Analyse des Kommunikationsverhaltens zwischen Hero und Leander in Franz Grillparzers -Des Meeres und der Liebe Wellen-


Seminar Paper, 2001

18 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung

2. Betrachtung der Szenen
2.1. Der zweite Aufzug
2.2. Der dritte Aufzug
2.3. Versanalyse

3. Fazit

4. Bibliographie

1. Einleitung

Thema dieser nun folgenden Untersuchung des Dramas „Des Meeres und der Liebe Wellen“ , welches Franz Grillparzer zwischen 1820 und 1829 fertig stellte, soll die Analyse des Dialoges zwischen den beiden Hauptcharakteren, Hero und Leander, sein. Den Schauplatz des Stückes bildet die Tempelanlage zu Sestos, in welcher eine junge Frau der griechischen Göttin Aphrodite geweiht werden soll. Mit der Weihung zur neuen Priesterin wird sich Heros auf ewig zur Enthaltsamkeit verpflichten. Als am Tag der Weihung der Tempel für das Volk geöffnet wird, nur an diesem Tag ist es Fremden überhaupt erlaubt, das Tempelgebiet zu betreten, erblickt Hero während des Festaktes den Jüngling Leander in der Menge. Dieser wird von seinem Freund Naukleros begleitet. Mitten in der Eidformel treffen sich die Blicke von Hero und Leander. Hero stockt, der Priester des Tempels schreitet ein, und die Zeremonie wird der Tradition gemäß weitergeführt. Später kommt es zwischen Hero, Naukleros und Leander zu einem unerwarteten Treffen im Garten. Schnell ist klar, dass sich Leander in die Priesterin verliebt hat. Die Zusammenkunft wird durch den herantretenden Priester gestört, und Naukleros und Leander werden von diesem aufgefordert, sich auf den Heimweg zu machen. Noch in der folgenden Nacht schwimmt Leander von Sehnsucht getrieben, von seiner Heimat aus, welche sich an der gegenüberliegenden Küste befindet, herüber zu Heros Turm und dringt in ihre Gemächer ein. Das Licht der brennenden Lampe in ihrem Turmzimmer wies ihm den Weg. Hier erfahren wir, dass Hero gleichfalls Leander liebt. Leander gesteht Hero was er für sie empfindet, und erhält die Erlaubnis, in der nächsten Nacht wiederzukehren. Doch ein erneutes Treffen wird von dem Tempelwächter verhindert. Jener löscht des Nachts das Licht der Lampe, Leander verirrt sich auf See, und ertrinkt dort. Die Wellen spülen ihn an Land. Hero stirbt am gleichen Tag aus Gram über seinen Tod.

Das gesamte Stück Grillparzers ist deutlich durch zwei Motive gekennzeichnet. Der Turm, in welchem Hero wohnt, symbolisiert ein Motiv. Er steht für Ordnung, Systematik und Beständigkeit. Das Meer, gleichfalls schon im Titel das Stückes enthalten, bildet das zweite Motiv. Grillparzer benutzt das Meer, um Wechselhaftigkeit und Unbeständigkeit darzustellen. Diese beiden Motive ringen das gesamte Stück hindurch miteinander. Ziel unserer Analyse wird es sein, die Kommunikation unter dem Aspekt der Gegensätzlichkeit der Charaktere zu betrachten, und herauszufinden, wie der Autor Hero und Leander, auf die Motive Bezug nehmend, agieren lässt.

2. Betrachtung der Szenen

Für eine Analyse des Kommunikationsverhaltens zwischen Hero und Leander eignen sich besonders zwei aufeinander folgende Aufzüge.

2.1. Der zweite Aufzug

Im zweiten Aufzug, Hero inzwischen Aphrodite geweiht, befinden sich die beiden Jünglinge Leander und sein Freund Naukleros im Garten der Tempelanlage zu Sestos. Naukleros drängt zum Aufbruch [Z.554]. Er ist sich bewusst, dass sie beide bis Mittag die Anlage verlassen müssen, doch Leander hat anderes im Sinn. Er gibt sich „müd`“ [ Z.528], abgeschlagen „Und krank dazu.“ [Z.534]. Leander setzt sich, während ihn sein Freund durch gutes Zureden und Darlegung der Tatsachen zum Abschied bewegen will [Z.568 ff.]. Doch es nützt alles nichts, Leander will verweilen. Naukleros lässt nicht locker und schließlich weiß er das „Kranksein“ Leanders zu deuten [Z.656]:

„Leander! elend? Glücklich! Bist verliebt.“

Naukleros dankt den Göttern, glaubt Leander von seiner Melancholie geheilt, und stockt im Freudentaumel. Er ahnt, dass diese Liebe Unheil bringen wird, denn Hero, die Priesterin, ist für Leander unerreichbar. Jener versinkt, sich der Realität bewusst, noch weiter in pathetischen Klageäußerungen [Z.677]. Während sich die beiden Männer unterhalten, naht Hero, ausgerüstet mit Krügen, um Wasser vom in der Nähe gelegenen heiligen Brunnen zu holen. Naukleros erkennt die Gunst des Augenblicks und gibt Leander zu verstehen, dass jetzt Aussicht auf ein vertrauliches Gespräch bestünde. Leander verneint zunächst, wagt dennoch einen Satz aus dem Gebüsch, um vor Hero auf die Knie zu sinken. Diese zeigt sich zu tiefst erschreckt. Ihre mit Wasser gefüllten Krüge drohen zu Boden zu gleiten und zu zerspringen.

Nach dieser kurzen Einführung in den zweiten Aufzug wollen wir mit unserer Analyse beginnen, denn hier treten Hero und Leander unmittelbar in Kontakt miteinander.

