Selbst-Sein. Zur Gouvernementalität der humanen und autonomen Schule


Diploma Thesis, 2001

248 Pages, Grade: sehr gut


Excerpt


INHALT

1. KRITISCHE PÄDAGOGIK
1.1. Grundfigur der Kritik: der selbstidentische Mensch
1.2. Krise der Kritik: Chance der Neuformulierung

2. MODIFIKATIONEN
2.1. Heilslehren
2.1.1. Alternativschulbewegung
2.1.2. Antipädagogik
2.1.3. Psychotechniken
2.2. Kritik und Neoliberalismus
2.2.1. Menschenführung, Lebensführung
2.2.2. Lebenslanges Lernen, Offenes Lernen
2.2.3. Autonomie der Schule
2.2.4. Ökonomie, Pädagogik, Kritik, Selbstsein

3. FOUCAULT UND DIE PÄDAGOGIK
3.1. Das schwindende Subjekt der Bildung (Wissen)
3.2. Eine Genealogie der Schuldisziplin? (Macht)
3.3. Pädagogik und Ethik (Subjekt)
3.4. Pädagogik als Führung der Führungen (Macht/Wissen/Subjektivierung)

4. DAS SELBST
4.1. Die Humanistische Psychologie
4.2. Carl R. Rogers
4.3. Das Selbst
4.3.1. Das wahre Selbst
4.3.1.1. Biologisch gesehen
4.3.1.2. Phänomenologisch gesehen
4.3.2. Das falsche Selbst
4.4. Paralyse der Selbstsetzung

5. DIE SCHICHTUNGEN DES SELBST - ARCHÄOLOGIE DER HUMANWISSENSCHAFTEN

6. DAS FREIE UND GUTE SELBST
6.1. Analyse der Selbstsetzung
6.2. Paralyse der Trennung
6.3. Das Wahre und das Falsche und die Freiheit
6.4. Paralyse von Gut und nicht Böse
6.5. Die Strategie des Guten

7. DIE STRATEGIEN DES SELBST - GENEALOGIE DES SELBST UND ANALYSE DER MACHT
7.1. Die Macht des Souverän
7.1.1. Das juridische Modell oder Die Hypothese Reich
7.1.2. Die Freiheit
7.1.3. Die Wahrheit
7.2. Die Normierungsgesellschaft
7.2.1. Das Modell der Bio-Macht oder Die Hypothese Nietzsche
7.2.2. Gegen-Macht
7.2.3. Der Diskurs der Wahrheit
7.2.4. Macht und die Wahrheit des Selbst
7.3. Die Kontrollgesellschaft
7.3.1. Die Gouvernementalität
7.3.2. Regierungstechniken
7.3.2.1. Das Pastorat
7.3.2.1. Die Staatsraison
7.3.2.3. Freiheit der Individuen - Dispositive der Sicherheit
7.3.4. Technologien des Selbst
7.3.4.1. Der moderne Staat
7.3.4.2. Selbstpraktiken
7.3.4.3. Ästhetik der Existenz
7.3.4.4. Freiheit, Widerstand, Schaffung von Wahrscheinlichkeit

8. DIE MACHT UND DAS SELBST
8.1. Selbstsein
8.2. Selbst-Management

9. NEUSTART: WAS IST KRITIK?
8.1. Eine Ethik des Unbehagens
9.2. Praxis der Freiheit kritische pädagogik

Was mir am Humanismus nicht behagt, ist, daß er eine bestimmte Form unserer Ethik zum Muster und Prinzip der Freiheit er- klärt Ich gIaube, daß es mehr Geheimnisse gibt, mehr mögliche Freiheiten und weitere zukünftige Erfindungen, als wir uns dies im Rahmen des Humanis- mus vorstellen können Michel Foucault, 1993

Abb.1: Baum des Lebens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. KRITISCHE PÄDAGOGIK

1.1. Grundfigur der Kritik: der selbstidentische Mensch

Wie die Moderne sich an der Idee eines ursprünglichen und identischen Ich erfreut; wie gerade die aufge- klärt kritischen Stimmen in ihr die Vorstellung eines selbstbestimmten Individuums zum Recht des Menschen und zur Verkörperung ihres ureigensten Humanismus er- heben, so beharrlich hat sich auch eine kritische, freiheitliche, humanistische Pädagogik speziell an der Natur und der Selbstwirksamkeit des Menschen- Kindes begeistert, als Ausgangspunkt, Garant und Ziel einer solchen selbstbestimmten Individualität.

Von diesen Kräften wird gern Rousseau als Kronzeuge zitiert, der als ersten Satz in seinem Emile schreibt:

„Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen. […] Nichts will er haben, wie es die Natur gemacht hat, selbst den Menschen nicht. Man muß ihn, wie ein Schulpferd, für ihn dressieren; man muß ihn nach sei- ner Absicht stutzen wie einen Baum seines Gartens. “1

Rousseau hat damit vor rund 200 Jahren jene Bilder geliefert, die der kritisch-emanzipatorischen Pädago- gik als Folie gedient haben und das Sprechen jener Pädagogiken bis in unsere Tage hinein bevölkern.2 Rousseau hat mit seiner Argumentationsfigur eine Frontlinie markiert, die nunmehr als Schema für jene Stellungen hergenommen wird, entlang derer sich die- ses kritisch-humanistische Erziehungsdenken in Posi- tion bringt: Das Menschenkind als natürliches Wesen, als einzigartige, substanzielle, individuelle Persön- lichkeit mit grundlegenden Bedürfnissen und einer Fülle von Anlagen. Das Kind, ausgestattet mit einer inneren Instanz, welche die bewußte und begründete Auseinandersetzung und aktive Aneignung mit und von der ihm äußerlichen Welt reguliert. Das Kind, das vermittels seiner Neigungen und Begabungen selbstbe- stimmt und willentlich handelt, selbstverantwortlich Entscheidungen trifft und sich selbst entfaltet, ver- wirklicht und bildet. Das Kind als autonomes sich selbst bildendes Subjekt.

Analog hierzu der Pädagoge3, der diesen naturwüchsi- gen und selbstregulierten Prozeß bestenfalls freund- lich begleiten, nähren, unterstützen oder moderieren kann; der die Dinge des Lebens lehrreich, aber gemäß der ihnen eigenen Natur arrangiert, ihnen ihre volle Härte und insbesondere ihre Verderbtheit durch ge- sellschaftliche Gewalt und Überformung nimmt. In kla- rer Gegenüberstellung zu jenem, als Feindbild stili- sierten Pädagogen, der das Kind als unbeschriebenes Blatt, als unbehauenen Stein, als formlose Masse an- sieht, welchem man Gestalt, Form und Inhalt geben muß - gemäß den Zwängen einer Gesellschaft, die von jenen als entfremdet beargwöhnt wird. In Opposition zu je- nem Bild eines Pädagogen also, der den selbstlaufen- den Bildungsprozeß des Kindes fremdbestimmt, behin- dert, manipuliert, verbiegt, abschneidet, unter- drückt.

Zugestandenermaßen ist dies ein verallgemeinerndes und simplifizierendes - eben ein - Schema. Sicherlich nivelliert es die verschiedenen Differenzierungen, welche das kritisch pädagogische Denken in seiner Ge- schichte angenommen hat. Sicherlich ist auch Rous- seaus Naturalismus nicht der Beginn und Inbegriff, sondern selbst nur eine Spielart jener Argumentati- onsfigur. Das unschuldige Kind, daß zugleich radika- ler Neuanfang und Erlösung, Ursprung und erfüllte U- topie ist, fasziniert die Menschheit wahrscheinlich seitdem ihr der Messias in Gestalt der Christuskindes gegeben wurde. Die Idee des Erlöserkindes ist wahr- scheinlich so alt wie das christlich abendländische Denken selbst.4

Die Moderne hat dieser transzendentalen Figur mit der Entdeckung der Kindheit und der Entwicklung der Hu- manwissenschaften einen empirischen Gehalt gegeben. Sie hat ein tableau ausgelegt, auf der vielfältige Verschiebungen, Modifikationen und Variationen jener Figur der unverdorbenen, selbstwirksamen menschlichen Natur haben auftreten können: die Seele, der innere Bauplan, das spontan-autonome Ich, der Wille zur Selbstverwirklichung, die Selbstaktualisierungsten- denz, das I, die Ich-Identität, die Authentizität, das Selbst. Für das erziehungswissenschaftliche Den- ken und die pädagogische Theoriebildung hat ein Beg- riff von einem selbstidentischen autonomen Subjekt paradigmatische Bedeutung. Eine Pädagogik ohne Sub- jekt ist kaum denkbar.

Speziell in der kritisch pädagogischen Praxis spie- gelt sich dieser Hintergrund in der Betonung der Ei- geninitiative, Selbsttätigkeit, Selbstregulierung, Selbstverantwortung, Selbstwirksamkeit, der Autono- mie, des Sich-Selbst. Dieses „Selbst- “ strukturiert sowohl die Wahrnehmung und Repräsentation von und die Handlungsweisen gegenüber den Adressaten von Pädago- gik, - also etwa dem Schüler als Individuum - als auch zunehmend das Selbstverständnis und die Organi- sationsformen der pädagogischen Systeme und Institu- tionen - also etwa der Schule als kollektivem Sub- jekt.

Was hier als Grundfigur einer kritisch-humanistischen Pägagogik bezeichnet wird, ist also sicherlich eine vergröbernde und generalisierende Zusammenziehung ei- ner tatsächlich verstreuten, variantenreichen und differenzierten Idee. Wenn ich von „kritischer Päda- gogik “ spreche, ist dementsprechend auch nicht ex- pressis verbis eine „Kritisch-rationale“ oder „Kri- tische Erziehungswissenschaft “ , und ebensowenig eine spezielle Schule einer pädagogischen Praxis angespro- chen, sondern allgemein eine sowohl praktizierende und auch theoretisierende Pädagogik, die sich als Al- ternative, Gegenentwurf, reformerisches Korrektiv o- der das revolutionäre Andere der vorherrschenden und gängigen Pädagogik denkt.5 Dabei wäre eine so ver- standene kritische Pädagogik dann gerade definiert in ihrem Bezug auf diese zwar differente, dennoch über- all auffind- und wiedererkennbaren und immer wieder aufs Neue in Anspruch genommene und wieder entdeckte Grundfigur des sich selbst bildenden autonomen Sub- jekts.

Unlängst wurde sie von einer privaten Initiative kritischer Pä- dagogen zur „Leitidee “ für die auf den Weg gebrachte Gründung einer Modell-Reformschule auserkoren. In deren Konzeptpapier heißt es:

„Bildung ist »sich bilden«

Bildung ist stets ein individueller und aktiver Prozess. Individuell, weil jede und jeder einmalig ist, weil jede und jeder eigene, unverwechselbare Eigenschaften besitzt […].

Aktiv, weil Bildung immer »sich bilden« bedeutet. Niemand kann durch wen auch immer »gebildet« werden, Bildung ist immer eigene Aktivi- tät. »Sich bilden« erfordert Auseinandersetzung […] mit der Welt, mit den Sachen und ihren Wechselbeziehungen und mit den Menschen und den Verhältnissen, die sie geschaffen haben und in denen sie leben. […] Sich bilden kann durch die Verhältnisse um das Individuum herum be- und verhindert werden. “

„Bildung ist umfassend. Und sie ist zugleich ein immerwährender Prozess. […] Ein gebildeter Mensch ist immer auch ein zutiefst humanistisch gesinnter Mensch. “

„Bildung ist per se humanistisch.“6

Ich hätte gern die Genealogie7 dieser modernen kriti- schen Idee des Selbst-Seins als die einer pädagogi- schen Grundfigur nachgezeichnet. Man müßte zeigen, welche Formen diese Idee jeweils annimmt, in welche diskursive Formation sie sich einschreibt, welche Verhältnisse sie mit anderen Aussagen unterhält, wo sie Verankerungspunkte findet, wo sie verdrängt wird oder sich behaupten kann. Man müßte untersuchen, wel- che Machtwirkungen sie erzeugt und von welchen sie abhängt, um in Erscheinung treten zu können. Zu fra- gen wäre, welche pädagogischen Praktiken sie aus sich heraus entläßt; von welchen Praktiken sie vereinnahmt und von welchen sie abgestoßen wird. Man müßte her- ausarbeiten, in welche spezifischen pädagogischen Felder sie Eingang erhält und inwiefern sie diese zu strukturieren vermag; ob sie sich als feste und zent- rale Einheit organisiert, aus der eine bestimmte Pra- xis deduziert wird, oder ob sie sich eher subtil in unscheinbare, scheinbar ideologiefreie Techniken ein- schleicht. Und man müßte schließlich studieren, wel- che Effekte sie an den Akteuren des pädagogischen Feldes zeitigt; welche Subjektivierungsformen mit ihr verbunden sind; welche Schüler und welche Lehrer sie produziert.

Eine solche Arbeit sähe sich mit mehreren Problemen konfrontiert. Zum einen läuft sie Gefahr, die Ge- schichte der großen Männer zu schreiben. Sicherlich würden sich Spuren einer Idee der selbstidentischen Kindesnatur bei Basedow, Pestalozzi oder Humboldt, allemal bei den Reformpädagogen der Weimarer Repu- blik, wie etwa Paul Geheb oder Peter Petersen, und letztlich eben bei den kritischen und reformerischen Pädagogen unserer Zeit finden. Eine Genealogie, die diesen Namen verdient, müßte dieses Denken jedoch im alltäglichen pädagogischen Sprechen und in der Klein- lichkeit der alltäglichen Praktiken aufsuchen: etwa in den Texten der pädagogischen Ratgeberliteratur, in denen der schulpädagogischen Praxishilfen, in den Ar- beitsblättern des abendlichen Weiterbildungskurses, in der Materialsammlung des offenen Unterrichts, in der Rede der Schulleiterin zur Einweihung des neuen Theatersaals oder selbst noch im Ratschlag der Hebam- me während des Geburtsvorbereitungskurses; in der Art und Weise, wie der Grundschullehrer die Kuschelecke einrichtet, wie die Mutter ihr Kind anfaßt, mit wel- cher Idee der Lehrer den Fragebogen zum Schüler- feedback auswertet; zu belauschen wäre der kollegiale Plausch im Rahmen der Steuerungsgruppe des Schulent- wicklungsprozesses, das erste vernünftige Gespräch zwischen Mutter und Kind, das, was die Väter am Knei- pentisch schwätzen; analysiert werden müßte die Ak- tennotiz in der Jugendwohngruppe, der Text des Be- richtzeugnisses, der Artikel in der lokalen Tageszei- tung, die Präambel des Schulprogramms oder die des Lehrplans etc. pp. Hinter dieser methodischen Forde- rung steht die Annahme, daß der hier geführte Diskurs mit seinen notwendigen Verkürzungen, den in ihm kur- sierenden kontextlosen Fragmenten und seiner Ver- pflichtung, unmittelbar praxisrelevant zu sein, eine weit größere Wirkung und Nachhaltigkeit in der päda- gogische Wirklichkeit zu entfalten in der Lage ist, als der streng gefaßte akademische Diskurs, der si- cherlich jenen affiziert. Letztlich müßte eine Genea- logie der historischen Entstehung der so gefundenen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken nachge- hen. Mit Foucault darf man vermuten, daß man sie bis in die Antike zurückverfolgen müßte.8

Aufgrund dieser unüberschaubaren Fülle von Material und der Breite der Variationen, die hier unter einem Begriff gefaßt werden, läuft man aber zum anderen Ge- fahr, verallgemeinernd und oberflächlich vorzugehen. Man wäre gezwungen, die Nuancen und Differenzierun- gen, die je nach Kontext der Vorstellung von der menschlichen Natur beigegeben werden, einzuebnen. Da, wo eigentlich die genaue Analyse der Übergänge, Schnittstellen, Brüche und historischen Modifikatio- nen von Nöten wäre; wo es eben darum ginge, eine „diskursive Formation “ oder besser ein „Dispositiv “ in seiner historischen Wandelbarkeit zu erfassen, wird man - unter den hier gegebenen Umständen - bes- tenfalls bei einem Stichwortregister herauskommen, welches die Kernpunkte der jeweiligen Theorien be- nennt, auf die in jenem diskursiven Rauschen bezug genommen wird.

Anstatt also die feinen, historischen Verästelungen und Verbreiterungen, quasi die horizontale Analyse- schicht zu verfolgen, habe ich mich damit begnügt, die Vertikale zu begehen. Ich werde eine einzige, spezifische Frage stellen. Die Frage nämlich, ob die

Idee einer ursprünglichen Natur des Menschen-Kindes jene Wirkungen erzielt, die sie prophezeit: nament- lich das Kind im Rahmen von pädagogischen settings als das zu erhalten, was es vorgeblich immer schon gewesen ist, oder sich selbst zu dem bilden zu las- sen, was es unter den Bedingungen der Freiheit poten- ziell sein könnte: ein selbstidentischer Mensch, so wie die Natur ihn entsprechend seinem Wesen entworfen hat. Anders gefragt: hat nicht die Vorstellung eines autonomen Subjekts, die als Standpunkt der Kritik ge- gen alle herrschaftlichen - nicht zuletzt pädagogi- schen - Ein-, Über- und Angriffe auf diese wahre Hu- manität in Anschlag gebracht wird, selbst Anteil an jener gesellschaftlichen Verfaßtheit, die Menschen eine bestimmte Identitätsform und Lebensweise auf- zwingt?

Immer ist mit der Figur des ursprünglichen Menschen- Kindes und einer daran orientierten Pädagogik ein Heilsversprechen, oft eine gesellschaftliche Utopie verbunden. Ursprung und Utopie sind hier ineinander verschränkt. Die Utopie begründet die Vorstellung vom Ursprung, der Ursprung legitimiert die Utopie: das Ideal einer bürgerlichen Gesellschaft, die den Regeln der Vernunft und der natürlichen Ordnung gehorcht; die Segnungen des Humanismus, die Hoffnung auf eine harmonische und gerechtere Gesellschaft verheißen; die endgültige Einlösung der Versprechungen, welche das Projekt der Moderne macht. Nicht zuletzt taucht diese Figur vor dem Hintergrund christlicher, anthro- posophischer oder sozialistischer Weltanschauung auf. Allgemein ist es wohl nicht falsch zu behaupten, jene große Erzählung vom Selbst habe immer gerade dann Konjunktur, wenn überkommene Werte und Traditionen zu schwinden beginnen oder fragwürdig erscheinen. In historischen Situationen, in denen ein gesicherter Fundus an unhinterfragbarem Wissen vorhanden ist, welcher unkritisch in die Tradition, an die nachfol- genden Generationen übergeben werden kann und muß, gründet eine Pädagogik ihre Legitimation in diesem Auftrag. Ist dieses Dispositum an abgelegtem Wissen obsolet oder bezweifelbar geworden; befindet es sich in Erosion und hinterläßt somit ein Vakuum, so wird diese Lücke alsbald von den vermeintlich ursprüngli- chen Bedürfnissen, den seelischen Leitkräften, der Intuition, der Spontaneität und Kreativität des Kin- des erfüllt. Das Kind befindet selbst, welche Dinge der Welt als wissens- und erhaltenswert gelten. Die Pädagogik orientiert sich nunmehr an dem Kind. An die Stelle der Vermittlung eines gesetzten Kanons tritt eine „Pädagogik vom Kinde aus “ . Legitimiert ist die- ses Vorgehen aufgrund der Annahme, daß das Kind qua jener Eigenschaften potent genug ist, aus sich selbst heraus eine neue - bessere - Tradition zu begründen. Oder aber es wird diese Leerstelle durch die Vielfalt der Stimmen einer total pluralisierten und partikula- risierten, in unserem Fall über die Rationalität des Marktes geeinten Gesellschaft und ihrer sich selbst und autonom regulierenden Institutionen besetzt. Auch hier ist das Vorgehen darüber legitimiert, daß es „von selbst “ passiert.

Die Frage, die ich stellen möchte, wäre also - noch einmal anders formuliert - ob eine kindgerechte Päda- gogik, mit ihrem Glauben an eine authentische Persön- lichkeit, und ein autonomes Bildungswesen, mit seinem Glauben an die eigenen Selbststeuerungskräfte, in der Lage sind, die Grundlage für eine gerechtere, herr- schaftsfreiere und „humanere “ Gesellschaft zu legen? Oder aber, ob der Begriff eines authentischen und au- tonomen Ich-Selbst sich nicht unfreiwillig zum In- strument jener machtvollen gesellschaftlicher Prakti- ken macht, von denen er uns zu befreien verspricht? Ermöglicht er nicht verschiedenste gesellschaftliche Kontrollverfahren, Regulierungsprozesse und Normali- sierungsmechanismen, die noch effektiver und subtiler wirken, und zwar um so mehr, je mehr sie sich einer kindgerechten, ursprünglichen und befreiten Mensch- lichkeit verpflichtet sehen?

1.2. Krise der Kritik: Chance der Neuformulierung

Ich habe mich dazu entschlossen, diese Frage stell- vertretend an eine einzige Theorie, an eine bestimmte Vorstellung des Selbst-Seins heranzutragen. Ich werde mich darauf beschränken, daß Selbstkonzept, wie es Carl R. Rogers in seinen Schriften ausformuliert hat, als Arbeitsfeld für meine Frage zu benutzen. Diese Wahl ist relativ willkürlich und nur exemplarisch zu verstehen. Gleichwohl gibt es einige gute Gründe hierfür. Rogers ist der Humanistischen Psychologie zuzurechnen. Damit ist er in einem theoretischen Feld verortet, in welchem sich verschiedene Theoretiker selbst unter einem gemeinsamen „label “ , gemeinsamen Grundüberzeugungen und damit verbundenen Zielsetzun- gen zusammengefunden haben. Rogers wird hier daher als Vertreter der Humanistischen Psychologie angese- hen.

Die Denker, die der Assoziation der Humanistischen Psychologie angehörten, waren in aller Regel Therapeuten. Rogers macht hier zunächst keine Ausnahme. Die Klientzentrierte Gesprächstherapie ist seine Erfindung. Speziell Rogers aber hat sich umfänglich zu pädagogischen Fragestellungen geäußert. Das macht ihn für die Pädagogik interessant.

Seinem Postulat zufolge solle die pädagogische Bezie- hung derjenigen entsprechen, die der Therapeut zu den Klienten innerhalb der Therapie aufnimmt. Die Pädago- gik sei somit eine prophylaktische Therapie bzw. die Therapie eine nachträgliche Pädagogik. Seine Therapie wie seine Pädagogik versprechen die heilsame Frei- heit, bei sich selbst sein zu können. In seinen spä- teren Schriften überträgt er diesen Ansatz auf ge- samtgesellschaftliche Fragestellungen und spricht von seinem therapeutischen Weltverständnis als einer „stillen Revolution ” , die uns „zu einer humaneren, personenbezogeneren Welt voranzutragen ” verspricht. An deren „vorderster Front “ stehe der „neue ” , „voll sich entfaltende Mensch” .9 Unabdingbar für jegliche Form von Befreiung, so die zentrale These der Huma- nistischen Psychologie, sei die Versöhnung des von sich selbst entfremdeten Menschen mit seinem eigent- lichen innersten „Selbst” .

In diesem Sinne kann man ohne Zweifel behaupten, Ro- gers habe eine „Pädagogik der Befreiung“ ausgearbei- tet. Entsprechend breit ist er auch in der Erzie- hungswissenschaft rezipiert worden und hat sich jenes hier zur Disposition stehende emanzipatorische Erzie- hungsdenken auf Rogers bezogen. Zum Teil sind eigen- ständige Pädagogiken auf der Basis des Roger‘schen Denken entwickelt worden. Rogers Buch „Lernen in Freiheit“ findet man noch heute im Buchhandel unter der Rubrik „Klassiker der Pädagogik“ . Rogers wird hier daher als Vertreter einer kritischen Pädagogik angesehen.

Wenn ich mich nun an Rogers wende, um damit eine be- stimmte Vorstellung von dem, was Menschsein ausmache, und eine darauf gründende kritische Pädagogik kri- tisch zu hinterfragen, liegt der Vorwurf nahe, ich dränge meine „Gegner “ in die Ecke des Schwächsten unter ihnen. Tatsächlich habe ich leichtfertig den Horizont meiner Fragestellung derart weit eröffnet, daß ich das Denken der Moderne in toto ins Spiel ge- bracht habe. Tatsächlich stützt sich mein Argumentationsgang in weiten Teilen auf eine theoretische Arbeit, die als ein Versuch zur Überschreitung der Paradigmen der Moderne angesehen werden kann. Gemeint sind eben die Arbeiten von Michel Foucault.

Vor diesem Hintergrund scheint es durchaus angezeigt, meine Frage auch an diejenigen anderen pädagogischen bzw. Sozialisa- tions-Theorien zu stellen, die modern und kritisch sind - und die zudem eine weitaus differenziertere Vorstellung von der Ge- nese und Funktion eines Ichs ausgearbeitet haben, als es Rogers mit seiner Konzeption des „Selbst “ getan hat. In erster Linie ist hier an den „Projektleiter der Moderne “ und den Stammhalter der Kritischen Theorie zu denken: Jürgen Habermas. Insbesondere eine Auseinandersetzung mit dessen Einfluß auf die Kritische Erziehungswissenschaft, in diesem Zusammenhang dessen Interpre- tation der Sozialpsychologie George Herbert Meads, oder allge- meiner der sozialisationstheoretischen Ansätze des symbolischen Interaktionismus, und deren Zusammenführung mit der Ich- Psychologie, etwa nach Erikson, und Entwicklungstheorien, etwa nach Kohlberg, ergäbe eine vielversprechende und unabsehbare Diskussion.

Habermas bemüht sich etwa in dem frühen Aufsatz „Moralentwick- lung und Ich-Identität “ , der als eine Vorarbeit für eine Theo- rie des kommunikativen Handelns angesehen werden kann, darum, die verdeckten normativen Implikationen der Grundbegriffe der Kritischen Theorie zu explizieren und sie einer empirisch ge- haltvollen Bestimmung zuzuführen. In offener Abkehr von Adorno, der sich einer solchen positiven Bestimmung stets enthalten ha- be, macht Habermas gerade den Begriff der autonomen Ich- Identität als normativen Hintergrund der Kritischen Theorie geltend, insofern dieser die Vorstellung einer emanzipierten Gesellschaft grundlege, wie auch diese fordere.10

Ich werde entsprechend an gegebener Stelle kurze Anmerkungen zum Symbolischen Interaktionismus nach George Herbert Mead einschieben. Doch scheint mir diese Auseinandersetzung eher von akademischem Interesse.

Es sei nochmals betont, daß es mir in dieser Arbeit darum geht, eine bestimmte Schicht des Wissens, eine spezifische diskursive Formation zu befragen, die man als den gesunden Menschenvers- tand, den „common sense “ des pädagogischen Praktikers bzw. des praxisnahen Theoretikers nennen könnte. Also jenes Wissen, wel- ches die soziale Wirklichkeit mit denjenigen Wahrnehmungskate- gorien zu erfassen sucht, die derselben Wirklichkeit entstam- men. Ein Wissen, welches in den einfachen Begriffen der alltäg- lichen Erfahrung gefaßt ist. Ein Wissen, welches somit unmit- telbar evident, selbstverständlich und der sozialen Situation stets adäquat erscheint. Ein Wissen letztlich, welches dement- sprechend die jeweils angemessenen Handlungsoptionen zu offe- rieren scheint und damit nachdrücklich handlungsanleitend ist. Mit Pierre Bourdieu könnte man von der „orthe doxa “ sprechen.11

Zum anderen gilt mein Interesse nur jenem Ausschnitt dieser Wissensschicht, welches sich selbst als kritisch und reformfreundlich denkt.

Nun kann ich weder sehen, daß die Habermassche Theorie in ande- rer Form als gleichsam die Patina ihrer selbst in den gemeinten Diskurs eingegangen wäre. Bei dieser etwas gewagten, in unserem Zusammenhang allerdings auch nicht sehr zentralen These geht es nicht darum, den Gehalt der Habermasschen Theorie oder die in- tellektuelle Kompetenz einzelner Pädagogen in Abrede zu stel- len. Ich möchte allein auf den Umstand aufmerksam machen, daß Theorie im Zuge ihrer praktischen Anwendung - etwa ihm Rahmen der Lehrerausbildung - wenn schon nicht notwendigerweise so doch leider all zu oft in ihrer Komplexität bis zur Unkennt- lichkeit reduziert wird. So kann zwar gerade eine Kritische Theorie der Gesellschaft, die auf einer Theorie der kommunika- tiven Handlungen basiert, unzweifelhaft als im pädagogischen Diskurs hegemonial bezeichnet werden: Kaum ein Studium der Er- ziehungswissenschaften führt an dieser Herausforderung vorbei. Auch in der pädagogischen Praxis hat sie eine breite Wirkung erzielt; im schulischen Bereich nicht zuletzt dank Wolfgang Klafki durch die Curriculumentwicklung. Selbst wo sich nicht ausdrücklich auf Habermas bezogen wird, wird mit Begriffen der stabilen Ich-Identität, der gelungenen Interaktion, des herr- schaftsfreien Diskurses etc. argumentiert. Dennoch sind es eben diese Stichworte, die kursieren, und nicht ein differenziertes Verständnis etwa einer diskursiven Ethik. Es scheint mir, daß die Begrifflichkeiten vielmehr ohne genaue Kenntnis ihres Hin- tergrundes benutzt werden. Die Begriffe unterliegen somit einer theoretischen Reduktion - einer Reduktion, die sie wiederum et- wa in die Nähe des ohnehin weniger komplexen Theoretisierens von Carl Rogers rücken.

Noch kann ich im Weiteren sehen, daß die gegenwärtige Kritische Theorie, hat sie Eingang in den pädagogischen Diskurs und des- sen Praxis gefunden, hierin ihren kritischen Anspruch einlöste - zumindest nicht in dem von mir hier benutzten Sinne von Kri- tik.12 Insbesondere die konkreten schulpädagogischen Bemühungen von Wolfgang Klafki sind m.E. - nicht zuletzt aufgrund ihres Festhaltens an der Lernzielproblematik - nur noch als affirma- tiv und Schulsystem stabilisierend zu bezeichnen.13 Über andere sozialisationstheoretische Ansätze ließe sich ähnliches sagen. Die Humanistische Psychologie, wie sie Rogers vertritt, bedient beide meine Interessen. Zum einen sind seine Veröffentlichungen mit wenigen Ausnahmen so konzipiert, daß sie sich einer alltäg- lichen, wissenschaftsfernen Sprache bedienen. Sie bemühen sich, für jedermann verständlich zu sein. Rogers versucht, seine Le- ser unmittelbar anzusprechen, geradezu mit ihnen in den Dialog zu treten, indem er vielfach auf Reaktionen, die er auf seine Schriften erhält, Bezug nimmt. Dieses Theoretisieren läßt sich somit problemlos in jenen Diskurs einspeisen. Zum anderen be- zeichnet er sein Denken selbst als revolutionär, und sein Den- ken hat in der Praxis zu verschiedenen radikalen Veränderungs- bemühungen geführt.

Im Übrigen legt Foucault in „Der Wille zum Wissen “ jenen Vor- wurf, nur den schwächsten seiner Gegner wirklich zu treffen, vorwegnehmend seinen möglichen Kritikern in den Mund, um klar- zustellen, daß die von ihm vorgelegte Analyse nicht nur die in den 70ern - nicht zuletzt durch die 68er-Bewegung - sehr be- liebten Befreiungspsychologien, etwa von Erich Fromm oder Wil- helm Reich, oder allgemeiner die Theorien der Entfremdung in Frage stellt, sondern auch - insbesondere durch einen veränder- ten Machtbegriff - jene Theorien eines nicht natürlichen, son- dern vielmehr durch das Gesetz konstituierten Begehrens, wie sie etwa die strukturalistische Psychoanalyse Jacques Lacans vorschlägt. Auch wenn „Der Wille zum Wissen “ als Ausgangspunkt dieser Arbeit begriffen werden kann, maße ich mir nicht an, an- dere Denkmodelle als jene, die Rogers’ an dem Punkt verwandt sind, daß sie sich auf ein als ursprünglich und autonom ge- dachtes Subjekt beziehen, in meiner Analyse mitzumeinen.14

Ich sollte von daher zu meiner Verteidigung anmerken, daß es scheint, als habe Rogers weit größeren Einfluß auf den hier gemeinten kritisch-pädagogischen Diskurs und seine Praxis genommen als andere moderne kriti- sche Theoretiker.

Wenn ich mich an den Roger‘schen Humanismus wende, könnte mir des Weiteren vorgehalten werden, ich würde eine Debatte führen, die ihre Aktualität vor etwa 30 Jahren gehabt hat; ich würde somit der momentan dominanten Erziehungswirklichkeit nicht allzuviel Aufmerksamkeit schenken; ich würde die eigentlich drängenden Probleme der Pädagogik ignorieren und mich mit randständigen Fragestellungen abmühen.

Zunächst muß man sicherlich einräumen, daß sich die kritische Erziehungswissenschaft und zu weiten Teilen auch die pädagogische Praxis längst von einer Rous- seauschen negativen Erziehung, vom laissez faire, Neills Antiautoritärer Erziehung, von den Kinderläden und vielleicht von einer expliziten Auseinanderset- zung mit Rogers verabschiedet hat. Diese und ähnliche theoretischen wie praktischen Bemühungen um Herr- schaftsfreiheit und Menschlichkeit sind tatsächlich aus der aktuellen Debatte weitgehend verschwunden.15 Die ideologischen Auseinandersetzungen sind mehr oder minder befriedet, die Gräben zugeschüttet. Auch der Kampf der Schulsysteme ist beendet. Dies nicht zu- letzt deswegen, da allseits unumstritten ist, daß die Bildungsinstitutionen in ihrem derzeitigen Zustand den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr ange- messen sind und sich in einer schweren Krise befin- den. Die Notwendigkeit von umgehenden Neuorientierun- gen und entschiedenen Reformen wird von allen Betei- ligten gesehen. Im Angesicht dieser drängenden Notla- ge und aus Ermangelung patenter Lösungsvorschläge er- geben sich ungeahnte Koalitionen und eine nie dagewe- sene Bereitschaft, über den eigenen normativen Schat- ten zu springen.

Insbesondere die Wirtschaft bietet sich erstmalig als Kooperationspartner an. Nachdem die Schule bisher e- her als ein Moratorium gedacht worden war, das die Schülerinnen und Schüler vor den „Krakenarmen “ des ökonomischen Herrschaftsapparates zu schützen habe, dessen einziges Interesse es sei, die Jugendlichen für seine Dienste herzurichten und auszupressen; nachdem die Schule das Ideal der chancengleichen Per- sönlichkeits-Bildung gegen eine pädagogische Zurich- tung auf Fähig- und Fertigkeiten, die zur gesell- schaftlichen Reproduktion notwendig, letztlich aber von ökonomischen Verwertungsinteressen diktiert sei- en, in Anschlag gebracht hatte; nachdem also die Ori- entierung an dem ökonomisch Nützlichen und damit die Wirtschaft selber, die diese einfordert, als unter- drückend und entfremdend beargwöhnt und entsprechend geschmäht wurde, scheinen nun Konzepte und Begriffen, wie sie eine ökonomische Rationalität ad hoc zur Ver- fügung stellt, die Lösung der pädagogischen und in- stitutionellen Misere darzustellen.16

Zum einen einigt man sich mit den Unternehmensvertre- tern auf schulisch zu garantierende Qualitätsstan- dards, d.h. auf einen Katalog von Kompetenzen, über die ein Schulabgänger zumindest verfügen muß. Zum an- deren bemühen sich die Bildungseinrichtungen selber ökonomisch zu sein. So erstellen die Schulen und an- dere pädagogische Institutionen seit Neuestem mit ge- wisser Leidenschaft Leitbilder und Schulprogramme, erarbeiten unverwechselbare Profile, basteln an „cor- porate identety“ und „corporate design“ . Die Schule als selbständiges Unternehmen auf dem freien Bil- dungsmarkt ist in der Diskussion, im Ausland zum Teil schon Realität.17 Effektives Projektmanagement, Team- entwicklungsmaßnahmen, controlling der vereinbarten Ziele und der gesteckten Qualitätsstandards sind die jetzt schon erprobten Schlagworte und Mittel der Schulentwicklung. Der Pädagoge erhält zunehmend die erfrischende Attitüde des engagierten Managers.

Pädagogische Schulentwicklung oder aber institutio- nelle Organisationsentwicklung nennen sich die wis- senschaftlichen Versuche, diese schleichende Ökonomi- sierung der Schule zu begleiten und zu legitimieren, oder aber ihr zu widerstehen. Es geht um die praxis- nahe und auf konkrete Handlungsweisen abzielende Be- gleitung und Anleitung von pragmatischen Unterrichts- verbesserungen und organisatorischen Optimierungspro- zessen. Selbst-Evaluation, aber auch weltweit ver- gleichende Lernleistungstest und breit angelegte Lernbedingungsanalysen wecken die Hoffnung, man könne diese Entwicklungtendenzen planvoll, kontrolliert und insbesondere pädagogisch wertvoll in das krisenge- schüttelte Schulsystem implementieren; man könne schon heute feststellen, „ob morgen etwas effektiv gewesen sein wird. “18 Diese Untersuchungen binden weite Teile der erziehungswissenschaftlichen Ressourcen. Allgemein hat in der Erziehungswissenschaft der „empirical turn“ Einzug gehalten. Der Erziehungswissenschaftler erhält zunehmend die ermutigende Hemdsärmligkeit des Institutionen-Ingenieurs oder den zugeknöpften Charme des Buchhalters, der seine Hände in der Unschuld der Neutralität wäscht.19

Sich in diese Debatte und Bewegung hinein zu begeben, halte ich für den angehenden Pädagogen für absolut notwendig. Zum einen gilt es, die Chance, die sich aus der Krise der Erziehungsinstitutionen ergibt, als eine solche zu begreifen. In diesem Sinne geht es darum, die begonnenen Reformvorhaben zu unterstützen und Verantwortung innerhalb solcher Bemühungen zu ü- bernehmen. Zum anderen gilt es aber nach wie vor, ei- ne kritisch-analytische Distanz zu wahren zu der nicht selten blind aktionistischen Euphorie, mit der einige dieser „richtungsweisenden “, „innovativen “ ‚ „zukunftsträchtigen “ , „nachhaltigen “ und mit jeder Menge Fit-fürs-Millenium-Rethorik angereicherten „Bildungsoffensiven “ vorangetrieben werden. Gerade da, wo ökonomische Begriffe und Begründungsmuster in den pädagogischen Diskurs transferiert und integriert werden; gerade dort, wo Pädagogik in den Sog einer „neoliberalen Sozialphilosophie“ hineingerät, ist solch eine kritische Haltung unabdingbar.20 Genau an diesem Punkt möchte ich mit dieser Arbeit meinen Beitrag leisten.

Die auf die gesellschaftliche Tendenz des Neolibera- lismus reagierenden oder diese nachvollziehenden pä- dagogischen Entwicklungen sind noch zu sehr im Prozeß begriffen, als daß sie von der Reflexion auch nur an- nähernd eingeholt worden wären. Mir scheint, daß mo- mentan nicht einmal die hierfür notwendigen Begriffe zur Verfügung stehen. Insbesondere für eine kritische Analyse fehlt es an geeigneten Instrumenten. Insofern wird man schnell von der vermeintlichen Alternativlo- sigkeit der vorherrschenden Bewegung mundtot gemacht. Ich verstehe diese Arbeit als einen Versuch, Begriffe herauszuarbeiten, die mir tauglich erscheinen, eine kritische Analyse dieser Entwicklung zu ermöglichen; als einen Versuch, ein Begriffsinstrumentarium be- reitzustellen, welches zur Behauptung einer kriti- schen Distanz zur aktuell dominanten Erziehungswirk- lichkeit notwendig ist. Dabei kann es zunächst nicht darum gehen, eine solche Kritik zu formulieren, son- dern fürs erste nach einem Modus der Formulierung zu suchen.

Insofern ist diese Arbeit tatsächlich ein Versuch, eine Suchbe- wegung, die nach etwas sucht, von dem noch nicht zu sagen ist, was es sein wird, für das man keine Formulierungen hat. Die Ar- beit geht von der Vermutung aus, daß die gesuchte Neuformulie- rung immer an der Grenze dessen auftritt, was man schon sagen kann. Das Neue erscheint immer am Rand des Bekannten oder in dessen Lücken. Auch aus diesem Grunde erscheint mir eine Be- schäftigung mit den uns bekannten, alten kritisch emanzipatori- schen pädagogischen Theorien für sinnvoll und dringend geboten.

Die etablierten Begriffe, die von den überkommenen kritischen Theorieansätzen - etwa von Rogers -be- reitgestellt werden, scheinen mir für eine solche a- nalytische Arbeit nicht hinreichend. Sie können einen kritisch-analytischen Abstand nicht mehr halten. Die kritische Pädagogik steckt in der gleichen Krise wie das gesamte Bildungswesen. Vielleicht haben die kri- tischen Pädagogiken - so ist zu fragen - gerade des- halb aus dem pädagogischen Diskurs zurücktreten müs- sen, da sie zur Vermeidung oder Lösung der Krise nichts haben beitragen, geschweige denn eine ernstzuliert, nehmende Alternative zu der schleichenden Ökonomisie- rung hätten anbieten können. Mehr noch: Vielleicht sind die sich auf das selbstidentische und -bestimmte Selbst berufenden pädagogischen Kritiken - das ist die zu prüfende These - als implizite Versatzstücke in diese Entwicklung eingegangen und haben sie gar befördert.

An dieser Stelle sei mir eine in die Problematik einführende Anekdote erlaubt: Die Bertelsmannstiftung hat die dänische Be- rufschule Købmandsskole in Kolding als innovative Schule ge- ehrt. Die Schule wird wie ein Unternehmen geführt. Sie ist au- tonom, auch wirtschaftlich. Der Souverän ist ein Vorstand, der aus Mitgliedern der Kommune, der Gewerkschaften und der ansäs- sigen Arbeitgeber zusammengesetzt ist. Auch die Lehrer und Schüler haben darin ihren Platz, sind aber nicht stimmberech- tigt. Die Schulleitung hat sich gegenüber dem Vorstand zu ver- antworten, von ihm wird sie berufen und möglicherweise auch entlassen.

Reinhard Kahl, in Fachkreisen bekannt als ebenso scharfsinniges wie schonungsloses kritisches P.S.-Gewissen der PÄDAGOGIK, hat einen Film über diese Schule produziert. Diesen hat er im Ham- burger Institut für Lehrerfortbildung unter Anwesenheit des Schulleiters präsentiert. Die Stimmung im Saal war durchaus wohlwollend, dennoch fühlte sich Reinhard Kahl genötigt, gegen- über all denjenigen, die hiermit möglicherweise eine (Zitat!) „Übernahme des Bildungswesen durch das Großkapital“ befürchten, zu versichern, daß die Bertelsmann-Stiftung vollends unabhängig vom gleichnamigen Unternehmen wäre. Am Ende seines Vortrages berichtete der Schulleiter von dem derzeit größten Problem der Schule, wie nämlich das Schulunternehmen durch das „outsour- cing “ eines Teils des Lehrpersonals ökonomisch stabilisiert werden könne.

Es scheint mir so, daß heutzutage die Bourgeoisie die chinesi- sche Mauer weder mit schwerer Artillerie zu Boden schießt - wie schon Marx wußte - noch mit den wohlfeilen Preisen ihrer Waren. Die Eroberungen finden eher in den Köpfen statt und das Schlachtfeld ist das der Wahrnehmungskategorien und Begriffe, ihrer Bedeutung, Relationen und Akzeptanz. Man möchte sagen, der Raum, um den gekämpft wird, sei virtuell. In diesem Sinne scheint mir etwa das bertelsmann-gestiftete „Netzwerk innovati- ver Schulen in Deutschland “21 eine Pionierfunktion einzunehmen, die den direkten Zugang zu den umstrittenen Köpfen sicher- stellt. Das Motto:

„Schulen müssen von Verrechtlichung und Verwaltungsballast befreit werden. Sie sollen sich ihre Erziehungsziele selbst setzen, und sie benötigen Strukturen, mit denen sie diese verfolgen und ihre Erfolge messen können. […] Schaffe Strukturen, in denen Menschen ihre Krea- tivität freisetzen können. Die meisten wollen verantwortlich handeln und sich mit ihren selbstgesetzten Zielen identifizieren […]: Menschlichkeit ist effizient. “22

Die genaue Analyse dieses Unvermögens und insbesonde- re dieser möglichen unfreiwilligen „Mittäterschaft “ der Kritik erscheint mir nun eine notwendige Bedin- gung für die Möglichkeit zu sein, eine angemessene Formulierung für die kritische Reflexion dessen zu finden, was unsere gegenwärtige Situation bestimmt. Der etwas unzeitgemäß anmutende exemplarische Rück- blick auf eine 40 Jahre alte kritisch-pädagogische Theorie wird also mit der Absicht betrieben, die Strukturen des aktuellen pädagogischen Diskurses und der gegenwärtigen Praktiken in ihrer Gewordenheit verständlich zu machen. Zumindest vom Ansatz her könnte man dies als einen Versuch verstehen, eine „Geschichte der Gegenwart “ zu schreiben.23

Dabei möchte ich im folgenden zunächst der Frage nachgehen, ob das vermeintliche Verschwinden der kri- tischen Pädagogik aus der aktuellen Debatte nicht besser als eine Verschiebung oder Modifikation zu in- terpretieren sei: Eine Modifikation, die zum einen das schwächste Moment dieser Theorien, namentlich den normativen Hintergrund eines selbstidentischen Selbst, in den Vordergrund rückt und sie damit als kritisches Instrument gänzlich unbrauchbar macht. Zum anderen eine Modifikation, die es erlaubt, die ehe- mals kritischen Ansätze in die aktuellen - an den Begriffen der Ökonomie orientierten - pädagogischen Bewegungen ab- und damit darin auftauchen zu lassen. Salopp könnte man sagen, ich möchte zum einen die Verfalls- und zum anderen die Korruptionsgeschichte der pädagogischen Kritik an einigen - etwas verstreu- ten, dafür aber konkreten - Beispielen illustrieren.24 Schließlich werde ich die hierbei gemachten Beobach- tungen auf einem abstrakteren Niveau aufheben, indem ich nach möglichen Begründungen für das heillose Scheitern einer als heilsam und revolutionär gedach- ten kritischen Pädagogik und für deren attestierte Distanzlosigkeit zur neoliberalen Sozialphilosophie frage. Quasi als Kehrseite einer relativ detaillier- ten, dennoch modellhaften Analyse des Selbstbegriffes in Rogers Ansatz werden hier kritisch-analytische Be- grifflichkeiten in Anschlag gebracht, die auch der aktuellen pädagogischen Situation angemessenen schei- nen: Begriffe, die in einer umfänglichen Lektüre der Analysen von Michel Foucault erarbeitet werden.

Ich setze mich mit diesem Vorgehen vermutlich der Kritik aus, ich würde mich einem empirischen Feld zuwenden (ohnehin nur mit gebührlichem Abstand und zumeist aus zweiter Hand), bevor ich die dabei zugrunde gelegte Theorie hinreichend erläutert hätte. Aus zwei Gründen habe ich mich dennoch dazu entschlossen. Zum einen wäre ich bei umgekehrter Arbeitsweise vor Langeweile ge- storben; zum anderen muß der Eindruck verhindert werden, es handele sich um eine Anwendung der Theorie auf eine zu erken- nende Praxis, im Sinne einer Illustration der Theorie, schlim- mer noch: deren Beweis durch empirische Belege. Ich verstehe den hier unterlegten theoretischen Hintergrund eher als einen Einsatz, der es vielleicht ermöglicht, ein bestimmtes empiri- sches Feld zu erschließen, verändert wahrzunehmen und damit ggf. zu verändern. Dabei kann es ebensowenig darum gehen, eine derart verändernde und veränderte Praxis theoretisch zu legiti- mieren. Ich verstehe die Theorie selbst als Praxis, die sich anhand ihrer verändernden Effekte zu legitimieren hätte.

2. MODIFIKATIONEN

Es erscheint zunächst evident, daß - wie er- wähnt - die dereinst sehr populären kriti- schen Ansätze inzwi- Abb.2: Erziehung zum Sein schen weitgehend aus der pädagogischen Diskussion verschwunden sind. Ins- besondere jene auf radikale Veränderungen drängenden Unternehmen, wie etwa die an Wilhelm Reichs sexual- revolutionärem Denken oder an Marcuses Untersuchungen zum eindimensionalen Menschen orientierten sowie auf Adornos Studien zum autoritären Charakter bezogen Praktiken, allgemein also jene freudo-marxistischen Gesellschaftskritiken, die nicht zuletzt durch die Studentenbewegung ins breite gesellschaftliche Be- wußtsein gehoben wurden, scheinen heute als geschei- tert. Viele hieran geknüpfte pädagogische Experimente im öffentlichen, wie im privaten Bereich, sind inzwi- schen eingestellt. Ein bestimmtes kritisches Potenti- al, welches der hieran anschließenden pädagogischen Theoriebildung innewohnt, ist inzwischen also weitge- hend unwirksam geworden.25 Dies mag daran liegen, daß die umfassenden gesellschaftspolitischen Kontexte, in denen diese pädagogischen Bewegungen massenwirksam werden konnten, inzwischen längst zusammengebrochen sind bzw. ihr kritisches Aufbegehren gesellschaftlich integriert werden konnte. Eine Aufbruchstimmung zu neuen Ufern jenseits gesellschaftlicher Konventionen ist allgemein nur noch marginal vorhanden.

Dennoch scheint es mir, daß gerade in dem Maße, wie die genannten Ansätze ihre kritischen Möglichkeiten mit dem sie tragenden Kontext eingebüßt haben, ande- re, verwandte, Modelle an Popularität gewinnen; oder besser formuliert: daß ein bestimmtes kritisches Den- ken in dem Eingeständnis, die angestrebten Ziele und Vorstellungen in der ursprünglich gedachten Form nicht verwirklicht zu haben, beginnt, die offensicht- liche Unzulänglichkeit der eigenen Theoriebildung zu proklamieren und umfängliche Modifikationen an eben diesem Denken vorzunehmen. Diese Verschiebung voll- zieht sich - wie gesagt - in zwei Richtungen; zwei Richtungen, die sich real in vielfältiger Weise über- schneiden, ineinandergreifen und verbinden. Zum einen scheint diese Verschiebung mit einiger Vehemenz den- jenigen kritischen Theorien Vorschub zu leisten, die die Gewichtung zwischen gesellschaftlicher Kritik und subjektiver Befreiung schon immer tendenziell auf die Seite des individuellen Heils verlegt hatten. (Kapi- tel 2.1.) Zum anderen ermöglicht diese Verschiebung eine Verbindung der Theorie mit einem gesellschaftli- chen, neoliberalen Modernisierungsschub, wie er aktu- ell auch in den Bildungsinstitutionen nachvollziehbar ist. (Kapitel 2.2.) Diese These möchte ich im folgen- den genauer erläutern.

2.1. Heilslehren

Zunächst kann man sehr allgemein und wissenschaftlich etwas unpräzise formulieren, daß die populärwissen- schaftliche Ratgeberliteratur, das Angebot an Selbst- erfahrungskursen im Rahmen von Toskana-Tourismus, Psychotherapie, die Aufgeschlossenheit gegenüber an der Natur oder fernöstlicher Kultur orientierten Hei- lungsverfahren, Körperpraktiken und Religiosität usw. momentan in vielen gesellschaftlichen Bereichen einen gewissen Boom erleben. Das Interesse an Esoterik, Spiritualität, Astrologie, New Age, Veganismus, Tie- fenökologie etc. gewinnt zunehmend an politischer Be- deutung. Vielfach treten diese Bewegungen an die Stelle einer rational begründeten gesellschaftlichen Analyse und Kritik. Legitimiert sind sie durch ein von höheren Instanzen - dem Kosmos, der Natur - gege- benes Gesetz.26

Sicherlich müßte man unter den genannten Denkrichtun- gen genauere Differenzierungen vornehmen. Sie berüh- ren sich aber zumindest an dem einen Punkt, daß sie dem von sich selbst oder der Natur entfremdeten Indi- viduum den Weg zur Selbstfindung und -verwirklichung, zur Reinheit und Heilung weisen. Damit sind sie auch der Humanistischen Psychologie zumindest im Grundgedanken verwandt.

Speziell im pädagogischen Feld ist beispielsweise am erziehungswissenschaftlichen Fachbereich der Univer- sität Hamburg die - wissenschaftlich vielleicht eben- sowenig ausweisbare, dennoch sehr eindrucksvolle - Erfahrung zu machen, wie sich hunderte von Studieren- den in überfüllten, stickigen Räumen auf dem Fußboden drängen und sich in meterlange Wartelisten eintragen, um an der Humanistischen Psychologie teilzuhaben. Da- gegen müssen sich jene Lehrenden, die etwa traditio- nell marxistisch orientierte Psychologien vertreten, mit einem verstreuten Häuflein von Hörern begnügen und haben unter den Kollegen/-innen einen schweren Stand. Am Fachbereich Psychologie erleidet dieses Schicksal der strukturalistischen, psychoanalytischen Ansätzen zugewandte wissenschaftliche Nachwuchs. Die Vertreter/-innen der Humanistischen Psychologie hin- gegen werden - zumindest von Seiten der Studierenden - geradezu wie Götter verehrt.

Unbestritten ist, daß vielfältige Formen der Modera- tion, Gruppenführung, Interaktionsarrangements, the- rapeutischen settings, Supervision etc. aus pädagogi- schen Kontexten und aus der Schule nicht mehr wegzu- denken sind. Nicht selten sehen sich Lehrer und Leh- rerinnen aufgrund der zunehmenden erzieherischen Auf- gaben, die sie an Stelle der Eltern zu übernehmen ha- ben, und aufgrund der vermehrten Disziplinarprobleme in der Schule genötigt, eine entsprechende Zusatzaus- bildung zu machen. Nicht selten beziehen sich diese Techniken auf tiefen- oder individualpsychologische Therapieformen oder explizit auf Ansätze der Humanis- tischen Psychologie. Als Beispiel sei hier auf Ruth Cohns Ansatz der Themenzentrierten Interaktion, kurz TZI verwiesen. In der Schule wird sie als Lösungsversuch für Disziplinprobleme und Konfliktsituationen eingesetzt. Sie soll gewährleisten, daß die Kinder sich in einem störungsfreien Miteinander auf die Unterrichtsthemen konzentrieren können.27

Gestaltpsychologische Ansätze à la Perls28 haben seit einigen Jahren Eingang in pädagogische Kontexte und auch in den akademischen Diskurs gefunden: Die Gestalttherapie ist eine der genannten Zusatzqualifikationen. Mit der Gestaltpädagogik hat sich ein eigenständiger pädagogischer Ansatz entwickelt.29 Perls‘ Denken hat insbesondere auf Rogers’ frühe Texte einen außerordentlichen Einfluß genommen.

Herbert Gudjons hat kürzlich in einer auflagestarken Lehrerzeitschrift darauf hingewiesen, daß die Tradi- tion der Humanistischen Psychologie die erziehungwis- senschaftliche Diskussion in den letzten 20 Jahre nicht unerheblich beeinflußt habe. Er spricht von der „Humanistischen Pädagogik “ , von deren Variationen die Gestaltpädagogik nur eine sei. Es sei das Ver- dienst der „Schriftenreihe zur Humanistischen Pädago- gik und Psychologie “ - der an entsprechender Stelle der Platz für eine exklusive und umfassende Rezension eingeräumt wird - daß „das Bemühen um eine theore- tisch-wissenschaftliche Begründung und eine Aufarbei- tung der philosophischen, psychologischen, aber auch politischen Grundlagen der Humanistischen Pädagogik “ in jüngster Zeit sogar deutlich zugenommen habe.30

Diese Zusammenhänge mögen nun für die aufgestellte These zunächst abwegig erscheinen. Denn zum einen wirken die erwähnten Denkrichtungen und Praktiken für die Pädagogik als irrelevant oder zumindest nicht zentral.31 Sie seien vielmehr - zum anderen - als Ver- fahrensweisen, Methoden, Techniken hier und da in die allgemeine pädagogische Praxis eingestreut und integ- riert. Sie sind quasi die pädagogischen extras, derer man sich - oft ohne Bezug auf ihren Kontext - be- dient.

Die hier gestellte Frage richtet sich aber auf die Wirksamkeit und den Entwicklungsgang einer kritischen Haltung gegenüber etablierter Erziehungspraxis. Es scheint mir, daß es genau diese z.T. spirituellen, z.T. therapeutischen, auf jeden Fall allein am Indi- viduum orientierten Ansätze sind, die an den Platz treten, den die traditionellen kritischen Theorien in ihrem Niedergang geräumt haben. Ich möchte dies unter zwei Aspekten verdeutlichen. Zum einen werde ich an- hand zweier Beispiele erläutern, wie dieses Denken zunehmend eine fundamentale Schul- und Erziehungskri- tik von innen heraus aufweicht. (Kapitel 2.1.1. und 2.1.2.) Zum anderen werde ich auf dessen Funktion als integrierte (schul-)pädagogische Technik zu Sprechen kommen. (Kapitel 2.1.3.)

2.1.1. Alternativschulbewegung

Als erstes Beispiel sei auf die Alternativschulbewe- gung als radikale Kritik an der Institution Schule verwiesen. So stehen deren Anfänge Ende der sechziger Jahre explizit im Kontext einer kritischen Gesell- schaftstheorie, einer antiautoritären Bewegung und einer Kritik an einer kapitalistisch organisierten Ökonomie und den daraus entstehenden gesellschaftli- chen Ungleichheiten.32 Aus diesem Geiste heraus wurde 1974 die erste Alternativschule als öffentlicher Schulversuch gegründet: die Glockseeschule in Hanno- ver. Einer ihrer Vordenker und Hauptinitiatoren war Oskar Negt. Eines der Hauptanliegen der Schule war es, die emotionale und soziale Entwicklung der Kinder als Basis für die Ausbildung kognitiver Fähigkeiten zu befördern, eine Umwertung eines tauschwertförmigen Leistungsbegriffes zu vollziehen und damit gerade be- nachteiligten Arbeiterkindern eine gleichberechtigte Schulbildung zu ermöglichen. Schon in dieser Konzep- tion ist die „ Selbstregulierung “ der Schüler als normativer Referenzpunkt ausgemacht, von dem aus sich die Kritik und das Postulat nach Veränderung begrün- det. Selbstregulierung verstanden als Antiprinzip au- tokratischer und autoritärer Indoktrination und mit der Funktion, das, was kindliche Bedürfnisse und In- teressen sind, von Kindern selbst frei ausdrücken zu lassen.33 Dennoch ging es darum, die Probleme von und in Schule - und hierin auch den kindlichen Ausdruck - als Produkt gesellschaftlicher Widersprüche erkennbar zu machen. Entsprechend wurde von hier aus immer noch auf eine Veränderung der Gesellschaft im Ganzen ge- zielt. Diesen Impetus hat die Alternativschulbewegung sicherlich nicht vollständig verloren, dennoch ist zunehmend eine individualistische und privatistische Tendenz auszumachen, die vornehmlich das individuelle Glück und die subjektive Entfaltung der Kinder im Au- ge hat.

In Bezug auf eine theoretische Grundlegung einer Al- ternativschulpädagogik hatte sich das Negtsche Modell ohnehin niemals allgemein durchsetzen können. Die Al- ternativschulen hatten stets auf eine bunte Vielfalt pädagogischer Ansätze zurückgegriffen, die zu ver- schiedenen Synthesen zusammengefügt wurden. Die Suche nach einem eigenständigen und einheitlichen pädagogi- schen Profil und damit auch einer eigenständigen the- oretischen Grundlegung hat nun auch hier - aufgrund der aktuellen Diskussionen um die Schule im allgemei- nen - intensiv begonnen. Erste Versuche beziehen sich auf verschiedene Spielarten des Begriffes der Selbst- regulation im Verbund mit gestaltpädagogischen und pädagogisch-konstruktivistischen Ansätzen - von Negt über Perls bis Maturana. Andere lehnen sich an sub- jektorientierte psychoanalytische Ansätze an, etwa nach C.G. Jung oder Wilhelm Reich. Die pädagogischen Ausflüge diverser Psychologen haben die Suche immer begleitet, wie z.B. die von Alice Miller, Thomas Gor- don oder eben Carl R. Rogers.34 Eine Zeitlang wurde diskutiert, ob nicht etwa Klaus Holzkamp ein gesi- chertes theoretisches Fundament einer Alternativ- schulidentität abgeben könnte.35 Inzwischen begreift man die Pluralität der Arbeits- und Denkformen als das Charakteristikum und die Stärke der Alternativ- schulen.

Gewisse Übereinstimmungen hat die Alternativschulbe- wegung insofern allenfalls auf der Ebene ihrer päda- gogischen Praxis vorzuweisen. Diese definiert sich vornehmlich in Negation der Regelschule: die Abkehr von undemokratischen Schulstrukturen und Disziplinar- mitteln, wie Zensuren und Sitzenbleiben; Abkehr vom Frontalunterricht als dominanter Lernform; im Gegen- satz zum rein kognitiven eine Betonung von sozial- emotionalem Lernen; Abkehr von staatlich angeordneten Curricula zugunsten der wirklichen Lernbedürfnisse der Kinder. Inzwischen bemüht man sich auch hier, ei- ne positive Bestimmung der eigenen Praxis vorzuneh- men. Neben der Umkehrung der genannten Verneinungen, also Eintreten für vielfältige, sinnliche, handlungs- und projektorientierte, offene Lernformen mit ande- ren, z.B. berichtförmigen Leistungsbeurteilungen, findet sich als Merkmal der Alternativschulen die Ge- borgenheit in kleinen und überschaubaren Schulen, fä- cherübergreifender Unterricht und die phasenweise Freiwilligkeit der Unterrichtsteilnahme.36

Nun ist dieses Alternativschul-Profil das Ergebnis eines in der Praxis gewonnenen Erfahrungsprozesses. Diese war und ist zum einen gekennzeichnet durch ei- nen oft jahrelangen, zumeist juristischen, Kampf um Genehmigung bzw. Anerkennung durch die Schulbehörde oder, nachdem diese erwirkt oder auf sie verzichtet wurde, einen Kampf gegen die permanente Gängelung bis hin zur Kriminalisierung seitens der Schulaufsicht, die den Alternativschulen in aller Regel feindlich gesonnen ist. Zum anderen ist es ein Kampf um die Köpfe und Herzen der Eltern, die bestimmte Erwartun- gen an die Schule stellen und diese aus Angst um die (berufliche) Zukunft ihrer Kinder oft zwingen, sich an den Zielen und Standards der Regelschule zu orien- tieren. Hiermit verbunden ist sehr oft ein Kampf ums ökonomische Überleben, da die Schulen sowohl von staatlichen Zuschüssen als auch von elterlichem Schulgeld abhängig sind. Letztlich ist es aber auch ein stetiger Kampf mit den eigenen pädagogischen An- sprüchen, Vorstellungen und Utopien, die sich allzu oft und aus verschiedensten Gründen in der Praxis, in Auseinandersetzung mit den Kindern nicht verwirkli- chen lassen.

In diesem Prozeß wurden nun die ursprünglichen Posi- tionen alternativer Pädagogik, etwa einer radikalen Absage an alle Formen der Beurteilung und einer aus- nahmslosen Freiwilligkeit zur Teilnahme am Unter- richt, auf verschiedene Art und Weise relativiert. Auf der anderen Seite hat sich auch die Regelschule in weiten Teilen verändert und jene Elemente, die die Alternativschulen zu einer Alternative gemacht hat- ten, in ihre Praxis integriert. Es stellt sich die Frage, worin sich Alternativschulen noch von den pro- gressiven Regelschulen oder staatlichen Modellschulen unterscheiden.37

Diese Annäherung an die Regelschule ist auch der Al- ternativschulbewegung nicht verborgen geblieben. So denkt man inzwischen laut über eine gegenseitige Be- fruchtung und wechselseitigen Austausch mit den Re- gelschulen nach. In diesem Sinne hat die Alternativ- schulbewegung an kritischem Potential eingebüßt. Sie hat aufgehört, eine „Gegen-Schule “ zu sein und ihren revolutionären Habitus abgelegt. Vielmehr sei es an der Zeit, mit bestimmten Mythen der Alternativschul- bewegung aufzuräumen und von hier aus Alternativschu- le neu zu denken. Unter anderem etwa mit dem Mythos einer „Pädagogik vom Kinde aus “ .38 Es bleibt zu hof- fen - ganz im Sinne des Anliegens dieser Arbeit - daß im Angesicht dieser kritischen Reflexion auf die ei- gene Arbeit und des Eingeständnisses, darin mögli- cherweise auf das falsche theoretische Pferd gesetzt zu haben, nun tatsächlich über neue - andere - Formen von pädagogischen settings nachgedacht wird - anders auch im Sinne einer erneuerten kritischen Distanz zur etablierten Pädagogik.

Jener Beginn einer kritischen Selbstreflexion und Entmythologisierung scheint mir nun aber eher der Wunsch eines engagierten, dennoch akademisch- distanzierten Beobachters der Alternativschulszene zu sein, nicht aber deren alltäglicher Praxis und deren Diskurs im Allgemeinen zu entsprechen. Die eingangs aufgestellte These, zu der nun der Bogen geschlagen ist, ist vielmehr diejenige, daß mit dem Aufräumen bestimmter Mythen eine kritische Haltung gänzlich ab- geräumt wird. Wo diese Leerstelle nicht von bürgerli- cher Normalität besetzt wird, macht das kritische Denken jetzt erst recht einer individualistischen, privatistischen Jagd nach dem Erlösung versprechenden eigenen Ich-Selbst Platz oder schlägt vollends in den Mythos um.

So haben sich die meisten etablierten Alternativschulen offensichtlich mit ihrer Rolle als privater Regelersatzschule für eine breite aufgeklärt gebildete Mittelschicht abgefunden. Oder aber sie sehen sich ökonomisch wie politisch zu dieser Haltung gezwungen, um überhaupt ihren Bestand zu sichern.

So erhielt ich vor kurzem einen Brief von einer Lehrerin einer Freien Kinderschule, der u.a. folgende Beschreibung der aktuellen Schul-Situation enthält. Ich sehe sie als symptomatisch für die Lage der Freien Alternativschulen an - auch wenn diese selber ihre Praxis z.T. anders einschätzen:

„Es gibt sie noch, die gute alte [Freie Kinderschule]! Mehr schlecht als recht, zusammengestutzt auf ein Minimum an Personal und vollkom- men auf dem Boden der harten Tatsache, nicht mehr und nicht weniger als „Schulzweig mit besonderer pädagogischer Ausprägung “ im Rahmen der Regelschule zu sein, fristen wir unser Dasein… Die Illusion, ei- ne FREIE ALTERNATIVSCHULE zu betreiben, hat heute niemand mehr.

