Wirtschaftsethik - Aktuelle wirtschaftspolitische Problemstellungen unter dem Aspekt der theoretischen und praktischen Vernunft

Stand 2003


Seminar Paper, 2003

41 Pages


Excerpt


Inhalt

0. Einleitung

1. Ethik
1.1. Entstehung und Entwicklung der Ethik als Wissenschaft
1.1.1. Sokrates
1.1.2. Aristoteles
1.1.3. Kant

2. Wirtschaft und Gesellschaft

3. Wirtschaftsethik und Volkswirtschaft

4. Der Staat als ethische Institution

5. Größe und Wachstum als institutionsverändernde Kraft
5.1. Kolonisation und Staatenzusammenschlüsse
5.2. Multinationale Unternehmenszusammenschlüsse

6. Die Grundproblematik von Interessenszusammenschlüssen

7. Konsequenzen aus dem Nash-Gleichgewicht und Formulierung der Hauptprobleme

8. Lösungsansätze

9. Institutionelle Ansätze ethischer Grundlagenpolitik
9.1. Institutionelle Wirtschaftsethik am Beispiel des „Millennium Challenge Accounts“
9.2. Angewandte Wirtschaftsethik am Beispiel ausgewählter Unternehmen in Indien
9.3. Kritische Schlußbetrachtung am Beispiel der amerikanischen Handelspolitik

10. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Waffenexporte, Bilanzfälschungen, Dumpinglöhne, Umweltverschmutzung, Schwarzarbeit, Armut, Verelendung – oder sogar Krieg. Welche Verantwortung trägt die Weltwirtschaft, trägt sie überhaupt eine, und seit wann, warum und in welchem Maße? Ist die Wirtschaft Lösung oder Ursache dieser Probleme oder sogar beides?

Um eine Annäherung an das Thema „Wirtschaftsethik" zu ermöglichen, ist es erforderlich, zunächst die Begriffe „Wirtschaft" und „Ethik" getrennt voneinander zu erfassen und einzuordnen. Daher verwende ich den ersten Teil dieser Arbeit dazu, „Ethik“ im Allgemeinen zu beschreiben, ferner den Begriff „Wirtschaft" zu definieren, um damit über den Begriff „Gesellschaft“ die Probleme im Raum der Geschichte zu veranschaulichen und Lösungsperspektiven aufzuzeigen. Einen besonderen Schwerpunkt habe ich dabei auf die Entstehungshintergründe dieser Probleme gelegt. Probleme, wie Verschuldung oder Umweltverschmutzung sind nicht einfach da, sondern entstehen durch einen Prozeß komplexer Wirkungszusammenhänge. Bevor ich dazu übergehe, die Lösungsansätze zu beschreiben, stelle ich die Problembildungen anhand Ihrer Entstehungsgeschichte dar.

Im Verlauf meiner Studien erkannte ich, daß es nicht ausreicht, Philosophen, allen voran Aristoteles, als bloße Lieferanten für Begrifflichkeiten wie eben „Ethos“ oder für Definitionen zu verwenden, sondern, daß deren Erkenntnisse, wie eben die der praktischen und theoretischen Vernunft sehr wohl auch auf aktuelle Probleme zutreffen können. Daher hielt ich es für angebracht, neben Wirtschaftswissenschaftlern, auch Zitate von Philosophen, wie eben Aristoteles oder Nietzsche zu verwenden. Der Grund, warum in dieser Arbeit hingegen andere Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler, wie Platon, Marx oder Locke überhaupt nicht, oder nur am Rande erwähnt werden, liegt darin, daß es erstens meine recht knapp bemessene Ausarbeitungszeit nicht zugelassen hat, und zweitens, daß es dann ganz sicher den Rahmen dieser schon recht umfangreich ausgefallenen Hausarbeit gesprengt hätte.

1. Ethik

Bereits die Einleitung des Buches von Schrey „Einführung in die Ethik" macht klar, daß es sich hierbei um ein sehr komplexes Thema handelt, welches sich nicht mit wenigen Sätzen beschreiben läßt. Deshalb provoziert Schrey darin auch mit dem Kommentar, eine Ethik gäbe es eigentlich nicht, in die einzuführen wäre, sondern vielmehr „eine Vielzahl von Entwürfen, eine große Differenzierung von Fragestellungen und Lösungsversuchen, eine Problemspezialisierung, die sowohl mit der Verschiedenheit der Schulrichtungen als auch mit der immer komplizierter werdenden Struktur unserer Welt zusammenhängt" (Schrey 1972, S. S. 9). Dennoch läßt sich für eine anfängliche Umschreibung dieses Themas das Brockhaus-Lexikon wie folgt zitieren: „Ethik (griech.): Moral- oder Sittenlehre, Zweig der Philosophie, der die Beurteilung der sittlichen Werte (gut oder böse, sein sollend oder nicht sein sollend), die Herkunft und Grundsätze der Sittlichkeit zum Gegenstand hat (auch praktische Philosophie genannt). Zwar begnügt sich Schrey dennoch mit der Kurzdefinition der Ethik als „Motivationslehre menschlichen Handelns" (Schrey, ebenda, S. 9), dies jedoch nur als Kurzformel, um einen Einblick in das Reich verschiedenster Interpretationsmöglichkeiten zu geben. Diese haben überwiegend die Eigenschaft der Konformität. Doch mit wem oder was? So kann Ethik je nach Auslegung verstanden werden als Konformität mit dem Sein, das als solches das Gute ist, Konformität mit der theoretischen Vernunft, dem sittlichen Gefühl, mit dem freien Willen, dem sittlichen Sollen, sowie mit dem Reich der Werte (Schrey, ebenda, S. 9). Eine andere Definition versteht Ethik, als die philosophische Reflexion über Moral. Sie sucht nach Begründungen für die Maßstäbe, nach denen gutes oder verwerfliches Handeln des Menschen beurteilt werden kann, wobei sie stets für die Kritik solcher Maßstäbe offen bleibt (Ho, 2000, S.1). Es ist zunächst zu untersuchen, welche Faktoren bei der Begründung des Handelns eine Rolle spielen. Hier bieten sich sowohl personale, soziale, historische als auch institutionelle Ansatzpunkte an (Schrey, 1972, S. 9) und die übermäßige Gewichtung nur eines dieser Faktoren kann bereits zur Ausprägung kontroverser Standpunkte führen.

1.1. Entstehung und Entwicklung der Ethik als Wissenschaft

Bereits die sprachliche Untersuchung der Wortherkunft von „Ethik" läßt auf einen hellenistischen Ursprung schließen. Das altgriechische Wort „edoV“ bedeutet soviel wie „Charakter" und wird in anderen Quellen auch mit „Sitte", „Sittlichkeit", sowie mit „Gewohnheit" oder „Brauch" übersetzt.

1.1.1. Sokrates

Sokrates (469 - 399 v. Chr.) gilt als Vordenker hellenistischer Philosophie, indem er erstmalig aus der bis dahin unter griechischen Gelehrten praktizierten Methodik, der orakelmäßig abgegebenen und im Tone des Weisen vorgetragenen Gutachten über Natur und Sitte, Gesetz und Herkommen, Götter und Menschen ausbrach. An dessen Stelle setzte er die Relativität der Wahrnehmungen, die Bedingtheit des menschlichen Urteils und die Unvollkommenheit des positiven Rechts und schuf damit eine so noch nie dagewesene Mehrseitigkeit der Betrachtung (Dittrich 1926, S. 168). Sokrates entwickelte die Gesprächsform, die ihn berühmt machte und die noch heute als „Sokratische Methode" bekannt ist. „Er wußte seinen Mitunterredner durch geschickt gestellte Fragen zur Ausbreitung seines Bewußtseins vor ihm zu veranlassen, durch fragende Zergliederung der dabei zutage kommenden Vorstellungen den darin verborgenen, bisher unbewußten Gedanken herauszuheben und dabei - in der Regel - diesen Mitunterredner auch seines bisherigen Scheinwissens, d.h. Nichtwissens zu überführen" (Dittrich, ebenda, S. 172). Er wandte als erster praktisch in seinen Gesprächen das induktive und definitorische Verfahren als unentbehrliches Hilfsmittel der Forschung vor allem in ethischen Fragen konsequent an (Dittrich, ebenda, S. 170). „Induktion, die zur Definition führt, ist darum der erste wesentliche Zug auch seiner ethisch-wissenschaftlichen Methode" (Dittrich, ebenda, S. 170). Der Begriff „Dialektik“ schließlich, übersetzt „Unterredungskunst", die „Kunst der Wahrheitsermittlung durch wohlgestellte Fragen und passende Antworten zu sein, ist der letzte und, was ihre sittliche Auswirkung betrifft, unzweifelhaft wichtigste Zug der sokratisch-ethischen Methode" (Dittrich, ebenda, S. 173). Berühmt wurde Sokrates bis in die heutige Welt daher mit seinem Ausspruch: „Ich weiß, daß ich nichts weiß", wobei das „Nichtwissen" im sokratischen Sinne nichts Absolutes, sondern etwas Relatives darstellt. Gemessen an der Unendlichkeit wird man sich an der Idee des noch zu erarbeitenden begrifflichen Wissens ständig unwissend vorkommen (Dittrich, ebenda, S. 171).