Betrachten wir zunächst nur die äußere Form des Dialogs. Es sprechen drei Menschen miteinander: Leander, Naukleros und Hero. Doch wer genau liest, stellt unmittelbar fest, dass in Wirklichkeit nur zwei Personen interagieren. Naukleros beginnt das Gespräch mit Hero, noch bevor Leander überhaupt ein Wort hervorbringen kann, trotzdem kann das Gesagte ohne weiteres Leander in den Mund gelegt werden. Leander spricht über Naukleros zu Hero, Naukleros leiht ihm quasi seine Stimme, ist sein Sprachrohr. Zwar unterscheidet sich die Dialoghäufigkeit zwischen der Priesterin und Leander von der zwischen ihr und Naukleros nur um genau einen Wortwechsel - Hero und Leander kommunizieren acht mal, Naukleros und Hero neun mal miteinander – jedoch steht der Umfang der Äußerungen des Naukleros stark im Gegensatz zu dem seines Freundes. Während Leander ununterbrochen in kurzen abgehackten Sätzen vor sich hinklagend etwas wie:

„O anders nicht! O Bleib!“ [Z759]

„O himmlisch Weib!“ [Z.813]

von sich gibt, einmal einen etwas längeren Satz und nur zweimal eine Äußerung über drei Verse lang ausspricht, wobei es sich ausnahmslos um den Wunsch zu sterben handelt, sehen wir bei seinem Freund ein realistisches Kommunikationsverhalten. Naukleros erklärt:

„O Jungfrau , nicht zu schäd’gen kamen wir ... .“[Z.739],

bestätigt:

Hero: „Beim heut’gen Fest?“

Naukleros: „Beim Fest. Aus deinen Augen.“ [Z.747],

fleht für Leander:

„Sei hilfreich ihm, dem Jüngling, der dich liebt!“ [Z.775]

Dies alles geschieht in einem recht ruhigem und beschwichtigenden Tonfall. Es gilt Hero zu beruhigen und ihr Interesse an Leander zu wecken. Sprachen wir eben davon, dass Leander kurze Sätze verwendet, so könnten die mehrzeiligen Äußerungen das Naukleros jeweils am Versende auch als einzelne, feststehende Äußerungen betrachtet werden, auch wenn diese durch Komma oder Semikolon miteinander verbunden sind. „Die Sprache flutet nicht (...) dahin. Nach jedem Vers wird abgesetzt. Der Vers steht als abgeschlossenes Ganzes da.“[1]

Naukleros´ anfängliches Bitten und Flehen schlägt gegen Ende des Aufzuges in Forderungen um:

„Ich setz dir in den Schatten deinen Krug;

Und komm her und gönn uns nur ein Wort.“ [Z.780]

„Tu`s aus Erbarmen mit des Jünglings Leiden!“ [Z.784]

Er versucht Hero zu verstehen zu geben, dass nur sie Leander von seinem Liebeskummer befreien kann, und nach ein paar Augenblicken hat er es geschafft. Hero verweilt..

Durch Naukleros und seine Äußerungen drückt Grillparzer unmittelbar eine Bindung an die Situation aus. Mit personaldeiktischen Ausdrücken verdeutlicht Naukleros, wen er mit ich du, er, sie, wir meint: Hero, Leander und sich. Des weiteren markiert das stetige Hinweisen auf Leander gleichfalls Situationsgebundenheit. Auch ist Naukleros die Ich-jetzt-hier-Origo[2]. Er ist der zunächst am aktivsten handelnde Charakter. Hero muss ihre Aufmerksamkeit primär auf ihn richten, bevor er diese dann an Leander delegiert. Naukleros´ Text ist situationsintern. Leander hingegen stößt zukunftsweisende Wünsche aus:

„Nun denn, so senkt in Meeresgrund mich hinab!“ [Z.773]

„Ich heim? Hier will ich wurzeln,

Mit diesen Bäumen stehen Tag und Nacht

Und immer schaun nach jenes Tempels Zinnen.“ [Z.802]

Anhand dieser Kennzeichen wird erneut deutlich, dass die Sprechakte der beiden Männer untrennbar sind, sich ergänzen. Naukleros´ Dialoganteil verharrt auf dem Boden der Tatsachen, spricht die Fakten an, während Leanders Anteil sich davon ablöst und an einen anderen Ort abschweift, die Zukunft. Dies verdeutlicht das Hin- und Hergerissensein Leanders, welcher sich einerseits die Kommunikation mit Hero wünscht, dazu allerdings nicht im Stande ist, andererseits davor fliehen möchte. Welcher frisch verliebte und noch in Ungewissheit schwebende Mensch kennt dieses Verhalten nicht?

Einmal allerdings geschieht es, dass Leander sich aktiv ins Geschehen einmischt. Zuvor schien es immer, als kommentiere er beiläufig das Gespräch zwischen Hero und Naukleros, indem er seine Klagerufe jeweils dann ausstößt, wenn Hero die Situation und ihren Standpunkt verdeutlicht. Der Priester naht, schnell muss eine Erklärung für das Zusammentreffen der drei gefunden werden. Sie beschließen so zu tun, als hätten die beiden Hero um einen Schluck Wasser gebeten. Naukleros setzt zum Trinken an, als Leander, plötzlich voller Energie, aufspringt:

„Nicht du; ich, ich!“ [Z.817]

ausruft und seinen Freund bei Seite stößt. Dies ist der einzige Augenblick in der Szene, bei dem die handelnden Personen und das Publikum unmittelbar gezwungen werden, sich voll und ganz auf Leander zu konzentrieren. Allerdings wirklich nur für einen Augenblick. Der ins Geschehen eingreifende Priester drängt in den Vordergrund, wird Mittelpunkt und nimmt schließlich die Priesterin mit sich.

Hero indes hat einen schweren Ausgangspunkt. Sie sieht sich von Beginn an mit beiden Männern konfrontiert, ihre Aufmerksamkeit pendelt durchwegs vom einen zum anderen. Zunächst unternimmt sie den Versuch, sich zu fassen. Sich der Situation bewusstwerdend schildert sie anfangs nur was sie sieht:

„Ein Mann. Ein zweiter. Fremdlinge, was wollt ihr

Von mir, der Priesterin, in der Göttin Hain?“ [Z.732]

Sie gewinnt Zeit und teilt Naukleros und Leander mit gefestigter Stimme mit, in welche Lage sie sich durch ihre Tat gebracht haben. Hero droht:

„Erheb ich meine Stimme, nahen Wächter

Und lassen euch den Übermut bereun.“ [Z.735]

Jedoch kann sie ihre Verblüfftheit nicht vollends überdecken. Vergessen wir auch nicht, dass Hero ohne ihren Mantel unterwegs ist (s. Nebentext zwischen Z.700 und Z.710). Der Mantel ist das Priestersymbol, bietet Schutz und erinnert an das Gelübde. Zwar gibt sie beiden harsch zu verstehen, dass Leander, wenn er krank sei, an diesem Ort falsch sei:

„Geht zu den Priestern in Apollens Tempel,

die heilen Kranke.“ [Z.743],

doch ihr Text veranschaulicht, dass sie keineswegs die Dynamik des Dialogs bestimmt. Kurze knappe Fragen gesteht ihr Grillparzer zu. Antworten auf das, was Naukleros zur Sprache bringt. Auch ihre mehrfachen Drohungen scheinen kraftlos, Leander und Naukleros zeigen sich davon unbeeindruckt. Hero versucht sich schließlich darin, mit sanfter Stimme zu beteuern, dass sie wirklich nichts für Leander tun kann:

„Du hast dich schlimm beraten, guter Jüngling,

Und nicht die richt`gen Pfade ging dein Herz.

