War der Rettungsprozess Griechenlands plutokratisch motiviert?

Die Abwehr der griechischen Staatsschuldenkrise durch den Euro-Rettungsschirm


Akademische Arbeit, 2020

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die griechische Staatsschuldenkrise
2.1 Innerstaatliche Auslöser der griechischen Staatsverschuldung
2.2 Griechenland in der Schuldenfalle

3. Europäische Rettungsmechanismen
3.1 Das erste Rettungsprogramm
3.2 Reformprogramme für Staatshaushalt, Wirtschaft und Bankensektor Griechenlands
3.3 Aus griechischer Systemkrise wird Eurokrise
3.4 Rettungsschirme auf europäischer Ebene

4. Die Genehmigung der Rettungsschirme
4.1 Rettung für deutsche und französische Banken

5. Hilfe nur gegen Aushebelung der Demokratie
5.1 Fiskalisches Waterboarding
5.2 Willkürliche Auszahlungsstopps und ungerechte Schuldenschnitte
5.3 „Ponzi-Austerität“ und kein Wachstum
5.4 Gefährdete Gläubiger-Staaten
5.5 Amtsenthebungen und Amtseinsetzungen durch die Troika

6. Big-Player als Profiteure der „Griechenland-Rettung“
6.1 Großkonzerne behalten lukrative Absatzmärkte im Süden
6.2 Investmentbanken fungieren als „Wettbüros“

7. Die Entdemokratisierung des Kapitalismus in der zwischenstaatlichen Finanzdiplomatie
7.1 Der Schuldenstaat und seine zwei Völker
7.2 Schuldeneintreibung auf internationaler Ebene

8. Abschließende Bewertung der Rettungsmaßnahmen

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit einem Paket aus Geldsummen in Milliardenhöhe wurde Griechenland im Jahr 2010 zum ersten Mal vor dem Staatsbankrott bewahrt. Beweggründe für die Rettung gab es viele. Als Mitglied der Europäischen Union und der Europäischen Währungsunion bildet der Staat einen wichtigen Handelspartner. Weiterhin stand man in Europa vor der Gefahr den Euro als Währung ganz zu verlieren, denn auch andere Länder im europäischen Süden sammelten immer größere Schuldenberge an. Deswegen wurde in der Folge der ersten Rettung Griechenlands der europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingeführt, um die Zahlungsfähigkeit anderer gefährdeter Länder wie Italien, Spanien, Griechenland und Irland zu sichern. Doch an wen dachten politische Funktionäre als erstes, als die Rettung des gefährdeten griechischen Staates beschlossen wurde? An die Bürger, die unter dem systemischen Zusammenbruch ihres Landes zu leiden hätten? Oder war es vielleicht doch der Druck der Finanzmärkte und Kapitalanleger, die drohten ihre Finanzen aus dem bestehenden europäischen Schulden-System herauszuziehen und so eine Katastrophe für die europäische Wirtschaft zu verursachen?

War der Rettungsprozess Griechenlands plutokratisch motiviert? Also durch die Interessen der einflussreichen, kapitalbesitzenden Klasse hervorgebracht? Mit dieser Frage möchte ich mich in der vorliegenden Hausarbeit näher beschäftigen.

