Konflikte um katholische Volksfrömmigkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert


Seminar Paper, 2001

21 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Volksreligiosität und Volksfrömmigkeit
1.2 Die Unterscheidung von offizieller- und Volksreligiosität
1.3 Problemstellung und Erklärung der Vorgehensweise

2 Die Beziehung zwischen Staat und Volksreligiosität
2.1 Die Opposition zur Moderne
2.2 Die Kölner Wirren
2.3 Die Milieubildung und der politische Katholizismus
2.4 Die Schulaufsicht
2.5 Der Kulturkampf
2.6 Weitere Konflikte in Zusammenfassung

3 Die Beziehung zwischen Kirche und Volksreligiosität
3.1 Der Deutschkatholizismus
3.2 Die Kontrolle über Kulte und Kongregationen
3.3 Der Feiertagsstreit im Rheinland

4 Die Beziehung zwischen Volk und Volksreligiosität
4.1 Bildung und soziale Lage im Verhältnis zur Volksfrömmigkeit
4.2 Die Feminisierung der Volksreligiosität

5 Schlußwort

6 Quellen

7 Literatur

1 Einleitung

Zur Hinführung in die Themenstellung sollen eingangs einige Begriffe und ihre Herkunft näher erläutert werden.

1.1 Volksreligiosität und Volksfrömmigkeit

Der Begriff „Volksreligiosität“ entstammt dem Begriff „Volksreligion“, „einer Entdeckung des 18.Jahrhunderts. Sie stand in den Augen der aufgeklärten Kirchenkritik für geistige Rückständigkeit und Unwissenheit breiter Volksschichten“[1]. Seit 1901 ist die Volksreligiosität, unter dem Terminus „Religiöse Volkskunde“ (/später „Kirchliche Volkskunde“), ein „Tätigkeitsfeld der praktischen Theologie“, und meint christlichen Volksglauben, eine Art christlicher Aberglaube, der deutlich von „nicht- oder vorchristlichem Aberglauben abgesetzt“ wird[2].

Dieser Aberglauben ist nach Max Webers Unterscheidung von offizieller- und Massenreligion Teil einer „popularisierten Massenreligion“[3].

„Volksfrömmigkeit“ wird in der profanen Forschung als Begriff für „Laienreligiosität der christlichen Kirchen“ benutzt[4]. Dieser ist ebenfalls mit der Verwendung Max Webers Begriffs der „popularisierten Massenreligion“ gleichzusetzen.

Die Verwendung beider Begriffe (Volksreligiosität und Volksfrömmigkeit) ist in der vorliegenden Betrachtung synonym, da sie sich hauptsächlich nur von ihrer Herkunft unterscheiden.

1.2 Die Unterscheidung von offizieller- und Volksreligiosität

Wie schon erwähnt wird die offizielle Religion, die nur von einer privilegierten Intellektuellen Priesterelite verstanden und vertreten wird, von der Volksreligion der „unerleuchteten“ einfachen Leute unterschieden[5]. Der Intellektuelle sucht durch Religiosität die Erlösung von einer „inneren Not“, d.h. er sucht den Sinn seines Lebens, während der Laie dadurch die „äußere Not“, d.h. den weltlichen Überlebenskampf, zu bewältigen versucht[6]. Die Verbindung von offizieller und Laienreligiosität ergebe sich laut Weber daraus, daß sich die Priesterelite um eine bewußte Organisierung der Massenreligiosität bemühen müsse, um ihre gesellschaftliche Sonderstellung zu legitimieren[7].

Einen zweiten logischen Grund für die Benutzung von Laienpraktiken durch Priester erklärt sich Weber wie folgt:

„Je mehr also eine Priesterschaft die Lebenspraxis auch der Laien dem göttlichen Willen entsprechend zu reglementieren und, vor allem darauf ihre Macht und ihre Einkünfte zu stützen trachtet, desto weiter muß sie in der Gestaltung ihrer Lehre und ihres Handelns dem traditionellen Vorstellungskreise der Laien entgegenkommen.“[8]

1.3 Problemstellung und Erklärung der Vorgehensweise

Die Leitfrage der Arbeit: ‘welche Konflikte werden von volksfrömmischen Bewegungen getragen?‘ wird im folgenden Hauptteil in Beziehung mit den Faktoren Staat, Kirche und Volk gesetzt. Diese Vorgehensweise erscheint mir, aus der Möglichkeit dadurch ähnliche Konfliktursachen zusammenfassen und gliedern zu können, und aufeinander Aufbauende verknüpfen zu können, sinnvoll. Es werden hier also lediglich Konflikte zwischen Volksreligiosität und den jeweiligen Unterpunkten (Staat, Kirche, Volk) diskutiert, nicht aber Konflikte zwischen den Unterpunkten, da sie die Leitfrage nicht enthalten. Beispielsweise wird der Kulturkampf als eigentlicher Konflikt zwischen Staat und Kirche nur in soweit erwähnt, wie er in Beziehung zur Volksreligiosität steht.