Denn deut ich deine Meinung noch so mild,

So scheint es, dass du mein mit Neigung denkst.

Ich aber bin der Göttin Priesterin,

Und ehelos zu sein heißt mein Gelübd`.

Auch nicht gefahrlos ist`s um mich zu frein,

Dem droht Tod, der des sich unterwunden.“ [Z.760 ff.]

Aber auch dieser Versuch scheitert. Sie bäumt sich ein letztes Mal auf, nachdem Naukleros sie um einige „heilende Worte“ [Z.777] gebeten hat und antwortet:

„Es ziemt sich nicht.“ [Z.783]

Dieser Stelle kommt eine besondere Aufmerksamkeit zu. Interessant ist, dass Grillparzer hier den Ausdruck „sich ziemen“ verwendet. Er hätte für Hero in dieser Lage keinen treffenderen Text finden können. Wir können „sich ziemen“ getrost mit „es gehört sich“ übersetzten, doch wenn wir uns der sprachgeschichtlichen Vergangenheit des Deutschen zuwenden, erfahren wir, dass neben dem mittelhochdeutschen „zemen“[3] auch der Ausdruck „gezemen“[4] existierte. Dieser wiederum kann u.a. auch „etwas gewohnt sein“ bedeuten. Somit erhält die Äußerung der Priesterin eine Doppelbedeutung. Zum einen drückt sie gemäß ihres Standes aus, dass es sich für sie nicht gehört, sich mit einfachem Volk und dessen Problemen zu beschäftigen. Dafür seien andere zuständig (s.o.). Durch die Lektüre des Textes wissen wir, dass Heros Zuständigkeitsbereich scharf umgrenzt ist. Zum anderen tritt jetzt die zweite Deutung des Gesagten hervor: Hero ist es nicht gewohnt, sich mit jungen Männern zu unterhalten, und schon gar nicht, wenn sie einem Mann zugetan ist. (Wäre sie es nicht, hätte sie bei ihrer Weihung nicht mitten im Sprechen gestockt, als sie Leander erblickte.) . Sie fühlt sich unvorhergesehener Weise in eine Situation hineingeworfen, die für sie Neuland ist und versucht, sich hinter ihren Formeln und auswendig gelernten Phrasen wie:

„Niemand der lebt begehr` um mich zu werben,

denn gattenlos zu sein heißt mich mein Dienst.“ [Z.786]

zu verstecken, welche ihr Sicherheit vermitteln. Diese Taktik basiert auf der Tatsache, dass die Priesterin ihr wahres Empfinden unterdrücken möchte und muss, schließlich befinden sich alle Beteiligten auf frei zugänglichem Gelände.

Ein weiteres Indiz für die schwache Gegenwehr Heros kann daran abgeleitet werden, dass sie sich recht bald auf die beiden Männer einlässt. Daneben weisen Aussagen wie:

„Mich sollt` es reun, wenn Übles ihr erführt.“ [Z.772]

„Er ist so schön, so jugendlich, so gut,

Ich gönn ihm jede Freund, jedes Glück.“ [Z.779]

„Und kehrt ums Jahr und jedes nächste Jahr

Zurück das heut`ge Fest, so komm du wieder.

Stell dich im Tempel, dass ich dich mag sehn.“ [Z.809]

deutlich darauf, dass Hero etwas für Leander empfindet. Allerdings wiegt der frisch abgelegte Schwur zu viel, als dass sie sich davon loszusagen weiß:

„Doch heut versprach ich`s, und ich halt es auch.“ [Z.789]

Alles was Hero (zunächst) für Leander und Naukleros tun kann, ist ihnen anzubieten, dass sie ungestraft und unverrichteter Dinge von dannen ziehen können:

„So geht weil es noch Zeit, und nehmt als Strafe

Bewusstsein mit, dass es euch misslang.“ [Z.737].

Betrachten wir die Form der Aussagen Heros, so finden wir vier Ausrufe und neun Fragesätze. Insgesamt ein Anhaltspunkt dafür, dass sie nicht Herrin der Lage ist. Dazwischen stehen fünf über mehrere Verse dauernde Äußerungen. Sprach ich oben davon, dass Naukleros der Mittelpunkt der Szene sei, er stellt Fragen, fordert auf, etc., so kann Hero aus einem anderen Blickwinkel heraus ebenfalls als Mittelpunkt betrachtet werden. Erstens ist sie die einzige Frau des Dialoges, zweitens zieht sie durch ständiges Wiederholen ihrer Eidformel die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Was jedoch die Kommunikationsreihenfolge anbelangt, so steht sie hinter Naukleros und vor Leander. Dies entspricht ziemlich genau dem Bild, welches Grillparzer in seinem Drama zu entwerfen versucht: Hero will standhaft bleiben, wie der Turm, der von den Wellen, symbolisiert durch Leander und Naukleros, bedrängt wird. Somit ist es keineswegs verwunderlich, dass sie hier und dort zu wanken beginnt, wird sie doch von allen Seiten bedrängt. Das Turmsymbol tritt ebenfalls markant an den bereits genannten längeren Redeteilen der Priesterin hervor. Das Gesagte gleitet ihr mühelos und zusammenhängend von den Lippen:

„Meint ihr also, und erkühnt euch des?

Doch wußt ich`s ja: Frech ist der Menge Sinn,

Und ehrfurchtslos, und ohne Scheu und Sitte.

Ich geh, und dienstbar nahe Männer send ich

Nach meinen Krügen dort, die, weilt ihr noch,

euch sagen werden, dass ihr euch vergingt.“ [Z.748]

Ihre Rede ist flüssig, ist von Grund auf durchdacht. Die Sätze bauen aufeinander auf, sind auf ein Ziel hingerichtet: die Drohung. Ebenso ist dies das Merkmal eines Turms: Stein auf Stein in die Höhe gezogen, sich im Dach zuspitzend. Nicht so bei Naukleros, der immer wieder ansetzen muss, um Hero am Ort zu halten. Hero bezieht sich mit ihren Äußerungen sowohl direkt auf die Situation, sie verwendet ebenfalls Personaldeiktika (ich, du, er) oder Temporaldeiktika (hier, heute), beschreibt Vorgänge, welche normalerweise nicht beschrieben werden müssten, da sie deutlich sichtbar sind:

„Bin ich erschrocken!