Die [Freie Kinderschule] steht vor einer gravierenden Entscheidung, die da lautet: „Freiheit oder Tod! “ Entweder wir schaffen endlich den Schritt in die Unabhängigkeit und gründen eine Freie Schule, die diesen Namen auch verdient oder der Verein kann sich auflösen. “39

Die Elternschaft der Alternativschulen rekrutiert sich inzwischen zunehmend weniger aus den Reihen der Arbeiterschaft oder einer sich mit dieser solidari- sierenden politisch engagierten sozialen Bewegung o- der gar einer radikalen Linken. Die nachwachsenden Elterngenerationen stammen mehrheitlich aus einem bürgerlichen Spektrum. Sie erhoffen sich von der Schule eine bessere individuelle Förderung ihrer Kin- der. Es ist weniger eine gesellschaftliche, etwa an- tiautoritäre Kritik, die die Eltern motiviert, ihre Kinder dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Vielmehr versprechen sich die Eltern von den engagierten, in- novativen und demokratisch mitzugestaltenden alterna- tiven Privatschulen ein gesundes, glückliches und frei sich entfaltendes Aufwachsen für ihre Kinder. Zugleich aber auch deren optimales Angepaßtwerden an eine modernisierte, flexibilisierte Arbeitswelt. Es geht darum, die private Lebensqualität zu steigern und den individuellen Marktwert zu erhöhen. Diese zum Teil widersprüchlichen Erwartungen der Eltern stellen zur Zeit eines der großen Probleme der Alternativ- schulen dar.40

Auf der anderen Seite zeigt sich insbesondere bei vielen neu gegründeten Alternativschulen noch der An- spruch, ein Sammelbecken für Eltern mit alternativen und unkonventionellen Lebensentwürfen zu sein. Die hier gebotenen alternativen schulischen Umgangsformen und pädagogischen Vorstellungen erschöpfen sich nun aber nahezu ausnahmslos in jenen eingangs umrissenen spirituellen, esoterischen, naturreligiösen, bis hin zu biozentristischen Weltanschauungen, Riten und er- zieherischen Selbstverwirklichungs-Praktiken.41

Diese Verschiebung läßt sich analog sehr anschaulich an der Literatur studieren, die in den entsprechenden Kreisen der Alternativschulszene kursieren bzw. als Grundlage für die Schulgründungen hergenommen werden. Die Anleitung zu einer authentischen, naturkonformen und glücksversprechenden Seinsweise wurde selten der- art nachgefragt. Beispielsweise Frederick Leboyers Vorstellung einer sanften Geburt, Jean Liedloffs Su- che nach dem verlorenen Glück oder - allen voran - Rebeca Wilds Erziehung zum Sein stehen so hoch im Kurs wie nie zuvor.42

Diese Bewegung ist auch an der regelmäßigen Publika- tion der Alternativschulbewegung abzulesen. Nachdem 1993 die Zeitschrift „endlich/enfin “ eingestellt wurde, gründete sich 1994 die „unterwegs “ .43 Hatte die „endlich/enfin “ zumindest noch ein freies Bil- dungswesen gefordert und in ihren Ausgaben (bil- dungs-)politische Themen aufgegriffen, wie z.B. die Emanzipation der Frauen oder das Recht der Kinder, ist die „unterwegs “ unterwegs auf alternativen Lern- und Erziehungswegen, die sie für die Lehrer/-innen und Eltern im Sinne einer individuellen und autonomen alternativ-pädagogischen Lebensführung auslegt. So widmete sich z.B. gleich in der dritten Ausgabe in durchaus affirmativer Weise dem Thema Spiritualität. Ebenso aufschlußreich wie die Inhalte sind die Anzei- gen im Magazinteil. Diese reichen vom Vertrieb von Montessori-Spielzeug, Eso- und Psycho-Accessoirs, ü- ber Werbung für Öko-Invest-Geldanlagen, bis hin zur Anpreisung von Zeitschriften, Versandhäusern oder Kursangeboten, die „Seelennahrung durch Märchenhafen- klänge “ , Wege und Visionen zur Selbstfindung oder gar „Göttliche Heilung, die von Innen kommt “ ver- sprechen.

Analog zu dieser Entwicklung in Teilen der Alterna- tivschulbewegung ist auch der relativ höhere Erfolg anderer privater Ersatzschulen zu erklären, wie der der Rudolf-Steiner- und Montessorischulen. Bei allen Überschneidungen und Ähnlichkeiten mit den freien Al- ternativschulen zeichnen sich diese Schulen durch ein erhöhtes Maß an festgefügter, bezogen auf die anthro- posophischen Waldorfschulen spiritueller, Weltan- schauung und insbesondere durch ein eindeutig be- stimmtes Menschenbild aus. Eine Erklärung für die größere Attraktivität dieser Schulalternativen für viele Eltern ist wohl in dieser Besonderheit zu su- chen.

Eine genaue und differenzierte Auseinandersetzung mit diesen pädagogischen Ansätzen wäre in dem hier aufgespannten Zusammen- hang sicherlich nicht uninteressant. Ich möchte es mir und der Leser/-in allerdings ersparen, noch einen weiteren möglichen, zudem hochkomplexen, Kontext meiner Fragestellung zu eröffnen. Dennoch sei kurz darauf hingewiesen, daß sich auch hier und im besonderen die Idee eines natürlichen, angeborenen kindlichen Ichs findet. Bei Montessori ist diese etwa in dem Begriff des „Inneren Bauplans “ aufgehoben, wie allgemein in dem Bemühen, das Geheimnis der kindlichen Seele zu entdecken:

„Es handelt sich ja darum, den Menschen von seinen Ursprüngen an zu studieren, dabei in der Seele des Kindes ihre Entwicklung unter den Zusammenstößen mit der Umwelt zu entziffern und so in das dramati- sche oder tragische Geheimnis der Kämpfe einzudringen, denen man es zuzuschreiben hat, wenn die Seele des Menschen entstellt und verdüs- tert blieb.“44

Laut Steiners Lehre ist die gesamte Menschheit auf dem deter- minierten Weg der Ich-Werdung. Die Zielmarken sind etwa durch die Theorie der Temperamente und der Wurzelrassen ausgelegt. Eine Waldorfpädagogik, die auf dieser Grundlage betrieben wird, und die anthroposophische Bewegung selbst, weisen damit und auch aufgrund ihrer konkreten Geschichte eine gewisse Nähe zu faschistischer Ideologie auf. Was sich gern als befreite Menschlichkeit präsentiert, scheint eher geeignet, eine autori- täre und unmenschliche Entwicklung vorzubereiten.

Diese starke These soll hier nicht weiter verteidigt werden, verwiesen sei hierfür auf Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister, 1999.

Entsprechend der beschriebenen Entwicklung - so könn- te man die These nun schließlich zusammenfassen - be- steht das Alternative an den Praxis der Alternativ- schulen neben einer inzwischen allgemein anerkannten Reformpädagogik zunehmend allein in dem Angebot sol- cherlei alternativer Selbst-Erfahrungsmöglichkeiten. Eine tatsächlich herausfordernde Kritik oder ein ernstzunehmender Gegenentwurf zur Regelschule ist von hier aus bis auf weiteres nicht zu erwarten. Man ist eher geneigt, zu behaupten, daß sich die Unzufrieden- heit mit dem gesellschaftlichen und pädagogischen status quo - sofern überhaupt vorhanden - vermehrt in einem vermeintlich kritischen, im Grunde aber totalen Irrationalismus ausdrückt oder zumindest einer priva- tistischen Suche nach dem subjektiven Heil Vorschub leistet.

2.1.2. Antipädagogik

Das zweite Beispiel, welches eine solche Modifikation der kritischen Pädagogik bestätigt und damit die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit subjektzent- rierten pädagogischen Ansätzen betont, möchte ich so knapp wie möglich ausführen. Die Entwicklungstendenz, die hier aufgezeigt werden soll, ist ohnehin der so- eben skizzierten vergleichbar. So unterliegt auch die radikalste Kritik am pädagogischen Mainstream, die Antipädagogik, einer ähnlichen Bewegung. Als Ekkehard von Braunmühl als nichtakademischer Laie 1975 seine „Antipädagogik - Studien zur Abschaffung der Erzie- hung “ schrieb, wollte er „den Größen- und Machbar- keitswahn der pädagogischen Experten entlarven.“45 Es ging ihm darum, ein „Gegengift “ gegen jenes Gift be- reitzustellen, welches die Menschen mit der „pädago- gischen Haltung “ verspritzen, weniger darum, eine eigene pädagogische Schule zu begründen. Es erschien ihm eine sinnvollere Beschäftigung, „höchst konkrete Übel möglichst abzustellen […] als irgendeine Utopie in den Wind der Geschichte zu schreiben.“ Dabei ist seine kritische Arbeit immer mit einer Frage der Hal- tung verbunden, nicht mit einer der Anschauung, schon gar nicht mit der nach einem Ideal.

Auch „»das Humane« […], die durchaus positive Intention der Negativen Pädagogik, der antipädagogischen Einstellung “ erschließt sich nur aus „seiner Verleugnung und Abwesenheit “.46

Sicherlich gibt auch bei Braunmühl die „ Spontanauto- nomie “ , das „Urselbst“ oder das „sensorische und sensitive Vor-Ich “ eine zentrale Stütze seiner Argu- mentationsfigur ab. Aber dieses entziehe sich jeder positiven Definition und läßt Braunmühl auch konse- quent vor einer solchen zurückschrecken. Wichtiger als das Sein der Autonomie des Neugeborenen ist somit in dem Braunmühlschen Gedankengang dessen „ Autonomie- anspruch “ . Wichtiger als die Entdeckung neuer Ge- wissheiten über die autonome kindliche Seele ist ihm, denen die Legitimation zu entziehen, die mit dem Ver- weis auf die „Erziehungsbedürftigkeit“ des Kindes diesen Anspruch auf Autonomie mißachten. Es geht ihm also primär um die Negation von Zwang und Herrschaft im Sinne eines historisch-konkreten demokratischen Rechtsanspruches des Kindes, weniger im Sinne einer Befreiung zu einem ursprünglichen Sein. Somit steht die anfängliche deutsche Antipädagogik eher in der Tradition einer libertären oder anarchistischen Päda- gogik und ist eng mit der Kinderrechtsbewegung ver- bunden. Auch steht sie - bei aller unüberwindlichen Distanz - der französischen Antipsychatrie und -pädagogik weit näher als die ihr nachfolgenden Theoriemodelle und -ableitungen.

Die französische Antipsychatrie hatte sich vor dem theoreti- schen Hintergrund der Psychoanalyse entwickeln können. Im Wis- sen um die „ursprüngliche Spaltung “ des Subjekts, wie es die lacansche Theorie anbietet, wurde hier eine revolutionäre Kri- tik am psycho-medizinischen und pädagogischen Diskurs geführt. In Opposition zur gängigen Administration und Institution wurde eine Praxis der „gesprengten Institution “ angestrebt. Gerade die Auseinandersetzung mit der Institution und des in ihr herr- schenden Diskurses anstelle der Suche nach einer Einheit des Subjekts unterscheidet die französische Diskussion von der deutschen. So betont Maud Mannoni u.a., es ginge nicht um ein „Roger’sches Theater“ , welches um die „blockierte Kommunikati- on “ kreist. Eher könne die Transformationskraft des „antipsy- chatrische[n] Diskurs[es], hervorgegangen aus einer Praxis re- volutionären Charakters […] erheblich gebremst werden, wenn das theoretische Wissen auf die trügerische (mildtätige) Sprache des Ich hereinfällt. “ (vgl. Mannoni, Maud: Scheißerziehung, 1987, S.150f.)

Hinter diesem, wie ich finde, etwas unglücklich übersetzten Titel (franz. Orig.: „Éducation impossible “ ) verbirgt sich eine sehr gehaltvolle, „unter Beibehaltung eines streng lacanschen Bezugsrahmens “ durchgeführte Reflexion auf die Praxis der Schule von Bonneuil, „ein Ort des Lebens für sogenannte psychotische, debile oder verhaltensgestörte Kinder “.

Ich möchte es mit diesem Einschub zu den theoretischen Grundla- gen und der erprobte Praxis der französischen Antipsychatrie und -pädagogik bewenden lassen, da sie meines Wissens nicht maßgeblich in die deutsche Auseinandersetzung eingegangen sind. Dennoch wollte ich diese Erfahrungen und Versuche im Rahmen dieser Arbeit nicht unerwähnt lassen, da es gerade diese An- tipsychatrie-Bewegung war, die Foucaults „Wahnsinn und Gesell- schaft ” (Foucault, 1968b) positiv aufnahm, im Gegensatz zu so vielen anderen, die das Buch gerade aufgrund dieser positiven Rezeption noch acht Jahre nach seinem Erscheinen auf den Index setzten, nachdem es bis dahin nahezu ignoriert worden war.47

Nachdem Braunmühl nie versucht hat, über die erläu- terte Negation hinaus zu gehen, haben es andere in seinem Namen übernommen, die Antipädagogik in eine praktizierbare Pädagogik und in einen erziehungswis- senschaftlichen Diskurs zu überführen: Allen voran Hubertus von Schönebeck mit der Gründung des Vereins „Freundschaft mit Kindern “ . Mit missionarischem Ei- fer - in Form von Vortragsreisen, Publikationen, Se- minaren, Work-Camps etc. - versucht dieser, die Antipädagogik als „erziehungsfreie Lebensführung“ und Weltanschauung zu verkaufen. Ohne die genauen Diffe- renzen zwischen Braunmühl und Schönebeck auszufüh- ren48, läßt sich wohl behaupten, daß im Zuge dessen die bei Braunmühl angelegte aufklärerische, negativ- kritische Haltung einem eher mystifizierenden Glau- bensbekenntnis gewichen ist. Braunmühl sah sich dem- entsprechend vor einigen Jahren genötigt, zur Vertei- digung seines geistigen Eigentums, eine Gegendarstel- lung zu Schönebecks Lehren zu verfassen. Diesen be- zeichnet er als „Guru “ und „Sektenführer “ , der un- ter der „Denkstörung Subjektivitis “ leide. Das Fun- dament des Schönbeckschen Denkens bestehe in einer Verabsolutierung der Subjektivität: im Sinne einer individuell angeborenen, unabweisbaren und unantast- baren „Selbstverantwortung “ und im Sinne einer Un- möglichkeit objektiver, „vom Menschen abgelöster Er- kenntnis“49. Schönebeck bringt seinen anthropologi- schen Grundsatz auf die simple Formel: Niemand weiß besser als man selbst, was für einen gut ist; allein man selbst weiß, was für einen das Nützlichste und Beste ist. Daraus folge laut Braunmühl die Auslö- schung von allem Intersubjektiven und Kulturellen, sowie die Verunmöglichung einer „seriösen antipädago- gischen Aufklärung “ .

Die Differenz der verschiedenen „Antipädagogen “ läßt sich sehr anschaulich - und vor dem Hintergrund die- ser Arbeit von besonderem Interesse - auch an deren jeweiligem Verhältnis zu Rogers verdeutlichen. Wenn Rogers über das „Lernen in Freiheit “ schreibt: „Das Konzept gründet in der Vertrauenswürdigkeit der menschlichen Natur “50, so kommentiert Braunmühl dies wie folgt:

Diese Behauptung „kann auch totalitäres Denken unter- stützen, denn diese Vertrauenswürdigkeit wird oft ge- nug widerlegt, und über einen Menschen, der sich als nicht vertrauenswürdig (als diesem Anspruch an ihn nicht gewachsen) erwies, erzwingt Rogers‘ Behauptung geradezu das faschistische Urteil: unnatürlich, wi- dernatürlich, un(ter)menschlich, nicht lebenswert, kurz (bestenfalls): erziehungsbedürftig. “51

Hubertus von Schönebeck hingegen bezieht sich durch- weg positiv auf Rogers. In seiner Dissertation, einer empirischen Studie zu den „Determinanten personaler Kommunikation mit jungen Menschen “52, und auch in den „Tagebuchnotizen“ , die Schönebeck während seines „Versuch[es], ein kinderfreundlicher Lehrer zu sein “53 aufgezeichnet hat, gibt Rogers Therapieset- ting die theoretische Grundlage ab. Noch deutlicher und explizit stützt sich die „neue Eltern-Kind- Beziehung “ , die Schönebeck propagiert, auf Rogers‘ Grundannahmen und Terminologie. Das Konzept „Unter- stützen statt Erziehen “ basiere auf einigen Grund- größen:

„Echtheit (Kongruenz) - »ich bemühe mich der zu sein, der ich bin«, Annehmen (Akzeptanz) - »ich lasse Dich der sein, der du sein willst und bist«, und Mitschwingen (Empathie) - »ich stelle mich auf deine Gefühle ein und schwinge mit ihnen«. “54

In späteren Schriften etikettiert Schönebeck Rogers schlichtweg als „antipädagogischen Therapeuten“ und spricht diesen als Wegbereiter der Antipädagogik an.55 Schließlich finden sich in sämtlichen Schriften Schö- nebecks Verweise auf Rogers oder lang zitierte Text- passagen, die zur Erläuterung des antipädagogischen Selbstverständnisses herangezogen werden.56

In ähnlicher Weise bezieht sich Wolfgang Hintes „Non- direktive Pädagogik “ auf Rogers. Unter dem Etikett „Antipädagogik “ versucht er, dem braunmühlschen Den- ken ein positives wissenschaftliches Fundament zu ge- ben, welches zugleich handlungsanleitend sei.

In einem Durchgang durch die Theorien des symbolischen Interak- tionismus, insbesondere nach George Herbert Mead, und den An- sätzen der Handlungsforschung nach Kurt Lewin versucht Hinte auf die Notwendigkeit eines herrschaftsfreien Diskurses zu fo- kussieren, um tatsächliche und relevante Lern- und Entwick- lungsprozesse zu ermöglichen. Dieser von Habermas entlehnte Terminus bezeichne eine idealtypische Gesprächssituation, in der sich etwa Wissenschaftler und Beforschte, aber auch Lehrer und Schüler in einem Subjekt-Subjekt-Verhältnis begegnen könn- ten. Die beschriebenen Ansätze würden bestimmte Voraussetzungen hierfür bereitstellen: der symbolische Interaktionismus durch die Betonung der Möglichkeit zur individuellen Rollendistanz und somit zum Herrschaft entlarvenden Metadiskurs; die Hand- lungsforschung durch die Forderung, mittels des Forschungspro- zesses konkrete praxisrelevante Handlungen auszulösen und zu begleiten, anstatt distanziert und herrschaftlich zu agitieren und manipulieren. Die damit eröffneten Möglichkeiten seien aber insgesamt noch zu beschränkt. Erst die Humanistische Psycholo- gie stelle mit der klientzentrierten Gesprächstherapie das not- wendige setting für eine gleichberechtigte, allen Menschen of- fene Kommunikation zur Verfügung.57

Hintes „Non-direktive Pädagogik“ ist dabei der ex- plizite Versuch, die nicht direktive, sondern eben klientzentrierte Gesprächspsychotherapie, sprich das Roger'sche Therapie-setting eins zu eins in ein päda- gogisches Arrangement zu übersetzen und als akade- misch ausgewiesene und praktikable Antipädagogik zu verkaufen. „Normativer Hintergrund “58 und zugleich praktisches Ergebnis der non-direktiven Pädagogik sei die „integrierte Persönlichkeit “ , also ein Mensch mit zunehmender „Ich-Stabilität, mehr Selbstbewußt- sein, stärkere[m] Einfühlungsvermögen, rationalere[m] Konfliktverhalten und gesteigerte[r] emotionale[r] Empfindsamkeit.“59 Anders ausgedrückt, habe die non- direktive Pädagogik die „Selbstverwirklichung “ ihrer Klienten zur Folge. Deren Vollzug ließe sich in einem Vierstufen-Modell veranschaulichen: Vom passiven „Ü- berleben“ , über das stumpfe „Existieren “ , bis zur bewußten „Reflexion “ der eigenen Existenz und schließlich einer engagierten „Veränderung “ der ei- genen Existenz, die das Finden der eigenen Identität bedeute.60

Auch wenn die vehemente Attacke, die Braunmühl gegen die etablierte Pädagogik vorgetragen hat, schon in die Jahre gekommen ist, stellt sie nach wie vor eine latente Virulenz und Herausforderung für eben diese dar. Die nachfolgenden „Braunmühl-Interpretationen “ machen es nun leicht, die „Antipädagogik“ samt die- sem Nachwirken einer aufs Ganze zielenden Erziehungs- kritik als die Hirngespinste eines verwirrten Pseudo- Propheten wegwischen oder aber in ihren praktischen

Anteilen in eine neue Reformpraxis übernehmen zu kön- nen. Auch hier kann man wohl zusammenfassend behaup- ten, daß die anfänglich sehr engagierten und diffe- renzierten Bemühungen einer antipädagogischen Aufklä- rung einer vereinfachenden - wenn auch mit akademi- scher Attitüde vorgetragenen - praktischen Anwendung geopfert wurden. Diese bezieht ihre Überzeugungskraft nicht zuletzt aus Rogers Theorieansatz, indem sie dessen Versprechen auf individuell heilsame Selbst- verwirklichung in den Mittelpunkt rückt und hochgra- dig normativ aufläd.

2.1.3. Psychotechniken

Letztlich möchte ich noch einige wenige Anmerkungen zu den in die Regelschullandschaft eingestreuten the- rapeutischen Situationen äußern. In den letzten Jah- ren sind bestimmte psychologische Techniken vermehrt in der pädagogischen Praxis eingesetzt worden: Ange- fangen von der obligatorischen Supervision des päda- gogischen Teams oder des Lehrerkollegiums; gefolgt von der individuellen psychologischen Beratung oder Psychotherapie zur Bewältigung berufsbedingter Belas- tungssituationen auf Seiten der Pädagogen/-innen; ü- ber den Einsatz bestimmter, zumeist verhaltensthera- peutischer, Verfahren etwa zur Klärung von Konflikt- situationen im Klassenverbund, zum Abbau von Streß und Versagensängsten auf Seiten der Schüler/-innen oder zur Bearbeitung einer einzelnen Lehrer-Schüler- Beziehung; bis hin zur Hobby-Psychologie und - Diagnostik mit anschließender tatsächlicher Patholo- giesierung etwa von sogenannten verhaltensauffälligen Schüler/-innen. Man kann durchaus von einem regel- rechten Therapismus der Schule sprechen.

Es ist kein Geheimnis, daß der Buchmarkt meterweise praktisch-psychologische Lebenshilfen für den Haus- gebrauch, aber auch den professionellen Pädagogen be- reitstellt. Auch die Fachzeitschriften können ihre Auflagen nur halten, wenn sie das Bedürfnis ihrer Kunden nach entsprechenden simplen Praxisanleitungen bedienen.

Die Kommunikations- und Interaktionsformen in pädago- gischen Einrichtungen orientieren sich zunehmend an psychologischen Richtlinien und dem dazugehörigen Set an Methoden: auf Schulkonferenzen, in der Steuerungs- gruppe des Schulentwicklungsprozesses oder selbst bei Entscheidungsfindungen im Rahmen von Projektunter richt fehlt nur noch selten ein Stapel bunter Karten mit dicken Filzstiften.

Ich möchte mich mit den angedeuteten Praktiken nicht im einzelnen befassen. Täte ich es, würde sich herausstellen, daß es verfehlt wäre, sie allesamt auf humanpsychologische Grundannahmen oder auch nur auf eine Vorstellung einer ursprünglichen menschlichen Natur zurückzuführen. Die theoretischen Hintergründe dieser Techniken sind so zahlreich, wie auch die verschiedenen Techniken selbst.

Dennoch scheint es, daß zumindest ein Großteil dieser Praktiken mit Modellen arbeitet, die davon ausgehen, daß etwa ein gestörter Kontakt zwischen ansich mona- dischen Subjekten, ein inneres Gleichgewicht oder ei- ne verzerrte Wahrnehmung wieder hergestellt werden soll und muß. Einige solcher Beispiele habe ich ein- gangs genannt.

Die These, um die es mir vordringlich geht, betrifft die Funktion dieser Praktiken. Sie scheinen mir dazu angetan, kurzfristige und zumeist individuelle Lösun- gen für Probleme anzubieten, deren Struktur es nahe- legen sollte, grundsätzlich befragt zu werden.61 So bieten die verschiedenen therapeutischen Vorgehens- weisen zweifelsohne eine Handhabe, bestimmte als un- erträglich empfundene pädagogische Konstellationen erträglicher zu machen. Sie bieten sicherlich eine Hilfe bei der Bewältigung der täglichen Arbeit und stellen auf einem bestimmten Niveau Bedingungen her, die als Erleichterung angesehen werden. So ist es si- cherlich für die Grundschullehrerin eine Hilfe, zu wissen, daß sie auf die Wut ihres Schülers nur auf- grund der Verletzungen, die sie in ihrer eigenen Kindheit hat erleiden müssen, in dieser vehementen Art und Weise reagiert. Für den Referendar ist es be- stimmt tröstlich, sich mit anderen Referendaren in einer Gesprächsgruppe über die Zumutungen, die er von Seiten seines Seminarleiters erdulden muß, auszutau- schen. Für den einzelnen Pädagogen ist es selbstver- ständlich erleichternd, wenn das als delinquent de- klarierte Kind einer Spezialeinrichtung übergeben wird.62 Einem Verständnis derjenigen Verhältnisse, die den als problematisch empfundenen Situationen zugrun- de liegen, und damit ggf. einer langfristigen Lösung des Problems, ist man allerdings keinen Schritt näher gekommen.

In einem Wort: die genannten Techniken neigen in ih- rer Fixierung auf unaufwendige subjektive oder bes- tenfalls auf isolierte Interaktionen bezogene Prob- lemlösungen dazu, eine Analyse derjenigen Faktoren und Bedingungen - also etwa institutionellen Struktu- ren - auszublenden, die auf das Problem Einfluß neh- men oder es gar überhaupt erst produziert haben. Sie neigen überdies dazu, die komplexen Relationen - also bestimmte Bedeutungsanordnungen, die beispielsweise den Begriff „verhaltensauffällig “ generieren - zu verschleiern, in denen ein bestimmtes Ereignis oder Phänomen problematisiert wird, d.h. „das Problem “ als Problem allererst wahrnehmbar wird. Für die Ana- lyse solcher Zusammenhänge stellen die therapeuti- schen Hilfsmittel keinerlei Instrumente zur Verfü- gung. Sie werden diese Strukturen und Ordnungen auf- grund ihrer lindernden Funktion eher verstetigen.

Mehr noch: Sie werden selbst Instrumente dieser Ver- hältnisse. So wird die Verantwortung für die Probleme und deren Lösung zunehmend dem Individuum zugeschrie- ben. Gesundheitliche Ausfälle, burn-out-Syndrom, Frühpensionierung auf Seiten der Lehrerinnen und Leh- rer werden weniger als Effekt unzumutbarer Arbeitsbe- dingungen analysierbar, sonder sind dem individuellen Risiko unterstellt: Jeder hat selbst für den Erhalt seiner Arbeitskraft und sein psychisches Gleichge- wicht auch in Belastungssituationen zu sorgen. Wer dies nicht schafft, hat selber Schuld, denn er hätte sich besser - eben therapeutisch professionell - pflegen können.

Schulversagen, Schulangst, aggressives oder abwei- chendes Verhalten auf Seiten der Schülerinnen und Schüler sind nicht länger das Problem der Schule, ein von Schule erzeugtes, überhaupt erst vor dem Hinter- grund der Schulordnung denkbares Problem. Es ist nun- mehr das individuelle Problem des Schülers, seiner Anlagen, Begabungen, seiner Dispositionen. Diese sind mit den therapeutischen Techniken individuell zu be- handeln, zu befördern oder zu transformieren. Diese lautlosen, unspektakulären und subtilen Psycho- Techniken treten an die Stelle einer autoritären Schuldisziplin. Bot diese dem rebellischen Schüler- verhalten noch die Stirn, trat sie der Machtprobe von Angesicht zu Angesicht entgegen und hatte sie der kindlichen Dummheit und Furchtsamkeit das Wissen und die Stärke einzubleuen, kann inzwischen auf diese of- fensichtlichen und gewaltsamen Kraftakte verzichtet werden. Trotz Einsparung der verausgabten Mittel: Der Effekt bleibt der selbe. Denn Angriffspunkte für Wi- derstand bieten diese sanften, toleranten, einfühl- und anschmiegsamen Praktiken kaum. Jede Attacke wird vielmehr von ihrem reinen Gewissen, ihrer warmen Menschlichkeit bis hin zu ihrem aufopfernden Altruis- mus umhüllt, versorgt und eingelullt. Die angestreb- ten Lern- und Entwicklungsziele, die gewünschten Ver- haltensdispositionen werden mit umso geringerem Rei- bungsverlust erreicht. Für denjenigen, der sich einer solchen Arbeit an sich selbst, an seinem Selbst, den- noch entzieht, bietet die Psychologisierung der Schu- le die entsprechenden Begriffe und damit die Legiti- mation des Ausschlusses. Der Therapie-Boom macht so- ziale Probleme zum individuellen Versagen und Macht- ausübung zu einer unangreifbaren und unschuldigen In- dividual-Behandlung.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß diese erste Form der Modifikation einer kritisch pädagogischen Theo- riebildung drei entscheidende Effekte hat: sie wirkt individualisierend, mythologisierend und verschlei- ernd. Die Alternativschulbewegung wird in einer rea- listischen Einschätzung der Realisierungsmöglichkei- ten ihrer ursprünglichen Forderungen bestenfalls op- portunistisch, d.h. normale Regelschule; schlimmsten- falls nimmt sie die individuelle Selbstwerdung und - findung als erstes, verwirklichbares Etappenziel auf dem Wege zu einer befreiten und geheilten Menscheit in Angriff. In ihrer konkreten Praxis macht sie damit nicht selten den Mythos zum Ausgangspunkt eines als revolutionär gedachten Projektes. Auch die Antipäda- gogik fällt hinter ihren anfänglichen eigenen aufklä- rerischen Impuls zurück und wird zu einer subjektiven Glaubensfrage, die sich freilich für denjenigen be- antwortet, der das wahre Wesen des Kindes geschaut hat. Schließlich verdunkelt auch die inflationäre Verwendung von verschiedensten, schnelle Lösungen versprechenden, Psycho-Techniken in problematisch ge- wordenen pädagogischen Arrangements genau deren Teil- habe an der Genese des „Problems“ . Das Risiko, wel- ches diese Arrangements beinhalten, wird der indivi- duellen Selbstverantwortung unterstellt. Eine kriti- sche - auch im Sinne einer analytischen - Kraft wird einem subjektiven Glücksversprechen geopfert. Dieses zärtliche Versprechen wird darüber hinaus zu jenem Machtmittel, was einst der Rohrstock oder die Straf- arbeit waren.63

Damit ist nun nicht gesagt, daß die beschriebenen Be- wegungen ihr kritisches Potential in dem Moment ver- loren hätten, in dem sie aufgehört haben, sich auf ein aufklärerisches Ideal zu berufen. Vielmehr sollte deutlich geworden sein, daß gerade die Berufung auf ein zentrales aufklärerisch-humanistisches Motiv: das selbstidentische Selbst, das einzigartige autonome Subjekt, nicht davor schützt, von verschiedensten my- thologisierenden, verabsolutierenden und irrationalen Praktiken Gebrauch zu machen und sich von deren hei- ligen Verheißungen gewissermaßen blenden zu lassen. Vielleicht verführt es gar dazu, als Machtinstrument eingesetzt zu werden.

2.2. Kritik und Neoliberalismus

Die stärkste, zugleich vielleicht anstößigste These, der ich hier nachgehen möchte, besteht nun in der Vermutung, daß die Modifikationen, die an einer über- kommenen pädagogischen Kritik aufgrund deren offen- sichtlich gewordenen Ungenügens vorgenommen worden sind, nicht nur dahin führen, diese vollends für eine Analyse gegenwärtiger pädagogischer Entwicklungen un- brauchbar zu machen und sie eher in den Dienst indi- vidueller und kurzschlüssiger Heilserwartungen zu stellen. Diese Modifikationen scheinen sie zudem an das anschlußfähig zu machen, was man die Ökonomisie- rung der Bildungsinstitutionen nennen könnte: also an die folgerichtige Weiterentwicklung derjenigen herr- schaftlichen Logik und machtvollen Praktik, gegen die sich jene kritische Pädagogik dereinst formiert hatte.

Der gesellschaftliche Motor dieser „Ökonomisierung des Sozialen “ und hier speziell der Bildungsinstitu- tionen ist eine sozial-ökonomische Entwicklung, die am besten mit dem - z.Z. leider etwas in Mode gekom- menen - Begriff des Neoliberalismus gefaßt werden kann. Ich kann diese Entwicklung hier nicht in all ihren Facetten beschreiben. Schon allein deswegen nicht, da sie in ihrem vollen Ausmaß noch gar nicht abzusehen ist. Doch seien jene Merkmale herausgear- beitet, die für den hier verhandelten Zusammenhang relevant erscheinen, insofern sie in der pädagogi- schen und bildungspolitischen Diskussion selbst auf- genommen und bearbeitet worden sind. Schematisch ge- sprochen handelt es sich hierbei um zwei sich gegen- seitig bedingende Entwicklungslinien. Zum einen wer- den die Qualifizierungsgänge von Schülern und Auszu- bildenden auf die Anforderungen eines veränderten Ar- beitsmarktes und des benötigten Arbeitnehmerprofiles zugeschnitten. Zum anderen werden Bildungssysteme und -einrichtungen selbst vermittels einer ökonomischen Vernunft und managerialen Führungstechniken struktu- riert.

Ich werde zunächst allgemein über eine neoliberale Politik und Philosophie und insbesondere die neuen Techniken der Unternehmens- und Menschenführung spre- chen (Kapitel 2.2.1.); sodann beschreiben, wie die neuen Arbeitnehmer-Anforderungen sich in didaktischen und curricularen Modellen widerspiegeln (Kapitel 2.2.2.); hiernach die Parallelen zwischen diesen ökonomischen Strukturen und denjenigen in den sich entwickelnden pädagogischen Institutionen illustrieren. (Kapitel 2.2.3.) Letztlich werde ich kurz darauf eingehen, ob und inwiefern sich der Ökonomisierung der Pädagogik dennoch kritisch entgegengestellt wird bzw. werden kann. (Kapitel 2.2.4.)

2.2.1. Menschenführung, Lebensführung

Die Relation zwischen der Ökonomie, dem Sozialem und der Politik; zwischen dem Privaten und dem Öffentli- chen; zwischen den Unternehmen, dem Staat und seinen Bürgern unterliegt derzeit einer grundlegenden Refor- mulierung. Non-Gouvernment-Organisations gewinnen zu- nehmend an Bedeutung; Bürgerinitiativen übernehmen freiwillig selbstverantwortete Kontrollfunktionen.

Die individuelle Privatssphäre verliert sich in einer allgegenwärtigen und vernetzten Informations- Akkumulationsmaschine; umgekehrt werden die privaten Tugenden der ehelichen Treue oder die persönliche Vergangenheitsbewältigung der Regierenden zum Politi- kum. Das massenmedial vermittelte Private ist inzwi- schen tatsächlich politisch geworden. Staatliche Kom- petenzen werden dezentralisiert und an selbstverwal- tete Institutionen oder die Privatwirtschaft abgetre- ten; die letzten staatlichen Monopole werden zur Kon- solidierung des öffentlichen Haushaltes meistbietend privatisiert. Was zweifellos eine zunehmende Demokra- tisierung der Gesellschaft darstellt, ermöglicht und erfordert umgekehrt andere Formen der politischen Re- gulierung und verhilft insbesondere einer ökonomi- schen Rationalität zu einer guten Konjunktur.

Dabei handelt es sich nicht so sehr um ein Zurückdrängen des Staates durch die Ökonomie. Eine solche Annahme unterstellt eine grundlegende Trennung zwischen Ökonomie und Politik.64

Es läßt sich keine „Abnahme staatlicher Souveränität und Planungskapazitäten [beobachten], sondern eine Verschiebung von formellen zu informellen Formen der Regierung […] wie die Etablierung neuer Formen von »Subpolitik«, die gleichsam »unterhalb« dessen ope- rieren, was traditionellerweise das Politische ausmachte. “65

Es treten neue Formen der Unternehmens- und Menschen- führung auf den Plan. Sie machen eine spezifische Wahrnehmung des Individuums, der verschiedenen ge- sellschaftliche und ökonomischen Prozesse, in welche es eingebunden ist, und insbesondere einen veränder- ten Bezug des Individuums auf sich selbst notwendig.

Ein zunehmend deregulierter, liberalisierter und glo- baler Markt - vom virtuellen Markt eines kursieren- den, spekulativen Kapitals ganz zu schweigen - ist das Feld, auf dem die Unternehmen operieren. Sie pro- duzieren zunehmend weniger handfeste Waren als viel- mehr Dienstleistungen und Informationen. Entsprechend flexibel verlagern sie ihre Produktion bald von einem nationalstaatlichen Territorium zur nächsten Region, immer auf der Suche nach den profitabelsten Bedingun- gen und den geringsten Belastungen. Der Nationalstaat tritt als Wettbewerbsstaat auf, stets bemüht, eben solche Bedingungen zu offerieren.66 Er biedert sich den transnationalen Unternehmen als Standort an, der das Recht auf Eigentum und den ungehinderten Zugang zu Informationen garantiert; zudem die nötige Infra- struktur und insbesondere qualifizierte und entspre- chend gebildete Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Staatliche Einrichtungen werden in ihrer Leistungsfä- higkeit gesteigert oder gänzlich privatisiert. Die in den Institutionen ehedem staatlich garantierte Frei- heit und Unabhängigkeit gesellschaftlicher Interes- sen, wird notgedrungen nunmehr durch Dritte gestiftet und gesponsort. Die in wohlfahrtsstaatlichen Versor- gungs- und staatlich garantierten Versicherungssyste- men inkooperierten soziale Errungenschaften, die in der Tradition des Solidaritätsprinzips stehen, werden abgebaut und an private Dienstleister abgetreten. Es gilt sogenannte Ineffizienzen zu beseitigen oder dem individuellen Risiko zu unterstellen. Geld ist der Maßstab aller Dinge und der universale „Equaliser ”. Menschen lassen sich als Human-Ressource verrechnen, ihre Bedürfnisse, Leidenschaften oder Gebrechen ent- weder als Profit oder als Kostenfaktor kalkulieren. Der Staat selbst, seine Organe und Institutionen or- ganisieren sich nach betriebswirtschaftlichen Effi- zienzkriterien. Das Gesellschaftliche selbst begreift sich in ökonomischen Begriffen. Es geht darum schlank und fit zu sein.

Information pro Minute, professionelles Wissensmana- gement, Flexibilität, kreative Innovation und insbe- sondere individuelles Engagement eines jeden Mitar- beiters sind die neuen (Mehr-)Werte im postfordisti- schen Toyotismus ebenso wie im vielbeschworenen In- formationszeitalter.67 Intern operieren die Unterneh- men daher mit neuen Mentalitäts- und Organisations- formen, um vor den Forderungen des neuen Marktes be- stehen zu können, wiewohl diesen zu befördern. Es wird überall und ständig umstrukturiert und eine fortwährende Personalentwicklung betrieben: Business- Reengineering, Lean-Production, Total Quality Manage- ment und nicht zuletzt die People-driven Company sind die angelsächsisch-neudeutschen Schlüsselbegriffe, die demokratische, entbürokratisierte und - hierarchisierte Führungsstrukturen ebenso versprechen, wie sich auch weiterhin zu den Gewinnlern der Weltwirtschaft, zu den global players zählen zu dürfen. Die Unternehmen haben dem Staat vorgemacht, wie man schlank und fit ist.

Man bemüht sich, die Arbeitnehmer emotional an das Unternehmen zu binden und für eine engagierte Arbeit zu motivieren. Man produziert ein Wir-Gefühl und macht die Beschäftigten zu „associates “ , zu Freun- den, Verbündeten, zu einem Teil der Familie: Angefan- gen von einem gleitenden Arbeitsbeginn und einem un- ternehmenseigenen Kinderhort, über kostenlose Pizza für die Überstunden nach 18oo Uhr und eine Freikarte für das Fitnesscenter um die Ecke, bis hin zu after- work-Parties ab 18oo Uhr in der hauseigenen Bar und moralisch-verpflichtendem Teamurlaub auf Sylt im a- gentureigenen Apartment. Die Arbeit wird so zur ver- längerten und sinnerfüllten Freizeit, wie umgekehrt die Freizeit zum ökonomisch und effektiv genutzen, schweißtreibenden chill-out wird. So wie der Staat und die Unternehmen schlank, fit und dynamisch sind, sind es auch die Individuuen und ihre Körper.

Wichtiger aber ist, daß die Arbeit nicht mehr der Disziplin der Fließbänder unterworfen ist, sondern sich durch ein hohes Maß an Autonomie auszeichnet. Dadurch bietet sie vielfältige Möglichkeiten der I- dentifikation. Die Mitarbeiter können sich in ihre Arbeit selbst einbringen. Sie treffen Entscheidungen im Rahmen von flachen Hierarchien. Sie arbeiten pro- jektbezogen und in Teams. Ihr Einsatz, ihre individu- ellen Fertigkeiten, subjektiven Perspektiven, kreati- ven Potentiale und innovativen Problemlösungskompe- tenzen sind gefragt und werden anerkannt.

„Auf diese Weise wird versucht, den Wunsch des Arbei- ters oder leitenden Angestellten nach persönlichem Weiterkommen und Selbstverwirklichung im Beruf mit der als gegeben vorausgesetzten Notwendigkeit des Un- ternehmens in Einklang zu bringen, mehr Flexibilität, Wettbewerbsfähigkeit, Beweglichkeit, Kreativität und so weiter […] [D]er Arbeitsplatz [gilt] für Arbeiter und Führungskräfte gleichermaßen als ein Ort persön- licher Entwicklung, und die Arbeit wird »regiert«, indem die Eigeninitiative und Selbststeuerungspotentiale des unternehmerischen Individuums gestärkt wer- den. “68

Von den Mitarbeitern werden damit andere und neue Fä- higkeiten gefordert. Fähigkeiten, die ein überkomme- nes Bildungswesen in der Form nicht vermittelt hat. Nicht von ungefähr engagiert sich die Wirtschaft zur Zeit verstärkt in bildungspolitischen Fragen. Es geht um Befähigungen, wie selbständiges Agieren, autonomes Verfügen über Mittel und Gestaltungsmöglichkeiten und individuelle Verantwortungsübernahme - stets im Rah- men einer „ganzheitlichen Unternehmensphilosophie “, bestimmten Zielvereinbarungen und uneinholbaren Qua- litätsstandards; stets zum Zwecke der ständigen Opti- mierung der Betriebsabläufe und kontinuierlichen Ver- vollkommnung der Produktqualität. Die Verantwortung für die Überwachung und Verbesserung der Qualität von Produkten wird unmittelbar an die Produzenten dele- giert. Das heißt nicht zuletzt, daß die Mitarbeiter- teams oder die Teamkollegen sich gegenseitig in ihrer Arbeitsleistung, ihrem Engagement und in ihrer Orien- tierung an den zur Qualitätsgewährleistung aufge- stellten Regelungen kontrollieren und bewerten: es werden „Gut-gemacht “ -Buttons verteilt und „Mitarbei- ter des Monats “ gewählt.

Jeder einzelne Mitarbeiter hat „in seinem Arbeitsbe- reich für Mängelvermeidung und Qualitätsverbesserung zu sorgen. […] Die Qualitätsspezialisten kontrollieren nicht mehr die Produkte, sondern die Selbstkontrolle der Produzenten. “69

Ein führendes deutsches Service-Unternehmen der Gastronomie- branche hat sich zu diesem Zwecke eine besonders geschmackvolle und spielerische Variante der Selbstkontrolle der Mitarbeiter/- innen ausgedacht: Jedes Teammitglied erhält eine Reihe von „Team-Sucht-Tops “ -Karten. Diese kann er oder sie bei gegebenen Anlaß unterschrieben und unter Angabe von Gründen an seine oder ihre Kollegen/-innen als Zeugnis deren außerordentlichen Enga- gements weiterreichen. Einen Durchschlag erhält das Unterneh- men. Die gegenseitige Qualitätskontrolle ist als Gewinnspiel inszeniert, insofern die gesammelten Karten schließlich als Lo- se innerhalb einer Tombola eingesetzt werden können. Das Unter- nehmen erklärt dazu:

Team Sucht Tops - Qualität gewinnt

Um im kommenden Jahr unseren Stamm an Mitarbeitern auszubauen und die […] Service-Qualität [des Unternehmens, S.M.-G.] zu sichern und zu steigern, führen wir […] ein Gewinnspiel durch, an welchem alle […] Mitarbeiter und Aushilfen teilnehmen können.

Spielregeln

1. Als Mitarbeiter […] erhalten Sie […] pro Monat mit Ihrer Lohnabrech- nung eine Karte mit Durchschlag. Diese Karte (Original und Durch- schlag) können Sie einem […] Mitar- beiter Ihrer Wahl geben. Sie gilt als Anerkennung für einen spontanen Einsatz, für eine herausragende Leistung oder ein außergewöhnlich gutes Verhalten gegenüber einem Mit- arbeiter bzw. gegenüber [dem Unter- nehmen]. Ehrlichkeit, Zuverlässig- keit und Pünktlichkeit sind für uns selbstverständlich und gelten nicht als Grund für die Zuteilung einer Karte.

Kriterien für die Abgabe einer Karte wären beispielsweise: […] b.) überdurchschnittliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber Kollegen, Kunden und Gäs- ten […] d.) Übernahme einer Vorbild-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3: Unternehmensführung

funktion gegenüber Mitarbeitern mit übermässigem Zigarettenkonsum oder bei »Abseilerei« e.) eine spontane, abteilungsübergreifende »Hilfeleistung« im Büro etc., etc.

Die Angabe des Grundes auf der Karte ist unbedingt erforderlich, da ohne Angabe keine Wertung erfolgt. Nur vollständig ausgefüllte Karten nehmen an einer Tombola teil.“

Kundenorientierung avanciert dabei zum obersten Leit- ziel und zur „totalen Philosophie “ - sowohl zur Er- schließung neuer Märkte, wie als Mittel der Quali- tätssicherung und unabschließbaren Steigerung der Produktqualität; und insbesondere auch als betriebs- internes Organisationsprinzip. Letzteres meint eine Unternehmensstruktur, in der sich einzelne Abteilun- gen und Mitarbeiter - noch vor dem realen outsourcing - in einem Kunden-Zulieferer-Verhältnis, als Ge- schäftspartner, als „Intrapreneure “ gegenüberste- hen.70

Die „exzellenten Unternehmen “ „bieten ihren Mitar- beitern nicht nur Geld, sondern auch ein gewisses Zu- gehörigkeitsgefühl, nicht nur Selbstbestätigung, son- dern auch eine »Mission«. Jeder wird zum Pionier, macht Experimente, übernimmt Führungsaufgaben. Das Unternehmen vermittelt das Leitmotiv und schafft ein Klima der Begeisterung, das Gefühl, zu den besten zu gehören, das Gefühl selbst an anerkannter Qualität mitzuwirken. “71

Bezogen auf die „gemeinsame Sache “ macht man so aus dem Arbeitnehmer einen engagierten Partner und aus einem dereinst antagonistischen Klassenverhältnis eine „win-win-Situation “ . So definiert das manager magazin in seiner neusten Ausgabe:

„Führung heißt, die Forderungen der Mitarbeiter zu erkennen und sie in das übergeordnete Unternehmensziel einzugliedern. “72

„Führung durch Zielvereinbarungen “ - „Management by Objectives “ .

So schreibt z.B. ein hamburger Medien-Unternehmen, das vor kurzem gerade seinen Platz an der Tabellenspitze im internationalen Top 100 New Media Kreativ-Ranking verteidingt hat, in einer Broschüre, die an alle neuen Mitarbeiter verteilt wird, um diesen die Unternehmensphilosophie näher zu bringen:

„Da wir nicht glauben, daß einfaches vor sich Herwursteln eine er- strebenswerte Lebensaufgabe ist, haben wir uns Ziele gesteckt, ziem- lich hohe sogar. Um herauszufinden, ob wir auch drauf und dran sind, sie zu erreichen, gibt es für alle relevanten Bereiche sogenannte »Zielerreichungsprogramme«. Kurz gesagt: ZIEP. Da geht es um die Kultur und die Laune der Unit, um die Ziele der einzelnen Mitarbei- ter, um die Ziele pro Etat, um die Ziele der ganzen Agentur. Diese Zielerreichung ist eine Sache, die die Agentur sehr ernst und genau nimmt. Beachte das bitte, wenn Du entsprechende Fragebögen aus- füllst. “

Im gleichen Maße, wie die Arbeitnehmer sich mit dem Unternehmen identifizieren, sich mit der „Seele des Unternehmens “ verwandt fühlen, sind sie zugleich zu- nehmend weniger durch dauerhafte und existenzsichern- de Verträge an ihren Arbeitgeber gebunden. Instituti- onalisierte Unsicherheit und ein hohes Maß an Flexi- bilität und Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft von Seiten der Mitarbeiter sind für die neue Ökonomie konstituierend.73 Nach Möglichkeit wird die Arbeit vollständig durch „outsourcing“ an spezialisierte (Kleinst-)Unternehmen, Selbständige und Freiberufler abgegeben. Die gewünschte Leistung wird so kosten- günstig, d.h. ohne Lohnnebenkosten eingekauft. Um bei der Verteilung der knapper werdenden gesellschaftlich notwendigen Arbeit überhaupt noch bedacht zu werden, um also nicht vollständig aus dem gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang hinauszufallen, wird es für das lohnabhängige Individuum somit zunehmend wichti- ger, sich selbst und seine Arbeitskraft professionell zu vermarkten. „Selbst-Management “ wird zur Schlüs- selqualifikation für die neuen „Arbeitskraftunterneh- mer “74. Ständige Mobilität und Ungebundenheit, die Bereitschaft zur permanenten Fort- und Weiterbildung und zum Lebenslangen Lernen wird zur conditio sine qua non, damit sich die „Ressource Ich“ nicht ver- braucht.

„Er/sie »managt« sich sozusagen selbst als ein Unter- nehmen, das Kreativität, Arbeitskraft und Kenntnisse anbietet. […] Um der allseits geforderten Flexibilität genügen zu können, sollte das Kompetenzspektrum mög- lichst breit und die Bereitschaft zum jederzeitigen Ausbau der Kenntnisse und zum Wechsel der Einsatzfel- der gegeben sein. Die obersten Qualitätsmerkmale zu- künftig Erfolgreicher, also der neuen Unternehmer ih- rer selbst, sind die Fähigkeiten, eine Vielzahl von Aufgaben koordinieren, den eigenen Tätigkeitsbereich durchorganisieren und ein professionelles Selbstmar- keting betreiben zu können.“

Die Passage ist dem aktuellen Katalog des Vereins „Weiterbil- dung Hamburg “ entnommen, der „Selbst-Management “ als neues be- rufliches Erfolgskonzept anpreist. (vgl. auch die Abb. auf dem Deckblatt) Ein paar Sätze weiter beschreibt die Autorin eher beiläufig, was dieser „Paradigmenwechsel“ im einzelnen bedeute:

„Was aber heißt, wie von Freiberuflern und Selbständigen heute schon hinlänglich bekannt ist, dass er/sie in der Regel mehr arbeiten wird als der heute durchschnittliche Angestellte, denn »am leichtesten beutet sich immer noch jeder selbst aus« “ .75

Der auseinanderdriftende gesellschaftliche Zusammen- halt wird allein noch durch die Überzeugung gestif- tet, daß jeder nach seiner Facon glücklich werden mö- ge und dabei jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Das Individuum, welches sich weiterhin als ge- sellschaftlich integriert begreifen will, ist aufge- fordert, sich nicht nur als arbeitendes, sondern auch als gesellschaftliches Wesen dem Leitbild des „Unter- nehmens seiner selbst “ zu unterstellen. Es ist auf- gefordert, sich bewußt dazu zu entschließen, „sein Leben als »Unternehmen« zu führen. […] Bei der Erziehung der Kinder, in Fragen der Schulischen Bil- dung, bei der Berufsausbildung und im Arbeitsleben sowie beim unablässigen Konsum müssen jene, die in- tegriert sind, ihr Handeln nach Maßgabe einer »Inves- tition« in die eigene Person und ihre Familie kalku- lieren und diese Investition unter Berufung auf die Codes der eigenen, je besonderen »Community« maximie- ren. “76

2.2.2. Lebenslanges Lernen, Offenes Lernen

Den für unser Bildungswesen Verantwortlichen sind die Herausforderungen, die die neuen Formen des Wirt- schaftens und der Organisation des Arbeits- und Le- bensvollzuges mit sich bringen, sehr wohl bewußt. In die pädagogische Praxis sind sie als deren selbstver- ständliche Bedingungen eingegangen. Zunächst im Hin- blick auf die neuen Anforderungen an die Qualifikati- onsprofile zukünftiger Generationen und der hierzu notwendigen didaktischen Instrumente, finden sich viele Beispiele, die eine klare Bezugnahme, aber eben auch eine eher unfreiwillige Adaption und Affirmation deutlich machen. Ich möchte hiervon zwei auswählen. Zum einen wende ich mich einem Paket von curricularen Lernzielen zu, die bzgl. der veränderten sozial- ökonomischen Situation neu definiert worden sind: als sogenannte Schlüsselqualifikationen. Ich stütze mich hierbei auf deren Formulierung, wie sie die als „Rau- Kommission “ bekannt gewordene Bildungskommission Nordrhein-Westfalen in ihrer Denkschrift „Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft“77 vorgeschlagen hat. Zum anderen möchte ich die Strukturelemente einer zu- meist in reformpädagogischen Praxiskontexten anzu- treffenden Vorstellung vom guten und kindgerechten Unterricht, die vom offenen Unterricht, auf ihre Ana- logien zu den erläuterten neoliberalen (Selbst-)Führungs-techniken hin befragen. Diese Interpretation stützt sich auf eine empirische Untersuchung, die an einer alternativen Ersatzschule in freier Trägerschaft durchgeführt wurde. Die beschriebene Unterrichtsform kann also kaum als Reaktion auf eine neoliberale Gesellschaftsordnung angesehen werden, sondern steht in der Tradition einer alternativen und kritischen Pädagogik.78

Einen Zusammenhang zwischen den sog. Schlüsselquali- fikationen, wie sie seit geraumer Zeit im pädagogi- schen Diskurs kursieren, und deren Verwendung in öko- nomischen Kontexten muß man nicht lange suchen oder gar konstruieren, er ist unmittelbar greifbar. Wenn man Literaturrecherche unter dem Schlagwort „Schlüs- selqualifikationen “ betreibt, erhält man mehr Titel, die sich mit Fragen der Unternehmensführung oder des mittleren Managements, als solche, die sich mit päda- gogischen Sachverhalten befassen.79 Dies ist nicht weiter verwunderlich, da das Konzept der Schlüssel- qualifikationen nicht in erziehungswissenschaftlichen Zusammenhängen entwickelt wurde, sondern ein Produkt der Arbeitsmarktforschung ist. Das Konzept diente der betrieblichen Ausbildung seit den 70er Jahren als Mittel, die Mitarbeiterqualifizierung von der Ver- mittlung fixer, vornehmlich handwerklich-technischer Fertigkeiten und spezialisierten Fachwissens weg zu führen. Es ging darum, diese durch einen Komplex uni- versal einsetzbarer, auch unter veränderten Bedingun- gen nicht unzweckmäßig werdender Kompetenzen zu er- setzen. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Flexi- bilisierung der Produktionsprozesse und sich schnell wandelnder Technologien wurden schlüsselqualifizierte Mitarbeiter zum notwendigen Wettbewerbsvorteil. Ent- sprechend wurde von hier aus auch an die staatlichen Bildungseinrichtungen die Forderung gestellt, das Konzept der Schlüsselqualifikationen ins Allgemein- bildungskonzept zu integrieren.

Zunächst aufgenommen von der allgemeinen Berufs- und Weiterbildung, tauchen die Schlüsselqualifikationen spätestens seit Ende der 80er Jahre auch in der (schul-)pädagogischen Diskussion auf. Hier besetzten sie einerseits jene Leerstelle, die ein - aufgrund einer sich verkürzenden Halbwertszeit des Wissens und einer Erosion der traditionellen Werte - obsolet ge- wordenes und in eine Legitimationskrise geratenes Curriculum hinterlassen hatte. Andererseits erschei- nen sie den kritischen Pädagogen als eine Verwirkli- chung ihrer all zu lang unerhörten Postulate:

als „Wege und Methoden zur Förderung personaler Hand- lungsfähigkeit “ und zur „Entfaltung von Ich- Kräften “ .80

Die Rau-Kommission definiert das set von Schlüsselqualifikationen wie folgt:

„Schlüsselqualifikationen sind erwerbbare allgemeine Fähigkeiten, Einstellungen und Strategien, die bei der Lösung von Problemen und beim Erwerb neuer Kompe- tenzen in möglichst vielen Inhaltsbereichen von Nut- zen sind“

Hierzu zählen: kreatives Denken, Flexibilität, Prob- lemlösungskompetenz, Partizipations- und Teamfähig- keit, Organisations- und Dispositionsfähigkeit, Ar- beitskompetenz, Lernfähigkeit, Optimierung eigener Lernprozesse und das Vertrauen in die eigene Selbst- wirksamkeit.81

Die Notwendigkeit des neuen Qualifikationskonzeptes wird im Kontext einer allgemeinen Neubestimmung des Verhältnisses von Selbstbestimmung und Verantwortung verortet, der sich in allen gesellschaftlichen Berei- chen vollziehe: in der betrieblichen Organisation, in öffentlichen Verwaltungsstrukturen, aber auch in Be- zug auf individuelle Wahlmöglichkeiten in einer plu- ralisierten Gesellschaft. Mit den Erfordernissen, die diese unumkehrbare und unaufhaltsame Umstrukturierung auch an das Bildungswesen stelle, seien somit zugleich neue Chancen für dieses eröffnet. Es wird explizit eine ökonomische Notwendigkeit mit einem freiheitlichen Ideal verschränkt.

Die „Wirtschaft wird nur konkurrenzfähig sein, wenn es ihr gelingt, die Anpassungsfähigkeit an veränderte ökonomische und technologische Bedingungen zu stei- gern. ” „Intensives Lernen aus eigenen Antrieb führt zu den Fähigkeiten und zu dem Wissen, auf deren Grundlage die Kenntnisse der Beschäftigten […] mit den sich verändernden beruflichen Qualifikationspro- filen Schritt halten können. Können und Kompetenz der Erwerbstätigen, erworben und erhalten durch Le- benslanges Lernen, sind entscheidende Standortfakto- ren. “ „Es kann davon ausgegangen werden, daß ange- sichts zunehmender internationaler Konkurrenz dieser Faktor an Bedeutung gewinnen wird. “

„Die Möglichkeit lebenslang weiterlernen zu können, ist aber nicht nur berufliche Notwendigkeit, sie ist Zeichen einer Demokratisierung des Bildungswesen. “82

Das Konzept der Schlüsselqualifikationen kulminiert in dem Leitbild des „Lebenslangen Lernens ” . Die In- dividuen, aber auch die Organisationen, seien auf- grund des schnellen technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels darauf angewiesen, stets neue Kompetenzen lernend zu erwerben und sich ständig neu zu orientieren. Für die Individuen bedeute dies aber nicht nur eine kontinuierliche Verbesserung ih- rer beruflichen Qualifikation. Ebenso seien sie auf- grund der erworbenen Schlüsselqualifikationen befä- higt, in einer pluralen Gesellschaft eine bewußte Le- bensplanung zu verwirklichen, zwischen verschiedenen Optionen bzgl. der Jobsuche, des Konsums und des Le- bensstils gewollt zu wählen, umsichtige Bildungsent- scheidungen zu treffen, an gesellschaftlichen Prozes- sen verantwortlich und mitgestaltend zu partizipieren usw. Entscheidend sei dabei die Entwicklung einer allgemeinen Arbeitskompetenz, die sich nicht allein von einem berufsbezogenen Arbeitsverständnis herlei- tet, sondern Arbeit zur Grundkonstante menschlicher Lebensgestaltung macht.

„Auf dieser Grundlage wird lebenslanges Lernen als Kern von Beruflichkeit, sozialem Engagement und Lebensführung zu einem Grundverhalten.“83

Die Schlüsselqualifikationen stellen somit die Tech- niken eines selbstbestimmten Bildungsprozesses und Lebensvollzugs zur Verfügung. Sie unterstellen das Subjekt aber gleichzeitig dem Gebot, sich in einem Programm der fortwährenden Aus- und Weiterbildung kontinuierlich selbst zu modulieren und zu transfor- mieren - orientiert an bewußt zu treffenden Berufs- entscheidungen, gemäß eines kalkulierten Lebensent- wurfes und entsprechend selbst gesetzter Ziele. Das individuelle Leben wird somit zu einem Projekt, zu einem Unternehmen seiner selbst, welches vor dem Hin- tergrund gesellschaftlicher Veränderung und sozialer Verantwortung leitzielorientiert, aber unabschließbar gemanagt werden muß. Es ist ein Leben unter dem Zei- chen des unbegrenzten Aufschubes, wo man nie mit et- was fertig wird.84

Der offene Unterricht ist ein Sammelbegriff für viel- fältige didaktische Methoden und Verfahren, wie etwa den Wochenplan, die Lernwerkstatt, Projektunterricht, Freiarbeit, die Arbeit an Lernmaterialen oder mit Lernsoftware etc. und für demokratieähnliche Mitbe- stimmungsverfahren, wie etwa den Morgenkreis, den Klassenrat usw. Gemeinsam ist ihnen die Zielsetzung, den Schülern ein erhöhtes Maß an Selbständigkeit und Selbstverantwortung zuzugestehen und die Rolle des Lehrers als Organisator und Vollstrecker des Unter richtsgeschehen neu zu definieren. Allgemein gespro- chen, geht es um die Zurücknahme von frontal abgehal- tenem Unterricht und somit um den Abbau von Lehrer- Zentriertheit: also den Abbau all der Unterrichtsfor- men, in denen der Lehrer als für alle sichtbarer, ständig agierender Funktionär der Unterrichtsinhalte, -ziele und deren Überprüfung leitend, lenkend und or- ganisierend im Zentrum des Unterrichtsarrangements steht.

Die Bildungseinrichtungen und speziell die Schule sind nun aber darauf verpflichtet, die Verantwortung für das Erlangen bestimmter, definierter Lernziele von Seiten der Schüler innerhalb festgelegter und vorhersagbarer Zeiteinheiten zu übernehmen. Diese Aufgabe ist nicht zuletzt an die Lehrer delegiert. Auch wenn die zur Verfügung stehenden Zeiträume in reformierten, offenen Lernformen erweitert sind; auch wenn die zu erreichenden Ziele eher als allgemeine Kompetenzen, etwa als Schlüsselqualifikationen, denn als detaillierte Wissens- und Fertigkeitenkataloge festgelegt sind, so muß die Schule und müssen die Lehrer dennoch von der Grundannahme ausgehen, daß es eine wie auch immer geartete Kausalität zwischen pä- dagogischem Handeln und seinen Effekten im Sinne ei- ner individuellen Bildungsentwicklung gibt. Das ge- samte Agieren in der Schule ist somit von der unum- stößlichen und selbstverständlichen Prämisse be- stimmt, daß erstens menschliches Lernen, menschliche Entwicklung und Bildung auf Ziele hin organisierbar seien; daß zweitens Menschen sich notwendig auf be- stimmte Ziele hin entwickeln, bzw. diese Ziele zu ih- ren eigenen, „inneren “ machen müßten; daß drittens das Erreichen der gesetzten Ziele zu einem festgeleg- ten Zeitpunkt möglich sei. Die Art der Ziele und der Zeitpunkt ihrer Erreichung mag allgemein verbindlich oder aber - wie in einer reformierten Praxis eher üb- lich - dem je individuellen Kind angemessen gewählt sein. Wer wann welches Ziel zu erreichen hat, wird dann anhand einer Kategorisierung der unterstellten natürlichen Begabung festgelegt. Die Struktur der Zielorientierung bleibt in beiden Fällen die glei- che.85

Mit der Lehrer-Dezentrierung wird diese grundsätzli- che Struktur nicht angetastet; damit ebensowenig die Verantwortung für die Aufrechterhaltung einer Unter- richtsorganisation, die das Erreichen der Ziele ga- rantiert. Die Struktur ist lediglich modifiziert oder in eine andere Form gebracht - im wahrsten Sinne des Wortes: nämlich in eine andere Unterrichtsform.

Der Zielerreichungszwang, für die zuvor die Person des Lehrers stand, wird im nicht-frontalen Unterricht tatsächlich an eine Struktur abgegeben. Am offen- sichtlichsten ist dies beim Wochenplan-Unterricht, aber auch bei Projektarbeit oder anderen offenen Lernsituationen. Was im Frontalunterricht der zentral leitende Lehrer besorgt hat, macht jetzt im Idealfall der Plan: die darin eingesetzten Lehrmaterialien, die vorstrukturierte Art von deren Bearbeitung, die For- men ihrer Kontrolle; zudem ein bestimmtes setting von Techniken und Regelungen: wo welches Material zu fin- den ist, wen man wann um Hilfe fragt, wie man sich während der Arbeit zu verhalten hat usw.

Allerdings müssen die Lehrer diese Struktur zunächst etablieren und aufrecht erhalten. Somit führt diese Arbeitsweise vorerst nicht zu deren völligem Ver- schwinden. Sie sind weiterhin verpflichtet, die Lern- prozesse der Schülerinnen und Schüler im Blick zu ha- ben, auf die Erfüllung des im Wochenplan vorgegebenen Lernpensums zu achten, die Ergebnisse zu kontrollie- ren, dafür zu sorgen, daß die einzelnen im Rahmen ih- rer Möglichkeiten das Beste leisten und ihre Zeit op- timal nutzen. Sie müssen die im Wochenplan gestellten Aufgaben auswählen, stets neue Aufgaben parat haben, das hierfür nötige Material zur Verfügung stellen. Sie müssen für die nötige Konzentration und eine ru- hige Arbeitsatmosphäre sorgen. Sie sind es, die im Zweifelsfall die Regelungen und Verhaltensnorm stabi- lisieren und schützen müssen, die allein das Funktio- nieren des Planes sicher stellen. Von daher der hohe Aufwand, mit dem der Wochenplan individuell vorberei- tet und kontrolliert wird. Daher die häufigen Auffor- derungen, Ermunterungen und Ermahnungen, die ständi- gen Absprachen und Verhandlungen, die das offene Ar- beiten stets begleiten. Auch der Wochenplan kommt an- fangs nicht ohne eine lehrerzentrierte Durchsetzungs- fähigkeit, Kurzentschlossenheit und Autorität aus.