Zur Begriffserklärung verwendete Quellen, die in der Einleitung schon erwähnt wurden, sind Werke von Max Weber und Winfried Schulze. Quellen zu den Unterpunkten stellen einerseits die Dokumentensamlung zur Geschichte des Staatskirchenrechts von Ernst Rudolf Huber[9], andererseits eine zeitgenössische Eigenpublikation des später noch erwähnten Kölner Erzbischof Vischering[10] und ein kritisches Überblickswerk zu Staat und Kirche[11] von einem zeitgenössischen evangelischen Theologen[12] dar. Die Literatur gliedert sich neben Überblickswerken von Nipperdey und Siemann hauptsächlich nach den Unterpunkten Staat (Blessing, Lepsius), Kirche (Busch, Herres) und Volk (Ulenhusen, Busch, Herres). Die Miteinbeziehung soziologischer (Ebertz), volkskundlicher (Mohrmann) und sozialgeschichtlicher (Schieder) Aufsatzsammlungen ist für den komplexen Zusammenhang mit dem Thema essentiell und bietet wichtige Informationen für jeden Unterpunkt. Vor allem der Literaturbericht von Lönne[13] war hilfreich bei der Auswahl der Sekundärliteratur und verschaffte mir zusätzlich einen guten Gesammtüberblick.

2 Die Beziehung zwischen Staat und Volksreligiosität

Der Untergang des Reichskirchensystems war 1806 besiegelt, der Reichsdeputationshauptschluß von 1803, dessen Inhalt die staatliche Übernahme von kirchlichem Besitz bedeutete, hatte die weltliche Entmachtung der Kirche zur Folge. Diese als „Säkularisation“ bekannten Tendenzen zogen gleichzeitig die „Säkularisierung“, d.h. die zunehmende „Entchristianisierung“[14] in der Mentalität der Bevölkerung, nach sich. „Der Wiener Kongreß hatte vermieden, die Kirche im Rahmen des Deutschen Bundes zu reorganisieren“[15], die deutschen Einzelstaaten regelten das Verhältnis zwischen Staat und Kirche mittels Konkordaten, „die traditionelle Verbindung beider Gewalten sollte aufgelöst werden; das war die Tendenz des Jahrhunderts“[16].

„Herrschaft und Religion erfüllen als elementare Bindung gesellschaftliche Grundbedürfnisse. Die Rolle des Gläubigen und die des >Beherrschten<, d.h. für Europa die des Christen und die des Untertanen bzw. Bürgers bestimmen die Mentalität besonders weitreichend“[17]. Im speziellen ergab sich aber nach 1848/49, durch eine enorme Revolutionsangst aller Fürsten der Einzelstaaten im deutschen Bund, der Wunsch nach einer antirevolutionären Sozialisation mittels der katholischen Kirche, ihrem „Kultmonopol“ und ihrer „Daseinsinterpretation“[18]. Somit wird während der Reaktionsära das altbewährte Bündnis von Thron und Altar von den Bundestaaten wieder bewußt gefördert und gefestigt, da sich diese dadurch eine Entschärfung der Lage versprechen. Als effektivstes staatliches Mittel zur aktiven Unterstützung der kirchlichen Frömmigkeitssteuerung „wurde die Pflichtvolksschule [...] zur gezielten und kontrollierten Prägung der Breitenmentalität aufgebaut“[19].

Diese Chance zur Machterweiterung ließ sich der politische Katholizismus nicht entgehen. Trotz derartiger staatlicher Zugeständnisse hatten „die Parole (und die Tatsache), daß der katholische Glaube und die katholische Kirche von Staat und Liberalismus bedroht waren, und die Meinung, daß Zusammenhalt, Abgrenzung und Integration darum absolut notwendig seien, kirchlich gesehen Erfolg“[20]. Die bewußte Förderung der volksfrömmischen Kulte und die hermetische Abgrenzung von anderen und selbst von gemäßigten katholischen Ideologien, „in großen geschlossenen katholischen Gebieten ([z.B.:] Altbayern, Oberpfalz, Allgäu, Oberschwaben, Hochschwarzwald, Westfalen, Niederrhein)“[21], waren dabei die wirkungsvollsten Mittel und eine sichere Machtbasis.