1.1.2. Aristoteles

An eine systematische Darstellung des „sittlichen Verhaltens" war Sokrates jedoch nicht interessiert, da er lediglich seine Ansichten an bestimmten, sich ihm eben darbietenden Fällen entwickelte (Dittrich, 1926, S. 169) und genau hier setzte Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) an, der deshalb als Begründer der Ethik gilt und allgemeingültige Grundlagen sowie Definitionen auf diesem Gebiet geschaffen hat. Allerdings verstand Aristoteles unter „Ethik" zunächst etwas ganz anderes, als dies heute der Fall ist (Dittrich, ebenda, S. 253). „Mit Normen für das menschliche Handeln oder mit Werturteilen darüber hat es an sich gar nichts zu tun" (Dittrich, ebenda, S. 253). Schuld an diesem historischen Mißverständnis ist der Titel der aristotelischen Schrift mit dem Titel „Ethika", aus dem die darin beschriebene „Tugend des Ethos" in den Begriff „Ethos" selbst hineininterpretiert wurde (Dittrich, ebenda, S. 253). Vielmehr ist das „Ethos" an sich zunächst gar kein „ethischer", sondern ein rein psychologischer Begriff, der sich zunächst auf „Lust" und „Unlust" bezieht (Dittrich, ebenda, S. 253 f.). Ferner bezieht sich das Ethos auf die Leidenschaften, wie Liebe, Haß, Zorn, Freude, Mut, Furcht, Sanftmut, Sehnsucht, Leid, Mitleid und Begehren, also auf den „Vernunftlosen Teil der Seele", ja „Ethos" versteht sich bei Aristoteles gar als das Gegenteil von „Vernunft".(Dittrich, ebenda, S. 254). Ethos und Vernunft haben gleichermaßen Einfluß auf das Handeln. Praktische, das heißt auf die Handlung als solche ausgerichtetes Vernunftvermögen bezeichnet Aristoteles als „Praktische Vernunft", da der Handlung eine gedachte Zweckmöglichkeit vorangeht, indem eine Befragung des Begehrungsvermögen hergestellt wird, die das Begehren selbst entweder überflüsig (positiv) oder hinfällig (negativ) macht (Dittrich, ebenda, S. 248 f.). Aristoteles lehrt weiterhin den Vorrang des Intellekts vor dem Begehren bei der vernünftigen Handlung. Als gedachte Weiterentwicklung zur „Praktischen Vernunft" stellt Aristoteles die darauf aufbauende „Theoretische Vernunft", dem „Wissen", das im Gegensatz zu der bloßen, keine Wahrheit verbürgenden Meinung durch zwingende Schlüsse oder Beweise hergestellt wird (Dittrich, ebenda, S. 250). Wer so die Wahrheit umfaßt, der besitzt als echter Philosoph die Tugend der theoretischen Vernunft (Dittrich, ebenda, S. 250). Diese jedoch stellt als “göttliche Vernunft” Modellcharakter dar, der sich der Mensch zwar nähern sollte, nie aber erreichen wird. Deshalb verweist Aristoteles auf die Maßgaben der anderen Tugend, nämlich derjenigen der praktischen Vernunft.

Doch dazu müssen vorher noch weitere Kernfragen geklärt werden. Eine der wichtigsten Kernfragen, ist, was der Mensch überhaupt will. Was ist die Grundlage seines Handelns? Aristoteles unterschied zwischen drei Merkmalen, wovon Handlung und Wahrheit abhängen: Wahrnehmung, Vernunft und Begehren. Die praktische und theoretische Vernunft wurde bereits hinlänglich erklärt. Im Begehren unterscheidet Aristoteles verschiedene Bedürfnisse: An die Nahrungssuche schließt die Sorge um die Erhaltung der Menschenart an, gefolgt vom Selbsterhaltungstrieb oder dem Streben, sich in der Eigentümlichkeit seines Wesens so lange wie möglich zu erhalten. Die Begierde nach Reichtum, z.B. der nur die Mittel zum Leben gewährt, ruht letztlich auf dem Streben nach Leben. Die Begierde nach Ehre sucht, da die Ehre ein Bürgervorrecht ist, das Leben im Staate (Dittrich, ebenda, S. 256 f.).

1.1.3. Kant

Immanuel Kant (1724 – 1804) führt den Gedanken der praktischen und theoretischen Vernunft weiter. Für ihn richtet sich die praktische Vernunft nunmehr nach den Prinzipien menschlichen Handelns, während die theoretische Vernunft auf den Gewinn von Erkenntnissen und Erfahrungen aufgebaut ist (Ho, 2000, S. 2). Sie ist daher eine lernende Vernunft. In seinem 1781 erschienenen Werk „Kritik der praktischen Vernunft“ übt Kant Kritik an der mittlerweile praktizierten Unterordnung dieses Begriffes in geschichtliche und gesellschaftliche Sachzwänge und schafft daher den kategorischen Imperativ, nach dem moralische Normen grundsätzlich und immer gelten sollen (Horn, 1996, S. 46). Eine Befolgung eines kategorischen Imperativs hängt also nicht von den genauen Umständen einer Situation ab. Die Ethik des Kant ist die, denen sich der Mensch freiwillig unterwirft (Horn, ebenda, S. 46). Der kategorische Imperativ fordert zu Handlungen auf, die an sich gut sind, und genau da setzen auch die Kritiker Kants an, schließlich können komplexe Situationen eine solche Urteilskraft nicht herausfordern. Zudem kann man zahllose Beispiele konstruieren, bei denen die Befolgung des kategorischen Imperativs der Verrat höherer Werte zur Folge hätte (Horn, ebenda, S. 47).

2. Wirtschaft und Gesellschaft

Für Aristoteles ist der Mensch immer in das Ganze einer Gemeinschaft eingeordnet. Er muß deshalb in dieser Gemeinschaft tätig sein und sein Handeln auf Ziele ausrichten (Ho, 2000, S.2). Warum aber wird das Vorhandensein einer Gesellschaft geradezu zur Bedingung gemacht und ab wann können wir geschichtlich von der Existenz einer Gesellschaft sprechen? Der Mensch fing an, „statt wie es über ungemessene Zeiträume geschah, als Sammler oder Jäger sich anzueignen, was er in seiner natürlichen Lebenswelt an Gütern und Daseinsbewältigung vorfand, fing er in erdgeschichtlich jüngster Zeit an, selbst zu pflanzen, den Boden zu kultivieren, Tiere zu domestizieren, Werkzeuge zu schaffen, Geräte zu erfinden und zu entwickeln, also hervorzubringen, zu produzieren, was es nicht von selber gab" (Rich, 1990, S. 22). Aristoteles sieht den Beginn des Wirtschaftens bei sämtlichen Lebensweisen, die eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit beschreiben. Diese verbanden sich, um sich das Leben angenehmer zu machen, indem sie dem Mangel da beseitigten, wo er hervortrat und das Sichselbstgenügen störte. (Aristoteles, 1994, S. 60). Spezialisierte Tätigkeiten, die immer spezielleres Wissen und spezialisierte Werkzeuge erforderten, führten letztendlich zur Ausprägung von Spezialisten, deren ausschließliche Aufgabe es war, Eisenwerkzeuge zu schmieden, Mehl zu mahlen oder Brot zu backen. „Mit dieser produktiven, kulturbegründeten Tätigkeit beginnt das, was wir „Wirtschaft" nennen" (Rich, 1990, S. 22). Dem Menschen ist es nun möglich, „über den Eigenbedarf hinaus Güter zu erzeugen und die Mehr-Produkte gegen andere, die er individuell nicht selbst produzieren vermag, auszutauschen. (Rich, ebenda, S. 22). Damit beginnt er aber gleichzeitig, sich von der Option, als nicht-gesellschaftliches Individuum zu leben, zu verabschieden. Denn die arbeitsteilige Wirtschaft ermöglicht nicht nur den Tauschhandel, sie erfordert ihn auch. Ein Eisenschmied kann sich nicht von seinen Eisenwerkzeugen ernähren, wenn er sie nicht gegen Brot eintauschen kann. Der Mensch ist also von nun an gezwungen, an der Gesellschaft als kollektive Daseinsform zu partizipieren. Daraus ist erstens abzuleiten, daß die Begriffe „Wirtschaft" und „Gesellschaft" untrennbar miteinander verbunden sind, und zweitens, daß die Gesellschaft, auf eine Form der Ethik, die das Zusammenleben regelt und optimiert, angewiesen ist. Aristoteles beschreibt die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der menschlichen Gesellschaft und begründet es so: „Denn wie der Mensch in seiner Vollendung das edelste aller Lebewesen ist, so wiederum losgerissen von Gesetz und Recht das schlimmste von allen". (Aristoteles, 1994, S. 48).

Eine zentrale Rolle für das Wirtschaften spielt das Privateigentum. Bereits für Aristoteles stellt das Privateigentum die Vorbedingung für die Tugend der Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit dar. (Waibl, 1988, S. 39). „Denn je mehr etwas vielen gemeinsam angehört, desto weniger wird für dasselbe Sorge getragen. Vielmehr für das Eigene sorgt man vorzugsweise, für das Gemeinsame aber weniger oder doch nur, soweit es den Einzelnen berührt“ (Aristoteles, 1994, S. 80). Für Cicero ist das Verlangen nach Sicherung des Privatbesitzes überhaupt erst der eigentliche Grund, weshalb sich die Menschen zu einer bürgerlichen Gemeinschaft in einem festen Staatswesen zusammengeschlossen haben (Waibl, 1988, S. 39 f.).