Dementsprechend ist die Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer in dieser Form des Unterrichts möglicherweise weniger groß als gemeinhin angenommen. Vielleicht ist die Belastung sogar grö- ßer. Verzichtet man auf das wohlgeordnete, frontale Unter- richtsgespräch, wo man mit einem Blick anhand der erhobenen Finger abzählen kann, wer wie beteiligt ist (oder besser: zu sein scheint); verzichtet man des Weiteren auf die herkömmli- chen Formen der Prüfung, die in regelmäßigen Abständen in aus- geklügelten Rechenverfahren den genauen Leistungsstand sämtli- cher Schüler/-innen festzulegen erlauben, dann ist es zunächst ungleich schwieriger, die Lernfortschritte der einzelnen, zudem noch bezogen auf individuell differenzierte Ziele, im Auge zu behalten. Zwar bieten die offenen Unterrichtsverfahren vielfäl- tige neue, verfeinerte, präzisere, individualisierte Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten, diese sind aber entsprechend auf- wendiger. Es müssen Einzelgespräche geführt, individualisierte Förder- und Lehrpläne erstellt und ausgewertet werden. Angenom- mene Leistungsniveaus ergeben sich nicht mehr numerisch „genau “ aus klassischen Prüfverfahren, sondern müssen aus dem Verhal- ten, nebensächlichen Aussagen, unauffälligen Vermeidungs- strategien der Schülerinnen und Schüler erschlossen werden etc. Insgesamt ist die Situation viel unübersichtlicher und anstren- gender, weil ständig jemand was von einem will, weil man über- all gleichzeitig sein muß und alle immer überall und nirgends sind, weil man ständig Gefahr läuft, daß die Schüler/-innen die ihnen zugestandenen Freiräume nicht im schulisch gewollten Sin- ne nutzen - mit einem Wort, weil man ständig ängstlich an jener Grenze arbeitet, hinter der die Gefahr lauert, daß diese fragi- le Unterrichtsstruktur, die man nicht mehr unmittelbar kontrol- liert, sondern nur noch vermittelt befördern kann, zusammen- bricht, in jenes Chaos abgleitet, wo man dem schulischen Auf- trag - eben seiner Verantwortung als Lehrer/-in - nicht mehr gerecht werden kann.

Gewünscht ist letztlich ein gänzliches Verschwinden der zentralen Lehrerfigur. Als weitere Annäherung an das Ideal, tritt an die Stelle des Lehrers, der die gesamte Klasse anspricht, eine individuelle, persön- liche Interaktion zwischen Lehrer und Schüler. Man tritt in Aushandlungsprozeduren mit dem einzelnen Schüler ein. In diesen überzeugt man ihn davon, in bestimmte Zielsetzungen einzuwilligen, versucht he- rauszufinden, welches seine ureigensten Ziele sind, um diese für die schulischen Zwecke nutzbar zu ma- chen, formuliert gemeinsame Ziele. Man ist ständig damit beschäftigt, nach Wegen zu suchen, auf welchen man das Kind für das begeistern kann, was man für er- strebenswert hält. Man schließt mit ihm Lernverträge oder läßt es mit sich selber welche abschließen. Der Verzicht auf herkömmliche Zeugnisse zugunsten von in- dividualisierten Lernentwicklungsberichten - also der Verzicht darauf, das Erreichen von allgemeingültigen Zielen zu beurteilen, sondern vielmehr das Kind an seinen vermeintlich eigenen Zielen und Möglichkeiten zu messen, liegt ebenso auf dieser Linie.

Letztlich wird versucht, die Verantwortung für die Lernprozesse der Schüler, die zu tragen die Lehrer sich genötigt sehen, an diese selbst zurückzugeben. Den Schülern wird ein Höchstmaß an Eigenverantwort- lichkeit und Selbständigkeit zugestanden bzw. vor dem Hintergrund, daß diese erst erlernt werden muß, ab- verlangt: Es gibt vielfältige Rituale und Methoden, bei denen sie sich selbst einbringen, ihre Themen und Gedanken ins Gespräch bringen. Der Morgenkreis ist eines davon. Ihre Subjektivität, Spontaneität und Kreativität ist gefragt. In den offenen Unterrichts- formen können sie sich ihre Zeit flexibel einteilen, Arbeitsmaterialien selbständig auswählen, ihren Lernprozeß selbständig planen, dokumentieren und selbst kontrollieren. Die Schüler werden vertraut mit verschiedensten Lernmethoden, -techniken und -ver- fahren, mit denen sie ihre Arbeitsprozesse selbst or- ganisieren, arrangieren und optimieren können. Prob- leme sollen eigenständig als solche erkannt, Lösungs- wege für diese selbstverantwortlich entdeckt und ver- folgt werden. Nach Möglichkeit soll dies in Arbeits- gruppen geschehen, d.h. in Kommunikation und Koopera- tion und insbesondere mit der Option der gegenseiti- gen Kontrolle und Korrektur innerhalb der Schüler- gruppe. An die Stelle einer finalen Prüfung, die die Erreichung des angestrebten Ziels überwacht, tritt die immerwährende, kontinuierliche und selbständige Ergebnissicherung und -verbesserung.

Ein anschauliches Beispiel der wechelseitigen Selbstkontrolle innerhalb der Schüler/-innengruppe bietet der sogenannte Werk- stattunterricht: Hier wird den (zumeist Grund-) Schüler/-innen anhand von in ihrer Struktur bekannten Arbeitsmaterialien eine bestimmte Anzahl von selbständig, beispielsweise im Zeitraum einer Woche und in ihrer Reihenfolge willkürlich zu erarbeiten- den Aufgaben gestellt. Für jeden Aufgabenkomplex wird ein/-e Schüler/-in zum Chef erkoren. Die Aufgabe wird zu ihrer oder seiner „Chefaufgabe“ . Dies bedeutet, daß die Schüler/-innen diese Aufgabe als erste lösen und vom Lehrer überprüfen lassen müssen. Ab nun an sind sie bezüglich ihrer Chefaufgabe gegen- über den anderen Schüler/-innen für die Überprüfung deren Bear- beitung der Aufgabe verantwortlich. Der Lehrer kann sich nun- mehr aus dem Unterrichtsgeschehen zurückziehen. Da jede/-r Schüler/-in eine Chefaufgabe zugeteilt bekommen hat, sind alle Schüler/-innen immer kontrollierender Chef und kontrollierter „Mitarbeiter “ zugleich.

Die Zurücknahme von Lehrerzentriertheit und die Ge- währung einer relativen Selbstbestimmung und Gestal- tungsfreiheit gilt aber nur unter einer Bedingung: unter‘m Strich, am Ende der Schulzeit, muß das glei- che 'rauskommen, was auch die herkömmliche Schule ge- leistet hat. Allein der Weg dorthin und die Eintei- lung der Zeit ist freigegeben. Die Selbständigkeit und Autonomie der Schüler kann also nur in einem fest umrissenen Rahmen, nur in einer bestimmten Form ihren Platz finden: Sie ist nur solange zugelassen, solange sie den schulischen Zielen zuarbeitet. Es wird nicht mehr jede einzelne Tätigkeit vorgeschrieben, es ist aber sicherzustellen, daß eine jede Tätigkeit, in je- dem Moment dem allgemein verbindlichen Zweck dient. Die Aufgabe der Lehrperson besteht darin, die Kinder dahin zu bringen, selbständig das zu wollen, was sie schulisch sollen.

Nachdem die Lehrperson ihre zentral leitende, für alle sichtbare, Position verlassen hat, schwebt sie nunmehr unscheinbar im Raum umher. Sie vollführt und dirigiert nicht mehr unmittelbar und offensichtlich das Unterrichtsspektakel vom Pult herab, sie kann vielmehr jeder Zeit an das individuelle Kind heran- treten. Sie guckt den Schülern potentiell permanent über die Schulter. Sie zieht ihre aufmerksamen Bahnen unauffällig hinter den Rücken der Schüler. Kein Ort ist vor ihrem Blick sicher, da sie selber an keinem Ort mehr zu verorten ist.

Sie ist aber keine schreckliche und strafende Kon- trollinstanz. Sie ist vielmehr der Ort, von wo man milde Fürsorglichkeit, Trost und Hilfe erwarten kann. Sie wendet sich den Schülern in persönlicher Sorge zu, umwirbt diese individuell und ermutigt entsprechend der subjektiven Möglichkeiten. Im Idealfall macht sie sich vollständig verzichtbar, in- dem sie darauf vertraut, daß sich die Schüler gegenseitig und selbst anhand der gegebenen Materialien und der erlernten Regeln anleiten.

In jedem Fall aber muß es gelingen, den Schüler die für eine zweckmäßige, zeiteffektive Organisation und Überprüfung von Lernprozessen notwendige Struktur und erforderlichen Techniken zur zweiten Natur, die darin enthaltenen Ziele zu einem Teil ihrer Persönlichkeit werden zu lassen. Den Kindern wird nahegelegt, sich mit der Unterrichtsstruktur, den von ihr transpor- tierten gesellschaftlichen Anforderungen und der in ihr implizit festgelegten Normalität zu identifizie- ren.

Diese Beobachtungen wurden jüngst mit einer erstaunlichen Offenheit in der Wortwahl durch einen in der PÄDAGOGIK erschienen Erfahrungsbe- richt eines Realschullehrers bes- tätigt, der die „Leika-Methode “ , das Arbeiten mit „Leitkarten “ als einen möglichen „Unterricht ohne Lehrer “ vorstellt. In dieser Kon- zeption dominiert die selbständige Tätigkeit des Schülers als Voraus- setzung und Gewähr für die Ent- wicklung der „werdenden Persön- lichkeit “ . Vor dem Zielhorizont, daß man die Schüler in die Lage versetzen müsse, die Zeit optimal zu nutzen, planvoll vorzugehen und methodisch reflektiert ihre eigene Leistungsfähigkeit auszuschöpfen, sei auf dem Weg dorthin die Zeit das unerbittlichste Element. „Wenn Freiräume mißbraucht wurden, […] unökonomisch oder überhaupt nicht gearbeitet und gelernt wurde “ , wurde somit vom Lehrer zum Fron- talunterricht zurückgelenkt, um „wieder alle Arbeits-, Interakti- ons- und Kommunikationsprozesse […] steuern und kontrollieren“ zu können. Um einen solchen Rückfall zu vermeiden und die „konsequente Zurückhaltung des Lehrers “ zu si- chern, wurde nun nach einer „Schnittstelle “ zwischen dem „steuernden Lehrer und den anzu- leitenden Schülern“ , nach einem „nonverbalen Steuermodul “ und gleichzeitigem „Wegbereiter zum autonomen Lernen “ gesucht. Die Lösung verspricht ein System von „Leitkarten “ . Dieses gibt dem Schüler im Rahmen eines „Instruk- tionsdesigns “ verständliche Hand- lungsanweisungen und steckt ver- schiedene „Handlungsziele “ (z.B. „Erwärme 100 ml Wein und einen Siedestein auf 78°C. Beende die Destillation, wenn ca. 10 ml Des- tillat im Reagenzglas sind. “ Handlungsziel: Experimentieren), welche er sodann auf der Grundlage eines „etwa sechzig unter- schiedliche handlungsleitende Informationen “ bereit stellenden Methodenrepertoires und im Rahmen eines orientierenden „Zeit- fensters “ selbständig erarbeitet bzw. bis zum Ende der Stunde „geschafft oder abgehakt “ hat. Für eine individuelle und per- sönliche „hot-line “ zwischen Lehrer und Schüler ist eine insti- tutionalisierte „Beratungsecke “ eingerichtet. Die Hinführung zum „autonomen Arbeiten “ geschieht anhand der Leika-Methode- Leitkarte (siehe ausschnittsweise voranstehende Abb.4), die den Schülern die Regeln, die Zielsetzung und das Selbstverständnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.4: Die Leika-Leitkarten

der Leika-Methode näherbringt. In diesem Sinne wird sodann ein „Arbeitskontrakt “ mit den Schülern geschlossen. Letztlich erweise sich die Leika-Methode als geeignete Technik, um die notwendige „Balance zwischen dem Autonom-werden-Wollen und Abhängig-sein-Bleiben “ sicher zu stellen.86

Zusammenfassend erscheint das Konzept der Schlüssel- qualifikationen und speziell die Idee des Lebenslan- gen Lernens dazu angetan, eine berufliche Flexibili- tät mit dem Ideal eines selbstbestimmten Lebens zu verbinden und beide in einem allgemeinen normativen Modell von zielgerichteter, bewußter und kompetenter Lebensführung aufgehen zu lassen. Der offene Unter- richt - auch jene Spielart, die in der Tradition ei- ner Humanisierung der Schule zu verorten ist - er- scheint in seinem ausgewogenen Lehr-Lern-Arrangement, welches selbstverantwortliches Lernen fördert und zugleich das Erreichen bestimmter Zielmarken sichert, als die konkrete Umsetzung dieses Konzeptes. Er ist die praktische wie individuelle Einübung in das Mo- dell und in die Technik dieser freien und zugleich abhängigen Lern- und Lebensorganisation.

2.2.3. Autonomie der Schule

Vielfältigste Formen der Schulentwicklung versuchen sich der Krise der Institution Schule und der Heraus- forderungen der beschriebenen gesellschaftlichen Ver- änderungen anzunehmen. Sie stehen zum einen entweder in der Tradition systematischer Reformbemühungen oder sind Verlängerungen einer internen, zumeist von den Betroffenen in Eigeninitiative durchgeführten Schul- und Unterrichtsreform; zum anderen bedienen sie sich der Techniken einer modernen Organisationsentwick- lung. Letztere haben ihre Wurzeln in einer lang er- probten Praxis in den Betrieben, kommunalen Einrich- tungen und der öffentlichen Verwaltung. Die Organisa- tionsentwicklung ist ein aus ökonomischen Zusammen- hängen herausgewachsenes Instrumentarium, vermittels dessen eine Neudefinition von Freiheit und Verantwor- tung systematisch und kontrolliert vollzogen werden kann - also etwa die Rücknahme hierarchischer Weisung und Kontrolle gegenüber den Mitarbeitern zugunsten einer selbstverantwortlichen Gestaltung und Optimie- rung von Arbeitsabläufen. Das Entwickeln von Leitbil- dern, Einschwören auf Kundenfreundlichkeit, corporate identity und das Verschlanken der Personaldichte sind Aufgaben und Ziele von „OE “ . Am Ende einer solchen Organisationsentwicklung steht das fitte Unternehmen oder der professionelle, staatliche Dienstleister. Trotz ihrer offensichtlichen Verflechtung mit ökono- mischem Denken werde ich mich nur am Rande mit den Konzepten der Organisationsentwicklung befassen. Ich werde vielmehr versuchen, ein allgemeineres Szenario der Schulentwicklung in den Blick zu rücken.

Unter dem Stichwort „Autonomie der Schule “ wurde in den letzten knapp zehn Jahren versucht, die verschie- denen Ansätze der Schulentwicklung gemeinsam zu dis- kutieren und für eine umfassende Umgestaltung des Bildungswesens nutzbar zu machen. Die sogenannte Au- tonomiedebatte kann als expliziter Antwortversuch auf eine neoliberale gesellschaftliche Umstrukturierung angesehen werden. Als allgemeine Debatte initiiert durch Diskussionspapiere von politisch eingesetzten Arbeitsgruppen und Expertengremien, kann sie als Vor- stoß staatlicher Instanzen beschrieben werden, vor dem Hintergrund des Schwindens oder der Neuordnung staatlicher Souveränität in allen gesellschaftlichen Bereichen über veränderte Formen staatlicher Regulie- rung auch im Bildungswesen nachzudenken. Zudem wurde es in Anbetracht einer sich verschärfenden globalen Konkurrenz und des internationalen Leistungs- Vergleichs der Ausbildungssysteme zur unumgänglichen Notwendigkeit, von politischer Seite in Richtung ei- ner Erneuerung des Bildungswesens initiativ zu wer- den.

An der Diskussion um die Autonomie der Schule betei- ligen sich verschiedenste Vertreter aus der Erzie- hungswissenschaft, den Schulbehörden, den Lehrerkol- legien, der Gewerkschaft, der Wirtschaft, den kommu- nalen Einrichtungen etc. Mannigfaltige, z.T. mitein- ander verknüpfte, z.T. innerlich widersprüchliche und untereinander konkurrierende bildungspolitische, schulreformerische, bildungsökonomische, industrieso- ziologische Positionen, experimentelle Praktiken, Traditionen, Konzepte und Analysen ringen hier mit- einander, bilden Koalitionen, taktieren und balancie- ren auf dem Grad zwischen den Chancen und Risiken, die mit der Gewährung von Autonomie einhergehen. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive scheint die Debatte eher von politischen Interessen, ideologi- schen Leidenschaften und persönlichen Eitelkeiten, denn systematisch und mit einem ernsthaften Erkennt- nisinteresse geführt zu werden. Die Verfechter der Deregulierung des Bildungswesens bzw. deren Antipoden gehen bei der Auswahl ihrer Argumente strategisch se- lektiv vor und die benutzten Begriffe bleiben er- staunlich unterbestimmt.87 So ist selbst der Begriff „Autonomie “ merkwürdig uneindeutig: Bezieht er seine emotionale Attraktivität und Bedeutungsschwere aus seiner Verbundenheit mit einer aufklärerisch humanis- tischen Vorstellung von Freiheit und Emanzipation, von dem Wunschbild, sich die Gesetze selber geben zu können, so könne dies etwa laut Hans-Günter Rolff bzgl. der Schulautonomie überhaupt nicht gemeint sein. Nicht zuletzt, da die Schule weiterhin unbe- zweifelbar einem staatlichen oder zumindest privaten Träger unterstellt sei, der die Rahmenregelungen treffe. Deshalb sei besser von erweiterter oder rela- tiver Autonomie, vorzugsweise von Gestaltungsautono- mie zu sprechen.88

Erstaunlich ist auch, in welch geringem Maße die Er- fahrungen aus anderen Länder, die ihr Schulsystem schon vor Jahren dereguliert haben und sich inzwischen z.T. schon wieder von der Autonomie abwenden, in die deutsche Debatte eingegangen sind.89 Wenn ent- sprechende Erfahrungsberichte rezipiert werden, dann vorzugsweise solche, die als technische Anleitung zur erfolgreichen Autonomie-Implementierung gelesen wer- den können.90

Ambivalent ist die Autonomie-Bewegung aber insbeson- dere deswegen, da sich in ihr zumindest zwei Intenti- onen verschiedener Herkunft miteinander verbinden: denn lange bevor die Formel von der Autonomie der Schule zur Zauberformel der Bildungspolitik wurde, haben Lehrerinnen und Lehrer das auto-nomos, die Selbst-Gesetzlichkeit reformpädagogischen Handelns für sich entdeckt. Die Autonomiediskussion kann somit entweder als nachträgliche Anerkennung und Legitimation einer weit zurückreichenden Tradition innerer, mit kritischer Absicht betriebener, Schulreform interpretiert, oder aber als politisch gewollte Modernisierungsnotwendigkeit und schöngeredetes Finanzdiktat zurückgewiesen werden.

Die Autonomiedebatte wird somit ständig von der Ambivalenz be- gleitet, die darin besteht, daß die praktischen Vorreiter der inneren Schulreform gleichermaßen ungläubig wie höchst erfreut vor den schuladministrativen Zugeständnissen stehen, die es ih- nen nun offiziell erlauben, jene Vorhaben praktisch umzusetzen, für die sie jahrelang gekämpft und die sie sich zum Teil durch Umgehung der herrschenden Regelungen erschlichen haben; jene Vorhaben, mit denen sie bisher nur auf Widerstand gestoßen wa- ren und die sich zumeist an einer durchbürokratisierten Schule aufgerieben hatten. Umgekehrt hat die Schulverwaltung mit dem Mißtrauen der bisher weniger reformwilligen Schulkollegien zu kämpfen, die in der neuen Politik eine erneute „von oben “ ver- ordnete Schulreform vermuten, die sich im Gewande der Autonomie der Einzelschule kleidet, letztendlich aber nichts weiter sei, als der Versuch, die Lehrer besser zu kontrollieren, Resourcen- kürzungen zu verschleiern und für die Kollegen nur Mehrarbeit bedeute.91

In jedem Fall verbindet sich hier eine pädagogische Basisbewegung, die sich aus dem aktiven und selbst- verantwortlichen Einsatz für Freiheit und Selbstbe- stimmung einzelner Lehrer/-innen oder Schul- Communities speist, mit einer neuen, zentral geführten, bildungspolitischen Steuerungstechnologie.

„Der Einsicht [seitens der Schulbehörde, S.M.-G.], daß die Einzelschule Motor der Schulentwicklung ist, folgte die Erkenntnis der Bedeutung erweiterter Hand- lungsspielräume und der Notwendigkeit einer Stärkung der Selbstgestaltungs- und Selbstbildungskräfte. “92

Wenn ich mich nun den einzelnen Aspekten der Autono- miedebatte genauer zuwende, habe auch ich nicht den Anspruch, die gesamte Debatte systematisch wieder- zugeben; auch ich werde nur die Argumente auswählen, die für meinen Gedankengang relevant erscheinen. In diesem Sinne kann man drei - nur analytisch zu tren- nende - von der Autonomie-Diskussion eröffnete Verän- derungslinien ausmachen: Zum einen und vordergründig geht es um die finanzielle und administrative Autono- mie. Die einzelnen Schulen sollen selbst über die Verwendung der ihnen zugeteilten Budgets entscheiden. Darunter fallen Unterhaltung der Gebäude, Einrichtung der Unterrichtsräume, Anschaffung von Lehrmitteln und Ausgaben für die Verbesserung der Arbeits- und Lern- bedingungen. Auch das Anwerben des Lehrerpersonals soll auf die Schulen übertragen werden. Es ist damit die Hoffnung verknüpft, daß Ressourcen auf diesem We- ge zielgenauer eingesetzt und schließlich eingespart werden; daß durch das Ausschalten aufwendiger Verwal- tungsumwege Ineffizienzen und Verschwendung abgebaut werden können. In Anbetracht der immer knapper wer- denden Mittel ist offensichtlich, daß die Gewährung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.5: Autonomie und Entfaltung von Finanzautonomie zugleich umschlägt in ein Abwäl-

zen der Mängelverwaltung auf ein an sich pädagogisch ausgebildetes Personal zugunsten einer dadurch entlasteten Schulverwaltung. Entsprechend der Argumentation der Autonomiekritiker entziehe sich der Staat seiner Verantwortung, die pädagogische Gestaltungsautonomie werde hiermit konterkariert.

So gestand mir neulich ein Schulleiter, daß er leider keine Zeit mehr habe über grundlegende pädagogische Fragen bzgl. sei- ner Schule nachzudenken, da er stets damit beschäftigt sei, darauf zu achten, daß genügend und billiges Klopapier vorhanden ist.

Eigentlich sollen nämlich zum anderen für die Schulen erweiterte Freiräume für die inhaltliche und pädago- gische Gestaltung geschaffen werden. Die Schulen sol- len selbständig z.B. über die Einführung von Unter- richtsschwerpunkten, von fächerübergreifendem Unter- richt oder von anderen Formen der Leistungsmessung entscheiden können. Es geht also darum, innovative und kreative Ideen und Problemlösungen, welche an der Basis aufgrund konkreter (Unterrichts-)Erfahrungen entstanden sind, weiterzuführen, aufzugreifen und dem gesamten Schulsystem nutzbar zu machen oder aber zu solchen zu motivieren.

Dies wird letztlich über eine Dezentralisierung von Kompetenzen und eine Demokratisierung der Schulen bzgl. der schulischen Organisationsformen angestrebt, d.h., die Schulkonferenz, mit Vertretern der Lehrer, Eltern und Schüler, oder aber ein eingesetzter Vor- stand, bestehend aus Mitgliedern der Kommune, den Ge- werkschaften und den ansässigen Arbeitgebern, soll über die Hauptanliegen der Schule selbst entscheiden können. Beabsichtigt ist also ein Abbau schuladmi- nistrativer Hierarchien, die bisher in einem Verfah- ren des juristischen Durchgriffs die Umsetzung päda- gogischer und schulpolitischer Verordnungen und Ent- scheidungen gesichert haben. Die Versuche einer Ge- samtsystem-Reform der vergangenen Jahre hatten ge- zeigt, daß eine solche „top-down“ - Strategie reforme- rische Vorhaben eher erstickt, als diese befördert. Statt dessen ist nun eine Schulreform im Sinne eines „bottom-up “ gewünscht, in der die Einzelschulen weitgehend unabhängig von der Schuladministration a- gieren und einen angemessenen Umgang mit ihren spezi- fischen Problemen finden und mit geeigneten Miteln umsetzen können.

Im Zuge des partiellen Zurücktretens administrativer Vorgaben und dem Einräumen relativer Gestaltungsauto- nomie erlangen die für eine erfolgreiche Durchführung der Reform notwendigen Steuerungsinstrumente und - verfahren und die Techniken zur Qualitätssicherung besondere Bedeutung: Schulprogramm, Schulprofil und Evaluation.

Das Schulprogramm wird verstanden als schulinterner identitätsstiftender Selbstfindungsprozeß. Die Kolle- gien sollen in diesem Prozeß eine einvernehmliche Be- standsaufnahme ihrer bisherigen pädagogischen Arbeit an ihrer Schule erarbeiten. Auf dieser Basis soll sich auf ein schulisches Leitbild verständigt werden, welches darauf abzielt, erkannte Mängel zu beseitigen oder vorhandene Stärken weiter auszubauen. Das Leit- bild orientiert sich an einer je spezifischen Vor- stellung von „guter Schule “ .93 Im Zuge der Schulpro- grammarbeit gilt es auch ein neues „Lehrerleitbild “ zu entwickeln, welches im Prozeß selber zur Anwendung kommt: Persönlichkeitsentwicklung, Identifikation mit Aufgabe und Rolle, Motivation, Eigeninitiative und Zusammenarbeit der Lehrerinnen und Lehrer untereinan- der sollen gefördert werden.94 Ebenso wie die Institu- tion autonom werden soll, müssen auch die in ihr Tä- tigen autonom handelnde und selbstbewußt gestaltende Persönlichkeiten sein. Alle Lehrer müssen sich mit dem Schulprogramm identifizieren und ihr Handeln ver- bindlich daran ausrichten. Dies soll gewährleisten, daß die Reform geplant, systematisch, leitzielorientiert und engagiert durchgeführt werden kann.

„Das Konzept »Schulprogramm« nimmt wesentliche Gedan- ken dieses der Identität dienenden Selbstfindungspro- zesses auf und verwandelt gleichsam die Bedingungen guter Schule in ein zielorientiertes Handlungskon- zept. “95

Auf diesem Wege entwickelt und verwirklicht die Schule ein unverwechselbares Schulprofil, z.B. durch die besondere Gewichtung der einzelnen Fächer oder spezielle, auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene pädagogische Angebote.

Somit sind Schulprogramme „die Handlungskonzepte auf dem Weg zur guten Schule und zum eigenständigen Profil der einzelnen Schule. “96

Auch das Schulprofil wird von den Wortführern der Au- tonomiedebatte eher als internes Selbstverständnis der Einzelschule denn als Profilierung im Sinne einer Konkurrenz mit anderen Schulen verstanden. Schulpro- gramm und Schulprofil sind also Instrumente, vermit- tels derer sich die Einzelschule als kollektives Sub- jekt konstituiert, sich ein einheitliches „Ethos “ zulegt. Die im Prozeß der Selbstfindung und -verständigung gewonnenen und vereinbarten Entwick- lungsziele sollen in ein sinn- und identitätsstiftendes gemeinsames Handeln zum Zwecke der Verbesserung der Lehr- und Lernqualität integriert werden.

Um beurteilen zu können, ob die unternommenen An- strengungen den anvisierten Effekt hatten, die ver- einbarte Qualität erreicht wurde, bedarf es einer Vielzahl von Evaluation s-, Überprüfungs- und Kon- trollverfahren. Zum einen finden sich hier Formen ex- terner Schulevaluation, übergreifendes „system moni- toring “ und internationale Lernleistungsvergleiche, in denen die Stärken und Schwächen der unterschiedli- chen staatlichen Schulsysteme statistisch genau und in Form von rankings aufeinander bezogen werden; zum anderen vielfältige Formen der einzelschulinternen Rückmeldungs-, Selbst-Evaluations- und Qualitätsmes- sungssysteme. Letztere scheinen mir im Zusammenhang meiner Fragestellung von weit größerem Interesse.

Erstere gelten den Schulpraktikern ohnehin nur als der schlagende Beweis für die Doppelbödigkeit der ad- ministrativen Autonomieversprechen: der gewährten Selbstbestimmung folge die fremdbestimmte Kontrolle auf den Fuß. Entsprechend ungeliebt sind derlei Un- tersuchungen in den Lehrerkollegien. Entsprechend müssen die Verantwortlichen zu deren Begründung all ihr rhetorisches Geschick aufwenden, um deutlich zu machen, daß es sich hierbei nicht um die Kontrolle individueller Lehrerarbeit handelt, sondern um die gesellschaftlich unvermeidbare Frage, ob „die hohen zeitlichen und finanziellen Investitionen, die in un- ser Bildungswesen einfließen “ , die erwarteten „Er- träge “ erbringt. Daß im Zuge von TIMSS, FIMSS, PISA & Co. einer Orientierung am „output “ schulischer Ar- beit Vorschub geleistet wird, im Gegensatz zu einem Interesse am „input “ und am Prozeß pädagogischer Handlungen, wie es die reformerischen Kräfte dereinst einforderten; daß damit zudem ökonomischen Argumenten immer mehr Gewicht verliehen wird und die Schule Ge- fahr läuft, in einen „verwertungsorientierten “ „glo- balen Kapitalisierungssog “ zu geraten, ist ein - wohl das kritischste - Argument der skeptischen Lehrerkollegien. Ein anderes, weit wichtigeres, wie mir scheint, ist die Angst der Kolleginnen und Kollegen, sich gegenüber einer außenstehenden, „von oben “ verordnenden Instanz verantworten zu müssen.97 Entsprechend wird ihnen versichert:

„Entscheidend für die Entwicklung und Sicherung der Qualität unseres Bildungswesen ist und bleibt die Arbeit an der einzelnen Schule. “98

So schreibt auch die Rau-Kommission zum Verhältnis von Autonomiegewährung und staatlicher Verantwortung für die Qualität von Schule:

„Staatliche Gesamtverantwortung soll künftig anders wahrgenommen werden als bisher; vor allem durch Be- stimmung der grundlegenden Ziele und Strukturen des Schulwesens, […] sowie durch die Gewährleistung der Qualität der Ergebnisse schulischer Arbeit. […] Selbstevaluation ist ein Kernelement des neuen Steuerungskonzeptes. “99 Denn es wird allgemein zunehmend deutlich, „daß Qualitätsentwicklung nicht von außen oder oben verordnet werden kann, sondern daß man zuerst heraus- finden muß, welche Vorstellung und Praxis von Quali- tät an einer Schule existieren […], so daß ein persön- licher Bezug zum Qualitätsthema entstehen und ein ge- meinsames Qualitätsbewußtsein schrittweise erarbeitet werden kann. “100

Von größerer Bedeutung, Wirkung und Nachhaltigkeit sind somit die „Qualitäts-Evaluationen“ und „Quli- täts-Entwicklungssysteme“ , die die Schulen selbst verantworten. Dabei ist die Verwendung des Begriffes Evaluation, ähnlich dem der Autonomie, im pädagogi- schen Diskurs sehr uneinheitlich und ungenau. Z.T. werden darunter eingegrenzte, auf einen speziellen Ausschnitt der pädagogischen Praxis hin zugeschnitte- ne Erhebungen verstanden, die Aufschluß und mögliche Lösungsansätze für ein spezifisches Problem bieten, z.T. sind damit langfristig angelegte Schulentwick- lungsprogramme gemeint. In Ausnahmefällen werden rei- ne Materialsammlungen und Dokumentationen einer er- folgreichen Praxis zu repräsentativen Zwecken als E- valuation bezeichnet.

In der Regel ist allen als Evaluation beschriebenen Unternehmungen eine Grundstruktur gemein: Man definiert ein zu erreichendes Ziel, unternimmt gewisse Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen und überprüft mit geeigneten Verfahren, ob man das Ziel auch wirklich erreicht hat, sprich, ob die unternommenen Maßnahmen, den gewünschten Effekt hatten.

Meines Wissens taucht der Begriff Evaluation erstmals in der US-amerikanischen Militär-Soziologie auf: Im Zusammenhang einer Untersuchung, die geprüft hat, welche Wirkung die Flugblätter und Propagandaschriften hatten, die während des zweiten Welt- krieges hinter den feindlichen Linien mit dem Ziel abgeworfen wurden, die Zivilbevölkerung gegen die eigene kriegstreibende Regierung aufzubringen, diese zu demoralisieren und auf den na- henden Einzug der Befreiungsarmee vorzubereiten, kurz: mit dem Ziel, den Krieg zu gewinnen; die Untersuchung hat also geprüft, welche Wirkung diese Flugblatt-Maßnahmen bzgl. des gegebenen Ziels tatsächlich hatten.

„Schulinterne Evaluation ist also ein bewußt einge- leiteter, geplanter und kontinuierlicher Prozeß zur Verbesserung der Arbeit und der Einrichtung. “ Sie „dient der Selbstreflexion über die Arbeit, der Schulentwicklung, der Beteiligung von Betroffenen o- der für Selbstkontrolle und Rechenschaft. “ „Sie fußt auf einer gezielten Sammlung relevanter Daten und In- formationen, die analysiert und bewertet werden, wo- bei bewertende Aussagen auf der Grundlage von Stan- dards, Kriterien oder Zielformulierungen (z.B. Richt- linien, Schulprogramm oder Arbeitspläne) begründet werden. “101

Schulinterne Evaluation hat im Gegensatz zur externen Evaluation den Vorteil, daß die Angst, kontrolliert und bevormundet zu werden, hier eine untergeordnete Rolle spielt. Das Engagement und die Offenheit, mit der eine solche Selbstkontrolle vollzogen wird, ist somit ungleich höher. Entscheidend ist dabei, daß die zu erreichenden Ziele nicht, oder zumindest nicht primär, in Form von staatlichen Vorgaben gesetzt, sondern von den Kollegien selbst und entsprechend der jeweils speziellen Situation, Ausgangslage und Inte- ressen der einzelnen Schule definiert werden. Die Formulierung des Schulprogramms bzw. -profils und die darin statthabende Identitätsfindung stellt im Ideal- fall diese Zielvereinbarung dar.

Die Schule als Ganzes und die einzelnen Akteure for- mulieren „ihre Qualitätsziele und -normen. Das ist in den meisten Fällen ein normativer Akt des Aushandelns mit Rücksicht auf die vielfachen Verpflichtungen: dem Lehrplan, dem Leistungsauftrag und den gesetzlichen Vorschriften gegenüber, den anvertrauten Lernenden (und deren Eltern oder Lehrbetrieben) gegenüber, den mitbeteiligten Kolleginnen und Kollegen gegenüber und schließlich den eigenen, individuellen Überzeugungen und Werten gegenüber. “102

Die Qualität von Schule wird somit nicht an allgemein festgelegten Qualitätsstandards gemessen, sondern an den je eigenen Vorstellungen von „guter Schule “ und der Formulierung eines individuellen Schul-Ideals. Die staatliche Verantwortung liegt letztlich nicht einmal mehr darin zu überprüfen, ob die Schule die selbst gesetzten Ziele erreicht, sondern allein, ob sie die Erreichung dieser Ziele selbst überprüft.

„Es liegt in der Verantwortung der einzelnen Schule, die vorgegebenen und die selbst definierten Quali- tätsansprüche zu überprüfen und ihren Betrieb zu op- timieren. Von außen wird nur überprüft, ob die ein- zelne Schule das auch wirklich tut und dafür geeigne- te Verfahren und Instrumente entwickelt und einge- setzt hat. “103

Auch die Rau-Kommission kommt zu diesem Schluß:

„Im »Haus des Lernens« bleibt die Qualitätssicherung der Arbeit ein zentrales Ziel und unterliegt selbst der Evaluation. Dabei kann ein erprobtes Repertoire von Selbst- und Fremdevaluationsformen genutzt wer- den. “104 Staatliche Intervention findet damit einerseits nur noch auf der Ebene sehr weit gesteckter Rahmenricht- linien statt. Andererseits und insbesondere vermit- tels der Bereitstellung bestimmter Problematisie- rungs- und Rationalisierungsformen sowie in der Imp- lementierung spezifischer Verfahren und Techniken, die den Schulen ein bestimmtes Vorgehen bei der Aus- arbeitung, Verwirklichung und Kontrolle ihres Identi- tätskonzeptes nahelegen und bestimmte Innovationen, spezifische Problemlösungen und ein spezielles Schul- Profil wahrscheinlich werden lassen. Das im Aufbau befindliche, weit vernetzte Beratungs- und Unterstüt- zungssystem - in Form von Tutoren, Moderatoren, Su- pervisoren, Schulbegleitforschern, Organisationsent- wicklern, Handreichungen, web-servern etc. - aber auch schon die rein formale, zunächst inhaltsleere Aufforderung, sich an einem Ideal der „guten Schule “ zu orientieren und dieses zu verwirklichen, scheint mir der augenfälligste Ausdruck einer neuen Steuerungspolitik zu sein.

Man erkennt nun insgesamt einen Typus der Anleitung und Steuerung, der die Eigeninitiative, die Selbst- steuerungspotentiale und -kompetenzen sowohl der In- dividuen, wie auch der Institutionen freisetzt und befördert. Die Umarbeitung schulischer Unterrich- tungsverfahren und -ziele, wie die der schulpoliti- schen Führungstechniken setzt sowohl auf individuel- ler als auch auf systematischer Ebene an. Die Formen individuellen reformerischen Engagements und die al- ternative Anleitung individueller Bildungsprozesse sind notwendig mit den Methoden schulpolitischer Um- strukturierung und der Durchführung schulinternen Re- organisation verschränkt: Eine sich selbst regulie- rende Organisation kann es kaum ohne die darin in re- lativer Selbstbestimmung agierenden Individuen geben. Die Autonomie der Individuen und die der Institution verweisen dabei wechelseitig aufeiander und fordern sich gegenseitig heraus.

Das regulierende Moment, welches die freigesetzte Ei- geninitiative moduliert und ihr eine spezifische Form der Praxis zuweist, tritt in Form einer Bindung an allgemeingültige Leitbilder bzw. individuell zuge- schnittenen Zielvereinbarungen105, einer persönlichen Selbstverpflichtung gegenüber einer gemeinsamen Verantwortung und insbesondere in Form universeller Vorgehensweisen, Verfahren und Techniken auf, die aufgrund ihrer sachdienlichen und zweckmäßigen Rationalität zweifelsfreie Akzeptanz erzwingen.

Diese vermittelnden Zieldefinitionen und vereinbarten Verhaltens-Konventionen sind aber nicht unmittelbarer Ausdruck einer zentral lenkenden und kontrollierenden Instanz. Sie sind vielmehr in den Prozeß der Selbst- regulation selbst eingelassen. In diesem werden sie - nicht zuletzt kraft der evidenten Unerläßlichkeit je- ner Verfahrensweisen - allererst generiert:

„Selbstgestaltung und Selbstverantwortung bilden die notwendige Grundlage eines Systems, in dem Gemeinsam- keit nicht durch Fremdregulierung, sondern primär durch Selbstorganisation, Selbstbindung und Selbst- verpflichtung hergestellt wird. Deshalb sind Zielver- einbarungen, Kontrakte und Abkommen wichtige Formen und Verfahren einer »interaktiven« Steuerung, bei welcher die Beteiligten […] in einer nicht von Hierar- chie, Weisung und Genehmigung geprägten, sondern in einer dem Erfordernis der Gemeinsamkeit der Verant- wortung verpflichteten Weise zusammenarbeiten. “106

Was hier für die Steuerung des Schulwesens im allgemeinen formuliert ist, gilt gleichermaßen auch für die Anleitung individueller Lernprozesse im Rahmen der einzelnen Schule.

Letztlich manifestiert sich die neue Form der Regula- tion, indem sie zum Grundverhalten der individuellen wie kollektiven Subjekte wird: zu einer universellen Technik der Lebensführung und Selbstverwirklichung. Die Verfahren und Praktiken der Führung werden funda- mentale Konstanten individueller wie kollektiver I- dentität und ihr Prozessieren zu einem allgemeinen Modell und Ideal autonomer Subjektivität.

Spätestens hier trifft sich der pädagogische mit dem ökonomischen Diskurs. Dieser erblickt als das notwen- dige gesellschaftliche Leitbild dieselbe Form autono- mer Subjektivität: das unternehmerische Individuum, welches sein Leben mit ökonomischem Geschick und mit den Mitteln eines zielgerichteten und kalkulierenden Managements führt: das Unternehmen seiner selbst.

2.2.4. Ökonomie, Pädagogik, Kritik, Selbstsein

Die Erkenntnis einer Bezugnahme von Bildungspolitik auf ein ökonomisches Kalkül ist nun sicher nicht son- derlich neu und auch nicht besonders originell. Denn allgemein liegt es auf der Hand, daß ein Bildungssys- tem nicht zuletzt Arbeitskräfte (aus-)bildet, sich also bei aller Eigenständigkeit immer auch an der Ö- konomie zu orientieren hat. Speziell die in den letz- ten Jahren vollzogenen Verschränkung von ökonomi- schem, reformpädagogischem und bildungspolitischem Diskurs und einer entsprechenden Praxis ist nun zwar insofern ein neues Phänomen, als die Pädagogik an- fängt in ökonomischen Denkschemata zu denken und um- gekehrt die Ökonomie gewissermaßen pädagogisch argu- mentiert. Dennoch kann man sich nicht erst seit ges- tern, sondern wie Klaus Jürgen Tillmann etwa schon seit 1993, folgenden Eindrucks nur schwer erwehren:

„Unter der Überschrift »Autonomie der Einzelschule« findet gegenwärtig eine bildungspolitische Diskussion statt, bei der man meinen könnte, die Akteure würden aus Versehen die Texte ihrer »Gegner« aufsagen. “107

Im pädagogischen Lager - und gerade in den Reihen de- rer, die sich nach wie vor als kritisch begreifen - ist aber die Debatte, wie eine solche Einmütigkeit interpretiert werden solle, noch nicht abgeschlossen. Zum einem wird das Ende des fordistischen Industrie- zeitalters als das gleichzeitige Ende einer Drill- und Kaderschule begrüßt.108 Die lang gehegten Reform- begehren scheinen endlich erfüllt, da sie nun auch von Wirtschaftsführern im Mund geführt werden und da- mit legitimiert sind.109 Für diese geschundenen Refor- merseelen kann und muß es nur als Balsam empfunden werden, daß auch die Schuladministration diese beför- dern. Entsprechend wird bei allem Argwohn in der Re- gel ein neuer Reformdialog zwischen Pädagogik und Wirtschaft gesucht110 und eine neue Balance zwischen Schulreform und Bildungspolitik austariert.111 Zum anderen ist der pädagogische Diskurs aber durch- aus bemüht, sich nicht vereinnahmen, unterminieren und beherrschen zu lassen: es werden die ganz eigenen Argumente geltend gemacht und kritisch gegen die Ko- lonialisten der pädagogischen Welt gewendet. So wurde beispielsweise das Autonomiekonzept zunächst von Sei- ten der Schulpraktiker als verbrämtes Ressourcenkür- zungsprogramm der Schulbehörde abgelehnt.112 Schulpro- grammentwicklung wird per selbstsuggestiver Definiton „jenseits aller Anleihen der Unternehmenskultur oder Neuer Steuerungsmodelle“ verortet - sondern allein als eine der pädagogischen Idee von „Guter Schule “ verpflichtete, in diesem Sinne nützliche und identi- tätsstiftende Qualitätsförderung.113 Evaluation wird zwar befürwortet, aber „pädagogisch verstanden “ .114 Der Ökonomie wird vorgehalten, in ihrem Einstehen für Eigeninitiative und Selbstverantwortung nur eine „halbierte Verantwortlichkeit “ im Blick zu haben, die den Mitarbeitern nur begrenzte Mitgestaltungs- rechte einräumt. Die Pädagogik aber habe für allge- meine Mündigkeit und eine ganzheitliche Persönlich- keitsentwicklung einzustehen.115 Die Gewerkschaft ent- deckt in der vorgeblichen „Demokratisierung und Selbstverwaltung der Schulen “ eine verborgene Offen- sive zur „schulischen Produktion von Humanressourcen für die industrielle Arbeitsorganisation “ .116 In Op- position zu einem technokratischen und am Exempel der Wirtschaft orientierten „Institutionellen Schulent- wicklungsprozeß“ wurde mit der „Pädagogischen Schul- entwicklung “ ein eigenes Konzept vorgelegt, welches die Unterrichtsentwicklung in den Mittelpunkt des In- teresses stellt und damit dem Erbe einer internen und kritischen Einzelschulreform Tribut zollt.117 Die RauStudie, die sich nicht scheut, von „Humankapital als Standortfaktor “ zu sprechen, macht an anderer Stelle deutlich, daß die Schulen auf „einen Begriff von Bildung, dessen emanzipatorischer Gehalt sich gegen eine Beschränkung von Bildungspro- zessen auf den Erwerb von gesellschaftlich nützlichen Qualifikationen sperrt nicht verzichten “ können.118

So könne mit dem Konzept des Lebenslangen Lernens nicht eine „funktionale Anpassung “ an die Anforde- rungen des Arbeitsmarktes gemeint sein, es stelle vielmehr eine Zielvorstellung für den beruflichen, aber eben auch persönlichen Lebensvollzug dar. Diese schreibe sich im Übrigen in eine Tradition der Bil- dungssystemreform seit Anfang der 60er Jahre ein.

Wo sich überhaupt noch ernstgemeinte Kritik regt, wird im Allgemeinen ideologiekritisch auf die womög- lich versteckten Kapitalinteressen geschielt und die herrschaftliche Definitionsmacht der Ökonomie ange- prangert. Gegen eine instrumentalisierte, einge- schränkte, letztlich entfremdete Mitbestimmung wird die wahre Selbstbestimmung in Anschlag gebracht. Wo die Wirtschaft als Feindbild und als Bedrohung der Freiheit und Autonomie der Pädagogik aufgebaut wird, assoziiert man eher den stampfenden Maschinentakt der Schwerindustrie und als das zu rettende Subjekt den schwitzenden Fließbandarbeiter, und nicht etwa das hippe e-commerce-Unternehmen und den 16jährigen web- designer, der sich in der Schule ohnehin nur lang- weilt. Geläuterten Schuladministratoren würde man gerne ihre obrigkeitsstaatlichen Rudimente nachwei- sen, während man ihnen zugleich ihre Korruption ge- genüber den ökonomischen Interessen und ihre Abhän- gigkeit vom privatwirtschaftlichen Geldsäckl vor- wirft. Den reformfreundlichen Unternehmensspitzen würde man gerne ihre Charaktermasken vom Gesicht rei- ßen und ihre wahren Fratzen zur Schau stellen.

So richtig und wichtig dererlei kritisch-pädagogische Einwände sind, so sehr scheinen sie mir dennoch auf Nebenkriegsschauplätzen ausgetragene, den Kern des Problems verkennende Scheingefechte und in diesem Sinne grundfalsch zu sein. Sie können - so lautete die These - die kritische Distanz nicht glaubhaft halten. Die Frage, die sich Klaus-Jürgen Tillmann 1995 noch stellte: „Schulentwicklung mit ökonomischen oder mit pädagogischen Argumenten? “ ist irreführend, denn die Argumente mögen mit einem unterschiedlichen Selbstverständnis vorgetragen sein, die Begriffe, mit denen argumentiert wird, sind dieselben. Die pädagogische Anfrage an die Ökonomie:

„Soll man ökonomisch Denken, wenn die eigenen Kinder Zeit fordern? Ist »Kundenorientierung« im Umgang mit den eigenen Freunden angebracht? “119

ist mit einem eindeutigen „Ja! “ beantwortet. Denn ökonomisches Denken ist nicht allein eine Berufsqualifikation, sondern eine pädagogisch gewollte Form der kompetenten Lebensführung.

Die den Fragen zugrundeliegende Analyse verfehlt den entscheidenden Punkt. Sie verkennt die schlichte Tat- sache, „daß die marktwirtschaftliche und bildungsreformeri- sche oder pädagogische Argumentation, die heute in der »Autonomiediskussion« nebeneinander bestehen, nicht voneinander zu trennen sind “120

Dies meint nicht, daß der ökonomische Diskurs den pä- dagogischen längst vereinnahmt oder verdrängt hätte. Es meint vielmehr, daß sich der pädagogische Diskurs eines Denkens bedient, welches gleichermaßen ein öko- nomisches ist - ein ökonomisches Denken, welches näm- lich seinerseits die Fabrikdisziplin längst hinter sich gelassen hat und in seiner Forderung nach Auto- nomie, individueller Eigeninitiative und nach sich frei entfaltender Kreativität und Innovation den pä- dagogischen Diskurs sozusagen pädagogisch um einige Längen überholt hat.

Es sei ein letztes mal ausführlich aus der vielbeach- teten und allseits gewürdigten121 Rau-Kommission zi- tiert:

„Das Lernen in der Schule sollte Schülerinnen und Schüler systematisch in das Selbstmanagement der ei- genen Lerntätigkeit einführen und dazu die Planungs- spielräume, die Zeitspannen selbstgesteuerten Lernens und die Verfahren der Selbstvergewisserung schritt- weise erweitern. Selbstwahl und Selbstdefinition von Aufgaben sowie die Selbstkontrolle der Zielerreichung sind Prinzipien, die sowohl den Umgang der Instituti- on Schule mit sich selbst als auch den Umgang der einzelnen in ihr Tätigen mit sich selbst charakteri- sieren.

Einige der wichtigsten Komponenten produktiven Lehrens und Lernens sind die Strukturierung von Lehrund Lernsituationen, das Zeitmanagement und der flexible Einsatz von Organisationsformen mit dem Ziel produktiver Lernarrangements. […]

Das Spezifische schulischer Arbeit besteht darin, daß diese sich nicht einseitig an einem produktbezogenen Effizienzbegriff orientiert, zugleich aber das Bewußtsein dafür schärft, daß kontrolliertes Lernverhalten, planvoller Umgang mit den eigenen und fremden Ressourcen die Motivation, das Selbstbewußtsein und die Leistungsfähigkeit stärken. […]

Das Lernzeitmanagement folgt ähnlichen Gesichtspunkten wie das Arbeitszeitmanagement in innovativen Betrieben: Flexibilität im Rahmen tragender Zielsetzungen und Ordnungen, Delegation von Verantwortung, Teamarbeit, Selbststeuerung, rollende Planung und laufende Optimierung. […]

Eine unter pädagogischen Gesichtspunkten ökonomische Verwendung der Zeit stellt sich als verantwortbares Verhältnis von verfügbarer Zeit und genutzter Zeit, von Lehr- und Lernzeit, dar.

Ökonomie bedeutet weiterhin, im Einsatz der Mittel danach zu streben, Selbststeuerung zu optimieren, daß heißt die Notwendigkeit einer Hilfe der Lehrenden für die Lernenden schrittweise zu vermindern. “122

Der Modus der Wahrnehmung, Problematisierung und Dar- stellung, die Form der Planung und des Kalküls, sowie der Komplex von eingesetzten Techniken und intendier- ten Zielen, können Geltung und Anwendung sowohl im pädagogischen, wie auch im ökonomischen Feld bean- spruchen. Mit anderen Worten: der Typus der Vernunft, die Rationalität der Pädagogen wie die der Ökonomen ist hier wie dort die selbe. Die Rationalität der Führung, Steuerung und Anleitung sowohl von individu- ellen (Selbst-)Bildungsprozessen, kollektiven Organi- sationsentwicklungen, als auch von unternehmerischen Investitionen ist nicht voneinander zu trennen. Kurz: die Rationalität des Regierens in diesem umfassenden Sinne ist in den verschiedenen gesellschaftlichen Be- reichen identisch. Der Stil, Charakter und die „See- le “ dieser Regierungsrationalität, in einem Wort: die Gouvernementalität - welche man über die Schüler, die Lehrer, die Schuladministratoren und - entwicklungs-forscher, die Arbeitnehmer und Manager ausübt, welche diese über die anderen ausüben und welche insbesondere integraler Bestandteil ihres Ver- hältnisses zu sich selbst ist - diese Gouvernementa- lität belebt den individuellen Lernprozeß ebenso, wie die Organisation einer Volkswirtschaft; sie ist glei- chermaßen individuell und total. Im Zentrum - so sollten die Ausführungen verdeutlichen - steht das Leitbild der Selbstverwirklichung verstanden als ein Unternehmen seiner selbst. Die allumfassende Klammer bildet das Modell und die Technologie der Selbstbe- stimmung und Selbstregulation: das Selbstmanagement. Es schaltet die Vorstellung einer einzigartigen eman- zipatorischen Selbstverwirklichung einerseits mit de- finierten - einer einheitlichen Verantwortung ver- pflichteten - Zielvereinbarungen und einer - zwar va- riabel festgelegten, aber aus einer jeweils als all- gemein akzeptierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und den notwendigen Mitteln ihrer Bemeisterung abge- leiteten - Handlungs- und Verhaltensnorm andererseits zusammen. Es vermag somit kritische Pädagogen ebenso zu begeistern wie die Apologeten des Neoliberalismus. Am Grunde dieses betörenden Faszinosums steht die un- hinterfragbare, unantastbare, legitimatorische Gel- tung eines aufklärerischen und humanistischen Ideals: die Idee eines selbstidentischen Menschen, die Idee autonomer Subjektivität samt ihrer Selbstwirksamkeit, die zugleich self-efficacy ist. Selbst-Sein wird so zum bildungspolitischen Auftrag ebenso wie zum per- sönlichen Leitbild und zum betriebswirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil. Selbst-Sein wird zum Gebot einer hierin geeinten gesellschaftlichen Totalität - legi- timiert und getrieben von dem Willen zur Selbstver- wirklichung, der narzißtischen Obsession am Selbst. „Menschlichkeit ist effektiv. “

Es macht insofern wenig Sinn, in „kritischer Absicht Charaktermasken entlarven zu wollen und das Selbstma- nagement als Selbstentfremdung zu perhorreszieren. Es gibt nichts, was hinter den vermeintlichen Masken verborgen wäre, und fremd wäre sich nur ein »unglückliches Bewußtsein«, das äußeren Schein und inneres Sein, objektives Sollen und subjektives Wollen überhaupt zu unterscheiden vermag. “123

Was eine Kritik also zunächst zu leisten im Stande ist, ist zu analysieren; zu analysieren, inwiefern es dem Begriff des Selbst gelingt, die an Autonomie, E- manzipation und Humanität orientierten, individuellen wie kollektiven Praktiken der Selbstfindung, Selbstverwirklichung und Selbstregulation mit normierenden und normalisierenden Zwangs- und Herrschaftsformen zu verbinden. Mit anderen Worten:

„Man muss die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Technikformen - Herrschaftstechniken und Selbsttech- niken - untersuchen. Man muss die Punkte analysieren, an denen die Techniken der Herrschaft über Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien in Zwangs- oder Herrschaftsformen integriert werden. Der Kontaktpunkt, an dem die Form der Lenkung der Indivi- duen durch andere mit der Weise ihrer Selbstführung verknüpft ist, kann nach meiner Auffassung Regierung genannt werden. In der weiten Bedeutung des Wortes ist Regierung nicht eine Weise, Menschen zu zwingen, das zu tun, was der Regierende will; vielmehr ist sie immer ein bewegliches Gleichgewicht mit Ergänzungen und Konflikten zwischen Techniken, die Zwang sicher- stellen, und Prozeduren, durch die das Selbst durch sich selbst konstituiert oder modifiziert wird. “124

3. FOUCAULT UND DIE PÄDAGOGIK

Die folgenden Ansätze einer Analyse dieser Wechselwir- kung zwischen humanistischem Ideal und gesellschaftlichen Machtpraktiken stützen sich fast vollständig auf die Ar- beiten von Michel Foucault. Da mein Augenmerk einer For- mation des Wissens und spe- zifischen Praktiken gilt, da einer Verquickung von Herr- schafts- und Selbsttechnolo- gien nachgedacht werden soll, und zwar in ihrer Spe- Abb.6: Foucault zifik im pädagogischen Feld, seien einige Bemerkungen zur Foucault-Rezeption in der Pädagogik vorangestellt. Zudem ergibt sich hier ein erster Überblick über Foucaults Arbeit, die sie leitenden Fragestellungen und nicht zuletzt deren Bedeutung für die hier gestellte Frage.

In einer Rückschau auf seine Arbeit unterscheidet Foucault drei Achsen seiner Analysen: Wissen, Macht, Subjekt. Grob kann man seine Schriften entlang dieser verschiedenen Achsen gruppieren. Traditionell wird Foucaults Arbeit in eine archäologische (Wissen), ge- nealogische (Macht) und ethische Phase (Subjekt) ein- geteilt. Diesem korrespondiert eine Zuteilung inhalt- licher Felder, denen Foucaults Interesse galt: die diskursanalytische Beschäftigung mit den Humanwissen- schaften, die machtanalytische Auseinandersetzung mit den disziplinären Institutionen und das Interesse für antike Selbstpraktiken im Zuge einer Neuformulie- rung einer Ethik. Diese Unterscheidungen erscheinen mir nur bedingt zutreffend. Zum einen betreffen sie eher die Methoden als tatsächlich die Themen von Fou- caults Arbeit. Zum anderen sind sie willkürlich und ungenau. Zum einen ist die Genealogie nicht ohne die Archäologie zu denken und werden die Arbeiten zur E- thik von Foucault selbst weiterhin zur Reihe der Ge- nealogien gezählt. Zum anderen entdeckt Foucault in den Disziplinen die Geburtsstunde der Humanwissen- schaft und stellt die Analyse der antiken Technolo- gien des Selbst eher eine Weiterentwicklung der Machtanalyse dar. Angebrachter erscheint es mir, alle drei Achsen als jeweils unterschiedliche Herangehensweisen an ein allgemeines Thema zu begreifen: das Subjekt. In allen drei Phasen bearbeitet Foucault - eben aus jeweils unterschiedlicher Perspektive - dieselbe Fragestel- lung:

„Meine Absicht war es […], eine Geschichte der ver- schiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unse- rer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden. Mei- ne Arbeit befaßte sich darum mit drei Weisen der Ob- jektivierung, die Menschen in Subjekte verwandelt.“ „Erstens eine historische Ontologie unser selbst im Verhältnis zur Wahrheit, durch das wir uns als Sub- jekte des Wissens konstituieren. Zweitens eine histo- rische Ontologie unserer selbst im Verhältnis zu ei- nem Machtfeld, durch das wir uns zu Subjekten konsti- tuieren, die auf andere einwirken; drittens eine his- torische Ontologie im Verhältnis zur Ethik, durch das wir uns selbst als moralisch Handelnde konstituie- ren. “125

Foucault fragt also nach den kulturellen Techniken, die aus Menschen Subjekte machen. Foucaults Arbeit ist somit im wesentlichen eine kritische Infragestel- lung eines vorgängigen Subjekts. Sie ist die Frage nach den Konstitutionsbedingungen von Subjektivitä- ten. Sie fragt nach Subjektivierungsmechanismen. Sie ist somit im wesentlichen eine kritische Infragestel- lung der Grundfigur des Humanismus. In diesem Sinne ist sie ein kritischer Antihumanismus.

3.1. Das schwindende Subjekt der Bildung (Wissen)

Salopp formuliert: Das erziehungswissenschaftliche Denken und die pädagogische Theoriebildung tun sich schwer mit Foucault: Hatte jener doch den Tod des durch die Humanwissenschaften ans Licht der Welt ge- führten Menschen erklärt. Die Humanwissenschaften bilden aber das Fundament der Pädagogik und diese hat sich maßgeblich als Geburtshelfer eben dieses nun totgesagten Menschen betätigt. Ihr würde mit dessen Verschwinden ihr zentrales Thema, ihr „subject “ , ihr „sujet “ verloren gehen: namentlich das moderne cogi- to-Subjekt, welches der Erziehungswissenschaft als Subjekt und Objekt zugleich gilt: als Objekt all ih- rer Bildungsanstrengungen, sowie als das autonome, aktiv aneignende, voraussetzungslose Subjekt, welches sich im Bildungsprozeß selbst hervorbringt und diesen begründet.

Wird Foucault systematisch von der Erziehungswissen- schaft gelesen, so wird demzufolge zumeist das „Ver- schwinden “ oder das „Verblassen des Subjektes“ aus bildungstheoretischer Perspektive problematisiert.126 In dieser Adaption wird sich primär auf die frühen, archäologischen Arbeiten Foucaults bezogen. Nun ver- folge ich in dieser Arbeit weder ein genuin bildungs- theoretisches Problem, noch scheinen Foucaults Stu- dien zur Formierung des Wissens für meine Fragestel- lung allein ausreichend. Die Kenntnis dieser frühen Schriften Foucaults ist sicherlich notwendig für ein Verständnis seines weiteren Schreibens, da die Ar- chäologie Bestandteil der nachfolgenden Genealogie bleibt. Entsprechend werde ich kurz auf diese Unter- suchungen Bezug nehmen. Dennoch stehen diese Arbeiten nicht im Mittelpunkt der hier aufgeworfenen Frage- stellung. Die unternommenen erziehungswissenschaftli- chen Interpretationsbemühungen sind für meine Arbeit insofern nicht weiter hilfreich.

3.2. Eine Genealogie der Schuldisziplin? (Macht)

Foucaults genealogische Analyse der Macht und spe- ziell jene der Techniken der Disziplin ist nur selten Gegenstand einer umfassenden, systematischen, origi- när pädagogischen Auseinandersetzung geworden. Dabei sollte sich diese zumindest für die - nicht zuletzt kritische - Schulpädagogik und -theorie als besonders verführerisch erweisen. Foucaults historische Unter- suchung zu den Techniken und Formen gesellschaftli- cher Macht am Vorabend der Moderne bedient sich im- merhin vielfältiger Beispiele aus der Institution Schule. Umgekehrt lassen sich auch heute noch Rudi- mente jener Disziplinen in der Schule, oder zumindest in den prä-reformierten Schulen, problemlos und un- zweideutig herauserkennen. Foucaults Arbeit ist zudem in jenen Jahren der Machtanalyse von einem Kontext des Aufbegehrens gegen die Institutionen, einer Ver- vielfältigung des durch diese eingeschlossenen Wis- sens und ganz konkret einer Kritik des Gefängnisses, aber auch von einer französischen Antipsychatrie und -pädagogik nicht abzutrennen.

Die professionellen Erziehungswissenschaftler und speziell die Schulpädagogen schrecken aber weitgehend davor zurück, diese Genealogien in ihr Denken, in ih- re Arbeit und in ihr Schreiben einfließen zu lassen.

Allein im Zusammenhang eines historisch- rekonstrukiven Interesses, etwa zur Schulgeschichte oder zur Entstehung der Pädagogik als Wissenschaft, sind einige Studien vorgelegt worden, die sich zumin- dest punktuell auf Foucaults Arbeiten beziehen.127 Als besonders erwähnenswert erscheinen mir hier die Ar- beiten von Ludwig A. Pongratz, der eine solche Ge- schichtsschreibung auch in die Gegenwart hinein ver- längert. Er zieht Foucaults Arbeiten neben denen der traditionellen Kritischen Theorie als Grundlage für eine sozial- und theoriegeschichtliche Rekonstruktion der Schule und der in sie eingelassenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse heran. Er entziffert schließ- lich auch gegenwärtige Schule als „Dispositiv der Macht “ . Dabei gilt ihm die Idee des selbsttätigen, selbstregulierten und ich-starken Subjekts - auf wel- che die „liberalen neuhumanistischen Reformer des preußischen Schulwesens“ ebenso wie die Weimarer Re- formpädagogen und noch das „demokratische selfgovern- ment “ der Nachkriegsgesellschaft gesetzt haben - als „conditio sine qua non der Effektivierung der Diszip- linarmacht selbst “ . Es sei Ausgang- wiewohl Ansatz- punkt einer Desinstitutionalisierung der Disziplinar- mechanismen und einer „Intensivierung innerer Kon- trolle “ .128 In diesem Sinne ist Pongratz Arbeit dem hiesigen Anliegen verwandt.

Die ansonsten anzutreffende Zurückhaltung in Reihen der (kritischen) Schulforscher mag sicherlich zum ei- nen daran liegen, daß sich Foucaults Arbeiten nur sehr bedingt als Grundlage oder gar Methoden- Repertoire für ein empirisches Arbeiten anbieten. Zum anderen aber wohl insbesondere daran, daß der Ort wi- derständiger Subjektivität, die eine selbstbestimmte Schüler-Identität begründen könnte, in seinen Analy- sen nicht gerade ins Auge springt, wenn sie nicht gar letzteres verunmöglichen - während sie gleichzeitig eine fundamentale Infragestellung der Machtmechanis- men innerhalb der Institutionen und damit dieser selbst zu sein scheint.

Neben der relativen professionellen Abstinenz gibt es dennoch in pädagogischen Kreisen und speziell inner- halb der Studierendenschaft einen spezifisch pädago- gischen Foucault-Diskurs - ein Diskurs, der größten- teils unterhalb von namhaften Publikationen stattfin- det. In dieser meist mit schul-kritischer Absicht ge- führten Diskussion erfreut sich Foucaults „Überwachen und Strafen “ einer gewissen Popularität. Es ist zu- mindest sein meistgelesenes Buch. Bei dessen Lektüre wird allerdings eine sehr eigenwillige Rezeptionshal- tung an den Tag gelegt: Die Bedenken, die möglicher- weise die bezahlten Erziehungswissenschaftler einen Bogen um Foucault machen lassen, werden hier schlicht zu einer Seite hin aufgelöst. So wird einerseits Fou- cault für eine leidenschaftliche Absage an die Insti- tution und ihre machtökonomische Verfaßtheit herange- zogen. Das heißt, es herrscht hier eine gewisse Ten- denz vor, Foucault einseitig als Kritiker der (schul-)institutionellen Macht zu rezipieren, sich dabei primär, wenn nicht ausschließlich eben auf je- nes „Überwachen und Strafen “ , hier wiederum primär, wenn nicht ausschließlich auf das „Disziplinen- Kapitel“ zu beziehen. Andererseits wird gerade hier- bei Foucaults kritisch-analytische Infragestellung einer Idee von voraussetzungsloser, autonomer Subjek- tivität, einer Idee von einem selbstidentischen Men- schen, nicht in ihrer vollen Bedeutung zur Kenntnis genommen. Vielmehr wird eben diese Subjektivität als das geltend gemacht, was mit Foucault von den Macht- verhältnissen der Institutionen befreit werden müsse. Die kritische Infragestellung dieses Ausgangspunktes der Kritik durchzieht aber - wie eingangs bemerkt - das gesamte Werk129 Foucaults. Er beschreibt sie als das allgemeine Thema seiner Forschung:

„Nicht die Macht, sondern das Subjekt ist deshalb das allgemeine Thema meiner Forschung “130

Hierbei ist wohlgemerkt nicht ein konstitutives, ursprüngliches Subjekt gemeint, sondern eben jene Frage, wie „in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden. “

Zur Wiederholung: Die Frage nach dem Subjekt nimmt ihren Aus- gang in der archäologischen Phase: Hier in Form einer Untersu- chung der Formation des Wissens, der Humanwissenschaften, wel- che den Menschen als sprechendes, arbeitendes und lebendes We- sen objektiviert haben. Sie bleibt zentral in der machtanalyti- schen Phase: Hier geknüpft an die Kritik der Hypothese einer repressiven Macht, die das einheitliche, identische und univer- sale Subjekt unterdrückt. Im Gegensatz dazu untersucht Foucault die Macht als eine solche, die differenzielle, im inneren ge- teilte oder von den anderen abgeteilte Subjektivitäten hervor- bringt. Schließlich mündet die Frage des Subjekts in der Analy- se der „Technologien des Selbst “ , vermittels derer die Menschen sich selbst als (ethisch-moralische) Subjekte konstituieren.131

Die gemeinte pädagogische Rezeption entdeckt also in der Machtanalyse bloß den Hinweis auf eine Effekti- vierung und Verfeinerung der institutionalisierten Ausübung der Macht, die nach wie vor das ursprüngli- che autonome Subjekt unterdrückt, welches ihr wider- steht. Sie macht damit gegen die von Foucault analy- sierte Macht gerade das geltend, was Foucault als Produkt eben dieser Macht analysiert: den selbstiden- tischen Menschen, das Recht des einzigartigen Indivi- duums. Ich möchte diese Lesart an einem typischen Vertreter und vielleicht dem einzigen, der sie jemals auf veröffentlichtes Papier gebracht hat, kurz il- lustrieren.

