Das Problem der Gleichzeitigkeit von Staatsbildung und Demokratisierung in Kroatien und der Einfluss der Regierungspartei


Trabajo, 2002

24 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Gliederung

1. Einleitung

2. Theoretische Perspektiven der Gleichzeitigkeit bei den Transformationsprozessen in Ost- und Mitteleuropa

3. Der Einfluss der Staatsbildung auf die Demokratisierung und die Rolle der HDZ
3.1. Der Ablauf der Demokratischen Transition und die Herausbildung der Parteienlandschaft
3.2. Die Rolle der Zivilgesellschaft und des Nationalismus bei der Demokratisierung
3.3. Die Anfänge der kriegerischen Auseinandersetzungen in Kroatien
3.4. Das Ausnutzen des Krieges zur Konsolidierung der Macht der Regierungspartei HDZ
3.5. Die Entwicklung nach 1995

4. Schlussfolgerung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Demokratisierung des Staates und der Gesellschaft war eines der Hauptanliegen der westlichen Mächte nach dem Zerfall des Ostblocks Ende der 80er Jahre. In den meisten Staaten des Ostblocks wurde dieser langwierige Prozess sofort nach der Wende in Angriff genommen und von der westlichen Staatengemeinschaft mit Interesse verfolgt und aktiv unterstützt. In einigen Staaten ist aber dieser Demokratisierungsprozess durch andere Vorgänge, z.B. Kriege, ein wenig in den Hintergrund getreten. Einige sehr gute Beispiele dafür sind auf dem Gebiet des Ehemaligen Jugoslawien zu finden. Im besonderen Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Rest-Jugoslawien sind hier zu erwähnen. Hier standen die Auseinandersetzungen zwischen bzw. in den einzelnen Staaten im Vordergrund und die internationale Gemeinschaft hat sich, verständlicher Weise, erstmal auf die Herstellung des Friedens und nicht auf die Konsolidierung der Demokratie konzentriert.[1] In den einzelnen Staaten selbst war der Wille zur Demokratisierung unterschiedlich stark ausgeprägt und damit auch mit unterschiedlichem Erfolg gekrönt.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem nationalen Demokratisierungsprozess in Kroatien, der in den Jahren 1991-1999 sehr stockend, wenn überhaupt, vorangegangen ist. Die Gründe hierfür sind vielfach. Einer ist mit Sicherheit der starke Machtwille der regierenden Partei HDZ und des Staatspräsidenten Tuđman. Aber auch die politische Unreife, sowohl der neuen Elite, als auch der Wähler ist nicht unwichtig.[2]Was aber wohl den größten Einfuß auf den Grad der Konsolidierung der Demokratie in Kroatien hatte, ist der von 1991-1995 herrschende Krieg in diesem Land. Nur wegen den weitreichenden Problemen bei der Staatsgründung, konnten die zwei erstgenannten Punkte eine solche Tragweite erlangen.[3]

In Kroatien musste also gleichzeitig der demokratische Transformationsprozess und die Nationalstaatsbildung gemeistert werden, was sich, zusammen mit dem Wirtschaftumbau, in allen Transformationsstaaten Ost- und Mitteleuropas als schwierig erwies. Diese Arbeit wird sich hauptsächlich mit den politischen Aspekten der Transformation und den Problemen der Staatsbildung beschäftigen. Die wirtschaftlichen Aspekte werden hier weitgehend außer Acht lassen. Eine positive wirtschaftliche Lage hätte den Demokratisierungsprozess vielleicht beschleunigen können, da aber die politischen Gesichtspunkte in nicht geringem Maße die Ursache für die schleppende wirtschaftliche Entwicklung in Kroatien darstellten, werden diese in den Vordergrund gerückt.

Um die wissenschaftliche Relevanz dieses Themas zu unterstreichen wird hier erst die theoretische Perspektive der Gleichzeitigkeit bei den Transformationsprozessen in Ost- und Mitteleuropa diskutiert. Obwohl nicht alle Transformationsstaaten mit denselben Problemen, in derselben Ausprägung zu kämpfen hatten, wird dieses Thema auf einer allgemeinen Ebene behandelt. Dies soll nicht die Einzigartigkeit jedes einzelnen Transformationsprozesses in Frage stellen, sonder nur die allgemeineren Zusammenhänge und Muster postsozialistischer Transformationsprozesse herausarbeiten. Danach wird konkret auf den Fall Kroatien und den dortigen Einfluss des Staatsbildungsprozesses auf die Demokratisierung eingegangen. Hier werden zunächst die Herausbildung der Parteienlandschaft und der Ablauf der demokratischen Transition erläutert. Danach wird auf die Rolle der Zivilgesellschaft und des Nationalismus bei der Demokratisierung hingewiesen, um dann die Anfänge der kriegerischen Auseinandersetzungen zu beschreiben. Diese Punkte der Transformation sind deshalb so wichtig, da sie die Entwicklung der Demokratie in den darauf folgenden Jahren entscheidend beeinflussen. Als nächstes wird erörtert wie die Regierungspartei den Krieg ausnutzte um ihre Macht zu erhalten und somit die Entwicklung der Demokratie nachhaltig behinderte. Die Zeit nach dem Krieg wird kurz dargestellt, damit ersichtlich wie nun der Demokratisierungsprozess sehr langsam wieder in Gang gekommen ist, nachdem der Staatsbildungsprozess abgeschlossen war.