Die Kniee beben, kaum halt ich den Krug.“ [Z.730]

Sie benennt aber auch mögliche Ereignisse in der Zukunft, die von der Situation direkt wegführen (die eventuelle Bestrafung Leanders und Naukleros). Allerdings handelt es sich nicht um Wunschäußerungen, wie dies Leander formuliert, sondern um Sachverhalte, die Hero nicht beeinflussen kann. Die Gesetze des Tempels wurden vor langer Zeit von anderen geschaffen.

2.2 Der dritte Aufzug

Der Tag hat sich dem Ende zugeneigt und Hero wird von dem Priester des Tempels in ihre Turmgemächer begleitet. Er macht sie mit den Gegebenheiten und allerlei Gerätschaften bekannt, nimmt aber wahr, dass Hero ihm nicht ihre volle Aufmerksamkeit schenkt. Er mahnt sie, gibt ihr zu verstehen, dass er keineswegs davor zurückschrecken würde, sie zu töten, falls sich ihre Integrität in das System des Tempeldienstes als nicht gefestigt herausstellen würde [Z.999 ff.]. Hero bleibt darauf alleine zurück und versinkt in ihren Gedanken. Leanders unerwartetes Erscheinen am Fenster überrumpelt sie erneut.

Der nun eintretende Dialog zwischen Hero und Leander kann grob in vier Abschnitte eingeteilt werden. Als erster Abschnitt darf der vorausgehende, sich über fünfzig Verse erstreckende Monolog Heros betrachtet werden. Das Publikum kann den „lauten Atemzügen ihrer Seele“[5] lauschen. Für das Publikum ist recht schnell feststellbar, dass Hero ihre fließende Sprechweise beibehält (s.o.), ihr Sprechakt liest sich leicht und ohne größeren Unterbrechungen. Der Monolog hat eine sichtbare Gliederung. Die ersten zwei Verse [Z.1003/1004] erfassen die Situation: Hero stellt fest, dass der Vorfall im Garten den Priester verstimmt hat. Darauf folgt das Liebesgeständnis, ihr Herz spricht [bis Z.1009]. Unmittelbar darauf folgt die Gegenrede ihres Verstandes [bis Z.1016]. Die nächsten 24 Verse verdeutlichen ihre Ambivalenz, womit der Monolog dialogischen Charakter erhält.[6] Manfred Pfister spricht hierbei von einer semantischen Richtungsänderung.[7]

Heros Nachdenken wird durch das In-Erscheinung-Treten Leanders unterbrochen, der zweite Abschnitt beginnt. Erneut lässt Grillparzer sie eine Reihe von Ausrufe- und Fragesätze ausstoßen:

„Ha, was ist das? – Bist, Echo, du`s, die spricht?

Suchst du mich heim in meiner Einsamkeit?

Sei mir gegrüßt, o schöne Nymphe!“ [Z.1061]

Hero verhaspelt sich, bringt in der zweiten Frage die Syntax durcheinander, der Sprachfluss wird holpriger. So auch in der folgenden Klimax:

„Ein Haupt! (Doppelkonsonanz am Ende verstärkt die Betonung.) -

Zwei Arme! (Vokal am Wortende und Ausrufezeichen erzwingen eine Dehnung.)

Ha, ein Mann im Fenster!“ [Z.1065]

(Dreimal Nasal am Wortende verstärkt den Wortfluss.)

Nach jedem Ausrufesatz muss eine Pause gedacht werden. Versetzen wir uns in die Lage der Priesterin. Mit dem Erscheinen Leanders muss sie feststellen, dass dieser sie heute schon zum zweiten Mal überrumpelt und heimsucht. Hero ist schlichtweg verblüfft und überfordert. Auch hat sie erneut ihren Mantel abgelegt [Z.1006, Nebentext]

Und erneut sehen wir, dass Hero die gleiche Taktik wie im zweiten Aufzug verwendet. Sie ringt nach Fassung, indem sie die Situation beschreibt. Es folgen unzählige Wortverkürzungen in ihren Äußerungen wie: „Unsel`ger“ [Z.1072], „des heil`gen Ortes“[Z1085], „das Aug`“ [Z.1134], „nun ist`s zu spät“ [Z.1130], „erwidre“ [Z.1125], etc. Daneben stehen aber gleichfalls Wörter, die ebenso gut verkürzt verwendet werden könnten, es aber nicht werden: „verloren“ [Z.1067], „rufe“ [Z.1067], etc., sowie Wörter, die, nachdem sie als verkürzte Variante verwendet wurden, gleichfalls in ungekürzter Fassung erscheinen: „Unseliger“ [Z.1086], etc. Die unebene Sprache dominiert nun ihr Sprechverhalten. Elliptische Sätze springen ins Auge:

„Du bist verloren, wenn ich (jemanden) rufe. [Z.1067]

„Wer (ist) dein Genosse? [Z.1076]

„Denn bald (ist die Zeit um), und du musst fort.“ [Z.1098]

„Die Lampe, die dir Richtung gab und (ein) Ziel?“ [Z.1099]

„Zugleich (auch) ihr ganzes Haus ... .“ [Z.1139]

Einzig eingestreute Anaphern wie:

Wer dein Genosse? Wer hielt die Leiter dir ... .“ [Z1067)

Hero: „ Und wenn du, gleitend stürztest?“

Leander: „So war mir wohl.

Hero: „ Und wenn man dich erblickt?

Leander: „Man hat wohl nicht.“ [Z.1082 ff.]

runden Heros Rede etwas ab. Hierdurch schafft Hero sich die Möglichkeit schnell zu sprechen. Die Hitzigkeit der Gesprächsführung wird ausserdem von der Stichomythie unterstützt. Aussage folgt auf Aussage. Grillparzer baut somit ein realistisches Gesprächsverhalten auf.

Und wie verhält sich Leander? Das Publikum muss sich wundern, ihn im dritten Aufzug scheinbar völlig verändert vorzufinden. Leander bricht sein von Naukleros vorgezeichnetes Bild [Z.457, Z.503 ff., Z.535 ff.][8] auf. Urplötzlich strahlt er eine gefestigte Aura aus, spricht mit solider Stimme:

„Gute Nacht!“[Z.1060]

„Nymphe, sei mir gegrüßt!“ [Z.1064]

Unüberhörbar ein listiger Unterton:

„Die Steine bröckeln unter meinen Füssen;

Erlaubst Du nicht, so stürz ich wohl hinab.“ [Z.1070]

Er preist seinen Mut:

„Da klomm ich denn herauf. [Z.1076]

( Durch Doppelnasale verhilft Grillparzer Leander zu mehr Klang in der Stimme.)

