Dr. Watson als Vermittlungsinstanz


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

17 Pages


Extrait


Gliederung

I. Einleitung

II. Dr. Watson als Vermittlungsinstanz
1. Dr. Watsons Bedeutung innerhalb der Geschichten
Dr. Watson als Komplementärfigur
Ich-Erzähler und Biograph
Der Mann für die Kleinarbeit
Dr. Watson als Auditorium
2. Dr. Watson und der Leser
Glaubhaftigkeit
Erzählsuggestion
Identifikationsfigur
Der Informationsfluss über Dr. Watson

III. Schluss.

I. Einleitung

„Dr. Watson als Vermittlungsinstanz“ lautet das Thema dieser Arbeit. Wenn man von einer Vermittlungsinstanz spricht, so schließt das ein, dass dieses Instrument, in diesem Fall die Figur Watson, zwischen zwei Polen eine Verbindung herstellt. Vermittlung geschieht z.B., wenn in einer Telefonzentrale zwei Gesprächspartner verbunden werden. Ohne Vermittlung könnten sie zwar beide sprechen, sie würden sich allerdings weder verstehen noch hören. Folglich stellt sich die Frage, zwischen welchen Polen Dr. Watson der Vermittler ist.

Der eine Pol befindet sich genau wie Dr. Watson selbst innerhalb der Fiktionalität. Es ist Sherlock Holmes. Der andere Pol hingegen ist außerhalb der Fiktion. Es ist der Leser, oder besser gesagt die Leserschaft. Dr. Watson vermittelt also sozusagen zwischen textimmanenter Handlung und externer Welt, zwischen Fiktion und Realität. Um nun möglichst systematisch vorzugehen, wird zunächst die Beziehung der beiden Figuren, Holmes und Watson, sowie die Bedeutung Watsons innerhalb der Erzählung analysiert. In einem zweiten Schritt wird dann versucht, die aus dieser Fiktion herausreichende Beziehung zwischen Leser und Dr. Watson zu betrachten. Hierbei muss besonders berücksichtigt werden, wie die Vermittlung bereits durch textimmanente Merkmale bei Dr. Watson angelegt wurde.

II. Dr. Watson als Vermittlungsinstanz

1. Dr. Watsons Bedeutung innerhalb der Geschichten

1.1. Dr. Watson als Komplementärfigur

Im Zusammenhang mit Dr. Watson ist bei Buchloh und Becker (1978: 64) davon die Rede, dass er „… geradezu eine Komplementärfigur …“ zur eigentlichen Hauptfigur des Sherlock Holmes sei, also eine gegenteilige Ergänzungsfigur. Um dies nachvollziehen zu können, muss man die beiden Figuren und deren Beziehung zueinander genauer betrachten. Holmes beschreibt sich in A Study in Scarlet (1981: 19) selbst mit folgenden Worten: „… I get in the dumps at time, and I don’t open my mouth for days on end. You must not think I am sulky when I do that. Just let me alone, and I’ll soon be right. …”. Watson charakterisiert seinen Freund dort in dieser Weise: „Nothing could exceed his energy when the working fit was upon him; but now and again a reaction would seize him, and for days on end he would lie upon the sofa in the sitting room, …”. Holmes gibt sich gerne der Betäubung durch Kokain hin, was Watson als Arzt natürlich missbilligen muss. Auch romantische Züge können an Holmes festgestellt werden, die laut Buchloh und Becker (1978: 39) in „… seltsamem Gegensatz zu ihrem so oft beschworenen analytischen Geist stehen.“ Dieser Geist wird aufgrund dessen bei Buchloh und Becker (1978: 39) auch als „dual nature“ bezeichnet. Holmes auffallendes Äußeres lässt Anzeichen des Exzentrikers erkennen. In a Study in Scarlet (1981: 20) wird er folgender Maßen beschrieben:

His very person and appearance were such as to strike the attention of the most casual observer. In height he was rather over six feet, and so excessively lean that he seemed to be considerably taller. His eyes were sharp and piercing […] and his thin hawk-like nose gave his whole expression an air of alertness and decision. His chin, too, had the prominence and squareness which mark the man of determination. His hands were invariably blotted with ink and stained with chemicals …

Dr. Watson und Sherlock Holmes, diese beiden könnten kaum verschiedener sein. Holmes, der Exzentriker mit seinen genialen geistigen Fähigkeiten, hebt sich eindeutig von dem normalen Alltagsmenschen, Dr. Watson, ab. Dieser geht dem angesehenen Beruf des Arztes nach. Sein Aussehen ist eher unauffällig, zumindest wenn ihn mit Holmes vergleicht. Den großen Denkleistungen und analytischen Fähigkeiten seines Freundes begegnet er mit Bewunderung. Er ist allerdings selbst nicht in der Lage solche geistigen Meisterleistungen zu vollbringen und eher von durchschnittlicher Intelligenz. In Klaus Degerings Nachwort zu einer deutschen Reclamausgabe von Die Abenteuer des Sherlock Holmes (1989: 450) heißt es, dass Doyle selbst sagte, Dr. Watson sei „a commonplace comrade as a foil […]. A drab, quiet name fort his unostentatious man“. Was den ruhigen Dr. Watson und Sherlock Holmes jedoch verbindet, ist die „… starke Vorliebe für Abenteuer …“, wie Depken (1967: 66) angemerkt hat. Wenn man die beiden Figuren betrachtet, könnte man darin auch eine Bestätigung für ein bekanntes Sprichwort sehen. Es lautet „Gegensätze ziehen sich an“ und es scheint tatsächlich so, als ob sich Holmes und Watson durch ihren komplementären Charakter perfekt ergänzten. Dem Ehrgeiz entgegnet Dr. Watson seine Ruhe, dem exzentrischen Verhalten, wie z.B. dem Kokainkonsum oder den durchwachten Nächten, begegnet er gerne mit gut gemeinten Ratschlägen zur Mäßigung, wie etwa in The Sign of Four (1981: 89). Wie Buchloh und Becker (1978: 65) gezeigt haben, trägt der unauffällige und durchschnittliche Dr. Watson durch seine Normalität außerdem dazu bei, die Figur des ungewöhnlichen Meisterdetektivs noch weiter zu erhöhen und abnormal erscheinen zu lassen.