3. Wirtschaftsethik und Volkswirtschaft

Da das Wirtschaften nun als Ausprägungsursache der Gesellschaft bekannt ist, läßt sich der Begriff „Wirtschaftsethik" als wirtschaftlich ausgerichteter Zweig der Ethik am ehesten mit dem Begriff „Volkswirtschaft" in Verbindung bringen, da die Volkswirtschaft die wirtschaftliche Ausprägungsform der Gesellschaft darstellt. Bereits bei Aristoteles stellt das Wirtschaften keine eigenwertige und in sich selbst zweckhafte Sphäre dar, sondern ist Mittel zum guten und rechten Leben (Waibl, 1988, S. 43). In der Literatur findet sich für „Volkswirtschaft" auch oft „Ökonomie", ein Begriff, der uns erneut in das griechische Altertum zurückführt, da dieser von „oikoV" (Haus, Haushalt) abgeleitet ist und „oikonomia”, also „haushalten“ im Sinne von „wirtschaftlich handeln" bedeutet. Da die Landwirtschaft die wichtigste und meistverbreitete Wirtschaftsform im antiken Griechenland war, wurde als Ökonom, eigentlich der „Hausverwalter", auch ursprünglich der Landwirt bezeichnet. Aber auch ein griechischer Ackerbauer hatte seine Produktionsmittel, wie Arbeitskräfte, Saatgut und Bewäserungssysteme so rational einzusetzen, daß er einen größtmöglichen Ertrag daraus erwirtschaften könnte. Solch eine Landwirtschaft war, wie jede Privatwirtschaft, und wie jedes moderne Industrieunternehmen auch schon deshalb gezwungen, die vorhandenen Produktionsfaktoren wirtschaftlich, also kostenminimierend und nutzenmaximierend einzusetzen, da die Ressourcen knapp waren und sind. Knappheit bedeutet, daß die Gesellschaft weniger anzubieten hat, als die Menschen haben wollen (Mankiw, 2001, S. 3). Bereits Aristoteles erkannte den Zusammenhang zwischen Bedürfnis und Mangel. Jede natürliche Begierde ist ein vernunftloses Streben nach dem Angenehmen und verlangt die Erfüllung dieses Bedürfnisses. „Darum geht sie stets aus einer natürlichen Unlust hervor, aus dem Gefühl, in der Befriedigung des Bedürfnisses gehemmt zu sein. Und zwar so, daß der Mangel, dessen Ergänzung daher begehrt wird, in uns selber liegt. Das Nahrungsbedürfnis führt auf Nahrungsmangel, das Besitzbedürfnis auf Armut, die Ehrliebe auf Ehrmangel zurück." (Dittrich, 1926, S. 257). In einer Volkswirtschaft, letztendlich, ist die Bewirtschaftung der knappen gesellschaftlichen Ressourcen das Ziel. Doch Aristoteles beschreibt auch bereits die darauf folgende Stufe modernen Wirtschaftens, die dann eintrat, als der eigentliche Mangel bereits beseitigt war, und erwähnt dabei erstmalig wirtschaftswissenschaftliche Grundbegriffe, wie „Geld", „Umsatz" und „Gewinn": „Und als nun so aus dem unentbehrlichen Bedürfnis des Tausches einmal das Geld hervorgegangen war, da bildete sich eine andere Art der Erwerbskunst, das Handelsgeschäft, anfänglich wahrscheinlich in sehr einfacher Art, bereits bald aber durch Erfahrung in künstlicher Weise darauf gerichtet, wie und mit welchen Mitteln man beim Umsatz möglichst viel Gewinn machen könnte". (Aristoteles, 1994, S. 63). Die zentrale Fragestellung der Ethik, wie richtig zu leben sei, wurde von der Wirtschaftsethik bereits frühzeitig mit der Frage nach der rechten Wirtschaftsweise in einen unlösbaren Zusammenhang gebracht. (Waibl, 1988, S. 13). Doch welchen Beitrag liefert jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft, um die bereits erwähnten „knappen Ressourcen" zu bewirtschaften? „In den meisten Gesellschaften werden die Ressourcen nicht durch einen einzigen zentralen Planer zugeteilt, sondern durch die kombinierten Aktivitäten von Millionen Haushalten und Unternehmungen. Nationalökonomen beschäftigen sich deshalb mit dem menschlichen Entscheidungsverhalten: Wieviel die Leute arbeiten, was sie kaufen, wieviel sie sparen, und wie sie ihre Ersparnisse anlegen. Volkswirte studieren auch, wie die Menschen untereinander zusammenwirken" (Mankiw, 2001, S. 4). Welche Handlungsmotive haben Menschen beim Wirtschaften? Die von Mankiw erwähnten Aktivitäten von Haushalten und Unternehmungen sind sehr komplex, die Handlungsmotivationen der darin handelnden Individuen sind je nach Stellung in der Gesellschaft vielschichtig. Sie können sich teilweise sogar widersprechen oder sich ausschließen. So kann ein Mitarbeiter der Lufthansa AG gleichzeitig Kleinaktionär seines eigenen Arbeitgebers sein oder Gewerkschaftsmitglied oder sogar beides zugleich, zudem kann er auch noch Konsument seines eigenen Produktes sein. Als Mitarbeiter hat er das Bedürfnis nach einem sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz, als Aktionär das Bedürfnis nach einer hohen Dividende eines möglichst solventen und florierenden Unternehmens. Als Gewerkschaftsmitglied und Privatkonsument strebt er erstrangig nach mehr Lohn, damit verringert er jedoch seine Dividende und gefährdet im Extremfall sogar seinen Arbeitsplatz. Oft kommt es vor, daß Beschäftigte eines Werkes dieses wochenlang für eine Lohnerhöhung bestreiken. Dieses erhöht die Löhne und somit die Kosten, womit es in Folge nicht mehr wirtschaftlich genug arbeitet und von der Schließung bedroht ist. Die Beschäftigen, die vorher das Werk bestreikt haben, setzen sich nun für den Erhalt dieses Produktionsstandortes ein. Dies verdeutlicht die Komplexität der Zielkonflikte in einer modernen Volkswirtschaft.

4. Der Staat als ethische Institution

Da der Mensch ausgehend von der theoretischen Vernunft des Aristoteles tugendhaft handeln soll, und er dies dies nur unter Berücksichtigung der anderen Individuen sowie seiner Umwelt erreichen kann, ergibt sich die Frage, welche Institution in der Lage ist, ethische Werte zu implementieren. Bereits Aristoteles erkannte, daß der Zweck des Menschen nicht ein Dasein in egoistischer, hilfloser Vereinzelung sein kann, sondern ein Leben in der Gemeinschaft eines Staates. Die menschliche Glückseligkeit, der Zweck dieses Lebens, ist nur im Staate, die höchste und absolute nur in dem absolut besten Staate denkbar (Dittrich, 1926, S. 258). Weiterhin ist laut Aristoteles die Tugend der Bürger die Hauptbedingung sowohl für ihre eigene Glückseligkeit als die des Staates, dem sie angehören. (Dittrich, ebenda, S. 258). Folglich ist die Ethik die Politik und die von ethischen Prinzipien regierte Staatslehre ist eine praktische Anwendung und Ausführung der „Ethik" (Dittrich, ebenda, S. 258). So schreibt Aristoteles weiter: „Die Erziehung zur Tugend ist Aufgabe des Staates. Seine Tugenden sind dieselben wie die des einzelnen Menschen. Die Ethik ist also gleichsam die Seele der Politik, und die von ethischen Prinzipien regierte Staatslehre ist eine praktische Anwendung und Ausführung der Ethik." (Dittrich, ebenda, S. 258). Ferner heißt es: „Da die Menschen in ihrem Verein zweifellos dasselbe Ziel haben wie einzelne für sich, da ferner für den besten Mann und den besten Staat ein und dieselbe Begriffsbestimmung zu gelten habe, so müssen Staaten offenbar im Besitz derjenigen Tugenden stehen, welche zur Muße erforderlich sind" (Dittrich, ebenda, S. 258). Doch inwieweit wird der Staat auch von den darin lebenden Bürgern unterstützt? Was erwarten sie von ihm? Es ist bewiesen, daß es mehrheitlich nicht die ethischen Prinzipien sind, nach denen die Bürger ihren Staat beurteilen. Denn erst wenn sich der Mensch der Gefährdung seiner Grundbedürfnisse innerhalb der Bedürfnishierarchien nach Maslow ausgesetzt sieht, dürfte er sich genötigt fühlen, sein eigenes Staatssystem anzugreifen. Dies ist vor allem bei den untersten beiden Stufen, den physiologischen und Sicherheitsbedürfnissen der Fall. Die Geschichte der Revolutionen hat gezeigt, daß tatsächlich erst Konfliktpotential entsteht, wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, diese Elementarbedürfnisse zu befriedigen (z.B. Armut, Hunger, Anarchie). Selbst die Mitglieder der Arbeiterschaft in den hochentwickelten Industrieländern sind mehrheitlich vom materiellen Konsumdenken geprägt. (Waibl, 1988, S. 20). Zieht man erneut die Maslow’sche Bedürfnispyramide zu Rate, so dürfte man ethische Prinzipien eher an die Spitze einordnen. Es gibt allerdings einen interessanten Einzelfall, bei dem ethische, genauer ethisch-religiöse Konflikte zu einer Revolution geführt haben. Dabei handelt es sich um die sogenannte Islamische Revolution im Iran des Jahres 1979. Unter dem Schah von Persien, der seit 1953 das Land regierte, erfuhr das Land eine radikale Verwestlichung und Industrialisierung, in dessen Folge der Lebensstandard erheblich verbessert wurde. Durch Gewinne aus Erdölexporten und gezielten Investitionsvorhaben wurde ein beachtlicher wirtschaftlicher Aufschwung erzielt. Innerhalb kürzester Zeit katapultierte der Schah den Iran vom Agrarstaat zur industriellen Großmacht. Er war geradezu besessen, Iran zu einer der führendsten Wirtschafts- und Militärmächte zu machen. Allerdings beging der Schah dabei schwerwiegende innenpolitische Fehler, indem er den Adel entmachtete, den Widerstand rigide bekämpfte, seinen politischen Führer Khomeini ins Exil verbannte, und in seinem pro-westlichen Kurs keine Rücksichten auf Traditionen und Befindlichkeiten der Bevölkerung legte. Nach einer Welle von Demonstrationen mußte der Schah am 16.01.1979 abdanken und der religiöse Revolutionsführer Ayatollah Khomeini, der aus dem Exil zurückkehrte, ergriff die Macht. Die Ereignisse, die im Iran zum Umsturz des kapitalistischen Systems geführt haben, haben ihre Ursache also nicht in der Unzufriedenheit mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit dieses Wirtschaftssystems, sondern in einer Ablehnung der ihm zugrunde liegenden Werthaltung. Khomeini wurde in seinem Bestreben weithin unterstützt, das Leben im Iran nach anderen ethisch-ideellen, in diesem Fall: religiös-traditionalistischen Zielsetzungen einzurichten (Waibl, 1988, S. 20). Das Ende des diktatorischen Schah-Regimes veranschaulicht weiterhin die Gültigkeit des eisernen Gesetzes der Verantwortung, das von Davis und Blomstrom wie folgt formuliert wurde: „Auf die Dauer verliert jede Institution jene Macht, die sie nicht verantwortungsvoll einsetzt“ (Ulrich/Fluri, 1995, S. 64). Die Frage, welcher Staat nun aber richtig und gut sei, und mit welchen Mitteln ein Staat gut werden könne, um die materiellen und ethischen Bedürfnisse zu befriedigen, bewegte auch schon Aristoteles. Er untersuchte in seinem Buch „Politik“, welches von allen die beste staatliche Gemeinschaft sei, die es den Menschen ermöglicht, möglichst nach Wunsch zu leben, und beschreibt darin ausgesuchte Verfasungen zeitgenössischer Staaten (Aristoteles, 1994, S. 76)

5. Größe und Wachstum als institutionsverändernde Kraft

Das fundamentalste Grundbedürfnis des Menschen ist das Bedürfnis zu leben, zu wachsen, sich zu entwickeln. Leben bedeutet immer Wachstum und Entwicklung. (Rich 1990, S. 21). „Doch nicht alles Wachstum ist lebensdienlich. Auch Krebszellen wachsen schließlich. Aber sie zerstören mit ihrem Wachstum das Leben, von dem sie selber leben. Zwischen Wachstum und Wachstum muß also unterschieden werden. Von da aus gesehen ist die erst in jüngster Zeit aufgekommene Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen Wachstum bedeutsam und zukunftsweisend” (Rich, ebenda, S. 123). Die folgenden 2 Punkte sollen aufzeigen, inwieweit Staaten und Unternehmen sowohl in abhängiger und unabhängiger Beziehung zueinander Ihre Interessen ausgeweitet haben, und welche Probleme sich daraus ergeben haben.

