Der vorliegenden Text stellt die Klassentheorien von Karl Marx und Max Weber gegenüber und beleuchtet die verschiedenen Blickwinkel, die die jeweilige Ausgestaltung prägen. Ob und inwieweit sich beide Theorien voneinander unterscheiden und welche Betrachtungsweise geeigneter ist, Strukturen und gesellschaftliche Veränderungen zu analysieren, wird sich zum Ende zeigen.
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Klassentheorie von Karl Marx
2.1. Die Klasse
2.2. Das Klassensystem
2.3. Tendenz der Gesellschaftsentwicklung
3. Die Klassentheorie von Max Weber
3.1. Stände und Statusunterschiede
3.2. Schichtung
3.3. Tendenz der Gesellschaftsentwicklung
4. Schlussbemerkung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit werde ich die Klassentheorien von Karl Marx und Max Weber gegenüberstellen und der Frage nachgehen, ob und in wieweit sich beide Theorien voneinander unterscheiden und welche Betrachtungsweise die geeignetere ist, um menschliches Handeln zu erklären.
Beide haben mit ihrer Schichtungstheorie Grundsteine soziologischer- und ökonomischer Betrachtungsweisen Gelegt, die noch heute die Basis für die meisten Untersuchungen diesbezüglich darstellen. Betrachtet man die modernen Gesellschaftsstrukturen, so lassen sich anhand dieser beiden Theorien Sichtweisen entwickeln, die das gemeinschaftliche Miteinander im Blickpunkt wirtschaftlicher- und sozialer Interessen aufdecken. Die Konflikte, die innerhalb dieses Kreislaufs entstehen und die Erkenntnis eines notwendigen Zusammenspiels unterschiedlicher Bedarfsdeckung innerhalb einer Gesellschaft, werden deutlich, und schaffen Diskussionsgrundlagen bezüglich der Problematik menschlichen Zusammenlebens.
Im jeweiligen Anfangskapitel werden die verschiedenen Begrifflichkeiten erläutert, mit denen Marx und Weber unterschiedliche Lebenschancen und Lebensweisen einzelner Individuen und ihrer Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft, anhand jeglicher Art von Vergesellschaftung zu ergründen versuchten. Die Schwerpunkte, bezüglich des Aufbaus einer Gesellschaft, behandeln dann die beiden Kapitel „Das Klassensystem“ und „Schichtung“. Das abschließende Kapitel „Tendenz der Gesellschaftsentwicklung“ thematisiert eine zukunftsorientierte Betrachtung hinsichtlich gesellschaftlicher Strukturen im kapitalistischen System, wie Marx und Weber sie verstehen. Die Unterschiede, die beide Theorien aufweisen, haben ihren Ursprung letztendlich auch in der gegensätzlichen Biografie, auf die ich in der Schlussbemerkung noch kurz eingehen werde.
2. Die Klassentheorie von Karl Marx
2.1. Die Klasse
Marx Definition von Klasse und Schichtung beruht im wesentlichen auf einer in zwei Grundklassen eingeteilten Gesellschaft. Die Bourgeoisie (Kapitalisten, Eigentümer von Produktionsmitteln und Grundeigentümer) und das Proletariat (Arbeiterklasse). Die Klassenzugehörigkeit eines Individuums zur herrschenden Klasse (Bourgeoisie) entsteht demnach in jeder Gesellschaftsordnung durch Privateigentum an Produktionsmitteln und den Besitz von Grund, Boden und Geldvermögen. Die Klasse, die mit der Herrschenden in einem dauerhaften Konflikt steht, Marx nennt dies den Klassenkampf, ist das Proletariat. „Die Eigentümer von bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapital und die Grundeigentümer, deren respektive Einkommenquellen Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, bilden die großen Klassen der auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaft.“ (Karl Marx, 2002, S. 132)
Der Klassenkampf, welcher in erster Linie auf der Ausbeutung des Proletariats beruht, bildet sich aufgrund dieser Darstellung heraus. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse werden von sozialen Gruppen vertreten, die er als Klassen bezeichnet. Innerhalb dieser Struktur entstehen Konflikte, die jene unterschiedlichen Bedürfnisse der Klassen symbolisieren. Für Marx ist dieser immer wiederkehrende Konflikt der Klassen der Ausgangspunkt seiner Theorie. „Die Klassenstruktur ist identisch mit dem System der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit.“ (Michael Mauke, 1971, S. 9) Seine Arbeitswerttheorie erklärt die Konfliktbildung diesbezüglich deutlich indem sie den von der Arbeiterklasse geschaffenen Mehrwert, der von den Produktionsmittelinhabern einbehalten wird und deren persönlichen Profit ausmacht, als Wurzel allen Übels bezeichnet. Die Klassenbildung im Zusammenhang mit Arbeitsteilung ist für seine Definition existentiell.
