und Borromini. Natürlich mussten sie keinen Einmarsch des Protestantismus’ in Rom oder Ähnliches fürchten. Es war vielmehr ihre gesellschaftliche und berufliche Stellung, die sich von jetzt auf gleich drastisch verbessern oder verschlechtern konnte. Vertragliche Bindungen existierten nicht. Allein die Gunst des Papstes bestimmte, ob man zu den wichtigen (und reichen) Künstlern gehörte.

Die Koexistenz von mittelalterlichen Mystizismen und einer neuen Wissenschaft lässt, wenn auch nicht ganz stimmig, auf die Koexistenz zweier Extreme wie Bernini und Borromini übertragen. Bernini arbeitete gerne mit mystischen oder antiken Figuren, Beispiele sind seine Gestaltung des Vierströmebrunnens[24] und seine Plastik des „David“. Sein Desinteresse an technischen Berechnungen steht im krassen Gegensatz zu Borrominis Art, alle Entwürfe durch Proberechnungen mehrfach zu überprüfen und in allem auf Maßstabsverhältnisse zu achten. Borromini verspürte den Drang, die Architektur seiner Zeit voranzubringen, sein Gutachten zu S. Ignazio belegt dies deutlich.

Obwohl Bernini kein Mystiker und Borromini kein Wissenschaftler war, lassen sich dennoch augenscheinliche Elemente des einen Konflikts im anderen wiederentdecken.

Bernini und Borromini wurden also auch im Mikrokosmos Rom von den Problemen und Neuerungen ihres Zeitalters berührt, wenn auch nur mittelbar.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Francesco Borromini und Gianlorenzo Bernini entstammten gänzlich unterschiedlichen Verhältnissen. Berninis Vater war ein angesehener Bildhauer, der seinem Sohn früh Kontakte zu einflussreichen Gönnern verschaffte. Durch diese Protektion konnte Bernini rasch zu bedeutenden Ämtern und zum wichtigsten römischen Künstler aufsteigen. Trotz seiner respektablen Leistungen musste sich Bernini den Vorwurf gefallen lassen, seinen Ruhm mit der Arbeit anderer zu mehren. Dies war auch für Borromini der entscheidende Anlass eine zehnjährige Zusammenarbeit zu beenden.[25] Borromini wurde früh zur Ausbildung nach Mailand geschickt. Nach einer Steinmetzlehre und einigen Jahren Arbeit, ging er nach Rom, wo er als Assistent des Petersbaumeisters Maderno die Grundlagen der Architektur lernte.

Als Papst Urban VIII. überraschend Bernini mit dem Hochaltarziborium betraute, kreuzten sich die Wege der beiden zum ersten Mal. Es begann eine Phase der freundschaftlichen Zusammenarbeit, in der sich Borromini mehr und mehr vom Assistenten zum ebenbürtigen technischen Berater wandelte.

Frustriert von der Nichtanerkennung seiner Leistungen und von dem Wunsch getrieben, eine eigene Karriere zu starten, trat Borromini von allen gemeinsamen Projekten zurück.

Seine Rachegelüste und sein Ziel, an Berninis Stelle päpstlicher Günstling zu werden, motivierten ihn, 1644 ein vernichtendes Gutachten über die Statik des von Bernini entworfenen Glockenturms in St. Peter zu verfassen. Es gelang ihm, Berninis Ruf als Architekt dauerhaft zu schädigen.

Unter Papst Innozenz X. wandelten sich die Machtverhältnisse: Der von der Barberini- Familie protegierte Bernini fiel in Ungnade, Borromini wurde sein Nachfolger.

Borromini wurde 1647 mit dem Bau des Vierströmebrunnens betraut. Bernini gelang es jedoch, durch einen künstlerisch deutlich überlegenen Entwurf anstelle von Borromini mit der Durchführung des Projekts betraut zu werden.

Es folgten keine derartigen direkten Auseinandersetzungen mehr, ihre Rivalität war nur noch indirekt wahrnehmbar. Nachdem beim Bau einer Kuppel in S. Ignazio Schwierigkeiten zu erwarten waren, wurden u.a. Bernini und Borromini mit Gutachten beauftragt. Ihre Ergebnisse spiegeln ihre Arbeitsweisen und Charaktere wieder: Bernini propagierte einen äußerst aufwändigen und nur bedingt sinnvollen Eigenentwurf, während Borromini sich ausgiebig mit den gegebenen Vorschlägen auseinandersetzte und einen ausgereiften Entwurf ablieferte.

Unter Papst Alexander VII. wandelte sich das Blatt abermals: Bernini wurde mit allen Ehren an den päpstlichen Hof zurückgeholt, Borromini ins Abseits geschoben. Er starb 1667 an den Folgen eines Selbstmordversuchs.

V. LITERATUR

- Avery, Charles: Bernini. München 1998
- Blunt, Anthony: Borromini. München, 1994
- Burbaum, Sabine: Die Rivalität zwischen Francesco Borromini und Gianlorenzo Bernini. Oberhausen, 1999
- Porthoghesi, Paolo: Francesco Borromini. Baumeister des römischen Barock. Stuttgart und Zürich, 1977

Abbildungen:

- Abb. 1-4; 6-7: Burbaum, Sabine: Die Rivalität zwischen Francesco Borromini und Gianlorenzo Bernini. Oberhausen, 1999

- Abb. 5: www.uic.edu/depts/ahaa/classes/ ah111/L19/19-14.jpg (28.08.2002)

[...]


[1] Raspe, M. 1994, S.13

[2] Burbaum, S. 1999, S.28-37

[3] Porthoghesi, P. 1977, S. 10

[4] Burbaum, S. 1999, S.37-45

[5] Pollak, 1908, S. 44ff

[6] Pollak, 1908, S.50

[7] Burbaum, S. 1999, S.46f

[8] Burbaum, S. 1999, S.47

[9] Burbaum, S. 1999, S.66

[10] Burbaum, S. 1999, S.71f

[11] Burbaum, S. 1999, S.107f

[12] Burbaum, S. 1999, S.109

[13] Burbaum, S. 1999, S.110f

[14] Blunt, A. 1979, S.16ff

[15] Pollak, F. 1908, S.118

[16] Burbaum, S. 1999, S.123

[17] Pollak, F. 1908, S.81

[18] Avery, Ch. 1998, S.196f

[19] Burbaum, S. 1999, S.213ff

[20] Burbaum, S. 1999, S.216ff

[21] Burbaum, S. 1999, S.219ff

[22] Blunt, A. 1979, S.183f

[23] Schwanitz, D. 1999, S.284

[24] Pollak, F. 1908, S.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Die Rivalität zwischen Bernini und Borromini
Université
University of Augsburg
Cours
PS
Note
2
Auteur
Année
2001
Pages
16
N° de catalogue
V107545
ISBN (ebook)
9783640058037
Taille d'un fichier
467 KB
Langue
allemand
Annotations
Ohne Abbildungen!
Mots clés
Rivalität, Bernini, Borromini
Citation du texte
Florian Herbst (Auteur), 2001, Die Rivalität zwischen Bernini und Borromini, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107545

Commentaires

  • invité le 28/5/2008

    Super!.

    Ich muss eingestehen, dass die hier vorliegende Facharbeit sehr ausführlich und toll formuliert ist. Großes Lob an den Autor!

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