5.1. Kolonisation und Staatenzusammenschlüsse

Adam Smith war der Auffassung, daß der Wohlstand der Nationen nicht nur durch intranationale, sondern mehr noch durch die internationale Arbeitsteilung befördert werde. Sie führe dazu, daß jedes Gut dort produziert werde, wo die Kosten seiner Erzeugung am niedrigsten wären. (Rich, 1990, S. 103). Schon die Staaten des Altertums empfanden Ihre nationalen Grenzen als einengend und suchten in der Kolonialisation anderer Staaten auf deren Kosten ihre Ressourcen- und Allokationsprobleme zu lösen. Aristoteles kritisiert diese Entwicklung bereits am Beispiel Karthagos: „So wissen doch die Karthager jedem Aufstand aufs beste dadurch zu entgehen, daß sie auch dem Volke Gelegenheit, sich zu bereichern, geben, indem sie immer einen Teil desselben in die unterworfenen Städte schicken. Denn in der Tat heilen sie hiermit die Schäden ihrer Verfassung und geben derselben Bestand. Allein dies ist doch Sache des glücklichen Zufalls, während vielmehr durch die Gesetzgebung selbst inneren Unruhen vorgebeugt werden muß“ (Aristoteles, 1994, S. 121). Aristoteles konnte damals noch nicht ahnen, daß im Jahre 146, also knapp ein halbes Jahrtausend nach seinem Tode Karthago in Folge der expansiven karthagischen Politik vollständig zerstört werden würde. Dafür konnte er aber auf andere, zeitgenössische Beispiele zurückgreifen und kritisiert daher auch Sparta, deren ganzes System nur auf einen bestimmten Teil der Tugend hinarbeitete, nämlich auf die Kriegstüchtigkeit. „Denn diese ist nur dazu gut, zum Herrschen zu verhelfen, und daher erhielten sich denn auch die Spartaner nur, solange Ihre Kriege dauerten, und gingen zugrunde, als sie die Oberherrschaft erlangt hatten, weil sie es nicht verstanden, in friedlicher Muße zu leben“ (Aristoteles, ebenda, S. 114).

Es ist geradezu erstaunlich, daß diese frühen aristotelischen Erkenntnisse, die auch empirisch belegbar waren, nicht dazu geführt haben, daß sich die Weltpolitik führender Staaten über Jahrhunderte hinweg geändert hätte. Denn einer Expansion von Weltmächten auf Kosten fremder Territorien folgte mit mathematischer Sicherheit der Niedergang derselben, da der kurzfristig erstrebte und erzielte Nutzen langfristig von größeren ordnungspolitischen Problemen, wie überhöhter Ressourcenverbrauch, Rechtsunsicherheit, Werteverfall und zunehmender Widerstand in der Bevölkerung aufgezehrt wurde. In die Empirie sollten erst Beispiele, wie das Griechenland unter Alexander den Großen, das Römische Reich, das Deutsche Reich unter Barbarossa und später unter Hitler, Frankreich unter Napoleon und viele andere eingehen, bevor man dazu überging, Bündnisse zu bilden.

Die ersten wirklich friedlichen und auf Kooperation beruhenden Globalisierungserscheinungen traten nach dem zweiten Weltkrieg auf. Bis 1945 dominierten in allen Teilen der Welt politisch-militärische Bündnisse, jedoch im wirtschaftlichen Bereich kam es zu keiner internationalen Zusammenarbeit, die über bilaterale Verträge und Handelsabkommen hinausgingen. Das System der Gegensätze wurde nach dem zweiten Weltkrieg durch ein System der Kooperation ersetzt. Damit vergrößerten sich die Chancen, politische und ökonomische Probleme durch Zusammenarbeit zu lösen. (Harenberg, 1994, S. 79). Als wichtigste Beispiele wären hier die EFTA, NAFTA oder auch die OPEC zu nennen. Jedoch umfassen solche Kooperationen nur wenige privilegierte Staaten, die sich zusammengeschlossen haben, um gegen die Interessen von Nichtmitgliedsstaaten zu arbeiten. Interessensgegensätze gibt es nicht nur innerhalb der Partnerländer, sondern vor allem auch zwischen den Ländern innerhalb und außerhalb der Organisation. Als wichtigstes Beispiel wäre hier die Ölkrise zu erwähnen, bei der die OPEC-Länder von Anfang der Siebziger bis Anfang der Achtiger Jahre in mehreren Zyklen durch bewußte Ölverknappung eine Preisspirale in Gang gesetzt hatten, die sich zu einer regelrechten Weltwirtschaftskrise (daher auch „Ölkrise" genannt) ausweitete. Vor allem aber die wirtschaftsschwachen Staaten der sogannanten „Dritten Welt" blieben auf der Strecke. 1982 brach aufgrund von langfristigen Nachfrageverschiebungen auch das OPEC-Kartell zusammen (Mankiw, 2001, S. 117 f.), so daß man in der Konsequenz schlußfolgern kann, daß ein Interessenszusammenschluß allein noch nicht die Lösung ethischer Wirtschaftsfragen darstellen kann. Die Problematik dabei ist, daß es keine internationale Zentralgewalt gibt, die mit Sanktionen gegenüber Einzelstaaten ausgestattet wäre. Ob und wieweit eine zwischenstaatliche Ordnung funktionsfähig ist, hängt deshalb vom Konsens der beteiligten Staaten ab (Sautter: „Die internationale Schuldenkrise" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 219).

5.2. Multinationale Unternehmenszusammenschlüsse

Beeinflußt durch international agierende Staatenzusammenschlüsse, jedoch auch durchaus unabhängig davon und vor allem wesentlich erfolgreicher bildeten sich zugleich transnationale Gesellschaften heraus. Grund für diese Entwicklung war zunächst das Ausnutzen von Kostenvorteilen. Hinzu kommt der Wachstumsaspekt. Mit dem wissenschaftlich-technologischen Fortschritt und neu entdeckten bzw. eroberten Gebieten ließen sich nun neue Ressourcen und Absatzmärkte erschliessen. Erste transnationale Gesellschaft der Wirtschaftsgeschichte ist die bereits 1600 gegründete „Ostindische Handelskompagnie“. Seit 1860 begannen Industrieunternehmen mit der Errichtung ausländischer Produktionsstätten. Eine geradezu revolutionäre Beschleunigung erfuhr wurde dieser Prozeß der Internationalisierung in jüngster Vergangenheit durch zwei Basisinnovationen: Das Verkehrswesen, insbesondere durch den Luftreiseverkehr und durch die extrem beschleunigte Informationsübermittlung, wie z.B. das Internet. Multinationale Konzerne, wie General Motors, Exxon oder IBM stellen heute selbst im Vergleich zu den Staatenzusammenschlüssen bedeutende Wirtschaftsmächte dar. Sie haben sogar einen entscheidenden strategischen Vorteil gegenüber Staaten oder Staatenbünden: Sie können viel flexibler auf Standortveränderungen regieren. Es würde Deutschland viel schwerer fallen, den FIAT-Konzern oder Teile davon nach Hamburg zu holen, während sich FIAT zwischen den Standorten frei entscheiden kann. Zudem können Unternehmen Standortgegebenheiten nötigenfalls zu ihren Gunsten verändern (Rich, 1990, S. 112) Deshalb stellen Unternehmenszusammenschlüsse verglichen mit Staatenzusammenschlüssen auch eine neue Qualität dar.

Wirtschaft und Politik stehen in modernen Industriegesellschaften in einem interdependenten Verhältnis zueinander. Einerseits hängt die Wirtschaft von der Politik ab, andererseits die Politik von der Wirtschaft. Abhängigkeit der Wirtschaft von der Politik ergibt sich durch Wirtschafts-, Fiskal-, Geld- und Umweltpolitik des Staates, umgekehrt ist die Politik des Staates abhängig von der Wirtschaftslage durch die Erwirtschaftung des Sozialproduktes. (Rich, ebenda, S. 112 f.)

6. Die Grundproblematik von Interessenszusammenschlüssen

In den beiden vorangegangenen Kapiteln 6 und 7 zeigte ich die Tendenz von Staaten und Unternehmen auf, sich unabhängig voneinander zu Interessensgemeinschaften zusammenzuschließen, um Kostenvorteile und Wachstumspotentiale auszunutzen. Das Bilden von Interessensgemeinschaften ist jedoch auch eine Form der Machtanhäufung, die auch ihre fatalen Perspektiven hat. (Rich, 1990, S.110). Multinationale Konzerne bilden in der Regel Oligopole. Die Märkte, auf denen sie tätig sind, weisen dann auch meist eine oligopolistische Struktur auf und sind durch oligopolistische Verhaltensweisen gekennzeichnet (Rich, ebenda, S. 110). Das Oligopol weist eine bestimmte Struktur auf, die sich nachteilig für alle Beteiligten auswirken kann. Sie läßt sich mit Hilfe der Spieltheorie veranschaulichen, die sich mit der Analyse menschlichen Verhaltens in strategischen Situationen befaßt. Als strategisch bezeichnet man eine Lage, in der jeder bei der Entscheidung über eigene Aktivitäten berücksichtigen muß, wie andere darauf reagieren. (Mankiw, 2001, S. 378). Als Antwort auf die Probleme bei internationalen Kooperationen findet man in der Spieltheorie auch das sogenannte „Gefangenendilemma", „das zeigt, warum Kooperation selbst dann schwer fällt, wenn sie für beide Seiten Vorteile bringt" (Mankiw, ebenda, S. 378). Oftmals mißlingt es den Menschen zusammenzuarbeiten - sogar dann, wenn es jedem durch Kooperation besser gehen könnte. Die Geschichte vom „Gefangenedilemma" (Mankiw, ebenda, S. 378 ff.) enthält eine allgemeine Lehre für alle Gruppen, für die eine Zusammenarbeit grundsätzlich wichtig ist. Dies stellt sich in einer zweidimensionalen Entscheidungsmatrix wie folgt dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abb. nach Mankiw, 2001, S. 379)

Aufgrund der Kronzeugenregelung hat jeder der beiden getrennt verhörten Delinquenten die Möglichkeit, seine eigene Freiheit zu erkaufen, indem er den anderen mit einer Aussage belastet, im Falle des beidseitigen Schweigens würde die Polizei eine einjährige Haft wegen Waffenbesitzes für beide festlegen. Da das Risiko, durch den anderen belastet zu werden von beiden als zu hoch eingeschätzt wird, werden beide als dominante Strategie das Geständnis wählen, da sie sich damit von der Entscheidung des anderen unabhängig machen um die Höchststrafe 20 Jahre Haft zu vermeiden. Das Dilemma daran ist, daß sich beide damit freiwillig für die zweitschlechteste aus 4 Möglichkeiten (Freiheit, 1 Jahr Haft, 8 Jahre Haft, 20 Jahre Haft) entscheiden müssen, um das Risiko der schlechtesten Wahl auszuschließen. Der Mathematiker John Nash bezeichnete diese Situation in einem nichtkooperativen 2-Personen-Nullsummenspiel als Nash-Gleichgewicht und erhielt dafür 1994 den Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften. Das Gleichgewicht muß dabei nicht zu dem für beide Spieler optimalen Wert führen. Mankiw stellt fest: Die Kooperation ist individuell irrational (Mankiw, ebenda, S. 380).