2. Theoretische Perspektiven der Gleichzeitigkeit bei den Transformationsprozessen in Ost- und Mitteleuropa

Das „Dilemma der Gleichzeitigkeit“[4]bezeichnet die Schwierigkeit zwei, bzw. sogar drei Transformationsprozesse in den jungen Demokratien Osteuropas unter einen Hut zu bringen. Dabei handelt es sich um die Problematik der Demokratisierung, des Wirtschaftsumbaus und der Nationalstaatsbildung.[5]

In den post-kommunistischen Staaten ergeben sich einige Herausforderungen, die gemeistert werden müssen, damit die Konsolidierung der Demokratie gewährleistet werden kann. Zum einen müssen die Institutionen des Staates von den Bürgern anerkannt werden. Die politischen Ordnung sollte institutionalisiert und durch die normativen Vorgaben einer Verfassung festgelegt sein, und nicht von einzelnen Persönlichkeiten abhängen. Es ist zudem wichtig, dass die Gesetze den gemeinschaftlichen Willen einer Gesellschaft widerspiegeln sich gegenseitig als Gleichberechtigt anzuerkennen.[6] Eigenverantwortung und Kompromissfähigkeit müssen in der Gesellschaft etabliert werden, um auch die Rechte der Minderheiten und gesellschaftlich Schwachen zu schützen. Zu diesem Zweck ist es unumgänglich eine funktionierende Zivilgesellschaft mit pluralistischen Parteien und Interessensverbänden, freien Medien und einer unabhängigen Gerichtsbarkeit zu entwickeln. Durch die Jahrzehntelange Herrschaft eines totalitären, jeglichen Individualismus und freie Meinungsäußerung untergrabenden Regimes hatte aber gerade die Zivilgesellschaft in den ost- und mitteleuropäischen Ländern nicht den Freiraum sich zu entfalten. Es war somit, selbst in den am weitesten entwickelten Ländern wie z.B. Slowenien oder Ungarn nach der Wende schwierig, demokratische Institutionen zu entwickeln, die eine stabile und starke Regierung hervorbrachten, welche die notwendigen Transformationen durchsetzten konnte.[7]

Der Wirtschaftsumbau von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft ist genauso ein umfangreiches Unterfangen. Das Erbe des Kommunismus ist keines, auf dem sich ohne weiteres eine funktionierende Marktwirtschaft erbauen ließe, da sich die fest eingefahrenen Strukturen und Prozesse nur schwer umbauen lassen. Zum strukturellen Erbe, welches der Kommunismus in den Transformationsländern hinterließ gehören unter anderem: (1) eine schlechte Infrastruktur (2) veraltete, zum Teil umweltschädigende Produktionsmaterialien (3) eine unproduktive, mit zu vielen Arbeitskräften besetzte Industrie und (4) eine zu große Konzentration auf die Schwerindustrie. Es erfordert schon sehr umfassende Reformen alleine diese strukturellen Defizite zu beheben. Dabei bleibt es aber nicht. Die Bevölkerung hatte zwar während des Kommunismus nicht viele bürgerliche Freiheiten, aber die nötigste soziale Versorgung war immer gewährleistet. Dies hat sich seit 1989 vehement geändert und es wurde notwendig, persönlich Verantwortung für sein Handeln und die eigenen Leistungen zu übernehmen. Das Umdenken in der Gesellschaft muss vielerorts noch stattfinden und die Bevölkerung muss sich erst noch über die gestiegene Verantwortung bewusst werden. Dabei muss die Politik eine enorme Leistung erbringen, da es sich um einen einzigartigen Prozess handelt der weder eine theoretische noch eine praktische Grundlage hat.[8]

Die Staatsbildung hat sich in den meisten Ost- und Mitteleuropäischen Ländern ohne größere Probleme vollzogen. Die einzigen Ausnahmen bilden hier Jugoslawien und, bis zu einem bestimmten Grad, die Tschechoslowakei und die UdSSR. Während aber im Falle der Tschechoslowakei und der UdSSR die Teilung des Staates friedlich vor sich ging, wurde die Aufteilung Jugoslawiens von heftigen militärischen Auseinandersetzungen begleitet. Der Grund dafür war, unter anderem, ein Problem, das fast alle Transformationsstaaten hatten und immer noch haben: Die starke ethnische Heterogenität.[9] Während nämlich in Westeuropa die Ethnien einigermaßen abgrenzbar nach dem „Schachbrettmuster“ nebeneinander leben, sind sie in Osteuropa nach dem Modell „Flickenteppich“ miteinander verwoben.[10] Aus diesem Grund gibt es in allen Staaten Ost- und Mitteleuropas sehr starke Minderheiten. Alleine diese Tatsache reicht jedoch nicht, um Konflikte entstehen zu lassen. Erst wenn sich die Minderheiten ungerecht behandelt fühlen und dieses Spannungspotential nicht politisch befriedet ist, kommt es zu Widerständen der Minderheiten gegen die Mehrheit.[11] Die fairste Lösung dieser Minderheitenproblematik liegt nach von Beyme im Föderalismus, der entweder eine Territorialautonomie oder, wo dies nicht geht, eine Kulturautonomie beinhalten sollte.[12]

Westeuropa hatte Jahrhunderte Zeit diese drei Punkte, Demokratisierung, Wirtschaftumbau und Nationalstaatsbildung zum Funktionieren zu bringen und sie aufeinander abzustimmen. In Osteuropa finden diese Transformationen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus alle Gleichzeitig statt und obwohl sie alle eine „eigene Entwicklungslogik“ besitzen, beeinflussen sie sich gegenseitig und stehen sich einander zum Teil bei ihrer Verwirklichung im Weg.[13] Dies ist in allen Transformationsstaaten besonders gut beim gleichzeitigen Wirtschaftsumbau und der Demokratisierung zu sehen. Postkommunistische Reformen ziehen ein wirtschaftliches Tal hinter sich, da die maroden Teile der Planwirtschaft entrümpelt werden müssen. Dies führt unter anderem zu Unternehmensschließungen, Entlassungen u.ä.. Das Resultat dessen könnte sein, dass die jeweilige Regierung aufgrund der ökonomischen Unzufriedenheit der Bevölkerung abgewählt wird und keine Zeit mehr bleibt, notwendige Reformen durchzuführen. Dies wiederum könnte zur Folge haben, dass die Parteien um an der Macht zu bleiben zu wenige Wirtschaftsreformen durchsetzen und es zu einem Stillstand kommt. Nach Offe[14]kann nur dann eine leistungsfähige Demokratie bestehen, wenn die Marktgesellschaft einigermaßen entwickelt ist. Doch er macht in seinem Essay auch darauf aufmerksam, dass, um die Legitimität der Transformationen zu sichern, schon vor der Einführung der Marktwirtschaft und des Privateigentums, politische Kräfte nötig sind, die auf der Mitbestimmung des Volkes aufbauen. Also, „unter einem bestimmten Blickwinkel erscheint die Demokratisierung (...) alsVoraussetzungder wirtschaftlichen Liberalisierung.“[15] Dies macht deutlich wie verworren diese Transformationsprozesse sind und dass sie für die jungen Demokratien eine große Herausforderung darstellen. Länder wie Polen, Ungarn, Slowenien oder Tschechien haben in der letzten Dekade diese Herausforderungen mit einigem Erfolg gemeistert, doch es gibt auch andere Beispiele, bei denen die Transformation nicht so gut vorangegangen ist: Slowakei, Bulgarien oder Rumänien um nur einige zu nennen. Natürlich hatten diese Länder verschiedene Ausgangspunkte und es war zu erwarten, dass in den von vornherein wirtschaftlich höher entwickelten Ländern der Transformationsprozess schneller Erfolge verbuchen wird können.[16] Eine der wenigen Ausnahmen hierbei ist Kroatien, das Anfang der 90er Jahre von vielen, wirtschaftlich und gesellschaftlich, zunächst als Vorreiterland gesehen wurde, aber dann in Folge des Krieges und der damit verbundenen Qualität des Transformationsprozesses stark in den Augen der Weltöffentlichkeit an Ansehen verloren hat.[17]