Die Arbeitsteilung differenziert die Gesellschaft, sobald die Entwicklung der Werkzeuge und der gesellschaftlichen Arbeitsmethoden sie befähigt Mehrarbeit zu leisten. Mehrarbeit kann auch durch die Verbesserung der Arbeitsmittel und –methoden entstehen, also durch neue Produktivkräfte, welche es ermöglichen, bei gleichem Aufwand an Arbeitszeit ein größeres, ein Mehrprodukt zu erzeugen. (vgl. Michael Mauke, 1971, S. 10) Dieses Mehrprodukt jedoch spaltet die Gesellschaft in den Teil, der es produziert, und den Teil, der es sich aneignet und über seine Verwendung verfügt.
Marx sieht den technischen Fortschritt, die Modernisierung und Rationalisierung von Produktionsabläufen, als weitestgehend von der Bourgeoisie betriebenes Handeln im Sinne einer Steigerung des Mehrwertes und einer damit verbundenen Anhäufung von Reichtum einer Klasse bei steigender Ausbeutung der anderen. Diese Sichtweise entwickelt Marx anhand der seiner Meinung nach unterschiedlichen Zielsetzungen der einzelnen Klassen. Der Bourgeoisie unterstellt Marx demnach das übergeordnete Interesse der Profitmaximierung. Zur Verwirklichung dieses Ziels entwickelt die Klasse der Bourgeoisie eigene Interessen und Strategien, welche sie einige aber auch spalte. Als Existenzbedingung der Bourgeoisie begreift Marx die ständige Revolutionierung der Produktionsinstrumente, die der Reduzierung der Lohnkosten dient und Arbeitskraft durch den Einsatz effizienterer Maschinerie verdrängt wird. Durch Steigerung des Profites lassen sich neue Absatzmärkte erschließen, was zur Folge hat das die Produktion im Interesse der Bourgeoisie folgend gestaltet wird. Dieses Profitstreben sieht Marx im Kapitalismus durch den Staat begünstigt und gefördert, der die Ausbeutung des Proletariates in Kauf nimmt, deren Rahmenbedingungen hierfür mitgestaltet und formt. „Der kapitalistische Staat ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet.“ (Karl Marx, Friedrich Engels, 1946, S. 28)
Durch Emanzipation des Privateigentums vom Gemeinwesen ist der Staat zu einer besonderen Existenz neben und außer der bürgerlichen Gesellschaft geworden; er ist aber weiter Nichts als die Form der Organisation, welche sich die Bourgeoisie sowohl nach außen als nach innen hin zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben. (vgl. Karl Marx, Friedrich Engels, 1953, S. 76)
Das Klasseninteresse des Proletariates leitet Marx aus der Klassenlage aller Arbeiter ab, die in Abhängigkeit von der Lohnzahlung des Arbeitgebers gezwungen seien, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Auch die Vereinfachung der Arbeit, in Folge der Verwendung von Maschinen, entwertet die Arbeit zunehmend und senkt den Preis der Arbeitskraft und den dafür zu erwartenden Lohn. Marx begreift den Arbeitslohn als das vereinende Klasseninteresse des Proletariates. Dieser Argumentation folgend findet also eine ständige Unterdrückung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie statt. Aus dieser fast ausweglos erscheinenden Situation entwickelt Marx dann einen revolutionären Ansatz, indem die Arbeiterklasse sich gegen die Bourgeoisie erhebt und sie auf dem Höhepunkt des Klassenkampfes zerschlägt, um für eine neue Ordnung Platz zu schaffen. Marx sieht die Bourgeoisie zwar somit auf lange Sicht erfolglos, spricht ihr jedoch im Einzelfall eine lange Lebensdauer zu. „Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.“ (Karl Marx, 2002, S. 493)
2.2. Das Klassensystem
Marx und sein System der Klassen ist weit vielschichtiger als es von denjenigen behauptet wird die in seiner Darstellung eine reine Zweiklassengesellschaft analysiert sehen. Es ist zwar richtig, das er oft nur die Bourgeoisie und das Proletariat in seiner Theorie begründet, dieser Eindruck aber vermutlich daher rührt, dass er sein Klassenkonzept nie ganz eindeutig nachvollziehbar entwickelt hat.