Möglicherweise nicht zufällig handelt es sich nicht um einen Pädagogen, sondern einen Psychologen: Klaus Holzkamp. Dieser hat vor einigen Jahren ein gewichti- ges Buch zum Lernen vorgelegt und wollte damit einen „Beitrag zur laufenden erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Grundsatzdiskussion, insbe- sondere über Schule und Schulreform“ einbringen.132 Mit seiner subjektwissenschaftlichen Grundlegung ei- ner Vorstellung vom „Lernen “ und insbesondere der darin enthaltenen „Aufschlüsselung historisch be- stimmter institutioneller Lernverhältnisse “ reiht sich Holzkamp in die Front der Kritischen Pädagogik ein, die hier auf dem Spiel steht.

Holzkamps wissenschaftlicher Standpunkt - und damit jener der Kritik - ist der des Subjekts. Es ginge bei der Formulierung einer Lerntheorie, oder besser: der „Reinterpretation “ überkommener Lerntheorien, darum, den „wissenschaftlichen Standpunkt mit dem (verallge- meinerten) Subjektstandpunkt der Betroffenen “ zu i- dentifizieren, da dieser in den herkömmlichen Lern- theorien „verleugnet “ und „theoretisch wegredu- ziert “ sei. Es ginge somit darum, „solche Verdrän- gungen und Verkehrungen theoretisch zu durchdringen und das »Lernsubjekt« in seinen jeweils besonderen Verkürzungen wieder diskursfähig und diskutierbar zu machen.“ Es ginge schließlich konkret darum, das von den „herrschenden Instanzen “ „okkupierte “ Lernen von der „ideologischen Verquickung “ mit einem Lernen im Sinne von „Beschulung, Zwang“ , und „Vereinnahmung »von oben« “ , damit von „Entmündigung “ und „Fremdbe- stimmung“ zu befreien; daß man also dieses „enteig- nete Lernen “ vom Standpunkt des Lernsubjektes und dessen „genuinen Lebensinteressen “ her begreife.133 Dabei gilt Holzkamp das Subjekt als „sinnlich- körperliches “ , „bedürftiges “ und „interessiertes “ „ Intentionalitätszentrum “ . Dieses Subjekt müsse sei- ne Handlungen „angesichts der durch eine widerständi- ge Realität gegebene Prämissenlage “ und gemäß „des Erkennens und der Realisierung eigener Lebensinteres- sen “ in diesem Sinne vernünftig begründen können. Es könne „nicht bewußt seinen eigenen Interessen zuwi- derhandeln “ . Diese „ je meine Gründe “ müssen wieder- um „in der Sprache subjektiver Handlungsbegründungen artikuliert und kommuniziert werden können “ , damit sie intersubjektiv und damit „wissenschaftlich behan- delbar werden “ .134 Holzkamps therapeutisch- revolutionärer Ansatz besteht mithin darin, das Individuum zur Offenbarung seiner inneren Beweggründe zu bewegen, zur Entfaltung seines subjektiven und rationalen „Begründungsdiskurses “ .

Vor diesem Hintergrund stellt sich Holzkamp die be- rechtigte Frage, „ob Foucaults Auffassung vom Subjekt überhaupt grundsätzlich mit dem subjektwissenschaft- lichen Ansatz der Kritischen Psychologie vereinbar “ sei. Denn Foucault sei im Rahmen seiner „Genealogie der Schuldisziplin “135 die „»relative Autonomie des

Erziehungsbereiches« gegenüber gesamtgesellschaftli- chen Prozessen und eines darin liegenden aufkläreri- schen Potentials“ fremd. Dennoch sei die Frage „ins- besondere aufgrund Foucaults subjekttheoretischer Wende in seinen letzten Arbeiten “ nicht leicht zu beantworten.

Immerhin stellt sich Holzkamp diese Frage noch, was man von dem allgemeinen subjektorientierten kritisch- pädagogischen Foucault-Diskurs nicht immer behaupten kann - auch da nicht, wo er sich auf Holzkamp beruft. Allerdings müsse laut Holzkamp die Auseinandersetzung hierum auch nicht weiter geführt werden: Denn es sei klar, daß zwar - wie Foucault gezeigt habe - die „In- dividuen als subjektive[r] Ursprung[] von Lernhand- lungen aus dem machtökonomischen Kalkül der Schuldis- ziplin “ herausfallen, damit aber selbstverständlich das Lernsubjekt „nicht abgeschafft, sondern lediglich »entöffentlicht«, also auf inoffizieller Ebene als Bestimmungsmoment der Schulwirklichkeit präsent und wirksam ist “ und nicht zuletzt „in einem immanenten widerständigen Verhältnis dazu steht und potentiell darüber hinausweist. “136

Wenn Holzkamp nun also im Folgenden die aus der Fou- caultsche Analyse herauspreparierten Ausführungen zu den Disziplinen für seine ganz eigene „Genealogie der Schule als »Disziplinaranlage«“ hernimmt137, tut er das mit dem Verständnis, „das Konzept der »Schuldis- ziplin« […] heuristisch als ein analytisches Instru- ment “ benutzt zu haben, „mit welchem - durch Aufde- ckung der genannten zugrundeliegenden disziplinären Invarianten - schulische Lernmöglichkeiten, -wiedersprüche und -behinderungen vielleicht schärfer auf den Begriff zu bringen sind.“138

Foucaults Arbeit wird also letztlich unbekümmert dem Subjektstandpunkt zugeeignet. Vor diesem Hintergrund stellt sich das „Disziplinen-Konzept “ für Holzkamp als eines dar, welches bzgl. der „Ambivalenzen und Widersprüche schulischen Lebens zwischen Freiheitver- bürgung und Freiheitsentzug (Habermas), Autonomie und Reglementierung […] jeweils auf die restriktive Al- ternative hin eingeebnet “ ist. In diesem Sinne sei es eindimensional.139 Er stattet es folglich mit dem für ihn einzig denkbaren kritisch-dialektischen Standpunkt des Widerstandes und der Verheißung auf Freiheit aus: dem autonomen Subjekt. Dessen Infrage- stellung durch Foucault wird damit ausgeklammert, um nicht zu sagen: diffamiert. Die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen „Autonomie und Reglementierung “, zwischen Selbst- und Herrschaftstechnologien, und ei- ne darin machtvoll vollführte Produktion selbstiden- tischer, autonomer Subjektivität zu denken, ist damit vergeben.

Deshalb ist es wenig verwunderlich, daß Holzkamp konkrete Schulreform allein in Form einer Institutionenkritik und nur unter dem Aspekt ihrer mangelnden Radikalität, Begrenztheit und Halbherzigkeit erörtern und kritisieren kann - etwa die Wahl- Pflicht-Möglichkeiten in der Gesamtschule oder das Ersetzten von Noten durch Berichtszeugnisse, die unmittelbar ineinander übersetzbar sind. Damit ist auch erklärbar, warum Holzkamps Einschätzung der gegenwärtigen Schulentwicklungstendenzen erst vor wenigen Jahren in verblüffender Weise daneben lag, als er schrieb:

„Man versucht (soweit ich sehe) nach wie vor auf die bekannte, un- mittelbarkeitsverhaftete Weise, dem drohenden Kontrollverlust [auf- grund der allgemeinen Schulkrise, S.M.-G.] durch noch festeren Zugriff zu begegnen, perfektioniert und zentralisiert das Bewer- tungs- bzw. Punktsystem etc. Man scheint also (noch) meilenweit von der Einsicht entfernt, daß man mit einer derartigen Kontrollver- schärfung durch Be wertung zur Ent wertung des Interesses und des En- gagements der Betroffenen beiträgt und das, was man überwinden will, deren Tendenz zum Sich-Entziehen, zum Aussteigen, zum Widerständigkeit, laufend selbsttätig verstärkt. “140

Dort, wo Holzkamp in einer Randbemerkung unter dem Stichwort „Schule mit Profil “ doch kurz auf die gegenwärtigen Autonomie- bestrebungen in und von Schule stößt, entsprechen diese ganz und gar seinem Anliegen. Denn sie scheinen ihm „ein erster Schritt dazu zu sein, die »objektiven Lernanforderungen« in »veränderbare Voraussetzungen und Möglichkeiten« zu transfor- mieren, »zu denen sich die tatsächlichen Lernsubjekte, […] ak- tiv, bewußt, auswählend und umgestaltend verhalten können« […], womit sie auch ihre eigenen subjektiven Lernproblematiken iden- tifizieren und in expansivem Lernen zu bewältigen trachten könnten. “141

Allein Holzkamps Verweis darauf, daß auch in außerinstitutio- nellen, selbstorganisierten, freien Lerngruppen durch die Sub- jekte getragene schuldisziplinäre Strukturen hineinwirken und auch hier „expansives Lernen “ „behindern “, scheint im Zusam- menhang dieser Arbeit interessant. Allerdings ist auch hier vorausgesetzt, daß erstens diese Strukturen den Beteiligten äu- ßerlich und eigentlich fremd bleiben; sie sich also durch deren reflexive Bewußtwerdung von diesen befreien könnten; daß zwei- tens nach dieser Befreiung die Vorstellung eines den genuinen Lebensinteressen zuarbeitenden „expansiven “ und damit tiefen, begreifenden, wahrhaft emotionalen und intersubjektiven, moti- vierten und unmittelbarkeitsüberschreitenden Lernens spontan verwirklicht werden würde; und daß schließlich das Auftauchen jener Strukturen nichts anderes sein könne, als das Durchschla- gen einer starren, unveränderten Schuldiziplin. Holzkamps Sub- jektstandpunkt ist folglich unzugänglich für die Vorstellung, daß erstens die Subjekte nicht allein Träger jener Strukturen sind, sondern deren Produkte; daß es zweitens mehr bedarf, als einer einmaligen Befreiung; daß man sich vielmehr von der nor- mativen Vorstellung einer zu befreienden Ursprünglichkeit selbst befreien muß; und daß schließlich die z.B. in selbstbe- stimmten Lerngruppen vereinzelt anzutreffenden Disziplinartech- niken alles andere sind, als die wiederkehrenden Überreste der Disziplinen in einer nicht gänzlich befreiten (Lern-)Gesellschaft, sondern daß die Technologien der Macht, die seinerzeit als Disziplinen auftraten, sich nach verschie- densten Modulationen und Transformationen in vielfältigster Weise und in mannigfaltigen Modi in die Formen und Techniken befreiter Selbständigkeit eingeschrieben, diese hervorgebracht und in deren Inneren eine kaum faßbare, aber hoch effektive Wirkung entfaltet haben.

Ich möchte eine andere, vielleicht neue Foucault- Lesart vorschlagen. Eine Lesart, die eine Perspektive eröffnet, die es erlaubt, eben gerade solcherlei Ver- bindungen zwischen „Autonomie und Regulation “ zu denken und schließlich auch zu analysieren. Damit möchte ich nicht nur Foucaults Arbeit für eine solche Analyse nutzbar machen, sondern umgekehrt Foucaults Arbeit auch vor soeben umrissenen subjektorientierten kritisch-pädagogischen „Reinterpretationen “ und An- eignungen bewahren. Diese sind von ihrem Ansatz her der Möglichkeit einer solchen analytischen Arbeit be- raubt.

3.3. Pädagogik und Ethik (Subjekt)

Letztlich wird Foucaults Bedeutung für die Erzie- hungswissenschaft an seine späten Schriften geknüpft, also an die Genealogie eines modernen (Begeh- rens-)Subjektes am Beispiel einer Geschichte morali- scher Problematisierungen sexuellen Verhaltens. Die allgemeinen Foucaultrezeption erkennt in diesen Ar- beiten in erster Linie eine Zuwendung zur Ethik oder zumindest die Möglichkeit, auf ihrer Basis eine Neu- begründung der Ethik zu bewerkstelligen.142 Oft wird angenommen, daß damit eine Rückkehr zum verlorenen Subjekt verbunden, wenn nicht gar notwendig sei. Da- bei wird unterstellt, daß Foucaults Interesse an an- tiken Subjektivierungs-Techniken im Sinne einer Sorge um sich oder einer individuellen Lebenskunst einen „erstaunlichen Wandel “ oder gar einen jähen Bruch mit den zuvor betriebenen genealogischen Studien zur subjektivierenden Unterwerfung durch die Technologien der Macht darstelle. Diese „eigentümliche Wende“ sei damit das stille Eingeständnis deren Scheiterns.143

Auch der erziehungswissenschaftlichen Rezeption kommt der Begriff der „Selbstsorge “ sehr entgegen. Er bie- tet sich an, von hier aus eine ethische Dimension in der pädagogischen Beziehung zu bestimmen, indem der Imperativ „Kümmere Dich um Dich selbst!“ zum Muß des Lehrer-Schüler-Verhältnisses und insbesondere deren jeweiligen Verhältnisses zu sich selbst erhoben wird.144

Ich habe mich entschlossen, die genuin ethischen Fra- gestellungen und Anschlüsse in und an Foucaults Schriften im Zusammenhang dieser Arbeit weitgehend unberücksichtigt zu lassen. Dennoch werde auch ich auf den Begriff der Ästhetik der Existenz in Fou- caults Spätwerk zurückkommen müssen. Allerdings weni- ger, um ein neues ethisches Programm zu entwerfen, sondern vielmehr um deren Zusammenhang mit der Macht- analyse zu verdeutlichen. Insofern möchte ich schon an dieser Stelle einige kurze Anmerkungen an die Ad- resse derjenigen richten, die in Foucaults Spätwerk eine Rückkehr zum Subjekt wahrzunehmen vermeinen, um es von hier aus für die Pädagogik fruchtbar zu ma- chen.

Sicherlich hegt Foucault einige Sympathien für die Formen der moralischen Problematisierungen der Anti- ke. Erstens: Die Priorisierung der Selbstsorge: „Küm- mere Dich um dich selbst! “ vor der christlichen Auf- forderung: „Erkenne Dich selbst!“ . Also die Priori- sierung einer Selbsttechnologie, die sich im Gegen- satz zu einer Suche nach tiefer Selbsterkenntnis auf konkrete und alltägliche Handlungen und im Zuge des- sen auf die Ausarbeitung eines schönen Ethos richtet, mag Foucaults eigener analytischen Haltung nahe kom- men. Zweitens: Die für die Selbstpraktiken unerläßli- che Technik des „Wahrsprechens des anderen “ , die parrhesia, also die Technik des „Alles-Sagen “, stellt für Foucault die antike Möglichkeit dar, in den Diskurs der polis einzugreifen und die Handlungen des Regierenden zu beeinflussen. Der wahrsprechende Politik-Berater ist dabei allein dem Diskurs der Wahrheit verpflichtet - im Gegensatz etwa zum Minis- ter des 16. Jahrhunderts, der an eine Rationalität der Staatsführung gebunden ist. Er nimmt sogar das Risiko auf sich, vom Regierenden getötet zu werden. Insofern bietet er ein attraktives Modell kritischen politischen Handelns. Auch das Wahrsprechen ist für Pädagogen von Interesse, insofern es als „eine Tugend, Pflicht und Technik “ definiert ist, „die man bei dem antreffen wird, der das Bewußtsein der anderen anleitet und die Menschen bei der Konstitution ihres Selbstbezuges lenkt. “145

Dennoch sei die parrhesia keine Pädagogik, oder vielleicht bes- ser: keine Didaktik. Denn das Wahrsprechen sage die ganze Wahr- heit, am Stück und in einer mitunter durchaus provozierenden, agressiven und schroffen Art und Weise. Ganz anders als eine didaktisierende sanfte Pädagogik, die „vom Bekannten zum Unbe- kannten, vom Einfachen zum Komplexen, vom Teil zum Ganzen führt “ .146 Das Wahrsprechen sei damit alles andere als das sok- ratische Spiel, in welchem der Meister so tut, als ob er nicht wüßte, um den Schüler in dem Glauben zu lassen, er würde selb- ständig das (in sich selbst) entdecken, was ihm tatsächlich in den Mund gelegt wird. Der Meister des Wahrsprechens spricht hingegen das aus, was er zu sagen hat - ohne Rücksicht auf den unterstellten Verstehenshorizont des Zöglings - und handelt somit, wie er wahrhaftig zu handeln nicht anders kann: er sagt die Wahrheit in diesem Sinne. Die parrhesia ist damit weit entfernt von einer ‚Taxifahrerpädagogik‘, die ihre Klienten dort abholt, wo sie stehen; sie habe vielmehr einen „anti- pädagogischen Effekt. “147 Das Wahrsprechen ist somit keine Belehrung, sehr wohl aber die Lehre desjenigen, der aufgrund seines Bezuges zur Wahrheit etwas zu sagen hat.

Die parrhesia könne allein aber schon deshalb keine Pädagogik im herkömmlichen Sinne bzw. im Rahmen herkömmlicher Institutionen sein, da der parrhesiastes immer weniger mächtig sei, als derjenige, an den er sich richtet.

„Die parrhesia kommt gleichsam von »unten« und ist nach »oben« ge- richtet. Deshalb würde ein Grieche der Antike nicht sagen, daß ein Lehrer oder ein Vater, der ein Kind kritisiert, parrhesia ge- braucht. “148

Letztlich liegt in der antiken Vorstellung, daß nur derjenige gerecht regieren, sich um die anderen sor- gen kann, der sich selbst regiert, der damit einen herrschaftlichen Bezug zu sich selbst konstituiert hat, ein gewisser ethischer Imperativ. Eine pädagogi- sche Ethik im Anschluß an Foucault müßte an diesen Punkten ansetzten.

Dennoch seien die Schwierigkeiten, mit denen ein solches Projekt rechnen muß, und die Gefahren, die hier lauern, mit einem vielleicht etwas plakativen, im Zusammenhang dieser Arbeit allerdings recht erhellenden Zitat markiert:

„[Foucault:] Die neueren Befreiungsbewegungen leiden darunter, daß es ihnen nicht gelingt, ein Prinzip zu finden, auf das sie die Ausarbeitung einer neuen E- thik gründen könnten. “ „Sie brauchen eine Ethik, a- ber sie können keine andere finden als eine Ethik, die auf sogenanntes wissenschaftliche Wissen davon, was das Selbst sei, was Begehrens sei, was das Unbe- wußten sei usw. gründet. […]

[Rabinow/Dryfus:] Meinen Sie, daß die Griechen eine verlockende und plausible Alternative anbieten?

Nein, ich suche keine Alternative; man findet nicht die Lösung eines Problems in der Lösung eines anderen Problems, das zu einem anderen Zeitpunkt von anderen Leuten aufgeworfen wurde. “ „Sehen Sie, ich will kei- ne Geschichte der Lösungen schreiben, und deshalb ak- zeptiere ich auch nicht den Ausdruck »alternativ« “149

Die Antike stellt somit für Foucault kein Modell ei- ner modernen Ethik zur Verfügung. Er sah sich eher - wie zu zeigen sein wird - im Rahmen der Analyse mo- derner Macht- und Selbsttechnologien genötigt, deren Herkunft bis in die Antike zurückzuverfolgen. Dieser Rückgang ermöglichte ihm zugleich eine Verschiebung der Perspektive. Hatte er in den genealogischen Stu- dien das Subjekt allein als passiven Effekt von Zwangs- und Herrschaftstechnologien beschreiben kön- nen, beschäftigt er sich nun mit den Techniken, ver- mittels derer das Selbst aktiv auf sich selbst ein- wirkt. Die Analyse dieser Techniken erlaubt sicher- lich auch die Formulierung einer Ethik, insofern die- se Techniken eine gewisse Autonomie und Freiheit ver- bürgen. Gleichzeitig erlauben sie es aber, die Frei- heit als integralen Bestandteil der Machtpraktiken zu analysieren.

Somit handelt es sich auch bei der Analyse der anti- ken Selbstpraktiken, vermöge derer das Subjekt einen Bezug zu sich selbst konstituiert, keineswegs um die Rückkehr zu einem ursprünglichen autonomen Selbst. Denn nach wie vor geht die Analyse der Art und Weise, „wie sich das Subjekt auf eine aktive Weise mittels Praktiken des Selbst konstituiert“ davon aus, daß „diese Praktiken vom Individuum nicht selbst erfunden werden. Das sind Schemata, die es in seiner Kultur vorfindet, die ihm von seiner Kultur, seiner Gesellschaft, seiner sozialen Gruppe vorgeschlagen, nahegelegt und aufgezwungen werden. “150

Auch die Technologien des Selbst sind somit als sub- jektkonstituierende, wenn auch freiheitlichere, den- noch kulturell geregelte Machtpraktiken analysierbar. Sie sind nicht die autonomen Handlungen eines vorgän- gigen Subjekts.

[Fontana:] Es ist ein offenes Geheimnis, das mehr- mals verraten wurde: im Werk von Foucault gibt es kein Subjekt. Die Subjekte sind immer unterworfen, sie sind Ansatzpunkte für normative Techniken und Disziplinen, aber nie sind sie souveräne Subjekte.

[Foucault:] Hier muß man unterscheiden. Zunächst den- ke ich allerdings, daß es kein souveränes und konsti- tutives Subjekt gibt, keine universelle Form des Sub- jekts, die man überall wiederfinden könnte. Einer solchen Konzeption vom Subjekt stehe ich sehr skep- tisch, ja feindlich gegenüber. Ich denke hingegen, daß das Subjekt sich über Praktiken der Unterwerfung konstituiert bzw. - auf autonomere Art und Weise - über Praktiken der Befreiung und der Freiheit. So ge- schah es in der Antike, und zwar ausgehend, wohlge- merkt, von einer gewissen Anzahl von Regeln, Stilen und Konventionen, die sich im kulturellen Bereich wiederfinden. “151

Die Technologien des Selbst können demnach auch als Praktiken analysiert werden, in denen sich die Frei- heit mit den Techniken der Unterwerfung verbindet. Wenn ich im folgenden Foucaults Analysen nachzeichne und versuchen werde, sein Interesse und die Notwen- digkeit der Analyse der Technologien des Selbst zu erläutern, werde ich genau diese Perspektive einneh- men. Mein Interesse gilt also weniger einer Ethik, einem ethischen Verhalten, welches an die Stelle der Machttechniken treten könnte, als vielmehr einer Ent- zifferung der freiheitlichen Selbsttechnologien als Technologien der Macht. Dabei geht es sehr wohl auch um eine zu treffenden ethisch-politische Entschei- dung, nämlich um eine möglichen Form von Widerstand.

„Sehen Sie, ich will keine Geschichte der Lösungen schreiben, und deshalb akzeptiere ich auch nicht den Ausdruck »alternativ«; ich möchte die Genealogie der Probleme, der Problematiken schreiben. Ich stelle mir nicht vor, daß alles schlecht ist, sondern, daß es überall Gefahren gibt. […] Ich denke, daß die e- thisch-politische Entscheidung, die wir täglich zu fällen haben, im Bestimmen dessen besteht, worin die Hauptgefahr liegt.“152

3.4. Pädagogik als Führung der Führungen (Macht/Wissen/Subjektivierung)

Will man Foucaults Arbeiten für eine Analyse gegen- wärtiger pädagogischer Entwicklung fruchtbar machen, scheint es mir weder hilfreich, in seinen späten Schriften allein eine Rückkehr zur Ethik, geschweige denn eine zum Subjekt zu erkennen. Noch erscheint es mir gewinnbringend, die Genealogie der Macht auf eine reine Institutionenkritik zu verengen oder in eine „Genealogie der Schuldisziplin“ umzuschreiben, der man zudem noch ein unterdrücktes und entfremdetes Subjekt unterstellt. Die hier vorgestellte Foucault- Lektüre versucht eher, einer Bemächtigung der Indivi- duen vermittels von Freiheits- und Selbstpraktiken nachzudenken. Ich halte eine solche Perspektive für das eingangs umrissene Untersuchungsfeld für vielver- sprechend und für die deutsche erziehungswissen- schaftliche Foucault-Rezeption für relativ neu.

Neu ist eine solche Lesart zumindest insofern, als daß sie sich auf Texte stützt, die bis vor kurzem kaum oder allenfalls im französischen Original zu- gänglich waren, die also in der deutschen Rezeption nur vereinzelt zur Kenntnis genommen worden sind. Es handelt sich um Texte, Interviews und Vorlesungen, die überwiegend in die sogenannte Phase des langen Schweigen des Herrn Foucault fallen: in jenen Zeit- raum nach dem vermeintlichem Scheitern der Machtana- lyse und vor der „subjekttheoretischen Wende “ , also in der Zeit zwischen dem Erscheinen von „Sexualität und Wahrheit, Band I “ und den beiden letzten Bän- den.153 Gemeint sind aber auch Texte, die diese letz- ten begleitend erläutern und kommentieren. Ich denke konkret an die Vorlesungen am Collège de France aus dem Jahre 1976, die kürzlich unter dem Titel: „In Verteidigung der Gesellschaft“ erschienen sind.154

Insbesondere denke ich aber an bislang nahezu unbe- kanntes Archivmaterial, welches Thomas Lemke, in sei- ner auf umfänglicher Recherche beruhenden Studie zu „Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität “ z.T. übersetzt oder ausführlich dokumentiert hat. Hier findet sich zudem die z.Z. wohl umfassendste deutschsprachige Bibliographie Foucaultscher Texte.155

Lemke kann anhand der herangezogenen Dokumente und einer Zentrierung auf Foucaults Begriff der Regierung plausibel machen, daß Foucaults Untersuchungen zu den antiken Selbsttechnologien in Kontinuität mit der Machtanalyse zu verstehen sind. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität stellt somit eine Verlän- gerung und Ergänzung der Studien der Disziplinen dar und führt schließlich zu den Untersuchungen der Tech- nologien des Selbst.

„Die »Genealogie des modernen Subjekts« ist […] nicht von der Untersuchung moderner Machtmechanismen zu trennen, da es die Regierungsanalyse ist, die die Be- ziehung zwischen Formen der Regierung des Selbst und Formen der Regierung der anderen nachgeht “.156

Insofern versucht Lemke zu zeigen, daß man die Inter- pretation der späten Schriften Foucaults nicht auf die Erklärung einer neuen ethischen Lebenskunst be- schränken könne, sondern sich darin vielmehr ein po- litischer Wille artikuliere: der Wille, nicht derma- ßen regiert zu werden.157 Lemke macht Foucaults Arbei- ten von daher für eine „Kritik der politischen Ver- nunft “ produktiv.

Versteht man mit Foucault Regieren im doppeldeutigen Sinne des Begriffs der „ Führung “ , eigne er sich gut dazu, „das Spezifische der Machtverhältnisse zu er- fassen.“

„»Führung« ist zugleich die Tätigkeit des »Anführens« anderer (vermöge mehr oder weniger strikter Zwangsmechanismen) und die Weise des Sich-Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglichkeiten. Machtausübung besteht im »Führen der Führungen« und in der Schaffung der Wahrscheinlichkeit “158 So macht es der Begriff der Regierung möglich, die Verknüpfung von Herrschaftstechnologien und jenen Techniken zu denken, mit denen die Individuen sich selbst als freie Subjekte konstituieren und ihr Han- deln regulieren.

Insofern Regierung des Weiteren hier im weiten Sinne des „ Gouvernement “ gedacht wird, ist es möglich auch jene Regulation, jene Subpolitik und Formen der Men- schenführung, die unterhalb des offiziellen Sphäre des Politischen ansetzen, dennoch im Rahmen einer um- fassenden politischen Zielsetzung und Regulierung zu beschreiben.159 Mit anderen Worten: Bei Foucault sind mit dem Begriff der Regierung niemals allein die staatlichen Regierungshandlungen und Verwaltungs- strukturen gemeint. Er hat vielmehr stets die hierin integrierte „Mikrophysik der Macht “ im Blick, d.h. „die Weise, in der die Führung von Individuen oder Gruppen gelenkt wurde: Regiment der Kinder, der See- len, der Gemeinden, der Familie, der Kranken. “ Also „mehr oder minder bedachte und berechnete Handlungs- weisen, die dazu bestimmt waren, auf die Handlungs- möglichkeiten anderer Individuen einzuwirken. Regieren heißt in diesem Sinne, das Feld eventuellen Handelns der anderen zu strukturieren.“160

Insofern schließlich Regierung im Sinne einer Gouver- nementalität verstanden wird, indem also Regierungs- handeln („gouverner “ ) und Denkweise („mentalité “ ) semantisch miteinander verbunden sind, wird die wech- selseitige Verschränkung von Machttechnologien und einer bestimmten Formation des Wissens herausge- stellt. Die Regierungstechniken lassen sich also in ihrem Verhältnis zu allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmungsweisen, Idealen und Vorstellungen be- schreiben: in ihrem Verhältnis zu spezifischen Typen von Rationalität.161

Lemke stellt seine Arbeit in den Kontext der „gover- nementality studies “ . Unter diesem Stichwort sind im angelsächsischen Sprachraum in den letzten zehn Jah- ren verschiedene sozialwissenschaftlich und politisch orientierte Studien vorgelegt worden. Im Gegensatz zu der deutschen, zumeist sehr polemischen, primär phi- losophisch-akademischen Auseinandersetzung um Fou- caults Arbeiten wird sich hier bemüht, dessen Begriff von Regierung für eine Analyse aktueller gesell- schaftlicher Umbrüche, speziell auch für das Verste- hen des Neoliberalismus fruchtbar zu machen.162 Mit der Vorlage des deutschsprachigen Sammelbandes zur „Gouvernementalität der Gegenwart “ ist der Versuch unternommen, eine solche Forschungsrichtung auch in der deutschen Wissenschaftsgemeinde zu etablieren.163 Vor dem Hintergrund der foucaultschen Analysen und mit Hilfe der von ihnen bereitgestellten Begriffe werden sowohl in der angelsächsischen Diskussion als auch in den neuerlichen deutschen Studien zur „Ökono- misierung des Sozialen “ sehr konkrete, z.T. empiri- sche Studien im Sinne qualitativer Sozialforschung betrieben.

Die Perspektive der Gouvernementalität scheint mir insofern für die Pädagogik von besonderem Interesse zu sein. Die von ihr bereitgestellten Möglichkeiten, Herrschafts- und Selbsttechnologien im Sinne eines Regierens der Selbstführungen zusammendenken, hierbei die Praktiken in Verbindung mit der sie anleitenden Vernunft analysieren und schließlich dieses begriff- liche Instrumentarium für die Erforschung spezifi- scher sozialer Felder im Rahmen empirischer Sozial- forschung einsetzen zu können, läßt sie für die Ana- lyse gegenwärtiger pädagogischer Entwicklungen viel- versprechend erscheinen. Meines Wissens ist eine sol- che Forschungsperspektive im Anschluß an Foucault bisher in der Erziehungswissenschaft nirgends syste- matisch eingenommen worden. Nichtsdestoweniger hat es in den letzten Jahren einige Denkanstöße gegeben, die in diese Richtung weisen.

Einer solchen Forschungsperspektive ist u.a. die The- se unterlegt, daß die Analyse des modernen Subjekts und der es konstituierenden Selbsttechnologien, der Foucault in seinen späten Schriften nachgeht, als Auftakt des Versuchs gelesen werden kann, die Verbin- dung von Macht- und Freiheits-Techniken von ihren An- fängen her zu studieren. Auch die „Genealogie der E- thik “ wäre demnach eine Genealogie. Auch sie wirft die Frage nach der Art und Weise auf, „in der ein Mensch sich selber in ein Subjekt verwandelt. “164

In seinem Versuch die „Schule in den Antinomien der Moderne“ zu beschreiben, legt Werner Helsper ein solches Verständnis der Selbsttechnologien nahe, in- sofern sich diese mit den alten (schulischen) Macht- technologien verbinden und z.T. an deren Stelle tre- ten würden. Gleichermaßen knapp, wie scharfsinnig formuliert er die auch in dieser Arbeit aufgerissene Problematik gegenwärtiger pädagogischer Entwicklung auf den Punkt. Er bedient sich hierbei in einer kur- zen Bezugnahme auf Foucault eines Analyseschemas, wie dieser es am Anfang von „Der Gebrauch der Lüste“ an- bietet - also in jenem Buch, welches Foucaults angeb- liche Ethik-Phase einleitet. Zudem verweist er auf eine triviale, in dem hier gegebenen Kontext aber be- merkenswerte, Randnote Foucaults:

Es muß „die Analyse der (schulischen) Disziplinar- macht zugleich als Analyse der Konstituierung des Subjekts verstanden werden […]. Denn die Diziplinar- mechanismen erzeugen ein Selbst, eine spezifische Weise der Selbstunterwerfung, spezifische Mittel der Selbstkontrolle und eine »Ideologie« des Selbst, der das Subjekt zu genügen hat […]: »In Erziehungsinsti- tutionen beispielsweise leitet man andere an und bringt ihnen bei, sich selbst anzuleiten« […] Der Fremdzwang wird durch die Aufforderung diskursiver Selbstreflexion und -beobachtung und durch die Selbstideologie des selbstverantwortlich und produktiv handelnden Subjekts ersetzt, das für seine Bildungsevolution, Schulbiographie und Lebensperspektive selbstverantwortlich zu sorgen hat.“165

In ähnlicher Weise bemerkt auch Käte Meyer-Drawe zu Foucault, „daß seine späten Schriften zur Sexualität und Wahrheit ganz und gar nicht als Rückkehr zur Subjektposition betrachtet werden “ können.166

In dem „Versuch einer Archäologie des Pädagogischen Blicks “ macht Meyer-Drawe in der von Foucault analy- sierten „Pastoralmacht “ und der hieraus sich entwi- ckelnden „Polizeywissenschaft“ eine historische Konstellation der Macht aus, nach deren Modell erzie- herische Praxis nach wie vor ausgeübt werde. Diese Form der Macht biete sich insbesondere einer der Auf- klärung verpflichteten Pädagogik insofern an, da „diese Macht in der ungebrochenen Option für Selbstbestimmung und Selbstfindung, also in der Previlegierung des Selbst “ kulminiere.167

Meyer-Drawe nimmt somit denselben Blickwinkel ein, dem auch diese Arbeit verpflichtet ist, wenn sie an die Verselbständigung und Therapeutisierung von Pädagogik und Schule die Frage heranträgt:

„Verfolgt der therapeutische Blick […] nicht diesel- ben Ziele, und hat er nicht dieselben Wirkungen wie die von ihm angeprangerten autokratischen Führungs- stile? “168

Ihre Antwort ist so eindeutig, wie ihr Text explizit nicht darüber hinausgeht, die Anregung zu geben, die produktive Bedeutung von Foucaults Analysen der „Technologien des Selbst“ für den pädagogischen Diskurs ernst zu nehmen:

„Bis in die immer noch aktuelle Forderung nach Erfah- rungsorientierung und Lebensnähe […] richtet sich der pädagogische Blick auf das innere der Seele und bringt diese dadurch erst hervor. Es geht also um Technologien der Selbstunterwerfung, die historisch unter dem Stichwort „Selbstbestimmung “ selbstver- ständlich und gleichsam unantastbar wurden. […] Das nicht problematisierte pastorale Machtverhältnis stattet das pädagogische Primat der Selbstbestimmung mit einem Humanismusvorschuß und mit einer quasi transhistorischen Selbstverständlichkeit aus, die eine durchgreifende Kritik der herrschenden Machtdispositive verhindern.“169

Zwei weitere Arbeiten, die zwar nicht als explizite pädagogische Foucaultrezeptionen bezeichnet werden können, sondern sich höchstens vereinzelt oder in der Wahl ihrer Begriffe auf Foucault beziehen, erscheinen mir dennoch sehr bemerkenswert. Bemerkenswert des- halb, da auch sie die gleiche skeptische Haltung ge- genüber der „Vermenschlichung“ und „Autonomisie- rung “ der Pädagogik einnehmen, die der in der vor- liegenden Arbeit eingenommenen entspricht. Zum einen denke ich an die von Friedrich Thiemann schon 1985 beschriebenen „Schulszenen“ , die „vom Herrschen und vom Leiden “ berichten. Dieser fragt sich:

„Die Schulen sind keine Militäranstalten, keine düsteren Strafanstalten mehr. Schul-Herrschaft erscheint kaum noch in Verboten, in Bestrafungen. Ist sie deshalb aufgehoben? “170

Der Erkenntnis, daß die herkömmliche „Lehr-Herrschaft nicht greift “ , die „im gymnasialen Prüfungsritual sich noch mitteilende Herrschafsmechanik […] ungeeig- net [ist -] zu sehr wird sie als Herrschaft sicht- bar “ - und daß sie deshalb die Träger des Wissens nicht erreiche, folge eine Technologie, die nach den Subjekten greife. Der Schulunterricht müsse vor allem „helfen, trösten, entwickeln. Sonst verschließen sich die Schüler in ihrem Inneren. “

„Technologien zur Öffnung der Subjekte entstehen. […] Und kaum gibt es noch Lehrer, die nicht einen Kurs in Gruppendynamik, Gesprächstherapie, themenzentrierter Interaktion oder in sozial-integrativem Management besucht hätten. Die Tendenz geht auf Thematisierung unterdrückter Erfahrungen. Im unterdrückten Erfah- rungszusammenhang liegt der Stoff begraben, der das subjektive Leben bewegt. […] Die unterdrückten Erfah- rungen sind der Rohstoff an dem zu arbeiten ist. […] Leicht täuschen wir uns und halten für pädagogischen Fortschritt, was nur Veränderung in der Mechanik der Herrschaft ist. […] [Die Schul-Herrschaft] nimmt die Seelen der Schüler als ihren Gegenstand auf, heizt den Diskurs über sie an. Der Diskurs ist das Medium, über den sich die gesellschaftliche Normalisierung vermittelt. […] Mit der Öffnung der Subjekte dringt die gesellschaftliche Normierungsabsicht in deren Zentrum, erhält Funktionen und entfaltet sich in ih- rer Alltagswelt. “171

Zum anderen denke ich an Alfred Schirlbauers „De- struktive Beiträge zur Pädagogik und Bildungspoli- tik “ . Glücklicherweise habe ich dieses Buch erst ge- lesen, nachdem ich diese Arbeit in weiten Teilen be- reits fertig gestellt hatte. Vielleicht hätte ich mich sonst nicht getraut, diese Arbeit überhaupt (noch) zu beginnen, zu sehr gibt es hier Überschnei- dungen in den Argumenten, Denkfiguren, dem Stil, den Feldern und Adressaten der Kritik - zudem bei Schirl- bauer vor dem Hintergrund eines profunden erziehungs- wissenschaftlich-philosophischen Grundwissens und mit dem konsequenten Mut zum elaborierten ironisch- polemischen Schreiben.

Bei Schirlbauer heißt es schon auf dem Klappentext: „Kein Zweifel: Die Schulkritik des 20. Jahrhunderts hat gegriffen. Die bestkritisierte Institution des Staates ist im Begriff nachzugeben. Zug um Zug. Die Leitvokabel für Schulreform lautet nicht mehr »Bil- dung«, auch nicht »Emanzipation«. […] Die neue Pro- grammvokabel heißt »Humanisierung«. Auf der Ebene der Organisationsgestalt von Schule präsentiert sich die- se wesentlich als Demokratisierung. Die Hierarchien werden flacher, die Organisation wird entbürokrati- siert und die Elemente des Systems autonomisiert. Auf der Ebene der Unterrichtsmethodik bedeutet dies die Karriere von ebenso schüleradäquaten wie lebensnahen Unterrichtsformen.“172

Die Interpretation, die Schirlbauer für eine solche „Humanisierung “ bereithält, ist tatsächlich vernich- tend. Sie läuft letztendlich darauf hinaus, daß an die Stelle der alten autoritären, Lebenschanchen ver- teilenden, Bildungsprozesse erzwingenden und insbe- sondere institutionalisierten Herrschaftsverhältnis- ses in der Schule eine therapeutisch-pädagogische Technologie trete, die, weit weniger institutionell gestützt, vielmehr von der Lehrer-Persönlichkeit in- kooperiert, letztendlich aber dieselbe Wirkung ent- falte. Es entstehe ein pädagogischer Ethos - also ei- ne Haltung und Grund für pädagogisches Handeln -, der sich nicht länger vom pädagogischen Eros herleite, sondern vielmehr eine als mach- und verordenbar ge- dachte, methodisch verfeinerte, didaktifizierte, reg- lementierte Psycho- und Sozialtechnologie darstelle. „anvisiert ist der Lehrer als Animateur selbständiger Schüleraktivitäten, als Fazilitator sozialer Prozesse, als Therapeut gestörter Kinderpersönlichkeiten, jedenfalls als Pädagoge, der die »ganze« Persönlichkeit des Kindes im Auge hat und für deren ganzheitliche Entwicklung Sorge trägt. “173

Diese Sozialtechnologie stehe der ehedem anzutreffenden Schul-Herrschaft in nichts nach, sie sei vielmehr noch effektiver.

Bei allem Respekt vor diesen Arbeiten und bei aller Übereinkunft, die sich ergibt, besteht allerdings noch eine entscheidende Differenz: Haben sowohl Thie- mann, als auch Schirlbauer primär die Aktivitäten des Lehrers im Blick, der sich mit den „humanen “ Techni- ken an die Schüler richtet, diese damit steuert, pä- dagogisiert und nach wie vor beherrscht, geht es mir vornehmlich darum, diese Technologien als welche der individuellen Führung zu verstehen, die in allen so- zialen Akteuren aufzurichten sind - sowohl in den Lehrern, in den Schülern, wie auch in der Organisati- on als kollektivem Subjekt - so daß diese jene Tech- niken, Regeln und Verfahren schließlich auf sich sel- ber anwenden und sich vermittels ihrer selbst regie- ren.

Zudem scheint es mir, im Gegensatz zu Thiemann und Schirlbauer, daß jene Techniken nicht etwa die Reak- tion und Verstetigung einer nach wie vor herrschenden Schul-Herrschaft sind, nicht deren strategisches Nachgeben gegenüber der Kritik mit dem Effekt ihrer Stabilisierung, auch nicht deren kosmetisch aufberei- tetes come-back. Es geht, glaube ich, nicht zuerst darum, zu zeigen, wie sich eine Schul-Herrschaft un- ter den Blicken der Schulkritik langsam verändert, aber im Grunde immer noch die eine herkömmliche Schul-Herrschaft bleibt. Wichtiger erscheint mir, darauf aufmerksam zu machen, daß es eben jene Kritik ist, die diese Technologien selbst und allererst hervorgebracht hat. Sie fördert damit eine Herrschaft zu Tage, die sich sicherlich mit jener alten verbindet, die aber nicht einfach deren Verlängerung ist. Ganz im Gegenteil kann sich diese neue Herrschaft immer auf ein kritisch-gutes Gewissen berufen und sich selbst als Befreiung denken.

Zum anderen geht es mir darum, erkennbar zu machen, daß diese kritisch-pädagogischen Verfahren und Tech- nologien nicht genuin pädagogische sind und nicht al- lein im pädagogischen Bereich eingesetzt werden. Vielmehr handelt es sich um allgemeine, z.T. staatli- che, in jedem Fall gesellschaftliche, insbesondere ökonomische Regulierungsverfahren, die vom pädagogi- schen Denken und Tun aufgenommen, reformuliert und integriert werden. Sie gewähren dem pädagogischen Be- reich vielleicht weit weniger Autonomie, als sie den pädagogischen Diskurs, das erziehungswissenschaftli- che Denken in seiner Autonomie beschneiden - und dies meint hier: in seiner Unabhängigkeit, seiner Hand- lungsentlastetheit, seiner Möglichkeit, die Form ei- nes „zweckfreien Spiels“ , die Form einer „fleißigen Muße “ annehmen zu können, die ihr Ziel in sich selbst hat.174

Um diesen gedanklichen wie praktischen Zusammenschluß von emanzipatorischen Selbst-Techniken und Techniken, die Zwang sicherstellen, dessen markanter Ausdruck das Selbstmanagement ist, verständlich zu machen, wird es nun vonnöten sein, den langen und lang ange- kündigten, vermeintlich rückwärtsgewandten Umweg ei- ner Analyse des Selbst-Begriffes zu begehen. Die Vor- stellung eines selbstidentischen Menschen und die sich hierauf beziehenden Techniken der Selbstverwirk- lichung werden am Beispiel von Carl R. Rogers und mit dem Instrumentarium von Foucault befragt. Es muß ers- tens gezeigt werden, inwiefern die Vorstellung eines selbstidentischen Selbst dazu dient, einen emphati- schen Begriff von Autonomie, von Freiheit und von Wahrhaftigkeit anzubieten, so daß diese Vorstellung als „Seele der Revolte “ verstanden werden kann: als Kritik an und Befreiung von Zwang und Herrschaft - nicht zuletzt demjenigen, den „die Ökonomie“ über uns ausübe. Es muß zweitens deutlich werden, wie die- ses Vorhaben schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist und in sich selbst zu demjenigen Machtspiel zu- rückführt und daran festhält, von dem es zu befreien verspricht; wie dieses Denken also in sich selbst niemals kritisch hat sein können. Es muß drittens und schließlich deutlich werden, wie es somit ein Leich- tes ist, die vermeintliche Revolte in jenes ökonomi- sche Machtspiel zu integrieren, welches zur Zeit die Form unserer Selbstführung zu diktieren beginnt.

Was hier versucht werden soll, ist also letztlich das anzudenken, was eine Kritik der Kritik geheißen wer- den könnte; ein Antihumanismu, der den Humanismus hinterfragt. Es geht darum, dessen Fundament zu un- tergraben. Es ist die Suche nach dessen Grund. Und dabei sage ich nicht einmal, ganz im Sinne Foucaults, daß alles schlecht ist, nur, daß überall Gefahren lauern. Zu fragen ist, inwieweit es dieser humanisti- schen Kritik gelungen ist, sich von demjenigen zu lö- sen, was sie so hartnäckig bekämpft und dabei im Stillen denkt und tut: herrschen.

Im Folgenden geht es dementsprechend nicht darum, das foucaultsche Œuvre umfassend zu referieren und zum wiederholten Male das zu sagen, was dieser uns - diesmal als Pädagogen - eigentlich zu sagen hatte.

Gegen eine solche Arbeit am Text hat sich Foucault stets verwahrt.

Foucault Skepsis wandte sich dabei primär gegen eine unter- stellte Intention des Autors und ihre notwendigen Beziehung zur Einheit dessen Werkes: gegen eine geforderte bruchlosen Konti- nuität der Werkes, welches dem Autor eine ebensolche einheitli- che Identität auferlegt.175 Dies ist aber nicht als ein Freibrief zu verstehen, der es erlaubt, die Texte vereinzelt und unter Mißachtung ihrer begrifflichen Ausarbeitung zu mißbrauchen. Dies erlaubt nicht, sich aus den Texten jeweils das Stück her- auszubrechen, welches man bedarf, um das zu beweisen und mit Autorität auszustatten, was man auch ohne Foucault schon wußte. Foucault hatte eher die Vorstellung, daß seine Arbeiten „ver- schiedenen Untersuchungen über die Normierungsmacht und die Formierung des Wissens in der modernen Gesellschaft als histo- rischer Hintergrund dienen “ sollen.176 In diesem Sinne versuche ich und habe ich bis hier hin versucht, Foucault - so umfas- send, wie für diese Arbeit nötig - zu lesen.

Es geht darum, die von Foucault bereitgestellten In- strumente für die Untersuchung einer pädagogischen Steuerungstechnologie und die sie grundierende Wis- sensformation zu benutzen oder besser: für eine spä- tere Benutzung zurecht zu legen. Entsprechend wird an einigen Stellen unklar bleiben, ob ich Foucault referiere oder meinem eigenen Gedankengang nachgehe. Auf indirekte Zitierweisen habe ich der Einfachheit der Formulierung halber weitgehend verzichtet. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß sich der Gedankengang auf eine intensive Foucaultlektüre stütz, ich also meine Foucault-Lesart vorstelle.

Foucaults Arbeiten sind immer historische Arbeiten. Wenn ich Foucault referiere, wird es streckenweise so wirken, als würde ich eine historische Entwicklung nachzeichnen, um allerdings im nächsten Moment in ei- ne ältere Epoche zu springen, wieder zurück und so fort. Ich verfolge keine historische Linie, ich ver- folge höchstens Foucaults persönliche Theoriege- schichte, d.h. die Entwicklung seines Schreibens mit seinen Windungen, Umwegen, Verwerfungen und Neuansät- zen. Denn auch Foucault wollte keine lineare Ge- schichte erzählen, sondern vielmehr gegenwärtige Probleme aus einer historischen Perspektive bearbei- ten.

Was ich also im Folgenden machen werde, wäre mit an- deren Worten wie folgt zu sagen: Am Beispiel einer Erörterung des Roger’schen Begriffs vom Selbst - wel- cher als Ausgangspunkt einer kritischen Pädagogik verstanden wird - werde ich versuchen, die Punkte aufzuzeigen, an denen sich dieser Begriff, aufgrund der Tautologien, die er zu fassen versucht, gegen er- klärte Absicht in sich selber festhält, sich selber paralysiert. Diese Paralyse besteht erstens in der Setzung eines Erkenntnissubjektes, welches sich in seiner Erkenntnis prinzipiell vollständig selbst ein- holt (Kapitel 4.); zweitens in der Implantation einer moralischen Instanz in dieses Subjekt, oder besser die Identifizierung des Subjektes mit dieser morali- schen Instanz. Diese Instanz wird dabei als eine ge- dacht, die in der Lage ist, über Gut und Böse zu richten, sofern sie sich frei und ungehindert entfal- ten kann; drittens und schließlich besteht die Para- lyse in der Annahme, daß das Gute an sich und damit der Widerstand gegen das Böse von diesem Subjekt ver- körpert wird. Damit ist diese subjektive Instanz stets von der „bösen “ Macht in ihrer Freiheit be- droht; das potentiell Gute immer in Gefahr, von der Macht unterdrückt zu werden. (Kapitel 6.)

Mit Foucault kann zunächst die historische Kontingenz dieser Selbst-Setzung, ihre Gewordenheit und somit Vergänglichkeit beschrieben werden. (Kapitel 5.) Des Weiteren kann gezeigt werden, daß jene moralische In- stanz zwar stets das Gute will, doch stets das Böse schafft, weil sie sich eben nicht als Teil von jener Kraft versteht, der sie zu widerstehen versucht. Es ist nämlich die (vermeintlich böse) Macht, die diese Instanz nicht etwa unterdrückt, sondern vielmehr pro- duziert. (Kapitel 7.) Es wird also verdeutlicht wer- den, inwiefern der widerständige kritische Impuls, den diese Instanz zu begründen versucht, schon im An- satz stecken bleibt, da er sich genau auf das beruft, was er kritisiert. Schließlich wird es ersichtlich sein, daß damit dem herrschenden Diskurs - und dies meint in diesem Fall eine pädagogisch angewandte neo- liberale Sozialphilosophie - Tür und Tor geöffnet ist, sich dieser kritischen Instrumente als Herr- schaftsmittel zu bedienen. (Kapitel 8.)

„Ich kann dieses Lebensziel […]

am besten mit den Worten Søren Kierkegaards darlegen: Das Selbst zu sein, das man in Wahrheit ist.”

Carl R. Rogers, 1979

4. DAS SELBST

4.1. Die Humanistische Psychologie

Seit Anfang der 40er Jahre beginnen einige Psycholo- gen zunächst im Osten der USA den herrschenden Dis- kurs der Psychologie ins Wanken zu bringen. Auf dem politischen Boden eines Rooseveltschen New Deal, der nach Weltwirtschaftskrise und dem Ausbruch des zwei- ten Weltkrieges, eine neue, wirtschaftlich starke und insbesondere demokratisch geeinte Nation versprach, konnten die Gedanken jener Humanisten bedeutsam ge- deihen. So hatte Roosevelt in der Antrittsrede zu seiner dritten Amtszeit das Wesen der Nation ganz in die Nähe des Wesen des Menschlichen gerückt.177

Ausgestattet waren besagte Psychologen mit aus Europa importierten Philosophien der Phänomenologie und des Existentialismus - Martin Heidegger, Martin Buber, Jean-Paul Sartre und insbesondere auch Søren Kierke- gaard finden sich in so mancher Fußnote. Unterstützt wurden sie von den aus Nazideutschland emigrierten Psychoanalytikern, wie Wilhelm Reich, E- rich Fromm, Alfred Adler, Frederick Perls und Ruth Cohn, ebenso von Carl Gustav Jung. Sich von der freudschen Doktin abwendend, machen sich diese als Analytiker der Individual- oder Ich-Psychologie einen Namen oder etablieren ganz eigene Therapierichtungen, wie die Gestalttherapie oder die Themen-Zentrierte- Interaktion.

Angetreten waren sie, um auf dem Feld der Psychologie ein eigenes Terrain zu gewinnen - ein Feld, welches gänzlich unter zwei psychologischen Schulen aufge- teilt schien, die für Fragestellungen und Zielsetzun- gen dieses neu erstarkenden Humanismus unaufgeschlos- sen waren: die positivistische Stimulus-Response- Psychologie und die orthodoxe Psychoanalyse. Als 1962 die American Association of Humanistic Psychology ge- gründet wird, steht in den Articles of Association zu lesen:

„Humanistic Psychology may be defined as the third main branch of the general field of Psychology […] and as such, is primarily concerned with those human capacities and potentialities that have no systematic place, either in positivistic or behavioristic theory or in classic psychoanalytic theory, e.g., creativi- ty, love, self, growth, organism, basic need- gratification, self-actualization, higher values, being, becoming, spontanity, play, humor, affection, naturalness, warmth, ego-transcendence, objectivity, autonomy, responsebility, psychological health, and related concepts.”178

Angetreten sind sie zudem, um die krankmachenden ge- sellschaftlichen Strukturen zu analysieren und ent- sprechende Therapieformen, und schließlich auch päda- gogische Konzepte, zu entwickeln, die keine Harmoni- sierung psychischer Störungen im Sinne der herrschen- den gesellschaftlichen Normen anstreben, sondern vielmehr „dem Menschen die Möglichkeit […] eröffnen, sein eigenes Selbst und seine persönliche Authentizität wiederzuentdecken ”179.

4.2. Carl R. Rogers

In selbigen Diskurs ist auch Carl R. Rogers einge- schrieben. Spätestens seit Ende der 70er Jahre enden seine Bücher regelmäßig mit einem Kapitel, in dem er die „Entstehung eines neuen Menschen ” beschwört, durch den die in Auflösung und Verwahrlosung begrif- fene Gesellschaft langsam und still revolutioniert - sprich evolutioniert wird.180 Er schreibt gleich ein ganzes Buch über diesen neuen Menschen181 und eines über die Bewegung der „stillen Revolution ” , an des- sen „vorderster Front ” jener steht182. Dieser Mensch sei ausgezeichnet mit bestimmten Wesenszügen, wie Of- fenheit, Verlangen nach Authentizität, Verlangen nach Ganzheit, einer unmittelbaren Verbundenheit mit der elementaren Natur, dem Zutrauen in eine innere Auto- rität.183

Die Einsichten, die Rogers in und über den neuen Men- schen gewonnen hat, entspringen weitestgehend seiner therapeutischen Arbeit und den hierin gemachten Er- fahrungen mit seinen Klienten. Es sind zum einen die Erfahrungen eines Therapeuten, der voller Empathie und Akzeptanz, im vollen Gewahrsein seiner eigenen Unvollkommenheit und Schwächen daran teil hat, wie Menschen sich in einem schmerzlichen Kampf zu dem entfalteten, was sie sein wollen. Es sind zum anderen die Erfahrungen eines Menschen, der in alternativen Schulprojekten gesehen habe, wie kleine Menschen in Freiheit lernen und aufwachsen, also in einem Klima der uneingeschränkten Affirmation, letztlich also um- geben von einer Haltung, wie sie auch den Klienten in der Roger'schen Therapie entgegengebracht wird.

Eine Bestätigung für die Entscheidung, einen Weg der Therapie und einer hieraus deduzierten Pädagogik einzuschlagen, in der den Menschen die Möglichkeit gegeben würde, zu sich selbst zurückzufinden bzw. sich zu verwirklichen, fand Rogers auch in der von ihm verehrten Existenz-Philosophie Kierkegaards:

„Der Entschluß, das Selbst zu sein, was man in Wahrheit ist, [ist] wahrhaft das Gegenteil von Verzweiflung. ”184

Was ist nun dieses Selbst in Rogers Theorie, welches sowohl seine therapeutische Tätigkeit anleitet, welches in seinen pädagogischen Schriften im Mittelpunkt steht und was letztlich auch seine revolutionäre Sozialphilosophie grundlegt ?

4.3. Das Selbst

Anfänglich war Rogers davon überzeugt, „daß das »Selbst« ein ungenauer, unklarer, wissen- schaftlich bedeutungsloser Begriff sei, der nicht mehr in den psychologischen Wortschatz gehöre seit der Abdankung der introspektiven Psychologie.”185

Dementsprechend verzichtete er in seiner Therapie auch auf alle tiefenpsychologischen Inter- pretationsverfahren, die versuchen, dieses Selbst zu entdecken. Dennoch machte er innerhalb der Therapie immer wieder die Erfahrung, daß seine Klienten diese Begrifflichkeit benutzen, um ihrer psychischen Ver- faßtheit Ausdruck zu verleihen. Es schien, als handle es sich bei jeglicher psychischen Störung, ins- besondere bei Neurosen, und selbst bei im psychiatri- schen Sinne gesunden, dennoch von ihrem momentanen So-Sein gequälten Menschen, um eine Beeinträchtigung, Blockierung oder Verzerrung der normalerweise intak- ten Struktur des Selbst. Dergestalt wurde der Selbst- begriff bei Rogers zur zentralen Verankerung und Stütze seines gesamten Theoriegebäudes.

4.3.1. Das wahre Selbst

4.3.1.1. Biologisch gesehen

Kommt Rogers auf das Selbst zu sprechen, sind Bilder aus der Tier- und Pflanzenwelt nicht fern. Überall sprießen Blumen und Bäume, innerlich bewohnt von der Tendenz und der Fähigkeit zu wachsen, zu reifen, zu blühen und sich fruchtbar zu entfalten. Wilde Tiger schleichen durch die Texte, die da sind, einzig um Tiger zu sein und nichts als Tiger. Sehr ausführlich widmet sich Rogers einem jungen Seeigel, der sich, von Forschern in einem frühen Entwicklungsstadium zweigeteilt, widererwarten nicht etwa als zwei halbe Seeigel weiterentwickelt. Vielmehr bildet sich eine jede dieser Hälften zur Ganzheit eines - wenn auch etwas kleineren, nichtsdestotrotz - normalen und vollständig funktionstüchtigen Individuums heraus. Dieses Experiment beweise, was man leicht übersehe, die Existenz einer „richtungsweisenden Selbstverwirkli- chungstendenz, die für jedes organische Wachstum charakteristisch ist. ”186

Entsprechend dieser Veranschaulichungen bindet Rogers das menschliche Selbst eng an den Organis- mus. Im Selbst drü- cke sich die „Weisheit des Organismus ” aus. In einem ersten Annäherungsversuch könnte man sagen, daß Selbst sei eine angeborene, statische Bewertungsin- stanz des Organismus, welche die von diesem gemachten sinnlich-körperlichen Kontakte, Eindrücke und Erfah- rungen mit der Außenwelt selektiert, kategorisiert und strukturiert. Je nach Befund wird eine adäquate Handlung eingeleitet bzw. eine Verhaltensdisposition formiert; ähnlich einer aufkeimenden Blume, die sich jener Richtung zuwendet, aus der kommend sie das Licht registriert. Die Bewertung verläuft entlang der Trennungslinie des Nützlichen und Erweiternden auf der einen Seite und des Unnützen und Hinderlichen auf der anderen Seite. Es wird diagnostiziert, ob etwas gut oder eben nicht gut für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Organismus sei. Gewählt wird stets das Gute in diesem Sinne.

Somit komme dem organismischen Selbst eine weitere Eigenschaft zu: die Tendenz der „Selbstaktualisie- rung ” .

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.7: Aktualisierungstendenz und See- igel

„Der Organismus hat eine grundlegende Tendenz, den Erfahrungen machenden Organismus zu aktualisieren, zu erhalten und zu erhöhen. ”187

Menschen, die sich gemäß der Aktualisierungstendenz ihres Selbst entwickeln, strebten „zu einem Sein, in dem man zunehmend seine eigenen Möglichkeiten ist188. Die Aktualisierungstendenz sei der Urgrund für Motivation, Aktivität und Kreativität. Nicht zu verwechseln mit einer simplen Triebabfuhr oder dem Vermeiden von Frustration oder Unlust, habe dieses regulatorische System durchaus höheres im Sinn. Der dynamische Zustand auf den es ziele, stimme mit den Eigenschaften überein, die dem eingangs erwähnten neuen, „sich voll entfaltenden Menschen“189 zukommen. Insbesondere die Fähigkeit, das volle Spektrum an möglichen organischen Erfahrungen wahrzunehmen - die folglich auch über den Intellekt und das Bewußtsein hinausweise - sei auf dieser Linie situiert. Rogers spricht in diesem Kontext von „awareness ” , dem Ge- wahr-Sein, dem ahnungsvollen Wissen um die allgemein- menschlichen und die einem von diesen individuell zu- kommenden Potentiale.

Trotz dieser Vergleiche aus Botanik und Zoologie und dieser ersten Beschreibungsversuche wäre es falsch, Rogers’ Konzeption des Selbst auf das simple Modell eines sich entfaltenden genetischen Codes - oder gar diesen selbst - auf ein schlicht angeborenes Pro- gramm, welches in Form der menschlichen Ontogenese abgespult wird, reduzieren und damit als einen plat- ten Biologismus denunzieren zu wollen. Liegen solche Deutungen bei verwandten Konzeptionen, etwa bei Mas- low190, durchaus nahe, so entschieden wehrt sich Ro- gers gegen solcherlei Mißverständnisse: Erstens sei das Selbst weder statisch noch substanziell zu den- ken. Der Mensch trage nicht in sich einen Keim, der sich alsdann zu einem Selbst entwickelt. Der Mensch habe kein Selbst, der Mensch sei das Selbst.191 Dieses sei nur als ein Prozeß vorstellbar, als ein ständiges Werden, genauer sogar nur als die Richtung dieses Prozesses. Ein Prozeß der Erfahrungsverarbeitung, und in dieser Erfahrungsverarbeitung ein sich stets wan- delnder Prozeß.

„The self is the experiencing, the ongoing process, changing from moment to moment. ”192

Somit habe das Selbst, zweitens, auch keine festste- hende Richtung, kein zu erreichendes Endziel. Kein zu erlangender Aktualisierungs-Zustand winkt in diesem Sinne mit Ruhe und Stillstand. Das Selbst ist kein Plan, der sich früher oder später erfüllt und ein- löst. Das Selbst sei vielmehr die ewige Bewegung, der niemals endende Prozeß des Erfahrungen-machens selbst.

Also sei das Selbst, drittens, nicht ohne den Einfluß einer Außenwelt-Erfahrung zu denken. So sehr das Selbst auch wie ein „innerster Kern ” wirkt, so sehr seine integrierte und geordnete Form immer erhalten zu bleiben scheint, so sehr befinde es sich dennoch in einem ständigen von äußeren Reizen initiierten Wandlungsprozeß.

4.3.1.2. Phänomenologisch gesehen

Ein wenig Klarheit innerhalb des teils widersprüchli- chen Gewimmels von vielfältigen Umschreibungen, die Rogers für seinen zentralen Begriff vorbringt, kann vielleicht die Vorstellung eines „phänomenologischen Feldes ” stiften. Zu Beginn seines präzisesten Versu- ches, seinen Selbstbegriff zu definieren, stellt Ro- gers fest, daß ein jegliches Individuum innerhalb ei- ner sich stetig ändernden Welt der Erfahrung stehe, dessen konstanter Mittelpunkt es sei.193 Auf diese Er- fahrungen reagiere der Organismus auf die eine oder andere Weise. Logisch zwingend, dennoch hypothetisch, besitze deshalb jeder Mensch ein angeborenes inneres organismisches Bezugssystem, vollziehe einen Prozeß des Wertens, der die verstreuten Erfahrungspartikeln zu konsistenten Wahrnehmungen bündele. Im Zuge dessen organisiere das Individuum ein Wahrnehmungsfeld, es konstituiere ein „phänomenologisches Feld “ . Anders ausgedrückt: die körperlich-sinnlichen Erfahrungen würden in diesem Feld symbolisiert. Mit Rogers kann auch von einem Bewußt-Werdungs-Vorgang gesprochen werden. Was im phänomenologischen Feld erscheine, sei für das Individuum Realität.

Das Selbst wäre somit als jener Vorgang, eben jener natürliche Bewertungs-Prozeß zu verstehen, in dem die auf das Individuum zufällig eintreffenden Erfahrungen gleichsam durch ein inner-individuelles Raster, einen organismischen Filter, eine Schablone hindurchfallen und sich dahinter auf einem hierdurch strukturierten Wahrnehmungsfeld anordnen. Das Selbst ist somit nicht das Wahrnehmungsfeld selbst, sondern dasjenige, wel- ches in Anbetracht der kontingenten subjektiven Er- fahrungen, ein solches organisiert. Man könnte von dem Selbst auch als einem individuellen, subjektiven Medium sprechen. Das derart etablierte Abbildungs- bzw. Repräsentationsverhältnis, die Realation von Selbst und Wahrnehmungsfeld präfiguriert nunmehr alle weiteren Symbolisierungen. Es wird somit zur Eigenart individueller Wahrnehmung und der daraus resultieren- dem Verhaltensdisposition einer Person. Erfahrung, Bewertung, Wahrnehmung und handelnde Person fallen hier - und das heißt im Idealfall - in eins. Das Selbst garantiert damit eine unmittelbare und subjek- tiv-einzigartige Wahrnehmung von Welt. Das Selbst wä- re damit das unmittelbare Medium.