Obwohl sich die Figuren sowohl in den Kurzgeschichten als auch in den so genannten „long short-stories“[1] charakterlich nicht wesentlich verändern und sich laut Buchloh und Becker (1978: 15) in einigen Merkmalen eindeutig eine Nähe zum Melodrama erkennen lässt, kann man zumindest bei einer der beiden Hauptfiguren von einem „roud character“ sprechen. Sherlock Holmes vermag auch nach unzähligen Geschichten noch zu überraschen. Dr. Watson hingegen bleibt ein „flat character“, der sich von der ersten bis zur letzten Geschichte nur durch seine Heirat scheinbar kurz vom Helden entfernt, wie Depken festgestellt hat (1967: 67). Dr. Watson ist nur selten aktiv am Geschehen beteiligt. Er beschränkt sich meist darauf, aufmerksam zuzuhören oder zuzusehen. Watson ist also eher passiv, wohingegen Holmes z.B. die Klienten befragt oder auf Spurensuche geht. Diese Normalität und Durchschnittlichkeit Watsons, nicht nur im Wesen, sondern auch in seinen Handlungen, betont laut Buchloh und Becker (1978: 63) umso mehr die übersteigerten Fähigkeiten des Helden.

Die fast übermenschliche Figur des Sherlock Holmes mit den Charakteristika „which facinated Victorian and Edwardian readers because they were so alien to their own deep-seated respectability“ erfordert geradezu eine Komplementärfigur, die eine Brücke zwischen dem herausragenden „Great Detective“ und dem bürgerlichen Durchschnittsleser schlägt.

Das Bild eines kleinen, rundlichen, gemütlichen Mannes an der Seite des großen, hageren Mannes mit Tatendrang mag durchaus auch an ein anderes bekanntes Figurenpaar aus der spanischen Literatur erinnern, nämlich an Don Quichote und Sancho Pancha. Buchloh und Becker (1978: 63) stellten fest, dass „Durch die Nähe des Paares Sherlock Holmes/Watson zu Don Quichote/Sancho Pancha […] das Element der Queste zur Wiederherstellung einer heilen Welt erneut suggeriert [wird].“ Freilich kämpft Dr. Watson nicht an der Seite eines Mannes, der Windmühlen besiegen will und der geistig nicht ganz auf der Höhe ist. Dennoch, der stetige Begleiter und Assistent, der dem eigentlichen Helden, also Holmes, im Kampf um die Gerechtigkeit in der Welt beisteht, mag durchaus an dieses Figurenpaar erinnern. Nur durch den jeweiligen Helden ist es den Begleitern, Dr. Watson und Sancho Pancha, überhaupt erst möglich an diesem Kampf teilzuhaben.

1.2. Ich-Erzähler und Biograph

Dr. Watson ist der Ich-Erzähler nahezu aller Sherlock Holmes Geschichten, bis auf wenige Ausnahmen, in denen der Detektiv z.B. selbst erzählt.[2] Dr. Watson funktioniert als ständiger Beobachter des Geschehens. Er ist trotzdem nicht der Held oder die Hauptperson der Erzählung. Der Erzähler, also Dr. Watson, berichtet aus der Perspektive eines Zuschauers, der besonders am Helden und an dessen Erlebnissen interessiert ist. Depken (1967: 20) erklärt, dass diese besondere Form der Ich-Erzählung „Zuschauererzählung“ genannt wird. Des Weiteren erklärt er, dass „Leser und Zuschauer […] in den Erzählungen ein- und dieselbe Person [sind].“ Ein großer Vorteil dieser Form ist, dass nicht von vorneherein das glückliche Ende vorgegeben ist. Nur durch diese Perspektive ist es beispielsweise in The Final Problem möglich, den Helden Sherlock Holmes kurzzeitig sterben zu lassen. Wenn Holmes selbst der Erzähler wäre, könnte die Geschichte höchstens bis kurz vor den Tod heranreichen. Der Zuschauererzähler Dr. Watson kann jedoch vom vorgeblichen Tod des Meisterdetektivs erzählen, ohne dass dies an sich widersprüchlich erscheint. Natürlich kann ein Ich-Erzähler, der nicht die Hauptperson selbst ist, sich nicht auch ständig bei dieser befinden. So trennen sich die Wege der beiden Figuren mitunter auch, so dass Dr. Watson erst im Nachhinein erfährt, was denn Holmes in der Zeit seiner Abwesenheit alleine getan hat. Dazu ist er direkt auf einen Bericht aus dem Mund des Detektivs angewiesen.