„Nicht Leiter führte mich, noch äußre Hilfe. [Z.1078]

(Die Alliteration verhilft zu größerer Redegeschwindigkeit.)

„Du siehst, ich hab`s vermocht. [Z.1091]

(Konsonantenhäufung am Satzende verstärkt die Aussage.)

„Ans Ufer eilt` ich, stürzte mich ins Meer, (...). [Z.1118]

( Substantive schaffen ein zusammenhängendes Bild, welches durch die Hyperbel („ins Meer stürzen“ statt „schwimmen“) an Dramatik gewinnt.)

In Wirklichkeit allerdings ist Leander nur in denjenigen Teil seiner Persönlichkeit geschlüpft, welcher im Aufzug zuvor durch die Figur des Naukleros repräsentiert wurde. Seine unmittelbare, fast forsche Art der Rede lässt an die des Naukleros denken. Sätze enden am Versende, streckt sich eine Äußerung über zwei oder mehrere Verse, so wird die Stimme am Versende häufig trotzdem zum pausieren gezwungen:

„Den Fuß setzt` ich in lockre Fugen,

An Ginst und Efeu hielt ich meine Hand.“ [Z.1080]

„Ich war daheim, doch ließ mir`s keine Ruh`;

Da warf ich mich ins Meer und schwamm herüber.“ [Z.1087]

Daneben erstaunt die unerwartete Fähigkeit Leanders zur längeren, zielbewussten Rede, in welcher er Hero anruft, ihm niemals das Licht des Lämpchens vorzuenthalten [Z.1101 ff]. Leander findet sogar die Zeit, seine Sprache mit Metaphern zu versehen: „schwarzer Teppich“ für „das Meer“ [Z.1098], oder: „eingehüllt in Trauer und in Gram“ anstelle von „traurig“ [Z.1099]. Unerwartet auch, dass Leander die richtigen Worte für sein Liebesgeständnis parat hat, war er doch einige Zeit früher ganz und gar unfähig, seinen Gefühlen durch präzise sprachliche Äußerungen habhaft zu werden [Z.534]. Er paraphrasiert:

„Mich schüttert Glut.“ [Z.1096]

(Zur Beschreibung von Verliebtsein)

„In mächt`gen Schlägen schwoll empor mein Herz,

Nicht halten wollt es mehr in seinen Banden; [Z.1116]

(Zur Beschreibung von Sehnsucht)

Die seltsam anmutende Verwandlung Leanders lässt sich jedoch erklären. Wir wissen, dass der Jüngling unter einer depressiven Stimmung leidet, im Drama erläutert es Naukleros dem Publikum. Dieses affektive Leiden ist allerdings nicht mono- sondern bipolar. Leander besitzt einen manisch-depressive Persönlichkeit. Sein Affekt schwenkt phasenhaft vom einen ins andere Extrem, und dies recht schnell. In der psychiatrischen Fachsprache wird solch ein Phänomen als rapid cycler bezeichnet. War er am Morgen noch tief betrübt, so präsentiert Grillparzer ihn dem Publikum am Abend voller Energie und Feuer.[9] Einen Ausblick darauf ermöglicht Franz Grillparzer uns schon im zweiten Aufzug, als Leander schlagartig seinen Freund vom Wasserkrug verdrängt.

Der dritte Dialogabschnitt wird durch das Auftauchen der Dienerin Janthe und des Tempelwächters eingeleitet. War Leander durch seine längere Rede Mittelpunkt des Geschehens, so reißt Hero diesen nun an sich. Hastige Imperative überrollen Leander:

„Hier!

Geh nur hinein! Und nimm die Lampe mit!

(Klangverstärkung durch Nasale)

Lass es hier dunkel sein! Hörst du? Nur schnell!

Allein nicht vorwärts dring, bleib nah der Tür!

Schnell, sag ich, schnell!

(Mehrfaches Verwenden des Adjektivs „schnell“ bekräftigt die Eile)

„Still! Und fort. [Z.1154 ff.]

(Fortführung des Doppel-Liquides)

Hierdurch verschafft sie sich die Geltung, die ihrem Stande angemessen ist. Leander fügt sich, tritt in den Seitenraum, und entkommt auf diese Art der Entdeckung. Hier knüpft nun der vierte Abschnitt des Dialoges zwischen Hero und Leander an, in welchem sich beide ihre Liebe gestehen. Wenden wir uns noch einmal, wie zu Beginn unserer Analyse, der Form der Aussagen zu. Grillparzer gibt Hero siebzehn Imperative [Z.1201, 1205, 1210, 1212, 1218, 1228, 1234, 1235, 1236, 1244, 1248, 1255, 1256, 1258, zu Beginn des vierten Abschnitts sogar gleich drei hintereinander [Z.1201]], drei Fragesätze [Z.1232, 1237, 1241,1256] und drei Sätze, welche mittels Punkt abgeschlossen werden, obwohl ein Ausrufezeichen ihrer Semantik besser nachkommen würde:

„Am nächsten Tag des Fests.“ [Z.1219]

„Wenn neu der Mond sich füllt.“ [Z.1222]

„Wenn du dann gehst.“ [Z.1248]

Alle diese Sätze bestehen maximal aus fünf Wörtern. Dazu kommen nur drei länger dauernde Textpassagen [Z.1202, 1230, 1250]. Wieder der deutliche Hinweis darauf, dass Hero nicht Herrin der Lage sein kann: Sie wird von den Forderungen Leanders nach der Erlaubnis wiederkehren zu dürfen [Z.1218 ff.] oder nach einem Liebespfand [Z.1237 ff.] besiegt. Ebenso geschah dies in der Gartenszene, wir erinnern uns. Freilich wehrt sich Hero an dieser Stelle weitaus weniger, in ihren Gemächern sind sie sicherer als im Garten. Nur an zwei Stellen scheint sie zu drohen:

„Zurück! Du bist verloren, wenn ich rufe.“ [Z.1068]

„Des heil`gen Ortes Hüter

Die Wache gehen sie zu dieser Zeit.

Unseliger! Ward dir denn nicht geboten,

Bat ich nicht selbst? du solltest kehren heim?“[Z.1086 ff.]

Doch diese Drohungen klingen erneut reflexartig, und sind es auch.