Meine Arbeit ist in großem Umfang an das Werk von Wolfgang Streeck „Gekaufte Zeit – Die vertage Krise des demokratischen Kapitalismus“ angelehnt. Darin behandelt er die globale Finanz- und Fiskalkrise von 2008, wobei er diese im Zusammenhang vorangegangener Krisen betrachtet. Er beschreibt die aufkommende Inflation der 1970-er Jahre, die sich ausbreitende Staatsverschuldung der 1980-er Jahre und schließlich die zunehmende Verschuldung privater Haushalte und Unternehmen, der Industrie und des Finanzsektors, welcher auf dem Höhepunkt der Euro-Krise durch die europäische Staatengemeinschaft gerettet werden musste. All diesen Krisen liegt laut Streeck 2016 ein Verteilungskonflikt zu Grunde, der sich durch das Bestehen eines Wirtschaftssystems ergibt, welches den Ansprüchen demokratisch verfasster Nachkriegsgesellschaften, wie wir sie in Europa haben, nicht gerecht wird (vgl. Streeck 2016, S. 8f.) Er beschreibt ein strukturelles wie auch ideologisches Demokratieversagen, welches kapitalistische Regierungen mit einer seit den 1990er-Jahren anhaltenden Politik der Liberalisierung immer weiter vorantreiben. Eine solche Politik, so Streeck, kann nicht erkennen, dass der westliche Kapitalismus nur schwer und unter strengsten Kontrollmechanismen mit Demokratie kompatibel ist (Streeck 2016, S. 154f.). Laut Scharpf (2011) konnten Theoretiker der kritischen politischen Ökonomie bereits in den 1970er-Jahren mit Abflachen des seit der Nachkriegszeit angehalten habenden Wirtschaftswachstums, den systematischen Widerspruch feststellen, der zwischen der staatlichen Verpflichtung zu öffentlichen Versorgungs- und Umverteilungsleistungen gegenüber den Bürgern und der Gewährleistung einer anhaltenden Rentabilität der Wirtschaft gegenüber den Kapiteleinkommens-Beziehern besteht. (vgl. Scharpf 2011, S. 163f.). Die Auswirkungen dieser Nicht-Kompatibilität können, so Streeck, heute an den Folgen des Platzens der amerikanischen Immobilienblase im Jahr 2008 -eine globale Banken- und Finanzkrise, die das Scheinwachstum der griechischen Wirtschaft beendete, woraufhin eine tiefgreifende Staatsschuldenkrise und schließlich die Eurokrise folgten- beobachtet werden (Streeck 2016, S. 154f.).

In meiner Arbeit soll zunächst die Staatsschuldenkrise in Griechenland thematisiert werden, wobei ich auch auf einige Gründe eingehe, die dazu führten, dass Griechenland die gewaltige Last seiner Schulden nicht mehr selbstständig tragen konnte. Danach gehe ich auf einer beschreibenden Ebene auf die einzelnen Maßnahmen ein, die zur Rettung Griechenlands und der übrigen Länder, die im weiteren Verlauf der Euro-Krise kurz vor dem Staatsbankrott standen, angewendet wurden. Im Weiteren werde ich versuchen die politischen Entscheidungsprozesse über die Auszahlungen an Griechenland, die Beteiligung anderer europäischer Staaten an der Kreditaufnahme und die Reform- und Sparprogramme für griechische Wirtschaft und Staatshaushalt kritisch zu bewerten. Danach wird es darum gehen die eigentlichen Profiteure der Griechenland-Rettung auszumachen und dieses Urteil fundiert zu begründen, um zu zeigen, dass die Rettung vor allem der besitzenden Klasse genützt hat. Hierbei nutze ich vor allem die von Streeck aufgestellte Unterscheidung der beiden Völker, die als Referenzgruppen für den modernen Schuldenstaat gelten, das Staatsvolk und das Marktvolk. All diese Abschnitte sollen schließlich das Urteil Streecks bekräftigen, dass im Zuge der Finanzkrise von 2008 und der darauffolgenden Bestrebungen für eine Rettung Griechenlands sowie später der europäischen Währung die Entdemokratisierung des Kapitalismus weit vorangekommen ist (vgl. Streeck 2016, S. 70).

2. Die griechische Staatsschuldenkrise

Mink (2018) beschreibt in seiner Monografie über die griechische Staatsschuldenkrise wie nach der jüngsten internationalen Finanzkrise ein Teufelskreis aus Staatsschulden-, Banken und Wachstumskrise begann, aus dem sich der griechische Staat allein nicht mehr befreien konnte. Bei benanntem Teufelskreis wurden Banken durch einen verstärkten Ausfall von Staatsanleihen mit Liquiditätsproblemen konfrontiert, weswegen Staaten ihre Haushalte konsolidierten und sich massiv verschulden mussten, um eine Rettung der Banken zu finanzieren, woraufhin die durch die Konsolidierung ausgelöste wirtschaftliche Wachstumskrise zu erneuten Ausfällen für die Banken führte und das Rad der Krise weiterlaufen ließ. In der Folge der griechischen Staatsschuldenkrise stieg die Arbeitslosenquote des Landes auf 27 % Prozent der Erwerbspersonen an, die Wirtschaftsleistung fiel weit hinter die der übrigen Staaten der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und einschneidende wirtschaftspolitischen Maßnahmen als Gegenleistung für milliardenschwere Rettungs-Maßnahmen führten zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung (Mink 2018, S. 19ff.).

