Häufig gestellte Fragen zum Dokument: Von d’Hondt zu Hare-Niemeyer
Was ist das Thema des Dokuments?
Das Dokument analysiert das deutsche Bundestagswahlsystem, insbesondere den Wechsel vom d’Hondt- zum Hare-Niemeyer-Verfahren. Es beleuchtet die mathematischen Grundlagen beider Verfahren, ihre Vor- und Nachteile, und diskutiert auftretende Paradoxien wie das Population-, New-State- und Alabama-Paradox.
Welche Wahlsysteme werden verglichen?
Der Vergleich konzentriert sich auf das d’Hondt-Verfahren (ein Divisorverfahren) und das Hare-Niemeyer-Verfahren (ein Quotenverfahren). Das Dokument untersucht die mathematischen Eigenschaften beider Verfahren und deren Auswirkungen auf die Sitzverteilung im Bundestag.
Was sind die zentralen Unterschiede zwischen d’Hondt und Hare-Niemeyer?
Das d’Hondt-Verfahren ist ein Divisorverfahren, das konsistent, aber nicht quotenerfüllend ist. Es bevorzugt tendenziell größere Parteien. Das Hare-Niemeyer-Verfahren hingegen ist ein Quotenverfahren, das konsistent und quotenerfüllend ist, wobei die Konsistenz mit Einschränkungen verbunden ist (z.B. durch die 5%-Hürde und Überhangmandate). Hare-Niemeyer begünstigt im Vergleich zu d’Hondt eher kleinere Parteien.
Welche Paradoxien werden im Zusammenhang mit den Wahlsystemen diskutiert?
Das Dokument behandelt das Population-Paradox, das New-State-Paradox und das Alabama-Paradox. Diese Paradoxien zeigen, dass selbst mathematisch ausgeklügelte Verfahren zu unerwarteten und möglicherweise ungerechten Ergebnissen führen können, insbesondere in Verbindung mit der 5%-Hürde und Überhangmandaten.
Warum wurde das Wahlsystem in Deutschland geändert?
Der Wechsel vom d’Hondt- zum Hare-Niemeyer-Verfahren war eine politische Entscheidung, beeinflusst durch die FDP, die argumentierte, dass d’Hondt größere Parteien bevorzuge. Das Dokument zeigt anhand von Beispielrechnungen die unterschiedlichen Ergebnisse beider Verfahren auf und diskutiert die Vor- und Nachteile beider Systeme im Hinblick auf Regierungsbildung und Repräsentation kleinerer Parteien.
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Bundestagswahl?
Die Bundestagswahl wird durch das Grundgesetz (GG), das Bundeswahlgesetz (BWG), die Bundeswahlordnung (BWO), das Wahlstatistikgesetz (WStatG) und die Wahlkreiseinteilung geregelt. Das Dokument beschreibt die grundlegenden Prinzipien der Wahl (allgemein, unmittelbar, frei, gleich, geheim) und die Rolle der verschiedenen Gesetze im Wahlprozess.
Was ist die Bedeutung der 5%-Hürde?
Die 5%-Hürde besagt, dass Parteien, die weniger als 5% der Zweitstimmen erhalten, nicht in den Bundestag einziehen, es sei denn, sie haben drei Direktmandate. Diese Hürde beeinflusst die Sitzverteilung und kann zu Paradoxien wie dem New-State-Paradox führen.
Was sind Überhangmandate?
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem Verhältniswahlanteil zustehen. Diese Mandate führen zu einer Abweichung von der proportionalen Sitzverteilung und können zum Alabama-Paradox führen.
Welche mathematischen Konzepte werden im Dokument verwendet?
Das Dokument verwendet Konzepte der Wahlmathematik, wie Divisorverfahren, Quotenverfahren, Konsistenz und Quotenbedingung. Es diskutiert den Unmöglichkeitssatz von Balinski und Young, der besagt, dass ein Verfahren nicht gleichzeitig konsistent und quotenerfüllend sein kann.
Welche Schlussfolgerungen zieht das Dokument?