Die Theorie des Gefangenendilemmas läßt sich auf fast alle Wirtschaftsbereiche anwenden. Um auf die im Kapitel 5 erwähnte OPEC-Organisation zurückzukommen, sind selbst Kartellabsprachen innerhalb der OPEC-Länder latent gefährdet, da die Versuchung immer groß sein wird, sich nicht an die Absprache zu halten, da man selbst dann mehr Erlöse erzielen wird, wenn auch der andere sich nicht an die Absprache hält, und mehr Öl auf den Markt bringt, als vereinbart. (Mankiw, ebenda, S. 380 f.). Auch die lange Periode des kalten Krieges und der gegenseitigen Aufrüstung zwischen den USA und der UdSSR war eine Folge des Gefangenendilemmas, denn die Gefahr einer einseitigen Abrüstung barg permanent die Gefahr, den Kürzeren zu ziehen. Deshalb wurden über Jahrzehnte hinweg Ressourcen widersinnig gebunden und verschwendet, was letztendlich zum Zusammenbruch der sowjetischen Wirtschaft geführt hat, womit die einseitige Abrüstung wirtschaftlich erzwungen wurde. Doch auch die USA können sich nicht als Gewinner bezeichnen, da auch deren Haushalt durch Rüstungsausgaben enorm belastet wurde. (Mankiw, ebenda, S. 381 f.)

Mankiw zeigt auf, das Kooperationen wie diese kurzfristig zum Scheitern verurteilt sind und somit zum beiderseitigem Nachteil der Kooperationspartner führen. Im Beispiel internationaler Bündnispolitik bedeutet das, das jedes Land ein Interesse daran hat, daß international vereinbarte Regeln von allen Partnern eingehalten werden, will sich aber zugleich das Recht vorbehalten, der Verfolgung nationaler Ziele den Vorrang zu geben und dabei gegebenenfalls internationale Regeln zu mißachten. Wenn aber jedes Land eine solche unkooperative Strategie verfolgt, kann eine internationale Ordnung keinen Bestand haben. Sie fällt den nationalen Sonderinteressen zum Opfer. Der ursprünglich vorhandene Konsens ist nicht mehr gegeben. Nationalstaatliche Eigeninteressen haben im ordnungspolitischen Gefangenen-Dilemma den Ausschlag gegeben und bestehende Regeln entwertet (Sautter: „Die internationale Schuldenkrise" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 219).

Die Schlußfolgerung, überhaupt keine Kooperationen einzugehen, wäre jedoch die falsche, besonders dann, wenn sich „das Spiel" periodisch wiederholt, wie es z.B. im Falle der Preiskartelle zutrifft. Langfristig gesehen ist es vorteilhafter, die Spielregeln zu erlernen, um die tatsächliche Kooperation zum beiderseitigen Nutzen herbeizuführen. Das macht es erforderlich, vom kurzfristigen Denken zum langfristigen, vorausschauenden Denken überzugehen. Denn solange sich die Spieler um Ihre Zukunft kümmern, werden sie dem einmaligen Vorteil widerstehen und ihre Absprachen einhalten. (Mankiw, 2001, S. 385). Hobbs bestreitet sogar die Zwangsläufigkeit, daß sich wirtschaftliche Austauschverhältnisse ausschließlich auf ein in diesem Kapitel geschilderten Nullsummenspiel reduzieren lassen müssen. Vielmehr hält er es sehr wohl für möglich, Vereinbarungen zu wechselseitigem Vorteil zu treffen. „Diese beidseitige Gewinnsituation sieht er im Vertrag als der freien Willensüberkunft freier Rechtssubjekte gegeben, da alles, was freiwillig geschieht, um irgendeines dem Wollenden zufließenden Vorteils geschieht“ (Waibl, 1988, S. 63 f.)

7. Konsequenzen aus dem Nash-Gleichgewicht und Formulierung der Hauptprobleme.

Mit der Entwicklung zur industriellen Wohlfahrtsgesellschaft wurden immer mehr ungelöste Probleme sichtbar, und zwar Probleme die nicht durch die Wirtschaftssubjekte getragen wurden. Daher werden sie auch als „externe Kosten“ bezeichnet (Ulrich/Fluri, 1995, S. 56 f.). Diese unterteilen sich in materielle und immaterielle externe Kosten. Zu den materiellen gehören:

- hohe Steuern für den Staatsverbrauch
- Private Aufwendungen
- Inflation
- Verschuldung insbesonders der Dritten Welt

Zu den immateriellen gehören:

- Gesundheitsschädigungen
- Verlust einer lebensfreundlichen Umwelt
- Schlechte wirtschaftliche Versorgung
- Schlechte Infrastruktur
- Unmöglichkeit der menschlichen Entfaltung
- Übernutzung und Vernichtung erneuerbarer Ressourcen
- Raubbau an nichterneuerbaren Ressourcen
- Strukturelle Arbeitslosigkeit
- Bedürfnismanipulation der Konsumenten
- Sinkende Qualität des Lebens

Die externen Kosten aus einem ähnlich dem im Kapitel 6 geschilderten Nash-Gleichgewichts bestehen z.B. in erster Linie in einer Erschwerung des Marktzutritts für Entwicklungsländer auf den Gütermärkten der Industrieländer und in einer Politik der Industrieländer, die gravierende Nebenwirkungen auf Entwicklungsländer ausübt, ohne daß die Industrieländer zur Berücksichtigung dieser Nebenwirkungen in ihrem nationalstaatlichen Interessenkalkül gezwungen wären (Sautter: „Die internationale Schuldenkrise" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 219). Eine der Wurzeln des gegenwärtigen Problems liegt in der raschen Expansion der Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer in der zweiten Hälfte der 70er Jahre. Auslöser waren allerdings nicht die westlichen Industrieländer, denn diese gehörten gleichsam zu den Betroffenen der Ölkrise. Die bereits in Kapitel 5 erwähnte Ölkrise wurde von der Gemeinschaft der Erdölfördernden Staaten, der OPEC im Jahre 1973 in einem Akt beispielloser Verantwortungslosigkeit durch die Verknappung der Erdölförderung ausgelöst, in deren Folge der Ölpreis rapide anstieg. Den Industrieländern wurde dadurch die Kaufkraft entzogen, was zu einer Weltwirtschaftskrise führte, in deren Folge wiederum der Realzins gesenkt wurde, währenddessen die OPEC-Staaten nach Anlagemöglichkeiten für ihre Liquiditätsüberschüsse suchten. Den Schwellenländern wurde es dadurch leicht gemacht, sich zu verschulden (Sautter: „Die internationale Schuldenkrise" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 204). Diese waren jedoch nicht in der Lage, das aufgenommene Geld produktiv anzulegen. Als mit dem Zusammenbruch des Ölkartells der OPEC Anfang der 80er Jahre die USA zu einer restriktiven Geldmengenpolitik übergingen und gleichzeitig ihre Haushaltsdefizite erhöhten, kam es zu einer Nominalzinssteigerung und einem deutlichen Anstieg der Realzinsen. Lateinamerikanische Länder hatten im Jahre 1984 für neu aufgenommene Kredite einen vier- bis fünfmal höheren Realzinssatz zu zahlen, als in den Jahren 1977/78. (Sautter, ebenda, S. 204). Die verschuldeten Entwicklungsländer unterliegen nun einem Anpassungszwang hoher Schuldendiesntleistungen bei einem gleichzeitgen Rückgang der Kapitalimporte. Die Folge sind ein zunehmend abnehmender Beschäftigungsgrad, sinkende Realeinkommen, eine Verschärfung sozialer Probleme und eine Zuspitzung politischer Krisen. (Sautter, ebenda, S. 205). Bereits Aristoteles wußte Folgen wie diese in Ihrer Wirkung abzuschätzen und kommt zu dem Schluß, daß Verarmung Aufruhr und Verbrechen erzeugt. (Aristoteles, 1994, S. 94). Dies setzt wiederum eine Abwärtsspirale in Gang, da Rechtsunsicherheit und Anarchie Investoren und potentielle Kredit- und Kapitalgeber verunsichern und abschrecken. Diese wiederum hätte ein verarmtes Land jedoch bitter nötig. Aufruhr und Verbrechen münden letztlich in Terror, Krieg und Flüchtlingsströmen, Folgen, die auch westliche Industrieländer sehr schmerzhaft treffen können.

Soziales Elend gab es jedoch schon vor der Ölkrise, und das in viel dramatischeren Ausmaße. Man wäre jedoch schlecht beraten, Marx‘ Kritik des Industriekapitalismus schon deshalb auf die leichte Schulter zu nehmen, weil sie sich in mancher Hinsicht als unzutreffend erwiesen hat (Rich, 1990, S.122). Auch Nietzsche kritisiert ähnlich wie Marx das Verhalten der Bürgerlichen gegenüber der Arbeiterschaft seiner Zeit und erkennt, daß das Problem in der mangelnden Erkenntnis theoretischer Vernunft zu suchen ist: „Die Ausbeutung des Arbeiters war, wie man jetzt begreift, eine Dummheit, ein Raub-Bau auf Kosten der Zukunft, eine Gefährdung der Gesellschaft“. (Waibl, 1989, S. 40). Zwar ist entgegen der Prognose der Marxschen Verelendungstheorie der Industriearbeiter generell gesehen, ökonomisch nicht ärmer sondern eher reicher geworden, jedoch besteht neben der ökonomischen auch eine anthropologische Dimension der menschlichen Verarmung, die auch als „Selbstentfremdung“ oder „Verlust des Menschseins“ beschrieben werden kann, und zwar in dem Maße, in dem der menschliche Produktionsfaktor zu einem sachlichen Produktionsmittel geworden ist. (Rich, 1990, S. 122). „Ein Wohlfahrtsverständnis, das sich nur an materiellen Indikatoren bemißt, greift viel zu kurz, als daß es auf die Dauer den Menschen zufriedenstellen vermöchte“ (Rich, ebenda, S. 129), „und zwar deshalb, weil die Maschine, die selbst ein intelligentes Produkt ist, die Menschen verblödet“, so die Meinung von Nietzsche. Die Einförmigkeit der Arbeit an Maschinen erzeugt „eine verzweifelte Langeweile der Seele“, ergänzt der Philosoph. (Waibl, 1989, S. 30).