Das Marx jedoch sehr wohl über die Existenz von Über- und Unterklassen innerhalb einer Gesellschaftsstruktur im Bilde war und auch Konflikte innerhalb der einzelnen Klassen analysierte, wird deutlich, wenn man sein Gesamtwerk betrachtet. In der überwiegende Mehrheit seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigte sich Marx mit der Schichtung und den gesellschaftlichen Klassen. Übergangsklassen nennt Marx beispielsweise die Existenz von Gruppierungen, die aus einem früheren System hervorgegangen sind und noch lange nach Zusammenbruch des Systems weiterbestehen, wie heute in etwa die Landarbeiter und Bauern. (vgl. Anthony Giddens, 1999, S. 269)
Marx Schwerpunkt im Hinblick der Betrachtung einer gesellschaftlichen Struktur liegt aber nun einmal beim Klassenkampf innerhalb und zwischen den einzelnen Klassen. Hier sind für ihn die verschiedenen Verhaltensmuster der Individuen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung in ihrem Ursprung zu sehen und abzuleiten. Er verweist uns damit auf objektiv strukturierte wirtschaftliche Ungleichheiten in der Gesellschaft. „Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern.“ (Karl Marx, Friedrich Engels, 1946, S. 33) Anders als für Weber begreift Marx industrielle Gesellschaftsstrukturen als Übergangsformen, die in Zukunft radikal umorganisiert werden. Er ging davon aus, das die eine oder andere Form von Sozialismus jede kapitalistische Grundordnung irgendwann ablösen wird. Der wirtschaftliche westliche Einfluss auf den Rest der Welt, der heutzutage unübersehbare Ausmaße angenommen hat, ist für Marx eine Folge des nach Gewinnmaximierung und einer stetig steigenden Expansion von produzierten Gütern und Leistungen aufgrund von Ausbeutung und Unterdrückung strebenden kapitalistischen Systems. (vgl. Anthony Giddens, 1999, S. 621)
2.3. Tendenz der Gesellschaftsentwicklung
Prinzipiell erteilt Marx jeder kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine Absage. Eine auf diesen Strukturen basierende Ordnung kann laut Marx nicht von Dauer sein und ruft durch ihre geschaffene Organisation ihren eigenen Untergang hervor, der durch die Revolution der sich erhebenden Arbeiterklasse vollzogen wird. Einen etwas anderen Ansatz liefert Marx in seiner 1859 geschriebenen Kritik der politischen Ökonomie. Hier entsteht seine Theorie des sozialen Wandels anhand der gegenseitigen Wechselwirkung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Am Ende dieses Prozesses steht zwar auch eine Neugestaltung der Sozialstruktur, die sich aber nicht vordergründig durch den Klassenkampf entwickelt.