2.1 Innerstaatliche Auslöser der griechischen Staatsverschuldung

Bereits Jahre vor Ausbruch der Krise wies Griechenland ein gefährlich hohes jährliches Staatsdefizit bei einer jährlich steigenden sehr hohen Staatsverschuldung auf (vgl. Mink 2018, S. 81). Als einen der wichtigsten Gründe hierfür sind die unwirtschaftlichen Strukturen in Organisation und Verwaltung des griechischen Staats zu nennen. Wider Erwartung nutzte dieser das seit den 90er-Jahren steigende Bruttoinlandsprodukt nicht um sein hohen Staatsdefizit zurückzuführen. So schreiben Schlichting/Schiffer, dass die griechischen Einnahmen aus Einkommens- und Unternehmenssteuer im Jahr 2007 bei nur etwa der Hälfte des europäischen Durchschnitts lagen (vgl. Schlichting/Schiffer 2013, S. 7f.). Neben einer Quasi-Steuerfreiheit von beruflich Selbstständigen und der verfassungsmäßigen Steuerbefreiung großer griechischer Reedereien, betrieben außerdem mehrere tausend reiche Griechen faktische Steuerflucht, indem sie ihre Vermögen im Ausland und außer Sichtweite griechischer Behörden verwahrten. (vgl. Dijsselbloem 2019, 62f.). Zudem muss die unkontrolliert und unwirtschaftlich handelnde griechische Verwaltung genannt werden. Entgegen anderer europäischer Länder wies Griechenland im Jahr 2010 einen besonders hohen Anteil an Angestellten im Staatsdienst auf. 24 % der griechischen Bevölkerung sind zu diesem Zeitpunkt Staatsbedienstete. Den Autoren Schlichting/Schiffer zufolge würde das Problem fehlender Arbeitsplätze in Griechenland kurzum durch den Aufbau von Posten im öffentlichen Dienst gelöst, da bestehende Angestellte ohne Mühen Familienmitglieder und Bekannte einstellen und sich zudem großzügige Summen als Boni aus der Staatskasse auszahlen können. Auf diese Wege wird auch Betrug im Sozialsystem wie die Auszahlung von Rentenzahlungen nach dem Tod der Senioren (vgl. Schlichting/Schiffer 2013, S. 7f.). Davon abgesehen riss die über Jahre betriebene Defizitkultur im privaten und öffentlichen Sektor ein Loch in den griechischen Staatshaushalt. Eine erleichterte Kreditaufnahme seit der Euroeinführung 2001 führte für Griechenland zu einem starken konjunkturellen Aufschwung. Dabei wuchs jedoch die bereits bestehende starke Verschuldung immer weiter an. Statt mit den zugänglich gewordenen Mitteln Investitionsausgaben zu tätigen, wurden diese beispielsweise für enorme Lohnsteigerungen eingesetzt. In der Folge verschlechterte sich die griechische Wettbewerbsfähigkeit, da griechische Exporte aufgrund der gestiegenen Lohnzahlungen unattraktiver wurden, wobei private Konsumenten auf Basis ihrer Konsumentenkredite immer mehr ausländische Waren importierten. So lebte die griechische Bevölkerung jahrelang über einem in der finanziellen Lage Griechenlands gerechtfertigten Niveau (vgl. Schlichting/Schiffer 2013, S. 6f.).

2.2 Griechenland in der Schuldenfalle

Mit dem weltweiten Rückgang des Wirtschaftswachstums in Folge der internationalen Finanzkrise 2008, erfuhr der griechische Staat das erste Mal seit den 90er-Jahren einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Damit, so Schlichting/Schiffer, brach die fragile griechische Wirtschafts- und Defizitstruktur auseinander, denn die durch das ständig hohe Staatsdefizit weiterwachsende Last an Zinsen wurde für Griechenland zu einer unfinanzierbaren Schuldenfalle (vgl. Schlichting/Schiffer 2013, S. 16). Als Giorgos Papandreou im Oktober 2009 zum griechischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, begannen sich, so Mink (2018), schlechte Nachrichten bezüglich der Lage griechischer Finanzen zu häufen. Nicht veröffentlichte Monatsberichte des griechischen Finanzministeriums und das Bekanntwerden gefälschter amtlicher Statistiken führten zusammen mit der anhaltenden Staatsverschuldung zu gravierenden Vertrauensverlusten in die griechischen Finanzen öffentlicher Haushalte sowie zur Beurteilung Griechenlands durch die Kapitalmärkte als potentiell zahlungsunfähig, was die Zinssätze für griechische Staatsanleihen kontinuierlich ansteigen ließ (vgl. Mink 2018, S. 86f.). So erschien eine Finanzierung des griechischen Staatshaushalts über den Markt immer schwieriger und Banken, die Griechenland Geld geliehen hatten, fürchteten wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen zu werden. In der Folge einer dadurch ausgelösten allgemeinen Verunsicherung von Kreditgebern erschien bald das gesamte Finanzsystem im Euro-Währungsraum als gefährdet, da man durch einen Domino-Effekt Kreditklemmen und baldige Zahlungsunfähigkeit für viele andere Staaten befürchtete (vgl. Mink 2018, S. 87f.).