So kann sich Rogers zu recht gegen undifferenzierte Biologismen, aber auch einen strikten Kulturalismus, abgrenzen und sagen:

„Verhalten wird nicht durch biologische oder kultu- relle Faktoren direkt beeinflußt oder determiniert, sondern in erster Linie durch die Wahrnehmung dieser Faktoren.”194

4.3.2. Das falsche Selbst

Damit sind die Unklarheiten, die einen bei der Ro- ger'schen Lektüre befallen können, allerdings mit- nichten ausgeräumt. In dem urwüchsigen Dickicht die- ses Denkens stößt man zu häufig auf ein Selbst, daß mit dem soeben umrissenen so gar nichts gemein zu ha- ben scheint, ihm gänzlich fremd ist, mit den bisher gemachten Vorstellungen beileibe nicht übereinstimmt. Der Entwirrung nicht gerade dienlich, wird es zumeist unterschiedslos als Selbst bezeichnet, ein anderes mal als „ Selbst-Konzept “ . Klare Oppositionen ergeben sich, wenn zwischen „Self-as-process ” und „Self-as- object ” , oder zwischen „wahrem “ u nd „falschem Selbst “ unterschieden wird. Hier findet sich nun nicht etwa eine Antinomie Roger’schen Denkens. In diesem Widerspruch ist vielmehr Rogers’ Verständnis von Gesundheit und Krankheit, Freiheit und Herr- schaft, wahrem und falschem Leben grundgelegt. Die vom Selbst organisierte Wahrnehmungsordnung bilde nämlich, wie erläutert, die erfahrene Außenwelt mit all ihren Dingen, den Mitmenschen und deren vielfäl- tigen Beziehungen untereinander unmittelbar als sub- jektive Realität ab. In den Erfahrungshorizont, und damit in die Bewertungsarbeit des Selbst, trete nun zudem die eigene Person, das Selbst selbst. Das Selbst als Bewertungsprozeß werde sich selbst zum Ob- jekt. In diesem Moment entstehe Selbst-Bewußtsein.

Hier trifft sich Rogers Konzept mit dem des Symbolischer Inter- aktionismus nach Georg Herbert Mead. Die Genese von Selbstbe- wußtsein, die Genese eines selbstreflexiven Selbst, einer indi- viduellen Identität situiert dieser allerdings innerhalb des sozialen Prozesses. Es ist nicht ein selbstgenügsames organis- misches Selbst, welches sich unmittelbar selbst abbildet, es sind vielmehr die Reaktionen der anderen innerhalb der durch signifikante Symbole getragenen Interaktion, innerhalb der in- tersubjektiven Kommunikation, vermittels derer das Selbst auf sich selbst zurückgespiegelt wird. Einzig von dieser geselligen Struktur aus erschließe sich ein Verständnis für die menschli- che Psyche. Meads Sozialbehaviorismus stellt sich somit der Aufgabe, „den Mechanismus aufzuklären, durch den in der mensch- lichen Interaktion ein Bewußtsein von der Bedeutung sozialer Handlungen hat entstehen können “ .195

Entscheidendes Element dieses Mechanismus sei die nur dem Men- schen gegebene Lautgebärde. Dieser Verhaltensweise eigne die Möglichkeit, sowohl eine Reaktion eines artgenössischen Gegen- über auszulösen, als auch die diese Reaktion auslösende Geste in gleicher Weise selbst wahrzunehmen wie dieses Gegenüber. Die Lautgebärde wird nämlich von dem sie äußernden Individuum „e- benso vernommen, wie von den anderen Lebewesen “196. Sie habe da- mit eine gemeinsame Bedeutung. Die Lautgebärde, das signifikan- te Symbol, stelle somit die Möglichkeit bereit, daß eigene Ver- halten aus der Reaktion des anderen zu erkennen. Das Individuum könne sich durch die Reaktion des anderen selbst zum Objekt ma- chen. Aufgrund der Möglichkeit des Perspektivenwechsels, der Übernahme der Rolle des anderen, des „role-taking“ , sei das In- dividuum sich selbst als „ME “ gegeben. Diese Selbst-Beziehung sei also keine unmittelbare, daß Individuum könne sich selbst vielmehr nur aus einer exzentrischen Position, nur in der Erin- nerung, als „historische Figur“ erkennen.197

Wie für Rogers‘ Konzept beschrieben sei die organis- mische Erfahrung der Welt, im „Normalfall ” mit der symbolisierten Wahrnehmungsstruktur identisch. Dies gilt auch für die Selbst-Wahrnehmung des Selbst. Nur diese wird mich im Folgenden interessieren. Der An- nahme der Identität an se, daß, wenn der Org bestimmten Situation Person als einen Mensc eignet,zse Erleben a als eine Person wahrne hat. Die Person entwickelt ein Bild ihrer Selbst. Dieses „Selbst-Konzept “ organisiert jene Attribute, die ein Individuum an sich selbst wahrnimmt, die sie sodann als zu sich gehörig ansieht: Ihre Vermögen und Schwächen, ihre Vorlieben und Abneigungen, ihre Lüste und ihr Begehren. Dieses Bild leitet sich unmittelbar aus der organismischen Erfahrung ab, die die Person mit sich selbst macht. Mit anderen Worten: das Ich- Ideal, wäre demnach eine Funktion des Ich, welches ontogenetisch wie logisch vorgängig und somit dem le- benden Organismus verbundener sei als jenes.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.8: In-Kongruenz

Die organismische Selbst-Erfahrung werde im beschrie- benen „Normalfall ” eins zu eins in der Selbst- Wahrnehmungsstruktur, im Selbst-Konzept, symboli- siert.198 Das Selbst-Konzept entspreche damit dem Teil des phänomenologischen Feldes, welcher sich auf das Selbst bezieht; es entspricht dem Selbst als einem wahrgenommenen Objekt im Erscheinungsfeld. Das wahr- nehmende Selbst ist dem wahrgenommenen Selbst iden- tisch; zumindest idealerweise, d.h. unter noch zu be- stimmenden Umständen.

Es seien nämlich Umstände vorstellbar, und auch durchaus real, unter denen die Symbolisierung nicht in einer solchen Gleichung vollzogen werden kann. Bisweilen seien die gemachten oder vermeintlichen Er- fahrungen seiner selbst nämlich derart aufdringlich oder gar von außen gewaltsam aufgezwungen, daß sie gewissermaßen die Bewertungsschablone durchschlagen und sich als unnatürliche, künstliche Verinnerlichun- gen in der Selbststruktur festsetzen. Oder aber umge- kehrt seien die gemachten Erfahrungen seiner selbst für die bereits etablierte, von aufgenötigten fal- schen Introjekten besetzte Selbst-Struktur so bedroh- lich, daß sie nicht zugelassen werden könnten. Die Erfahrungen würden verzerrt symbolisiert, das SelbstKonzept würde von der Deckungsgleichheit mit dem erfahrenen Selbst verrückt. Selbst und Selbst-Konzept, organismische Selbst-Erfahrung und Selbst-Struktur seien nicht mehr „kongruent ” . Die Erfahrung der „Inkongruenz “ wird zur zentrale Frage, um die sich Rogers Theorie und Therapie dreht.

Mit voranstehender, leicht vereinfachter, Zeichnung (Abb.8) veranschaulicht Rogers diesen Zustand: a, b und c stehen für Erfahrungselemente, die sich entweder allein in der Erfahrung (c in III) oder in der Selbst-Struktur (a in II) auffinden las- sen, oder aber in beiden, in deren Schnittmenge (b in I). Das Element b entspringt der Erfahrung des Organismus. Diese Selbst-Erfahrung kann voll wahrgenommen und bewußt gemacht wer- den, die Person wird dieser Erfahrung gewahr. Folglich kann sie problemlos im Selbstkonzept integriert werden. Es besteht eine Identität zwischen Selbst und Selbst-Wahrnehmung, wie in den oben beschriebenen Ideal-Beispielen. c steht für die Erfahrung jener Attribute, die der Person eigentlich zukommen und somit in der Selbst-Erfahrung gegeben sind, eine Erfahrung aber, die nicht wahrgenommen werden kann, die blockiert und im Selbst- Konzept nicht symbolisiert wird. Die Erfahrung c muß vor der Selbststruktur geleugnet werden, weil sie die Selbststruktur in ihrem Gewordensein und ihrem Erhalt bedroht, insofern die Er- fahrung der etablierten Selbststruktur widerspricht, mit dieser nicht vereinbar ist. Diese Selbststruktur aber hat sich - bei Menschen, die im Zustand der Inkongruenz leben - nicht als ein Effekt der Selbst-Erfahrung durch den Organismus entwickelt, sondern ist beherrscht von vermeintlichen Erfahrungen, wie sie von a repräsentiert werden. a ist eben nicht als organismische Erfahrung ins Selbst-Konzept gelangt und dort verankert, wie etwa das Erfahrungselement b, sondern es handelt sich vielmehr um ein „introjiziertes ” Element, also um ein solches, welches der Person von seiner Außenwelt ans Herz gelegt, eingeredet, aufgezwungen, eingetrichtert, instruiert wurde und schließlich von der Person verinnerlicht, internalisiert, einverleibt, also zum eigenen Selbst gehörig wahrgenommen wird. Diese Introjekte, diese aufgezwungene Verkennung der organismischen Bewertung, seien es, die eine kongruente Wahrnehmung, also die Akzeptanz des Erfahrungs-Elementes c verhindern.

Der Zustand der Inkongruenz, d.h. einer Differenz zwischen bewußter Selbst-Struktur und -Erfahrung wi- derstrebe der Aktualisierungstendenz und führe zu ei- ner inneren Spannung. Diese Kluft sei gleichbedeutend mit der Neurose.199 Es sei jenes Gefühl, welches Ro- gers’ Klienten mit dem Nicht-eins-Sein mit sich selbst beschreiben. Folglich spricht Rogers von einer psychischen Fehlanpassung, die vorliege, „wenn der Organismus vor dem Bewußtsein wichtige Kör- per- und Sinnes-Erfahrungen leugnet, die dementspre- chend nicht symbolisiert und in die Gestalt der Selbststruktur organisiert werden. Wenn diese Situa- tion vorliegt, gibt es eine grundlegende oder potentielle Spannung. ”200

4.4. Paralyse der Selbstsetzung

Es wurde versucht zu zeigen, wie Rogers sich bemüht, seinen Selbstbegriff weder an eine Vorstellung von einer angeborenen, biologischen, triebhaften, statischen psychischen Substanz zu binden, noch an die Vorstellung, die Psyche sei einzig das Produkt einer fortwährenden sozialen oder kulturellen Konditionierung. Dies entspricht annäherungsweise der Stellung der Humanistischen Psychologie zwischen traditioneller Psychoanalyse und Behaviorismus.201

Das Verhalten einer Person ist laut Rogers keineswegs determiniert, weder durch ein natürlich festgelegtes Programm, noch durch unveränderbar prägende Gesell- schaftsstrukturen. Das Selbst wird erst durch die in- dividuelle Verarbeitung von in ihrem Auftreten unvor- hersehbaren Umwelt-Erfahrungen, Selbst-Erfahrungen und deren Zusammenspiel, in Form der Selbst-Struktur manifest. Es ist weder einfach Produkt dieser äuße- ren, noch einer inneren Realität. Vielmehr geht es aus dem gegeseitigen Wechselspiel zwischen einer Er- fahrung eines Außen und dessen Wahrnehmung durch ein Innen hervor. So ist es stets neu, ständig in Wand- lung begriffen und kann deshalb wiederum verändernd ins Feld dieser Erfahrungen eingreifen. Nicht umsonst verweist Rogers unermüdlich auf den fließenden, offe- nen, prozessualen Charakter des Selbst. Das Selbst steht als Garant für diese Veränderlichkeit.

Bleibt die Frage, ob der Vorstellung einer innerli- chen Instanz, die die Wahrnehmung einer äußerlichen Realität organisiert und im Zuge dessen auch die Wahrnehmung ihrer Selbst, die damit die Genese einer Selbst-Struktur erwirkt, nicht notwendig die Vorstel- lung eines unveränderlichen, statischen Kerns imma- nent ist?

In dem Moment, in dem die innerpsychische Realität Teil der Erfahrung wird: wenn sich also das Selbst selbst in der Erfahrung einzuholen versucht und wenn es dabei meint, in dem erblickten Bild seiner selbst das originalgetreue Abbild einer originären Ganzheit zu erblicken, die sich damit gänzlich selbst im Blick hat, dann wird etwas vorausgesetzt, was das Selbst ist, um sich selbst in der Erfahrung gegeben zu sein und wiederum durch die eigenen konstitutiven Leistun- gen zu einer Wahrnehmung seiner selbst zu werden.

Um dieser tautologischen Paralyse zu entfleuchen, be- hauptet Rogers zwar, daß das Selbst nicht gewußt oder erkannt, nicht erfaßt werden kann; weder von irgend- einer Wissenschaft, noch von dem Individuum selbst, in dem es wohnt. Dieses kann das Selbst nur erleben, besser sogar nur leben. Zunächst abgesehen davon, daß alle wissenschaftlichen Bemühungen Rogers’ danach streben, das Selbst eben doch auf den Begriff zu bringen und er dabei sein eigens verhängtes Bilder- verbot bzw. die Einsicht, daß dieses Streben das Un- sagbare zu sagen versucht, ein ums andere mal über- geht - davon einmal abgesehen, wenn also alles objek- tive Wissen und jede Erkenntnis sich in der Relativi- tät der subjektiven Wahrnehmung verliert, eins ist gewiß: Es gibt diese natürliche, eigentliche, angebo- rene, subjektive Wahrnehmung, die sich in dem Akt der Wahrnehmung unmittelbar selbst wahrnimmt. Dies ist die erste Determinante, auf der das Selbst allen Be- teuerungen zum Trotz aufsitzt: die ontologische Ge- wißheit, daß das Selbst ist; und zwar weil es sich im Akt der Wahrnehmung selbst setzt.

Auch hier gibt es Überschneidungen mit dem Symbolischen Inter- aktionismus. Mit der durch gesellschaftliche Kommunikationspro- zesse konstituierten Figur des „ME “ , mit jenem Anteil der Per- son also, in Form dessen sich das Subjekt als gesellschaftliche Objektivierung selbst gegeben ist, ist das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft nämlich noch nicht hinreichend ge- klärt. Es bleibt offen, wie es bei dieser einseitigen Anpassung des Individuums an überkommene gesellschaftliche Wahrnehmungs- weisen zu Innovationen im gesellschaftlichen Prozeß einerseits kommen kann und andererseits zum Andrang von Impulsen im Indi- viduum, die der individuellen Kontrolle unterliegen oder - die- ser entglitten - zu abweichendem sozialen Verhalten führen. An dieser Stelle greift Mead auf ein ursprüngliches, dem „ME “ vor- gängiges „I “ zurück. Dieses „Ich “ wird in seiner Konzeption zum Motor des gesellschaftlichen Prozesses, zum Ursprung der Veränderung. Es ist die Kreativität des Künstlers, der Erfin- dungsreichtum des Wissenschaftlers, der Ideenpool des Dichters, kurz: die Quelle des Unkonventionellen. Das Ich überschreitet die gegebene Gesellschaftsordnung, emanzipiert sich von Konven- tionen durch die Antizipation einer transzendenten, umfassende- ren, seine ureigensten Impulse einschließenden neuen Ordnung - einzig gebunden an die Gesetztmäßigkeiten der Kommunikation, das logische Universum, in der die universelle Vernunft herrscht.

Dieses Ich war implizit in jener Interaktion, deren Effekt das „ME “ ist, schon enthalten, insofern es als spontaner, ursprüng- licher Impuls für jene (kommunikative) Handlungen auftrat, wel- che die Reaktionen des anderen provozierte. So schließt diese Interaktion ein fiktives „Ich“ ein, das sich - durch die Tatsa- che, daß es sich mit anderen sprechen und antworten hört - ein Objekt, ein anderer für sich selbst, ein ME wird. Dieses „Ich “ bekomme sich selber zwar nie in den Blick, ist aber stets not- wendig als existent vorausgesetzt.202

Weil er empirisch- transzendentale Dublette ist, ist der Mensch auch der Ort des Verkennens Michel Foucault, 1971

5. DIE SCHICHTUNGEN DES SELBST ARCHÄOLOGIE DER HUMANWISSENSCHAFTEN

Man kann nun der Evidenz die- ses anthropologischen und on- tologischen Glaubenssatzes beipflichten und sein Denken oder sich aber die Frage stel- len, „die zweifellos abwegig erscheint, in solchem Maße ist sie in Diskordanz mit dem befindlich, was histo- risch unser ganzes Denken möglich gemacht hat. Diese Frage bestünde darin, ob der Mensch wirklich exis- tiert. ”203

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.9: Der Traum der Ver- und Handeln daran ausrichten nunft

Diese Frage, ob „man über den Menschen nur noch phi- losophieren kann, insofern er ein homo natura204 ist, stellt Michel Foucault in einem Durchgang durch die Geschichte jenes abendländischen Denkens, welches den Menschen als ein lebendiges, arbeitendes und sprechendes Subjekt konstituiert hat: das Denken, welches Foucault als die Humanwissenschaften an- spricht. In der Rolle eines Ethnologen der eigenen Kultur versucht er, die Abfolge der diskontinuierli- chen, durch jähe Brüche von einander getrennten und in sich verschlungenen großen relationalen Gefüge der Aussagen, der Bedeutungsökonomien, zu rekonstruieren, zu denen sich das Denken seit der Renaissance grup- piert hatte. Genauer noch: in der Rolle des Archäolo- gen, also desjenigen der mit Hammer und Meißel nach den verstreuten Aussage-Fragmenten vergangener Zeiten gräbt. Die so gefundenen Spuren werden in dieser Ar- beit aber nicht zu Dokumenten transformiert, indem man ihnen ihren verborgenen oder verlorenen Sinn ent- lockt oder zurückgibt, sie werden vielmehr als eine Masse von Monumenten „ entfaltet, die es zu isolieren, zu gruppieren, passend werden zu lassen, in Beziehung zu setzen und als Gesamtheiten zu konstituieren gilt. “205 Es geht um die stimmige Anordnung elementa- rer Funktionseinheiten, nicht um die Rekonstruktion hermeneutisch gewonnener Sinnzusammenhänge. Foucault versucht also in methodischer Nähe zu dem ihm zeitge- nössischen Strukturalismus der 60er Jahre, jene Tie- fenstruktur des Denkens, jene episteme, jene sprach- lichen Strukturen freizulegen, die allein dem diffe- renziellem Spiel der Zeichenelemente geschuldet sind - ohne einer Wesenheit der Dinge an sich oder eines sinnstiftenden Subjekts zu bedürfen - und auf deren Grundlage sich die Ordnung der Dinge 206 allererst her- stellt.

Bei dieser archäologischen Schürfarbeit schält sich nun schließlich die Erfahrung heraus: im Klassischen Zeitalter, vor der französischen Revolution, vor dem Anbruch eines aufgeklärt modernen Denkens, also „vor dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts existierte der Mensch nicht ” . Vielmehr ist er „eine völlig junge Kreatur, die die Demiurgie des Wissens eigenhändig vor noch nicht einmal zweihundert Jahren geschaffen hat. Er ist aber so schnell geal- tert, daß man sich leicht vorgestellt hat, daß er während tausenden von Jahren im Schatten den Moment seiner Beleuchtung erwartet hat, in dem er schließ- lich bekannt wurde. ”207

Zweifellos war es auch innerhalb der klassischen e- pistemischen Ordnung möglich, den Menschen wissen- schaftlich zu thematisieren: seine Vorstellungskraft, sein Erinnerungsvermögen und seine Bedürfnisse waren problematisierbar und vorstellbar. Doch konnte er nicht als Subjekt der Repräsentation seiner selbst auftauchen, insofern er selbst nicht als ein endli- cher Teil der Natur, einer natürlichen Ordnung analy- sierbar war. Zu dieser hatte er vielmehr eine exter- retoriale ordnende Position inne. Somit konnte der Mensch nicht in jenen Blick geraten, der ihn zum Ob- jekt der eigenen Repräsentationsleistung werden ließ.

„Der Mensch als dichte und ursprüngliche Realität, als schwieriges Objekt und souveränes Subjekt jeder möglichen Erkenntnis findet darin keinen Platz. Die modernen Themen eines gemäß den Gesetzen einer Ökono- mie, Philologie und Biologie lebenden, sprechenden und arbeitenden Individuums, das aber in einer Art innerer Verdrehung und Überlappung durch das Spiel dieser Gesetze selbst das Recht erhalten hätte, sie zu erkennen und völlig an den Tag zu bringen, alle jene Themen, die uns vertraut und mit der Existenz der »Humanwissenschaften« verbunden sind, werden durch das klassische Denken ausgeschlossen. Es war zu jener Zeit nicht möglich, daß sich an der Grenze der Welt jene eigenartige Gestalt eines Wesens erhebt, dessen Natur (die es determiniert, es festhält und seit der Tiefe der Zeiten durchdringt) es wäre, die Natur und infolgedessen sich selbst als natürliches Wesen zu erkennen.”208

Das moderne Denken eröffne nun diese Möglichkeit, daß der Mensch sich selbst sowohl als endliches natürliches Wesen analysierbar und erkennbar, als auch zum Urheber dieser Erkenntnis wird; sich selbst zugleich als Gegenstand der Erfahrung gegeben, wiewohl die Bedingung der Möglichkeit dieser Erfahrung ist. Diese Möglichkeit werde erkauft, indem der Mensch jene fragwürdige Position einnimmt, „als Objekt für ein Wissen und als Subjekt, das er- kennt: Unterworfener Souverän, betrachteter Betrach- ter ”209.

Mit anderen Worten, der Mensch werde zu einer zwei- felhaften empirisch-transzendentale Dublette 210. Die Frage nach dem Ursprung, die Frage: Was ist der Mensch? wird dadurch scheinbar beantwortbar, daß ein empirisches Subjekt mit einem transzendentalen iden- tifiziert wird. Dieser Doppelmensch dreht sich fortan in einem unentwegten salto mortale um sich selbst und wird zum Treibstoff, zum Ehrgeiz der Humanwissen- schaften. Es beginnt mit der Moderne eine ungebremste Wissensanhäufung, ein fiebriges Sammeln empirischen Wissens, in dem sich der Mensch selbst zu finden hofft. Es entsteht ein Wille zum Wissen. Die Moderne ist ein ewiges Hase und Igel-Spiel, wo das, welchem mensch nachjagt, immer schon da ist, und zwar nicht da, wo mensch es vermutet, nämlich längst eingeholt. Um das Spiel zu gewinnen, hätte der Hase unterschei- den können müssen und nicht in der Differenz der Igel das Identische sehen dürfen. Das moderne Denken hat den Punkt, vom dem es losläuft unwiderruflich mit dem Zielpunkt verschmolzen, an dem es den Menschen zu finden glaubt.

Der Mensch selbst werde dadurch unscharf und verliere sich in der unendlichen Bewegung. Damit verliert sich ebenso der Grund und Garant für wahre Erkenntnis. Wie sich das Subjekt als historisch kontingente Figur wiederfindet, ist auch Wahrheit nicht länger als ewi- ge zu denken.

Der innerste Kern der menschlichen Natur, […] ist von Natur aus positiv - von Grund auf sozial, vorwärtsgerichtet, rational und realistisch. Rogers, 1973

6. DAS FREIE UND GUTE SELBST

6.1. Analyse der Selbstsetzung

In dieser zirkulären Denkbewegung - die den Humanwis- senschaften, unter welchen die Psychologie bzw. die Pädagogik eine par excellence ist, so vertraut wie für sie konstitutiv ist - ist nun unschwer das Funda- ment der Humanistischen Psychologie wiederzuerkennen. So kreist auch Rogers‘ Denken um sich selbst, ist doch sein „Selbst ” grundlegend für jegliche Erfah- rung, die es als unmittelbare Wahrnehmung symboli- siert, und gleichzeitig in dieser Leistung der Erfahrungsverarbeitung für sich selbst erfahrbar. Das Selbst ist die Bedingung der Möglichkeit der (Selbst)Erkenntnis, wiewohl deren Objekt.

Ein so gedachtes Selbst kann aber laut Foucault weder ein Apriori der Erkenntnis abgeben, noch ermöglicht es dem individuellen empirischen Subjekt sich letztgültig zu erkennen und zu begründen.

„In unserer heutigen Zeit kann man nur noch in der Leere des verschwundenen Menschen denken. Diese Leere stellt kein Manko her, sie schreibt keine auszufüllende Lücke vor. Sie ist nichts mehr und nichts weniger als die Entfaltung eines Raumes, in dem es schließlich möglich ist zu denken. “211

Auch in die vermeintliche Einheit des individuellen Ich-Selbst bricht die Leere herein. Das moderne In- dividuum ist selbst nur eine Erfindung der Humanwis- senschaften. Es ist immer schon Dividuum. Das Selbst ist immer und notwendig einer grundlegenden Spaltung unterworfen. Es ist durch einen grundsätzlichen Man- gel gekennzeichnet. Es ist notwendig „Ort des Verkennens “212.

Doch soll hier nicht dem erkenntnistheoretischen Problem nachgegangen werden, welches sich aus jener menschlichen Verdopplung ergibt. Es soll zunächst nur deutlich werden, daß der ontologische Grund, auf dem sich der Mensch - nicht zuletzt der Roger’sche - so sicher wähnt, ein brüchiger ist. Die Möglichkeit des modernen Denkens, den Menschen als Subjekt, das sich selbst zum Objekt wird, zu denken, ist eine histo- risch gewordene, gar eine junge. Sie ist weder einer göttlichen Vorsehung geschuldet, noch einer Natur des Menschen, ebenso wenig einer universellen Vernunft. Sie ist das Produkt der Regelmäßigkeiten von diskur- siven Formationen, der Funktionsgesetze der Aussage. Sie ist ein Aufwurf auf dem veränderlichen tableau des Wissens. Sie ist eine Laune der mit der Differenz spielenden Signifikanten. Wie die Bedingung für diese Möglichkeit geworden ist, wird sie auch wieder ver- schwinden.

Zum anderen und insbesondere sollte deutlich werden, daß diese Bedingung in der unglücklichen Konstruktion besteht, empirisches und transzendentales Subjekt in- einander zu verschlingen, sie in eins zu schieben, sie miteinander zu identifizieren. Damit sind die em- pirischen Subjekte an die Kette des Transzendentalen gelegt. Sie werden zu Darstellern einer in bestimmter Weise definierten, erfahrungs-wissenschaftlich kon- struierten Subjektform. In einer unerschütterlichen performance ihrer Selbst sind sie genötigt, echt und natürlich zu erscheinen, wobei sie nur oder gerade weil sie nur Ableitungen, modulierte Spielarten, Rep- räsentationen eines transzendentalen Meta-Subjektes sind.

Umgekehrt ist die historisch-konkrete Herkunft der gegenwärtigen empirischen Subjektivitäten von diesem Denken nicht mehr als eine historisch kontingente zu erkennen. Die jeweils historisch dominante - und das heißt im Rahmen einer Normalverteilung empirisch am häufigsten anzutreffende - Subjektform wird notwendig zur universalen ahistorischen anthropologischen Kon- stante vereinheitlicht; das Andere aus ihr ausgeglie- dert. Oder sie wird umgekehrt zum Zerrbild, zur De- formation eines ursprünglichen Anderen deklariert. Von hier aus Entspannt sich ein unentwegter Dualismus von gut-böse, krank-gesund, normal-anormal, frei- unterdrückt etc.

„Die Deutschen glauben sich am Gipfel der Komplexi- tät, wenn sie sagen, daß sie zwei Seelen in ihrer Brust tragen; sie haben sich in der Zahl etwas ge- täuscht.“213

Die Frage, die nun zu stellen ist, bestet darin, was Rogers motiviert oder nötigt eine ursprüngliche, rei- ne, kongruente Einheit des Selbst anzunehmen, die hernach und unter bestimmten Bedingungen in eine nicht-kongruente Spannung zu sich selbst tritt. Was nötigt ihn die Differenz von einer wesentlichen Iden- tität her zu denken? Warum muß er das Selbst als ei- nes begreifen, welches einer nachträglichen Trennung und Teilung unterworfen ist?

6.2. Paralyse der Trennung

Hatte sich Rogers immer wieder bemüht, das Selbst als nicht festgelegt, als nicht determiniert, sondern als wandelbar darzustellen, so ergibt sich diese Dynamik allein daraus, daß er der empirisch-transzendentalen Verschlingung, dem Weg des um sich selbst gedrehten Subjekts auf Schritt und Tritt folgt, ohne sich frei- lich von der Stelle zu bewegen. Das Selbst versucht er weder gänzlich in der Erfahrung, noch dem diese Erfahrung Ermöglichendem aufgehen zu lassen. Es ist vielmehr das vermittelnde Glied. Rogers verlegt es an jenen etwas nebulösen Punkt, wo Empirisches und Transzendentales sich überlagern. Das Selbst macht es möglich, aber auch notwendig, daß eine Identität zwi- schen Erfahrung und Wahrnehmung herrscht und nicht eine Inkongruenz - andernfalls ist mensch krank oder unfrei, oder krank vor Unfreiheit.

Mit Rogers könnte man das Selbst verstehen als evolutionäre Tendenz, die den Ansturm von völlig zufälligen Ereignissen kanalisiert, selektiert und eine ständige Adaption von Neuem an Altes und Altem an Neues verwirklicht. Damit eröffnet es eine bestimmte Entwicklungslinie, deren konkrete Realisation gewiß äußerst ungewiß ist, die aber allemal einer bleibenden, natürlichen inneren Logik folgt.

Mit einem Bild beschrieben, welches Hubertus von Schönebeck im Anschluß an Rogers vorschlägt, ist das Selbst als ein Nährboden vorstellbar. Ein Nährboden für verschiedenste Samen oder Keime, deren existentielle Grundlage er ist, und deren Phänotyp er modifiziert. Wie nun dieser persönliche Garten, der hier entste- hen kann, tatsächlich aussieht, ist nicht vorhersehbar, ist er doch davon abhängig, welche Samen der Wind der Geschichte an diesen biographischen Ort blasen wird. Doch für die einen bie- tet er günstige Wachstumsbedingungen und treibt sie zur vollen Blüte, die anderen wiederum läßt er gar nicht anwachsen. Diese letzteren Pflanzen können nur mit Gewalt in den Boden gezwängt werden, wo sie dann den Pflanzen die Nährstoffe entziehen, für die diese eigentlich gedacht waren. Die Nährstoffzusammenset- zung im Boden und damit dessen Präferenz für bestimmte Samenar- ten bleibt bei allem Leben, was sich darauf abspielt, immer dieselbe.214

Nochmals anders ist das Selbst dasjenige, was der zunächst bedeutungslosen äußeren Realität eine subjektive Bedeutung gibt. Es ist Verkettung von Bedeutetem und Bedeutendem, die Kopula zwischen Signifikat und Signifikant: in der Selbstwahrnehmung ist es sich selbst sein realer Referent.

Das Selbst, wie Rogers es in seiner Theorie einführt, tritt also an die Stelle, genauer: an jene Leerstel- le, jene Lücke, jenes Dazwischen, welche Erfahrung und Wahrnehmung in spezifischer, kohärenter, wider- spruchsfreier, konsistenter Art und Weise, mit einem Wort: unmittelbar miteinander verknüpft. Das Selbst ist der Vektor, das Entsprechungszeichen, der Kataly- sator, der Korrelationskoeffizient, der diese Bezie- hung in einer natürlichen, organismischen Form inau- guriert. Das Selbst ist, das sei Rogers ein letztes mal zu Gute gehalten, nicht der Effekt selbst, der eine Persönlichkeit hervorbringt, sehr wohl aber der Ko-Effizient, der die Relation zwischen kontingenten Erfahrungen und den daraus resultierenden Wahrnehmun- gen festsetzt. Das Roger’sche Selbst ist der konstan- te Faktor vor einer veränderlichen Größe.

Das Selbst ist damit der Referenzpunkt, von dem aus die Frage sinnvoll gestellt werden kann, ob eine Per- son gesund oder krank, beherrscht oder frei, im Wah- ren oder im Falschen lebt. Das Selbst, das wahre und organismische, ist der archimedische Punkt, von dem aus die Verzerrung zwischen Selbst-Erfahrung und Selbst-Wahrnehmung, der Grad der Selbst-Entfremdung meßbar wird; der damit also das Maß der Inkongruenz, letztlich die Tiefe der Neurose festlegt. Das Selbst markiert die Trennungslinie zwischen dem Normalen und dem anderen, zwischen dem Wahren und dem Falschen, zwischen dem Guten und dem Bösen.

Freilich handelt es sich bei diesem Fixpunkt zunächst nicht um eine Aussage über das Wesen aller Mensch- lichkeit im Allgemeinen. Das Selbst ist nicht bei al- len Menschen gleich. Ganz im Gegenteil ist es gerade dieses, was den Individuen ihre Einzigartigkeit, Un- verwechselbarkeit und Subjektivität verleiht. Es gebe so viele Wahrnehmungen und damit Wahrheiten, wie es Menschen gibt. Krank ist nicht der, der nicht so wahrnimmt und ist wie alle anderen, sondern der, der nicht so ist, wie er ist - besser: der sich nicht so wahrnimmt, wie er eigentlich ist und deshalb nicht zu dem wird, was er eigentlich ist. Doch es bleibt zu- mindest eine absolute Wahrheit. Durch mindestens ei- nen universalen Wesenszug ist die menschliche Gattung gekennzeichnet, eine allgemeine Bestimmung definiert das menschliche Wesen: ein jeder Mensch hat ein sol- ches. In einem jeden Menschen ist eine einzigartige, individuell angeborene, natürliche organismische In- stanz, eine Psyche, ein Gewissen, eine Seele, eben ein Selbst zu hause; dieses Selbst ist sinnstiftend, der Ausgangspunkt und Maßstab von richtigem Handeln, es ermöglicht Erkenntnis, auch seiner selbst, und es ist normalerweise mit sich selbst identisch; kurz: es ist dasjenige, was dem einzelnen Menschen, dem Indi- viduum eine normale Existenz schafft. Dies ist die zweite Determinante, in die Rogers’ Selbst einge- spannt ist.215

6.3. Das Wahre und das Falsche und die Freiheit

Insofern das Selbst für eine normale und gesunde Per- sönlichkeit bürgt, kann Inkongruenz nur aufgrund ei- ner ihr äußerlichen Kraft als eine nachträgliche, biografisch erworbene Teilung des Menschen in sein normales, organisches Wesen und seine dies überde- ckenden Anomalien bewirkt werden. Diese Kraft behin- dert, blockiert und hemmt die Symbolisierungsarbeit des Selbst. Laut Rogers sind es die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen das Selbst- Konzept von unechten Introjekten okkupiert und verun- reinigt werde. Es sind die repressiven Machtverhält- nisse, die eine Störung der Symbolisierung des Selbst verursachen. Dieser Umstand liegt mit Rogers auf der Hand, d.h. er muß nicht explizit beschrieben, sondern nur an entsprechender Stelle angedeutet werden: Als Extrakt sind diese Herrschaftsverhältnisse die Fami- lien, die ihre Kinder nur dann lieben, wenn diese das tun und denken, was die Eltern von ihnen erwarten; es sind die Schulen und Hochschulen, die nur dann gute Abschlüsse verteilen, wenn die Schülerinnen und Schü- ler sich brav und ordnungsgemäß verhalten, sich das vorgegebene Wissen fleißig einverleiben und wieder- käuen; es sind die Arbeits- und Reproduktionsbedin- gungen, die staatlichen Institutionen und Vorgaben, die uns Leistung und Konsum, Angepaßtheit und Konfor- mismus abverlangen; es sind die Wissenschaften, die im Menschen nur ein zu sezierendes und zu manipulie- rendes Objekt erblicken können; die auf Objektivität gründen und individuelle subjektive Wahrnehmungen nicht gelten lassen; es ist insgesamt eine konserva- tive Gesellschaft, die sich einer Veränderung mit al- len Mitteln in den Weg stellt, die Anerkennung nur dem zollt, der seinerseits die überkommenen Werte und Normen anerkennt und diese verinnerlicht; eine unter- drückende und zwanghafte Gesellschaft, die sich ver- schließt vor allem Neuen, Unbekannten und Einzigarti- gen, welches als Potential in den Individuen schlum- mert; eine Gesellschaft, die verhindert, daß die Men- schen sich als das wahrnehmen und das werden, was sie eigentlich sind. Eine Gesellschaft schließlich, die mit Verbot, Sanktionen, Zwang und Gewalt dafür sorgt, daß die Menschen sich selber fremd werden und ihr ur- sprüngliches Sein verkennen; daß sich die Menschen fälschlich als das ansehen und das sind, als was sie von der Gesellschaft angesehen werden und was diese ihnen aufoktroyiert.

Psychisch ungestört, d.h. kongruent mit sich selbst, könnten sich Menschen nur dann entfalten, wenn diese sozialen Verhältnisse suspendiert seien. Dies ver- sucht Rogers zunächst in seiner Therapie, dann in pä- dagogischen settings, später in jeglicher Zwischen- menschlichkeit zu gewährleisten. Drei Bedingungen müßten hierfür von seiten des Therapeuten, Pädagogen oder eben desjenigen, der den Anderen heilen und be- freien will, gegeben sein. Erstens die Empathie, das unmittelbaren Ein- und Mitfühlen mit dem Gegenüber als Versuch, den Anderen in seinen Handlungen zu ver- stehen und seine Gründe mitzuvollziehen. Dies bildet die Voraussetzung für, zweitens, die Akzeptanz, die bedingungslose Affirmation des Gegenüber, das Absehen von jeglichen Forderungen und Ansprüchen. Drittens, die Authentizität oder Kongruenz, also die Wahrhaf- tigkeit, die Offenheit gegenüber den eigenen organis- mischen Erfahrungen.216

Unter diesen Umständen könne sich „psychische Anpassung ” ausbilden, die bestehe, „wenn das Selbst-Konzept dergestalt ist, daß alle Körper- und Sinnes-Erfahrungen des Organismus auf ei- ner symbolischen Ebene in eine übereinstimmende Be- ziehung mit dem Konzept vom Selbst assimiliert werden können. ”217

Unter den genannten Umständen sei es möglich - was Sinn und Zweck der Therapie ist - diese Übereinstim- mung retrospektiv wieder herzustellen, d.h. die auf- gezwungenen falschen Verinnerlichungen als solche zu erkennen, aus dem Selbst-Konzept auszuweisen und so- mit Platz zu schaffen für die Fülle der Erfahrungen, wie sie in einem organismischen Bewertungsprozeß un- mittelbar gegeben sind:

„Unter bestimmten Bedingungen, zu denen in erster Li- nie ein völliges Fehlen jedweder Bedrohung für die Selbst-Struktur gehört, können Erfahrungen, die nicht mit ihr übereinstimmen, wahrgenommen und überprüft und die Struktur des Selbst revidiert werden, um der- artige Erfahrungen zu assimilieren und einzuschlie- ßen. […] Wenn das Individuum mehr von seiner organi- schen Erfahrung und seiner Selbst-Struktur wahrnimmt und akzeptiert, merkt es, daß es sein gegenwärtiges Wert-System, das weitgehend auf verzerrt symbolischen Introjektionen beruhte, durch einen fortlaufenden, organismischen Wertungsprozeß ersetzt. ”218

Diese Bedingungen nennt Rogers Freiheit. Rogers Anliegen ist es somit, die Menschen zu befreien, um sie zu heilen und sie zu heilen, damit die Gesellschaft befreit würde.

6.4. Paralyse von Gut und nicht Böse

Schließlich wird Rogers das Feld, welches sich zwischen den zwei Determinanten eines sich selbst erkennenden Selbst und einem durch dieses in seiner wahren Menschlichkeit begründeten Individuums erstreckt, gänzlich und in positiven Farben ausmalen:

„Der innerste Kern der menschlichen Natur, die am tiefsten liegenden Schichten seiner Persönlichkeit, die Grundlage seiner tierischen Natur ist von Natur aus positiv - von Grund auf sozial, vorwärtsgerichtet, rational und realistisch. ”219

So lautet eines der vielen Glaubensbekenntnisse, welche Rogers bezüglich des Selbst ablegt.220 Unter der Kapitelüberschrift:

„Ich habe mir ein paar philosophische Eindrücke vom Leben gebildet und von dem Ziel, dem ein Mensch zustrebt, wenn er frei ist. ”221

verrät er uns, daß der Mensch, der den Mut hat, „frei der wechselnde, fließende Prozeß zu sein, der er ist ” , sensibel und einfühlsam, komplex denkend und kreativ, altruistisch und selbstbestimmt, flexibel und unabhängig, „weder böse noch unkontrolliert ”222 ist. Er ist echt, ganz, natürlich und autonom und darin eins mit sich selbst.

Diese Aussagen über das Wesen des Menschen, seine Be- legung mit einer Unzahl von Prädikaten, erscheinen im Widerspruch zu dem, was bereits über Rogers Zurück- haltung bzgl. einer festlegenden Definition des Selbst gesagt wurde. Sie sind es auch, da Rogers hier all seine guten Vorsätze, daß Selbst nicht positiv bestimmen, in seiner Wandelbarkeit nicht feststellen zu können und zu wollen, keine Wesensschau betreiben und keinem Determinismus, sondern im Gegenteil dem je Besonderen des einzelnen Menschen das Wort reden zu wollen, sträflich mißachtet. Vielmehr gibt er unver- blümt zu, er habe den „Versuch [unternommen], das Bild des Menschen zu entwerfen, der aus einer maximal erfolgreichen Therapie hervorgehen würde “ - dies sind die „Ansichten eines Therapeuten vom Guten Le- ben: Der voll sich entfaltende Mensch. “223

Dennoch ist dieses Mißverhältnis zwischen Anspruch und Ausarbeitung der Roger’schen Theorie kein Verse- hen, es folgt vielmehr der inneren Logik dieses Den- kens. Die Eigenschaften nämlich, die Rogers als die menschlichen annimmt, entstammen keineswegs irgend einem metaphysischen Prinzip, sind nicht etwa von ei- ner allgemeinen Wahrheit abgeleitet, sind keine schlichte normative Setzung. Sie sind vielmehr tat- sächlich jene Attribute, die Rogers an den Menschen entdeckt, die erfolgreich seine Therapie absolviert haben. Es sind die Eigenschaften jener Menschen, die - ganz in Rogers‘ Sinne - für eine freiere, weniger repressive Gesellschaft gekämpft und diese auch in Teilbereichen erreicht haben.224 Kurz: es sind jene Eigenschaften, des neuen Menschen, die ihn zu einem solchen machen. Was dem Wesen des Menschen im allge- meinen zugeschlagen wird, sind also zunächst empi- risch vorfindbare, beobachtete Handlungen und Verhal- tensdispositionen, die Rogers dann zu einem Kriteri- umskatalog der universellen Menschlichkeit verabsolu- tiert. Die Rückführung jener Verhaltensweisen auf ei- ne innere Instanz ist aufgrund seiner Konzeption des Selbst zwingend logisch, können sie doch nichts ande- res sein, als ein Ausdruck, ein intentionaler Akt ei- nes ursprünglichen Selbst. Auch hier verhindert die empirisch-transzendentale Verknotung des modernen Subjekts, Handlungen als historische Singularitäten, als kontingente Ereignisse zu denken. Vielmehr muß jenes Subjekt als Urheber, als sinnstiftender, geschichtsmächtiger, zielgerichteter Agens hinter einem jeden Verhalten eingeführt werden. Welche wesentlichen Eigenschaften diesem Akteur zugeordnet werden, ist sodann eine Frage der Moral, sei es die momentan herrschende oder die der Kritik.

Diese Zirkularität erlaubt es Rogers guten Gewissens das Ziel und den Effekt seiner Therapie als das aus- zugeben, was eigentlich immer schon gegeben, nur un- glücklicherweise bisher verschüttet und verdunkelt war.

6.5. Die Strategie des Guten

Die strategische Position, die Rogers nötigt, seinem Selbstbegriff eine im doppelten Wortsinne positive Bestimmung an die Seite zu stellen, scheint augen- fällig. Für sein humanistisches sozialreformerisches Engagement stellt das Selbst den Ausgangspunkt dar. Es ist der Standpunkt der Kritik, der Bürge für die richtige Erkenntnis, die Grundlage der Legitimität der die Regel durchbrechenden Regel. Es ist das, was der Herrschaft widersteht, es ist der Fingerzeig auf eine zu erhoffende Utopie und das, was in diese Uto- pie eingehen wird. Das Roger’sche Selbst ist die im beherrschten Körper eingesperrte reine, unschuldige Seele, die nach Befreiung schreit - und die nur auf- grund ihrer Knechtschaft den Körper dazu drängt etwas „Böses ” zu tun.225 Rogers macht sich zum Anwalt die- ser gequälten und gefallenen, aber nicht ein für al- lemal aus dem Paradies vertriebenen Seele; zum Bewäh- rungshelfer einer entfremdeten Seele, die er ver- sucht, mit sich selbst zu versöhnen, in den Klienten zu reintegrieren, wie wohl eine Vorstellung von ihr in den Gesellschaftskörper zu resozialisieren. Das Selbst ist dasjenige, das den Sinn dieser Befreiungs- Arbeit im Innersten zusammenhält. Das Selbst ist die „Seele der Revolte “ .

Wie wir aber mit Foucault gesehen haben, ist diese Vorstellung des Ich-Selbst selber nur eine junge und unbeständige Erscheinung auf dem Tableau des Wissens und alles andere als das unmittelbare und authenti- sche Urbild des Menschseins. Es stellt sich nun nach wie vor die Frage, von woher erstens dieser Vorstel- lung, diesem als Trugbild, als Simulacrum, dechiff- rierten Selbst, dennoch die Wirklichkeit einer wahren Aussage zukommt; ob sie zweitens tatsächlich tauglich ist, den als Unterdrückungsverhältnis gedachten ge- sellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu widerstehen; oder aber, ob sie drittens nicht sel- ber Eingang in diese Macht- und Herrschaftsverhält- nisse findet? Andersherum formuliert: Die nun zu klä- rende These lautet: Ein solches Kalkül, ein Denken einer Befreiung seiner selbst, erlaubt es, Macht und Herrschaft nur in Begriffen der Unterdrückung, Frei- heit nur als einen zu ersehnenden Zustand, Wissen und Wahrheit nur in Abgrenzung zur Ideologie und als „Privileg jener, die sich befreien konnten”226 zu denken. Diese strategische Position ist eine, die Foucault wie folgt charakterisiert:

„Was Sie »Naturalismus« nennen, bezeichnet wie ich meine zweierlei: eine bestimmte Theorie, die Vorstel- lung, daß man unterhalb der Macht, unterhalb ihrer Gewalttaten und Hinterhältigkeiten die Dinge selbst in ihrer ursprünglichen Lebendigkeit wiederfinden muß […]. Zum zweiten eine bestimmte ästhetisch-moralische Wahl: die Macht, das ist das Böse, ist das Häßliche, das Armselige, Sterile, Monotone, Tote - und das, worüber die Macht ausgeübt wird, ist das Gute, Echte und Großartige. “227

Die Vorstellung eines ursprünglichen Selbst ist - wie gezeigt wurde - selbst aber sinnvoll nur als Wirkung einer historisch wandelbaren diskursiven Formation und somit - wie zu zeigen sein wird - von eben jenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu analysieren. Darum ist fraglich, ob die auf dem Hintergrund einer ursprünglichen Natürlichkeit gefaßten kritischen Beg- riffe einen nicht sogleich wieder an das ketten und ein maliziöserer Ausdruck dessen sind, wogegen sie opponieren.

Der Mensch von dem man uns

spricht

und zu dessen Befreiung man einlädt,

ist bereits in sich

das Resultat einer Unterwer- fung,

die viel tiefer ist als er.

Michel Foucault, 1976

7. DIE STRATEGIEN DES SELBST - GENEALOGIE DES SELBST UND ANALYSE DER MACHT

In seinen archäologischen Arbeiten hatte Foucault die Schichtungen des Wis- sens durchgraben, um deren Brüchigkeit, Variabilität und historische Kontingenz zu erweisen. Ein Apriori der Erkenntnis wurde so zu einem historischen. Der moderne Mensch, der, wann im- mer er in einen Bereich von erkennbaren Objekten ein- tritt, sich gleichzeitig als festes und determinier- tes cogito-Subjekt konstituiert, wurde zu einer ver- gänglichen Figur. Foucault verkündete den Tod des Menschen, der sich als autonomes Erkenntnis-Subjekt einer erkennbaren endlichen Natur gegenüberstellt und sich gleichzeitig als ein ebenso endlicher Teil eben dieser selbst erkennt und anerkennt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.10: Macht und Marlboro

Was Foucault in dieser Arbeit nicht zu erklären ver- mochte, war die Frage, wie es zu dieser Ordnung des Wissens, aber auch den Epochenbrüchen, den Neuorgani- sationen des Wissens kommen konnte und kann. Welches ist die den diskursiven Formationen immanente Kraft, die deren relative Stabilität reguliert und deren Transformation bewirkt? In der „Archäologie des Wis- sens “228, dem Versuch, die methodischen Annahmen, die den Studien der Humanwissenschaften229 nur implizit unterlegt waren, systematisch zu explizieren, nimmt Foucault die von ihm untersuchten Diskurse noch als vollends autonom an. So kommt er zu dem „merkwürdi- ge[n] Begriff der [diskursiven] Regelmäßigkeit, die sich selbst regelt “ .230 Damit lief die Archäologie Gefahr, einer Analogie jener Denkfigur zu verfallen, die sie an den Humanwissenschaften kritisch analysiert hatte: das Denken eines Transzendentalen, was sich im Empirischen selbst erkennt.

Foucault beginnt, dem mehr Aufmerksamkeit zu schenken, welches in den archälologischen Arbeiten nur am Rande auftaucht: der Beziehung zwischen den diskursiven Formationen und dem sie umgebenen komplementären Raum der nicht-diskursiven Praktiken, den nichtdiskursiven Milieus.231

Deleuze erläutert, das Wissen sei nach zwei Richtungen hin ana- lysierbar; es umfasse das Diskursive, wie das Nicht-Diskursive, die Aussage, wie die Evidenz, das Sagbare, wie das Sichtbare. Es umfasse also das Spiel der Zeichenelemente und die hierin generierten, aber auch auf das Spiel zurückwirkende Wahrnehmung von Welt. So komme der Aussage zwar das Primat zu, sei das Sichtbare dennoch nicht auf das Sagbare zu reduzieren und aus diesem abzuleiten. Es bestehe eine nicht aufhebbare Wesensdif- ferenz zwischen beiden und damit ein wechselseitiges Rückkopp- lungsverhältnis. Je nach dem, wie sich diese Beziehung gestal- tet, ist auch das Wissen strukturiert. Indes ist unklar, welche Funktion, welche Kraft eben diese Elemente in der Distanz zu- sammenbindet.232

Foucault verschiebt die Achse seiner Analyse von einer Archäologie des Wissens zu einer Genealogie der Macht. Die Ordnung der Dinge, die Ordnung des Diskurses verdanke sich der Macht.233

Wenn Foucault sein neues Projekt am Beispiel des aka- demischen diskursiven Machtspiels vorstellt, er- scheint es zunächst so, als handle es sich um ein einfaches Ableitungsverhältnis von der Macht zum Wis- sen. Die Akademie formiert das Wissen nämlich vermit- tels des Ausschlusses des Tabuisierten, des Irratio- nalen, und des Falschen; kraft der Verteilungsprinzi- pien des Kommentars, der Identifikation des Autors, der Differenzierung der wissenschaftlichen Diszipli- nen; und letztlich anhand der Positionierung des sprechenden Subjekts in Form von Zugangsritualen, der exklusiven Teilhabe an Diskursgesellschaften, deren Verbindlichkeit gegenüber von Doktrinen und einer ungleichen Distribution von diskursivem Wissen an die Individuen im Rahmen der Bildungseinrichtungen. Tat- sächlich ist das Verhältnis von Macht und Wissen je- doch ein hochkomplexes Zusammenspiel welchselseitiger Rückkopplungsverhältnisse. Weder erklärt die Macht allein die Verteilung der Aussagen, die Formation des Wissens, noch bewirke die Aussagefunktion unmittelbar Machteffekte.

Die Archäologie bleibt somit notwendiges Instrument im Rahmen der Genealogie. Foucault ist primär daran interessiert, die Verschränkungen von Macht und Wis- sen zu analysieren, die Punkte, wo sie sich kreuzen und wo sie Prozesse der Subjektivierung in Gang set- zen; wo sie in der Moderne ein einheitliches, sich selbst erkennendes Subjekt entwerfen und praktisch herausarbeiten. Macht, Wissen, Subjekt sind nun die Achsen in Foucaults Forschungsprogramm: Die Analyse gilt den Kraftlinien oder Vektoren der Teilung, der Sedimentierung und der Subjektivierung.234 Sie konsti- tuieren das, was Foucault später ein Dispositiv nen- nen wird. Der Genealoge hat an dieser Schnittstelle anstatt einer ursprünglichen Einheit des Subjekts die Entstehung disparater Subjektivitäten zu verfolgen.

„Wo sich die Seele zu einen behauptet, wo sich das Ich eine Identität oder Kohärenz erfindet, geht der Genealoge auf die Suche nach dem Anfang - nach den unzähligen Anfängen […]. Die Analyse der Herkunft führt zur Auflösung des Ich und läßt an den Orten und Plätzen seiner leeren Synthese tausend verlorene Ereignisse wimmeln.“235

Diesen singulären Ereignissen spürt die Analyse der Macht nach. Sie dechiffriert das einheitliche Er- kenntnis-Subjekt als Gewimmel kontingenter Wissens- formationen und Machtpraktiken; entziffert im Unter- grund des Prozesses der Vereinheitlichung das Gewim- mel empirischer Subjektivitäten - als Produkte der subjektivierenden Unterwerfung, später in Form von in sich selbst verwobenen Mäandern, auf sich selbst zu- rückgebogenen, sich selbst affizierenden Kraftlinien, in der Faltung des Außen.236

Die Macht ist in ständiger Transformation begriffen. Die Mittel, Techniken, Strategien ihrer Ausübung bzw. die Strategien, Techniken und Mittel, die als Macht analysierbar sind, verändern sich stets. Begrifflich- keiten, die den Versuch unternehmen, Macht zu beschreiben, müssen diesem Rechnung tragen.

7.1. Die Macht des Souverän

Foucaults Genealogie der Macht setzt zunächst Mitte des 17. Jahrhunderts an.237 So funktionierte die Macht in feudal-absolutistischen Kontexten nach einem Sche- ma, welches sich maßgeblich um die Person des Souve- räns gruppierte. Von diesem zentralen Punkt schien die Macht auszugehen, wie die Strahlen von einer Son- ne. Von hier aus wurde das Gesetz legitimiert. Zugleich wurde das Gesetz als kritisches und limitie- rendes Instrumentarium eingesetzt. Es begrenzte die Macht des Königs auf ein gerechtfertigtes Maß und verhinderte eine willkürliche Herrschaft, erzwang da- mit im Gegenzug die „gesetzmäßige Verpflichtung zum Gehorsam”238 von Seiten der Untertanen. Die Übertre- tung des Gesetzes wurde als persönlicher Angriff auf den Souverän betrachtet, dem somit das Recht zukam, sich mit dem Schwert an seinem Angreifer zu rächen, diesem im Akt der Bestrafung das Mal dessen Niederla- ge einzubrennen, die Marter-Zeremonie des eigenen Sieges auf dem Körper des Verurteilten zu feiern, um seine verletzte Souveränität wieder herzustellen.239 Tatsächlich funktionierte die Macht lange nach dem Modell einer Gesellschaft, die sich darüber defi- niert, das Recht zu haben, „sterben zu machen und le- ben zu lassen. ”240 Dabei ist das Recht über Leben und Tod ein asymmetrisches, hat die feudale Macht Zugriff auf das Leben doch nur über den Tod, nur in dem Au- genblick, in dem sie das schon immer gegebene Leben dem Tod überantwortet. Es ist die todbringende Gewalt des souveränen Schwertes, die das lebendige Andere des Individuums abschlägt und unterdrückt. Damit er- scheint das Leben als etwas ursprüngliches, der Macht vorgängiges, außerhalb der Macht. Es erscheint als natürliches Korrektiv der Macht, als der Punkt des Widerstandes und der Kritik.

7.1.1. Das juridische Modell oder Die Hypothese Reich

Die traditionelle Rechtsphilosophie erkenne die Macht somit vornehmlich als das Recht des Souverän, damit in ihrer negativen, ausschließenden, abschneidenden, verbietenden, letztlich den lebendigen Menschen verneinenden Wirkung. In diesem Modell sei die Macht das Gesetz, das „nein ” sagt. Es handele sich somit um eine juridische Konzeption der Macht.

Die Kritik, die im 18. Jahrhundert am und gegen den Absolutismus formuliert wurde, etwa durch Rousseau, wandte sich gegen eine Monarchie, die entgegen ihrem eigenen Anspruch immer wieder das Recht verletzte und sich mit ihren Willkürakten über das Gesetzt hinweg- setzte. Sie kritisierte nicht ein souverän- juridisches System als solches. Gleich, ob es um Stärkung oder Beschränkung der monarchischen Gewalt ging, immer stand die Frage nach dem richtigen oder natürlichen Recht, nach Steigerung oder Begrenzung der legitimen Herrschaft im Mittelpunkt der Auseinan- dersetzung.

„Die politische Kritik hat sich also zur Verurteilung der Monarchie der gesamten juridischen Reflexion bedient, welche die Entwicklung dieser Monarchie begleitet hatte “.241

Die politische Kritik ab dem 19. bis hinein in unser Jahrhundert ist demgegenüber sehr viel radikaler, „weil sie nicht nur zeigen wollte, daß die wirkliche Macht den Regeln des Rechts entgleitet, sondern daß das System des Rechts selber nur eine Art und Weise ist, die Gewalt auszuüben “ .242

Diese Kritik beruft sich dabei auf etwas viel tiefe- res, grundlegenderes, ursprünglicheres: auf das Recht des einzigartigen Individuums. Doch genau damit steht auch diese Kritik dem juridischen Denken in nichts nach. Insofern sie sich nämlich auf das Recht eines natürlichen und authentischen Wesens beruft; insofern sie die Macht als etwas denkt, was dieses Wesen und dessen Wesen: den echten selbstidentischen Menschen, das wahre Selbst und seine Vernunft, die herrschafts- freie Kommunikation, die unmittelbare Wahrnehmung, das Begehren, den „Sex “ etc. verneint und „ unter- drückt “ , bleibt sie auf das juridische Modell ver- wiesen. Die juridische Konzeption der Macht könne folglich auch, der Bequemlichkeit halber, als die Hypothese von Reich bezeichnet werden.243

Der Begriff der „ Repression “ ist doppelt nachteilig: Zum einen ist er weiterhin einer Vorstellung von Souveränität verhaftet; zum anderen bedient auch die an ihm orientierte Kritik sich einer Reflexion, die von der kritisierten, vermeintlich „unterdrückenden“ , in jedem Fall - wie zu zeigen sein wird - disziplinären Gesellschaft allererst möglich gemacht wurde: sie bedient sich der Humanwissenschaften.

Einerseits bezieht der Begriff der Unterdrückung „sich dunkel auf eine bestimmte Theorie der Souverä- nität, nämlich die Theorie der souveränen Rechte des Individuums, auf der anderen Seite bringt er ein Sys- tem psychologischer Bezüge ins Spiel, die den Human- wissenschaften, d.h. den Diskursen und Praktiken des disziplinären Bereichs, entlehnt sind. Ich glaube, daß der Begriff der »Unterdrückung« noch immer ein juridisch-disziplinärer ist, wie kritisch man ihn auch verwenden mag. In diesem Sinne wird von Anfang an die kritische Verwendung des Begriff der »Unter- drückung« aufgrund des doppelten rechtlichen und dis- ziplinären Bezuges auf die Souveränität und die sie implizierende Normalisierung verfälscht, verdreht, zunichte gemacht.“244

7.1.2. Die Freiheit

Die Repressionshypothese ist eingeschränkt auf eine Vorstellung von Macht, „deren Mächtigkeit sich darin erschöpfte, nein zu sa- gen, außerstande etwas zu produzieren, nur fähig Grenzen zu ziehen, wesenhaft Anti-Energie; ihre Wir- kung bestünde in dem Paradox, daß sie nichts vermag als dafür zu sorgen, daß die von ihr Unterworfenen nichts vermögen, außer dem, was die Macht sie tun läßt. “245

Zu diesem gewöhnlichen Machtbegriff verhält sich der Begriff der Freiheit komplementär. Sie ist der Zu- stand, der Ort, der erreicht wird, wenn die Macht- verhältnisse suspendiert sind. Freiheit wird begrif- fen als der immer schon gegebene Raum, in den - sind die Fesseln erst einmal gesprengt, die Täuschungen durchschaut, die Riegel aufgebrochen - die ursprüng- liche Kraft des Lebens - welche bisher zurückgehal- ten, gestaut und fehlgelenkt wurde - hineinflutet und ihren ureigensten Platz einnimmt. Freiheit ist in diesem Denken schlicht das Ergebnis der Befreiung, da das, was befreit wird, vorgängig ist vor aller Macht, vor aller Befreiung. Freiheit wird verstanden als ei- ne „Befreiung des Menschen zu seinem eigenen Sein ” .246 Freiheit sei nach dieser Vorstellung jene Verfaßtheit, die sich herstellt, wenn „sich der Mensch wieder mit sich versöhnt, seine Natur wiederfindet oder mit seinem Ursprung wieder in Verbindung tritt und ein erfülltes und positives Verhältnis zu sich selbst wiederherstellt. ”247

7.1.3. Die Wahrheit

Entsprechend verhält es sich in dieser Konstruktion mit den Begriffen von Wissen und Wahrheit. Die Vor- stellung einer souveränen Macht kann Wissen nur da denken, wo es sich von der Macht befreit hat. Es wird einzig gedacht als die aufklärerische Bewegung der Bewußtwerdung, der Befreiung vom falschen Bewußtsein. Wahres Wissen ist stets gedacht im Sinne einer aufhebenden Reflexivität gegenüber jenen machtvollen Strukturen, unter die der Mensch sich gezwungen sieht, die ihn von sich selbst entfremden, den ehrlichen Dialog mit den anderen verhindern, die ihn im Falschen festhalten.

Dieses Bewußtsein wähnt sich unabhängig von und vor- gängig vor der Macht, muß sich frei wähnen, weil es das ist, was die Macht entschlüsselt und ihr wider- steht, was eine unmittelbare Wahrnehmung garantiert und den Zugang zu einer ursprünglichen Wahrheit er- öffnet. Wahrheit kann erst sein, nachdem sich von der Lüge befreit, von der Täuschung ent-täuscht, der I- deologie entsagt wurde. Wahrheit ist das Geschenk im Raum der Freiheit, wo der Blick unverstellt auf die Dinge des Lebens fallen kann, wo der Mensch seine na- türlichen Erkenntnisleistungen zurückerlangt, wo sich das Leben unverzerrt selbst erkennt und offenherzig zu erkennen gibt.

Es scheint uns, „als ob die Wahrheit im Geheimsten unserer selbst keinen anderen »Anspruch« hegte, als den, an den Tag zu treten; daß es, wenn ihr das nicht gelingt, nur daran liegen kann, daß ein Zwang sie fesselt oder die Gewalt einer Macht auf ihr lastet, woraus folgt, daß sie sich letzten Endes nur um den Preis einer Art Befreiung wird äußern können. Das Geständnis befreit, die Macht zwingt zum Schweigen; die Wahrheit gehört nicht zur Ordnung der Macht, son- dern steht in einem ursprünglichen Verhältnis zur Freiheit: das sind die traditionellen Themen der Phi- losophie, die eine »politische Geschichte der Wahr- heit« umkehren müßte, indem sie zeigte, daß die Wahr- heit weder von Natur aus frei noch der Irrtum unfrei ist, sondern daß ihre gesamte Produktion von Machtbe- ziehungen durchzogen ist. “248

7.2. Die Normierungsgesellschaft

Die Moderne sehe laut Foucault nun eine Macht herauf- kommen, die von der beschriebenen souveränen Macht verschieden sei. Diese Macht perpetuiert sich nicht, indem sie sterben macht und leben läßt, sie funktio- niert genau in der Umkehrung dieser Formel: sie macht Leben und läßt sterben. Sie ist eine Bio-Macht 249. Sie ist eine Macht, die sich des Lebens vollständig be- mächtigt, dieses Leben überhaupt erst herstellt. Sie bringt die Seele des Individuums hervor, in dem sie die Gewohnheiten der Körper kontrolliert, und das Le- ben eines Gattungskörpers, indem sie dessen Reproduk- tion reguliert. Was als Humanisierung der grausamen Strafpraktiken und todbringenden Machttechniken ange- sehen wurde, ist tatsächlich eine Transformation der Macht, in deren Gewalt es nunmehr liegt, das Humane und das Leben allererst zu erfinden.

Das Leben des Individuums wird dadurch herausgearbei- tet, daß die individuellen Körper den Techniken der „Disziplinen “ unterworfen werden. Nicht mehr ausge- hend von einem Zentrum der Macht, das seine Gegner tötet und ausschließt, sondern gestützt auf ein weit verzweigtes, den gesamten Gesellschaftskörper über- ziehendes Netzwerk von Relaystationen, den Instituti- onen, werden die Individuen von verschiedenen aufein- anderfolgenden Einschließungsmilieus umfaßt und um- sorgt: Familie, Waisenhäuser, Schulen, Militär, Fab- riken, Spitäler, Wohlfahrtseinrichtungen, Irrenhäu- ser, Heilanstalten und der Prototyp, das Gefängnis. Dieses disziplinäre „ Kerker-Kontinuum” nimmt sich des individuellen Lebens an, um es zu fördern, anzu- reizen und herauszubilden.

Zu diesem Zwecke werden die verstreuten individuellen Körper an einem abgeschlossenen Ort fixiert und im Raum verteilt. Der Raum ist bis hin zur kleinstmögli- chen Parzelle zergliedert. Die Körper werden zum Tä- tigsein gezwungen. Ihnen werden bestimmte Aufgaben und Übungen auferlegt. Diese werden in der Zeit ange- ordnet, rhythmisiert und automatisiert. Die tätige Zeit wird in minimale Bruchteile zerlegt. Es wird nicht allein Müßiggang verhindert, sondern vielmehr eine erschöpfend, ökonomisch und effektiv nutzbare Zeit produziert. Die Aktivitäten werden in detail- lierte Wiederholungszyklen, in ein von innen her kon- trolliertes Programm, schließlich in ein anatomisch- chronologisches Verhaltensschema integriert. Damit der lebendige Körper bis in die kleinsten Operationen hinein gelehrig sein kann, werden die Funktionsbedin- gungen, die dem Organismus als die ihm eigenen un- terstellt werden, in Rechnung genommen. Die Diszipli- narmacht erzeugt damit eine Individualität, die zel- lenförmig, natürlich und organisch ist.250 Die Ausbil- dung und Ausformung von Fähigkeiten und Tauglichkei- ten werden an individuell unterschiedlichen und von Niveau zu Niveau differenzierten, in jedem Fall aber zielgerichteten, abgestuften, evolutionären Entwick- lungslinien entlang gelegt. Die Erreichung von Etap- penzielen wird regelmäßig oder kontinuierlich kon- trolliert. Die isolierten und zerteilten Körper, ihre Fähigkeiten und Bestreben werden zu Apparaten zusam- mengeschlossen, in denen sich die einzelnen Elemente in ihrer Leistungsfähigkeit potenzieren und sich wechselseitig fördern und fordern.