Für Marx ist hier das anwachsen der Produktivkräfte, über die bestehenden Strukturen der Produktionsverhältnisse, die entscheidende Tendenz aus der eine neue Ordnung hervorgeht. Er nennt die Bourgeoisie als Vertreter der Produktivkräfte, die aufgrund sozialökonomischer Entwicklungen, wie etwa das erschließen neuer Märkte, neue Möglichkeiten fordert und somit Veränderungen verlangt. Dieses vollzieht sich Stufenweise und haben sich am Ende neue Produktionsverhältnisse durchgesetzt und etabliert, so definiert er die nun siegreiche Klasse (die Bourgeoisie) als diejenige, die nun gestärkt eine Neubildung der Gesellschaft nach ihren Vorstellungen vollzieht. (vgl. Dirk Kaesler, 2002, S. 61)
Dieser Prozess wird sich laut Marx dann fortwährend wiederholen und so immer wieder herrschende und beherrschte Klassen entstehen lassen. Die Chancen, die hier für eine Gesellschaftsordnung entstehen, sind eindeutig in dem überwinden alter Strukturen zu sehen. Das es hierbei genau so gut möglich scheint, dass die neue Ordnung in Teilen schlechter funktioniert oder nur für einen Teil der Bevölkerung unbefriedigend verläuft, ist kaum auszuschließen. Das sich aber durch diese Sichtweise von Marx dann folgerichtig immer wieder auch ein Klassenkampf entwickelt scheint in der Regel konsequent.
Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. (vgl. Dirk Kaesler, 2002, S. 65) Die Kernaussage der von Marx vertretenden Klassentheorie besteht demnach aus den Folgenden Punkten: 1. Die Bildung einer Klassengesellschaft und der in ihr existierenden Klassen beruht im wesentlichen auf den historischen Entwicklungsphasen der wirtschaftlichen Produktion. 2. Der aus dem Konflikt der Klassen entstehende Klassenkampf, der auf revolutionäre Weise bei Marx in erster Linie durch die Arbeiterklasse bestimmt wird, indem sie sich gegen die herrschende Klasse auflehnt und sie letztendlich besiegt und somit eine neue Ordnung erzwingt. Und 3. Die Aufhebung aller Klassen und der damit verbundene Übergang in eine klassenlose Gesellschaft.
3. Die Klassentheorie von Max Weber
3.1. Stände und Statusunterschiede
Max Weber hat mit seiner Theorie zur Klassenbildung eine weiterführende Betrachtungsweise auf Grundlage der von Marx entwickelten Analysen geschaffen. Weber stellt die Gesellschaft von Grund auf differenzierter dar als die von Marx viel zitierten beiden Hauptklassen, zwischen denen die gesellschaftlich relevanten Entwicklungen entschieden werden. Weber geht zwar auch davon aus, dass die Bildung einer Klasse auf weitestgehend vorherrschende wirtschaftliche Bedingungen zurückzuführen ist, misst dabei den Wirtschaftsfaktoren aber eine größere Bedeutung zu.