Diese Art von Abhängigkeit scheint jedoch durchaus auch auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Holmes nennt Dr. Watson in A Scandal in Bohemia (1981: 164) liebevoll seinen „Boswell“. Wenn er ihn mit James Boswell vergleicht, dem Verfasser der berühmtesten englischen Biographie The Life of Samuel Johnson (1791), kann man auch seine eigene Selbsteinschätzung erahnen. Oft lässt Holmes erkennen, dass er Wert darauf legt, Watson als Zuschauer dabeizuhaben. Sogar bei vertraulichen Klientengesprächen, wie z.B. in A Scandal in Bohemia (1981: 164), ist der Doktor anwesend. Ob Holmes jedoch lediglich an die Interessen seines Freundes denkt oder vielmehr seiner „Biographie“ einige interessante Kapitel hinzugefügt wissen will, sei dahingestellt. Der ständige Begleiter, der ihn bewundert und der nur nebensächlich seine eigenen, und hauptsächlich die Erlebnisse des Detektivs in den Mittelpunkt seiner tagebuchähnlichen Aufzeichnungen stellt, schmeichelt seiner Eitelkeit doch sehr. Watson geht dabei jedoch nicht chronologisch vor. A Study in Scarlet, die erste Holmes Erzählung, ist zwar auch der Anfang der gemeinsamen Abenteuer, doch besonders nach dem Tod Holmes in The Final Problem wird immer mehr von der chronologischen Reihenfolge abgewichen. Watson kann aber nicht als regulärer Biograph und sein Werk als Biographie gesehen werden, da er sich nicht mit dem ganzen Leben des Detektivs befasst, sondern eben nur mit den Ausschnitten, in denen Holmes sich kriminalistisch betätigt. Die Zeit zwischen diesen Fällen füllt Holmes mit Kokainexzessen. Diese Perioden der Betäubung finden in Watsons Aufzeichnungen nur am Anfang eines neuen Falles kurze Erwähnung, wie etwa in The Sign of Four oder in A Scandal in Bohemia. Dr. Watsons Aufgabe in der Erzählung reicht aber über die bloßen Aufgaben eines Berichterstatters hinaus. Zwar ist er in vielen, teilweise sehr langen Passagen vollkommen passiver Beobachter, aber gelegentlich beteiligt er sich auch aktiv am Geschehen.

1.3. Der Mann für die Kleinarbeit

Diese Beteiligung am Geschehen kann mitunter der Geschichte auch zu ihrem glücklichen Ende verhelfen. Dr. Watsons Anteil daran ist jedoch nicht der, die Deduktionen des Detektivs zu ergänzen oder zu verbessern. Die intellektuelle Seite des Falles, also das Lösen, bleibt vollkommen von Holmes geistigen Fähigkeiten abhängig. Bei der Überführung und Festnahme des Täters spielt Watson hingegen oft eine entscheidende Rolle, wie z.B. in The Red-Headed League (1981: 185) , als Holmes Dr. Watson auffordert ihn mit seiner Pistole aus seinen Zeiten als Militärarzt zu unterstützen. „…I shall want your help to-night […] And I say, Doctor! There may be some little danger, so kindly put your army revolver in your pocket. […] If they fire, Watson, have no compunction about shooting them down”. Viele weitere Male, wie unter anderem auch in The Sign of Four, steht Watson ebenfalls mit dem Revolver an Holmes Seite. Doch nicht nur in gefährlichen Situationen schätzt und braucht Holmes Watsons Hilfe, auch auf anderen Gebieten kann er auf seinen Freund und Helfer bauen. Während sich Holmes in The Sign of Four (1981: 130) auf den Weg macht, um neue Informationen zu sammeln, hält Dr. Watson die Stellung in der gemeinsamen Wohnung.

… you will be much more useful if you will remain here as my representative. I am loth to go, for it is quite on the cards that some message may come during the day, […] I want you to open all notes and telegrams, and to act on your own judgement if any news should come.

Wenn Holmes einen Partner und Helfer benötigt, fällt seine Wahl automatisch auf Dr. Watson, der diesen Einladungen, die manchmal eher wie Befehle oder Feststellungen klingen, gerne nachkommt. In The Sign of the Four geht Holmes ganz selbstverständlich davon aus, dass ihn Watson bereitwillig begleiten wird, ohne dass er diesen überhaupt gefragt hätte.

Häufig kann man auch sehen, dass Dr. Watson die Kleinarbeit und die Aufgaben eines scheinbaren Handlangers oder, etwas würdevoller ausgedrückt, eines Assistenten übernimmt, was seiner eigentlichen Profession als Arzt und gebildetem Mann so überhaupt nicht zu entsprechen scheint. In The Sign of Four übernimmt Watson die etwas lästige Aufgabe, einen Spürhund von seinem Besitzer abzuholen und nach erledigter Aufgabe schließlich wieder zurückzubringen. Die erste Kurzgeschichte um Sherlock Holmes, A Scandal in Bohemia, lässt Dr. Watson geradezu wie sein Sekretär erscheinen, der auf Wunsch Holmes die gewünschten Akten heraussucht, oder Gegenstände in ein Fenster wirft und anschließend „Feuer“ ruft, ohne überhaupt in den Plan zur Lösung des Falles eingeweiht zu sein. Buchloh und Becker (1978: 65) erwähnen darüber hinaus seine Funktion als Retter in allerletzter Sekunde, mit einem Ausdruck aus dem antiken griechischen Theater, „Deus ex Machina“.