„Zusammenfassend kann man sagen, daß die […] Körper- kontrolle eine Individualität mit vier Merkmalen pro- duziert: diese Individualität ist zellenförmig (auf- grund der räumlichen Parzellierung); sie ist orga- nisch (dank der codierung der Tätigkeiten); sie ist evolutiv (aufgrund der Zeithäufung); sie ist kombina- torisch (durch die Zusammensetzung der Kräfte). “251

Die den Disziplinen unterworfenen Körper werden in einem homogenisierten und zugleich individualisieren- den Bewertungs- und Vergleichsraum arrangiert. Jedwe- de Regung des Körpers wird erfaßt, registriert, doku- mentiert. Die individuellen Verhalten werden vonein- ander unterscheidbar und untereinander verrechenbar. Das Individuum wird zum besonderen Fall im Allgemei- nen. Es können Annäherungen, Ähnlichkeiten und Ab- stände festgelegt, Rangfolgen, Klassen, Eigenarten und Niveaus erstellt werden. Es entsteht ein lebendi- ges tableau. Diese Anordnung, Relationen und Bemes- sungen bedienen sich eines Schemas, sie organisieren sich in Bezug auf die Norm. Das Individuum wird defi- niert als der spezifische, unverwechselbare Abstand zur Norm. Wie die Norm in dieses Beurteilungs- und Klassifikationssystem als dessen Voraussetzung ein- geht, generiert und reproduziert sie sich zugleich in diesem als Modell einer organisch-lebendigen, norma- len Individualität, als Idee vom Individuum mit be- stimmten Bedürfnissen, einem Verhalten, einer Konsti- tution. Die Norm: Signatur der natürlichen Ordnung, zwingende Natur des Menschen, das rechte Maß, dia- gnostischer Grenzwert, ideales Musterbild, das zu er- strebende Niveau, der zu erreichende Standard, das zu verwirklichende Leitbild, Ziel einer vereinheitli- chenden Orthopädie. Die Norm: positive Negation des- sen, was von ihr und durch sie abgetrennt ist: das Anormale, das Pathologische.252 Gruppiert um und ori- entiert an dieser Norm werden die Individuen homoge- nisiert, differenziert, hierarchisiert, individuali- siert und, im Falle der erwiesenen Unverbesserlich- keit des Delinquenten, ausgeschlossen.

Im wesentlichen bedient sich die Disziplinar-Macht also der immer gleichen Mittel: Sie trennt, analy- siert, differenziert, treibt ihre Zersetzung bis zu den notwendigen und hinreichenden Einzelheiten.

„Sie richtet die unsteten, verworrenen, unnützen Mengen von Körpern zu einer Vielfalt von individuellen Körpern, Elementen, kleinen abgesonderten Zellen, organischen Autonomien, evolutiven Identitäten und Kontinuitäten, kombinatorischen Segmenten ab. Die Disziplin verfertigt Individuen “, „anstatt einheitlich und massenweise […] zu unterwerfen “ .253

Mittels des Verfahrens einer ständigen, sich selbst überwachenden Überwachung, die das Maß der Diskrepanz von der Norm sichtbar macht, und mittels einer sank- tionierenden Mikro-Justiz, die auch noch die gerings- te Abweichung maßregelt, werden die Individuen in den anvisierten, normalen Verhaltensdispositionen geübt. Die Norm ist der zugleich die organische Natur der ihr unterstellten Körper kalkulierende, wie ebenso zwingende Referenzpunkt hinsichtlich dessen die Indi- viduen korrigiert, verbessert, gesteigert, normge- recht und überhaupt gemacht werden. Das lückenlose Strafsystem „wirkt normend, normierend, normalisie- rend. ”254

In der Prüfung kulminieren die Disziplinar-Techniken. Das Individuum muß die Ergebnisse seiner Dressur, seine Fähigkeiten, seine Gelehrigkeit, seine Nütz- lichkeit, seine Integrationstauglichkeit in die Öko- nomie des Normalen unter Beweis stellen. Diese Attri- bute werden ihm rückwirkend als die ihm ureigensten in den Leib geschrieben. Die Prüfung ist das Ritual und der alltägliche Vorgang, in dem die Koordinaten des Individuums bezüglich der Norm fixiert werden; in dem dem Individuum innerhalb des Rasters des Normalen sein Platz, seine Zeit, seine Wahrnehmung, sein Han- deln, kurz: seine individuelle, einzigartige Identi- tät zugewiesen wird. Macht und Wissen sind in der Prüfung sichtbar verschränkt. Im Geständnis schließ- lich - jener Prüfung, die „in Justiz, in der Medizin, in der Pädagogik, in den Familien- wie in den Liebes- beziehungen, im Alltagsleben wie in den feierlichen Riten “255 das Individuum zwingt, seine Verbrechen, seine Sünden, seine Gedanken und Begehren, seine Ver- gangenheit und seine Träume, seine Kindheit, seine Krankheiten und seine Leiden zu gestehen, kurz: die das Individuum zwingt, sich selbst in seiner tiefsten Innerlichkeit zum Prüfungsthema zu machen; die es zwingt, sich die Frage zu stellen, wer es wirklich ist - in dieser Geständnisprozedur erfindet, entwirft und sagt das Individuum die Wahrheit über sich selbst und anerkennt sich selbst in dieser Wahrheit als un- verwechselbares Individuum. Die Macht läßt all die ehedem kaum wahrgenommenen Gestalten vortreten, damit sie „das Wort […] ergreifen und […] gestehen, wer sie sind ”256 - im Angesicht der Macht, an deren Ohr oder schließlich, ganz ohne daß die Macht in Erscheinung treten müßte, allein vor dem eigenen allsehenden in- neren Auge.

Die Geständnis-Prüfung ist der Ort, an dem die Lite- raturgattung der Bekenntnisse zum Ausgangspunkt der Erkenntnis wird. Sie ist somit der Ort, an dem der Diskurs des sich selbst durchsichtigen modernen cogi- to-Subjekts seinen Ausgang nimmt. Sie ist der Ort an dem den individuellen Körpern der Automatismus der Selbstvergewisserung, der Selbstsuche und der Selbst- verwirklichung eingepflanzt und in Gang gesetzt wird.

Die Prüfung ist of- fener Ausdruck des „ assujetissement “ : es manifestiert „die subjektivie- rende Unterwerfung jener, die als Ob- jekte wahrgenommen werden, und die ob- jektivierende Ver- gegenständlichung jener, die zu Sub- jekten unterworfen werden. ”257

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.11: Panopticon

Wie die souveräne Macht des Königs dessen Körper verdoppelt, so verdoppelt auch die Macht der Disziplinen die ihr unterworfenen Körper. Sie erschafft ihnen etwas Unkörperliches: eine Seele.

„Der Mensch von dem man uns spricht und zu dessen Be- freiung man einlädt, ist bereits in sich das Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als er. Eine »Seele« wohnt in ihm und schafft ihm eine Existenz, die selber ein Stück der Herrschaft ist, welche die Macht über den Körper ausübt. Die Seele: Effekt und Instrument einer politischen Anatomie. “258

Die Seele ist nicht die Hoffnung auf Befreiung und das auf Befreiung hoffende Sein in der tiefsten In- nerlichkeit des individuellen Körpers. Die Seele ist Ausgeburt der Macht; sie ist das „Gefängnis des Kör- pers “ .

Foucault benutzt für diese allgegenwärtige normieren- de und subjektivierende Kontrollmacht eine architek- tonische Metapher: das Panopticon. Dieses 1791 von Jeremy Bentham vorgestellte Modell eines Gefängnises war kreisförmig, mehrgeschossig mit radial angeordne- ten, voneinander isolierten Einzelzellen, die zu den umlaufenden, innenliegenden Galerien große vergitter- te Öffnungen aufwiesen, sodaß die Zellen von einem im Kreismittelpunkt errichteten Wachturm jederzeit ein- sichtig waren. Bentham selbst verstand das Panopticon als ein allgemeines Prinzip der Machtausübung. Es sei universell einsetzbar: in der Fabrik oder dem Armen- haus ebenso, wie im Hospital oder in der Schule.

Das Panoptikon operiert über einen einfachen Mecha- nismus. Er besteht in der Inversion der Sichtbarkeiten. Hatte die souveräne Macht ihre Stärke in prunk- vollen und grausamen Spektakeln demonstriert, während sie die von ihr Bemächtigten ins dunkle Verlies wer- fen oder bestenfalls als Statisten ihres Folter- Rituals auftreten ließ, so zerrt die Disziplinarmacht gerade diese unscheinbaren Menschen in die permanete Sichtbarkeit, während sie selber unscheinbar wird. Denn der Wachturm ist zwar sichtbar, aber nicht ein- sehbar.

Dies hat zwei weitreichende Konsequenzen. Zum einen ist es für die Kontrollfunktion nicht notwendig, daß die überwachten Individuen tatsächlich jederzeit ü- berwacht werden. Es reicht, daß ein jeder von ihnen gelegentlich überwacht werden kann. Die Kontrollfunk- tion des Wachturms ist unabhängig davon, von wem und sogar ob er überhaupt besetzt ist. Es reicht, daß er potenziel besetzt sein könnte. Im Panopticon wird die Kontrolle entpersonalisiert. Sie wird von der archi- tektonischen Struktur selbst übernommen.

„Die Wirkung der Überwachung »ist permanent, auch wenn ihre Durchführung sporadisch ist«; die Perfekti- on der Macht vermag ihre tatsächliche Ausübung über- flüssig zu machen; der architektonische Apparat ist eine Maschine, die ein Machtverhältnis schaffen und aufrechterhalten kann, welches vom Machtausübenden unabhängig ist “.259

Das Panopticon erzwingt damit zum anderen von den Ü- berwachten die Identifikation mit der Kontrollmacht. Sie wird durch die überwachten Individuen verinner- licht. Wobei dieser Begriff mißverständlich ist, in- sofern er eine ursprüngliche Trennung von Innen und Außen suggeriert. Die Kontrollmacht schafft den Indi- viduen allererst dieses Innen, in dem sie sodann sanft und widerstandslos herrscht - als ständiger un- sichtbarer Begleiter, als stets unruhiges Gewissen, als zu ergründendes vermeintlich unterdrücktes und verdrängtes Seelenleben.

„Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internali- siert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eige- nen Unterwerfung. Aus diesem Grunde kann ihn die äu- ßere Macht von physischen Beschwerden befreien. Die Macht wird tendenziell unkörperlich und je mehr sie sich diesem Grenzwert annähert, um so beständiger, tiefer, endgültiger und anpassungsfähiger werden ihre Wirkungen: der immerwährende Sieg vermeidet jede phy- sische Konfrontation und ist immer schon im vorhinein gewiß.260

So sehr der Wachturm wie eine zentrale Kontrollmacht erscheint, so sehr bringt er gerade dies zum Ver- schwinden: das Zentrum der Macht ist nämlich leer. Die Eigenschaften dieser Leerstelle machen aus dem Panopticon einen verallgemeinerungsfähigen Mechanis- mus: den Panoptismus. Sie machen aus ihm eine dezent- ralisierte, lokal und im Einzelnen wirkende politi- sche Technologie. Insofern jeder den Mechanismus in Gang setzen und kontrollieren kann, machen sie aus ihm ein demokratisches Prinzip. Sofern er im Inneren der Individuum lebt und diese beseelt, kann er sich von den Institutionen lösen und sich im gesamten Ge- sellschaftskörper ausbreiten. Er kann sich von sich selbst als Apparat lösen und zur begeisternden, gas- förmigen Philosophie werden.

Die Macht besetzt nicht mehr die äußere Grenze des Lebens, welches sie dadurch beherrscht und erniedrigt. Vielmehr umhüllt und durchflutet sie das Leben in seiner Fülle, dringt in jede Pore und besetzt es im Inneren - mit dem Ziel, es zu sichern, zu verteidigen, zu stärken, zu mehren, zu ordnen, im einzelnen zu kontrollieren, im gesamten zu regulieren; mit dem Ziel also, es hervorzubringen.

Ebenso wie sich in der Moderne diese politische Ana tomie des menschlichen Körpers: die Disziplinen etablieren, entsteht - zeitlich etwas später und in Form eines eigenständigen Machttypus - eine Bio-Politik der Bevölkerung. Der Gattungskörper, d.h. „die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit all ihren Variationsbedingungen wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrolle. ”261

Im Namen des Lebens wird das Leben in Beschlag genom- men. Nachdem die Disziplinen den Menschen nicht län- ger allein als Rechtssubjekt begriffen hatten, son- dern als Individuum und Lebewesen, erkennt die Bio- Politik in diesem Lebewesen einen Teil einer Gattung, einer Bevölkerung, eines Volkes. Der Ansatzpunkt der Macht ist nicht mehr allein der individuelle Körper, sondern der Volkskörper.

Der Übergang von der Disziplinierung des individuel- len Körpers zu einer Regulation des lebendigen Ge- sellschaftskörpers stellt selbst schon eine weitere Transformation der Macht dar. Dennoch bleiben Diszip- linartechnologie und die Techniken der Bevölkerungs- Regulation aufeinander bezogen, sind sie orthogonal verknüpft.

Allgemein „läßt sich sagen, daß das Element, das vom Disziplinären zum Regulatorischen verläuft […], das zugleich die Kontrolle der disziplinären Ordnung des Körpers und der Zufallsereignisse einer biologischen Vielfalt erlaubt, daß dieses Element, das vom einen zum anderen zirkuliert, die Norm ist. Die Norm, das ist das, was sich auf einen Körper, den man diszipli- nieren will, ebensogut anwenden läßt wie auf eine Be- völkerung, die man regulieren will.”262

Es gibt verschiedene konkrete wissenschaftliche Bereiche und gesellschaftliche Komplexe, die eine solche Verknüpfung von Disziplinierung und Regulierung herstellen, innerhalb derer also die Sorge um das individuelle wie kollektive Leben von einundderselben Norm begründet werden.

Ein Beispiel wäre jene wissenschaftliche Disziplin und gesell- schaftliche Praxis, die am unmittelbarsten mit der Steigerung und dem Erhalt des biologischen Lebens betraut ist: die Medi- zin. Anhand der Geschichte medizinischer Verfahren und Vorkeh- rungen, anhand der Berichte und Aufzeichnungen über die Wirkun- gen dieser Behandlungen und Präventionen, anhand der hieraus abgeleiteten veränderlichen Sichtweisen und Vorstellungen von Krankheit, läßt sich anschaulich verdeutlichen, daß die Norm keine äußerliche, herrschaftliche, willkürliche Setzung ist, sondern vielmehr entsprechend der Nützlichkeit der medizini- schen Verfahren festgelegt wird, die sich ihrerseits aber der jeweils herrschenden Vorstellung von Gesundheit und Krankheit, wie auch der von Nützlichkeit verdanken.263 Die Psychologie, ge- rade in Form der Therapie, aber auch die Erziehung wäre ein weiteres Beispiel.

Als herausragendes Beispiel einer solchen Schnitt- stelle von disziplinären und regulatorischen Techni- ken wählt Foucault jene Konfiguration von Macht und Wissen, der auch in späteren Arbeiten sein Interesse gilt: das Sexualitäts-Dispositiv. Also all jene Dis- kurse, Erhebungsverfahren und Sedimentierungen des Wissens; all jene Institutionen, Reglementierungen, Kämpfe und Befriedungen, Praktiken und Strategien der Macht; schließlich all jene Technologien und Verfah- rensweisen der Unterwerfung und Konstitution von Sub- jekten, welche ein dichtes Netzwerk wechselseitiger

Wirkverhältnisse um das geknüpft haben, was gemeinhin als Sexualität oder Begehren bezeichnet wird. Das Se- xualitäts-Dispositiv affiziert sowohl das individuel- le Verhalten, als es auch Einfluß auf die Reprodukti- on der Bevölkerung nimmt. Zudem unterhalten insbeson- dere medizinisches, pädagogisches, psychologisches Wissen und Praktiken ein inklusiv unterstützendes Verhältnis zu diesem Dispositiv. Das Sexualitäts- Dispositiv ist somit das zentrale Scharnier, welches die Disziplinar-Macht und die Bio-Politik miteinander verbindet.

Es geht Foucault allerdings keineswegs darum, eine Geschichte der Sexualität zu schreiben. Sein Interes- se gilt auch hier nach wie vor der Frage, vermittels welcher Techniken aus Menschen Subjekte gemacht wer- den.

„Ich muß gestehen, daß mich Probleme der Selbsttechniken und ähnliches wesentlich mehr interessieren als Sex … Sex ist langweilig. “264

Auch oder gerade für die Frage nach den Selbsttechni- ken bietet sich die Analyse der Sexualitäten an. Wäh- rend sich nämlich Foucault in seinen Analysen darum bemüht, das Subjekt als Effekt verschiedener Macht- und Selbsttechniken zu entziffern, machen verschiede- ne andere kritische Theorien und deren Rezeption - nicht zuletzt eben die von Wilhelm Reich265 - zur sel- ben Zeit gerade die Sexualität der Subjekte, das Sub- jekt als Begehrensmenschen, als das geltend, was der Macht äußerlich ist, was von ihr bedroht und unter- drückt wird und was ihr widersteht. Foucaults Inte- resse gilt also auch insofern der Sexualität, als daß er dieser vereinfachenden Vorstellung von revolutio- närer Sexualität, die von einem ursprünglichen, na- türlichen, dem Leben entspringende, individuellen „Sex ” grundgelegt ist, eben der Hypothese Reich, wi- dersprechen und aufzeigen will, daß die Dinge sehr viel komplizierter sind. Er will zeigen, daß die Vor- stellung einer normalen, ahistorischen, biologisch- organischen Natur des Menschen die Wirkung und not- wendiges Instrument der Normierungs-Macht ist.266

Er kann damit zudem zeigen, daß diese Vorstellung zugleich die Idee einer homogenen, ursprünglichen, zuweilen als biologisch überlegen und rein gedachten Gattung oder Volksgemeinschaft be- gründet: den modernen Rassismus. Der Rassismus wird zur steten Begleiterscheinung der Bio-Macht, da er es ermöglicht, das sou- veräne Recht zu töten in die Normierungsgesellschaft, deren Sorge dem Leben gilt, hinüber zu retten. Der Rassismus erlaubt es, im Namen des Lebens der eigenen Rasse, zu dessen Stärkung, Veredelung, Reinigung und Gesundung, sowohl die fremde Rasse zu versklaven oder zu eliminieren, aber auch die Individuen der eigenen Rasse der Todesgefahr auszusetzen und die in sie einge- drungenen fremden oder degenerierten Elemente „auszumerzen “ . Die Rasse als Ganzes wird aus diesem äußeren wie inneren Krieg erstarkt und von ihren untauglichen, schwachen und kränklichen Elementen befreit hervorgehen. Sie wird geheilt und gereinigt sein.267

Die Macht ist zuletzt nicht mehr jene Macht des sou- veränen Schwertes, die sich des Lebens bemächtigt, indem sie ausschließt, abhackt, tötet, ausbeutet, ab- schöpft und aneignet, in diesem Sinne das Leben un- terdrückt, beschränkt und begrenzt, sondern es ent- steht jene Macht, die anreizt, verstärkt, kontrol- liert, überwacht, steigert und organisiert, die das Leben einschließt, um es aus ihrem Schoß zu gebären:

„diese Macht ist dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten. ”268

7.2.1. Das Modell der Bio-Macht oder Die Hypothese Nietzsche

Diese Transformation der Macht macht es für ihre Analyse notwendig, sich anderer Begrifflichkeiten zu bedienen als jener, die für die Analyse einer feudalen Macht vielleicht noch hinreichend waren.

Eine angemessene Analyse muß sich die Frage stellen, ob die Macht überhaupt existiert - im Sinne einer be- stimmbaren Substanz. Es ist zunächst von Nöten, dem König den Kopf abzuschlagen. Die Macht scheint sich einer Beschreibung eher in Form eines Ensembles sehr komplexer Relationen anzubieten. Die Frage darf nicht lauten: Was ist die Macht? Wer hat die Macht? Was ist das, was der Macht widersteht, was wird von der Macht unterdrückt? Zu fragen ist nach dem „Wie“ der Macht, d.h. Wie funktioniert die Macht?269 Man wird sich folglich von der Vorstellung lösen müssen, daß ers- tens die Macht die bloße Deduktion einer bestimmten Essenz oder Logik, daß sie zweitens an einem Ort lo- kalisierbar und daß sie drittens an ein Subjekt ge- bunden und auf ein Objekt gerichtet wäre.270

Die Machtverhältnisse sind nicht als Manifestationen oder Projektion einer ursprünglichen und umfassenden Macht zu verstehen. Die Macht begründet sich nicht auf einer bestimmten gesellschaftlichen Struktur. Sie ist nicht nur der Mittler, mit Hilfe dessen sich das Gesetz, ein herrschaftliches Interesse oder etwa eine ökonomische Logik durchsetzt. Sicherlich gibt es zwi- schen der Macht und der Ökonomie Wechselwirkungen und gegenseitige Bedingungsverhältnisse; sicherlich kann man die Macht nicht analysieren, ohne „Ausbeutungs- und Herrschaftsmechanismen zu berücksichtigen “271. In gleicher Weise aber, wie spezifische Ausformungen der Macht auf einer Wirtschaftsweise aufsitzen, ihren „Ü- berbau “ darstellen, sind die Machtverhältnisse die notwendige und grundlegende Bedingung der Möglichkeit ihres Funktionierens.

„Die ökonomische Ausbeutung erfordert eine »politi- sche Besetzung des Körpers«. (Foucault 1976, S.37) Daher muss die Arbeitskraft zunächst einmal als Ar- beitskraft konstituiert werden, bevor sie ausgebeutet werden kann. Lebenszeit muß in Arbeitszeit syntheti- siert, die Individuen an den Ablauf des Produktions- prozesses fixiert und dem Zyklus der Produktion un- terworfen werden; Gewohnheiten müssen ausgebildet, Zeit und Raum in festen Schemata eingefügt werden. “272

Die Macht hat somit ihren historischen Daseinsgrund keinesfalls in der Ökonomie. Ebensowenig hat sie ihr Modell in der Ware, welche besessen, angeeignet und getauscht wird.273 Die Macht unterhält bezüglich der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit eine ge- wisse Eigenständigkeit. Ihre Dynamik ist nicht von den Gesetzen der Ökonomie, nicht in Form einer Kritik der politischen Ökonomie zu analysieren. Die Macht- analyse muß vielmehr einer „politischen Ökonomie des Körpers“ nachspüren.

Auch ist die Vorstellung aufzugeben, die von einer prädestinierten Verortung der Macht im Staatsapparat, in politischen Strukturen oder in den Institutionen ausgeht. Diese werden von der Macht durchkreuzt, die Macht durchläuft sie. Sie sind Knotenpunkte, Ver- flechtungen, Konzentrationen von Macht taktiken zu - strategien. Sie sind die Verdichtungen viel basalerer Machtverhältnisse in jeglichen menschlichen Beziehun- gen, sei es die Beziehung zwischen Arzt und Patient, zwischen Analytiker und Analysand, „zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Alten, zwischen El- tern und Nachkommenschaft, zwischen Erziehern und Zögling, zwischen Priester und Laien, zwischen Ver- waltung und Bevölkerung“274, sei es die Beziehung in der Kommunikation, in der Liebe oder in dem Spiel der Leidenschaften.

„Zwischen jedem Punkt eines gesellschaftlichen Kör- pers […] verlaufen Machtbeziehungen, die nicht die schlichte und einfache Projektion der großen souverä- nen Macht auf die Individuen sind; sie sind eher der bewegliche und konkrete Boden, in dem sich die Macht verankert hat “275

Schließlich kennt eine adäquate Analyse der Macht de- ren Subjekt nicht. Die Macht ist weder Besitz, noch Instrument; weder eines des Königs, noch eines für das Interesse der herrschenden Klasse, noch eines des individuellen Bewußtseins oder dessen Intention. Die Macht ist nicht-subjektiv, sehr wohl aber intentio- nal.

276 Ihre Intentionalität ist die einer Taktik. Die Macht wird nicht besessen, weil sie spielt, weil sie sich riskiert.

277 Die Macht ist nicht der Kampf zwi- schen sozialen Akteuren. Dennoch ist die „Macht […] der Name, den man einer komplexen strategischen Situ- ation in einer Gesellschaft gibt.278

„Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten - oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegen- einander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Li- nien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in den Gesetzgebungen und in den gesellschaftlichen Hegemonien finden. ”279

Die Matrix der Macht ist der Krieg. In einer Umkeh- rung des bekannten Aphorismus von Clausewitz versteht Foucault die Politik als einen mit anderen Mitteln fortgeführten Krieg. Grundlage der Machtverhältnisse sei die kämpferische Auseinandersetzung der Kräfte, sind die Konfrontationen, Taktiken und Manöver, Stra- tegien und Kalküle; wo jede Bewegung eine Gegenbewe- gung provoziert, wo jeder Stellungswechsel eine Ver- änderung der Formierung des Gegenüber zur Antwort hat. Macht sei entlang der Hypothese Nietzsche zu a- nalysieren.280

Bei der Vorstellung der Macht als fortdauerndem Krieg muß man einige wichtige Unterscheidungen treffen. Zunächst ist die Um- kehr von Clausewitz im Grunde genommen eine Richtigstellung je- ner Verkehrung, die Clausewitz vornahm. Lange vor diesem gab es nämlich einen historischen Diskurs, der aus der realen Erfah- rung des alltäglichen Krieges heraus, aus der Erfahrung des „Privatkrieges “ , noch vor den großen Kriegen, die sich zwischen den Staaten abspielen werden, die Geschichte als „Kampf der Rassen “ beschreibt. Dieser Diskurs hatte sich ab dem Ende des Mittelalters als eine Art Gegengeschichte etabliert, die es er- möglichte, die Historie nicht weiter allein als Glorie, Ruhm und Herrlichkeit der siegreichen Souveräne zu memorieren, son- dern vielmehr als Konfrontation der einen und der anderen, der Sieger und Verlierer zu entziffern, als Abfolge von Eroberun- gen, Plünderungen, Brandschatzungen und Niedergang. Diese Ge- gengeschichte greift damit den Modus der Geschichtsschreibung selbst an. Sie nimmt tendenziell Partei für die Unterlegenen, die Vertriebenen, die Ermordeten, sie erinnert an die vergesse- nen Schlachten und erlittenen Niederlagen. Sie sensibilisiert dafür, daß im Schatten jener großen Männer, die die Geschichte schreiben, eine Vielzahl von Besiegten festgehalten wird.

Der Macht kommt die Aufgabe zu, genau diese Vorstellung von sich selbst, das Wissen um diesen Krieg dauerhaft zu verdunkeln und den Krieg selber zu zivilisieren, d.h. dessen Ergebnisse im Akt der Geschichtsschreibung zu verfestigen, die Übervorteilung in Form von disziplinären Institutionen zu verstetigen, den Krieg in unscheinbaren und friedlichen Machttechniken fortzu- führen. Umgekehrt verbindet sich daher der Kriegsdiskurs, der auf die agonale Pluralität der vielfältigen „Rassen “ aufmerksam macht, stets mit dem, was Foucault das „revolutionäre Projekt “ nennt.

„Die Gegen-Geschichte, die mit der Sage von den Rassenkämpfen an- fängt, spricht von der Seite des Schattens, aus diesem Schatten her- aus. Sie wird zum Diskurs jener, die keinen Ruhm genießen, oder je- ner, die ihn verloren haben und sich jetzt vielleicht für eine ge- wisse Zeit, sicherlich aber für lange, im Dunkel und im Schweigen aufhalten. […] Die Idee der Revolution […] kann, denke ich, vom Auf- treten und der Existenz dieser Praktik einer Gegen-Geschichte nicht getrennt werden. Denn was könnte die Idee und das revolutionäre Pro- jekt sein und bedeuten ohne diese Entzifferung der Asymmetrien, der Ungleichgewichte, der Ungerechtigkeiten und Gewaltsamkeiten, die trotz der Gesetzesordnung, unterhalb der Gesetzesordnung, durch sie hindurch und dank ihrer funktionieren? “ „Was wäre die Praktik oder das Projekt der Revolution ohne den Willen, einen wirklichen Krieg ans Tageslicht zu heben - einen Krieg, der sich abgespielt hat und weiterhin abspielt und den die stille Ordnung der Macht zu begraben und zu ersticken und zu verkleiden hat.“281

Am Ende des 19. Jahrhunderts erfährt der Kriegsdiskurs ver- schiedene Transformationen. Zum einen wird der Kampf der „Ras- sen “ im Sinne eines Antagonismus der Klassen reformuliert. Der Kriegsdiskurs wird hiermit noch im Rahmen eines revolutionären Projektes gedacht, der Plural der „Rassen “ aber auf einen Dua- lismus reduziert. Zum anderen wird, hierzu parallel, der revo- lutionären Dialektik des Klassenkampfes aber geradewegs entge- gengerichtet, das historische Wissen um den „Kampf der Rassen “ - wohlgemerkt im Plural - als Kampf der einen Rasse - nun im ahistorischen, biologisch-medizinischen Sinne des Begriffs - als der evolutionäre Kampf ums Überleben rekodiert: Es geht nunmehr „um Differenzierung der Arten, Selektion des Stärksten, Bewahrung der am besten angepaßten Rasse usw.“282 Es geht um die Steigerung der eigenen Lebenskräfte, die Eroberung von Le- bensraum, die Gesundheit des Gesellschaftskörpers, die Reinheit des Volksgeistes. Es ist ein Kampf primär gegen die inneren Feinde, gegen Verunreinigung, das Eindringen von Fremdkörpern und gegen die Entstehung von Abnormalem. Es ist zweifellos ein todbringender und mörderischer Kampf der „überlegenen Rasse “ gegen die Anderen, aber mit dem Ziel der Herstellung und Erhö- hung der eigenen Konstitution, Integrität und Reinheit.

„Der Tod des Anderen, der Tod der bösen Rasse, der niederen (oder degenerierten oder anormalen) Rasse wird das Leben im allgemeinen gesünder machen; gesünder und reiner. “283

Foucault begreift und analysiert die rassistische Verkehrung des historisch revolutionären Kriegsdiskurs, die die Geburts- stunde des modernen Rassismus markiere284, als integralen und notwendigen Bestandteil der Bio-Macht; als Mittel, um das sou- veräne Recht zum Töten in die Normierungsgesellschaft integrie- ren zu können. Er verwirft aber auch die Rhetorik des Klassen- kampfes. Er singt eher den Lobgesang der Gegen-Historie, um diesen Diskurs für eine Analyse der Kräfteverhältnisse, wenn schon nicht zu reaktivieren, so doch zumindest um an diese Form des historischen Wissens anzuschließen.

Aus der Perspektive strategischer Kräfteverhältnisse ist Macht vorstellbar als ein Feld von reinen Kräften und Funktionen, unabhängig von bestimmten Formen und Substanzen. Sie ist abbildbar als ein elektro- magnetisches Feld. Die Betrachtung der einzelnen Teilchen, im Singular, ist wenig aufschlußreich, wenn nicht unmöglich, weil sich „Teilchen “ gar nicht fin- den lassen. Diese konstituieren und definieren sich allererst über ihre Verteilung im Raum, durch das Da- zwischen, ihre Relationen, ihre Wirksamkeiten aufein- ander, ihr Affizieren- und Affiziert-werden-Können.

„Die Macht ist immer nur eine Relation, die aus- schließlich als Funktion der Begriffe studiert werden kann und muß, welche diese Relation ausmachen. Man kann also weder die Geschichte der Könige, noch die Geschichte der Völker erzählen, sondern nur die Ge- schichte der Konstitution dieser beiden Begriffe, de- ren einer niemals unendlich und deren anderer niemals null sein kann. “285

Die Macht ist relational. Die Macht ist nicht be- stimmt durch das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft. Sie kennt kein Subjekt und kein Objekt, von welchem sie ausgeht, auf welches sie sich rich- tet. Durch diese wirkt sie hindurch. Die Macht ist alles andere als repressiv. Sicherlich gibt es im Machtgeflecht Verdichtungen und Konzentrationen, es gibt Punkte, an denen sich die Taktiken zu Strate- gien, zu massiven Bündeln zusammenfügen. Es gibt so etwas, wie eine „Übermacht “ .286 Doch die Macht orga- nisiert sich nicht nach einem binären Schema, in dem die einen alle Macht in ihren Händen halten, die an- deren von oben nach unten dieser und diesen unterwor- fen sind. Eine Analyse der Macht muß vielmehr eine aufsteigende sein, „d.h. von den unendlich kleinen Mechanismen ausgehen, die ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Weg, ihre eigene Technik und Taktik haben, um dann zu erfor- schen, wie diese Machtmechanismen, die ihre Stabili- tät und in gewisser Weise ihre eigene Technologie ha- ben, von immer allgemeineren Mechanismen und globale- ren Herrschaftsformen besetzt, kolonisiert, verwen- det, umgebogen, transformiert, verlagert, ausgedehnt wurden und immer noch werden. “287

Die Macht ist kein Instrument der Unterdrückung. Es ist kein Gegenüber der Macht auszumachen, weder ein ursprüngliches Leben, noch ein freies Wissen, noch weniger eine reine Seele. Diese sind vielmehr Effekte der Macht. Der Macht steht einzig die Macht gegen- über; besser: die Macht ist dieses klein geschriebene gegenüber.

Man könnte einwenden, eine solche Vorstellung bedeute einen Monismus der Macht und sei darum eindimensio- nal. Dies macht aber nur vor dem Hintergrund Sinn, wenn das große Andere der Macht unterstellt wird - das revolutionäre oder spontanautonome individuelle Subjekt. Foucault ist aber gerade darum bemüht, sich von dem Geschichte schreibenden Dualismus der dialek- tisch-antagonistischen Widersprüche zu lösen. Er ver- streut ihn in eine unendliche Vielzahl von Kämpfen, Konfrontationen und Begegnungen, in ein Gewimmel von widerstreitenden Kräften, Vorstößen und Zurück- weichungen, Pakten und Verschwörungen, Hinterlisten und Überraschungen, Bindungen und Brüchen. Die Idee der Entfremdung - von sich selbst und von der Natur - ist hier einer Vorstellung geopfert, die das Fremde immer schon in der Konstitution des Eigenen verortet. Es handelt sich um einen agonalen Polymorphismus.288

7.2.2. Gegen-Macht

Entsprechend des relationalen Charakters der Macht gibt es kein Außerhalb der Macht. Nicht weil die Macht alles umfassen würde, sondern weil sie von ü- berall kommt.289 Freiheit ist nicht dort, wo Macht nicht ist. Die Freiheit ist der Macht nicht vorgän- gig, sondern immanent. Freiheit ist da, wo Widerstand möglich ist; und „wo es Macht gibt, gibt es Wider- stand. “290 Widerstand ist eine strategische Antwort auf die andere, die Erwiderung auf die Wirkung der einen Kraft auf die andere. Folgt man Foucault mit Deleuze, ist unstrittig, daß „die Macht sich nicht auf das Leben richtet, ohne ein Leben ans Licht zu bringen und zu fördern, das gegen die Macht Widerstand leistet “ .291 Widerstand ist somit selber Macht, eine Gegen-Macht.

Dennoch läßt Foucault im Rahmen der Analyse kriegeri- scher Kräfteverhältnisse diese Immanenz der Macht, die Koexistenz von widerständiger Freiheit und Macht weitgehend unbestimmt. Der Freiheit wird (noch) kein systematischer Platz und keine positive Funktion in- nerhalb der Macht eingeräumt. Sie bleibt trotz ihres inklusiven Verhältnisses zur Macht ausschließlich ne- gativ auf diese bezogen.

Zudem macht Foucault ungeachtet seiner strikten Ablehnung, ein vorgängiges Außen der Macht, eine Substanz des Widerstandes anzunehmen, zu diesem Zeitpunkt zuweilen Andeutungen, die ein solches suggerieren:

„Wir stecken niemals völlig in der Falle der Macht: unter bestimmten Bedingungen und mit einer bestimmten präzisen Strategie kann man ihren Zugriff abwenden.“292

Foucault legt gar die Vorstellung nahe, daß die strategische Freiheit die Macht „von unten“ durchbreche, von der „Kehrseite der Machtbeziehungen “ her und in den „Zwischenräumen der Macht “ operiere. Letztlich wird er einräumen, daß er über das Verhältnis von Macht und Widerstand noch zu wenig wisse.293

7.2.3. Der Diskurs der Wahrheit

Wie die Freiheit steht auch das Wissen nicht außer- halb der Macht. Deshalb ist der Begriff der Ideologie mit Vorsicht zu genießen: Er ist zu stark an einen emphatischen Wahrheitsbegriff geknüpft, an eine Vor- stellung, daß es eine Wahrheit gäbe, ein glückliches Bewußtsein, eine unmittelbare Wahrnehmung, die frei von Machtwirkungen sei. Die damit den Ausgangspunkt der Kritik der Macht darstelle: Die Wahrheit als der „Ort der Großen Weigerung ” .294 Um die Wahrheit wird aber machtvoll gestritten.

Man muß demnach der Vorstellung entsagen, „die wahr- scheinlich an die gesamte Organisation des okzidenta- len Wissens gebunden ist und darin besteht, Wissen und Wahrheit notwendig dem Register von Ordnung und Frieden zuzuschlagen und nie auf der Seite der Ge- walt, der Unordnung und des Krieges zu verorten. “295

Im Getümmel des Krieges generiert die Macht Wissen und setzt es zugleich als Waffe im Krieg ein. Es „ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt) ” .296 Etwa in der disziplinären Anordnung der permanenten Überwachung, der Vermessung, des Vergleiches, der Einschätzung, der Kategorisierung, der Klassifizie- rung, der Konfrontation mit der Norm, im Arrangement der Prüfung und dem Geständnis; hier wird ein Wissen über die Individuen erhoben; zu einem Wissen über das Mensch-Sein verallgemeinert; es wird ein Bild vom Menschen von eben dieser Macht-Formation erzeugt. Hier datiert die Geburtsstunde der Humanwissenschaf- ten; hier „hat die Prüfungsschule den Beginn einer als Wissenschaft auftretenden Pädagogik markiert. “297

„Diese Wissenschaften, an denen sich unsere »Mensch- lichkeit« seit über einem Jahrhundert begeistert, ha- ben ihren Mutterboden und ihr Muster in der kleinli- chen und boshaften Gründlichkeit der Disziplinen und ihrer Nachforschungen. Diese spielen vielleicht für die Psychologie, die Psychiatrie, die Pädagogik, die Kriminologie und so viele andere seltsame Kenntnisse eben die Rolle, die einst die schreckliche Macht der Inquisition für das ruhige Wissen von den Tieren, den Pflanzen, der Erde gespielt hat. […] Die Geburt der Wissenschaft vom Menschen hat sich wohl in jenen ruhmlosen Archiven zugetragen, in denen das moderne System der Zwänge gegen die Körper, die Gesten, die Verhaltensweisen erarbeitet worden ist. “ „Andere Macht, anderes Wissen. ”298

Dieses Wissen wiederum wirkt auf die Strategien zu- rück, die dadurch ihren Verankerungspunkt und ihre Zielscheibe noch enger umstellen, in ihren schöpferi- schen Wirkungen auf die Körper der Individuen noch effizienter sind. Es konstituiert sich ein Macht/Wissen-Komplex, dessen Pole sich wechselseitig in ihren Leistungen steigern. Die Analyse von Macht/Wissen hat somit nach der „Regel der Imma- nenz “299 vorzugehen: Die Macht konstituiert bestimmte Wissensfelder und installiert mögliche Objekte. Umge- kehrt können diese nur deshalb zur Angriffsfläche von Machtprozessen werden, weil sie zuvor kognitiv her- vorgebracht, d.h. der Wahrnehmung zugänglich gemacht worden sind. Die Macht ist folglich nicht repressiv.

„In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstands- bereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produkti- on. ”300

7.2.4. Macht und die Wahrheit des Selbst

„Diese Macht/Wissen-Beziehungen sind darum nicht von einem Erkenntnissubjekt aus zu analysieren, das ge- genüber dem Machtsystem frei oder unfrei ist. Viel- mehr ist in Betracht zu ziehen, daß das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnis- weisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformation bilden.”301

Genau an diesem Punkt greifen die Archäologie der Se- dimente des Wissens und Analyse der Strategien der Macht ineinander. Hatte die Archäologie gezeigt, daß die Vorstellung vom Menschen nicht auf dessen Natur, die sich in ihrer Naturhaftigkeit selbst erkennen kann, rückführbar, sondern einer diskursiven Formati- on geschuldet ist, so bekommt diese Formation mit der Macht ihr Wirkprinzip an die Seite gestellt. Die mo- derne Vorstellung vom Menschen erhält damit seine konkrete Gestalt: Er ist das der politischen Anatomie unterworfene Disziplinar-Individuum, das von der Bio- Politik zum Leben gebrachte Gattungswesen. Das moder- ne Erkenntnissubjekt ist wahrlich nicht nur beobach- tender Beobachter, sondern ein unterworfener Souve- rän; das autonome Subjekt im wahrsten Sinne des Wor- tes ein in der Unterwerfung aufgerichtetes sub- jektum. Die empirisch-transzendentale Dublette be- kommt hiermit ihre Wirklichkeit. Der Mensch, der sich mit seinem erkennenden, objektivierenden, manipulie- renden Blick auf sich selber beugt, beugt sich tat- sächlich unter diesem Blick, unter der Wahrheit der Humanwissenschaften, unter einer Anschauung, einer Utopie vom Leben, unter den Techniken der Diszipli- nen, welche durch ihn eingesetzt werden, wie wohl diese ihn einsetzen.

„Die Begriffe der Unterdrückungs-, Verwerfungs-, Aus- schließungs- oder Verdrängungsinstitutionen reichen folglich nicht aus, um zu beschreiben, wie sich im Zentrum der Kerkerstadt die hinterhältigen Mensch- lichkeiten, die uneingestehlichen Bosheiten, die kleinlichen Listen, die sorgfältig kalkulierten Ver- fahren, die Techniken, die »Wissenschaften« formie- ren, welche die Fabrikation des Disziplinarindivi- duums gestatten. In dieser zentralen und zentrali- sierten Humanität, die Effekt und Instrument komple- xer Machtbeziehungen ist, sind Körper und Kräfte durch vielfältige »Einkerkerungs«-Anlagen unterworfen und für Diskurse objektiviert, die selber Elemente der Strategie sind. In der Humanität ist das Donner- grollen der Schlacht nicht zu überhören. ”302

7.3. Die Kontrollgesellschaft

Um dem Gliederungsschema dieses Abschnittes der Ar- beit treu zu bleiben, müßte an dieser Stelle eine an Foucault angelehnte Beschreibung der sich in unseren Tagen abzeichnenden neuerlichen Transformation der Machtausübung folgen: eine Beschreibung der Macht- verhältnisse in einer nachindustriellen Gesellschaft, einer Gesellschaft der reflexiven Modernisierung oder - im Stile des Feuilleton - der Postmoderne. Foucault hat eine solche Analyse niemals systematisch verfolgt. Das genealogische Projekt verbietet eine derartige Arbeit geradezu. Der Genealogie kann die eigene Kultur nur insofern zum Gegenstand werden, als daß sie ihr fremd ist. Es bedarf also des historischen Abstands. Die Genealogie endet dort, wo wir eine Gegenwart als die unsrige ansprechen.

Dennoch gibt es vereinzelte Studien, die zumindest bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts hineinrei- chen. Was Foucault hier erkennt, bezeichnet er als Dispositive der Sicherheit. Gilles Deleuze hat vor rund zehn Jahren im Anschluß an Foucault und in Fort- führung der Beschreibung der Disziplinargesellschaft eine knappe Skizze einer Gesellschaft entworfen, in der unschwer unsere Gegenwart zu erkennen ist. Er nennt sie die Kontrollgesellschaft.303 Foucaults his- torische Analysen stellen uns Instrumente zur Verfü- gung, um sie zu analysieren; und man kann annehmen, er hätte ihr auch ihren Namen gegeben: Die „Verbindung zwi- schen den Technologien der Beherrschung ande- rer und den Technolo- gien des Selbst nenne ich Kontrollmentali- tät. “304

Die Kontrollgesell- schaft taucht laut De- leuze an der Grenze, inmitten der Krise der Disziplinargesellschaft auf; in der „allgemei- nen Krise aller Ein- schließungsmilieus, Ge- fängnis, Krankenhaus, Fabrik, Schule, Fami- lie. “305 Allmählich

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.12: RealPlay

setzt sie an die Stelle der mechanischen und unter- werfenden Disziplinartechniken „ultra-schnelle Kon- trollverfahren mit freiheitlichem Aussehen. “ Ist die Disziplinargesellschaft nach dem Modell der Indust- riemaschinerie strukturiert, gleicht sie der Fabrik, welche dem Gefängnis gleicht, so ist das Modell der Kontrollgesellschaft das „Unternehmen, und dieses ist kein Körper, sondern eine Seele, ein Gas “ . An die Stelle von: konzentrieren, verteilen, anordnen, zu- sammensetzten tritt die kontinuierliche Modulation, immerwährendes Surfen, unbegrenzter Aufschub, perma- nente Kontrolle. Die Kontrollgesellschaft ist nicht mehr die alte fordistische Industriegesellschaft, sie ist nicht an der Produktion orientiert.306 Sie ist vielmehr postfordistische Dienstleistungs- und Infor- mationsgesellschaft. Sie verkauft ihr technisches know-how und ihre humanen Kompetenzen, und sie kauft Aktien. In absehbarer Zeit ist die Kontrollgesell- schaft vielleicht gar eine, die nur noch virtuell statt hat.

Die Kontrollgesellschaft sprengt und unterläuft die überkommenen Einschließungen, die Institutionen. Die- se haben zunehmend vielfältigste Ausgänge, werden an den Rändern unscharf, innerlich verwahrlost. Ihre Aufgaben und Funktionen verflüchtigen sich im, verbreiten und vernetzen sich über den gesamten Gesellschaftskörper. Zunehmend weniger behaupten und legitimieren sie sich aufgrund einer Konzentration der Macht, vielmehr zerstreuen sie sich in eine demokraktisch distribuierte Technik, die als Chiffre, als Losung ausgegeben wird.

„Familie, Schule, Armee, Fabrik sind keine unter- schiedlichen analogen Milieus mehr, die auf einen Ei- gentümer konvergieren, Staat oder private Macht, son- dern sind chiffrierte, deformierbare und transfor- mierbare Figuren ein und desselben Unternehmens, das nur noch Geschäftsführer kennt. “ „Wie das Unterneh- men die Fabrik ablöst, löst die permanente Weiterbil- dung tendenziell die Schule ab, und die kontinuierli- che Kontrolle das Examen. Das ist der sicherste Weg, die Schule dem Unternehmen auszuliefern. “ „Marketing heißt jetzt das Instrument der sozialen Kontrolle und formt die schamlose Rasse unserer Herren. “307

7.3.1. Die Gouvernementalität

Auch für die Analyse dieses neu aufkommenden Machtty- pus der Kontrollgesellschaft bedarf es anderer In- strumente als jener, die für die Macht der juridi- schen Souveränitäts- bzw. disziplinären Normierungs- gesellschaft noch dienlich waren. Vielleicht ist es falsch zu behaupten, Foucault habe im Angesicht der neuen Gesellschaftsformation, deren bisherigen Höhe- punkt er nicht mehr erlebte, bestimmte Verschiebungen und Veränderungen an seiner Machtanalyse vorgenommen. In jedem Fall war ihm sehr wohl bewußt, daß es nicht allein die Disziplinen sind, die unsere Gegenwart prägen.

„Ich meine, daß man vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts geglaubt hat, die Besetzung des Körpers durch die Mächte müsse schwer, drückend und lückenlos sein. Daher die vorzügliche Disziplinaranordnung, wie man sie in Schulen, Krankenhäusern, Kasernen, […] findet … und dann, von den sechziger Jahren an, ist man sich dessen bewußt geworden, daß diese drückende Macht nicht mehr so unerläßlich war, wie man geglaubt hatte, daß die Industriegesellschaft sich mit einer sehr viel lockereren Macht über den Körper zufrieden geben konnte. “308

Entsprechend erkannte Foucault, daß die Analyse der Normierungsgesellschaft für ein historisches Ver- ständnis moderner Machttechnologien und Subjektivie- rungsweisen nicht allein hinreichend ist. Selbstkri- tisch räumt er ein, daß er in seinen Analysen trotz der Ablehnung der Repressionshypothese und der kriti- schen Haltung gegenüber der Theorie der Verinnerli- chung die Mechanismen der Subjektivierung nicht zu- friedenstellend hatte erklären können.

„When I was studying asylums, prisons, and so on, I insisted, I think, too much on the techniques of do- mination. What we can call discipline is something really important in these kinds of institutions, but it is only at one aspect of the art of governing peo- ple in our society. We must not understand the exer- cise of power as pure violance or strict coercion. Power consists in complex relations: these relations involve a set of rational techniques, and the effi- ciency of those techniques is due to a subtle integ- ration of coercion-technologies and self- technologies. I think that we have to get rid of the more or less Freudian schema - you know it - the schema of interiorization of the law by the self. […] things are much more complicated than this. In short, having studied the field of government by taking as my point of departure techniques of domination, I would like in years to come to study government - especially in the field of sexuality - starting from the techniques of the self.“309

Insofern waren es vielleicht eher immanente Gründe, Schwierigkeiten, Engführungen, auf die Foucault im Rahmen seines genealogischen Projektes gestoßen war. In jedem Fall gerät die Genealogie der Macht in ihrer bisherigen Form in eine Krise. Foucault sieht sich veranlaßt, einige Nachbesserungen und Fortführungen an ihr vorzunehmen. Drei Probleme scheinen mir hier- bei und speziell im Rahmen dieser Arbeit von besonde- rer Bedeutung:

Zum einen war Foucaults Machtanalyse zwar durchdrun- gen von einer expliziten Zurückweisung der Repressi- onshypothese und einer konsequenten Abstinenz gegen- über dem Begriff der Unterdrückung. Dennoch ist sie diesem Paradigma, der Hypothese Reich, im Begriff der Unterwerfung zu ähnlich geblieben. Auch wenn Fou- caults Analyse die Macht nicht als repressiv, sondern produktiv denkt; auch wenn sie, anstatt ein univer- selles und vorgängiges Subjekt als Ausgangspunkt einer Kritik an der Unterdrückung anzunehmen, vielmehr die machtvolle Fabrikation historisch-kontingenter Subjektivitäten aufspürt und das universelle Subjekt gerade als Produkt dieser Fabrikation dechiffriert; auch wenn die Unterwerfung also immer schon als zugleich subjektivierende gedacht ist, verbleibt das „assujetissement“ doch auf die Vorstellung eines passiven und letztlich der Macht im Akt der Unterwer- fung gegenüberstehenden, d.h. im Grunde genommen der Macht äußerlichen Subjektes verwiesen. Das Subjekt wird hervorgebracht, indem es unterworfen wird. Es ist noch nicht jenes Subjekt, welches in seiner akti- ven Selbstkonstitution Machteffekt ist. Einen selbst- ständigen Subjektivierungsprozeß, der zugleich und in sich selbst Unterwerfung wäre, ein Ensemble von kul- turellen und konventionellen Macht-Techniken, vermöge derer die Subjekte ein Verhältnis zu sich selbst, sich selbst als freie Subjekte konstituieren, kann man mit Foucault zu diesem Zeitpunkt folglich nur im Ansatz denken.

Daraus folgt zweitens daß die Rolle der Freiheit und damit die Möglichkeiten von Widerstand trotz deren angenommenes Immanenzverhältnis zur Macht noch unterbestimmt bleiben.

Drittens hatte Foucault in dem Maße, in dem er die Analyse der Macht als eine Analyse basaler Kräftever- hältnisse betonte, die ordnende und strukturierende Funktion einer Kohäsionsinstanz der Macht nicht hin- reichend erklären können. Was die Machtanalyse bis hierhin nicht zu präzisieren vermochte, war die Funk- tion und Rolle des Staates. Sie hatte sich damit be- gnügt zu betonen, daß die Macht nicht allein im Staatsapparat lokalisierbar und hier zu kritisieren sei. Sie hatte vornehmlich darauf aufmerksam gemacht, „daß nichts in einer Gesellschaft verändert sein wird, wenn die Machtmechanismen, die außerhalb der Staatsapparate, unter ihnen, daneben, auf einem sehr viel niedrigeren, alltäglichen Niveau funktionieren, nicht verändert werden. “310

Was der Machtanalyse also bisher fehlte, war eine Genealogie des modernen Staates.

Auf diese Schwachstellen in seiner Arbeit reagiert Foucault mit einer umfassenden „Genealogie des Selbst “ , welche nun tatsächlich, oder zumindest in einem anderen Sinne, alle drei Analyse-Achsen ein- schließt und miteinander verbindet: Wissen, Macht, Subjekt. Dabei meint dieses Subjekt nach wie vor kein vorgängiges, ursprüngliches. Auch die Genealogie des Subjekts kehrt nicht zur Subjektphilosophie zurück. Gerade sie erlaubt es, sich vollständing von dieser zu lösen:

„I have tried to get out from the philosophy of the subject through a genealogy of this subjekt, by stu- dying the constitution of the subject across history which has led us up to the modern concept of the self. […] I have tried to analyse in a previous book theories of the subject as a speaking, living, work- ing being. I have also dealt with the more practical understanding formed in those institutions like hos- pital, asylum, and prison, where certain subjects be- came subjects of knowlege and at the same time ob- jects of domination. And now, I wish to study those forms of understanding which the subject creates a- bout himself. “311

Die Genealogie des Selbst nimmt somit eine analyti- sche Verschiebung bzgl. der Vorstellung vom Subjekt vor. Es wird nicht länger ausschließlich als Produkt der subjektivierenden Unterwerfung, als Effekt eines Macht/Wissens verstanden. Das Subjekt wird darüber hinaus gedacht als Form, als verschiedene Formen, als differenzierte, aktiv errichtete Formen der Beziehung zu sich selbst - in Bezug auf und vermittels der Techniken des Regierens einerseits und spezifischer kultureller Selbstpraktiken andererseits. Foucault verschiebt und erweitert seine Analyseperspektive ausgehend vom Begriff des assujetissement auf den Begriff der Gouvernementalität und die Technologien des Selbst.

Aus dieser Perspektive erscheint das Subjekt nunmehr als Effekt einer Erfahrung „wenn man unter Erfahrung die Korrelation versteht, die in einer Kultur zwischen Wissensbereichen, Normativitätstypen und Subjektivierungsformen besteht. “312 „Die Erfahrung, die wir mit uns selber machen, erscheint uns zweifellos als die unmittelbarste und ursprünglichste, aber sie hat in der Tat ihre Schemata und historischen Praktiken.“313

Auch der Erfahrungsbegriff ist demnach keine Rückkehr zu einem cogito-Subjekt, zu einem Selbst, welches Mittelpunkt der Wahrnehmung, sinn- und bedeutungs- stiftend und damit die Quelle jeglicher Erfahrung wä- re. Das Subjekt bleibt weiterhin dezentriert. Viel- mehr wird aus der Bedingung der Möglichkeit jeglicher Erfahrung eine mögliche und bedingte Erfahrung unter anderen.

„Die Erfahrung ist die Rationalisierung eines Vor- gangs, der selbst vorgängig ist und der in einem Sub- jekt mündet oder besser in Subjekten. Diesen Vorgang, durch den ein Subjekt, genauer noch eine Subjektivi- tät, konstituiert wird, würde ich Subjektivierung nennen, die selbstverständlich nur eine der gegebenen Möglichkeiten der Organisation des Bewußtseins seiner selbst ist. “314

Der Begriff der Gouvernementalität gibt schließlich der Vorstellung von Regieren den doppeltendeutigen Sinn von Führung. Regieren wird verstanden als „Füh- ren der Führungen “ , d.h. als Regulierung, Steuerung, Leitung und Kontrolle, insbesondere aber als Hervor- bringung, Inauguration und Einpflanzung eines indivi- duellen Sich-Verhaltens im Sinne einer Haltung, einer Verhaltensdisposition, eines Selbst-Entwurfes, eines Lebensvollzuges; quasi also als Management der Selbst- und Lebensführung, als Selbst-Management.315

7.3.2. Regierungstechniken

7.3.2.1. Das Pastorat

Die Genealogie der Macht entlang des Begriffes der Regierung setzt erneut an und greift historisch weit zurück. Sie wendet sich zunächst der christlichen „Regierung der Seelen “ zu. Das Pastorat funktioniert nach der „Hirtenmetapher“ . Die Instanz der Führung wird durch den Hirten symbolisiert. Dieser besitzt nicht einfach ein bevölkertes Land; er steht nicht distanziert und uninteressiert einer undifferenzier- ten Masse von Schafen gegenüber bzw. an deren Spitze.

Vielmehr ist er der aufopfernde und wachsame Diener seiner Herde. Diese kann er nur insofern beisammen- halten, auf rechter Straße zum Ziel, zur grünen Aue oder ins Gelobte Land geleiten und schließlich erret- ten, als er jedes einzelne Schaf zur Kenntnis nimmt, sich um jedes einzelne Mitglied der Herde kümmert. Er muß gar die Herde verlassen, um nach einem einzigen verlorenen Schaf zu suchen. Zwar kennt die christ- lich-pastorale Macht lange Kataloge von allgemeinen Geboten, Pflichten und Untersagungen, in ihrer Aus- übung ist sie aber primär dauernde und zwingende in- dividuelle Selbstprüfung, Gewissenslenkung, Eröffnung der Seelentiefen und reinigende Absolution: sie ist individuelle Seelsorge.

Das Pastorat zielt nicht nur darauf, die Individuen zum rechten Handeln anzuleiten, sondern schon die den Handlungen zugrundeliegenden Gedanken, Wünsche, Be- gierden zu (er-)kennen und schon diese inneren Regun- gen aus dem finstern Tal herauszuführen und vom Bösen zu erlösen. Die zentrale Technik der Pastoralmacht ist damit das Geständnis in Form der Beichte. Die Beichte ist aber nicht allein die Offenbarung innerer Geheimnisse zum Zwecke ihrer Bemächtigung und Beherr- schung, sondern in erster Linie eine Produktionsstät- te der göttlichen Wahrheit. Sie arbeitet um so leis- tungsfähiger, je mehr sie diese Wahrheit als im Inne- ren, in den Seelen, der Individuen verborgene denkt. Sie ist eine Produktionsmaschine, die den Individuen dieses Innere erst schafft, um in diesem die Wahrheit einzupflanzen.

Das Christentum hat damit ein entscheidendes Element des Regierens erfunden: das Heil, welches privates, individuelles Seelenheil ist und zugleich an eine allgemeine göttliche Ordnung und Autorität gebunden bleibt. Die pastorale Selbsttechnologie zielt auf ei- ne Selbstverwirklichung, welche zugleich absoluter Imperativ und Gehorsam ist. Sie zielt auf eine Selbsterkenntnis, die zugleich Selbstverzicht bedeu- tet.316

„Die Autorität der Pastoralmacht besteht gerade dar- in, die Menschen gegebenenfalls zu zwingen, das zu tun, was notwendig ist, um das Heil zu erlangen. “317

Die Regierung der individuellen Seelen löst sich schließlich im 16. und 17. Jahrhundert von der kirch- lichen Institutionalisierung, dring in den gesamten Gesellschaftskörper ein und verbindet sich mit den Techniken der weltlichen, po- litischen Führung. Dies ist der Ausgang des modernen Staates. „Wirklich dämonisch sind un- sere Gesellschaften geworden, als sie diese beiden Spiele - das Stadt-Bürger-Spiel und das Hirte-Herde-Spiel - in Gestalt des sogenannten mo- dernen Staats kombinieren.“318

In der Nachfolge des christ- lichen Pastorats ist der mo- derne Staat von daher eine „verwickelte Kombination von Individualisierungstechniken und Totalisierungsverfahren innerhalb ein und derselben politischen Struktur.“ Er ist eine Individualisierungs- Matrix. 319

7.3.2.1. Die Staatsraison

Abb. 13: What is the Matrix?

In dem Maße, wie der Kosmos, die Natur und letztlich auch der Mensch als etwas entzaubert werden, was in- telligiblen Gesetzmäßigkeiten und nicht länger dem Gebot Gottes gehorcht, werden auch die Regierungs- technologien von theologischen Referenzen gesäubert. Analog zu den „principiae natura“ , die in der Natur selbst begründet liegen, entsteht eine autonome Kunst des Regierens, die ihre Prinzipien in sich selbst, in der Natur des Staates findet. Diese neue selbstrefe- renzielle politische Vernunft, diese politische Rati- onalität der guten Staatsführung hat den Erhalt, die Ausdehnung und das Glück des Staates zum Gegenstand, kurz: die Steigerung seiner Stärken und Vermeidung seiner Schwächen. Es geht zunehmend weniger um das Erlangen eines jenseitigen Heils, die Bewahrung und Erhöhung des Staates ist vielmehr Zweck in sich selbst.320

Diese Staatsraison des 17. und 18. Jahrhunderts etab- liert damit ein verändertes Verhältnis zum Wissen. Es entwickelt sich die Wissenschaft, die weder Theologie noch Metaphysik ist. Sie ist zum einen „politische Arithmetik “ , welche konkretes, meßbares, quantifi- zierbares und vergleichbares Wissen von der jeweili- gen Stärke der unterschiedlichen Staaten zur Verfü- gung stellt: sie ist Statistik. Sie begreift zu die- sem Zwecke zum anderen den Menschen als lebendiges, aktives, arbeitendes und geselliges Wesen. Sie ist Sozialwissenschaft.

Die Staatsraison benutzt gegenüber dem Pastorat ver- änderte und erweiterte Macht-Techniken: es entsteht die Polizey. Der Begriff der Polizei meint zu dieser Zeit eine wohl geordnete Hervorbringung und Verwal- tung des individuellen Lebens und damit eine Steige- rung der Stärke des Staates. Ihre Rolle ist dabei primär eine der Definition, aber auch der Sicherung moralischer Tugenden: Die Polizei soll „»Bescheiden- heit, Nächstenliebe, Loyalität, Fleiß, freundlichen Zusammenwirken, Ehrenhaftigkeit« unter den Menschen “ erwirken. Ihre Aufgabe liegt darin, bürgerlichen Re- spekt und öffentliche Moral zu befördern, und die Wahrung von Gesetzt und Ordnung zu gewährleisten.321 Sie tut dies vermittels spezialisierter Behörden, die erdacht und eingerichtet werden: Diese reglementieren die Armen, die In-Not-Geratenen und die Arbeitsunwil- ligen; den Handel und die Märkte; das private Eigen- tum und die öffentlichen Einrichtungen; schließlich sorgen sie für die richtige Erziehung, sowie die Kon- trolle und Registrierung der gesellschaftlich verfüg- baren individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Polizei ist eine spezifische Technologie, „durch die eine Regierung im Rahmen des Staates in die Lage versetzt wurde, Menschen zu regieren “, „um das Individuum zu einem für den Staat wichtigem Ele- ment zu machen “ -„welche [also] den Einzelnen in die soziale Entität zu integrieren halfen. “322

Auch der moderne Staat bedient sich also einer politischen Technologie, die direkt auf die Individuen zielt, einer politischen Technologie der Individuen. Eben darin besteht sein Erbe des Pastorats. „Das wahre Objekt der Polizei ist der Mensch. “323

Ziel und Resultat einer guten Regierung ist aber nicht notwendig das Glück und der Wohlstand der Indi- viduen. Das Wohl der Menschen ist vielmehr umgekehrt nur in dem Maße von Belang, sofern es notwendige Vor- aussetzung für das Überleben und die Stärkung des Staates ist.

„Die Rolle der Polizei […] besteht darin, [den Menschen, S.M.-G.] eine Art kleines Extra-Leben zu verschaffen, und indem sie das tut, gewährt sie dem Staat eine kleine Extra-Stärke. Dies geschieht mittels Kontrolle des »Verkehrs«, das heißt der gemeinschaftlichen Tätigkeiten der Individuen “324

Der Staat muß also daran interessiert sein, daß die von ihm regierten Individuen „besser leben als nur überleben “ .325

Die Macht des modernen Staates läßt sich schließlich „als eine säkularisierte Form pastoraler Macht cha- rakterisieren, die sich um alles und jeden kümmert und die Subjekte zu einem (ökonomisch) sinnvollen Le- ben führt: ein ökonomisches Pastorat. “326 Die Aufgabe dieses polizeilichen „Wohlfahrts-Staates “ besteht letztendlich darin, „die konstitutiven Elemente des Lebens der Individuen dergestalt zu entwickeln, daß deren Entwicklung auch die der staatlichen Stärke fördert“327:

„Manchmal muß der Einzelne für den Staat leben, arbeiten, produzieren, konsumieren, und manchmal muß er für ihn sterben. “328

Bleibt dieses Verhältnis von Regierung und Regierten dauerhaft bestehen, bleiben die Individuen also stets Objekte der Regulierung insofern sie als Subjekte den Zielen des Staates dienlich sind, so nachhaltig sind die Techniken, deren Rationalität und selbst die Zie- le, die diese Relation begründen und gewährleisten, ständigen kritischen Nachfragen und Modifikationen unterworfen. Diese tasten weniger die Grundstruktur an, sondern sind stets erneute Reflexionen und ver- besserte Antworten auf die Frage, welches die geeig- netsten Mittel sind, um bestimmte Ziele zu erreichen. Sie sind stetige Kritik der politischen Vernunft.

Foucault analysiert diese verschiedenen kritischen Anfragen und historischen Neuordnungen ausgehend von den Vorstellungen der Physiokraten, über den klassi- schen Liberalismus, den Sozial-Staat, bis hin zum Neoliberalismus der Nachkriegsära. Ich kann diese A- nalysen hier nicht im einzelnen erläutern.329 Ich wer- de versuchen, allgemein jene Punkte und Problemberei- che zu umreißen, entlang derer die Verschiebungen verlaufen. Ich werde mich dabei ausschließlich auf die unterschiedlichen Sichtweisen bezüglich der Effi- zienz und Legitimität der eingesetzten Mittel und die damit sich verändernde Bedeutung und Funktion der Freiheit der Individuen konzentrieren.

Dabei geht es auch darum, die neuen Regierungstechni- ken von den Machttechnologien sowohl der Souveräni- täts- als auch der Disziplinargesellschaft zu unter- scheiden. Letztere schieben sich in Foucaults Denken nunmehr ineinander, insofern er nicht mehr vor allem zwischen diesen beiden unterscheidet, sondern die De- markationslinie zwischen diesem „juridisch- disziplinären System “ und jenen neuen Techniken der Kontrollgesellschaft verlegt, welche Foucault als Dispositive der Sicherheit anspricht.330 Dabei handelt es sich freilich in erster Linie um eine analytische Verschiebung, weniger um historische Zäsuren. In ih- rer historisch-konkreten Erscheinung bedienen sich die Dispositive der Sicherheit also nach wie vor ju- ridisch-disziplinärer Mittel neben anderen. Die Dis- ziplinen bleiben weiterhin ein wichtiger Aspekt des Regierens. Was die Dispositive der Sicherheit neu ins Spiel bringen, ist das frei handelnde Subjekt.