Das Dokument zeigt, dass es kein perfektes Wahlsystem gibt. Jedes System hat Vor- und Nachteile und kann zu Paradoxien führen. Die Wahl des Systems ist eine politische Entscheidung, die Abwägungen zwischen verschiedenen Zielen wie proportionaler Repräsentation, Regierungsstabilität und der Berücksichtigung kleinerer Parteien erfordert.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Grundlagen unserer Bundestgaswahl
2. Von d’Hondt zu Hare-Niemeyer
2.1. Das d’Hondtsche System, Ursprünge und Entwicklungen
2.2. Grund zum Wechsel
3. Hare-Niemeyer
3.1. Das Hare-Niemeyer-Verfahren
3.2. Paradoxien
3.2.1. Population-Paradox
3.2.2. New-state-Paradox
3.2.3. Alabama-Paradox
4. Bundestagswahl 2002
4.1. Berechnung der Sitzverteilung im 15. deutschen Bundestag
Quellen- und Literaturverzeichnis
Danksagung
Einleitung
Da der prozentuale Anteil einer Partei nicht zwingend ganzzahlig ist muss man ein Verfahren entwickeln um die Sitze in der Versammlung angemessen zu vergeben.
Ich schreibe angemessen und nicht gerecht, da es praktisch und vor allem mathematisch kein gerechtes Wahlsystem gibt. Es gibt auch kein bestes System, da jeder Staat und jede Gesellschaft andere Bedürfnisse haben. Um in dieser Frage wenigstens eine Empfehlung aussprechen zu können muss man mathematische, politische und juristische Aspekte berücksichtigen. Im folgenden möchten wir uns auf Ersteres beschränken und versuchen zu zeigen welche mathematischen Einzelheiten, Vor- und Nachteile sowie Paradoxien das deutsche Bundestagswahlsystem aufweist. Der Einfluss des Wahlrechts und auch der Wahlmathematik ist wie Gasset schreibt zumindest nicht unerheblich für die Geschicke einer Gesellschaft, deshalb habe ich das Thema auch gewählt.
1. Die Grundlagen unserer Bundestagswahl
Unser Wahlsystem basiert auf folgenden Gesetzen:
1. Grundgesetz (GG) Artikel 38, 39
2. Bundeswahlgesetz (BWG)
3. Bundeswahlordnung (BWO)
4. Wahlstatistikgesetz (WStatG)
5. Wahlkreiseinteilung
1. Das GG nennt die fünf Grundsätze nach denen die Wahl stattzufinden hat: ALLGEMEIN, UNMITTELBAR, FREI, GLEICH, GEHEIM
Es legt das Wahlalter, auf Bundesebene auf 18 Jahre, die Legislaturperiode auf 4 Jahre und die Fristen der konstitutiven sowie der letzten Sitzung fest.
2. Das BWG besteht aus den Regelungen zum Wahlsystem, der Wahlorgane, dem Wahlrecht & der Wählbarkeit, der Vorbereitung der Wahl, der Wahlhandlung, der Feststellung des Wahlergebnisses, der Nach- und Wiederwahlen, der Bedingungen zur Mitgliedschaft im Bundestag, der Wahlkosten und den Ordnungswidrigkeiten, sowie der Möglichkeiten der Anfechtung.
3. Die BWO regelt alle Einzelheiten, die das BWG vorschreibt, des weiteren legt sie exakt fest wie der ordentliche Ablauf stattzufinden hat, von Briefwahl, Wahlen in Klöstern und Gefängnissen bis hin zur Position des Vorstandstisches im Wahlraum.
4. Das WStatG verpflichtet die Statistischen Landesämter unter „Wahrung des Wahlgeheimnisses“ [1., S.231] repräsentative Wahlstatistiken zu erheben und das Bundesamt diese zu veröffentlichen.
5. Die Wahlkreiseinteilung legt Namen und Gebiete der 299 Wahlkreise fest.
Mandatsverteilung
Aus dem Grundsatz der Unmittelbarkeit leitet sich die direkte Wahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen durch die Erstimme ab. Diese machen jedoch nur die Hälfte der im Bundestag vorgesehenen Mandate aus. Die restlichen Mandate werden nach den summierten Zweitstimmenergebnissen der Bundesländer mit Hilfe des Rechenverfahrens „Hare-Niemeyer“ (3.1.) in Mandate verrechnet, welche dann nach den Landeslisten der Parteien verteilt werden und so erst Personen zugeordnet werden. Unser System nennt sich deshalb „Personalisiertes Verhältniswahlrecht“.