2.1 Die Opposition zur Moderne

Als grundsätzlichen Konflikt im 19. Jahrhundert zwischen Staat, katholischer Kirche und Volksreligiosität in Deutschland, ist die Gegenposition des katholischen Milieus zur Moderne zu nennen. Die Vernunft, die Aufklärung und das Vertrauen auf Wissenschaft und Technik stand im Widerspruch zum „Glauben an die göttliche Offenbarung und die lehramtliche Tradition“[22]. Diese Opposition verhärtet sich zunehmend mit der Ultramontanisierung und dem pianischen Pontifikat. Die Generation des aufgeklärten Klerus wurde rasch durch ultramontane Neuscholastiker abgelöst[23]. Antimoderne Dogmen des Papstes nahmen an Radikalität zu, 1854 die Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Mariens und 1864 dem Syllabus, eine Enzyklika über 80 Irrtümer der Zeit, d.h. „eine geballte Kampfansage an die moderne Welt“ u.a. auch an die „Staatskirche, Staatsschule; Liberalismus [...], Volkssouveränität und Demokratie, [...]“[24]. 1870 beanspruchte er mit dem Unfehlbarkeitsdogma „im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu sein“[25].

[...]


[1] Wolfgang Schieder: Einleitung. In: Wolfgang Schieder (Hg.): Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, Göttingen 1986, S. 7 – 8.

[2] Zitiert und referiert nach Ebd. S. 7 – 9.

[3] Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Aufl., Tübingen 1972 (Studienausgabe), S. 307.

[4] Zitiert und referiert nach Wolfgang Schieder: Einleitung..., S. 9.

[5] Zitiert und referiert nach Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft…, S. 307 - 308.

[6] Zitiert und referiert nach Ebd. S. 307 - 308.

[7] Vgl. Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 5. Aufl., Tübingen 1963, S. 540 – 541.

[8] Ebd. S. 284.

[9] Huber, Ernst Rudolf / Huber, Wolfgang: Staat und Kirche im 19. Und 20. Jahrhundert, Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts (=Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs: 1848 – 1890, Bd. 2), Berlin 1976.

[10] Vischering, Franz Freiherr Droste zu: Über Kirche und Staat, 2.Aufl., Münster 1838.

[11] Fabri, Friedrich D.: Staat und Kirche, Betrachtungen zur Lage Deutschlands in der Gegenwart, Gotha 1872.

[12] Fabri Friedrich, evangelischer Theologe (*1824 - +1891),“[…]energische und intensive Teilnahme an allen Fragen um die Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat.“(Neue Deutsche Biographie: Vierter Band, Berlin 1995, S. 727.)

[13] Karl-Egon Lönne: Katholizismus-Forschung. In: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000) , S 128 – 170.

[14] Vgl. die Begriffsverwendung von Winfried Schulze: Einführung in die Neuere Geschichte, Stuttgart 1996, S. 65 –70.

[15] Wolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat 1806 – 18071. München 1995, S. 280.

[16] Ebd. S.279.

[17] Werner K. Blessing: Staat und Kirche in der Gesellschaft, Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19.Jahrhunderts (=Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 51), Göttingen 1982, S. 16.

[18] Zitiert nach Ebd. S. 16-18.

[19] Ebd. S. 19.

[20] Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800 - 1866, München 1983, S. 414.

[21] Michael N. Ebertz: Maria in der Massenreligiosität. Zum Wandel des popularen Katholizismus in Deutschland. In:Michael N. Ebertz / Franz Schultheis: Volksfrömmigkeit in Europa, Beiträge zur Soziologie popularer Religiosität aus 14 Ländern, München 1986, S. 72 – 73.

[22] Busch, Norbert: Katholische Frömmigkeit und Moderne, Die Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Herz-Jesu-Kultes in Deutschland zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, Gütersloh 1997, S. 20.

[23] Referiert nach Werner K. Blessing: Staat und Kirche in der Gesellschaft..., S. 132 –133.

[24] Zitiert und referiert nach Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte…, S. 413.

[25] Norbert Busch: Katholische Frömmigkeit und Moderne..., S. 21.

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Details

Title
Konflikte um katholische Volksfrömmigkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert
College
LMU Munich
Course
Wirtschaft, Alltag, Staat und Gesellschaft in Deutschland 1846 - 1866
Grade
2,0
Author
Year
2001
Pages
21
Catalog Number
V107653
ISBN (eBook)
9783640059041
ISBN (Book)
9783656071341
File size
725 KB
Language
German
Notes
Ein weitgefächerter Überblick zum katholisch-christlichen Milieu im 19. Jh.
Keywords
Konflikte, Volksfrömmigkeit, Deutschland, Wirtschaft, Alltag, Staat, Gesellschaft, Deutschland
Quote paper
Thomas Oliver Schindler (Author), 2001, Konflikte um katholische Volksfrömmigkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107653

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