In der soziologischen Literatur wird hauptsächlich die Problematik der Gleichzeitigkeit von Demokratisierung und Wirtschaftsumbau behandelt[18], da diese zwei Probleme in den meisten Transformationsstaaten die größte Herausforderung darstellen. In Kroatien aber, hat sich der Transformationsprozess anders gestaltet, da zusätzlich noch eine problembehaftete Nationalstaatsbildung dazu kam. Das Problem der Gleichzeitigkeit war eher das von Staatsbildung und Demokratisierung. Denn es ist für die erfolgreiche Herbeiführung von Reformen der politischen (und auch ökonomischen) Institutionen entscheidend, dass eine nationale Identität und festgelegte Grenzen hergestellt werden.[19]Dem Systemtransformationstheoretiker Merkel[20]zufolge haben insbesondere Staaten mit vielen Kulturen, Religionen und Nationalitäten es schwerer sich als Demokratien zu etablieren als homogene Gesellschaften. Zum einen können sich Eliten herausbilden, die über nationalistische Propaganda ihre Machtposition zu verbessern suchen. Zum anderen können sich Probleme für die Demokratisierung ergeben, wenn kein Konsens über territoriale Ansprüche von Nachbarstaaten herrscht oder Minderheiten benachteiligt werden. Die Gefahren einer solchen Entwicklung kann man im Demokratisierungsprozess von Kroatien erkennen, der nun im Folgenden näher begutachtet wird.

3. Der Einfluss der Staatsbildung auf die Demokratisierung und die Rolle der HDZ

3.1. Der Ablauf der demokratischen Transition und die Herausbildung der Parteienlandschaft

Bis Mitte 1989 gab es in der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien nur eine Partei - den Bund der Kommunisten Kroatiens (SKH) - der seit dem Scheitern des Kroatischen Frühlings 1971, eine sehr strikte konservative Linie befolgte.

Der kroatische Frühling war eine liberale, sich auf nationale Traditionen zurückbesinnende Protestbewegung innerhalb der Spitze der SKH, die wirtschaftliche und politische Reformen für Kroatien forderte. Diese Protestbewegung wurde sehr schnell von Tito zerschlagen. Die gesamte Führungsspitze Kroatiens musste zurücktreten und ist entweder ins Exil gegangen oder musste Gefängnisstrafen absitzen. Die neue linientreue Parteiführung, die sich überproportional aus Serben zusammensetzte, unterdrückte in den nächsten siebzehn Jahren jegliches Aufkommen kroatischen Nationalbewusstseins.[21] Im Gegensatz zum reformfreundlichen Slowenien konnten sich deshalb in Kroatien sehr lange keine nicht-kommunistischen politischen Gruppierungen oder auch Parteien herausbilden.

Eine politische Liberalisierung hat sich erst in Folge der abgenutzten Legitimität des repressiven kommunistischen Regimes ergeben, was europaweit zu drastischen Veränderungen führte. Zudem kamen Reformen in der Organisation der SKH hinzu. Und nicht zuletzt auch der immer stärker werdende Wunsch der Bevölkerung nach Wandel.[22] Ende der 80er Jahre begannen sich dann neue Parteien zu formieren, von denen alle zu diesem Zeitpunkt aber weit davon entfernt waren, offen die absolute Unabhängigkeit von Jugoslawien zu verlangen. Es ging sowohl in Slowenien als auch in Kroatien in erster Linie um mehr Selbstständigkeit und Demokratie in den Teilrepubliken.

Zu erwähnen wären hier von den neu gegründeten Parteien z.B. die reformierten Kommunisten (SKH-SDP) und die Koalition der nationalen Verständigung (KNS), die sich aus den Sozialliberalen (HSLS), den Demokraten (HDS), den Christdemokraten (HKDU) und den Sozialdemokraten (SDP) zusammensetzte. Die von vornherein stärkste Partei aber, war die Kroatische Demokratische Vereinigung (HDZ).[23]