1.4. Watson als Auditorium

Dass Dr. Watson dem Meisterdetektiv intellektuell unterlegen ist, wurde bereits unter dem Punkt „Komplementärfigur“ (unter 1.1.) behandelt. Buchloh und Becker (1978: 65) erklären dazu, dass Watson „Durch seine geistige Struktur […] ein perfektes Auditorium für das Dozieren des Helden [ist], der über Watson seinem Leser Absichten und Methoden in oft überdeutlicher Form klarmachen kann.“ Die Tatsache, dass Holmes Deduktionen und die einzelnen Schritte der Untersuchungsstrategie für Watson größten Teils unverständlich sind, erfordert immer wieder detaillierte Erläuterungen von Holmes. Schritt für Schritt erklärt dieser dann dem Freund gegen Ende des Falles seine Schlussfolgerungen und weiht den bis dahin meist verwirrten Dr. Watson schließlich vollkommen in seine Gedankenwelt ein. Watson ist immer wieder erstaunt und verblüfft über die Fähigkeiten seines Freundes. In diesem Punkt ähnelt die Beziehung Holmes/Watson durchaus einem Lehrer/Schüler Verhältnis. Watson beobachtet zahlreiche Ermittlungen. Trotz dieser zahlreichen „Lehrstunden“ beim Meister persönlich, ist Watson kein sehr guter Schüler. Obwohl ihm Holmes immer wieder die Wichtigkeit genauer Beobachtungen von Details verdeutlicht und ihm erklärt, welche Schlussfolgerungen aus diesen gezogen werden können, scheint Watson nicht dazulernen. Aus diesem Grund muss Holmes dem „dummen“ Watson vom ersten bis zum letzten Fall seine Beweiskette mit stets gleich bleibender Detailliertheit erläutern. Eigene Schlussfolgerungen Watsons werden nahezu jedes Mal von seinem Meister widerlegt oder sie stellen sich als unzulänglich heraus.

Holmes selbst äußert sich in der von ihm selbst erzählten Geschichte, The Adventure of the Blanched Soldier (1981: 1000), über seinen Begleiter, Dr. Watson, folgender Maßen:

Speaking of my old friend and biographer, I would take this opportunity to remark that if I burden myself with a companion in my various little inquiries it is not done out of sentiment or caprice, but it is that Watson has some remarkable characteristics of his own to which in this modesty he has given small attention amid this exaggerated estimates of my own performances. A confederate who foresees your conclusions and course of action is always dangerous, but one to whom each development comes as a perpetual surprise, and to whom the future is always a closed book, is indeed an ideal helpmate.

2. Dr. Watson und der Leser

2.1. Glaubhaftigkeit

Innerhalb der Erzählung nimmt Watson die Funktion des Biographen und Ich Erzählers ein. Tritt man nun aus diesem inneren Erzählrahmen heraus und betrachtet die Aufgabe Dr. Watsons gegenüber dem Leser, so dient er diesem als Berichterstatter der Abenteuer um Sherlock Holmes. Der Zuschauer, also der Leser, ist in direkter Weise von seiner Perspektive abhängig, d.h. entfernt sich der Detektiv vom Erzähler, kann auch dieser nicht mehr dessen Schritte verfolgen. Der Leser verbleibt bei Dr. Watson und muss, genau wie dieser, auf die Rückkehr von Sherlock Holmes warten. Als Ich-Erzähler steht Dr. Watson dem Leser automatisch näher als der eigentliche Held. Der Leser wird über den unauffälligen Ich- Erzähler Dr. Watson sozusagen in die fiktionale Welt eingekoppelt. Es wirkt sich in der Beziehung Leser und Dr. Watson besonders positiv aus, dass die beiden Charaktere so komplementär angelegt wurden.

Zuerst muss erwähnt werden, dass Dr. Watson viel eher dem Bild eines zeitgenössischen Durchschnittsmenschen entspricht als der Meisterdetektiv, wie auch Buchloh und Becker (1978: 64) festgestellt haben. Der Leser fühlt sich dem „normalen“ Dr. Watson dadurch viel näher als dem übermenschlichen Sherlock Holmes, weil dieser genau so durchschnittlich ist wie er selbst. Seine ruhige Persönlichkeit und noch mehr sein Beruf erwecken das Vertrauen des Lesers. Ohne Dr. Watson wäre dieser direkt mit einem zwar genialen, aber auch ebenso ungreifbaren und unwahrscheinlichen Charakter konfrontiert. Wäre Holmes nicht so exzentrisch, würde er sich nicht immer wieder dem Rausch hingeben und wollte er Gefühle zeigen, hätte sich der Leser mit einem übermenschlichen Helden, ähnlich dem heutigen Superman, abfinden können. Doch diese Abenteuergeschichten aus dem Munde eines scheinbar Drogensüchtigen, gefühlskalten Menschen, ohne jede zwischenmenschliche Beziehung, würden wohl bei weitem nicht so glaubwürdig wirken. Dr. Watson ist jedoch zwischen die Pole, Leser und Detektiv, als „Vermittlungsinstanz“ eingeschaltet. Dies bewirkt, dass sich der Leser nicht direkt mit Sherlock Holmes auseinandersetzen muss, sondern lediglich als Zuschauer mit der Perspektive des Alltagsmenschen Dr. Watson, dem Ich-Erzähler. Der reale, normale Leser sieht sich also mit dem fiktiven, exzentrischen Helden nur konfrontiert durch den zwischengeschalteten Vermittler Dr. Watson, der einerseits so normal wie der Leser wirkt und handelt, aber andererseits so fiktiv wie der Held ist.