Leander hingegen erhält vom Autor des Dramas dreizehn Imperative [Z. 1200 (3x)[10], 1220, 1229, 1236, 1249, 1253, 1256, 1258, 1259 (2x), 1262], vier Fragesätze [Z. 1221, 1245 (3x)] und ebenfalls drei Sätze, an deren Ende besser ein Ausrufezeichen stehen müsste:

„Ich habe keinen Boten als mich selbst.“ [Z. 1211]

„Ich werde sinken, kehr ich trauernd heim.“ [Z.1247]

„Sieh, es geschah.“ [Z.1254)

Hinzukommen noch die fünf längeren, über mehrere Verse dauernden Dialoganteile [Z.1206 ff., 1216 ff., 1223 ff., 1237 ff.,1240 ff.]. Grillparzer verwendet hier bewusst eine fast analoge Redeweise für beide Gesprächsteilnehmer (Leanders Dialogteil überwiegt etwas), denn schließlich muss der Dialog letztendlich harmonieren. Somit sind beide Charaktere gleichwertig. Die Aussagen von Hero wiegen genauso viel wie die von Leander, womit auch schon ein Höhepunkt dieses Dramas erreicht wird. Ab diesem Augenblick an wissen und gestehen sich Hero und Leander was sie für einander empfinden. Jedoch haben sie für ihr Liebesgeständnis nicht viel Zeit und Ruhe, die Situation ist heikel, jeden Augenblick könnten sie entdeckt werden. Diese Unruhe lässt sich an den ständigen Redegeschwindigkeitswechseln ersehen: Ausrufesatz folgt auf Ausrufesatz. Fragesatz, dann längere Rede, Ausrufesatz, Satz mit Punkt, längere Rede, Ausrufesatz, etc. [Z. 1200 ff.], sowie an der Knappheit der Satzstrukturen überhaupt.

Zu guter Letzt ringt Leander Hero das Zugeständnis ab, dass er in der nächsten Nacht wiederkehren darf [Z.1229] und erhascht einen Kuss [Z.1256]. Dann fällt der Vorhang .

Sprach ich oben bzgl. Hero von einem Turmmotiv, so steht das Meer und die Wellen für Leander. Hans Gmür spricht von Sammlung und Leben.[11] Sammlung und Kontemplation sind Heros Aufgabe, Leander hingegen steht mitten im Leben mit all dessen Höhen und Tiefen. Grillparzer selbst gibt uns einen Hinweis:

Priester: „ ... Nicht ehrt man hier die ird`sche Aphrodite,

Die Mensch an Mensch knüpft wie Tier an Tier,

Die himmlische, dem Meeresschaum entstiegen, ... .“[Z.363 ff.]

Aphrodite ist dem „Meeresschaum“ entstiegen. Sie ist der Unruhe, also dem Leben entkommen und ruht gelassen im Olymp. Indem wir uns dieses Motiv verinnerlichen, verstehen wir auch, warum Grillparzer Leander als gespaltene Persönlichkeit darstellt. Das Hin-und-Her der beiden Persönlichkeitsanteile verkörpert auf ein neues das Brodeln der Wellen. Dies wird durch die unterschiedlichen sprachlichen Stilmittel als auch die veränderte Rhetorik untermauert.

2.3 Versanalyse

Beginnen wir mit der Versanalyse Heros, schließlich beginnt das Drama ebenfalls mit ihrem Eingangsmonolog. Deutlich zeichnet sich in ihren Monologen ein fünfhebiger Jambus ohne Reim ab, der sogenannte Blankvers. Dieser führt wie ein roter Faden durch das Gesprochene, wirkt statisch und festigend, eben wie ein Turm:

„Und ich bin dieses Festes Gegenstand.

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Mir wird vergönnt, die unbemerkten Tage

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Die fernhin rollen ohne Richt und Ziel,

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Den Dienst der hohen himmlischen zu weihn;

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Die einzelnen, die Wiesenblümchen gleich,

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Der Fuß des Wanderers zertritt und knickt,

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Zum Kranz gewunden um der Göttin Haupt,

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Zu weihen und verklären. Sie und mich.“ [Z.4 ff.]

x X x X x X x X x X

Festigend wirken allerdings noch andere Merkmale. Es lässt sich in diesem Auszug nur eine einzige weibliche Kadenz ausmachen. [Z.5], die übrigen Kadenzen sind männlich [Z.4,6,7,8,9,10,11]. Alle Wörter am Versende sind einsilbig, bis auf jenes in Vers fünf: (Gegen) stand, Ziel, weihn, gleich, knickt, Haupt, mich. Bei der Betrachtung der Versanfänge sticht zudem noch ein zusätzliches Gerüst ins Auge. Vers eins und zwei beginnen mit verschiedenen Buchstaben. Die Verse sechs bis neun werden mit dem Buchstaben D eröffnet. Die Verse zehn und elf haben einen gleichen Anfangsbuchstaben. Es entsteht folgendes Schema: UMDDDDZZ. Die vierfache Wiederholung des einen Buchstaben verschafft dem Text Heros Beständigkeit. Bildet der durchgängige Jambus mit seinen fünf Hebungen eine Art Rückrad, so tragen eine fast gleichbleibende Kadenz, sowie sich wiederholende Buchstaben zum Versbeginn zur Stabilität der äußeren Form bei. Wir können dieses Schema immer dann beobachten, wenn Hero zu sich spricht, oder wenn sie ein Gespräch mit dem Priester des Tempels führt, und auch nur dann, wenn sich das Thema auf den Tempeldienst, und die Aufgaben der Priesterin bezieht [Z.4 ff., 120 ff,.]. Auch im dritten Aufzug ist dies so [Z.891], nur dass dies dort an dem Text des Priesters deutlich wird. Da Hero und er jedoch standesinteger sind, verwundert die Ähnlichkeit der Rede keineswegs.

Die beschriebene Metrik ändert sich kaum, wenn Hero ihrer Verblüffung Luft macht, oder wenn sie sich erschreckt zeigt:

„Ihr Götter, was ist das? Bin ich erschrocken!

x X x x X x x X x X x

Die Kniee beben, kaum halt ich den Krug..“ [Z.730 ff,]

x X x X x X x X x X

„Ha! Was ist das? Bist Echo, du`s, die spricht?“[Z.1061 ff.]

X x X x x X x X x X

Ebenso, wenn sie Fragen anstellt:

„Was nützt es mir? Wer mag sich selber quälen? [Z.799]

x X x X x X x X x X x

„Und wenn du, gleitend, stürztest? [Z.1082]

x X x X x X x

Allein wenn die Priesterin in aller Eile nach einem Ausweg sucht, droht das Gerüst ins wanken zu geraten:

„Hier! Geh nur hinein! Und nimm die Lampe mit!

X x X x X X x x X x X

Lass es hier dunkel sein! Hörst du? Nur schnell!

X x x X x X x X x X

Allein nicht vorwärts dring, bleib nah der Tür!

x X x X x X X x x X

Schnell, sag ich, schnell![Z.1154 ff.]