7.3.2.3. Freiheit der Individuen-Dispositive der Sicherheit

In dem Maße, in dem der aus dem christlichen Pastorat hervorgegangene Polizeistaat vermittels Verordnungen, Satzungen und reglementierenden Eingriffen regiert, ist er souverän-juridische Macht. Den Einsatz seiner Mittel begründet und legitimiert er anfangs in Bezug auf eine göttlichen Ordnung, vermittels eines Souve- rän von Gottes Gnaden, später in Bezug auf ein mora- lisches Gesetz, das dem allgemeinem Wohl und damit der Stärkung des Staates am dienlichsten schien. Ge- rade in der Setzung einer das Gemeinwohl verbürgenden Autorität aber bleibt die Begründung des Staates zir- kulär und die Regierung Selbstzweck. Sie bezieht ihre Legitimation von der Vorstellung, „dass es ein Gemeinwohl gibt, sobald die Untertanen alle und ohne Ausnahme den Gesetzen gehorchen, die Aufgabe, die man ihnen übertragen hat gut ausführen, die Gewerbe, denen sie sich widmen, korrekt betreiben und die bestehende Ordnung wenigstens insoweit ach- ten, wie sie den Gesetzen entspricht, die Gott der Natur und den Menschen auferlegt hat. Das öffentliche Wohl ist also im Wesentlichen der Gehorsam vor dem Gesetz, […] demnach ist das Wohl, das die Souveräni- tät sich vornimmt, dass die Leute ihr gehorchen. Eine wesentliche Zirkularität “.331

Die physiokratische Kritik wird ab dem 17. Jahrhun- dert demgegenüber einfordern, eine Regierung habe sich an der natürlichen Ordnung, an den erkennbaren Gesetzen der Natur, zu orientieren. Diese Forderung ist keine moralische, sondern eine, die für eine öko- nomische Zweck-Mittel-Relation votiert. Um einen größtmöglichen Effekt zu erzielen, dürfe die Regie- rung nicht das (göttlich-moralische) Gesetz verkör- pern, sondern müsse der Eigengesetzlichkeit des von ihr Regierten Rechnung tragen. In die Natur, in die natürlichen Vorgänge dürfe sie nicht willkürlich reg- lementierend eingreifen, sondern diese nur entspre- chend ihrer „physis “ regulieren: etwa gemäß der Pro- zesse der Bevölkerung oder adäquat den Regelmäßigkei- ten des Menschen als Lebewesen. Die physiokratische Regierungskunst stellt den Beginn einer disziplinär- normierenden Macht dar.

Doch auch ihr bleibt der sie anleitende und legitimierende Referenzpunkt vorgängig und äußerlich. Auch sie gibt den von ihr regierten Dingen ihr (natürli- ches) Gesetz vor. Auch sie bezieht sich auf einen präskriptiven Normalzustand: eine ahistorische, fixe und intellegible natürliche Ordnung; eine organisch, evolutionäre Natur des Menschen.

Der klassische Liberalismus ab Mitte des 18. Jahrhun- derts wird das notwendig beschränkte Wissen des Staa- tes gegenüber der Vielzahl von gesellschaftlichen Vorgängen als kritisches Prinzip ins Regierungsdenken einführen. Sein Regierungshandeln bemißt sich nicht mehr ausschließlich an einer vermeintlich erkennbaren und damit kontrollierbaren Natur, vielmehr wird die „Natur der Dinge“ zum leitenden Regierungsprinzip. Sie unterwirft nicht mehr entsprechend einer umfas- senden, einheitlichen natürlichen Ordnung, sondern sie regiert, indem sie die „richtige Art definiert, über die Dinge zu verfügen, um sie […] einem für jedes dieser zu regierenden Din- ge »angemessenen« Zweck zuzuführen. Dies impliziert als erstes eine Vielheit spezifischer Ziele “332

Die liberale Gouvernementalität enthält sich also weitgehend der „naturkonformen “ Regulierung. Sie be- schränkt sich darauf, einen Rahmen abzustecken und zu sichern, innerhalb dessen dieser undurchschaubare Komplex, gebildet aus den Menschen und den Dingen, sich in seiner Autonomie entfalten kann. Sie regiert nicht mehr uneingeschränkt im Hinblick auf die Stär- kung des Staates und mit den hierfür angezeigten und optimalen Mitteln, sondern macht die undurchsichtigen gesellschaftlichen Phänomene, die Gesellschaft, zu ihrem immanenten Prinzip und zur „natürlichen “ Gren- ze ihrer legitimen Interventionen. Die liberale Re- gierungskunst besteht weniger im reglementieren, ver- ordnen und herrschen, als vielmehr im anspornen, an- reizen und im laissez-faire. So gibt der liberale Staat der Ökonomie nicht mehr sein Gesetz vor, son- dern regiert nach den Gesetzen der Ökonomie. Die Freiheit der regierten Individuen behauptet sich nicht länger allein aufgrund deren natürlichen oder vertraglich geregelten Rechtes gegenüber der regie- renden Macht, sondern „an die die Stelle einer externen Opposition von Macht und Subjektivität tritt ein inneres Band: Das Prinzip der Regierung erfordert die »Freiheit« der Regierten, und der rationale Gebrauch dieser Freiheit ist die Bedingung einer »ökonomischen« Regierung. […] Der Liberalismus […] beschränkt sich nicht darauf, diese oder jene Freiheit zu respektieren, sondern er »konsumiert« Freiheit. Freiheit ist […] das Medium und Instrument des Regierungshandelns, so dass ihre Missachtung nicht nur eine illegitime Verletzung des Rechts ist, sondern eine fundamentale Unwissenheit darüber signalisiert, wie regiert werden muss“ .333

Das freie Subjekt ist die Existenzbedingung der libe- ralen Gouvernementalität. In dem Maße aber, in dem der Liberalismus nicht von einem ursprünglichen „Na- turzustand “ des Menschen, einer natürlichen Freiheit der Individuen, ausgeht, erfasst er sein inneres Prinzip in einer künstlichen, gesellschaftlichen, zweiten Natur der Individuen, die Produkt seiner Regierung ist und auf die sich diese Regierung richtet. Die liberale Gouvernementalität ist die Existenzbe- dingung des freien Subjekts. Die liberale Regierungs- rationalität ist somit vor das Paradox gestellt, daß sie permanent riskiert, die Freiheit, die sie selbst herstellt und die umgekehrt ihren Erhalt und ihre Le- gitimität verbürgt, in demselben Prozeß der geregel- ten Produktion von Freiheit zu gefährden. Der libera- len Freiheit der Subjekte korrespondiert somit ein zwingendes, permanentes und notwendiges Koordinati- ons- und Regulationskalkül das gewährleistet, daß die Individuen von dieser fragilen Freiheit einen klar begrenzten Gebrauch machen, nämlich denjenigen, der die Verhältnisse, die die liberale Freiheit sichern, garantiert. Der liberalen Gouvernementalität korres- pondieren Dispositive der Sicherheit.

„Diese Autonomie ist […] (anders als bei den Physi- okraten) keine natürliche, die sich selbst regelt und stabilisiert, sondern eine künstliche, die immer wie- der bedroht ist und von Sicherheitsmechanismen einge- fasst werden muss, um in ihrer Autonomie spielen zu können. “334

Nur unter dieser Prämisse ist gewährleistet, daß die sozialen und ökonomischen Prozesse und Konflikte im Rahmen einer parlamentarisch-demokratischen Verfas- sung und eines freien Marktes zu einem inneren Gleichgewicht gelangen. Soziale Ungleichheit kann im liberalen Denken nur vor dem Hintergrund einer unein- geschränkten individuellen Verantwortung und somit als Folge eines falschen Gebrauches der Freiheit be- urteilt werden. Damit kann die staatliche Interventi- on allein die Funktion haben, „die Koexistenz der Freiheiten zu sichern, [und] kann die liberale Vernunft nur eine einzige soziale Ver- pflichtung zum Gegenstand einer rechtlichen Sanktion machen: nämlich die Freiheit der anderen nicht einzu- schränken. “335

Die liberale Regierung ist somit angewiesen auf Tech- niken, die dafür Sorge tragen, daß die Individuen sich als autonome Subjekte begreifen. Sie kann weder auf die einschränkende Norm des Gesetzes zurückgrei- fen, noch sich allein und immerzu normierenden und unterwerfenden Disziplinen bedienen. Sie bedarf einer Technologie, die es ermöglicht, daß die Individuen sich selbst als freie und freiheitsliebende Subjekte konstituieren und erkennen. Sie bedarf einer Technologie des Selbst.

Die sozial fragwürdigen Probleme, die Widersprüche und der gesellschaftliche Sprengstoff, den die klas- sisch-liberale Regierungskunst produziert hatte, wur- de in den folgenden Jahrhunderten von verschiedenen sozialen Sicherungssystemen zu entschärfen versucht. Zum einen ist erkannt worden, daß das Funktionieren der Ökonomie durch eine Ausgliederung großer Teile der Bevölkerung aus den wirtschaftlichen Kreisläufen und durch eine damit einhergehende Massenarmut ge- fährdet ist. Durch die Steigerung der privaten Kauf- kraft vermittels einer Regulierung des Arbeitsmarktes und einer Steigerung und Sicherung der Einkommen ist versucht worden, wirtschaftliches Wachstum langfris- tig zu garantieren. Es hat sich eine Regulation etab- liert, die aus einem ungezügelten Markt, aus einem freien Spiel der Kräfte, eine weiterhin freie, zugleich aber soziale „Wirtschafts-Ordnung “ macht.

Zum anderen werden die Unsicherheiten, denen sich das selbstverantwortliche Individuum ausgesetzt sieht, durch paternalistische Fürsorge, soziale Solidarität, spezifische Versicherungstechnologien und sozial- staatliche Interventionen flankiert. All diese Ver- fahren zielen darauf ab, die Gefahren und Kosten, die aus den Fehlern und Problemen des liberal geregelten gesellschaftlichen Funktionierens entstanden sind und deren Hauptlast bestimmte Individuen und Gruppen zu tragen haben, gleichmäßig auf alle Gesellschaftsmit- glieder zu verteilen. Es handelt sich um eine „Sozia- lisierung des Risikos “ . Hier wird das Soziale als eigenständiger Bereich erfunden und einer es bedro- henden Ökonomie entgegengestellt.336

Laut Lemkes Foucault-Rezeption besteht Foucaults These nun darin „dass sich diese Konzeption des Sozialen nach dem Mo- dell der Versicherung spätestens seit den 70er-Jahren in einer Krise befindet. […] Sie manifestiert sich in abnehmenden Wachstumsraten und gleichzeitig steigen- den Sozialausgaben, neuen Managementstrategien und Globalisierungstendenzen. Dennoch ist diese Krise nicht allein eine ökonomische, sondern auch eine po- litische und soziale Krise. Das keynesianische Modell und der Sozialstaat sind seit den 60er-Jahren Adres- saten einer Reihe von Kritiken, die in unterschiedli- cher Akzentuierung im rechten wie im linken politi- schen Lager formuliert werden. […] Kritisiert wird nicht nur die fehlende Souveranität des Staates, sei- ne Abhängigkeit von Partikularinteressen und die wachsende Bürokratisierung, sondern auch die mangeln- de Autonomie, die Fortsetzung patriarchal-autoritärer Gesellschaftsstrukturen und die Koppelung von Sicher- heit und Abhängigkeit. “337

Foucault analysiert diese Kritik u.a. an dem US- amerikanischen Neoliberalismus der Chicagoer Schule. Deren Ansatz besteht darin, soziale Beziehungen und individuelles Verhalten innerhalb eines ökonomischen Intelligibilitätshorizonts zu entziffern. Ökonomische Analyseschemata und Entscheidungskriterien werden da- bei auf gesellschaftliche Bereiche ausgeweitet, die keine genuin ökonomischen Bereiche sind oder die gar als Gegengewicht zu den Effekten der Ökonomie etab- liert worden waren. Die historische Differenzierung zwischen Ökonomie und Sozialem wird in diesem Denken in Frage gestellt.

„Das Ökonomische ist in dieser Perspektive nicht ein fest umrissener und eingegrenzter Bereich menschli- cher Existenz, - mit einer ihm eigenen Rationalität, Gesetzen und Instrumenten - sondern sie umfasst prin- zipiell alle Formen menschlichen Handelns und Sich- Verhaltens. “338

Somit sieht sich auch die Regierung selbst einer kri- tischen Bewertung durch das ökonomische Raster und einem Spiel von Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Sie muß sich als ein politisches Unternehmen auf dem Markt behaupten, welches einen allgemeingültigen, so- zial gerechten und zugleich freien und marktförmigen Handlungsrahmen für seine Kunden, für die von ihr re- gierten Individuen, Gruppen und Institutionen anbie- ten muß. Sie muß damit rechnen, daß Machtmißbrauch, die Limitierung der Freiheit oder der Eingriff in die private Ökonomie zugunsten der Verfolgung allgemeiner Ziele ihren Bankrott herbeiführen bzw. nur mit einem Mehraufwand an Publicity-Investitionen marktgängig gemacht werden können.

„Während der klassische Liberalismus die Regierung angehalten hat, die Form des Marktes zu respektieren, ist der Markt in dieser Konzeption nicht mehr das Prinzip der Selbstbegrenzung der Regierung, sondern das Prinzip, das sich gegen sie kehrt: »eine Art permanentes ökonomisches Tribunal« “339

Dem neoliberalen Denken ist dabei die These unter- legt, daß die frei handelnden Subjekte von einem e- benso freien Willen geleitet sind. Dieser sei gekenn- zeichnet durch eine bestimmte, ihm eigenen, ökonomi- schen Rationalität. Die individuelle Vernünftigkeit bestehe in einem wesentlichen Nutzen-Kosten-Kalkül, welches in Anbetracht einer Vielzahl konkurrierender Ziele, verschiedener Möglichkeiten, diese zu errei- chen und der Begrenzheit der hierfür zu Verfügung stehenden Mittel nach einer effizienten und realisti- schen Relation dieser Faktoren suche. Das neoliberale Denken geht davon aus, daß jeder am besten für sich selbst beurteilen kann, was für ihn gut ist. Diese Orientierung an dem jeweils subjektiv als am Nützli- chensten Empfundenen - unter berechnender, rationaler Bezugnahme auf das Realistische bezüglich der Reali- sierungsmöglichkeiten - ist dabei das maßgebliche, leitende Moment.

Foucault illustriert diese individuelle ökonomische Vernunft u.a. anhand der neoliberalen Konzeption des „Humankapitals “ . Dem Neoliberalismus gilt die Ar- beitskraft nicht als „passiver Produktionsfaktor “ , vielmehr nimmt er den subjektiven Standpunkt desjeni- gen ein, der seine Arbeitskraft veräußert, den des Arbeiters. Aus dieser Perspektive stellt sich die Ar- beitskraft als eine besondere Form des Kapitals dar, das dem Arbeiter ein Einkommen garantiert. Dieses Ka- pital ist insofern ein spezielles, als daß es in Form eines erworbenen Bildungsgrades, Fertigkeiten, sozia- len Kompetenzen etc. auftritt und somit nicht von der Person zu trennen ist, welches es besitzt. Über die- ses persönliche Kapital hat das Individuum vernünfti- gerweise so zu verfügen, wie ein am Markt operieren- des Unternehmen: effizient, rational und realistisch.

„Dieses »menschliche Kapital« besteht aus zwei Kompo- nenten: eine angeborene körperlich-genetische Aus- stattung und die Gesamtheit der erworbenen Fähigkei- ten, die das Ergebnis von »Investitionen« in entspre- chende Stimuli sind: Ernährung, Erziehung und Ausbil- dung, aber auch Liebe und Zuwendung etc. Die Arbei- tenden erscheinen in dieser Konzeption nicht mehr als abhängig Beschäftigte eines Unternehmens, sondern werden zu autonomen Unternehmern, die eigenverant- wortlich Investitionsentscheidungen fällen und auf die Produktion eines Mehrwertes abzielen: Unternehmer ihrer selbst. “340

Die Regierung der Individuen bestehe nunmehr darin, den individuellen unternehmerischen freien Willen zu garantieren und sicherzustellen, daß er ungehindert zur Anwendung kommen kann. Das heißt, dafür Sorge zu tragen, daß die Individuen ihre Freiheit in einer be- stimmten Form gebrauchen - nämlich vernünftig und re- alistisch. Die Anleitung der Subjekte besteht mit- nichten darin, ihre Freiheit zu beschränken oder ih- ren Willen zu manipulieren, sondern allein darin, die Rahmenbedingungen, das Feld möglichen Handelns, in- nerhalb dessen die Subjekte voluntaristisch und auto- nom operieren, derart zu gestalten, daß diese sich gemäß einer realistischen Einschätzung ihrer Situati- on und der ihnen eigenen Rationalität eher für be- stimmte Ziele und Mittel entscheiden als für andere. Die neoliberale Regierungskunst besteht darin, Ange- bote zu machen, Möglichkeiten aufzuzeigen, Verfah- rensweisen nahe zu legen. Sie besteht darin zu moti- vieren, zu verführen, zu beseelen. Sie besteht darin, in einem Feld von Möglichkeiten Wahrscheinlichkeiten zu schaffen.

Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, die sich im Rahmen dieser neo-utilitaristischen Rationalität bewegen, sind zunehmend das entscheidendende politi- sche Regulativ, zudem eine zentrale ökonomische Res- source und aktiver Produktionsfaktor. Die neolibera- len Regierungskunst ist darauf angewiesen, daß die Individuen mehr Verantwortung, damit aber auch mehr Risiko übernehmen. Ihre notwendige Bedingung ist die Existenz einer freien, zudem willentlichen, interes- sengeleiteten, rationalen, realistischen und autono- men Subjektivität. Die Selbststeuerungskapazitäten der Individuen werden zur Schnittstelle an der der freie Wille der Subjekte mit politischer Herrschaft und ökonomischer Ausbeutung kurzgeschlossen ist.

7.3.4. Technologien des Selbst

Die Ergänzungen die Foucault an der Genealogie der Macht, wie er sie in „Überwachen und Strafen“ und „Der Wille zum Wissen “ entwickelt hatte, vornimmt, erlauben es ihm nun, deren eingangs erwähnten Schwachstellen auszuräumen.

7.3.4.1. Der moderne Staat

Indem er erstens die Macht des modernen Staates aus dem christlichen Pastorat heraus erklärt, konnte er diese als zugleich individualisierende und totalisierende Form der Macht, als Individualisierungs-Matrix erfassen. Die staatliche Regierungskunst ist damit eine politische Machttechnologie, die die basalen Kräfteverhältnisse umfasst und ihnen eine bestimmte Rationalität verleiht, zugleich aber von diesen abhängt und nur eine unter vielen ist.

„Regieren tun […] viele: der Familienvater, der Supe- rior eines Klosters, der Erzieher oder Lehrer im Ver- hältnis zum Kind oder Schüler, und daran sieht man, dass der Regent und die Praktik des Regierens zum ei- nen einem Feld mannigfaltiger Praktiken angehören. Deshalb gibt es auch viele Regierungen, und die des Fürsten, der seinen Staat regiert ist nur eine Unter- art davon. Alle diese Regierungen sind zum anderen der Gesellschaft selbst oder dem Staat innerlich. […] So gibt es zugleich Pluralität der Regierungsformen und Immanenz der Regierungspraktiken im Verhältnis zum Staat, bestehen zugleich Mannigfaltigkeit und Im- manenz dieser Aktivitäten “ .341

Der Begriff der Gouvernementalität erlaubt es Fou- cault zudem, den Staat entlang jener Rationalität zu denken, die im eigenen ist und zugleich die legitime Grenze seines Handelns markiert. Mit dem Aufkommen der liberal bürgerlichen Gouvernementalität im 18. Jahrhundert, erhält der Begriff seine volle Bedeutung in einem modernen Sinne. Die liberale Rationalität vollzieht eine Trennung von Staat und Gesellschaft, Ökonomie und Sozialem. Sie erfindet als kritischen Maßstab und Grenze des Regierungshandelns das autono- me Subjekt. Die neoliberale Gouvernementalität wie- derum schickt sich an, dieses historisch erworbene Spannungsverhältnis zu eleminieren und die Freiheit der Individuen, das Soziale und das Regierungshandeln selbst einem ökonomischen Kalkül zu unterstellen. Der Begriff der Gouvernementalität macht es möglich, die- se Bewegung nicht notwendig als das Zurückdrängen o- der die Zersetzung gesellschaftlicher Regierungstech- niken und staatlicher Planungskapazität durch die Macht der Ökonomie zu verstehen, sondern gerade als Ausdruck einer bestimmten Regierungsmentalität, als eine vernünftige Form des Regierens zu beschreiben.

„Und daß der Staat so ist, wie er jetzt ist, dürfte wahrscheinlich dieser Gouvernementalität zu verdanken sein, die dem Staat zugleich innerlich und äußerlich ist. Denn eben die Taktiken des Regierens gestatten es, zu jedem Zeitpunkt zu bestimmen, was in die Zu- ständigkeit des Staates gehört und was nicht […], was öffentlich und was privat ist, was staatlich ist und was nicht“ .342

7.3.4.2. Selbstpraktiken

Insofern Foucault zum zweiten dem Begriff der subjek- tivierenden Unterwerfung (der individuellen Körper) unter das souveräne Gesetz bzw. das Macht/Wissen der Disziplinen mit der Untersuchungen zur Gouvernementa- lität den Begriff der Regierung (freier Subjekte als Individuen) an die Seite stellt, die gerade vermit- tels und über diese Freiheit der Subjekte operiert, gelingt es ihm, entscheidende begriffliche Differen- zierungen in Bezug auf die Analyse der Subjektivie- rungsprozesse vorzunehmen.

Zum einen erfährt die Bedeutung der Norm als organi- sierendes Prinzip der Disziplinar- und Bio-Macht eine wichtige Wendung. Die Disziplinartechnologie arbeitet vermittels einer Norm, die optimales, natürliche Mo- dell ist. Bezüglich dieser gesetzten Norm werden die individuellen Körper dressiert, korrigiert und paßge- recht gemacht; sie werden normiert. Die Norm produ- ziert damit das normale, vom pathologischen geschie- dene, und zugleich einzigartige Individuum.

Die moderne Gouvernementalität wird sich zunehmend weniger darum bemühen, die Existenz der Individuen an einer vorher definierten Norm auszurichten, d.h. sie zu vereinheilichen, um sie im jeweiligen Abstand zur Norm zu individualisieren. Vielmehr nimmt sie die em- pirisch vorfindliche, statistische Verteilung von Häufigkeiten des individuellen Verhaltens selbst als Norm. Die Norm als das durchschnittliche Musterbild, das Ideal des Mittelmaßes, der Hochpunkt der gauß- schen Verteilung; aber auch als das Extrem, das Au- ßergewöhnliche, das Exzentrische. Die Dispositive der Sicherheit etablieren keine absolute Grenzlinie zwi- schen dem Natürlichen und Widernatürlichem, dem Guten und Schlechten, dem Integrierten und dem Ausgeschlos- senen, eben dem Normalem und dem Anormalen. Sie bestimmen vielmehr verschiedene Positionen und einen gewöhnlichen Mittelwert innerhalb einer Bandbreite von Variationen. Sie erheben ein exaktes, empirisches Wissen, erstellen verschiedene Datenbanken und ermit- teln bestimmte Korrelationen und Signifikanzen. Es geht darum, eine Normalverteilung, ein normales Gleichgewicht herzustellen. Es geht um eine Normali- sierung. Die Macht der Kontrollgesellschaft produ- ziert damit das einzigartig selbstidentische und zugleich flexibel modulierbare Individuum.

Im Gegensatz zu den Souveränitäts- und Disziplinargesellschaften, geht die Kontrollgesellschaft also zunehmend weniger von einer präskriptiven, sondern vielmehr einer deskriptiven Norm aus.

„Daher stellt Foucault der rechtlichen Norm jetzt die disziplinäre Normierung (»normation«) an die Seite, von der er die Normalisierung (»normalisation«) der Sicherheitstechnologien absetzt “.343

Hatte Foucault des Weiteren die subjektivierende Wir- kung der Macht bisher primär von den unterwerfenden Herrschaftstechniken aus analysieren können, führt die Analyse der Gouvernementalität ihn nun dazu, die Machtverhältnisse und die darin eingelassene Konsti- tution von (freier) Subjektivität von den Selbsttech- niken her zu erklären, die die Individuen auf sich selbst anwenden. Von jenen Macht-Wissens-Praktiken also, vermittels derer die Menschen sich selbst als Subjekte (einer Sexualität - die Foucault weiterhin als exponiertes Beispiel dient)344 konstituieren und (an)erkennen können und müssen.

„Vielleicht habe ich die Bedeutung der Technologien von Macht und Herrschaft allzu stark betont. Mehr und mehr interessiere ich mich für die Interaktion zwi- schen einem selbst und anderen und für die Technolo- gien individueller Beherrschung, für die Geschichte der Formen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt, für die Technologien des Selbst. “345

Unter den Technologien des Selbst versteht Foucault bestimmte Praktiken, die sich an historischen, kulturellen und sozialen Schemata orientieren und „die es Individuen ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren eigenen Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, daß sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen. “346

Um einem naheliegenden Mißverständnis vorzubeugen und als eine kleine Randnotiz zu dem, was schon über die „Kalifornische I- deologie “ angemerkt wurde, sei auf eine Bemerkung Foucaults hingewiesen, die er während seines Aufenthalts in Berkely als Antwort auf die Frage gibt, ob nicht die antiken Ethikmodelle mit ihren Akzenten auf Selbstpraktiken und individueller Frei- heit Vorläufer einer modernen „Selbstversessenheit“ seien:

„Im kalifornischen Selbstkult geht es darum, das eigene wahre Selbst zu entdecken, es von dem zu scheiden, was es verdunkeln oder ent- fremden könnte, und seine Wahrheit zu entziffern dank psychologi- scher oder psychoanalytischer Wissenschaft, die in der Lage sein soll, einem zu sagen, was eines wahres Selbst sei. Deswegen hüte ich mich, diese alte Selbstkultur mit dem zu identifizieren, was man den kalifornischen Selbstkult nennen mag; ich glaube, sie sind diametral entgegengesetzt “347 Versteht man - wie eingangs vorgeschlagen348 - die an- tiken Selbstpraktiken als spezifische Machtpraktiken, können Foucaults späten Arbeiten als Auftakt des Ver- suchs gelesen werden, die Verbindung von Macht- und Selbsttechnologien von ihren Anfängen her zu verste- hen und zu erhellen, also ihre Genealogie zu betrei- ben. Foucault legt sein Forschungsprogramm dement- sprechend so an, daß er die Selbsttechnologien von der klassischen griechischen Kultur bis ins christli- che Pastorat hinein verfolgen kann.349 Dabei ist ihm sehr wohl klar, daß die antiken „»Existenzkünste«, diese »Selbsttechniken« […] eini- ges von ihrem Gewicht und von ihrer Autonomie verlo- ren [haben], als sie mit dem Christentum in die Ausübung einer Pastoralmacht integriert wurden und später in erzieherische, medizinische oder psychologische Praktiken. “350

Da sich die Analyse des Subjekts als „Begehrensmen- schen “ , der diese späten Studien gelten, „am Schnittpunkt einer Archäologie der [sexual- moralischen, S.M.-G.] Problematisierungen und einer Genealogie der Selbstpraktiken “ befindet, trifft Foucault zu Beginn einige methodische Unterscheidun- gen bzgl. des Verhältnisses von Moral und Selbstprak- tik. Er unterscheidet Moralcode, Moralverhalten und Moralsubjekt.351 Hier finden sich die typischen drei Achsen der foucaultschen Analyse quasi im kleinen: Wissen, Macht, Subjekt.

Der Moralcode definiere die Regeln und Werte, die den Subjekten vorgesetzt sind. Das Moralverhalten sei das tatsächliche, abweichende oder übereinstimmende Ver- halten der Subjekte gegenüber diesen Regel. Das Mo- ralsubjekt konstituiere sich in der Art und Weise, „moralisch »sich zu führen« “ , mittels des Verhält- nisses, das das Subjekt zu sich selbst unterhält, um nicht nur als Agent jener ihm äußerlich bleibenden Handlungscodes zu operieren, sondern als deren Sub- jekt auftreten zu können. Diese verschiedenen Arten, in denen sich die Menschen als Subjekte ihrer Hand- lungen konstituieren, die verschiedenen Stile des Sich-Verhaltens, der persönlichen Führung beziehen sich auf unterschiedliche Bereiche und Formen der mo- ralischen Sorge:

1. die ethische Substanz oder Ontologie (bzgl. der antiken Reflexion der Sexualmoral: die aphrodísia), d.h. der Teil unserer Selbst oder unseres Verhaltens, der das relevante Feld, der Hauptstoff der ethischen Bearbeitung ist. Worauf zielen die moralischen Urteile: auf Handlungen, auf das Begehren, auf die Bewegung der Seele oder auf Gefühle?
2. die Unterwerfungsweise oder Deontologie (die chrêsis), d.h. die Art und Weise der Anerkennung und Einhaltung, also das spezifische Verhältnis, welches das Individuum zum Moralcode unterhält. Gilt der Code dem Individuum als göttliches oder natürliches Ge- setz, als kosmologische Ordnung, als universelle Ver- nunft, individuelle Bestimmung oder ästhetische Ent- scheidung?
3. die Selbstformungstätigkeit, die ethische Ausar- beitung, die Haltung oder Askese (enkráteia), d.h. die Mittel und das Verhältnis zu sich selbst, welche man anwenden und etablieren muß, um sich nicht nur in seinem „Verhalten einer gegebenen Regel anzupassen, sondern um zu versuchen, sich selber zum moralischen Subjekt seiner Lebensführung umzuformen.“ In welcher Art und Weise müssen wir uns bearbeiten, um bestimmte Ziele zu erreichen? Müssen wir uns den Code detail- liert aneignen und penibel unser Verhalten daran mes- sen? Kann man den Code auf ein zentrales Element re- duzieren, dem man sich unterwirft, oder auf einen grundlegenden Mechanismus, dem man nachfolgt? Unter- hält man eine dynamische und wandelbare Beziehung zum Code?
4. Ziel und Kontinuität der moralischen Lebensführung oder Teleologie (Freiheit durch Mäßigung, sophrosy ne): „Welche Art von Sein erstreben wir, wenn wir uns moralisch verhalten? “ Wollen wir rein oder geheilt werden, wollen wir frei, versöhnt mit uns selbst oder Herren unserer selbst sein.352

7.3.4.3. Ästhetik der Existenz

Foucault sucht in diesen späten Arbeiten zur antiken Selbstkonstruktion und vermittels dieses Schemas sehr wohl nach „einer Dimension der Subjektivität, die sich von der Macht und vom Wissen herleitet, aber nicht von dort abhängig ist. “353 So versucht Foucault zu zeigen, daß die antiken Selbsttechnologien streng genommen keine des Selbst waren, im Sinne einer vor- gängigen Figur, die man erkennen oder wiederfinden müsse, sondern Techniken des Lebens, techne tou biou. Auch Leben ist hier nicht verstanden als eine urs- rüngliche Natur, sondern im Sinne der Frage, wie man zu leben habe. Es geht um ein persönliches Leben, um eine Form der Lebensführung, als Material einer äs- thetischen Operation.

„Die Vorstellung des bios als Stoff eines Kunstwerks erscheint mir sehr faszinierend. Ebenso fasziniert mich die Vorstellung, daß die Ethik der Existenz eine starke Struktur geben kann, ohne sich auf ein Rechts- wesen, ein Autori- tätssystem oder eine Disziplin- struktur beziehen zu müssen. “354 Man kann dement- sprechend anhand dieses analytischen Schemas sicherlich kulturell definier- te Verhaltensre- geln, Verfahrensweisen und Techniken der moralischen Selbstkonstitution herausarbeiten, die es dem Subjekt ermöglichen, sich selbst nach ethischen oder ästheti- schen Kriterien zu stilisieren, sich eine schöne Form und ein moralisches Dasein zu verleihen. Es ist ein Schema, welches eine Analyse der „Ästhetik der Exis- tenz “ und damit auch eine Neubegründung der Ethik zuläßt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.14: Die Falte

Schon dieses Vorhaben ist auf ein Studium der Ver- knüpfung von Macht- und Selbsttechnologien verwiesen. Das antike Subjekt kann einen Zustand der Freiheit nämlich nur dann erreichen, wenn es ein Herrschafts- verhältnis zu sich selbst errichtet hat, wenn es im Gebrauch der Lüste Mäßigung und Zurückhaltung walten lassen kann. Nur in der Relation zum Anderen, spe- ziell zu demjenigen anderen, den es leiten und lenken soll, insbesondere im Verhältnis zu den Knaben, die künftig selbst freie Bürger der polis sein sollen, kann das Subjekt sich als freies und ethisches Sub- jekt konstituieren. Ist es nicht in der Lage, sich zu beherrschen und zu mäßigen, dann ist es Sklave seiner Begierden.

Die Haltung der Mäßigung, „die »enkráteia«, die Be- ziehung zu sich als Beherrschung »ist eine Macht, die man über sich selbst ausübt in der Macht, die man ü- ber andere ausübt« (wie könnte man die anderen zu be- herrschen beanspruchen, wenn man sich nicht selbst beherrschte?), so daß die Beziehung zu sich zum »in- neren Regulationsprinzip« im Verhältnis zu den kon- stituierenden Mächten der Politik […] wird. “355

Das Subjekt wird von Foucault nun als „ ein Bezug der Kraft auf sich, eine Kraft, sich selbst zu affizie- ren, ein Sich-durch-sich-Affizieren “ gedacht. Die Antike erfindet das Subjekt als reflexiv gewordene, umgebogene, gekrümmte, umgefaltete Kraft, ohne daß diese dabei aufhörte, Kraft zu sein. Subjektivierung vollzieht sich durch Faltung des Außen.

Dabei ist dieses Außen nicht das vorgängige Außerhalb der Macht. Vielmehr ist es dasjenige, welches die Macht im Zuge einer Konstruktion eines Innen als das ihr äußerliche, das Andere abgetrennt, ausgeschieden, ins Außen gesetzt hatte. Das Außerhalb ist also das für diese Konstruktion notwendige Fremde im Eigenen, das Ungedachte im Denken, das Unsagbare im Sprechen. Es ist der Wahnsinn, den die Vernunft notwendig aus sich entläßt, damit sie sich als Vernunft denken kann; die Delinquenz, die die Normalität schafft; das Pathologische, das einen Begriff von Gesundheit er- möglicht.

Weit davon entfernt „ursprüngliche Unschuld “ , „Rein- heit “ oder „Unabhängigkeit eines freien Willens“ zu sein, hat die Freiheit, das freie Subjekt seine Be- dingung in der Kampfbeziehung zwischen freien Bürgern der polis. Es leitet sich also immer aus dem Verhält- nis zum Anderen, von woanders her. Es findet in dem Anderen nicht sein reziprokes Gegenüber, sein alter ego, und damit die Grenze seiner Freiheit, sondern in der Relation zu diesem seine eigene Konstitutionsbe- dingung. Das Subjekt ist immer nur im Bezug zum Ande- ren, zu einer Ordnung; und es ist darin nur frei, in- sofern es immer schon sub-jektum: Unterworfenes ist.356

7.3.4.4. Freiheit, Widerstand, Schaffung von Wahrscheinlichkeit

Doch dies alles sind Fragen der Ethik. Ich wollte ei- ne andere Lesart preferieren bzw. eine andere Gewich- tung vornehmen. Ich wollte Foucault Spätwerk nicht hinsichtlich der möglichen Anknüpfungpunkte für ethi- sche Problemstellungen befragen, sondern vielmehr herausarbeiten, wie dieses in der Kontinuität der Machtanalyse steht, welche sich über den Begriff der Regierung herstellt. Mein Interesse gilt also dem Mo- ment, in dem die freie, ethische Subjektivität, wie sie die Griechen in der Umfaltung der Macht konstruiert haben, zurückgebunden wird an die Macht, an jene schnörkellose Kraftlinie, die die Freiheit allein als Instrument ihrer Steigerung einsetzt.

„Der Bezug zu sich wird von den Machtverhältnissen, den Wissensbeziehungen erfaßt werden. Er wird sich in diese Systeme reintegrieren, von denen er sich an- fangs abgezweigt hatte. […] Die Falte ist nun gleich- sam entfaltet, die Subjektivierung [subjectivation] des freien Mannes hat sich nun in eine [subjektivie- rende, S.M.-G.] Unterwerfung [assujettissement] ver- wandelt […] Zurückerobert durch die Machtverhältnisse und Wissensbeziehungen entsteht die Beziehung zu sich beständig neu, anderswo und anders.“357

Foucault unterscheidet nunmehr in seiner Analyse drei Formen der Macht: strategische Machtverhältnisse, Re- gierungstechniken und Herrschaftszustände. Ersteres meint Kräfteverhältnisse als reversible Beziehungen, d.h. „als strategische[] Spiele[] zwischen Freihei- ten “358. Als Herrschaftszustände werden diese Macht- verhältnisse bezeichnet, wenn deren Umkehrbarkeit blockiert ist, eine dauernde Asymmetrie vorliegt, die beweglichen und biegsamen Relationen zu einer festen Struktur verkrustet sind. Dazwischen etabliert sich das Feld auf dem die Regierungstechnologien operie- ren, insofern diese die Freiheit der Individuen imp- lizieren und voraussetzen, gleichzeitig sich aber auch bemühen, diese zu kontrollieren und zu determi- nieren. Insofern laufen die Regierungtechnologien stets Gefahr, Herrschaftszustände zu errichten und aufrechtzuerhalten.

Der Begriff der Gouvernementalität weist somit darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen Macht und Herr- schaft eine analytische und empirisch in Reinform kaum auffindbare ist. Unterwerfungspraktiken und Freiheitspraktiken sind eben gerade nicht zwei sub- stanziell voneinander geschiedene Praxisformen. Sub- jektivität ist weder allein das Produkt eines Zwangs- prozesses, noch der Selbstentwurf oder die Selbstver- wirklichung einer ursprünglichen und freien Subjekts. Subjektivierung findet innerhalb eines strategischen Feldes statt, in das verscheidene Führungen und Herr- schaftstsrukturen eingelassen sind, das aber gleich- zeitig und notwendigerweise Freiheit und damit Wider- standsmöglichkeiten einschließt.

Schon gar nicht darf die Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft dazu verleiten, aller Ortens Herrschaftszustände auszumachen. Das würde bedeuten, die Gleichursprünglichkeit und das Spannungsverhältnis, das zwischen dem Spiel der Freiheit und dem der Herrschaft besteht, zur einen Seite hin aufzulösen und der allgegenwärtigen Herrschaft nunmehr die ursprüngliche Freiheit eines ausgeglichenen, freien Spiel der Macht entgegen- zustellen. Vielmehr nötigt die Unterscheidung dazu, verschiede- ne Analyseebenen zu unterscheiden, wobei davon auszugehen ist, daß sich innerhalb und unterhalb von als Herrschaftszuständen beschreibbaren sozialen Konstellationen eine Vielfalt von Machtspielen und Regierungsformen auffinden lassen.

So ist sicherlich beispielsweise das Lehrer-Schüler-Verhältnis in einer traditionell verfaßten Erziehungseinrichtung allgemein als Herrschaftsverhältnis zu klassifizieren, insofern kaum eine Möglichkeit besteht, die Beziehung grundsätzlich umzukehren und die bestehende Asymmetrie der Verteilung von Handlungsmöglich- keiten innerhalb dieser Beziehung aufzuheben. Dennoch ist es nicht so, daß der Schüler über keinerlei Taktiken und strategi- schen Handlungsmöglichkeiten verfügen würde, um den Handlungen des Lehrers zu begegnen. Lehrer kennen die blühende Phantasie der Schülerstrategien leidlich gut genug, als daß sie sich als unangefochtener Herrscher ihrer Schüler begreifen könnten. Die Schüler, die inzwischen der Schul-Macht entronnen sind, glori- fizieren (alljährlich in ritualisierter Form) ihrerseits ihre kleinen Siege, die sie damals haben feiern können, die Schnipp- chen, die sie der Lehr-Herrschaft geschlagen haben - oder aber machen ihre Niederlagen vergessen. Man möchte sagen, daß je herrschaftlich-autoritärer die Funktion des Lehrers auftritt, desto erfindungsreicher und gewitzter spielt die Gegenmacht. Stellt die Autorität sich hingegen ganz dumm auf eine Stufe mit den von ihr Regierten, sind diese viel eher dazu bereit, in das gegebene Machtspiel einzuwilligen.

Selbst der zum Tode verurteilte Ketzer auf dem Scheiterhaufen hat noch die Freiheit in ein Machtspiel einzutreten: Er kann den über ihn triumphierenden Herrscher verachten und sich wei- gern, seinen Gotteslästerungen abzuschwören. Das Gouvernement ist der Versuch, eben diese Freiheit in den Griff zu nehmen, indem sie immer weiter ins Innere der Körper vordringt.

Die Unterscheidungen von Macht-, Herrschafts- und Re- gierungstechnologien ermöglicht es in erster Linie, die Freiheit als integralen und notwendigen Bestand- teil der Macht zu denken, und gleichzeitig als eine widerständige Freiheit zu konzeptionalisieren. Wider- ständige Freiheit wäre dabei der Gradmesser und Motor für die Reversibilität, die Umkehrbarkeit, die Wand- lungsfähigkeit innerhalb der Machtbeziehungen. Wider- stand wäre derjenige Gebrauch der Freiheit, der dafür sorge trägt, innerhalb der Machtspiele Herrschafft- seffekte zu vermeiden, der innerhalb der Machtspiele mit einem Minimum an Herrschaft spielt.359

Dementsprechend bietet sich das oben erläuterte Sche- ma bzgl. der Selbst-Konstitution des Moralsubjekts360 gerade im Zusammenhang mit dem Begriff der Gouverne- mentalität gleichermaßen an, Möglichkeiten von (äs- thetisch konstruierter) Subjektivität und (ethisch begründeten) Widerstand zu denken und im selben Augenblick die Verquickung von Herrschafts- und Selbsttechnologien im Detail zu studieren.

„Ich glaube nicht, daß der einzig mögliche Wider- standspunkt gegen die politische Macht (verstanden als Herrschaftszustand) im Bezug des Selbst auf sich besteht. Ich sage, daß das Regierungsdenken (gouver- nementalité) den Selbstbezug auf sich impliziert, was gerade bezeichnet, daß ich mit diesem Begriff des Re- gierungsdenkens auf die Gesamtheit der Praktiken ab- ziele, mit denen man die Strategien konstituieren, definieren, organisieren und instrumentalisieren kann, die die Einzelnen in ihrer Freiheit im Hin- blick auf die anderen haben können. Die Individuen, die versuchen, die Freiheit der anderen zu kontrollieren, zu bestimmen und zu begrenzen, sind selber frei, und sie verfügen über gewisse Instrumente, um die anderen regieren zu können. All das beruht also auf der Freiheit, auf Selbstbezug auf sich und auf der Beziehung zum Anderen.“361

Es war exakt eben jenes Schema, welches Werner Helsper veranlaßte zu behaupten:

„Die Diziplinarmechanismen erzeugen ein Selbst, eine spezifische Weise der Selbstunterwerfung, spezifische Mittel der Selbstkontrolle und eine »Ideologie« des Selbst, der das Subjekt zu genügen hat […]: »In Erziehungsinstitutionen beispielsweise leitet man andere an und bringt ihnen bei, sich selbst anzuleiten« […] Der Fremdzwang wird durch die Aufforderung diskursiver Selbstreflexion und -beobachtung und durch die Selbstideologie des selbstverantwortlich und produktiv handelnden Subjekts ersetzt, das für seine Bildungsevolution, Schul- biographie und Lebensperspektive selbstverantwortlich zu sorgen hat. “362

Er ist nur an dem einen Punkt etwas ungenau, daß es eben gerade nicht die Disziplinen sind, die eine solche Form der Selbstkon- stitution bewerkstelligen, sondern vielmehr die Regierungstech- niken in Form von Selbsttechnologien. Und er täuscht sich an dem anderen Punkt, daß er das Selbst als eine Ideologie be- zeichnet. Das Selbst ist aber vielmehr Ausdruck einer bestimm- ten Form der Vernunft und besitzt den Status einer Wirklich- keit. Die Macht des Selbst ist zu tief in unser Denken und Han- deln eingegraben, als daß man es vom Standpunkt einer ideolo- giefreien Wahrheit, oder gar eines wahren Selbst, kritisieren könnte.

Der Begriff der Regierung ermöglicht es also, die I- dee freier und autonom handelnder Subjekte als wirk- lichen Effekt von und wirkenden Faktor innerhalb der Machtverhältnisse zu erfassen. Foucault nimmt eine Perspektive ein, die freie und subjektive Handlungs- träger als Elemente der Macht mit einbezieht. Er rückt seinen Ansatz damit explizit in die Nähe eines handlungstheoretischen Ansatzes. Aus der Perspektive der modernen Gouvernemantalität ist Macht „ein Ensemble von Handlungen in Hinsicht auf mögliche Handlungen; sie operiert auf dem Möglichkeitsfeld, in das sich das Verhalten der handelnden Subjekte einge- schrieben hat. Sie stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger wahrscheinlich; im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig; aber stets handelt es sich um eine Weise des Einwirkens auf ein oder mehrere Subjekte, und dies, sofern sie handeln oder zum Handeln fähig sind. . “363

Diese Annäherung an einen handlungstheorische Perspektive ge- schieht freilich nicht ohne eine ebenso explizite Distanzie- rung. Gemeint sind hier nämlich nach wie vor beliebige „Hand- lungen von beliebigen Trägern. ”364 Der Begriff der Macht meint weiterhin nichts Dinghaftes oder dem sozialen Handeln autonomer Akteure äußerliches - es ist vielmehr der Versuch, die unter- schiedlichen Rationalitäten sozialen Handelns zu beschreiben, ohne dabei auf eine intentionale psychische Instanz zurückgrei- fen zu müssen. Es geht um „Strategien ohne Strategen. “365

Zum anderen ist die Macht nur in der Aktualität zu erfassen. Wo kein soziales Agieren ist, ist auch keine Macht.

„Macht existiert nur in actu, auch wenn sie sich, um sich in ein zerstreutes Möglichkeitsfeld einzuschreiben, auf permanente Strukturen stützt.“366

Insofern kann die Macht niemals der Ordnung der Übereinkunft annehmen. Sie kann niemals Ausdruck eines Konsenes sein.

Regieren meint in dieser Perspektive „für die einen eine Weise […], das Feld möglichen Handelns der ande- ren zu strukturieren ”367. Es meint das Führen der Führungen, d.h. die Schaffung von Wahrscheinlichkeit in einem mehr oder weniger offenen Feld von Hand- lungsmöglichkeiten. Die Freiheit des „Subjekts“ hat damit einen systematischen und funktionalen Platz in- nerhalb der Machtverhältnisse eingenommen.

„Wenn man Machtausübung als eine Weise der Einwirkung auf die Handlungen anderer definiert, wenn man sie durch das »Regiment« - im weitesten Sinn des Wortes - der Menschen untereinander kennzeichnet, nimmt man ein wichtiges Element mit hinein: das der Freiheit. Macht wird nur auf »freie Subjekte« ausgeübt und nur insofern diese »frei« sind. Hierunter wollen wir in- dividuelle oder kollektive Subjekte verstehen, vor denen ein Feld von Möglichkeiten liegt, in dem mehre- re »Führungen«, mehrere Reaktionen und verschiedene Verhaltensweisen statthaben können.“368

Wo keine Freiheit mehr ist, ist auch keine Macht. Freiheit ist die Existenzbedingung der Macht. Ist das Feld des möglichen Handelns völlig determiniert, ist jegliche mögliche Reaktion verhindert oder aber ein- deutig vorhersehbar, ist auch die Macht nicht länger existent. Sie weicht dem schlichten Zwang der Gewalt. Dies bedeutet umgekehrt, daß sich ein Machtverhält- nis, welches zwischen „den einen“ und „den anderen “ verläuft, nur dann errichten kann, wenn der „andere “ „als Subjekt des Handelns bis zuletzt anerkannt und erhalten bleibt“ .369 Regieren heißt, daß der Regierte aus dem Reservoir der ihm gebotenen Handlungsmöglich- keiten eine vernünftige, realistische und naheliegen- de Handlungsweise frei auswählt, sich zwanglos für die rationalste Handlung entscheidet, sich freiwillig entlang einer gegebenen Führung bewegt. Dies beinhal- tet aber immer auch die Gefahr für die Regierung, daß der andere im Möglichkeitsfeld nach einer Erwiderung schöpft, nach einer Entgegnung, nach einer Handlung, die der Führung entgleist und das Feld in Unordnung bringt. Das würde wiederum das mögliche Handeln der einen beeinflussen und die vorgegebene Struktur in Turbulenzen versetzen. Indem die Macht sich in dem von ihr notwendig gemachten „freien Subjekt “ auf sich selbst wendet - sich faltet und subvertiert - eröffnet sie ein Feld von dem aus Widerstand möglich ist.

Diese verschiedenen Formen des Gebrauchs der Freiheit bestimmen, ob das Selbstverhältnis sich entweder mit Herrschaftsverhältnissen verbindet, oder aber die Selbsttechnologien in der Form einer Ästhetik der E- xistenz gebraucht werden. Es ist ein und dieselbe Freiheit, die es dem Individuum erlaubt oder es zwingt, ein Verhältnis zu sich und sich selber herzu- stellen, durch das es sich als freies, rationales, realistisches und unterworfenes oder als freies, e- thisches, widerständiges oder auch subversives Sub- jekt eingestehen, anerkennen und konstituieren kann oder muß.

Ironie dieses Dispositiv: es macht uns glauben, daß es darin um unsere »Be- freiung« geht Michel Foucault, 1977

8. DIE MACHT UND DAS SELBST

8.1. Selbstsein

Nachdem sich nun bei mir im Bezug zu meinem eigenen Schreiben das Gefühl her- ausgebildet hat, ich hätte die gesamte Arbeit über Abb.15: Mit ohne Titel immer wieder neu, stets von vorne begonnen, ich hätte immer wieder die glei- che These in anderen Worten formuliert; oder anders: ich hätte wie beim Nähen immer kleine Schlaufen ge- macht, um mich langsam an einer Linie entlang zu be- wegen, oder mich wie eine Raupe vorwärts bewegt, die für jeden Schritt zunächst eine Kurve in der Luft schlägt; nach dieser umständlichen Annäherung also, muß nun der Schritt getan werden, der alles zusammen zieht. Eine solche Bewegung ist zumeist recht lang- weilig, kann sie doch nichts anderes sein als ein ge- rafftes replay. Ich werde mich also bemühen, die zu ziehenden Schlußfolgerungen kurz zu fassen. Dabei un- terstelle ich, daß die Leserin und der Leser die Zu- sammenhänge selbst herstellen kann - und zwar auch andere oder anders als ich.

Es mag im Rahmen der Ausführungen zur Humanistischen Psychologie zum einen offenbar geworden sein, daß Ro- gers sich mit seiner Konzeption eines naturhaften or- ganismischen Selbst, daß unter bestimmten Umständen in Differenz zu seiner Selbst-Wahrnehmung gerät, ei- nem Modell der Macht bedient, welches ausschließlich die repressiven, verneinenden und verdeckenden Effek- te der Macht in den Blick bekommt. Mit Foucault läßt sich sagen: Rogers' Vorstellung von der Macht ist der Repressionshypothese verhaftet. Das heißt, zum ande- ren, daß Rogers seinen Kampf gegen jene Macht für und vermittels eines Selbst führt, das selbst Effekt und Instrument eben dieser Macht ist.

Nicht das Rogers sich der Mühe unterzöge, systema- tisch eine soziale Realität zu erörtern, die unter dem Begriff der Macht oder der Herrschaft gefaßt wer- den könnte. Seine Gesellschaftsanalyse ist in seinen Ausführungen stets nur implizit enthalten, als der immer schon vorausgesetzte Hintergrund. Was er aber beschreibt, sind machtvolle Wirkungen, die sich am Selbst ereignen.

Diese Wirkungen sind nun durchweg unterdrückend, entfremdend, täuschend; sie nehmen die Freiheit, das zu sein was mensch ist, sie verzerren die Wahrnehmung, sie versperren den Zugang zur Wahrheit, nicht zuletzt die seiner selbst.

In Opposition zur Macht wurde das Ich-Selbst als das- jenige eingesetzt, was, sofern es frei ist, erstens, für eine kongruente, unverzerrte Selbsterkenntnis bürgt, zweitens, als die Instanz, die über Gut und Böse entscheiden kann und drittens repräsentierte das Selbst selbst das Gute - welches es offenbart.

Das Selbst wurde eingesetzt, als etwas vordiskursi- ves, vor jeder Sprache, vor jedem Symbolischen, das Selbst als das, was die Symbole allererst in Amt und Würden setzt.

Das Selbst wurde eingesetzt als dasjenige, was außerhalb der Macht ist, was sich von der Macht befreien kann, um geheilt zu werden und frei von Macht sein muß, damit es heil, ganz und selbstidentisch bleibt. Das Selbst steht somit für das „Recht auf das Leben, auf den Körper, auf die Gesundheit, auf das Glück, auf die Befriedigung der Bedürfnisse, das Recht auf die Wiedergewinnung alles dessen, was man ist oder sein kann - jenseits aller Unterdrückung und Entfremdung. ”370

Und schließlich wurde das Selbst eingesetzt als das- jenige, was von Natur aus gut, das große Andere der bösen Macht ist, das, was sich ihr entgegenstellt, Ausgangspunkt und telos der Revolte. Das Selbst ist das, „was man verlangt und worauf man zielt, […] ist das Leben verstanden als Gesamtheit grundlegender Bedürfnisse, konkretes Wesen des Menschen, Entfaltung seiner Anlagen und Fülle des Möglichen.”371

In diesem Sinne hat das Selbst - konkret jenes Roger'sche, aber auch als allgemeine Figur - zur Grundfigur einer kritisch pädagogischen Theorie und Praxis werden können. Wie dargelegt wurde, patizipiert sowohl eine Alternativschulbewegung, als auch die Antipädagogik an dieser Idee. Sie macht ferner einen zentralen Aspekt der erläuterten thera- peutischen Techniken aus. Sie begründet allgemein verschiedenste reformorientierte Konzepte und Ar- beitsweisen, die schon seit geraumer Zeit fordern, die deutsche Regelschullandschaft ein wenig bunter, humaner und offener zu gestalten. Darunter fallen all jene handlungs-, erfahrungs- und schülerorientierten, mit Kopf, Herz, Hand und allen Sinnen vorgehenden Lehr- und Lernverfahren, die sich im weitesten Sinne wieder dem Leben zugewandt haben. Entweder indem sie es im Inneren der Schule simulieren oder aber indem sie sich etwa zur community hin öffnen. Gemeint sind nicht zuletzt jene lebensnahen Vorgehensweisen, die von konservativer Seite als Kuschelpädagogik verpönt und zurecht als mütterlich-symbiotische Umhüllungspä- dagogik bezeichnet werden könnten. Gemeint sind also jene Vorgehensweisen, die Lernen wieder an die Unmit- telbarkeit des alltäglichen Lebens binden möchten.372

Im Zuge einer Gegenüberstellung der juridischen, auf die Macht des Souveräns bezogenen Konzeption der Macht im Gegensatz zu einer Analyse der disziplinären Bio-Macht hat uns nun Foucault zu verstehen gegeben, daß man sich - will man das Funktionieren der Macht auch nur annähernd verstehen - von der Vorstellungen einer repressiven Macht und eines ihr vorgängigen, sie erkennenden und ihr widerstehenden selbstidenti- schen und autonomen Subjekts lösen muß. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Macht erschafft, hervor- bringt, aufrichtet, herstellt: das Selbst, das sich selbst als Teil eines natürlichen Lebewesens erkennt, das einzigartige Individuum samt seiner Wahrnehmung und seiner Selbstwirksamkeit, das ursprüngliche Le- ben, in dem es seinen Frieden mit sich selbst finden könnt’, eine Seele, die darauf wartet, erlöst zu wer- den - all diese erbauenden Gewissheiten, die wir je- ner humanen Wissenschaft vom Menschen zu verdanken haben, sind die Produkte einer disziplinären Körper- politik, Resultate des Prüfungsrituals, das de- zentrierte Zentrum des Panopticons, mit einem Wort: die trefflichsten Erfindungen (und es heißt hier wohlweislich nicht Entdeckungen) einer Macht, die das Leben will.

Wenn man Foucault soweit folgt, den Begriff des Selbst und seine Variationen als Produkt der Macht anzusehen, liegt die Versuchung nahe, ihn als ideologisches Instrument zu diffamieren - etwa als Instrument in den Händen derjenigen technokratischen und ökonomischen Kräfte, die ihm seinen ursprünglichen kritischen Gehalt rauben wollen, um ihn für ihre Zwecke dienstbar zu machen. Doch „man sage nicht, die Seele sei eine Illusion oder ein ideologischer Begriff. Sie existiert, sie hat eine Wirklichkeit, sie wird ständig produziert - um den Körper, am Körper, im Körper - durch Machtausübung an jenen, […] die man überwacht, dressiert und korri- giert, an den Wahnsinnigen, den Kindern, den Schü- lern, den Kolonisierten, an denen, die man an einen Produktionsapparat bindet und ein Leben lang kontrol- liert. […] Diese wirkliche und unkörperliche Seele ist keine Substanz; sie ist das Element, in welchem sich die Wirkungen einer bestimmten Macht und der Ge- genstandsbezug eines Wissens miteinander verschrän- ken ”.373

Die Seele hat eine Wirklichkeit, und zwar weil sie Wirkungen erzielt, weil sie wirkmächtig ist. Die Idee des Selbst ist nicht einfach als mißratene Befrei- ungs-Ideologie abzutun, die ihren Zweck deshalb ver- fehle, da sie sich auf keine Wirklichkeit beziehe, da sie unrealistisch sei. Umgekehrt kann sie nicht in pervertierter Form als zynisches Unterdrückungsin- strument angeeignet und mißbraucht werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Begriff des Selbst, welcher der als repressiv verkannten Bio-Macht mit der Intention gegenübergestellt wird, als Instrument und Waffe der Kritik an eben dieser Macht fungieren zu können, immer schon mit der Macht verwoben ist - und zwar als realer Effekt der Macht. Mit dem Selbst haben sich also „die Widerstand leistenden Kräfte gerade auf das be- rufen, was durch diese Macht in Amt und Würden einge- setzt wird: auf das Leben und den Menschen als Lebe- wesen. ”374

Damit ist der Begriff des Selbst einerseits als kritisches Analyseinstrument zunichte gemacht und wendet sich anderseits zudem als Waffe gegen die eigene strategische Intention. Nicht zuletzt darin besteht seine Wirk-lichkeit.

In dem Moment, wo sich das Ich-Selbst selbst setzt, sich selbst beim Blicken zu schauen vermeint, kann es nur noch sich selbst sehen. Es findet seinen Grund in sich selbst, definiert sich als erstes und einziges Prinzip. Es erscheint so notwendig außerhalb der Macht und vorgängig vor allem Wissen. Wo der Begriff des Subjekts in die Urwüchsigkeit der Natur ein- taucht, verliert sich die Analyse der Macht im Sog der Naturalisierung. Die produktive Rolle der Macht bei und für diese Rückwendung auf die Natur, wird verschleiert. Die Macht erscheint nur noch als das, was einen dereinst aus dem Garten Eden hinausge- knüppelt hat, was einem bei der Rückkehr zur Natur fortan Knüppel zwischen die Beine wirft. Mit anderen Worten: man macht aus dem Selbst eine anthropologi- sche Konstanze und verweist diese innere Instanz und das sie tragende Subjekt damit aus dem Feld des His- torischen. Seine konkreten historischen Erscheinungs- formen führt man auf mannigfache Repressionsmechanis- men zurück, d.h. man begreift all das, was am Selbst historisch sein mag als nachträgliche Verdrängung, Deformation oder Entfremdung. So nimmt das Selbst dieselbe Stellung ein, die Foucault im Rahmen seiner Analyse des Sexualitäts-Dispositives, einem als na- türlich gedachten Begehren zuweist. So läßt sich sa- gen:

Der Begriff des Selbst ermöglicht eine wichtige Wen- dung: er erlaubt die Vorstellung von den Beziehungen der Macht zum Subjekt umzukehren, so daß dieses nicht in seiner wesenhaften und positiven Beziehung zur Macht erscheint (und das meint, als Produkt der Macht), sondern als verankert in einer eigenartigen und selbständigen und von der Macht bedrohten In- stanz; solchermaßen gestattet die Idee des Selbst gerade das auszublenden, was die Macht macht.375

Das Selbst kann somit seine Genese nur in Form einer eigens rekonstruierten Naturgeschichte betrachten, weil es sich schon immer vor jeder Geschichte wähnt. Es ist außer Stande, seine eigene Genealogie zu betreiben. Genealogie hier verstanden als „eine Form der Geschichte, die von der Konstitution von Wissen, von Diskursen, von Gegenstandsfeldern usw. berichtet ”, d.h. „die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu klären vermag” , „ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und es mit sei- ner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt.”376

Insofern sich das Selbst selbst nur als integere, hermetische, monolithische Entität denken kann, ist es gezwungen, sich eine ebenso monolithische Macht zu erfinden, die ihm entgegensteht, um sich seine eigene Spaltung zu erklären. Es entwirft eine große Zweitei- lung der Welt in Gut und Böse, Innen und Außen, orga- nismische Erfahrung und verzerrtes Selbst-Konzept. Der Begriff des Ich-Selbst ist unfähig, sich als eine diffuse Figur auf dem Spielbrett eines großen Macht- nexus vorzustellen, an dieser und zugleich an jener Position, durchzogen von mannigfaltigen Machtstrate- gie, affiziert von einer Vielzahl von Kräften, zer- streut in einem Raum der Möglich- und Wahrscheinlich- keiten. Das Selbst muß sich stets an einem Ort ver- sammeln. Es kann sich niemals im Gewimmel der singu- lären Ereignisse verlieren. Das Selbst muß wider- spruchsfrei, kongruent und selbstidentisch sein.

In dem Moment, wo das Selbst als das geltend gemacht wird, was der Macht widersteht, weil es das gute An- dere der bösen Macht ist, wird es blind gegenüber der Macht. Dieses widerständige Selbst, was sich frei halten muß von der Macht, um nicht verbogen zu werden und um weiterhin die Wahrheit aussprechen zu können, führt seine vorwärtsgerichteten Attacken gegen etwas, was ihm im Genick sitzt und ihm die Formeln seiner Rebellion ins Ohr flüstert. Das Selbst steht mit bei- den Beinen grundfest in einer Macht, die es abzuweh- ren und der es zu entkommen versucht; es fuchtelt hilflos mit den Armen in der Luft herum, während es am Boden klebt.

Es scheint mir nicht zuletzt diese blinde und ohn- mächtig erstarrte Bewegung zu sein, die dazu führt, die Wirkungs- und Folgelosigkeit des eigenen kriti- schen Tuns als eine mangelnde Radikalität oder Unent- schlossenheit zu interpretieren. Anders formuliert: Die Erfahrung, sich mit jedem kritisch emanzipatori- schen Schritt nur noch tiefer in der Macht zu verfan- gen, sich noch enger an diese anzuschmiegen und von ihr ganzheitlich umhüllt zu werden, kann in diesem Denken trotz allem allein auf der Folie interpretiert werden, man habe sich noch nicht vollständig genug von der Macht befreit, der Macht noch nicht konse- quent genug eine Absage erteilt. Ein Weg ins Private und Individuelle, der vor jeder gesellschaftlichen Veränderung zunächst eine subjektive Befreiung, Rei- nigung oder Erlösung sucht und voraussetzt, ist damit zumindest vorgezeichnet. Es ist eine Bewegung, die sich genötigt sieht, immer tiefer zu den Ursprüngen, dem allgemeinsten Prinzip, dem aller ersten Anfang hinabzusteigen, um auch noch die feinsten Spuren der Macht aufzufinden und ungeschehen zu machen. Diese Bewegung scheint mir diejenige zu sein, die man in Teilen der Alternativschulszene beobachten kann und die auch im gewissen Sinne der Entwicklung der Anti- pädagogik entspricht. Es ist eine Bewegung die mit derjenigen einer Fliege vergleichbar ist, die an ei- nem handelsüblichen Fliegenfänger klebt.

Es scheint mir ebenso diese Blindheit und Kraftlosig- keit gegenüber der Wirkungsweisen der Macht zu sein, die andererseits dazu verleitet, nunmehr gemeinsame Sache mit der herrschenden Macht zu machen. Das kri- tische, wenn nicht gar revolutionäre Projekt wird aufgegeben und fortan das gemacht, was im Rahmen der Macht machbar erscheint - dabei wird allerdings nicht im Rahmen des tatsächlich Möglichen, sondern vielmehr des Wahrscheinlichen, des Realistischen gedacht. Mit anderen Worten: Man erkennt seine Vorliebe für und die Notwendigkeit von realpolitischen Reformschritten und pragmatischen Verbesserungen. Man verzichtet dar- auf, das ganz Andere zu wollen. Man erfreut sich an der gesellschaftlichen Anerkennung und an seiner per- sönlichen Karriere. Dies scheint mir eine Bewegung zu sein, die der andere Teil der Alternativschulszene vollzieht, wenn er sich der Regelschule und einer mittelständigen Elterschaft andient; oder wenn ein- zelne dieser Schulen die staatliche Anerkennung an- streben, anstatt weiter illegal oder auf der Basis einer einfachen Genehmigung zu arbeiten.377 Dies scheint mir auch der Funktion der erläuterten thera- peutischen Einsprengsel in den pädagogischen Einrich- tungen zu entsprechen. Sie sollen das erträglich ma- chen, was als unabänderlich gedacht wird. Sie sorgen dafür, das die Dinge nicht mehr anders gedacht werden können, denn als solche, die individuell zu verant- worten und ggf. zu therapieren sind. Diese Techniken blenden das Machen der Macht aus und halten somit am status quo fest.

Indem das Selbst also die Wirkungsweise der Macht verdunkelt, auf dem Kopf erscheinen läßt, deren Spu- ren verwischt und das Denken auf Gleise setzt, ist sie als Analyseinstrument und widerständige Kampfan- sage gescheitert. Vielmehr macht sie sich zum will- kommenen Alibi und Vehikel der Macht. Aber mehr noch: Das Selbst wird hinter dem Rücken der Widerständigen zum willigen Vollstrecker der Macht. Das Selbst ist nicht jene Schablone, die das was es für die Wirk- lichkeit hält sinnvoll strukturiert, es ist die Schablone, mit der normgerechte Menschen gestanzt werden. Der Begriff des Selbst ist jene Erfindung der Bio-Macht, die deren volle Blüte allererst ermöglicht hat und ihr Funktionieren nach wie vor sichert.