Zahlreiche detaillierte Angaben von Londoner Straßennamen, über genaue Daten und Zeiten, bis hin zu realen historischen Begebenheiten verdichten darüber hinaus die Realitätsfiktion der Holmes Geschichten, was ebenfalls zur Glaubwürdigkeit beiträgt. Das Gebäude 221b Bakerstreet, die Erwähnung realer Orte, wie z.B. der Charing Cross Station in The Adventure of the Illustrious Client (1981: 993), die Lektüre der Times und des Daily Telegraph und König Edward, sind nur einige der zahllosen Beispiele dafür. Der Leser ist mit diesen vertraut und erlebt so den Einbruch des Unheimlichen in die Welt, die ihm wie seine eigene erscheint, nur umso erschrockener. Depken (1967: 26) schreibt dazu: „Weitere Mittel zur Vortäuschung einer Wirklichkeit sind das wörtliche zitieren von Briefen und Auszügen aus Tagebüchern, überhaupt die Fingierung einer Quelle, wie sie Watsons Tagebücher, aus denen Doyles Erzählungen entnommen sind, darstellen sollen.“

Glaubwürdig ist Dr. Watson jedoch nicht nur aufgrund seiner Darstellung und der zahlreichen Details, sondern laut Buchloh und Becker (1978: 64) ebenso durch ein anderes, weit verbreitetes Mittel der Erzählkunst, „das von Watson benutzte und in der Detektivliteratur immer wieder auftretende Versatzstück der Ablehnung der Detektiverzählung in der Detektiverzählung“. Dr. Watson ist sich dessen bewusst, dass diese unglaublichen Berichte von sensationellen Geschehnissen auf den Leser sehr unglaubwürdig wirken müssen, selbst dann, wenn sie von einem Arzt und Naturwissenschaftler stammen. Aus diesem Grund lässt der Autor die Figur Dr. Watson die Unglaublichkeit seiner Erzählung einräumen. Watson beansprucht für sich, die Wahrheit zu erzählen. Dr. Watson bekennt in A Study in Scarlet (1981: 24), vor der Begegnung mit Holmes selbst nicht an die Existenz eines Meisterdetektivs geglaubt zu haben. Damit räumt er also die eigenen Zweifel ein und akzeptiert damit auch die Zweifel des Lesers. Er spricht diesem sozusagen aus der Seele. Gleichzeitig schmettert er aber auch die Behauptung ab, dass die Geschichten und die Figur, Sherlock Holmes, bloß erfunden seien. Dr. Watson ist als Ich-Erzähler gleichzeitig auch Identifikationsfigur für den Leser. Durch die Vorwegnahme der Empfindungen des Lesers, kann Watson, oder der eigentlich hinter seiner Figur stehende Autor, die Zweifel des Lesers annehmen und ihn gleichzeitig eines besseren belehren.

2.2. Erzählsuggestion

Die Erzählungen des fiktiven Biographen, Dr. Watson, beanspruchen für sich, Tatsachenberichte zu sein und folglich auch der Wirklichkeit des Lebens der Leser zu entsprechen. „Die Behauptung kann nur durch sehr starke Erzählsuggestion verifiziert werden“, wie Buchloh und Becker (1978: 40) festgestellt haben. Die Erlebnisse, die in den Holmes Geschichten geschildert werden, handeln von so Außergewöhnlichem, dass der Autor, und die Figur Dr. Watson, die seine Instanz innerhalb der Fiktion repräsentiert, zum Mittel der „Erzählsuggestion“ greifen, um diese Realitätsfiktion aufrecht zu erhalten.

Die Ablehnung der Detektivgeschichte in der Detektivgeschichte, der Fiktion in der Fiktion, wird deutlich, wenn Watson in A Study in Scarlet (1981: 24) zu Holmes sagt: „You remind me of Edgar Allan Poe´s Dupin. I had no idea that such individuals did exist outside of stories.” Auch die Eingebundenheit der Figuren in die Zeit und Lokalität, die durch genaue Beschreibung der Stadt London ihrer Menschen und Institutionen erreicht wird, trägt suggestiv dazu bei, die Scheinwelt Holmes mit der tatsächlichen Welt des Lesers zu vereinen.