X x x X

Die letzten drei Beispiele verdeutlichen, dass Hero im Dialog versucht, den fünfhebigen Jambus aufrechtzuerhalten, dies im Groben auch kann. Mal fallen ein oder zwei Hebungen wegen der Kürze diverser Äußerungen weg, oder Grillparzer schiebt zusätzlich eine unbetonte Silbe ein, doch insgesamt hält sich das metrische Rückrad aufrecht. Auch die äußere Stabilität erleidet nur wenig Schaden. Zwar tritt das oben beschriebene Schema der gleichen Buchstaben am Versanfang nicht mehr in dieser Deutlichkeit zu Tage [Z.1154 ff., 1168 ff., 1178 ff., etc.], doch die Kadenzen der Versenden weisen oftmals durchgehende Kontinuität auf (s.o.). Grillparzer hat das Turmmotiv mit äußerster Konsequenz beibehalten. Aus Stein gemauert, versucht Heros Turm Wind, Wetter und den Gezeiten zu trotzen. Einzig ein Erdbeben könnte ihn zum Einstürzen bringen.

Betrachten wir nun die Verse Leanders. Zunächst diejenigen im zweiten Aufzug:

„O bleib!“ [Z.754]

x X

„O anders nicht! O bleib!“[Z.759]

x X x X x X

„Nun denn, so senkt in Meeresgrund(e) mich hinab!“[Z.773]

X x x X x X x X (x) X x X

„So möge denn die Erde mich verschlingen,

x X x X x X x X x X x

Sich mir verschließen all was schön und gut,

x X x X x X x X x X

Wenn je ein andres Weib und ihre Liebe“ – [Z.794]

x X x X x X x X x Xx

„Ich heim? Hier will ich wurzeln,

X X X x x X x

Mit diesen Bäumen stehen Tag und Nacht

x X x X x X x X x X

Und immer schaun nach jenes Tempels Zinnen.“[Z.802]

x X x X x X x X x X x

„O himmlisch Weib!“ [Z.813]

x X x X

„Nicht du; ich, ich!“[Z.817]

x X X X

Sichtbar ist auch hier die fast durchgehend eingehaltene strenge Alternanz von unbetonter und betonter Silbe. Grillparzer lässt auch Leander in Blankversen sprechen, allerdings wird dessen Kontinuität insgesamt wesentlich deutlicher durchbrochen. Anders als bei Hero verkörpert das Versmaß an dieser Stelle den gleichbleibenden verfinsterten Gemütszustand von Leander. Das Wellenmotiv wird durch die sich abwechselnden Kadenzen am Versenden gestaltet: klingend, spitz, klingend [Z.794], klingend, spitz, klingend [Z.802]. Ein leichtes Auf-und-Nieder der Wellen lässt sich erahnen. Untersuchen wir die äußere Form der Textstellen als Ganzes, so lässt sich das Gesagte auch als eine einzige große Woge beschreiben: Mit den Versen 754 und 759 bäumt sich eine Welle auf, um mit 773 und 794 den ersten, mit 802 den zweiten Höhepunkt zu erreichen. Die beiden verbleibenden Verse 813 und 817 beschreiben das Herniedersausen. Die drei Hebungen im letzten Vers [Z.817] verbildlichen das Aufklatschen des Wassers an den Turmmauern. Die Szene im Drama stützt diese These: Leander stößt Naukleros beiseite und drängt Hero, ihm den Krug mit Wasser zu geben [Z.817 ff., Haupt- und Nebentext].

Auch im weiteren Textfluss weisen Leanders Verse meistens die eben beschriebenen Merkmale auf. Das dies so ist, können wir sehr schön an seiner umfassenderen Rede im dritten Aufzug [Z.1094 ff.] skizzieren. Dort weisen die Vers-Kadenzen einen regen Wechsel auf, womit das Wellenmotiv unbeirrt fortgesetzt wird. Auch müssen wir feststellen, dass die Anfangsbuchstaben der Verse sich in keinerlei Schema pressen lassen. Hin und wieder allerdings vermag Leander die Wogen zu glätten:

„Du siehst ich hab`s vermocht. Und wenn ich starb,

x X x X x X x X x X

Der ersten Wellen Raub, erliegend, sank;

x X x X x X x X x X

War`s eine Spanne näher doch bei dir,

x X x X x X x X x X

Und also süßrer Tod.“[Z.1091]

x X x X x X

Grillparzer gestattet ihm gleichbleibende männliche Kadenzen, sogar die Hälfte der Anfangsbuchstaben ist gleich. Ferner zeigt sich das Versmaß einheitlich. Die einzige Erklärung für den Blankvers an dieser Stelle ist, dass sein beruhigendes und gleichmäßiges Dahingleiten Ausdruck von Leanders Konzentration ist. Er hat nur ein Ziel vor Augen: die Eroberung Heros. Somit kommt also dem Versmaß in Grillparzers Drama dreierlei Bedeutung zu: Für Hero bietet es die Möglichkeit, ihrem Amt, ihrer Aufgabe und ihrer Prägung Ausdruck zu verleihen. Bei Leander verkörpert es im zweiten Aufzug das Stimmungsbild, im dritten Aufzug das Hinarbeiten auf das genannte Ziel.

3. Fazit

Ich habe in meiner Abhandlung versucht, die verschiedenen Kommunikationsstrategien von Hero und Leander im Bezug auf die genannten Motive des Textes darzustellen. Als Orientierungshilfe habe ich mich dabei an Bernhard Asmuths Einführung in die Dramenanalyse, ebenso an Manfred Pfisters „Das Drama“ gehalten.[12] Unter den Aspekten der Art der Dialoganalyse und der Kommunikation, der Situationsgebundenheit, der Figurenrede und deren Redeziele, sowie der Untersuchung des Versmaßes konnten wir uns dem Text nähern und einige tiefere Einblicke in Grillparzers Drama „Des Meeres und der Liebe Wellen“ gewinnen. Interessant ist, dass Grillparzer mit wenigen Mitteln viel darzustellen versucht. Schon allein die Form des geschlossenen Dramas entbehrt jeglichem Überfluss. Die Personenzahl ist beschränkt, der Ort des Geschehens eng umgrenzt. Der Kampf der Gegensätze wird auf begrenztem Raum ausgetragen. Weiterer Anhaltspunkt ist die beschriebene Verknappung der Wörter und Sätze. Der Autor schafft es, einem einzigen Versmaß in verschiedenen Bereichen Berechtigung zu verschaffen. Die dreifache Bedeutung des Blankverses haben wir oben bereits erörtert. Beim Erklingen der Namen der handelnden Personen, wird einem breitem Assoziationsspielraum von Anfang an entgegen gewirkt. Was fällt einem denn bei dem Namen Hero anderes ein, als Held/Heldin (engl.: hero), oder heroisch? Heldenfiguren bestechen oftmals durch eine äußerliche Standhaftigkeit und eine innerliche Zerrissenheit. Helden und Heldinnen kämpfen für eine Sache und vernachlässigen darunter oftmals ihre eigenen Belange. An was dürfen wir beim Hören des Namens Leander denn anderes denken, als an Melancholie? Und enthält nicht der Name Naukleros die Endung „-eros“ ? Naukleros bringt Hero und Leander im Garten zusammen. Eros, der Gott der Liebe, verbindet die Menschen in der Mythologie ebenso. Dass die Zusammenkunft der Gegensätze kein gutes Ende nehmen kann, verdeutlicht beiläufig der Untertitel „Trauerspiel“.