Schon bei den ersten freien Wahlen Mitte 1990 erlangte sie in allen drei Kammern des Sabor (das kroatische Parlament) die absolute Mehrheit und drängte die Opposition bestehend aus SKH-SDP und KNS in eine Nebenrolle. Die daraufhin im Dezember desselben Jahres verabschiedete Verfassung war dem entsprechend sehr von der HDZ geprägt und war nicht aus einem Konsens aller Parteien entstanden. Obwohl sie eine parlamentarische Demokratie als Staatsform proklamierte und formal Rechtsstaatlichkeit, Parteienpluralismus und alle Bürgerrechte garantierte, hatten doch die „Spieler“ ihre eigenen „Spielregeln“ entworfen[24]. Das Parlament wurde in zwei Kammern aufgeteilt und der Präsident als Staatsoberhaupt bestimmt. Seine starke Machtposition entsprach ungefähr der des amerikanischen Präsidenten. Im Gegensatz zur USA waren die Beziehungen zwischen den politischen Institutionen nicht klar, und sie sah auch kaum Instrumente vor, die ein „Checks and Balances“ System zwischen den einzelnen Organen des Staates gewährleistet hätte. Somit konzentrierte sich die gesamte Macht beim Präsidenten und so konnte er seine eigenen politischen Strategien und Meinungen den anderen Protagonisten, wie z.B. dem Parlament oder auch seiner Regierung, aufzwingen.[25] Der charismatische Präsident und Parteivorsitzende Franjo Tuđman hatte also einen großen Spielraum, der ihm im laufe der Zeit erlaubte, den gesamten Staatsapparat, das Militär und auch die Wirtschaft mit Günstlingen zu besetzten.

Die HDZ konnte man zu diesem Zeitpunkt - Anfang der 90er Jahre - nicht wirklich als eine einfache politische Partei bezeichnen. Sie war eher eine „nationale Bewegung“[26], die sich die kroatische Unabhängigkeit, mit oder ohne Jugoslawien als föderativen Bündnispartner, zum Ziel gemacht hatte. Sie sprach mit ihrer nationalistischen und populistischen Rhetorik breite Schichten der kroatischen Bevölkerung an, wobei sie sich explizit an die Kroaten in und außerhalb Kroatiens richtete und nicht an die Minderheiten innerhalb Kroatiens.[27] Die Partei und ihr Führer gingen nicht mit ökonomischen oder sozialen Punkten auf Stimmenfang, sondern mit einer ethnisch motivierten Wahlkampagne. Die Bevölkerung war sehr empfänglich für solche populistischen Forderungen, nicht zuletzt wegen des übersteigerten serbischen Nationalismus, der seit 1987 von Seiten des Führers des kommunistischen Apparates in Serbien, Slobodan Milošević, proklamiert wurde. Auf der anderen Seite wiederum reagierten die Serben sehr empfindlich auf die 1990 von den Kroaten schnell herbeigerufenen Wahlen bzw. auch die neue Verfassung.[28] Die Situation hatte sich also 1990/91 immer mehr aufgeschaukelt und die beiden Volksgruppen standen sich, nicht ohne das aktive dazutun von Milošević und Tuđman, auf sich verhärtenden Fronten gegenüber, so dass die demokratische Transformation in Kroatien in einer vom Krieg bedrohten Atmosphäre abgelaufen ist[29]. Dies hatte, wie später gezeigt wird, erhebliche Folgen für die Konsolidierung der Demokratie.

3.2. Die Rolle der Zivilgesellschaft und des Nationalismus bei der Demokratisierung

Bei der Implementierung einer Demokratie spielt die Bevölkerung eines Staates eine große Rolle. Schließlich ist sie es die zum einen nach freien Wahlen und der Demokratie selber verlangen kann und zum anderen ihre Regierungsvertreter wählt und somit entscheidet in welche Richtung das Land gelenkt wird. Dazu muss aber der Gesellschaft gehör geschenkt werden und sie muss sich frei und ohne Angst vor Repressalien äußern können. Dies war in der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien, wie in vielen anderen sozialistischen Ländern nicht der Fall. Sämtliche Teile der Zivilgesellschaft wurden von der jugoslawischen Regierung und der SHK kontrolliert. Es gab keine Pressefreiheit, die Gewerkschaften waren der Partei untergeordnet und wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen waren strikten Regelungen unterworfen. Doch schon bald nach dem Tod Titos (1980) geriet Jugoslawien in eine Krise, die sich bis zum Ende des Jahrzehnts nur noch verstärkt hatte. Bis zum Ende der 80er Jahre waren die Reformisten, die eine Liberalisierung des Regimes verlangten, innerhalb der Kommunistischen Partei Kroatiens nur schwach und konnten sich nicht durchsetzen. 1989 aber gab die Parteiführung dann doch nach, zumal die Liberalisierung zuerst eine kontrollierte Erschließung des politischen Raumes durch die Zivilgesellschaft hätte sein sollen. Es war eine Panikreaktion, da der immer stärker werdende Nationalismus der Serben in Kroatien der kroatischen Führung zu schafften machte. Man erhoffte sich einen deutlichereren Widerstand der Zivilgesellschaft gegen diese Entwicklung.[30]

Dies gelang auch bis zu einem gewissen Grad. Die Öffentlichkeit reagierte mit Protesten gegen den serbischen Nationalismus und eventuelle großserbische Bestrebungen[31]. Doch dadurch flammte auch in Kroatien ein größeres Nationalbewusstsein auf und die wieder öffentlich agierende Zivilgesellschaft identifizierte sich nicht über die gemeinsame Forderung nach Demokratie, sondern mehr über die Abgrenzung zu den anderen Völkern in Jugoslawien, im Besonderen natürlich den Serben. Dies führte dazu, dass die Bevölkerung sehr stark auf ethnisch Geprägte Wahlslogans der Parteien reagierte. Dabei traten, wie schon erwähnt, die HDZ und Tuđman am deutlichsten hervor und konnten, bei den Wahlen im Mai 1990 fast 60% der Stimmen für sich gewinnen.[32]

3.3. Die Anfänge der kriegerischen Auseinandersetzungen in Kroatien

Da der Krieg als einer der wichtigsten Faktoren bei dem Fehlschlag der Konsolidierung der Demokratie in Kroatien fungierte, werden an dieser Stellte noch mal die näheren Umstände für den Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen erläutert.