Der Leser hat vor allem dann keine Wahl mehr, die Realitätsfiktion zu akzeptieren, wenn Watson die Genialität Holmes rühmt. „Damit der menschliche Geist und sein Prototyp, der Detektiv, gebührend bewundert wird, nimmt ein Erzähler die Reaktion des Lesers suggerierend vorweg“, erklären Buchloh und Becker (1978: 40). Erläutert wird dies im Anschluss daran (1978: 64): „Wenn der erzählende Dr. Watson seinen großen Freund bewundert, so bildet er ein dramatisches Publikum, indem er innerhalb der Geschichte die angestrebten Reaktionen des Lesers vorwegnimmt, …“. Die Bewunderung für den Helden, aber auch Zweifel, Einwände, Anspannung und Überraschung, Gefühle die Dr. Watson in seinen Berichten ausdrückt, sind dem Leser anhand der Texte klar vorgegeben. „I was never so struck by anything in my life …“ aus The Sign of Four ( 1981: 90), „I […] stared at him for some seconds in utter amazement, …” in The Adventure of the Empty House ( 1981: 485) und auch „I have no doubt that you have hit upon the truth“ (1981: 495) sind nur einige wenige Beispiele aus einer nahezu endlos erweiterbaren Liste suggestiver Aussagen. Die Empfindungen werden dem Leser als seine eigenen Gefühle geradezu untergeschoben, sobald sie explizit im Text von Watson ausgedrückt werden. Buchloh und Becker (1978: 65) stellen fest, dass „Durch die Funktion als reaktionsvorwegnehmendes Publikum und Auditorium […], Watson Verkörperung des melodramatischen Elementes der Manipulierung des Lesers [ist], dem jetzt die Möglichkeit zu eigener Stellungnahme genommen ist.“

2.3. Identifikationsfigur

Der vertrauenswürdige Ich-Erzähler steht dem Publikum als solcher viel näher als der eigentliche Held. Natürlich identifiziert sich der Leser eher mit Watson als mit dem Detektiv, von dem dieser erzählt. Der Leser ist ja direkt auf die Perspektive des Erzählenden-Ichs angewiesen. Wenn Holmes sich von Watson entfernt, verbleibt der Leser beim Erzähler. Doch nicht nur die Tatsache, dass Watson als Ich-Erzähler quasi per Definition Identifikationsfigur ist, sondern darüber hinaus noch viele andere Merkmale führen dazu, dass Watson sich für den Leser als ideale Projektionsfläche innerhalb der Geschichten erweist.

Watson ist in seinen geistigen Fähigkeiten mehr alltäglicher Durchschnittsmensch als Holmes. Bereits im vorigen Kapitel über „Glaubhaftigkeit“ (unter 2.1.) wurde festgehalten, dass der Leser eher einem Charakter wie Watson als einem Genie wie Holmes Glauben schenkt. Des Weiteren kann sich der Leser auch mehr mit der Passivität Watsons identifizieren, da er sich ja selbst, über die Lektüre der Holmes Geschichten gebeugt, nur passiv am Geschehen beteiligen kann. Der Leser ist ein bloßer Zuschauer und genauso stumm und regungslos wie der Ich-Erzähler in manchen Situationen. Über lange Passagen tritt Watson teilweise nur als Beobachter auf. Das Erlebende Ich scheint bei den langen Passagen des Erzählenden Ichs geradezu in Vergessenheit zu geraten. Kommt ein Klient zu Holmes lauscht er gespannt der Unterhaltung zwischen Detektiv und Klient, schaltet sich aber nur sehr selten selbst in das Gespräch ein. Watson gibt diese Gespräche in direkter Rede wieder. Er stellt in dieser Zeit die eigenen Gedanken und Handlungen, und somit auch seine ganze Person in den Hintergrund. Das Interesse des Arztes konzentriert sich, ganz wie das Interesse des Lesers, auf die Schilderung des Klienten und die ersten Deduktionen des Detektivs.

Auch wenn Watson aktiv am Geschehen beteiligt ist, kann sich der Leser mit ihm identifizieren, denn die Taten Watsons sind nicht die eines Übermenschen, sondern, wie zuvor bereits erwähnt (unter 1.3.), durchaus von jedem anderen auch zu bewältigen. Er übernimmt die Kleinarbeit wie Telefondienste, das Stellunghalten oder einfache Aufgaben, die ihm Sherlock Holmes übertragen hat. So hilft er dem Detektiv, wenn die körperliche Kraft eines zweiten Mannes gebraucht wird, wie z.B. beim Aufstemmen einer Tür oder übernimmt Botengänge für Holmes. Alles samt unspektakuläre Aktionen, die dem Leser den Eindruck vermitteln, dass er selbst diese Aufgaben genauso gut erledigen hätte können. In gefährlichen Situationen, wenn Watson seinen alten Armeerevolver herausholt, erhält der Zuschauer ebenfalls den Eindruck, dieser Aufgabe mindestens genauso gewachsen zu sein wie der durchschnittliche Arzt.