Für Weber ist nicht nur der Besitz von Produktionsmitteln die auf Klassendistinktionen verweisen ausschlaggebend, sondern vielmehr Faktoren wie erworbene Fertigkeiten und Qualifikationen der einzelnen Individuen, die eine feinere Abstufung innerhalb der Gesellschaft ergeben. Damit meint er Unterschiede innerhalb der Klassen, wo beispielsweise Arbeiter aufgrund verschiedener Fähigkeiten einen unterschiedlichen Marktwert besitzen und somit höher qualifizierte Facharbeiter einen leichteren Zugang zu bessergestellten Arbeitsbedingungen haben. (vgl. Anthony Giddens, 1999, S. 270ff)
In Webers Definition der Klassenlage finden sich demnach Begrifflichkeiten, die für Marx weniger von Bedeutung waren. Als Stand oder Status bezeichnet Weber Unterschiede im sozialen Ansehen. Diese Statusunterschiede können negativ oder positiv behaftet sein und geben die Stellung der einzelnen Statusgruppen innerhalb der Gesellschaft wieder. Positive oder privilegierte Statusgruppen wären folglich Ärzte und Anwälte, die in einer Gesellschaftsstruktur ein hohes soziales Ansehen genießen. Zu den negativ privilegierten eines Standes zählen diejenigen, denen nicht die gleichen Möglichkeiten der meisten anderen zur Verfügung stehen und denen mangels Chancengleichheit berufliche Wege verwehrt bleiben. Dieses geschieht anhand von Ausgrenzungen die Rassistischen Ursprungs sein können und nichts mit wirtschaftlichen Faktoren zu tun haben. Ein Beispiel hierfür wären die Juden im europäischen Mittelalter die keine Beamten werden konnten. (vgl. Anthony Giddens, 1999, S. 270ff)
Die Unterscheidung Webers bezüglich Klasse und Stand lässt sich auch anhand von Vermögensbesitz erklären. Der Vermögende, dem die Zugehörigkeit zur sozialen Klasse der Besitzenden gewiss ist, muss nicht gleichermaßen ein positiv privilegierter seines Standes sein, wenn etwa die Menschen seiner Klasse ihn geringschätzen. Umgekehrt besitzt beispielsweise ein Adeliger auch heute noch einen privilegierten Status in der Gesellschaft, obwohl er über kein Vermögen verfügt. Hier ist nur der Titel ausschlaggebend, der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Statusgruppe kennzeichnet. Der Status eines Individuums richtet sich also nach seiner subjektiven Bewertung durch die anderen, wobei die Klasse objektiv gegeben ist. „Dem „Stand“ steht von den „Klassen“ die „soziale Klasse“ am nächsten, die „Erwerbsklasse“ am fernsten.“ (Max Weber, 1972, S. 180)
Es sind bei Weber wie auch bei Marx rein wirtschaftliche Gründe, die einem Menschen seine Klassenzugehörigkeit zuweisen. Webers Klassentheorie ist aber deshalb so wertvoll, weil sie durch seine Definition von Ständen und Statusunterschieden eine Betrachtungsweise liefert, die unterschiedliches soziales Ansehen von Menschen in einer Gesellschaft erklären kann, ohne dies zwangsläufig von wirtschaftlichen Faktoren abhängig zu machen. „Wir verstehen unter ständischer Lage eine primär durch Unterschiede in der Art der Lebensführung bestimmter Menschengruppen (und also meist: ihrer Erziehung) bedingte Chance positiver oder negativer sozialer Ehre für sie.“ (Max Weber, 1956, S. 439)
3.2. Schichtung
Webers Schichtungstheorie beinhaltet auch die von Marx beschworenen Klassenkämpfe, nur kennzeichnet er sie nicht in der gleichen Form als systembildend und revolutionär im positiven Sinn. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Theorien. Weber bezeichnet den Klassenkampf als Begleiterscheinung einer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die sich daraus entwickelnde Revolution beschreibt Weber anhand von inneren und äußeren Merkmalen. Als Innere: unter der Bedingung des Klassenkampfes die Befriedigung des Hasses und der Rachsucht, des Ressentiments und des Bedürfnisses nach pseudoehtischer Rechthaberei, also des Verlästerungs- und Verketzerungsbedürfnisses gegen die Gegner. Als Äußere: Die Lust auf Abenteuer, die Gier nach Beute und Macht. (vgl. Max Weber, 1956, S. 180)
Zusätzlich zu den schon genannten Begrifflichkeiten, erweitert Weber seine Schichtungstheorie um den Begriff der Partei. Die Bildung von Parteien sieht Weber als wichtigen Aspekt der Machtausübung, welche die Schichtung unabhängig von Klasse und Stand beeinflussen. Unter Parteien versteht Weber Gruppen von Einzelpersonen, die sich aufgrund gleicher Zielsetzung oder Interessenlage zusammenschließen. Die Parteien beeinflussen durch ihr handeln die Klassenbildung nachhaltig, da sich ihre Ziele aus den Bedürfnissen verschiedener Klassen zusammensetzen und sie für die ökonomischen Bedingungen einzelner Individuen verantwortlich sind. Dieses könnten beispielsweise nationale oder religiöse Vereinigungen sein die klassenunabhängige Positionen vertreten. (vgl. Anthony Giddens, 1999, S. 271)
3.3. Tendenz der Gesellschaftsentwicklung
Weber ging davon aus, dass der Kapitalismus in seiner Entstehung von einer Reihe religiöser Ideale geprägt wurde. Für ihn war das Christentum im allgemeinen und der Protestantismus - im besonderen der Puritanismus – für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes verantwortlich. Für die Puritaner war es der berufliche Erfolg gemessen am materiellen Wohlstand, der ihnen anzeigte, ob einer von ihnen zu den Erwählten Gottes gehörte. So kam es unter ihnen zu einem gehörigen streben nach wirtschaftlichem Erfolg, was aber weniger durch die Gedanken an Luxusgüter zur eigenen Verwendung, als vielmehr durch die Gewissheit von Gott begünstigt zu sein getragen wurde. Die hieraus abzuleitenden kapitalistischen Grundformen beschreibt Weber in seiner viel diskutierten protestantischen Ethik.