Einschränkungen
Der Grundsatz der Gleichheit im GG ist grundlegend für die Mathematik des Wahlsystems, so muss die „Zählwertgleichheit der Stimme“ [2.] gewahrt sein. Allerdings wird dieser Grundsatz durch folgende Regelungen eingeschränkt:
- Die Fünf-Prozent-Hürde bedeutet dass Parteien, die weniger als 5% der gültig abgegebenen Zweitstimmen erhalten, nicht in den Bundestag einziehen dürfen. Wenn eine Partei jedoch drei Direktmandate hat, wird auf Grund dieses
„Grundmandats“ ihr Zweistimmenergebnis ebenso nach Hare-Niemeyer (s.3.1.) in Sitze umgerechnet. Nur bei der Wahl zum ersten gesamtdeutschen Bundestag wurde, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, zwei deutsche Wahlgebiete geschaffen, die alten und neuen Bundesländer, in den neuen galt die Klausel nicht, um den jungen ostdeutschen Parteien gegenüber den professionell-routinierten westdeutschen Parteien mehr Chancen einzuräumen.
- Die Einteilung der Wahlkreise, da diese nie alle dieselbe Zahl Wähler aufweisen können und so die Direktkandidaten nie alle dieselbe Zahl Wähler repräsentieren.
- Die Überhangmandate, welche zustande kommen wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach Landesliste zustehen. Diese verfallen je Mandat nur durch Tod eines der Direktkandidaten, für den es dann nicht, wie sonst üblich einen Nachrücker gibt.
Diese Einschränkungen können bei Hare-Niemeyer zu Paradoxien führen. Durch die 5-Prozent-Hürde kann es zum New-State-Paradox (s.3.2.2), durch Überhangmandate zum Alabama-Paradox kommen (s. 3.2.3.).
2. Von d’Hondt zu Hare-Niemeyer
2.1. Das d’Hondtsche System, Ursprünge und Entwicklungen
Hierbei handelt es sich um ein Divisorverfahren. Bei einem Divisorverfahren werden die Stimmen einer Partei P a durch mehrere Divisoren geteilt, der entstandene Quotient wird dann nach den dem Rundungsverfahren des Systems gerundet, nach Anwendung dieser Quotientenrundung ergibt sich die Zahl der gesamt zu vergebenden Sitze.
Divisorverfahren sind immer „konsistent“ [7.] und nach dem Unmmöglichkeitssatz von Balinski und Young („Ein Sitzzuteilungsverfahren kann nicht gleichzeitig die Quotenbedingung erfüllen und konsistent sein.“ [7.] - "There is no method that avoids the population paradox and always stays within the quota" [8., S. 79] ) nie quotenerfüllend.
Konsistenz liegt vor:
“Wenn man jeweils zwei (oder mehr) Parteien mit ihren Sitzen und Stimmen vergleicht, kann dies zu keiner Verschiebung der Sitzverteilung führen. (Paarweiser Vergleich) ... Bei fehlender Konsistenz können zusätzliche Stimmen für eine Partei C dazu führen, dass Partei A einen Sitz an Partei B verliert.“ [7.]
Quotenverfahren (s.3.1.) weisen nach Balinski und Young diese fehlende Konsistenz immer auf, sie sind gleichzeitig immer quotenerfüllend, d.h.:
„Durch die Division durch eine Wahlzahl und das Auf- oder Abrunden der so erhaltenen Quote wird ein Idealrahmen definiert. Ein Verfahren, dass den Idealrahmen der Hare-Quote [Zahl der gültig abgegebenen Stimmen dividiert durch Anzahl der Mandate] erfüllt, erfüllt die Quotenbedingung.“ [8.]