Ein Problem ergibt sich allerdings aus der Tatsache, dass Dr. Watson scheinbar nicht dazulernt. Er, der seinen Freund bei unzähligen Abenteuern begleitet hat, lässt sich jedes Mal aufs Neue von Holmes geistigen Vorführungen beeindrucken, und das sogar nachdem die beiden schon Jahre zusammen verbracht haben müssen. Immer wieder verleiht er seine Überraschung und Bewunderung Ausdruck. Der Leser selbst ist indessen schon daran gewöhnt, ungewöhnliche Lösungsansätze von Holmes zu hören und ist weit weniger beeindruckt. Zwar versucht sich Watson gelegentlich an eigenen Deduktionen á la Holmes, die vollständige Lösung eines Falles übernimmt aber immer noch der eigentliche Detektiv. Wenn jedoch selbst Watson die Arbeitsmethoden eines Holmes erwerben könnte, so denkt sich der Leser, er könne diese Wissenschaft durch zahlreiche Lektüre der Holmes Geschichten auch erlernen. Laut Buchloh und Becker (1978: 65) kann sich der Leser also über die Brücke Dr. Watson sogar mit dem Helden identifizieren. Mit zunehmender Zahl gelesener Holmes Geschichten, sinkt jedoch das Vertrauen in die Darstellung und Wahrnehmung des Ich-Erzählers, der immer naiver zu wirken scheint. Watson verwandelt sich zunehmend in einen „unreliable narrator“. Gleichermaßen wie das Vertrauen in die Darstellung Watsons sinkt, beginnt der Leser sich selbst eigene Theorien zur Lösung des Falles zurechtzulegen. „Das Selbstgefühl des Lesers wird gestärkt, wenn er selbst immer ein wenig schneller als Dr. Watson die Zusammenhänge erkennt“, wie Buchloh und Becker festgestellt haben (1978: 65). Das kann laut Vorigen (1978: 39) sogar soweit gehen, dass der Leser sich mit Holmes messen will und versucht die Lösung zu finden, bevor sie der Meisterdetektiv wieder in einzelnen Schritten für Watson und diejenigen, die ihre ersten Holmes Geschichten lesen, erklärt.

2.4. Der Informationsfluss über Dr. Watson

Dr. Watsons wichtigste Rolle im Kommunikationsprozess zwischen Leser und Holmes, ergibt sich aus seiner Rolle als Ich-Erzähler. Watson ist das Auditorium für Holmes innerhalb der Geschichten. Er ist jedoch gleichzeitig der Erzähler und somit wird der Leser zum Auditorium Watsons. Es ist Watson, der die Geschichte erzählt. Folglich erhält der Leser die Informationen lediglich vom Begleiter des Detektivs, nicht aber vom Detektiv selbst. Sherlock Holmes ist seinem Freund geistig überlegen, trotzdem, oder gerade deswegen hält er teilweise Informationen vor Watson zurück. Bei Dr. Watson entsteht dadurch ein gewisses Informationsdefizit, das dieser dann an den Leser weitergibt. Insofern ist nicht nur Dr. Watson, sondern auch der Leser direkt von der Bereitschaft des Detektivs abhängig, seine Vorgehensweise und Verdachtsmomente explizit zu erklären. Oft hat Sherlock Holmes bereits sehr früh im Verlauf der Geschichte konkrete Theorien, die er jedoch erst verifiziert wissen will, bevor er sie Dr. Watson mitteilt. Der Meisterdetektiv alleine bestimmt somit auch, wann der Leser welche Information erhält. Die Gedanken und Erlebniswelt des Helden bleibt verschleiert, wenn dieser es wünscht. Erst bei der Auflösung erfährt der Ich-Erzähler und somit auch der Leser Schritt für Schritt, was sich im Kopf des Detektivs abgespielt hat. Natürlich ist es eigentlich nicht Holmes als fiktive Gestalt, sondern Arthur Conan Doyle, der Autor der Geschichten, der den Informationsfluss bestimmt. Der Zuschauererzähler, Dr. Watson, erweist sich hier aber als perfektes Instrument, um das Informationsdefizit auf Seiten des Zuschauers aufrechterhalten und nach belieben steuern zu können. Dies ist eine Methode, um Spannung zu erzeugen und beliebig lange aufrechterhalten zu können. Spätestens am Ende einer Geschichte lässt Holmes jedoch den ganzen Fall revuepassieren. Das Informationsdefizit Watsons und des Zuschauers wird Schritt für Schritt ausgeglichen. Hierbei kann Holmes erklären welchen Wissensstand er zu welchem Zeitpunkt seiner Ermittlungen hatte und zu welchen Schlussfolgerungen er aufgrund welcher Tatsachen gekommen ist. Teilweise geschieht das in überdeutlicher Form, was jede Zweifel an der Logik dieser Deduktionen abschmettern soll.

Vergleichend könnte man sagen, dass Dr. Watson ein Floß ist, das Informationen vom Flussufer Holmes zum Ufer des Lesers transportiert. Der Autor bestimmt, wann das Floß fährt und mit was es beladen ist. Der Vergleich mit einer festen „Brücke“, wie z.B. bei Buchloh und Becker (1967: 65) kann im Bezug auf den Informationsaustausch irreführend wirken, weil die Verbindung zur anderen Seite, also Holmes, nur dann besteht, wenn dieser es wünscht. Trennen sich Holmes und Watsons Wege, hat der Zuschauer überhaupt keine Verbindung mehr zum Helden bis dieser zurückkehrt.

Dr. Watson erzählt jedoch nicht ausschließlich von Holmes, dessen Taten und Gedanken. Er vermittelt in gewisser Weise auch in die andere Richtung. Watson ist Beobachter genau wie der Leser der Geschichten. Geschickt versteht es der Autor, die Fragen, die sich der Leser stellt, durch Watsons Mund an Sherlock Holmes zu richten. Dies ist bestimmt eine Meisterleistung, denn der Autor muss dazu die Lücken in der eigenen Erzählung und Logik erkennen. Übertragen auf die vorherige Metapher hieße das, dass das Floß auch in die andere Richtung, also an das Ufer Holmes Ladung transportiert. Diese Ladung besteht aus Fragen und Einwänden. Natürlich bestimmt auch hier der Autor, welche Fragen zu welchen Zeitpunkten Holmes erreichen. Überbringer der Einwände ist wiederum Watson.