Grillparzer schafft es tatsächlich, die bereits mehrfach genannten Dramenmotive Turm und Meer, bis in die einzelnen Verse hinein zu arbeiten, und heftet hierdurch das gesamte Drama unablösbar an sie. Durch die Form eines klassischen Dramas wird ausserdem ein Bogen zu dessen Ursprüngen geschlagen. In „Des Meeres und der Liebe Wellen“ wird ein System auf den Prüfstand gestellt. Im Klassischen Drama nehmen die Inhalte „in irgendeiner Weise auf die Polis, ihre Bürger und deren Probleme Bezug.“[13] Das System bricht in der Folge zusammen, weil Hero nicht die Kraft besitzt, sich in ihm zu behaupten und wiederzufinden. Und Leander, der Rebell, der sich seinen Gefühlen folgend über die Gesetzte des Systems hinweg zu setzten versucht, scheitert an der List des Tempelhüters, welcher die Lampe löscht.

Bibliographie

Ausgaben:

Franz Grillparzer:

Des Meeres und der Liebe Wellen. Ausgabe Reclam Verlag, Stuttgart, 1984, Nr. 4384. Mit einem Nachwort von Helmut Bachmaier

Allgemeines:

Burkhard Moennighoff, Eckhardt Meyer-Krentler:

Arbeitstechniken Literaturwissenschaft, 9. Auflage, Willhelm Fink Verlag München, 2001

Literatur zum Drama:

Bernhard Asmuth:

Einführung in die Dramenanalyse, 5. Auflage, Verlag J.B. Metzler Stuttgart, 1997, Bd. 188

Manfred Pfister:

Das Drama, 10. Auflage, Willhelm Fink Verlag München, 2001

Erika Fischer-Lichte:

Geschichte des Dramas, Bände 1 und 2, 2. Auflage, A. Francke Verlag Tübingen und Basel, 1999

Forschungsliteratur:

Hans Gmür:

Dramatische und theatralische Stilelemente in Grillparzers Dramen, Verlag P.G. Keller, Winterthur 1956

Hans Politzer:

Franz Grillparzer oder das Abgründige Biedermeier, Verlag F. Molden Wien, 1972

Dagmar C.G. Lorenz:

Grillparzer, Dichter des sozialen Konflikts, Böhlau Verlag Wien, 1986, aus der Reihe Literatur und Lehre

Ulrich Fülleborn:

Das Dramatische Geschehen im Werk Franz Grillparzers, Willhelm Fink Verlag, 1966

Sonstiges:

Brigitte Vetter:

Psychiatrie. Ein systematisches Lehrbuch für Heil-, Sozial- und Pflegeberufe, 5. Auflage, Gustav Fischer Verlag Stuttgart, 1998

Jörg Meibauer:

Pragmatik, zweite verbesserte Auflage, Stauffenberg Verlag, Tübingen, 2001

[...]


[1] Hans Gmür: Dramatische und theatralische Stilelemente in Grillparzers Dramen, Verlag P.G. Keller, Winterthur, 1956; S. 49ff.

[2] J.Meibauer: Pragmatik, zweite, verbesserte Auflage, Stauffenberg Verlag, Tübingen, 2001; S.12 ff.

[3] Johannes Singer: Mittelhochdeutscher Grundwortschatz, Verlag F. Schöning, Paderborn 2001

[4] Benecke/Müller/Zarneck: Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1990

[5] Hebbel, in B. Asmuth: Einführung in die Dramenanalyse, Sammlung Metzler, 1997; S. 82

[6] vgl. hierzu: Manfred Pfister: Das Drama, Verlag W. Fink, 2000; S.184ff.

[7] Ebd. S.184ff.

[8] Die genannten Textstellen spiegeln Leanders Wesenszüge wieder. Naukleros beschreibt darin Leanders schönes Aussehen, seine depressive Persönlichkeitsstruktur, ebenfalls seine Geschichte und dass Leander seit dem Tod seiner Mutter nicht fähig war, Kontakt zu anderen Frauen aufzubauen.

[9] Für weitere Informationen siehe: Brigitte Vetter: Psychiatrie, Gustav Fischer Verlag 1998; Kapitel 6.1, S.196ff.

[10] Eine Aussage des Form: „Hero, Hero, Hero!“ [Z.1200], darf meiner Ansicht nach als dreifacher Imperativ gewertet werden.

[11] Hans Gmür: Dramatische und theatralische Stilelemente in Grillparzers Dramen, Verlag P.G. Keller, Winterthur 1956; Kapitel III, S. 21ff.

[12] B. Asmuth: Einführung in die Dramenanalyse, Verlag J.B. Metzler, 1997; M. Pfister: Das Drama, Wilhelm Fink Verlag, 2000

[13] E. Fischer-Lichte: Geschichte des Dramas Bd1, Von der Antike bis zur deutschen Klassik, A. Franke Verlag, 1999, S 19 ff.

Excerpt out of 18 pages

Details

Title
Analyse des Kommunikationsverhaltens zwischen Hero und Leander in Franz Grillparzers -Des Meeres und der Liebe Wellen-
College
University of Heidelberg
Course
Einführung in die Literaturwissenschaft
Grade
1,0
Author
Year
2001
Pages
18
Catalog Number
V107703
ISBN (eBook)
9783640059423
File size
514 KB
Language
German
Keywords
Analyse, Kommunikationsverhaltens, Hero, Leander, Franz, Grillparzers, Meeres, Liebe, Wellen-, Einführung, Literaturwissenschaft
Quote paper
Matthias Amos Reinecke (Author), 2001, Analyse des Kommunikationsverhaltens zwischen Hero und Leander in Franz Grillparzers -Des Meeres und der Liebe Wellen-, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107703

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