Mink (2018) zufolge ließen die europäischen Mitgliedsstaaten daraufhin Griechenland ihre Hilfe zukommen, um beschriebenes Szenario abzuwenden und „die finanzielle Stabilität der gesamten Eurozone“ zu sichern (Papakostantinou 2017, zit. n. Mink 2018, S. 88).

3. Europäische Rettungsmechanismen

3.1 Das erste Rettungsprogramm

Im März 2010 wurde, wie Mink schreibt, die Vereinbarung des Rettungsmechanismus für Europa dingfest gemacht. Mit einer koordinierten, bilateralen Kreditvergabe sollte die Finanzierung durch die Kapitalmärkte durch staatliche Gläubigerfinanzierung ersetzt werden. Das erste auf drei Jahre angelegte Rettungsprogramm beinhaltete bilaterale Kredite von insgesamt 110 Milliarden Euro, von denen 80 Milliarden auf die Länder der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und 30 Milliarden auf den Internationalen Währungsfonds entfielen. Mit dem Hilfsprogramm sollte zum einen eine Reduzierung des Staatsdefizits und die Stabilisierung griechischer Banken gewährleistet sein. Zum anderen sollten Strukturreformen in Griechenland langfristig vor einer Wiederholung der Krisensituation schützen, indem gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklungen korrigiert würden (vgl. Mink 2018, S. 88f.).

3.2 Reformprogramme für Staatshaushalt, Wirtschaft und Bankensektor Griechenlands

So verpflichtete sich Griechenland als Gegenleistung für die gewährten Hilfszahlungen tiefgreifenden Spar- und Sanierungsprogrammen zuzustimmen. Diese führten zu den drastischsten Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in der Geschichte griechischer Regierungen (vgl. Mink 2018, S. 88f.). Nach Dijsselbloem 2019 standen im Mittelprunkt der tiefgreifenden Reformprogramme die Reparatur des griechischen Staatshaushalts, die Arbeit an den strukturellen Schwächen der Wirtschaft und im Interesse der finanziellen Stabilität - der Bankensektor (vgl. Dijsselbloem 2019, S. 64). Die Durchsetzung der insgesamt vier Sparmaßnahmenpakete für Griechenland wurden dabei durch die Troika bestehend aus Europäischer Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission überwacht (vgl. Dijsselbloem 2019, 62f.). Unter ihrer Aufsicht ergaben sich eine zehnprozentige Reduktion der Zuschüsse öffentlicher Unternehmen in die Rentenkassen, die Erhöhung aller Mehrwertsteuersätze -im gravierendsten Fall auf 21%- sowie die Einfrierung aller staatlichen und privaten Rentenzahlungen (vgl. Mink 2018, S. 88f.). Auch das bis dahin nicht-digitalisierte und ineffektiv arbeitende Steuersystem Griechenlands und dessen über den Staat zerstreute korrupte Verwaltung sollten innerhalb der Reformprogramme grundlegend umgestaltet werden (vgl. Dijsselbloem 2019, 62f.).

Um nicht unter die Befehlsgewalt der Troika zu fallen, die für Griechenland einen immensen Einschnitt in dessen politische Autonomie bedeutete, hatten griechische Ökonomen wie Yanis Varoufakis vor der drohenden Staatsinsolvenz den Austritt aus der Euro-Währungsunion gefordert. Nach Mink (2018) wurde diese Forderung jedoch unter berechtigter Argumentation abgelehnt. Ohne die Zugehörigkeit zur Euro-Zone wäre die Vergabe von Krediten von einem auf den anderen Tag unmöglich geworden und Griechenland wäre mit seinem 36-Milliarden-schweren Loch im staatlichen Haushalt allein dagestanden. Die Zusammenstreichung der Staatsausgaben wäre unter diesen Umständen weitaus radikaler ausgefallen als sie mit den diktierten Sparprogrammen im Gegenzug für die Rettungsschirme gewesen war. Durch die vereinbarten Kredite erhoffte man sich das Staatsdefizit dagegen langsam und schrittweise abzubauen (Mink 2018, S. 92f.).