8. Lösungsansätze

Die Frage ist nun, wo man am ehesten kritisch ansetzen kann, um die Probleme zu lösen und wo es eher keinen Sinn macht. Sautter erkennt zunächst: „Der Markt ist diejenige Form wirtschaftlicher Interaktion, die am ehesten eine freie Selbstentfaltung der wirtschaftlichen Akteure ermöglicht. Insofern ist er eine ethisch legitimierte Institution. Der Markt besitzt zugleich einen Effiziensvorteil gegenüber anderen Lenkunssystemen arbeitsteiliger Prozesse, und „Effizienz“ kann in einer Welt knapper Ressourcen ebenfalls als ethischer Wert gelten“ (Sautter: „Die internationale Schuldenkrise" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 209). Denn auch Enderle setzt voraus, „daß zwischen ethischen und ökonomischen Erfordernissen langfristig kein Widerspruch bestehen muß“ (Enderle: „Annäherung an eine Unternehmensethik“ aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 163).

Unter der Voraussetzung der Akzeptanz des Marktes samt seiner Mechanismen formuliert Sautter folgende wirtschaftsethische Grundanforderungen in einer Marktwirtschaft:

- Gewährleistung der Freiheit des Marktzugangs
- Schaffung eines Systems von Handlungsrechten, das eine Kongruenz von Verantwortung, Kompetenz und Haftung im privatwirtschaftlichen Verkehr ermöglicht.
- Integration von Nebenwirkungen des privatwirtschaftlichen Handelns in das Kalkül der Handelnden
- Erstellung von Regeln zur Beseitigung von Asymetrien im Falle des asymetrischen Informationsverhaltens
- Bereitstellung von Öffentlichen Gütern
- Gestaltung der Beziehungen zwischen den Funktionsbereichen „Wirtschaft“ und „Staat“, daß die ordnungspolitische Kompetenz des Staates nicht untergraben wird

(Sautter: „Die internationale Schuldenkrise" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 209)

Statt jedoch einseitige Forderungen zu erheben, sollte man ferner Folgenabschätzung ganz allgemein zur Aufgabe machen, aus ethischer Verantwortung zu Gott und seiner Schöpfung und vor den Mitmenschen dieser und kommender Generationen, aber auch im ureigendsten Interesse der Wirtschaft (Steffens: „Wirtschaftsethische Fragen aus unternehmerischer Sicht" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 190 f.). Daraus leitet Steffens folgende drei Grundsätze ab:

- Ethische Forderungen können wirksam immer nur in dem Maße erhoben werden, wie wir sie vergleichbar auch gegen uns selbst gelten lassen
- Ethisches Handeln ist ein Prozeß des Erkennens, Bewertens und Berücksichtigens alternativer Folgen.
- Das Erkennen und Abwägen verlangt den offenen Dialog mit anderen Disziplinen und Grundhaltungen, sowie deren verantwortliche Berücksichtigung bei unseren eigenen Entscheidungen.

(Steffens: „Wirtschaftsethische Fragen aus unternehmerischer Sicht" aus: Nutzinger(Hrsg), 1991, S. 192)

Schließlich stellen Ulrich/Fluri auch das privatwirtschaftliche Unternehmen als quasi-öffentliche Institution dar und formulieren in einem modernen sozialwissenschaftlichen Modell die Definition einer Unternehmung als multifunktionale und pluralistisch legitimierte Wirtschaftseinheit, die sozioökonomische Funktionen für verschiedene Anspruchsgruppen erfüllen kann (Ulrich/Fluri, 1995, S. 60). Der neue Ansatz darin sind, daß die in die Wertschöpfung des Unternehmens einfließenden Mittel folgende Funktionen übertragen werden:

- Einkommenserzielung für die beschäftigten Mitarbeiter
- Kapitalverzinsung (Entschädigung von Eigen- und Fremdkapitalgebern)
- Steueraufkommen für den Staat
- Soziale und kulturelle Funktionen.

Je größer dieser Funktionskatalog wird, desto mehr ist die Unternehmung nicht mehr Privatangelegenheit der Eigentümer sondern berührt elementare Interessen der Gesamtgesellschaft. Ihr Eigentum ist zwar privat, aber ihre Wirkungszusammenhänge sind öffentlich relevant (Ulrich/Fluri, ebenda, S. 60).

Langfristig schlagen sich die externen Kosten unmittelbar auf die Unternehmungen als Verursacher zurück, indem ihre gesellschafttliche Legitimationsbasis, d.h. ihre öffentliche Anerkennung schrumpft (Ulrich/Fluri, ebenda, S. 57). Eine Ausklammerung gesellschaftspolitischer Aspekte und Auswirkungen des unternehmerischen Handelns aus der eigenen Unternehmensphilosophie ist daher nicht nur aus gesellschafttlicher, sondern längerfristig auch aus privatwirtschaftlich-unternehmenspolitischer Sicht irrational (Ulrich/Fluri, ebenda, S. 57). Genau hier muß aber ein Umdenkprozeß stattfinden, der ansatzweise im 20. Jahrhundert begonnen hat. Wirtschaften und Gesellschaft wurden schon seit der Antike eher nebeneinander betrachtet, als daß man die Ökonomie als wirklichen Teil der Gesellschaft anerkannt hätte. „Man darf zum Beispiel“, so schreibt Nietzsche noch in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts , „bei dem geldsammelnden Bankier nach dem Zweck seiner rastlosen Tätigkeit fragen: Sie ist unvernünftig“ (Waibl, 1989, S. 32).

Ulrich/Fluri formulieren abschließend folgende grundlegende Kriterien einer modernen Ethik zur Beurteilung wirtschaftlicher Praxis:

- Wahrung der Menschenwürde
- Unveräußerliche individuelle Grundrechte
- Chancengleichheit
- Soziale Gerechtigkeit
- Vermeidung der Schädigung anderer Menschen
- Ökologische und soziale Verträglichkeit
- Ökologische und soziale Folgenabwägung eigenen Nutzenstrebens
- Orientierung an Maßstäben ganzheitlicher Lebensqualität

(Ulrich/Fluri, ebenda, S. 62)

9. Institutionelle Ansätze ethischer Grundlagenpolitik

Wie das in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene Beispiel der OPEC-Staaten zeigt, handeln auch Staaten und Staatenbünde nach unternehmerischen Prinzipien der Gewinnmaximierung. Dabei entsteht die Frage, ob das Problem, daß man dabei nur die Wahl zwischen moralischen und wirtschaftlichen Prinzipien hat, und die Wahl des einen das andere ausschließt, langfristig zu lösen ist (Ulrich/Fluri, 1995, S. 65). Nur in einem integrativen Ansatz läßt sich diese Frage ausreichend beantworten. Denn dieser sagt aus, daß Ethik und Gewinnstreben nicht länger in einem Konflikt zueinander betrachtet werden müssen, sondern innerhalb eines gemeinsamen Schnittbereichs (Ulrich/Fluri, ebenda, S. 66 f.). Schließlich liegt es im wohlverstandenen professionellen Eigeninteresse ethikbewußter Führungskräfte, daß die Sachzwänge so geordnet werden, daß innovative Synthesen im Sinn des integrativen Ansatzes ökonomisch belohnt, denn bestraft werden (Ulrich/Fluri, 1995, S. 68). Der Systemphilosoph Churchman entwickelte aus diesem Ansatz heraus das Prinzip des „Ethos ganzer Systeme“. Danach gilt eine Institution dann als gut, wenn sie gesamthaft eine Verbesserung des jeweils übergeordneten Systems bewirkt. Alles, was zur „Qualität des Lebens“ beiträgt, muß dabei berücksichtigt werden, nicht nur der ökonomische Aspekt (Ulrich/Fluri, ebenda, S. 69). Anhand von zwei Beispielen möchte ich aufzeigen, wie es in der Praxis gelungen ist, diese Ansätze umzusetzen. Ein Beispiel soll den Staat (hier: USA) als höchste Institution charakterisieren, während ein weiteres Beispiel die Ansätze und Möglichkeiten von der unternehmerischen Seite (hier: Unilever) betrachtet.

9.1. Institutionelle Wirtschaftsethik am Beispiel des „Millennium Challenge Accounts“

George W. Bush, Präsident der Vereinigten Staaten schrieb in seiner der Einleitung der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten: „Die Ereignisse am 11. September 2001 haben uns gelehrt, daß schwache Staaten wie Afghanistan eine ebenso große Gefahr für unsere nationalen Interessen darstellen können wie starke Staaten. Armut macht arme Menschen nicht zu Terroristen oder Mördern. Dennoch können Armut, schwache Institutionen und Korruption schwache Staaten anfällig für Terrornetzwerke und Drogenkartelle machen.“ (Bush, 2002, S. 2). Damit befindet sich Bush im Einklang mit der bereits in Kapitel 2 zitierten aristotelischen Erkenntnis, daß der Mensch in seiner Vollendung das edelste aller Lebewesen ist, jedoch das schlimmste von allen, wenn es losgerissen von Gesetz und Recht ist. Dabei scheinen die Vereinigten Staaten auch zu erkennen, daß es sich bei dem Terrorproblem um externe Effekte handelt. Welche Staaten, Staatenbünde oder multinationale Unternehmen diese im Einzelnen ausgelöst haben, ist bei dieser Betrachtung einmal unerheblich. Bush formuliert daher für der künftigen US Außenpolitik folgende Ziele, die er außerhalb der USA durchsetzen will, um eben externe Effekte, wie diese in Zukunft zu beschränken:

- Streben nach Menschenwürde
- Stärkung von Bündnissen gegen den Terrorismus
- Entschärfung regionaler Konflikte
- Ächtung von Massenvernichtungswaffen
- Schaffen freier Märkte und freien Handels
- Förderung von Demokratie
- Kooperatives Handeln mit anderen Zentren der Weltmächte
- Umgestaltung amerikanischer Institutionen, um den Herausforderungen und Chancen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden

(Bush, 2002, S. 4)

Als entscheidendes Steuerungsinstrument zur Durchsetzung dieser Ziele dienen die Mittel der Entwicklungshilfe, die künftig allerdings anders als in der Vergangenheit unter anderen Prinzipien vergeben werden sollen, um in der Vergangenheit erlittene Streuverluste zu vermeiden. Diese Mittel sollen in den nächsten drei Jahren um 50% aufgestockt werden. Das Ergebnis ist eine Erhöhung um 5 Milliarden Dollar im Jahr über das aktuelle Niveau hinaus. Diese zusätzlichen Mittel gehen an ein neues „Millenium Challenge Account“, ein Konto für die Herausforderungen des Jahrtausends, mit dem Initiativen zur Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Verbesserung ihrer Volkswirtschaften und Lebensstandards finanziert werden. (Coats, 2002, S. 2). Die Mittel dieses Millennium Challenge Accounts sollen nur in Ländern angewandt werden, so der amerikanische Botschafter in Deutschland weiter, „die ein starkes Engagement nicht nur versprechen, sondern auch beweisen“ – und zwar auf den folgenden Gebieten:

- gerechte Regierungsführung:

- Bekämpfung von Korruption
- Verpflichtung zu Menschenrechten

- Investitionen in Ihre Bevölkerung:

- Senkung der Analphabetenrate
- Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsfürsorge

- Förderung der wirtschaftlichen Freiheit und des Unternehmertums:

- Marktorientierte Wirtschaftspolitik
- Erwerb von Grundbesitz
- Transparenz des ordnungspolitischen Rahmens

Coats zufolge werden gute Regierungsführung, bessere Bildung und weniger Restriktionen für Wirtschaftstransaktionen zu stärkerem Produktivitätszuwachs führen. Produktivität hängt demnach von zwei Dingen ab: dem Kapital pro Arbeitnehmer und dem Stand der Technologie. Wenn es keine Hindernisse für den Fluss und die Anhäufung von kapital und Technologie gibt, dann sollen die bei der Produktivität hinterherhinkenden Länder oder Regionen eine höhere Produktivitätszuwachsrate haben. Das Kapital wird dorthin fließen, wo es im Verhältnis zur Arbeit knapp ist, und mit mehr Kapital können produktivere Arbeitsplätze geschaffen werden. Entsprechend kann sich die Technologie durch Bildung und Ausbildung verbreiten (Coats, ebenda, S. 3).

9.2. Institutionelle Wirtschaftsethik am Beispiel ausgewählter Unternehmen in Indien

Unter der Voraussetzung der Erkenntnis, daß Effizienz als ethischer Wert gelten kann, sowie der Erkenntnis, daß zwischen ethischen und ökonomischen Erfordernissen langfristig kein Widerspruch bestehen muß, stellt sich die Frage, inwieweit Unternehmen in der Lage sind, durch langfristiges strategisches Denken und Handeln den Markterfordernissen derart gerecht zu werden, daß sie ethische Prinzipien erkennen und sich langfristig selbst nutzbar machen können. „Harvard Business Manager“ veröffentlichte im Februar 2003 eine Studie, die belegt, das dies durchaus ein realistisches Ziel ist. Wie in Kapitel 8 geschildert, stecken die Entwicklungsländer derzeit in einer tiefen Krisenspirale aus wirtschaftlichen Chaos, Zusammenbruch von Regierungen, Bürgerkriegen und Staatsverschuldung, aus der es kein Entkommen mehr zu geben scheint. Diese Entwicklung schadet nicht nur den betroffenden Ländern, sondern langfristig durchaus auch den westlichen Industrieländern. Unter Berücksichtigung der Ethik der theoretischen Vernunft nach Aristoteles, die eine langfristige Betrachtung erfordert, würde sich die Bekämpfung der krisenhaften Zustände in der dritten Welt wie folgt auf westliche Industrienationen auswirken: Das Schwinden der Armut fördert auch die Stabilisierung vieler Entwicklungsländer und verringert die Gefahr der Bürgerkriege und militärischen Auseinandersetzungen. Die Bedrohung durch Terrorismus und Krieg schrumpft. (Prahalad/Hammond, 2003, S. 57 f.). Doch die Bereitschaft großer Konzerne, in die Märkte der ärmsten Länder vorzustoßen, ist eher gering, da die Risiken als zu hoch eingeschätzt werden. Dabei sind keine weltumspannenden Entwicklungsprogramme notwendig, man muß lediglich in seinem eigenen Interesse handeln – und zwar langfristig. Bis jetzt hatte ein Engagement in der dritten Welt stets einen Ausbeutungscharakter. Doch dies ist gar nicht notwendig. Prahalad/Hammond beschreiben die drei Hauptgründe, weshalb eine Investition in Entwicklungsländern sinnvoll ist:

- Wachstum in neuen Märkten bei stagnierender Wirtschaft in den Industrienationen
- Senkung der Kosten
- Erzielung von Effizienzsteigerungen
- Entfaltung einer Innovationskraft

Dem stehen folgende Vorurteile über die Märkte der Entwicklungsländer gegenüber:

- 65% der Weltbevölkerung verdienen weniger als 2000 US $ jährlich
- Menschen mit derart niedrigem Einkommen müssen Ihr Einkommen zur Befriedigung von Grundbedürfnissen einsetzen
- Handelsbarrieren, wie Korruption, Analphabetismus, unzureichende Infrastruktur, Währungsschwankungen, Bürokratie, mangelnde Rechtsssicherheit
- Lokale Billigprodukte bieten keinen Spielraum für Wettbewerb

(Prahalad/Hammond, ebenda, S. 59)

Multipliziert man jedoch das niedrige Jahreseinkommen mit der Menge an Einkommensbeziehern, erhält man einen gewaltigen Markt mit einer nicht zu unterschätzenden Kaufkraft. 7% ihres Einkommens verwendet diese Einkommensgruppe für Kommunikation – ein weitaus höherer Prozentsatz als in den traditionellen Märkten.

Auch die ausschließliche Einkommensverwendung von Grundbedürfnissen ist ein reines Vorurteil. Denn das Vorhandensein von Fernsehgeräten, Handys und anderen Dingen in den Barackensiedlungen Indiens, beweist, daß Arme durchaus die Realität akzeptieren und dennoch das Geld für sie leicht erreichbare Luxusgüter ausgeben.

Aufgrund der kaum erschlossenen Märkte in den Armengebieten zahlen Arme auch einen höheren Preis, als westliche Konsumenten für vergleichbare Produkte. Dies konnte besonders für Trinkwasser, Medikamente, Lebensmittel und Kredite nachgewiesen werden.

Das entscheidende Problem ist also nicht die fehlende Kaufkraft, sondern die Distribution der Güter. „Aber die neuen Informationstechniken und die Kommunikationsinfrastrukturen – vor allem die drahtlose Kommunikation – versprechen kostengünstige Möglichkeiten, um Marketing- und Vertriebskanäle in diesen Kommunen aufzubauen“(Prahalad/Hammond, ebenda, S. 60).

Eine letzte Fehleinschätzung betrifft das Thema der Ausbeutung der Armen durch die Multis. Fakt ist jedoch, daß die Gebiete der Armen heutzutage durch eine Art Schattenwirtschaft geprägt werden, die geprägt ist von Ineffizienz und Wucher treibenden Zwischenhändlern“(Prahalad/Hammond, ebenda, S. 60).

Prahalad/Hammond verweisen auf eine latente Nachfrage nach billigen, aber qualitativ hochwertigen Produkten. Als Hindustan Lever, die indische Tochter von Unilever hochwertiges Konfekt zum Preis von einem Cent in indischen Armengebieten auf den Markt brachte, entwickelte sich dieses Produkt innerhalb von 6 Monaten zum größten Wachstumssegment innerhalb des Unternehmensportfolios. (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 62).

Eine vergleichbar große Nachfrage besteht bei bezahlbaren Dienstleistungen. So hat Tarahaat, ein indisches Start-Up-Unternehmen unter der indischen Landbevölkerung ein computerbasiertes Unterrichtsprogramm auf den Markt gebracht, das Einführung in die Internet-Technik, Englischkursen und Module der Berufsausbildung beinhaltet. Diese Software sind Haupteinnehmensquelle von Tarahaat. Gleichzeitig wird hier nachweislich ein volkswirtschaftlicher Gesamtnutzen generiert, da durch die Ausbildung – was eigentlich Staatsaufgabe ist – neue Chancen für diese Bevölkerungsschichten geschaffen werden.

Eine weitere Staatsaufgabe wird derzeit durch wirtschaftliches Engagement in Entwicklungsländern übernommen: Eine bessere Vernetzung ist ein wichtiger Katalysator für das Entstehen effektiverer Märkte, die wiederum entscheidend für eine Erhöhung des allgemeinen Einkommensniveaus und eine Belebung des Wirtschaftswachstums sind. Das indische Unternehmen N-Logue entwickelte für den ländlichen Raum ein spezielles Mobilfunknetz, das aus verschiedenen Knotenpunkten besteht, die weiderum mit dem nationalen Telefonnetz und dem Internet verbunden sind. So wurden bis zu 50.000 Kunden im ländlichen Raum Telefon- und Internetzugang ermöglicht. Dies scheint ein höchst wirkungsvolles Modell zu sein, um die Isolation im ländlichen raum zu beenden und dortige Märkte an die Weltwirtschaft anzubinden (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 66).

Die neuartigen Herausforderungen in den Entwicklungsländern bestehen aus neuen Problemen, für die technologische Lösungen gefunden werden müssen – was eine ungeheuer dynamische Triebkraft darstellt. Dritte-Welt-Märkte sind ideale Orte, wirtschaftlich und technisch zu experimentieren. In diesen Märkten wurden z.B. Smart Cards erfunden, die persönlichen Daten speichern können, ferner Geldautomaten mit Spracherkennung, Handys und Radios, die man durch Kurbeln aufladen kann.

Eine bedeutende Kostenersparnis westlicher Industrieunternehmungen besteht in der Verlagerung arbeitsintensiver Dienstleistungen, wie Call Center, Marketing, Buchführung und Abrechnung in Entwicklungsländer. Die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländer kann aber nicht nur Kosten eindämmen, sondern auch Wachstum fördern, weil die Schaffung von Arbeitskräften letztlich die Kaufkraft der dortigen Konsumenten erhöht (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 64).