Nach den, sowohl in Kroatien als auch in Slowenien, stattfindenden Wahlen 1990 bemühten sich beide Teilstaaten „um eine Umwandlung Jugoslawiens in eine lockere Föderation souveräner Staaten“[33]. Dies war für die in Kroatien lebenden Serben nicht akzeptabel, zumal die neue kroatische Verfassung ihnen keinen Sonderstatus zubilligte, sondern sie als gewöhnliche Minderheit, ohne spezielle autonome Rechte, behandelte.[34]

Die sog. Krajina[35]- Serben übten zusammen mit dem serbischen Regime in Belgrad erheblichen Druck auf die Kroaten aus, indem sie ihnen mit militärischen Interventionen drohten. Schon im Sommer 1990 gab es einen gewaltsamen Aufstand militanter serbischer Extremisten in Knin, welcher von der kroatischen Polizei nicht effektiv niedergeschlagen werden konnte. Zwischen August 1990 und Frühjahr 1991 entwickelte sich die Krajina immer mehr zu einem von der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) administrativ autonom regierten Gebiet. Um Ostern brachen dann beim Nationalpark Plitvice heftige Kämpfe zwischen den Serben und der kroatischen Polizei aus. Als dann Ende Juni die Verhandlungen über die föderative Zusammenarbeit in einem gemeinsamen jugoslawischen Staat scheiterten, und Kroatien am 21. Juni seine Unabhängigkeit erklärte, trennten sich die von der SDS kontrollierten Gebiete endgültig von der Republik Kroatien. Daraufhin folgten serbische Angriffe auf Städte mit einem unbedeutenden Prozentsatz serbischer Bevölkerung, welche hohe Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten.[36] Letztendlich, im Dezember 1991, proklamierten die Krajina Serben einen unabhängigen Staat - die Republika Srbska Krajina (RSK).[37]

Zu diesem Zeitpunkt war etwa ein Drittel des kroatischen Staatsgebietes von den Serben besetzt und „ein weiteres Drittel blieb in Reichweite serbischer Artillerie“.[38][39] Dies führte in Kroatien zu einer sehr ethnisch-emotionalen anti-serbischen Stimmung, welche durch die Vertreibung der Kroaten aus den okkupierten Gebieten nur noch verstärkt wurde.[40]

Es ist wichtig zu bemerken, dass gerade am Anfang der postkommunistischen Entwicklung Kroatiens eine gesellschaftliche und regionale Stabilität zur Sicherung der demokratischen Entwicklung von Nöten gewesen wäre. Der Krieg jedoch hatte eine Schwerpunktverlagerung auf nicht demokratische Kräfte zur Folge. Eine weniger turbulente Staatsbildung hätte eine demokratische Konsolidierung in Kroatien wohl nicht garantiert, aber ihr sicherlich geholfen.[41]

Es stellt sich nun die Frage, ob dieser Krieg von der kroatischen Regierung und ihrem Präsidenten zu vermeiden gewesen wäre. Laut dem Publizisten Slavko Goldstein trägt- wenigstens in diesem Falle- Tuđman keine Schuld. Die serbische Führung hatte schon 1988 und 1989 Pläne Kroatien und Slowenien zu okkupieren, wenn diese nach mehr Unabhängigkeit verlangen sollten. Auch wenn die Regierung die kroatischen Unabhängigkeitsbestrebungen aufgeschoben hätte, hätten selbst moderate Forderungen nach mehr Liberalisierung früher oder später zu militärischen Übergriffen geführt.[42] Der kanadische Politologe Lenard J. Cohen ist jedoch der Ansicht, dass das schnelle Transitionstempo und die ethnische Exklusivität von Tuđmans „Versöhnungspolitik“ nicht unwesentlich seinen Teil zur Zuspitzung der Lage zwischen den beiden Volksgruppen beitrugen.[43] Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Das Verhalten von Tuđman hat die noch zaudernde Regierung in Belgrad dazu verleitet, ihre schon fertigen Pläne in die Tat umzusetzen.

Zusammenfassend hatte also die demokratische Transition die Staatsbildung als Folge, welche dann den Krieg nach sich zog. Der Krieg aber hat den Staatsbildungsprozess und die demokratische Transition gefährdet. Unter den gegebenen Umständen war es also dringender den Staatsbildungsprozess voranzutreiben, als die demokratische Transition. Der Gedankengang der politischen Akteure war hier, dass es ohne einen souveränen Staat auch keine demokratische Transition geben kann.[44]Wie im folgenden zu sehen sein wird, ist es jedoch zu bezweifeln, ob die politische Elite Kroatiens wirklich nur dem Volk und seiner Unabhängigkeit dienende Motive hatte die demokratische Transition hinten anzustellen.

3.4. Das Ausnutzen des Krieges zur Konsolidierung der Macht der Regierungspartei HDZ

Mitte 1991 fingen, wie schon erwähnt, die Auseinandersetzungen in Kroatien an. Das ganze Land war auf die eine oder andere Weise von den Kriegsgeschehnissen in Mitleidenschaft gezogen worden. Sei es, dass die Bevölkerung flüchten musste, so wie in der Krajina oder der Stadt Vukovar. Sei es, dass Städte aus der Luft angegriffen wurden, wie z.B. Zadar, Osijek oder Dubrovnik. Sei es, dass Hotels, Pensionen und Privathäuser für Flüchtlinge bereitgehalten wurden, wie in Istrien oder Zagreb. Die Stimmung in der Bevölkerung war dementsprechend sehr gereizt und die Hauptanliegen waren die Beendigung der Angriffe und die Zurückgewinnung der von Kroatien getrennten Gebiete. In anbetracht dessen waren in den Kriegsjahren (zwischen 1991 und 1995) soziale, politische und ideologische Konflikte erst einmal bei Seite gedrängt. Diese Homogenisierung schränkte die Möglichkeiten der Oppositionsparteien zu einer eigenen politischen und ideologischen Identität zu finden erheblich ein und sie mussten sich einem mühsamen Strukturierungsprozess zuwenden. Die Opposition saß während des Krieges also deutlich am kürzeren Hebel, da auch nur der Versuch die Politik der HDZ zu kritisieren, sie in eine ungewollte Position gebracht hätte, in der sie ( von der HZD und von den Medien) beschuldigt wurde die strategischen nationalen Interessen zu gefährden.[45] „Damit wurde aber die Opposition, die in einer Demokratie als Instrument der Volkssouveränität eine wichtige Rolle erfüllt, gänzlich in den Hintergrund gedrängt.“[46]Deshalb war die HDZ auch sehr darum bemüht selbst nach 1995 die nationale Konsolidierung als sich in Gefahr befindend darzustellen. Denn solange das bestehen des Staates in Gefahr war, wurde demokratischen Errungenschaften, wie persönlicher Freiheit, Freiheit der Medien usw. nicht so viel Wichtigkeit zugemessen.[47]

Der Krieg verhalf also der HDZ auch 1992 die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen mit Traumergebnissen von teils über 60 % zu gewinnen[48]. Der Grund dafür lag aber nicht nur in der emotionalen Prädisposition der Bevölkerung gegenüber dem „Begründer des kroatischen Staates“[49], sondern hatte auch andere Gründe.