3.3 Aus griechischer Systemkrise wird Eurokrise

Mit Hilfe der Leihgaben seiner Nachbarn war der griechische Staat, so Mink, nun befähigt milliardenschwere fällig gewordene Anleihen fristgerecht zu begleichen und griechische Banken bekamen die Möglichkeit sich weiter zu refinanzieren, denn die europäische Zentralbank hatte im Ausnahmezustand Mindestkreditanforderungen ausgesetzt und akzeptierte in Wahrheit wertlose griechische Staatsanleihen (vgl. Varoufakis 2016, S. 202f.) als Sicherheit.1 Mit dem Rest der Zahlungen ließ sich auch die zeitweilige Handlungsfähigkeit der Regierung erhalten, indem Renten und Gehälter wieder gezahlt werden konnten (vgl. Mink 2018, S. 89ff.).

Doch mit der Auszahlung des ersten Rettungsschirms für Griechenland sollte nach Mink (2018) der auf staatlicher Gläubigerfinanzierung basierende Geldfluss nicht beendet sein. Die versprochenen 110 Milliarden Euro, die Griechenland erhalten sollte, hatten so auch Dijsselbloem (2019) die Finanzmärkte nicht beeindruckt. Im Laufe des weiteren Jahres 2010 flammte die Panik auf den Märkten wieder auf. Weiterhin steigende Defizite führten dazu das europaweit Reformen und Ausgabenkürzungen angekündigt wurden (vgl. Dijsselbloem 2019, S. 65). Indem Bundeskanzlerin Angela Merkel innerhalb der Troika die Haftung privater Gläubiger -hierbei sind nicht etwa einfache Bürger und Bürgerinnen, sondern schlicht Banken gemeint (vgl. Prokop 2013, S. 104)- im Falle eines Schuldenschnitts bei verschuldeten Staaten durchsetzen konnte, hatte sie, so Mink (2018), zu verantworten, dass auch andere Staaten wie Irland oder Portugal unter den Schutz eines interstaatlichen Mechanismus zur finanziellen Stabilisierung gestellt werden mussten. Wegen der beschlossenen privaten Schuldenabschreibung, auch als PSI (Private Sector Involvement) genannt (vgl. Dijsselbloem 2019, S. 66) befürchteten besorgte Finanzanleger nach dem Drama um die griechischen Staatsfinanzen nun auch den Bankrott dieser Länder, sodass es für diese ebenfalls zunächst zu wachsenden Zinsspreads und schließlich zu Kreditklemmen kam. So wurde aus der Systemkrise Griechenlands schließlich die allseits bekannte Eurokrise (vgl. Mink 2018, S. 93).

3.4 Rettungsschirme auf europäischer Ebene

Im Gegensatz zu den bilateralen Krediten zwischen den Euro-Ländern, die es im ersten griechischen Rettungsschirm gegeben hatte, wurde nun ein Rettungsschirm auf europäischer Ebene geschaffen. So richtete die Europäische Union im Mai 2010 den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) mit einem Volumen von 60 Milliarden Euro ein. Dabei wurde Anleihen der Europäischen Union am Markt emittiert, für welche die EU mit ihren eigenen Einnahmen haftete. Eine weitere Maßnahme bildete der vorläufige Notfallfond, der als Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) bekannt wurde. Die durch die Euro-Staaten gegründete Aktiengesellschaft (vgl. Prokop 2013, S. 105) konnte mit einem von den europäischen Mitgliedstaaten gedeckten Garantierahmen maximal 440 Milliarden Euro am Kapitalmarkt durch Emission von Schuldverschreibungen aufnehmen. Weiterhin beschloss die EZB im Mai 2010 das sogenannte Securities Markets Programme (SMP), um den Ankauf von Schuldverschreibungen finanzschwacher Euroländer am Sekundärmarkt zu organisieren (vgl. Mink 2018, S. 94f.). Hierbei verletzte diese nach dem EU-Vertrag von Maastricht gegen die geltende No-Bailout-Klausel, die besagt, dass die Europäische Zentralbank keine Staatshaushalte finanzieren darf. Diese behauptete jedoch den Vetrag nicht zu verletzen, da die Staatsanleihen nicht direkt von den Staaten, also auf dem Primärmarkt, sondern auf dem Sekundärmarkt von den sie innehabenden Banken erworben werden. Prokop 2013 stellt das Handeln der EZB in dieser Zeit mit der Mehrheit an EZB-Ratsmitgliedern aus den südlichen Euro-Staaten in Zusammenhang (vgl. Prokop 2013, S. 105f.).