Manager der Unternehmen, die erfolgreich in Dritte-Welt-Märkten agieren wollen, müssen Ihre gesamten Geschäftskennzahlen überdenken. Das gilt vor allem auf die Fixierung auf hohe Brutto-Gewinnspannen. Diese werden in Entwicklungsländern immer niedrig sein. Was jedoch zählt, ist die Effizienz des eingesetzten Kapitals beziehungsweise eine höchstmögliche Kapitalrendite). Hindustan Lever macht z.B. 2,6 Millionen US $ Umsatz jährlich ohne jegliches Betriebskapital (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 64). Prahalad/Hammond machen den wirtschaftlichen Erfolg in Entwicklungsländern von folgenden Faktoren abhängig:

- Kreative Umgestaltung von Zulieferketten, Produkten und Finanzsystemen
- Auslagerung der Produktion
- Effektives Management der Außenstände
- Niedriger Kapitalbedarf
- Gezielte Investition in Technologie
- Umsetzung großer Volumina bei niedrigen Gewinnspannen
- Sukzessive Ersetzung des Produktionsfaktors Kapital durch Information

(Prahalad/Hammond, ebenda, S. 64)

Um wirtschaftlichen Erfolg auf diesen Märkten zu erzielen, ist jedoch außer Kreativität und Pioniergeist eine Menge Erfahrung notwendig, die man durch Lernen und Umdenken erreichen kann. Prahalad/Hammond verweisen auf die Notwendigkeit, junge Führungskräfte zur Ausbildung in Entwicklungsländer zu schicken und sehen darin ein Äquivalent zu den Friedenstruppen (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 67). Genau dies praktiziert derzeit Hindustan Lever. Das Unternehmen erwartet von Anwärtern auf eine Führungsposition, mindestens 8 Wochen in einem indischen Dorf zu verbringen, um in den dortigen Märkten hautnah Erfahrungen mit Konsumenten der Unterschicht - ihrer Zielgruppe - zu sammeln. Die angehenden Manager müssen bei einem Gemeindeprojekt mitgewirkt haben – dem Bau einer Straße, der Säuberung eines Wasserschutzgebietes, dem Unterricht an einer Schule, der Verbesserung der Zustände in einem Krankenhaus. (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 67). Unternehmen, die dieses Verfahren erprobt haben, waren von dem großen Interesse der Mitarbeiter überrascht. Viele Mitaebeiter möchten an Projekten mitwirken, durch die das Leben der Armen wirklich verbessert werden kann. Als beispielsweise Hewlett-Packard die Gründung seines Bereichs E-Inclusion ankündigte, meldeten sich mehr Freiwillige, als eingesetzt werden konnten (Prahalad/Hammond, ebenda, S. 68).

Darüber hinaus werden die multinationalen Unternehmen über den durch sie belebten Wettbewerb weit mehr an Leistungsbewußtsein und Verantwortungsgefühl im Umgang mit den Ressourcen in der Dritten Welt hineintragen, als dies die internationalen Entwicklungsorganisationen oder die nationalen Regierungen während der vergangenen 50 Jahre geschaftt haben.

9.3. Kritische Schlußbetrachtung am Beispiel der amerikanischen Handelspolitik

In den vorangegangenen Kapiteln habe ich aufgezeigt, daß es theoretische Ansätze gibt, die großen Probleme der Welt, nämlich die Internalisierung externer Kosten nach ethischen Grundsätzen zu lösen. Die institutionellen Adressaten dieser Lösungsvorschläge und gleichermaßen Verursacher dieser Kosten, nämlich Staaten und multinationale Unternehmen habe ich im Rahmen ihres problemspezifischen Erfahrungshintergrunds vorgestellt und anhand zweier Beispiele aufgezeigt, welche Lösungsansätze es bereits gibt. Um jedoch das Ausmaß der Problematik zu veranschaulichen, möchte ich abschließend eine Problematik schildern, die gegen ethische Grundsätze verstößt. Wie im Kapitel 9.1. nachzulesen ist, propagiert Bush den freien Welthandel als Voraussetzung für eine sichere, gerechtere und vor allem wohlhabende Welt. Fakt ist jedoch, daß sich das Ansehen der Vereinigte Staaten als liberale Handelsnation gerade seit dem Amtsantritt Bush’s nicht unerheblichen Schaden genommen hat. So wurden im vergangenen Jahr Stahleinfuhren mit einem Strafzoll belegt. Gegen NAFTA-Mitglied verhängten die USA einen hohen Zoll auf Bauholz (Dieter, 2003, S.42). Gleichzeitig schützen die Amerikaner einen wichtigen Teil ihres Automobilmarktes mit einem hohen Zoll – was die Freihandelsrhetorik Lügen straft (Dieter, 2003, S.42). Als Folge dieser protektionistischen Handelspolitik, die als Antwort auf einen als „Hähnchenkrieg“ bekannten, früheren Handelsstreit mit Deutschland gedacht war, gewann die inländische Produktion der Pritschenwagen an Bedeutung. Dazu kam, daß die Pritschenwagen von den Beschränkungen auf 27,5 Meilen je Gallone Beninverbrauch befreit sind. Dies war als zusätzlicher Kaufanreiz gedacht. Die Größe der Ladefläche muß lediglich größer als die für Passagriere vorgesehene Fläche sein, um diese Bestimmungen zu erfüllen. Den US Herstellern verschaffte diese Regelung traumhafte Renditen, jedoch hatte dies Auswirkungen auf die Emission von Treibhausgasen. Aufgrund der restriktiven Handelspolitik ist den Verbrauchern jedoch die Möglichkeit genommen, sich für ein sparsameres Modell aus europäischer oder asiatischer Produktion zu entscheiden.

Wo alle bisher bekannten Institutionen – Staat und herstellende Unternehmen ethisch versagten, traten nun allerdings andere Institutionen auf den Plan, um diese ökonomisch und ökologisch sinnlose Politik anzuprangern: Die Kirchen veranstalteten im Jahr 2002 eine Kampagne unter dem Titel „What would Jesus drive?) gegen den Kauf von Pritschenwagen dieser Art und appellierten an die Nächstenliebe amerikanischer Christen. Achtung vor der Schöpfung gebiete es, bei der Kaufentscheidung für ein Automobil umweltpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen und sparsame Fahrzeuge zu kaufen. Viel Aufmerksamkeit erregte auch die Kampagne einer Fernsehmoderatorin, die den Bogen vom hohen Kraftstoffverbrauch dieser fahrzeuge zu internationalen Terrorismus schlägt: Je mehr Öl die Vereinigten Staaten benötigten, desto finanzkräftige würden einige Länder im Nahen Osten, die Terrorismus unterstützten. (Dieter, 2003, S. 43).

Über den Erfolg dieser beiden Kampagnen ist mir nichts bekannt. Dennoch möchte ich diese abschließende Gelegenheit nutzen, auch auf andere Instititutionen hinzuweisen, die sich jenseits von Staat und Unternehmen bemühen, der Gesellschaft kritische Denkanstöße in Ethikfragen zu geben. Wenn auch die Macht dieser Gruppierungen nicht ausreichen mag, direkte Strategieänderungen zu bewirken, so kann sie dennoch über Umwege eine Sensibilisierung der Gesellschaft erreichen und somit langfristig auf eine Problemlösung hinarbeiten. Das beschriebene Beispiel nannte Kirchen und Medien. Zusätzlich nennen möchte ich der Vollständigkeit halber noch Oppositionsparteien, Vereine, Stiftungen, Universitäten und alle sonstigen privaten Verbände und Interessensgruppierungen. Alle gemeinsam werden auch weiterhin gebraucht und gefragt werden auf der Suche nach Antworten für Weltprobleme, die sich nahezu täglich ändern und auch neu entstehen.

10. Literaturverzeichnis

Bücher:

- Aristoteles: "Politik", Rowohlt, Hamburg, 1994
- Dittrich: "Geschichte der Ethik", Verlag von Felix Meiner, Leipzig, 1926
- Harenberg (Hrsg): "Die Bilanz des 20. Jahrhunderts", Harenberg, Dortmund, 1994
- Horn: „Moral und Wirtschaft“, J.C.B. Mohr, Tübingen, 1996
- Mankiw: "Grundzüge der Volkswirtschaftslehre", Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2001
- Nutzinger (Hrsg): "Wirtschaft und Ethik", Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, 1991
- Rich: "Wirtschaftsethik", Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh, 1990
- Schrey: "Einführung in die Ethik", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1972
- Ulrich/Fluri: „Management“, Verlag Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien, 1995
- Waibl: "Ökonomie und Ethik I“, Problemata Frommann-Holzboog, Stuttgart, 1988
- Waibl: „Ökonomie und Ethik II“, Problemata Frommann-Holzboog, Stuttgart, 1989

Zeitungen/Zeitschriften:

- Dieter: „Amerikas Laster – Die Handelspolitik der Vereinigten Staaten und ihre Folgen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, 19.02.2003
- Prahalad/Hammond: "Den Armen helfen – mit Gewinn", Harvard Business Manager, Hamburg, Ausgabe Februar 2003

Internet:

- Bush: „Die neue Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten“, publiziert am 20.09.2002, Quelle: www.uni-kassel.de (Universität Kassel)
- Coats: „Prosperity, Stability and Democracy“ (Rede des Amerikanischen Botschafters in Deutschland vor der American Chamber of Commerce in München vom 14.06.2002), Quelle: www.amcham.de (American Chamber of Commerce)
- Ho: „Grundfragen der Ethik“, aktualisiert im Juli 2000, Quelle: www.schulfach-ethik.de (Arbeitskreis Ethikunterricht in Bayern)

Excerpt out of 41 pages

Details

Title
Wirtschaftsethik - Aktuelle wirtschaftspolitische Problemstellungen unter dem Aspekt der theoretischen und praktischen Vernunft
Subtitle
Stand 2003
College
University of Applied Sciences Mainz
Course
BWL, Normatives Management
Author
Year
2003
Pages
41
Catalog Number
V107680
ISBN (eBook)
9783640059249
ISBN (Book)
9783640112388
File size
501 KB
Language
German
Notes
Die großen Wirtschaftspolitischen Probleme unserer Zeit, interpretiert mit Hilfe der großen Philosophen und Wirtschaftswissenschaftlern aller Epochen. Wie sind sie entstanden und wie sind sie unter ethischen Gesichtspunkten zu lösen.
Keywords
Wirtschaftsethik, Vernunft, Normatives Management
Quote paper
Matthias Wühle (Author), 2003, Wirtschaftsethik - Aktuelle wirtschaftspolitische Problemstellungen unter dem Aspekt der theoretischen und praktischen Vernunft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107680

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