Zum einen gab es 1990 noch eine bipolare Mobilisierung der Wahlbevölkerung entlang religiös-ethnischer Grenzen: der katholisch-kroatischen Bevölkerung, stand die orthodox-serbische gegenüber. Während die Kroaten vorrangig die HDZ wählten, favorisierten die Serben eher die SHK-SDP. Im Gegensatz dazu war 1992 infolge des Krieges die Wahlbevölkerung nur noch unipolar Mobilisiert, da die Krajina Serben sich vom kroatischen Staat losgesagt hatten. Dies bewirkte eine Konzentration der Wahlstimmen auf die HDZ.[50]

Zum anderen hatte die Regierungspartei zwischen den Wahlen 1990 und 1992 die Wahlgesetze so verändert, dass die Wahlkreise nun zu ihren Gunsten aufgeteilt waren und auch ein für große Parteien nützlichereres proportionales Wahlrecht eingeführt wurde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten Europas waren in Kroatien die Wahlgesetze nicht in der Verfassung geregelt, so dass die HDZ sie kurz vor der Wahl, ohne die Opposition zu konsultieren änderte.[51]

Letztendlich darf auch nicht vergessen werden, dass die HDZ die Wahlen sehr kurzfristig ansetzte und somit kaum Zeit blieb, Wahlkampagnen zu organisieren, zumal die Regierung einen großen Einfluss auf die Massenmedien hatte und dies der Fruchtbarkeit der Kampagnen in keinster Weise entgegenkam. Die Opposition durfte ihre Wahlkampagnen aber ohne Einschränkungen führen und die Stimmenauszählung lief anscheinend auch ohne Einflussnahme der Regierung ab.[52]

Mirjana Eilers argumentiert in ihrer Arbeit, dass, wenn die Autonomie eines Staates von Außen bedroht wird, es dazu kommen kann, „daß durch die Betonung der nationalen Freiheiten und Rechte die individuellen Freiheiten und Rechte in Frage gestellt werden. Die so eingetretene Begrenzung der Demokratie wird mit einer das ganze Volk betreffenden Gefahr gerechtfertigt und soll nur für die Dauer der Krise ihre Wirkung behalten.“[53] Das mag bis zu einem bestimmten Punkt richtig sein, nur sollte auch dieser Fall strengen Regelungen unterworfen sein, und nicht, wie in Kroatien, von der Willkür einer Person oder einer Partei abhängen.

Der Krieg lieferte der HDZ ein Alibi dafür, demokratische Kräfte auf ein Minimum zu reduzieren. Für die Rechtsstaatlichkeit bedeutete dies einen großen Rückschritt. Die Suppression der demokratischen Kräfte geschah vor allem durch Unterdrückung der Medien und Beeinflussung der Justiz, Nepotismus und illegale Bereicherung einiger Parteienmitglieder, einen autokratischer Führungsstil, die Beeinflussung der Wirtschaft und nicht zuletzt durch Tuđmans „Hang zum Personenkult und Selbstherrlichkeit“. All diese Aspekte führten dazu, dass sich die Chancen für einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine Besserung des Lebensstandards verringerten.[54]

Der Zuspruch für den Präsidenten und seine Partei nahm 1993 und 1994 dementsprechend erheblich ab. Dagegen musste natürlich etwas getan werden.

Zu den eben aufgezählten Rückschritten für die Demokratie gehörte auch, dass in 1991 und 1992 die HDZ das Militär größtenteils mit Parteimitgliedern besetzt hatte und somit jetzt erheblichen Einfluss auf die Militärführung ausüben konnte. Kurz vor den Parlamentswahlen 1993 wurde dann eine erfolgreiche Militäraktion zur Befreiung des strategisch Wichtigen Gebietes um die Maslenica Brücke gestartet. Dasselbe passierte im Sommer 1995 noch mal, als die kroatische Armee in einem groß angelegten Militärschlag die meisten von den Serben besetzten Gebiete zurückeroberte. In der darauf folgenden euphorischen Stimmung setzte der Präsident zum frühestmöglichen Termin vorgezogene Neuwahlen des Parlaments.[55]

Wieder einmal hatte die Opposition kaum Zeit, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen und wieder hatte die Regierungspartei kurzfristig das Wahlsystem zu ihren Gunsten verändert. Es war also nicht verwunderlich, dass die HDZ einmal mehr als stärkste Partei aus den Wahlen hervorging.[56]

Wie man aus diesem Verhalten der Regierung und ihres Präsidenten sieht, ist die Besorgnis, die Merkel in seinem Buch Systemtransformation äußert durchaus begründet. In einer postkommunistischen Transformationsperiode, die durch Instabilität und inhomogene ethnische Zusammensetzung gekennzeichnet ist besteht eine erhöhte Gefahr, dass Eliten „über national-chauvinistische Mobilisierungsstrategien ihre Machtinteressen verfolgen“.[57][58] Dieses demokratiefeindliche Verhalten der Eliten war in Kroatien besonders ausgeprägt und konnte Hauptsächlich Aufgrund der Bedrohung des Staates durch den Krieg einen so großen Erfolg haben.