Anfang 2011 verlagert sich die Aufmerksamkeit der Finanzwelt auf Portugal und Spanien. Der Unterschied zwischen den Renditen risikoreicher portugiesischer und spanischer Staatsanleihen und den risikoarmen deutschen Anleihen wurde zusehends größer, sodass man in Europa beschloss die ehemals provisorische Notfall-Fazilität in einen permanenten Rettungsschirm umzuwandeln, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (vgl. Dijsselbloem 2019, S. 69). Der Mechanismus, so Mink (2018), unterstützt Staaten in Zahlungsschwierigkeiten mit Krediten und anderweitigen Maßnahmen, im Falle dessen, dass eine Nichtgewährung der Unterstützung eine Gefahr für das gesamte Euro-Währungsgebiet darstellt. Der Bedarf wird hierbei durch die EZB und die europäische Kommission festgestellt. Wie bei den vorangegangenen Hilfen wird diese unter Vorbehalt der Verpflichtung zu innerstaatlichen Reformprogrammen und wirtschaftlichen Korrekturmaßnahmen gewährt. Durch eine Bürgschaft der Länder der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion von 620 Milliarden Euro sowie eine Direkt-Einzahlung von weiteren 80 Milliarden kann der Fond über Schuldverschreibungen am Kapitalmarkt gewünschte Beträge zu günstigen Konditionen beschaffen. Anzumerken ist auch, dass die dabei neu ausgegeben Staatsanleihen mit sogenannten Collective Action Clauses ausgestattet wurden, die beispielsweise im Falle staatlichen Konkurses auch Umschuldungsmaßnahmen wie einen Schuldenschnitt juristisch vereinfachen. Kredittranchen für die „Programmländer“ werden dabei stückweise ausgezahlt, während EU-Kommission, EZB und IWF die Sanierung der Staatsfinanzen und Reformarbeiten der Wirtschaft in diesen Ländern überwachen. Die Kredite müssen vollständig mit vereinbarten Zinsen am Ende der Laufzeit durch die „Programmländer“ zurückgezahlt werden. In einigen Fällen beträgt diese allerdings bis zu 20 Jahre (vgl. Mink 2018, S. 95ff.).

[...]


1 Auch andere Länder der europäischen „Peripherie“ - Synonym der von der Krise stark geschwächten Staaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien (PIIGS)- sollten noch von der „außergewöhnlichen Geldpolitik“ der EZB, welche so Dijsselbloem (2019) im Verlauf der Eurokrise 212 Milliarden Euro an Staatspapieren aufkaufte, profitieren (vgl. Dijsselbloem 2019, S. 59).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
War der Rettungsprozess Griechenlands plutokratisch motiviert?
Untertitel
Die Abwehr der griechischen Staatsschuldenkrise durch den Euro-Rettungsschirm
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Proseminar „Lektürekurs: Gekaufte Zeit“
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
23
Katalognummer
V1077293
ISBN (eBook)
9783346477729
ISBN (Buch)
9783346477736
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gekaufte Zeit, Wolfgang Streeck, Griechenland-Krise, griechische Staatsschuldenkrise, Eurokrise, Finanzkrise, Schulden, Schuldenfalle, Privat-Verschuldung, Staatsverschuldung, Bankenkrise, Investmentbanken, Schuldenstaat, Rettungsschirm, Schuldenschnitt, Troika, Griechenland-Rettung, Finanzdiplomatie, Gläubiger-Staaten, Schuldner-Staaten, Austerität, Systemkrise, Yanis Varoufakis
Arbeit zitieren
Johanna Ernst (Autor:in), 2020, War der Rettungsprozess Griechenlands plutokratisch motiviert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1077293

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