Das d’Hondtsche System hat in seinem Kern mehrere Väter, der erste und bekannteste war Thomas Jefferson, (1743-1826), dritter Präsident der USA (1801-1809) und Verfasser der bedeutenden amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) es wurde 1792 eingeführt, in den USA wurde die „Jefferson’s method“ jedoch schon 1852 abgeschafft (Gründe s. 2.2. und 3.1.).
Der Schweizer Physik-Professor und Mathematiker Eduard Hagenbach-Bischoff (1833- 1910) entwickelte ein Divisorverfahren, was jedoch auch starke Züge eines Quotenverfahrens aufweist, da der Divisor x durch ein typisches Element eines Quotenverfahren berechnet wird (s.3.1.):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Partei mit dem höchsten Quotient erhält das Mandat, die Restmandatsverteilung wird solange wiederholt bis kein Mandat mehr zu verteilen ist. Wenn die Quotienten in 3. gleich groß sind, entscheidet die größte Restzahl aus 2., sind diese gleich groß erhält die Partei das Mandat deren betroffene Bewerber die höchste Stimmenzahl aufweisen kann. Hagenbach-Bischoff wird bei den Wahlen zum Schweizer Nationalrat verwendet. Abb.1
Der belgische Jura-Professor Victor d’Hondt (1841-1901) entwickelte ein Divisor- Berechnungsverfahren für Verhältniswahlsysteme. Die gültig abgegebenen Stimmen für eine Partei werden durch 1,2,3, ... n dividiert und die Mandate der Reihenfolge der größten entstanden Höchstzahlen (Quotienten) nach vergeben, deshalb wird es auch „d’Hondtsches Höchstzahlverfahren“ genannt.
2.2. Grund zum Wechsel
1957 wurde das d’Hondtsche Verfahren für die Wahlen zum Deutschen Bundestag eingeführt, 1985 wurde es auf Drängen der FDP durch das Hare-Niemeyer- Verfahren(s.3.1.) abgelöst. Dies war eine politische Entscheidung, so sah es auch der Niedersächsische Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 20.09.1977, keine Verfassung sondern der Gesetzgeber habe das Wahlverfahren festzulegen. Die FDP, traditionell eher eine kleine Partei, gab an dass dieses Verfahren zu Gunsten größerer Parteien rechnen würde.
Bereits Anfang des 20.Jahrhunderts gab es ähnliche Vorwürfe. Folgende Rechnungen in Abb.2 verdeutlichen die Problematik:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Man sieht deutlich die Unterschiede zwischen den beiden Verfahren. Je kleiner die
Partei und je weniger Mandate zu vergeben sind, desto mehr werden die großen Parteien bevorzugt. Oft wird behauptet, dass das d’Hondtsche System vor allem Regierungsparteien bevorzugt, sicherlich ermöglicht bzw. erhält es am ehesten eine große Koalition. Im direkten Vergleich zwischen d’Hondt und Hare-Niemeyer bevorzugt Hare-Niemeyer die kleinen Parteien, absolut betrachtet verhält es sich jedoch neutral. Betrachtet man jedoch die Abweichung zu den Werten die nach Anteilen berechnet wurden erkennt man das in diesem Beispiel d’Hondt sich diesen mehr annähert. Allerdings ergeben sich bei genauerer Betrachtung andere Ergebnisse:
„... weichen die mit Divisorverfahren gewonnen Mandatsverteilungen stärker von den genauen proportionalen Anteilen ab als die mit dem Rundungsverfahren errechneten.“ [4., S.121] In Abb.2 wird deutlich das es für jede Situation unterschiedlich genaue Verfahren gibt, von einem optimalen Verfahren kann man deshalb nicht sprechen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Obwohl Partei A in Abb.3 nur 43% innehat, erreicht sie mit acht zu sieben Mandaten die absolute Mehrheit. Hier ist wieder zu beobachten, dass d’Hondt eher zu stabilen Regierungsmehrheiten führt, kleinere Parteien haben weniger Chancen, allerdings ist es für neue radikale Parteien auch schwerer gemäßigte „Mitte- Regierungen“ abzulösen.
- Arbeit zitieren
- Lukas von Kohout (Autor:in), 2003, Mathematische Aspekte des deutschen Bundestagswahlsystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107855