Die effektive Verteidigung Kroatiens 1991 und seine internationale Anerkennung 1992 waren also der größte Erfolg der HDZ und Tuđmans.[59]Durch die konsequente Missachtung demokratischer Grundsätze manövrierte sich das Regime jedoch - auch international gesehen - ins Abseits.[60]

3.5. Die Entwicklung nach 1995

Trotz des Militärschlags und der schon erwähnten anderen Vorteile, die die Regierungspartei gegenüber der Opposition hatte, waren die Ergebnisse der Parlamentswahlen 1995 enttäuschend. Die Parteimitglieder waren verunsichert und Angst vor einem Verlust der Macht kamen auf. In den nächsten vier Jahren gab es immer öfter parteiinterne Rangeleien, aber nach außen hin wurden politische Gegner immer noch als Staatfeinde verteufelt und die HDZ als die einzige Institution gesehen, welche die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes garantieren konnte. Spätestens nach dem Krieg jedoch sind Tuđman und seine Partei zum Haupthindernis für die Fortentwicklung Kroatiens zu einer Bürgergesellschaft und Demokratie geworden.[61]

Ein besonders gutes Beispiel dafür ist das Verhalten des Präsidenten nach den Kommunalwahlen in Zagreb 1995, als das Ergebnis zugunsten der Opposition ausfiel. Er weigerte sich diese anzuerkennen und behauptete ein Gewinn der Opposition würde Kroatien destabilisieren.[62]

Es gab aber nach 1995 auch eine andere Entwicklung, die aufzeigte welchen großen Einfluss der Staatsbildungsprozess auf die Demokratisierung wirklich hatte. In einer Rede vor der Helsinki Kommission im April 1997, machte Vesna Pusić von der Universität Zagreb ihre Zuhörer darauf aufmerksam, dass Kroatien jetzt eine zweite Transition durchmachen müsse, die von einer Kriegsbestimmten Politik zu einer Friedenspolitik. Die bevorstehenden Wahlen würden ein Indikator dafür sein, wie sehr die politischen Akteure bereit sind eine wirkliche Demokratie einzugehen. Bei den Kommunalwahlen 1997 und den im selben Jahr folgenden Präsidentschaftswahlen gingen die HDZ und Tuđman wieder als Sieger hervor (obwohl nicht mehr so dominierend wie in den früheren Jahren). Wieder waren die Medien für Parteizwecke benutzt worden und wieder wurde ersichtlich, dass der gesamte Staatsapparat in den festen Händen der Regierung war. Beobachtern der KSZE zufolge hatte die Situation in Kroatien sich aber verbessert und eine weitere Transition hatte begonnen. Diese ging jedoch sehr langsam voran, da die Wunden des Krieges zu diesem Zeitpunkt noch zu frisch waren.[63]

Mit dem Wegfall der äußeren Bedrohung haben sich die Oppositionsparteien, wie schon Heilborn[64]oder Šiber[65]vorhergesehen hatten inhaltlich profilieren können. Schon 1997 schlossen sich sechs Parteien zu einem informellen Koalitionsblock zusammen,[66]welcher dann auch 2000 die Parlamentswahlen für sich entscheiden konnte.[67]

Dieses Wahlergebnis, welches nach dem Tod von Tuđman (Ende 1999) zustande kam, ließ die Weltöffentlichkeit auf eine stabilere Nachkriegsdemokratie in Kroatien hoffen.[68]

4. Schlussfolgerung

Am Fall Kroatien kann man sehen, dass erst als der Staatsbildungsprozess abgeschlossen war und die Bevölkerung sich den Problemen, die durch die fehlende Demokratisierung entstanden sind zugewendete, erstmals ein wirklicher Demokratisierungsprozess in Gang gesetzt werden konnte. Erst seit dem die Gleichzeitigkeit der beiden Transformationsprozesse nicht mehr gegeben ist, besteht die Möglichkeit, dass sich die Demokratisierung weiterentwickelt. Dies wird natürlich, nicht anders als in anderen Transformationsstaaten, lange dauern und es ist auch immer noch ein anderes Gleichzeitigkeitsproblem zu bewältigen: Das von Demokratisierung und Wirtschaftsumbau.

45 Jahre einer totalitären Herrschaft und noch mal zehn Jahre eines autoritären Regimes haben Spuren in der Zivilgesellschaft Kroatiens hinterlassen. Es konnte sich keine Selbstständigkeit im Denken und Handeln herausbilden, die, laut Dahrendorf[69], die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ist. „Die Abwendung vom Kollektiven, von kollektiven Denk- und Handlungsmustern und die Hinwendung zum Einzelnen, zum Individuum, (ist aber) die Bedingung der Möglichkeit zur Bildung einer Zivilgesellschaft.“[70] Erst langsam muss sich eine pluralistische, nicht gleichgeschaltete, Zivilgesellschaft wieder aufbauen und damit auch eine funktionierende Demokratie.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Kroatien gaben der machthungrigen Elite erst die Möglichkeit ihre Macht bis zum Maximum auszunutzen. Sie benutzen die Gefährdung der nationalen Sicherheit als Vorwand, die Opposition die ja eine tragende Säule jeder Demokratie darstellen sollte, mundtot zu machen.

In einem anderen Zusammenhang - dort ging es um die Abwehr des Terrorismus in den USA - stellte Richard Rorty in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung eine sehr interessante Frage auf: „Wie lassen sich die demokratischen Institutionen stärken, so dass sie in Zeiten überleben können, da Regierungen das nicht länger garantieren können, was Bush „Sicherheit des Heimatlandes“ nennt?“[71] Sich eine Antwort auf diese Frage zu überlegen ist in anbetracht der weltpolitischen Lage eine wichtige Aufgabe welche die Politik weltweit beschäftigen sollte.

Obwohl Kroatien zur Zeit der Bedrohung von Außen mit Sicherheit in einer völlig anderen Lage war, als es die USA gerade sind, wäre die Beantwortung dieser Frage auch für Kroatien nicht irrelevant gewesen.