„1. Bedenke, dass Kredit Geld ist. Läßt jemand sein Geld, nachdem es zahlbar ist, bei mir stehen, so schenkt er mir die Interessen oder so viel, als ich während dieser Zeit damit anfangen kann. 2. Bedenke, dass Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Geld kann Geld erzeugen, und die Sprößlinge können noch mehr erzeugen. 3. Bedenke, dass - nach dem Sprichwort – ein guter Zahler der Herr von jedermanns Beutel ist. Wer dafür bekannt ist, pünktlich zur versprochenen Zeit zu zahlen, der kann zu jeder Zeit alles Geld entlehnen, was seine Freunde gerade nicht brauchen.“ (Max Weber, 1981, S. 40f, 41)
Weber erteilt dem Kapitalismus jedoch keine Absage in der Form wie Marx es tut. Verantwortlich hierfür ist seine Theorie der Rationalisierung. Er macht den kapitalistischen Drang zur Profitmaximierung nicht primär für die industrielle Entwicklung verantwortlich, sondern sieht dies eher durch die Rationalisierung der Produktion begründet. Er betrachtet die Wissenschaft und die bürokratischen Strukturen einer Gesellschaft als dessen Motor und macht jede Vergesellschaftung von diesen Faktoren abhängig. Der Bürokratie schreibt Weber diesbezüglich einen erheblichen Wert zu. Er benennt sie als einzige Möglichkeit, größere Gruppen von Menschen zu organisieren. Die Wissenschaft beziffert Weber als den jeweiligen technologischen Stand einer Gesellschaft, von dem die Entwicklungschancen bezüglich einer effizienter zu gestaltenden Zukunft abhängen. (vgl. Anthony Giddens, 1999, S. 622) Der Rationalisierung von gesellschaftlichen Abläufen bescheinigt Weber bei fast allen seiner Betrachtungen systemverändernden Charakter. Er sieht das Wirken der Menschheit in einer dauerhaften Suche nach effizienteren Lebensbedingungen ökonomischer und sozialer Struktur. Die ordnende Wirkung dieser Rationalisierungsprozesse auf die Gesellschaft ist für seine Theorie von existentieller Bedeutung. Der Eindruck, das Weber in seiner Rationalisierungstheorie eine für die Zukunft gerechte und blühende Gesellschaft beschreibt, stimmt jedoch nicht. Er betrachtete die Entwicklung diesbezüglich recht skeptisch und empfand so mancherlei Bemühungen der Menschen im Hinblick der Gestaltung einer effizienteren Gesellschaft als kaum erstrebenswert. Die von ihm gemeinte Irrationalität der Rationalisierung verweist uns hierauf. Er sah gleichermaßen im Zuge einer Effektivitätssteigerung und der wachsenden Bürokratie zunehmende Entmenschlichung, Versachlichung, Verunpersönlichung und Entseelung auf die Menschen zukommen.