Ein letzter, aber dennoch nicht zu vernachlässigender Teil der Vermittlungsfunktion Watsons, besteht schließlich darin, die Handlung zu schildern, wie es jeder andere Ich-Erzähler auch tut. Das Erlebende-Ich, das auch Einblick in eigene Wahrnehmungen und Gefühle gewährt, ist die Basis der Geschichten um Holmes. Auch wenn der Detektiv einige Male die Erzählweise seines Freundes als zu wenig sachlich kritisiert, der Leser dankt für eine spannende Erzählung. Wenn Watson wie in The Final Problem den Tod Holmes schon am Anfang der Kurzgeschichte andeutet, oder aber wie in The Adventure of the Empty House seine Wiederauferstehung, so erhöht das die Spannung ungemein. Aber auch die Schilderung dunkler, verlassener Gebäude, in denen plötzliche Geräusche ertönen oder das Herausreißen der Pistole im entscheidenden Moment sind für das Lesepublikum wahrscheinlich weitaus fesselnder als die Tatsachenberichte, die Holmes von Watson fordert.[3]

III. Schluss

Das Modell des Zuschauererzählers als verifizierendes Element in der Fiktion wurde zwar nicht von Arthur Conan Doyle erfunden, denn bereits Poe verwendete in seinen Kurzgeschichten einen solchen, trotzdem ist er maßgeblich an der Schaffung dieses Modells beteiligt. Deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass auch der Begleiter in anderen Detektivgeschichten als „Der Watson“ oder die „Watsonfigur“ bezeichnet wird. Umberto Ecos Roman Il nome della rosa (1980) wird von einem Zuschauer erzählt, der sogar lautlich sehr an sein Vorbild erinnert. „Adson“ klingt tatsächlich sehr nach „Watson“. Wenn man bedenkt, dass der Meisterdetektiv in diesem Roman „Baskerville“ heißt, wird man kaum mehr bestreiten wollen, dass Doyle und seine Werke als Vorlage gedient haben. Die Realitätsfiktion und die Figuren, die Doyle mit seinen Detektivgeschichten schuf, scheinen so glaubhaft gewesen zu sein, dass viele Leser es auch tatsächlich für möglich gehalten haben, dass Dr. Watson und Sherlock Holmes tatsächlich existieren. Bis Heute gibt es in London ein Postfach, in dem Briefe an die beiden Helden aus den Geschichten ankommen.

Primärliteratur:

Doyle, Sir Arthur Conan (1981), The Penguin Complete Sherlock Holmes, London: Penguin Books.

Boswell, James (1952), The life of Samuel Johnson, Chicago: Encyclopaedia Britannica.

Eco, Umberto (1984), Il nome della rosa, Milano: Bompiani.

Sekundärliteratur:

Buchloh, Paul G. & Jens P. Becker (1978), Der Detektivroman, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Depken, Friedrich (1967), Sherlock Holmes, Raffles und ihre Vorbilder, Amsterdam: Sweets & Zeitlinger.

Degering, Klaus (1997), „Nachwort“, in Sir Arthur Conan Doyle, Die Abenteuer des Sherlock Holmes, Stuttgart: Reclam, 433-461.

[...]


[1] Die Holmes Romane wurden oft als „long short-stories“ bezeichnet, da sie sich im Wesentlichen nicht von den eigentlichen short-stories unterscheiden. Die Länge wird laut Buchloh und Becker (1978: 60) nur durch einen eingeschobenen, melodramatischen Mittelteil erreicht.

[2] The Adventure of the Blanched Soldier sowie The Adventure of the Lion´s Mane sind aus der Perspektive Holmes erzählt. Holmes bekennt in diesen Geschichten auch, dass ihm Dr. Watson als Begleiter und Biograph an seiner Seite fehlt. The Adventure of the Mazarin-Stone ist hingegen aus der Perspektive einer dritten Person geschrieben.

[3] Eine Erzählung aus Holmes eigener Feder, also auch aus seiner Perspektive, müsste konsequenterweise die Spannung vernachlässigen. Tatsächlich unterscheidet sich Holmes Erzählweise in den Geschichten The Adventure of the Lions Mane und in The Adventure of the Blanched Soldier in wesentlichen Punkten kaum von Dr. Watsons Erzählstil. Seiner eigenen Forderung nach größtmöglicher Sachlichkeit, scheint er nicht einmal selbst nachzukommen.

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Dr. Watson als Vermittlungsinstanz
Université
University of Passau
Cours
HS: Der englische Roman des 19.Jh
Auteur
Année
2003
Pages
17
N° de catalogue
V107822
ISBN (ebook)
9783640060450
Taille d'un fichier
548 KB
Langue
allemand
Annotations
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Mots clés
Watson, Vermittlungsinstanz, Roman
Citation du texte
Silke Haydn (Auteur), 2003, Dr. Watson als Vermittlungsinstanz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107822

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