Der Krieg ist nun aber vorbei und das autoritäre Regime des Präsidenten Tuđman wendete sich mit seinem Tod auch dem Ende zu. Die Welt sieht mit großen Erwartungen auf die neue Regierung in Kroatien. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Regierung diese Erwartungen erfüllen wird können.

5. Literaturverzeichnis

-Beyme, Klaus von, 1994: Systemwechsel in Osteuropa. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

-Cohen, Leonard J., 1997: Embattled democracy: postcommunist Croatia in transition. S. 69- 121 in Dawisha, Karen und Parrott, Bruce (Hg.): Politics, power, and the struggle for democracy in South-East Europe. Cambridge: Cambridge University Press.

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[...]


[1]Vgl. Vukađinović 2001, S. 437

[2]Vgl. Cohen 1997, S. 100

[3]Vgl. Kasapović, Zakošek 1997, S. 12

[4]Vgl. Offe 1991

[5]Vgl. Merkel 1999, S. 377

[6]Vgl. Taylor 2002, S. 19f

[7]Vgl. Weidenfeld, Huterer 1992

[8]Vgl. Höhmann, Meier 1994, S. 7f

[9]Vgl. Weidenfeld, Huterer 1992

[10]Vgl. Beyme 1994, S. 130

[11]Vgl. Merkel 1999, S.387ff

[12]Vgl. Beyme 1994, S.165f

[13]Vgl. Merkel 1999, S 378

[14]Vgl. Offe 1991, S 283ff

[15]Vgl. Offe 1991, S.284

[16]Vgl. Elster u.a. 1999 und Offe 1991

[17]Vgl. Kasapović 2000, S. 17

[18]Vgl. z.B. Elster u.a. 1999; Merkel 1999; Offe 1991

[19]Vgl. Schmitter 199, S. 49

[20]Vgl. Merkel 1999, S. 381f

[21]Vgl. Cohen 1997, S. 70f

[22]Vgl. Zakošek 1997, S. 38

[23]Vgl. Kusić, König 1999, S. 239

[24]Vgl. Merkel u.a. 1997, S. 384

[25]Vgl. Kasapović 2000, S. 48

[26]Vgl. Kusić, König 1999, S. 240

[27]Vgl. Zakošek 1997, S. 39

[28]Vgl. Cohen 1997, S. 82

[29]Vgl. Kasapović 2002, S. 46

[30]Vgl. Kasapović, Zakošek 1997, S. 16

[31]Vgl. Hoppe 1997, S. 12

[32]Vgl. Šiber (ed.) 1996, Appendix A

[33]Vgl. Hoppe 1997, S. 12

[34]Vgl. Cohen 1997, S. 81

[35]Die Krajina ist ein Gebiet in Kroatien, welches vor dem Krieg hauptsächlich von Serben besiedelt war. Sie ist die Grenzregion zu Bosnien-Herzegowina, und bildete eine von den Habsburgern eingesetzte Militärgrenze zum Schutz gegen das Osmanische Reich.

[36]Vgl. Kasapović, Zakošek 1997, S. 25ff

[37]Vgl. Cohen 1997 S. 84

[38]Vgl. Hoppe 1997, S. 12

[39]Das kroatische Staatsterritorium wurde nach den sog. AVNOJ-Grenzen festgelegt, die auch zu der Zeit von Jugoslawien als Grenzen zwischen den Sozialistischen Teilrepubliken fungierten.

[40]Vgl. Cohen, 1997, S. 84

[41]Vgl. Cohen 1997, S. 85f

[42]Vgl. Goldstein 1996

[43]Vgl. Cohen 1997, S. 83

[44]Vgl. Kasapović, Zakošek 1997, S. 12

[45]Vgl. Kasapović 1977, S. 59

[46]Vgl. Eilers 1994, S. 66

[47]Vgl. Šiber, Welzel 1997, S. 102

[48]Vgl. Šiber (Hg.) 1997, Appendix A

[49]Vgl. Kasapović 2000, S. 50

[50]Vgl. Šiber, Welzel 1997, S.101

[51]Vgl. Kasapović 1997, S. 59

[52]Vgl. Cohen 1997, S. 93

[53]Vgl. Eilers 1994, S. 66

[54]Vgl. Hoppe 1997, S. 14

[55]Vgl. Kasapović 2000, S. 58

[56]Vgl. Heilborn 1995, S. 314f

[57]Vgl. Merkel 1999, S. 381

[58]siehe auch S. 8 in diesem Beitrag

[59]Vgl. Goldstein 1996

[60]Vgl. Vukađinović 2001, S. 439ff

[61]Vgl. Hoppe 1997, S. 17

[62]Vgl. Kasapović 2000, S. 53

[63]Vgl. CSZC 1997

[64]Vgl. Heilborn 1995, S.321

[65]Vgl. Šiber 1997, S.102

[66]Dieser Block wurde später in zwei Blöcke unterteilt, die aber im Falle eines Wahlsieges eine gemeinsame Regierung bilden wollten. (Vgl. Eicher, Heilborn 2000, S. 28)

[67]Vgl. Eicher, Heilborn 2000, S. 28ff

[68]Vgl. Hoffman 1999 in Spiegel Online

[69]Vgl. Dahrendorf 1990

[70]Vgl. Cvetković-Kurelec 2002, S. 71

[71]Vgl. Rorty 2002

Final del extracto de 24 páginas

Detalles

Título
Das Problem der Gleichzeitigkeit von Staatsbildung und Demokratisierung in Kroatien und der Einfluss der Regierungspartei
Universidad
University of Bamberg
Curso
Die Osterweiterung der EU
Calificación
1,0
Autor
Año
2002
Páginas
24
No. de catálogo
V108835
ISBN (Ebook)
9783640070268
Tamaño de fichero
529 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Problem, Gleichzeitigkeit, Staatsbildung, Demokratisierung, Kroatien, Einfluss, Regierungspartei, Osterweiterung
Citar trabajo
Vedrana Miljak (Autor), 2002, Das Problem der Gleichzeitigkeit von Staatsbildung und Demokratisierung in Kroatien und der Einfluss der Regierungspartei, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108835

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