Der Blick Webers in die Zukunft entlockte ihm dann folgende Aussprüche: „Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.“ (Max Weber, 1922, S. 203) „Dass die Welt nichts weiter als solche Ordnungsmenschen kennt – in dieser Entwicklung sind wir ohnedies begriffen, und die zentrale Frage ist also nicht, wie wir das noch weiter fördern und beschleunigen, sondern was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Parzellierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bürokratischer Lebensideale.“ (Max Weber, 1988, S. 414)
4. Schlussbemerkung
Webers Schichtungstheorie erscheint in seiner Anwendbarkeit vielfältiger und kompatibler, um das Handeln einzelner Individuen innerhalb einer gesellschaftlichen Struktur zu erklären. Er hat aber auch den Vorteil, auf die Analysen von Marx aufbauen zu können. So wirkt meiner Meinung nach Webers Theorie ergänzend zu Marx und keineswegs ersetzend oder richtiger. Beide haben ihre starken Argumente Vergesellschaftung zu beschreiben. Für die unterschiedliche Herangehensweise Beider scheint es zwei Gründe zu geben, die mir sehr wichtig erscheinen. Zum einen sind dies die verschiedenen Lebensbedingungen, die Marx und Weber kennzeichnen. Marx, dem aufgrund seiner revolutionären Einstellung Ämter und Aufstiegsmöglichkeiten zeit seines Lebens verwehrt blieben und der sogar gezwungen war zu emigrieren, sah sich diesbezüglich auch ständig mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert. Im Gegensatz dazu, kam Weber aus sehr wohlhabenden und einflußreichen Verhältnissen und sah sich zu keiner Zeit existentiellen Sorgen ausgesetzt. Der zweite Grund die emotionalere und vielleicht auch menschlicher wirkende Argumentation von Marx zu erklären, ist die Tatsache, das er noch zu Lebzeiten die Französische Revolution miterlebte. Marx revolutionäre Betrachtungsweise gesellschaftlicher Strukturen wurde dann auch zum Synonym ganzer Arbeiterbewegungen bis tief ins 20. Jahrhundert hinein.
Die auf der anderen Seite etwas kühl wirkende Betrachtungsweise Webers könnte der Grund dafür sein, warum seinen Theorien zu Lebzeiten keine all zu große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das wertvolle Erbe, welches die Beiden uns hinterlassen haben ist meiner Meinung nach jedoch unbestritten. Die ungetrübte Scharfsinnigkeit Webers und die revolutionäre Argumentation der Gerechtigkeit von Marx, bezüglich ökonomischer und sozialer Vergesellschaftung, werden der Menschheit auf unbestimmte Zeit von Nutzen sein.
5. Literaturverzeichnis
Anthony Giddens, „Soziologie, 2. Auflage“, Nausner und Nausner Verlag,
Graz-Wien 1999
Dirk Kaesler, „Klassiker der Soziologie, 3. Auflage“, C.H. Beck Verlag, München 2002
Karl Marx, „Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Band III“, Directmedia Berlin 2000
Karl Marx und Friedrich Engels, „Die deutsche Ideologie“, Das Neue Wort Verlag, Stuttgart 1953
Karl Marx und Friedrich Engels, „Das Manifest der kommunistischen Partei“, Neuer Weg Verlag, Berlin 1946
Michael Mauke, „Die Klassentheorie von Marx und Engels“, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1971
Max Weber, „Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik“, J.C.B. Mohr Verlag, Tübingen 1988
Max Weber, „Die protestantische Ethik I, 6. Auflage,“ J.C.B. Mohr Verlag, Tübingen 1981
Max Weber, „Wirtschaft und Gesellschaft 5. Auflage“, J.C.B. Mohr Verlag, Tübingen 1972
Max Weber, „Soziologie, Analysen, Politik“, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1956
Max Weber, „Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Band I“, J.C.B. Mohr Verlag, Tübingen 1922
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- Diplom Soziologe Michael Baumann (Autor:in), 2003, Klassenstruktur und Schichtungstheorie. Vergleich der Theorien von Karl Marx und Max Weber, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108163