Das Selbst, dieses Geheimnis, das allem, was wir sind, zugrundezuliegen scheint, dieser Punkt, der uns fasziniert durch die Macht, die er offenbart, und durch den Sinn, den er verbirgt, von dem wir erwarten, daß er uns offenbart, was wir sind, und uns befreit, was uns definiert - das Selbst ist doch nur ein idealer Punkt, der von der Bio-Macht und ihrem Funktionieren notwendig gemacht wird.378

Das Wissen, welches Rogers über den kongruenten Men- schen erhebt, das Bild, welches er von dem sich voll entfalteten Menschen malt, die Vorstellung vom selbstidentischen Ich-Selbst im allgemenen ist zum Leitbild von therapeutischen Settings, von pädagogi- schen Arrangements, von sozialpädagogischen Maßnahmen geworden. Die Struktur, Funktionsweise und Ästhetik der Institutionen, sozialen Praktiken und Beziehungen orientiert sich daran, was als Wesen des guten Men- schen gilt. Ziel und Zweck dieses Tuns ist es, einen solchen Menschen zu produzieren. Zugestanden: ein gu- ter, sozialer, realistischer und vorwärtsgerichteter; sicherlich ein unverwechselbarer, einzigartiger, in- dividueller. Von todbringenden souveränen Schwertern zu Pflugscharen, die den Nährboden des übervollen Le- bens bestellen sollen. Ihre Furchen ziehen sie aber entlang einer geraden Linie.379 Die Körper werden in der Enge des Identischen zusammengeschnürt. Nicht die Spiele der Macht werden damit in Bewegung gebracht, nur das Gütesiegel der von der Machtmaschinerie all- täglich unterwerfend-subjektivierten Individuuen ver- spricht eine andere Qualität. Was als Versöhnung ge- feiert wird, ist tatsächlich die ausbruchssicherste Form der Inhaftierung: von sich selbst verhaftet sein. Die Individuen sind den Prinzipien der Selbst- tätigkeit, der Selbstregulation, dem Gebot des Selbst-Seins unterworfen. Das Selbst verfängt sich in genau jenen Mechanismen, durch welche es sich von sich selbst entfremdet fühlt. Das Selbst wird selbst zur zwingenden Norm. Denn es wird immer welche geben, die in diese auf den Leib geschneiderte Form nicht passen, die auseinanderfallen, die mehr sind als nur einer. Und nicht, weil sich in ihnen eine zur Entfal- tung drängende Natur regt, die sich in ihrem Streben bedroht und eingeengt fühlt, zunehmend das zu sein, was sie ist. Sondern vielmehr, weil sie von wider- streitenden Mächten durchkreuzt sind, weil sie von Gegen-Macht affiziert sind, weil sie Selbst-Sein schlicht unerträglich finden.

Die Mittel und Techniken derer man sich für diese Produktion des Selbst bedient, leiten sich von den Disziplinen her und sind dennoch von diesen unter- schieden. Die in der Humanität gesteigerte Bio-Macht, ist die Macht der kritischen Vernunft und damit die des reinen Gewissens und der Unschuld. Sie ist unbe- irrbar in ihrem Glauben, nur das zu erhalten oder wieder herzustellen, was schon immer gewesen ist. Sie vermeint zu bewahren, zu heilen und zu erlösen. Sie ist blind und verschlossen vor ihrer eigenen Kraft und Gewalt. Im Grunde genommen ist ihr jede Art der Einflußnahme, jede Form der Berührung suspekt. Sie ist nicht in der Lage ihre eigenen Wirkungen auszuhalten. Sie kann in dem Effekt ihres Tun nichts anderes erblicken, als die Entfaltung eines von ihr unabhängigen ungeteilten Ursprungs.380

Entsprechend sind die Mittel der humanisierten Normierungsmacht sensibler, einfühlsamer und subtiler. Ihre Zugriffsweisen sind ein Stück weit vom Körper abgerückt. Dieser muß nicht weiter in ein lückenloses raum-zeitliches Befehls-Korsett gezwängt werden. Sie arbeiten nicht allein mit körperlicher Dressur, sondern mit psychologischem Geschick. Sie sind Psychotechniken. Sie zielen nicht allein - wie noch die Disziplinen - auf eine „Maschine, deren man bedarf “381, die funktioniert, wie man will, sondern auf einen guten, sozialen, realistischen und vorwärtsgerichteten Menschen, der der ist, der er ist, der weiß, was er will und will, was er tut. Sie entlassen den Körper in einen relativen Freiraum. Sie lassen die Individuen in diesem Freiraum umherirren, auf der unendlichen Suche nach sich selbst. Sie umhüllen sie mit Akzeptanz und Einfühlung. Die Eingriffe sind sparsam gewählt. Die Punkte, an denen sich Widerstand entwickeln könnte, beginnen zu schwinden, die Reibungsverluste werden minimiert. Denn ist die Maschinerie der Selbstbezüglichkeit erst einmal in Gang gesetzt, wird die Steuerung von den Individuen selbst übernommen - entsprechend der Logik Der offene Unterricht ist das perfekte pädagogische Panopticon. Die zentrale Lehrermacht ist abwesend, nicht aber ohne weiter zu wesen. Sie wirkt hinter dem Rücken der Schüler/-innen, in der Struktur und in de- ren Köpfen. Der individuell zugestandene Freiraum ist von einer Mentalität, einer Philosophie, einem Ge- meinsinn, einer universalen Identität durchherrrscht, die den einzelnen dazu anhält, sich zu interessieren, sich zu engagieren, die Zeit effektiv zu nutzen und im Rahmen seiner Möglichkeiten das Optimale zu leis- ten. Der einzelne ist aufgefordert, darin stets in- trinsisch motiviert und beständig bei sich selbst zu sein. Das Feld von Handlungsmöglichkeiten weist dem- entsprechend bestimmte Führungen auf, die das Errei- chen von Lernzielen wahrscheinlich werden lassen - werden lassen müssen, und zwar mit an Si- cherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Die vermenschlichte Bio-Macht setzt die Individuen frei, um ihnen um so treffsi- cherer das ein- zupflanzen und das zu entreißen, auf was sie zielt: das spru-

Abb.16: Das wahre Gesicht

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

delnde Leben, die Kreativität, die Spontaneität, die soziale Kompetenz, eine realistische Vernunft und ein Drängen nach Innovation, mit einem Wort: lebenslang wandelbare Schlüsselqualifikationen als Grundverhalten von Beruflichkeit, sozialem Engagement und Lebensführung.

8.2. Selbst-Management

Der Übergang von einer an der natürlichen Norm orientierten Bio-Macht, wie sie noch von den Physiokraten vertreten wurde, zu einer modernen Gouvernementaltät, die mit dem klassischen Liberalismus einsetzt, ist fließend. Ebenso fließend ist der Übergang von einer heilsame Alternativ- und einer humanistischen Reformpädagogik zu einer neoliberalen Autonomisierung des Bildungswesens. Vom Authentischen ist es nur ein kleiner Schritt zur Autonomie.382

Es ist beinahe müßig, auf die konkreten Bezüge auf- merksam zu machen. Derer gibt es viele. Sie sind of- fensichtlich und unverholen: So berufen sich bei- spielsweise einige Autoren bei der Begründung des Schlüsselqualifikationen-Konzeptes explizit auf Ro- gers.383 Die Organisationsentwicklung am hamburger In- stitut für Lehrerfortbildung wurde von professionel- len „OElern “ durchgeführt, die behaupten: „OE ba- siert auf dem Menschenbild der Humanistischen Psycho- logie “ .384 Im allgemeinen und speziel in ihrer schu- lischen Adaption bezieht sich OE wiederholt auf Kurt Lewin, der gerne in die Ahnenreihe der Humanistischen Psychologie eingereiht wird.385 Im Rahmen unternehme- rischen Qualitätsmanagements wird sich auf Abraham Maslow bezogen, indem aus dessen Bedürfnishierarchie:

„Physiologische Bedürfnisse - Sicherheits- und Schutzbedürfnisse - soziale Bedürfnisse - Bedürfnis nach Achtung - Bedürfnis nach Selbstverwirklichung “ die Pyramide der Qualitätsmotivatoren abgeleitet wird: „höhere Verdienstmöglichkeiten durch (Quali- täts-)Prämien - Sicherung des Arbeitsplatzes - Mit- wirkung in Gruppen - Anerkennung durch (Quali- täts-)Auszeichnungen - Möglichkeit der Partizipati- on “ .386

Dem Hinweis auf eine solche unmittelbare Bezugnahme auf die Humanistischen Psychologie von Seiten der zeitgemäßen Schulentwicklung bis hin zur gegenwärti- gen Unternehmensführung sei damit genüge getan. Mein Anliegen war es, solche Verbindungen eher auf der E- bene der sie begründenden Begriffe, Vorstellungen und Machtverhältnisse zu verstehen; auf der Ebene des sie grundlegenden Dispositivs. Ich habe mich bemüht, eine neoliberalen Regierungstechnik und eine kritische re- form-pädagogische Menschenführung auf eine gemeinsam Grundfigur zu beziehen: eben auf das selbstidentische Selbst, auf das unverwechselbare Individuum, welches aufgefordert ist, selbstverantwortlich und vernünftig kalkulierend darüber zu bestimmen, wie es sein Leben, sein ganz eigenes, seinem wahren Selbst entsprechen- des Leben, führen will.

Doch bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung, trotz der konkreten Personalunionen und offensichtlichen Kooperationen; trotz der Identität der benutzten Beg- riffe, kann man bestimmte Differenzen bzgl. der Ge- wichtung und der Intention ausmachen. Während die I- dee der Selbstidentität in den Alternativ- und tradi- tionellen Reformpädagogik - und eben auch bei Rogers - immer noch mehr oder weniger direkt an eine Vorstellung menschlicher Natürlichkeit und organismischer Ganzheit gebunden ist, hat sich die neuerliche Bezugnahme auf eine autonome und selbstbestimmte IchIdentität weitgehend von solcherlei wesenshaften und gefühlsseligen Referenzen gesäubert.

Mit Foucault konnte gezeigt werden, wie die Macht ausgehend vom christlichen Pastorat, über die diszi- plinäre Machtausübung des Polizeistaates, bis hin zum liberalen Gouvernement stets auf den Mensch als Indi- viduum zielte. Es konnte gezeigt werden, wie im Zuge dieser Entwicklung, an die Stelle einer gegebenen zu- nächst allgemeinen, dann individuellen, zwingenden Natur der individuelle freie Wille trat. Eine im Rah- men einer realistischen Vernunft und in den Grenzen eines hedonistisches Kalküls gebrauchte individuelle Freiheit erhält eine zunehmend legitimatorische wie essentielle Funktion innerhalb der Machtmechanismen. Diese gilt es anzuspornen, anzureizen und im Sinne des laissez-faire machen zu lassen. An die Stelle ei- nes überwachenden, aber naturkonformen Fremdzwangs tritt die Anheizung einer egozentrischen Selbstdiskursivierung, die Aufforderung, für seine Bildungsevolution und Lebensperspektive bewußt, effizient und selbstverantwortlich zu sorgen, sein persönliches Human-Kapital klug zu investieren, kurz: sich selbst gut zu managen.

Die Kritische Pädagogik verspricht analog zu dieser Entwicklung nicht mehr in erster Linie, die Schüler und Schülerinnen entsprechend einer - mit bestem pä- dagogischen Wissen und Gewissen unterstellten - prä- skriptiv-normativen Natürlichkeit als einzigartige Subjekte zu bewahren. Zunehmend begnügt sie sich da- mit, die Schüler/-innen zu einem - pädagogisch als sinnvoll erachteten - freiwillig gewählten, vernünf- tigen und realistischen Handeln anzuleiten, als des- sen Subjekt sie sich schließlich anerkennen können und müssen. Es wird nicht mehr primär postuliert, die Unschuld der Kinder zu verteidigen und deren Entfrem- dung zu verhindern, sondern sie zu kompetenten Le- bensführern ihrer selbst zu machen. Ebenso, wie der Liberalismus, die individuelle Freiheit, die ihn be- dingt und die er bedingt, nicht länger als eine na- türlich gegebene annimmt, sondern als eine die er herstellt und sichern muß, geht es auch der Verlänge- rung der traditionellen kritischen Reformpädagogik nicht mehr allein darum, ein natürliches So- und IchSelbst-Sein der Kinder zu affirmieren, sondern ihre unternehmerische Ich-Stärke zu fördern.

Die Techniken sind allemal die gleichen: Ermutigung mit Smily-Buttons, selbständige Arbeitsorganisation und -erledigung sowie professionelles Zeitmanagement im Rahmen des Wochenplans, Teamgeist in der Klassen- gemeinde, Verantwortungsübernahme für Produktqualität als Ergebnis des Projektunterrichts. Statt Prüfung- terror Selbstkontrolle im LÜK-Kasten oder wechselsei- tige Überprüfung der Mitschüler-Chefkollegen. Statt autoritärer Leher-Herrschaft Vertragsverhandlungen und Briefe, die man an sich selber schreibt, um sei- nen Zielen treu zu bleiben. Der Fehler wird nicht be- straft, sondern gelobt, denn er steht für den Mut zur Innovation. Auch er ist nützlich, sofern man aus ihm lernt. Statt Schulbankdrücken und stumpfes Auswendig- lernen, freie Mobilität und Raum für kreative Selbst- repräsentation. Wie gesagt, es geht um ich-starke Selbst-Manager.

Was als Kritik an einer disziplinären Schulanordnung erdacht worden ist, die ihr Modell in der Fabrik hat, auf welche sie vorbereitet, bediente sich von je her einer Reflexion, die von dieser Industriemaschinerie notwendig gemacht worden war: die Natürlichkeit der Subjekte. Umso leichter läßt sich nun die Kritik, quasi als integraler Modernisierungsmechanismus, in einen Apell für das überführen, was die Existenzbe- dingung einer postindustriellen Gesellschaft aus- macht: die Selbststeuerungskapazitäten der Individu- en, ihr freier Wille, ihr Engagement, ihre Fähigkeit, sich selbst zu managen.

Auf der Ebene der Institutionen führt der Wille zur Selbstfindung zum Schulprogramm, die Selbstverwirkli- chung erfüllt sich als Profil. Selbstprüfung und -vergewisserung nennt sich Evaluation. Das Aufbegeh- ren gegen autokratische Führungsstrukturen schlägt sich in Zielvereinbarungen, Selbstverpflichtung und individuelle Verantwortung vor dem Kollektiv nieder. An die Stelle von Dienst nach Vorschrift treten eine immerwährende Schulentwicklung, ständige Steuerungs- gruppensitzungen und tiefenpsychologische Teamsuper- visionen. An die Stelle von behördlichen Dekreten treten begeisterte und unternehmerische Selbstgestal- tung vor dem Hintergrund von interaktiv und ihm Rah- men von flachen Hierarchien erarbeitete Kontrakten und Abkommen; auf der Folie einer Verfahrensvernunft, die nicht verordnet, sondern selbstevident ist. Was als Kritik an einer undemokratischen Führungskultur daher kommt ist die rationalste Form des Regierens.

Die Mentalität des Regierens - sowohl im Klassenzim- mer, als auch auf der Lehrerkonferenz - hat die Kri- tik, die an ihr geführt wurde längst in sich aufge- nommen. Die Kritik, die die Unterdrückung anprangert, den Zwang und die Entfremdung, verfehlt ihr Ziel to- tal. Die Regierung bedarf keiner Repression, sie bie- tet keinen Anlaß zum Widerstand, sie kann sich ihres Sieges immer schon sicher sein, da die Regierten sich in ihr wiedererkennen und aus freien Stücken in die Regelungen einwilligen. Die Regierung ist im Inners- ten von dieser Kritik beseelt und wohnt selbst im In- nersten dieser Kritik. Die Regierung operiert auf ei- nem offenen Möglichkeitsfeld, auf dem die Individuen sich frei, uneingeschränkt und zwanglos bewegen. Die Kunst des Regierens besteht darin, das Feld möglichen Handelns lautlos und unskpektakulär, sanft und ver- heißungsvoll, schließlich aber derart zu strukturie- ren, daß als selbstverständlich, evident, unbezwei- felbar und normal erscheint, mit einem Wort: daß wahrscheinlich ist, was für das Funktionieren des Re- gierens notwendig ist. Die grundlegendste dieser ein- zuführenden Notwendigkeiten ist jene, die dafür sorge trägt, daß die Individuen sagen: Ich bin ich selbst.

Zum Schluß noch ein P.S. zu den Kontrollgesellschaften. Wenn Deleuze schrieb:

„Die idiotischten Spiele im Fernsehen sind nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil sie die Unternehmenssituation adäquat zum Ausdruck bringen “387 und dabei sicherlich jene Shows meinte, in denen eine besondere Leistung oder ein waghalsiges Engagement prämiert wird, so hat sich hier in den letzten Jahren eine interessante Entwicklung vollzogen. Das neuste, erfolgreichste und zukunftsweisenste TV-Format ist z.Z. dasjenige, das auf die Echtheit setzt.388 Reali- ty-TV ist angesagt: Von den 24-Stunden-mit-der- handycam-im-good-cops-car-Sendungen, über die Vormit- tags-Talks und Standesamt-Fernsehen bis zu den daily Echtzeit-Soaps sehen wir echte Menschen, in echten Lebenslagen, mit echten Gefühlen, gänzlich unge- schminkt und möglichst nackt. Es geht um das durch und durch Echtsein, das ganz normale Ich-Selbst-Sein der ganz normalen Leute: Doppelt echt. Das heißt, Menschen wie Du und ich, mitten aus dem alltäglichen Leben und mit Geschichten, die das Leben schreibt. Und zudem Menschen, die an sich selbst authentisch sind: gerade raus, ehrlich, unverstellt und freizü- gig, immer gut drauf und mit sich selbst im Reinen und insbesondere nichts anderes als nur sie selbst.

„»Ich bin ich«, sagt der dicke Harry aus dem Big- Brother-Haus bei seinem Besuch in der »Harald Schmidt Show«. »Ich bin einfach ich«, sagt die »Girlscamp«- Teilnehmerin Anita auf ihrem Flug nach El Hierro. »Ich bin einfach so, wie ich bin«, sagt Lucy, eines der fünf »Popstar«-Mädchen, die sich RTL 2 selbst ge- bastelt hat. »Ich bin halt, wie ich bin«, sagt einer der TV-Friseure bei RTL. »Ich rat euch, einfach so zu sein, wie ihr seid«, empfiehlt die Leitfigur Zlatko ihren Nachfolgern. »Ich möchte eigentlich so sein, wie ich wirklich bin«, stellt sich der neue »Big- Brother«-Kandidat Wulf vor. Ego-Onanie auf allen Kanälen. “389

In einer unermüdlichen performance ihrer Selbst sind die amateurhaften Protagonisten bemüht, ganz sie selbst zu sein, wobei sie nur oder gerade weil sie nur zusammengesampletes Produkt einer millionenschwe- ren Repräsentationsmaschine und damit Ableitungen, modulierte Spielarten und Variationen des jeweils marktgängigsten Medien-Subjektes sind. Das scheint sich umso besser zu verkaufen, desto glaubhafter ge- macht werden kann, daß es sich um ein authentisches Naturprodukt handelt:390

„Schau in den Spiegel, schau ganz tief in dich rein wenn du dich noch erkennst, dann kannst du stolz auf dich sein änder dich nicht nur damit du allen gefällst unterschätz nicht deinen eigenen Wert, bleib immer nur du selbst

Zeig mir dein Gesicht, zeig mir wer du wirklich bist bleib dir treu, verstell dich nicht für mich halt an allem fest was dir wichtig ist zeig mir dein Gesicht und keine Maske die verdeckt was dahinter wirklich steckt bleib in der Haut, die dir am besten sitzt zeig mir dein Gesicht, dein wahres Gesicht Vertrau auf die Stimme die ganz tief in dir sitzt nur du weißt genau was wirklich gut für dich ist ganz egal wieviele Fehler du machst solang du nicht nur eine Rolle spielst, die nicht zu dir passt

Zeig mir dein Gesicht … Auch wenn von dir so manches auf der Strecke bleibt bewahre dir deine Einzigartigkeit Zeig mir dein Gesicht … “391

Was wir - vom Rentner, über den autonomen Hausbeset- zer, bis zum Techno-Kid - also sehen wollen, sind Menschen, die selber wissen, was für sie gut ist, die selbstbestimmt und mit vollem selbstverantworteten Risiko nur das machen, was ihnen Spaß macht, die sich niemals krumm machen und von niemand sagen lassen, was sie tun sollen. Wenn sie sich doch den Spielre- geln und der totalen Kontrolle unterwerfen, wenn sie dennoch unter den Trimm-Dich-Geräten schuften und sich dem Teamgeist unterordnen, um nicht gemobbt zu werden, dann tun sie das freiwillig und nur für sich selbst. Gerade deshalb werden sie zu Stars und Milli- onären. Wie gesagt: Die idiotischten Spiele im Fern- sehen sind nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil sie die Unternehmenssituation adäquat zum Ausdruck bringen.

Ich habe aber keineswegs behauptet,

daß es keine Unterdrückung der Sexualität gegeben habe. Ich habe mich nur gefragt, ob man zur Entschlüsselung der Beziehung zwischen der Macht, dem Wissen und dem Sex

die gesamte Analyse am Begriff

der Repression orientieren müsse

Foucault, 1977

9. NEUSTART: WAS IST KRITIK?

8.1. Eine Ethik des Unbehagens

Die wichtigte Lektion, die ich in den Vorlesungen von Karl-Josef Pazzini gelernt habe, besteht darin, daß das zentralste Moment des Bildungsprozesses im Ent- Bilden besteht. Einfach gesagt: Bildung besteht nicht in der akkumulativen Aneignung von Wissen, welches man in bereits angeeignete (oder gar angeborene) Wahrnehmungs- und Denkkategorien einsortiert, sondern vielmehr darin, diese (Selbst-)Struktur mit jeder neuen Erfahrung immer wieder aufzulösen und neu zu ordnen. Jedes Lernen würde damit voraussetzen, daß man alles bereits Gelernte im Grunde genommen immer wieder verlernen, daß man also immer wieder von vorne beginnen muß. Ich möchte dementsprechend diese Arbeit nicht beschließen, ohne gewissermaßen erneut zu be- ginnen. Fangen wir also noch mal mit Foucaults Anti- humanismus an:

„Durch verschiedene Praktiken - in der Psychologie, der Medizin, dem Strafsystem, der Erziehung - wurde ein bestimmtes Ideal oder Modell der Humanität entwi- ckelt, und nun hat diese Idee vom Menschen normativen Charakter gewonnen, ist selbstevident geworden und gilt als universell gültig. Humanismus mag aber durchaus nicht universell sein, vielmehr ist er wahr- scheinlich an eine bestimmte Situation gebunden. Von dem, was wir als Humanismus bezeichnen, haben ebenso- wohl Marxisten und Liberale wie Nazis und Katholiken Gebrauch gemacht. […] Was mir am Humanismus nicht be- hagt, ist, daß er eine bestimmte Form unserer Ethik zum Muster und Prinzip der Freiheit erklärt. Ich glaube, daß es mehr Geheimnisse gibt, mehr mögliche Freiheiten und weitere zukünftige Erfindungen, als wir uns dies im Rahmen des Humanismus vorstellen können, wie er dogmatisch auf allen politischen Positionen verkündet wird, von der Linken über die Mitte bis hin zur Rechten. “392

Wenn es nun wahr sein sollte, daß der am Ideal des selbstidentischen, sich selbst regulierenden Menschen orientierte Versuch, sich von Unterdrückung und Ent- fremdung zu befreien, in sich selbst nur eine List der Macht ist, das Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als jene, von der man sich zu befrei- en glaubte; wenn tatsächlich die Techniken der Selbstkonstitution zwar bestimmte Formen des Wider- standes eröffnen, sich aber zugleich gerade in der Idee der Selbstbestimmung und Selbststeuerung auf un- trennbare Weise mit Macht- und Herrschaftstechniken verbunden haben; wenn tatsächlich das Modell einer autonomen Subjektivität jenes Bindeglied darstellt und somit nicht länger als emanzipatorisches, frei- heitverbürgendes Ideal und als Garant einer stabilen und gerechten Gesellschaft fungieren kann, dann hat diese Arbeit trotz der gemachten Andeutungen eine zentrale Frage offen gelassen: Was ist Kritik? Was ist Widerstand?

Das heißt zum einen: Von wo aus spricht jener Dis- kurs, der es uns angeblich ermöglicht, eine zweite Reflexionsschlaufe über die kritisch-pädagogische Aufklärung der Unterdrückung und Fremdbestimmung zu legen? Von wo aus spricht diese „antihumanistische Kritik “ an der humanistischen Kritik? Kann sie einen Standpunkt der Kritik ausweisen, von wo aus sie ihre Anfragen an das Ideal des Humanismus stellt?

Und kann sie damit zum zweiten eine Art und Weise vorschlagen, vermittels sie nun allen Formen der Macht widersteht, noch die tiefste Unterdrückung auf- hebt? Kann diese sekundären Reflexion also das leis- ten, was die humanistische Kritik - wenn vielleicht auch mit unzulänglichen Mitteln - zumindest aber ver- sucht hat? Oder aber verstellt sie diesem Versuch nur die Mittel und Wege, vergällt ihm die Hoffnung auf ein gutes Leben und einen versöhnten Menschen, raubt ihm das Α und Ω seines Strebens? Hinterläßt dieser Antihumanismus nichts weiter als die ohnmächtige Verzweiflung, auf ewig der Macht unterworfen und uneins mit sich selbst zu sein?

Zunächst kann sie dieses widerständig-befreiende Ver- fahren in dieser Form selbstverständlich nicht bestimmen. Befreiung ist kein einmaliger Akt, der zum Zustand der Freiheit führt. Die Machtverhältnisse können nicht aufgehoben werden, da es nichts gibt, was der Macht äußerlich und präexistent wäre.

„In Gesellschaft leben heißt jedenfalls so leben, dass man gegenseitig auf sein Handeln einwirken kann. Eine »Gesellschaft ohne Machtverhältnisse« kann nur eine Abstraktion sein. “393

Ebenso kann sich das Subjekt nicht als ein freies konstituieren, ohne sich bestimmter Machtpraktiken zu bedienen: Hat es nicht ein Herrschaftsverhältnis zu sich selbst etabliert, ist es kein freies Subjekt. Mehr noch: Jede Vorstellung eines vorgängigen, herr- schaftsfreien und reinen Außen der Macht entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als effektivierende und notwendige Projektion, als Ausstülpung, als Entfal- tung ihres innersten Wirkens: Ein Innen, welches dem Subjekt ein bestimmtes Verhältnis zu sich selbst auf- zwingt.

Die vorgetragene antihumanistische Kritik verlangt also nicht außerhalb der Macht zu stehen. Sie ist selbst Macht. Sie ist Effekt der Macht, wiewohl sie diese affiziert. Sie ist ein Einsatz im Spiel der Macht, welches sie nicht aufzuheben beansprucht, son- dern in Bewegung zu bringen hofft. Jeder Verführung, eine kritische Norm zu definieren versucht sie zu wi- derstehen.

In diesem Sinne ist die Kritik auch nicht eine sol- che, die widerlegen, die die Unwahrheit der Gegenpo- sition beweisen will, die auf den Zwang des besseren Argumentes setzt. Der Stil der Kritik ist nicht al- lein einer der Präzision der rationalen Argumentati- on. Es geht darum Konnotationen zu verschieben. Sie hat keinen prädestinierten Zugang zur Wahrheit, sehr wohl tritt sie aber in den Streit um diese ein. Schon gar nicht will die Kritik aburteilen und vernich- ten.394 Der antihumanistischen Kritik geht es vielmehr nur darum, eben auf das in der humanistischen Aufklä- rung enthaltene rückläufige Moment, auf ihre dunkle Kehrseite aufmerksam zu machen, auf die in ihr lau- ernden Gefahren hinzuweisen. Es geht darum die Ambi- valenz und Mehrdeutigkeit des humanistischen Denkens beim Namen zu nennen. Man ist versucht zu sagen: Die- se Kritik hegt „keinen Zweifel, daß die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden [humanistischen, S.M.-G.] Denken unabtrennbar ist. “ Jedoch ist anzu- nehmen, „daß der Begriff dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenen Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet. “395

Es ist wohl nicht unverschämt zu behaupten, Foucault sei der rechtmäßige Erbe der älteren Kritischen Theorie. Seine Arbeit kann aber nicht als eine Fortführung verstanden werden, sondern weist vielmehr in ihrer Eigenständigkeit bestimmte Übereinstimmungen in der Fragestellung auf. Foucault hatte erst viel zu spät Notiz von der Frankfurter Schule genommen, als daß er in diesem Sinne in deren Tradition stehen würde:

„Wäre ich in meiner Jugend auf die Frankfurter gestoßen, wäre ich am Ende vielleicht dazu verführt worden, nichts anderes im Leben zu vollbringen, als sie zu kommentieren. So bleibt es für mich ein re- trospektiver Einfluß, ein Beitrag der mich erreichte, als ich nicht mehr im Alter intellektueller »Entdeckungen« war. Und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen oder ob ich enttäuscht sein soll “ .396

Zum anderen unterscheidet sich Foucaults Denken an bestimmten Punkten grundlegend vom dem der Kritischen Theorie, die gerade im Zusammenhang dieser Arbeit entscheidend sind:

„Gewiß gibt es Differenzierungen. Schematisch und vorläufig könnte man behaupten, daß die Konzeption des Subjekts, welche die Frankfur- ter Schule vertrat, eine ziemlich traditionelle, ihrem Wesen nach philosophische war; sie war weitgehend geprägt vom marxistischen Hu- manismus. Auf diese Weise erklärt sich ihre spezielle Anknüpfung an bestimmte freudsche Begriffe, “ an „den Zusammenhang zwischen Ent- fremdung und Unterdrückung, Befreiung, Versöhnung und dem Ende der Ausbeutung […], daß die Vorstellung, die sich die Vertreter der Frankfurter Schule von dieser Erzeugung des Menschen durch den Men- schen machten, wesentlich darin bestand, zu meinen, es müsse all das befreit werden, was in einem System, das Rationalität mit Repression verbindet, oder in einem Ausbeutungssystem, das mit einer Klassenge- sellschaft verbunden ist, den Menschen von seinem eigentlichen Wesen entfremdet hat. “397

Bleibt die Frage, nach den Maßstäben - wenn nicht mehr rückhaltlos auf die selbstidentische Menschlich- keit verwiesen werden kann - mit denen für die „Frei- heit “ in der Gesellschaft gestritten werden kann. Wie kann dem Argument begegnet werden, einer unver- antwortlichen, irrationalen - oder auch jungkonserva- tiven398 - Beliebigkeit das Wort zu reden? Mit einem Wort: Wie ist auf den Spuren von Foucault Kritik zu denken?

Angenommen, daß die Weise der Macht der Krieg, das geregelte Spiel, der Wettkampf sei - angenommen die Weise der Macht sei die des „Agon “ . Angenommen Wi- derstand sei Teil einer Macht, die vermöge der Frei- heit spielt, sei derjenige Gebrauch der Freiheit der es ermöglicht, das Spiel mit gleichen Chancen zu spielen, die Beweglichkeit des Spiels zu erhalten, mit einem kleinstmöglichen Aufwand an Herrschaft zu spielen. Dann ist diese Praxis der Freiheit in sich selbst kritisch. Sie muß als ein philosophischer, e- thischer Akt verstanden und vollzogen werden. Sie ist eine Haltung der Kritik399, ein Ethos.

Sie besteht darin jedwede Evidenz des Bestehenden zu bestreiten, alles, was als wahr gilt, nach dessen Konstitutionsbedingungen hin zu befragen und damit Möglichkeiten der Transformation aufzuzeigen. Diese kritische Haltung will dafür sensibilisieren, daß je- de zu analysierende strukturelle Invariante notwendi- gerweise eine Vielzahl Variablen offen läßt.400 Diese Haltung bemüht sich nicht, durch die zwanghafte Argu- mentation die Legitimität ihrer kritischen Position oder Handlungen zu beweisen. Ein solches Vorgehen muß letztlich immer auf eine Wesenheit, eine Universalie, eine Letztbegründung, gar eine transzendentale Meta- physik rekrutieren. Die kritische Haltung bedient sich auch nicht der Vorstellung eines autonomen und authentischen Subjekts, das frei und unabhängig für seine genuinen Bedürfnisse einsteht. Geschweige denn ist sie mit diesem identisch. Eine solche Vorstellun- gen weiß sie immer schon in bestimmte Machtverhält- nisse eingebunden, die es zu untersuchen und in Bewe- gung zu halten gilt. Sie enthält sich somit jeglicher Normativität, die zwangsläufig zu einer normativen Teilung401 führt, in gut - böse, krank - gesund, ver- rückt - vernünftig, kommunikativ - nichtkommunikativ. Dennoch ist diese kritische Haltung nicht willenlos: Sie fragt beständig nach den Umständen, unter denen das eine oder andere Argument sich durchsetzen kann, dem Ort und dem Zeitpunkt an denen etwas für gut und richtig und als wahr erachtet wird. Sie fragt nach den Akzeptibilitätsbedingungen und damit nach ihren eigenen Grundlagen. Sie tut dies, damit diese Grund- lagen niemals zu unhinterfragbaren Endgültigen er- starren, die ein Andersdenken, ein Anderstun und ein

Anderssein ausschließen. Der Andersheit ihren rechtmäßigen Raum zu belassen, ist der Appell dieser agonalen Ethik.

Ihr Ausgangpunkt ist die Erfahrung der empirischen Subjekte, die darin als konkret-historische Konstruk- tionen, als historisch-kontingente Subjektivitäten gedacht sind. Es geht also um die Erfahrung eines Singulären, befreit von allem transzendental- universalem. Dieses wird vielmehr selbst als histori- sche Singularität entlarvt. Die Kritik nimmt ihren Ausgang an der Erfahrung des Intolerablen, an dem, was die Individuen nicht hinzunehmen bereit sind.402 Sie geht nicht von einem von rechts wegen freien In- dividuum, nicht von einer unmittelbaren Erfahrung und nicht von einem selbstidentischen Subjekt aus. Sie fordert nicht: „Wir wollen nicht regiert werden und wir wollen rein gar nicht regiert werden! “ Vielmehr wirft sie die Frage auf:

„Wie ist es möglich, daß man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit sol- chen Verfahren regiert wird - daß man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert wird? “403

Die Kritik ist ein Kampf gegen das, was man Regieren durch Individualisieren nennen kann, gegen eine Form der Macht, die das Individuum zwanghaft an seine I- dentität fesselt. Kritik wäre somit die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden. Kritik wäre die Kunst, die Möglichkeit der Transformation, der Verschiebung, der Subversion offen zu halten. Kritik wäre „eine Kampfansage gegen das, was ist.“404 Die Kritik nimmt ihren Ausgang nicht an einem leitenden Prinzip, nicht an der absoluten Freiheit, sondern an der Erfahrung, diese Freiheit nur in bestimmter Form gebrauchen zu können. Der Ausgestaltung dieser Form gilt die Sorge der skizzierten Kritik. Eine Form, die sich bemüht, die Ambiguität der Bedeutungen auszuhalten und das Andere zuzulassen. Eine Form, die darum ringt, es sich im Unbehagen behaglich zu machen, den Zweifel zum Sprechen zu bringen, das Scheitern libidinös zu besetzen und zu verhindern, daß „es “ sich schließt und Ruhe einkehrt.

Eine Form, die insofern sehr wohl die Emanzipation, die Befreiung aus der Unmündigkeit im Sinn hat; aber nicht im Sinne einer „Befreiung des Menschen zu sei- nem eigenen Sein“405 ; vielmehr als permanente Suche nach dem, was wir sein könnten, einer Analyse derje- nigen historischen Bedingungen, die uns zu dem ma- chen, was wir sind, als ein ständiges Experiment der Möglichkeit ihrer Überschreitung. Die Kritik ver- sucht, „in der Kontingenz, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, die Möglichkeit aufzufinden, nicht länger das zu sein, zu tun oder zu denken, was wir sind, tun oder denken. “406

„Ich bin überzeugt, […] daß das Problem eben nicht darin besteht, unsere »verlorene« Identität wiederzu- finden, unsere eingekerkerte Natur oder unsere tiefstliegende Wahrheit zu befreien, sondern daß das Problem im Gegenteil darin besteht, zu etwas radikal anderem überzugehen. […] Für mich ist das, was produ- ziert werden muß nicht der mit sich selbst identische Mensch, so wie die Natur ihn entsprechend seinem We- sen entworfen haben soll. Wir müssen im Gegenteil et- was produzieren, was noch gar nicht existiert und von dem wir nicht wissen können, wie und was es sein wird. […] Es geht eher um die Destruktion dessen, was wir sind, um die Schöpfung von etwas völlig ande- rem “407

9.2. Praxis der Freiheit

Was heißt dies nun endlich für eine kritische Praxis, für eine Praxis des Widerstandes, die zugleich eine pädagogische wäre. Man könnte sagen: nicht viel. Eine Parole unter der sich der Widerstand formieren, ein Rezept, welchem er folgen könnte, ist damit nicht ausgegeben. Wer von hier aus eine alternative pädago- gische Theorie oder das Konzept einer guten anderen Schule zu entwerfen sich anschickt, hat sich sofort in den Fallstricken der Macht verfangen.

Um dennoch nicht als das letzte Bollwerke des Frontalunterrichts und der autokratischen Schulaufsicht zu erscheinen, möchte ich zwei kurze Anmerkungen zum Weiterdenken machen: eine zur Erziehungswissenschaft, eine zur pädagogischen Praxis.

Foucault schreibt in der Einleitung zu seinen letzten Büchern den viel und gern zitierten Satz:

„Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen oder Weiterdenken unentbehrlich ist. “408

Hieße der Satz: Es gibt im Leben Augenblicke, da es zum Weiterschauen oder Weiterdenken unentbehrlich ist, anders zu denken, als man denkt, und anders wahrzunehmen, als man sieht, dann hätte er von seinem appellativen Charakter und seiner ergreifenden und zukunftsweisenden Inntonation kaum etwas eingebüßt. Er wäre aber im Grunde genommen eine Tautologie und damit schlicht sinnlos. Die Betonung liegt also auf der Frage, ob man anders denken kann. Mit anderen Worten: es geht um eine Analyse derjenigen Bedingun- gen, die das eigene Denken und die eigene Wahrnehmung konstituieren. Es geht damit um eine Arbeit, „die es gestattet, sich von sich selber zu lösen. “409 Es geht quasi um eine Ent-Bildung.

Die momentane pädagogische Forschung im Sinne einer empirischen Sozialforschung und speziell die sog. Schulentwicklungsforschung krankt in weiten Teilen an dem Umstand, daß sie nichts weiter macht, als das Denken und die Wahrnehmung, die dem Gegenstand, den sie untersucht, immament ist, zu verdoppeln: etwa das Denken und die Wahrnehmung der Lehrer und Schuladmin- sitratoren, die Form der Problematisierungen, wie sie sich in den institutionalisierten Regelungen, den Handlungsweisen und in den Köpfen der pädagogischen Akteure manifestiert, die Rationalität jener Gouver- nementalität, die in den Schulstrukturen, den Ritua- le, den Verfahren herrscht usw. Sie verdoppelt die Prüfung in ihren globalen Vergleichstudien und inter- nen Evaluationen, sie verdoppelt ein traditionelles Lehr-Lern-Verhältnis, indem sie sich von den Sorgen und Nöten der Lehrer leiten läßt, sie verdoppelt die bildungspolitischen Entscheidungen und Zielsetzungen, insofern sie sich von dort beauftragen und bezahlen läßt, sie verdoppelt letztlich die gesamte Schule in einem virtuellen Raum. Diese Wissenschaft übernimmt ihre Probleme, Begriffe und Erkenntnisinstrumente von der sozialen Welt, die sie beansprucht zu erklären. Den Gegenstand, den sie meint zu durchdringen, nimmt sie als gegeben an. Mit einem Wort: diese Untersu- chungen bedienen sich des common sense und beziehen sich auf ein vorkonstruiertes Objekt.

Mit Bourdieu steht aber am Anfang jeder sozialwissenschaftlichen Forschung notwendig die bedachte Konstruktion des Objektes, welches man untersuchen will. Das aber heißt „zunächst und vor allem, mit dem common sense zu bre- chen, das heißt mit den Vorstellungen, die alle tei- len, ob simple Gemeinplätze des Alltsgslebens oder offizielle Vorstellungen, die sich oft zu Insti- tutionen verfestigen, das heißt zugleich in die Ob- jektivität der gesellschaftlichen Organisationen und in die Köpfe eingehen. “410

Eine Forschung hätte sich also darüber Rechenschaft abzulegen, woher ihre Begriffe und ihre Vernunft stammen, mit welchem Denken und mit welcher Wahrneh- mung sie ihren Gegenstand erschließt. Sie hätte die Sozialgeschichte ihrer Probleme, Objekte und Denk- werkzeuge zu betreiben. Sie hätte in Rechnung zu stellen, daß die Phänomene, die sie beschreibt und entziffert, vielleicht die Effekte von Mechanismen oder Prinzipien sind, die weit entfernt von dem lie- gen, was sie sich als fest umrissenes, gut eingrenz- und operatinalisierbares Objekt nimmt. Sie hätte ih- ren Gegenstand in einem Feld von Relationen zu veror- ten, das ihn allererst und längst vor ihr selbst ü- berhaupt zu einer Realität, zu einer Substanz, zu ei- nem Problem hat werden lassen. Mit anderen Worten: Sie hätte ihren Gegenstand in einer vorsichtigen An- nährung, in einer langwierigen und reflektierten Ü- bung, „über wiederholte Retouchen, ganze Serien von Korrekturen und Verbesserungen“411 zunächst als wis- senschaftliches Objekt zu konstruieren, d.h. zu ob- jektivieren.

Sie hätte eben in erster Linie, ihr eigenes Denken und ihre Wahrnehmung zu befragen und sich ggf. von diesem zu lösen.

„Eine wissenschaftliche Praxis, die es unterläßt, sich selbst in Frage zu stellen, weiß im eigentlichen Sinne nicht, was sie tut. Eingeschlossen in das Ob- jekt, das sie als Objekt nimmt, bekommt sie auch et- was heraus über dieses Objekt, das jedoch nicht wirk- lich objektiviert ist, da es sich um die Prinzipien der Objektwahrnehmung selber handelt. “ „Die gewöhn- liche Soziologie, die sich die radikale Infragestel- lung ihrer eigenen Operationen und Denkinstrumente erspart und eine solche reflexive Intention eher als Überbleibsel einer philosophischen Geisteshaltung ansehen dürfte, also als vorwissenschaftliches Relikt, ist ganz und gar durchdrungen von diesem Objekt, das sie zu erkennen meint und gar nicht wirklich erkennen kann, weil sie sich selbst nicht kennt. “412

Die vorliegende Arbeit kann in diesem Sinne auch als Vorarbeit für eine spätere empirisch orientierte Ar- beit verstanden werden: Insofern sie nämlich einen für die momentane pädagogische Wirklichkeit und deren Beforschung zentralen Begriff: den des selbstbestimm- ten, sich selbst bildenden Individuums und damit den der Autonomie, in einem relationalen Feld: dem der Macht, zu verorten suchte.

„Der wissenschaftliche Profit jedoch, der aus der Kenntnis des Raums zu ziehen ist, in dem man das un- tersuchte Objekt (zum Beispiel eine bestimmte Schule) isoliert hat und den man zu erfassen versuchen muß, und sei es auch nur ganz grob oder gar, in Ermange- lung eines Besseren, über Daten aus zweiter Hand, liegt darin, daß man, wohl wissend, was man tut und was es mit der Realität auf sich hat, aus der man ein Fragment abstrahiert hat, zumindest die großen Kräf- teverläufe des Raumes nachvollziehen kann, dessen Zwängen der betreffende Punkt unterliegt (fast nach Art der Architekten des I9. Jahrhunderts, die wunder- bare Kohlezeichnungen von dem Gesamtgebäude anfertig- ten, in dem sich der AusschInitt befand, den sie im Detail gestalten wolIten).“413

Für eine solche empirische Arbeit böte sich ein enthnographischer Forschungsansatz an, sofern man un- ter Enthnographie eine Forschungstrategie versteht, die mit dem theoretischen Einsatz spekuliert. Ethno- graphie also verstanden als ein Forschen, das die Verwobenheit und Ununterscheidbarkeit des Denkens und des Wahrnehmens des Forschers einerseits und des be- forschten Feldes andererseits problematisiert. Das folglich zur Kenntnis nimmt, daß jedes wissenschaft- liche Objekt immer eine theoretische Konstruktion ist - und zwar zunächst die einer Alltagstheorie. Ethno- graphie als ein Denken, das des Weiteren die Theorie als ein Distanzierungsmechanismus zwischen die wis- senschaftliche und die alltägliche Wahrnehmung schiebt. Das sich also nicht allein damit begnügt, die beobachtete Wirklichkeit und das erhobene Materi- al zu be- oder gar zu verfremden, sondern sich vor- nehmlich bemüht, sich dem zu beforschenden Feld als Fremder zu nähern. Die also schließlich die Frage aufwirkt, wie es möglich ist, sich vom alltäglichem Denken und Wahrnehmen, wie es möglich ist, sich vom Eigenen, sich von sich selbst zu lösen.414

„Im ethnographischen Forschungsproß sind theoretische und empirische Arbeitsprozesse wechselseitig ver- schränkt […]. Insofern ist dem immer wieder empiris- tischen Ansprüchen vorgehaltenen epistemologischen Einwand, daß es keine theoriefreie Beobachtung geben könne, nicht nur zuzustimmen, es ist im Sinne des so- ziologischen ›Coming Home‹ vielmehr ein Gütemerkmal von Ethnographien, wenn sie theoretische Perspektiven auch explizit einsetzen und verfolgen. “ Dabei „geht es in Ethnographien jedoch um den Einsatz von Denk- mitteln - nicht im Sinne von ›Anwendung‹ sondern von ›enjeu‹ (Bourdieu 1987), von Spieleinsatz. Theorien sind in diesem Verständnis kein Forschungsziel, son- dern Denkwerkzeuge, ein intellektuelles Kapital, das in ›Empiriebildung‹ reinvestiert werden muß, um seine Produktivität zu entfalten. Theoretische Qualität und Relevanz bemißt sich dann nicht vorrangig an der Re- sistenz und Subsumtionsleistung gegenüber ›neuen‹ Fakten, sondern in der Potenz, soziologisch bislang Unentdecktes (wieder)erkennbar zu machen. “415

In der Wiederentdeckung des Neuen, wenn nicht gar des anderen, damit in der Ermöglichung der Transformation und der Veränderung, in der Übung des Von-Sich- Selber-Lösens wäre eine solche Forschung an sich kritisch pädagogische theoretische Praxis.

Die gegenwärtige kritisch-reformerische pädagogische Praxis arbeitet im wesentlichen mit zwei grundlegen- den Elementen: Mit einer Vorstellung eines einzigar- tigen, sich selbst bildenden Individuums und zugleich mit der Vorstellung von intendierten, zu erreichenden und überprüfbaren Zielbestimmungen - und sei es nur dasjenige Ziel, daß jeder das werden müsse, was er ist. Sie definiert damit dasjenige als Ziel, was sie als Voraussetzung zum Gelingen ihrer Ziele immer schon als gegeben unterstellt. Sie zielt auf ein freies, rationales und realistisches Subjekt, welches sie als Antreib des Bildungsprozesses notwendig vor- aussetzt. Sie unterstellt, daß das Individuum, inso- fern es immer schon frei, realistisch und rational ist, sich selbstverständlich selbstbildend als frei- es, realistisches und rationales Subjekt konstituie- ren wird.

Sie schreibt sich damit in eine Tradition eines humanistischen Bildungsgedanken ein, die Michael Wimmer folgendemaßen umschreibt:

„Bildung wurde als Prozeß der Selbsthervorbringung, Selbstverwirklichung, als Selbstvollzug, als Eigentum seiner Selbst, kurz: als Selbst-Bildung gedacht, die sich aus eigenem Antrieb vollzieht und in der sich Freiheit und Autonomie von Anfang an manifestieren und nicht erst als Resultat oder Ergebnis in Erschei- nung treten. “416

Im Rahmen dieser Selbstverständlichkeit ist die Päda- gogik unfähig zu sehen, daß das, was sie als gegeben annimmt, ein von ihr notwendig beabsichtigter und produzierter Effekt ist. Sie kann sich nicht einge- stehen, daß sie dem als einzigartig und ursprünglich angenommenen Individuum immer schon eine bestimmte definite Form zuweist - nämlich die einer freien, ra- tionalen und realistischen Subjektivität.

Eine Bildung, die die Einzigkeit des Individuums, o- der vielmehr die Singularität des Sich-Ereignenden, die auch die beengte Einheit des Individuums durch- schlägt und zerstört, ernst nimmt, hätte mit dieser Selbstverständlichkeit zu brechen. Insofern pädagogi- sche Bemühungen, insofern Unterricht immer auch auf Bildungsprozesse abzielt, hätten sie sich zunächst von allen Formen von Zweckbestimmung und Zielvorstel- lungen zu lösen. Sie hätte hoffnungslos und unendlich zu sein. Denn „will man Bildung, kann man sie nicht einmal wollen417 Karl-Josepf Pazzini bekräftigt:

„Bildung kann […] nicht verabreicht, geplant und un- mittelbar evaluiert werden. Sie ist zunächst zwecklos und nur dadurch hoch wirksam. […] Bildung hätte ein Gegengewicht gegen eine Vorstellung von Machbarkeit zu bilden. “418

Dies kann nun andererseits nicht bedeuten, daß man nun um so mehr auf Selbst-Bildung setzt, die Kinder ungestört und unberührt in der Ödnis ihrer selbst einschließt. Dieser Einsicht darf nicht folgen, daß man die Institutionen auflöst und auf die Lehre im traditionellen Sinne verzichtet.419 Es kann nicht dazu führen, daß man letargisch darauf vertraut, daß alles von selbst geht. Dies hat nichts mit sogenannter postmoderner Beliebigkeit zu tun.

Hans-Christoph Koller bemüht sich im Anschluß an Jean-François Lyotard um eine (post-)modernen Refor- mulierung des Bildungsbegriffes, der bei aller Abkehr von normativen Vereinheitlichungstendenzen, dennoch eine ethische Dimension, die des Widerstreits geltend macht:

„neben dem Zwang zur Verkettung (dem »Weitermachen«) das Geltendmachen des bisher Nicht-Artikulierbaren […]. Bildung wird hier nicht mehr im Horizont einer großen Erzählung vorgestellt, nicht in einem umfas- senden geschichtlichen Prozeß der Höherentwicklung und Vervollkommnung, der Emanzipation oder des Ver- falls eingeordnet, sondern als je einzigartiger sprachlicher Vorgang verstanden, der sich in unzähli- gen Variationen unter je konkreten Bedingungen ereig- nen kann - der allerdings insofern stets riskant bleibt, als er immer auch scheitern kann. “420

Sich von Zielvorstellungen zu lösen, hieße vor diesem Hintergrund in erster Linie einzugestehen, daß man das Ziel immer verfehlen, daß die Bemühung immer scheitern, daß immer ein Mehr sich ereignen wird, als intendiert war. Eine unendliche und hoffnungslose Pä- dagogik zu betreiben, hieße in diesem Sinne, daß man immer wieder von vorne anfangen muß, daß man die Hoffnung dennoch nicht aufgeben darf, daß man sich immer wieder überraschen läßt.

Konkret, d.h. in Form einer kritischen und dabei ganz praktischen pädagogischen Praxis, erfordert dies - wie beispielsweise Eva S.-Sturm schreibt - folgendes:

„Inszenierung von Situationen bzw. Settings, in denen sich möglicherweise etwas ereignet, das Bildungspro- zesse in Gang setzt, d.h. in denen etwas in Bewegung, ins Wanken, ins Schlingern gerät, und so sich etwas zeigt - nebenbei und unbeabsichtig. […] Keine Aus- sicht also auf restlose Kontrolle. Das Sich- Ereignende ist von Anfang an mit eingerechnet. “421

Und dies bedeutet gerade nicht, daß man möglichst ei- ne freie, offene, familiäre oder entpersonalisierte Unterrichtsstruktur schafft, die derart angelegt ist, daß sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit dasjenige ereignet, diejenigen Handlungen ablaufen, sie zu dem- jenigen Ziel führt, welche intendiert waren. Es heißt gerade umgekehrt, ein settings zu strukturieren - und dies auch gerne mit der schroffen und provozierenden Autorität einer Lehrerpersönlichkeit - in denen die Möglichkeiten potenziert, die Wahrscheinlichkeiten nicht kalkulierbar und die Führungen derart kurven- reich sind, daß Ziele nicht mehr anzugebnen sind, mit einem Wort: in den sich möglicherweise das Unwahr- scheinliche ereignet.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Deckblatt: Erfolgreich durch Selbstmanagement

Fotomontage, Vordergrund: ohne Titel, in: 1001 m@l Lernen. Der Hamburger Weiterbildungskata- log, 26. Jahrgang, Ausgabe 2000/2001, Weiter- bildung Hamburg e.V., BSJB, Titelblatt; Hinter- grund: Jeremy Bentham. Plan für das Panopticon (The Works of Jeremy Bentham, Bd.IV, S.172), in: Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1976, Abb.17

Abb.1: L’orthopédie

... ou l’art de prévenir et de corriger dans les enfants les difformités du corps, N. Andry, 1749, in: Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1976, Abb.30 Abb.2: ohne Titel Katharina Krug, in: Wild, Rebecca: Erziehung zum Sein. Erfahrungsbericht einer aktiven Schu- le, Arbor Verlag, Heidelberg 1986, Titelbild

Abb.3: Mitarbeitern vertrauen in: manager magazin, Heft 1/01, Januar 2001, S.215

Abb.4: Die Leika-Leitkarte

Collage, oben: Leitkarten als „Steine “ im Fluss der Zeit zu den „Ufern der Selbständig- keit “ ; unten: Hinführen zum autonomen Arbeiten und Lernen mit der Leika-Methode, in: Lehmann, Lutz: Unterricht ohne Lehrer? Die Leika- Methode, in: PÄDAGOGIK, 52. Jahrgang, Heft 11, November 2000, Hamburg, S.18-22, Abb.1 und Abb.4

Abb.5: Autonomie konkret in: PÄDAGOGIK, 48. Jahrgang, Heft 1, Januar 1996, Hamburg, S.6

Abb.6: Portrait von Michel Foucault Orlando Pélayo, Öl, in: Michel Foucault. Eine Geschichte der Wahrheit, Raben Verlag, München 1987, Titelbild

Abb.7: Seeigel, Längsschnitt in: dtv-Atlas zu Biologie. Tafeln und Texte, Band 1, München 1984, S.136

Abb.8: Die Gesamtpersönlichkeit in: Rogers R. Carl: Die klientzentrierte Ge- sprächspsychotherapie, Kindler, München 1972, S.452

Abb.9: El sueno de la razon produce monstruos

Der Schlaf der Vernunft erzeugt Monster, Fran- cisco José de Goya y Lucientes, Öl, 1797-98, unter: http://www.artchive.com

Insofern das spanische Wort sueno sowohl die Bedeutung von Schlaf, als auch von Traum annehmen kann, eignet sich de Goyas Bild, um die Dialektik der Aufklärung zu ver- sinnbildlichen: Sicherlich ist es die Wachsamkeit der Vernunft, die vor Mythos und Barbarei schützt. Ebenso a- ber schlummert in der Vernunft selber das Potential aus sich heraus Monster zu gebären.

Abb.10: Michel Foucault und Simone Signoret bei einem Gspräch zwischen Intellektuellen und der CFDT über Polen im Jahre 1982 (REA/Frédéric Pitchal), in: Michel Foucault. Eine Geschichte

der Wahrheit, Raben Verlag, München 1987, S.96 Abb.11: Gefängnis-Rundbau, Pitsburg (PA), Innenansicht, 1824 unter http://ganymed.dbg.fh- aargau.ch/_codes/studio2_4.html Abb.12: californication

screenshot eines über das internet eingespiel- ten, im RealPlayer visualisierten Musik-Videos der Red Hot Chili Peppers, unter http://www.redhotchilipeppers.de Abb.13: The Matrix Film-Still aus dem Spielfilm „The Matrix “ , Larry & Andy Wachowski, Warner Bros, 1999, unter http://whatisthematrix.warnerbros.com

Will man die Idee und Story des Film auf das hier gesagte übertragen, muß man Vorsicht walten lasse. Denn sicher- lich ist es eine ernstzunehmende Vorstellung, daß alle Menschen gewissermaßen an ein totales, in sich hochgradig ausdifferenziertes Programm angeschlossen sind, welches ihnen die Wirklichkeit als Simulation direkt ins Gehirn spielt. Zumindest wenn man unter dem Programm machtvoll etablierte, historisch-konkrete, kulturell codierte Wahr- nehmungskategorien versteht und als Simulation die so ge- schaffene symbolische Ordnung. Der Film nimmt allerdings eine wahre Wirklichkeit hinter der Scheinwelt an. Man hat zu ihr Zutritt, wenn man den Mut aufbringt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, von hier aus wird die Re- volution betrieben, hier ist der Ort der Körper, der sinnlichen und unmittelbaren Wahrnehmung. Und das Pro- gramm ist nicht selbstlaufend. Es wird nicht von denen getragen, die (scheinbar) in ihm handeln, sondern von Au- ßen kontrolliert: von den Unmenschen, den Maschinen und ihren Agenten.

Abb.14: Foucaults-Diagramm in: Deleuze, Gilles: Foucault, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1987, S.169

Abb.15: Psychatrische Anstalt - Italien (Magnum/Raymond Depardon), in: Michel Foucault. Eine Geschichte der Wahrheit, Raben Verlag, München 1987, S.37

Abb.16: Berger in geheimer Mission unter http://www.bergermusik.de Berger ist der Interpret des im Text zitierten Titlsongs der zweiten Staffel der Fernseh-Real-Life-Soap „Big Bro- ther “ .

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- 1993: Über die "scholastische Ansicht", in: GEBAU- ER, Gunter/WULF, Christoph: Praxis und Ästhetik - Neue Perspektiven im Denken Pierre Bourdieus, Suhrkamp, Frankfurt a.M., S.341-356
- 1998: Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Wi- derstands gegen die neoliberale Invasion, Universitätsverlag Konstanz, Konstanz , orig. Liber - Raisons d’agir 1998
- 1999: Eine Gefahr für die Grundlagen unserer Kul- tur, in: DIE TAGESZEITUNG vom 4./5. 12. 1999, S.11, zuerst erschienen in L’Humanité
BOURDIEU, Pierre/ WACQUANT, Loïc J.D.:
- 1996: Reflexive Anthropologie, Suhrkamp, Frankfurt a.M., orig. Éditions du Seuil, Paris 1992 BRAUNMÜHL, Ekkehard v.:
- 1975: Antipädagogik. Studien zur Abschaffung der Erziehung, Beltz, Weinheim/Basel, 7. Auflage 1991
- 1997: Was ist antipädagogische Aufklärung? Miß- verständnisse, Mißbräuche, Mißerfolge der radikalen Erziehungskritik, Kid-Verlag, Bonn

BRINKMANN, Malte:

- 1999: Das Verblassen des Subjekts bei Foucault. Anthropologische und bildungstheoretische Studien, Deutscher Studien Verlag, Weinheim

BRÖCKLING, Ulrich

- 2000: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qua- litäts- und Selbstmanagement, in: ders. u.a.: Gouvernementalität der Gegenwart. 2000

BRÖCKLING, Ulrich/ KRASMANN, Susanne/ LEMKE, Thomas:

- 2000: Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

BUNDESVERBAND FREIER ALTERNATIVSCHULEN (Hrsg.):

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- 1991: The Foucault Effect. Studies in Governemen- tality, The University of Chicago Press, Chicago BUROW, Olaf-Axel/ GUDJONS, Herbert (Hrsg.):
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- 1981: Lernziel: Menschlichkeit. Gestaltpädagigik - eine Chance für Schule und Erziehung, München BUTLER, Judith:
- 1991: Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp, Frankfurt a.M., orig Routledge, Chapman and Hall 1990

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DASCHNER, Peter/ ROLFF, Hans-Günter/ STRYCK, Tom

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- 1995:Schulautonomie - Chancen und Grenzen. Impulse für die Schulentwicklung, Institut für Schulent- wicklungsforschung, Dortmund, Juventa, Wein- heim/München DELEUZE, Gilles:
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DITFURTH, Jutta:

- 1997: Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Ö- kö-)Faschismus und Biozentrismus, Konkret Literatur Verlag, Hamburg DONZELOT, Jacques/ MEURET, Denis/ MILLER, Peter/ ROSE, Nicolas:
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DRESSEN, Wolfgang

- 1982: Die paedagogische Maschine. Zur Geschichte des industrialisierten Bewusstseins in Preussen, Frankfurt a.M. u.a., Ullstein DREYFUS, Hubert L./ RABINOW, Paul:
- 1987: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalis- mus und Hermeneutik, Athenäum Verlag, Frankfurt a.M., orig. University of Chicago Press 1982/83

EIKENBUSCH, Gerhard:

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ENDLICH/ENFIN. Zeitschrift für ein freies Bildungswesen y ab 1991: herausgegeben von der Vereinigung Freier Schulen der Schweiz, Stein am Rhein

ENGELEN, Norbert Q.:

- 1991: Das Inne Selbst. Die Geburt der Selbstver- wirklichung aus dem Geiste der Erlösung, Ergon Verlag, Pfungstadt bei Darmstadt ERIBON, Didier:

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FINK-EITEL, Hinrich:

- 1989: Foucault zur Einführung, Junius, Hamburg

FLEISCHER-BICKMANN, Wolff/ MARITZEN, Norbert:

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- 1971: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 13. Auflage 1995, orig. Gallimar, Paris 1966 y 1973a: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Carl Hanser Verlag, München, Neuauflage, Fischer, Frankfurt a.M., 1988, orig. Presses Universitaires de France 1963
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- 1974a: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, in: ders.: Von der Subversion des Wissens, Carl Hanser Verlag, München 1974, Neuauflage, Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1987, S.69-90
- 1974b: Die Ordnung des Diskurses, Carl Hanser Ver- lag, München, Neuauflage, Fischer Verlag, Frank- furt a.M. 1991, orig. Gallimar, Paris 1972 y 1976a: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Ge- fängnisses, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1. Auflage 1994, orig. Gallimar, Paris 1975
- 1976b: Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychatrie und Medizin, Merve Verlag, Berlin
- 1977: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahr- heit I, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1. Auflage 1983, orig. Gallimar, Paris 1976
- 1978: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wis- sen und Wahrheit, Merve Verlag, Berlin
- 1982: Der Staub und die Wolke, Trotzdem-Verlag, Grafeneu, 2. Auflage 1993
- 1984a: Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch, Merve-Verlag, Berlin
- 1984b: Der maskierte Philosoph, in: ders.: Von der Freundschaft als Lebensweise, 1984a, S.9-24
- 1984c: Eine Ästhetik der Existenz. Gespräch mit A- lessandro Fontana, in: ders.: Von der Freundschaft als Lebensweise, 1984a, S.133-141
- 1984d: Sex als Moral. Gespräch mit Hubert Dreyfus und Paul Rabinow, in: ders.: Von der Freundschaft als Lebensweise, 1984a, S.69-83
- 1984e: Sexualität und Einsamkeit, zusammen mit Ri- chard Sennet, in: ders.: Von der Freundschaft als Lebensweise, 1984a, S.25-53
- 1985: Freiheit und Selbstsorge. Interview 1984 und Vorlesung 1982, Materialis-Verlag, Frankfurt a.M.,

2. Auflage 1993

- 1986a: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahr- heit II, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1. Auflage 1989, orig. Gallimar, Paris 1984
- 1986b: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit

III, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1. Auflage 1989,

orig. Gallimar, Paris 1984

- 1986c: Vom Licht des Krieges zur Geburt der Ge- schichte, Merve Verlag, Berlin in neuer Übersetzung wiedererschienen in: ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.52-98
- 1987a: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts, in: DREYFUS, Hubert L./ RABINOW, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, 1987, S.243-250
- 1987b: Wie wird Macht ausgeübt?, in: DREYFUS, Hubert L./ RABINOW, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, 1987, S.251-261 y 1987c: Zur Genealogie der Ethik: Ein Überblick über laufende Arbeiten, in: DREYFUS, Hubert L./ RABINOW, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalis- mus und Hermeneutik, 1987, S.265-292
- 1988a: Das Wahrsprechen des Anderen. Zwei Vorlesun- gen von 1983/84, Materialis-Verlag, Frankfurt a.M. y 1988b: Für eine Kritik der Politischen Vernunft (Omnes et singulatim), in: Lettre international, Nr.1, Berlin, Sommer 1988, S.58-66
- 1990a: Was ist Aufklärung?, in: ERDMANN, Eva/ FORST, Rainer/ HONNETH, Axel (Hrsg.): Ethos der Moderne, S.35-53
- 1990b: Die Rückkehr der Moral. Ein Interview mit Michel Foucault, in: ERDMANN, Eva/ FORST, Rainer/ HONNETH, Axel (Hrsg.): Ethos der Moderne, S.133-145 y 1992a: Leben machen und sterben lassen: Die Geburt des Rassismus, in: Bio-Macht, DISS-Texte Nr. 25, Duisburg, 1992, S.27-50, in neuer Übersetzung wie- dererschienen in: ders.: In Verteidigung der Ge- sellschaft, 1999, S.276-305
- 1992b: Was ist Kritik ?, Merve Verlag, Berlin
- 1993a: About the beginning of the Hermeneutics of the Self. Two Lectures at Dartmouth, in: Political Theory, Vol. 21, No. 2, May 1993, S.198-227 y 1993b: Technologien des Selbst, in: ders. u.a.: Technologien des Selbst, 1993, S.24-62
- 1993c: Die politische Technologie der Individuen, in: ders. u.a.: Technologien des Selbst, 1993, S.168-187
- 1993d: Wahrheit, Macht und Selbst. Ein Gespräch zwischen Rux Martin und Michel Foucault (25. Oktober 1982), in: ders. u.a.: Technologien des Selbst, 1993, S.15-23
- 1994: Kritische Theorie und die Krise des Regie- rens. Ein Interview aus dem Jahre 1978, in: TÜTESonderbeilage: Wissen und Macht. Die Krise des Regierens, Tübingen, S.5-10, mit einem Vorwort versehen und in neuer, erweiterter Übersetzung wiedererschienen unter dem Titel: ders.: Der Mensch ist ein Erfahrungstier, 1996
- 1996a: Der Mensch ist ein Erfahrungstier. Gespräch mit Ducio Trombadori, Suhrkamp, Frankfurt a.M.
- 1996b: Diskurs und Wahrheit. Berkeley-Vorlesungen 1983, Merve Verlag, Berlin
- 1999: In Verteidigung der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M., orig. Éditions du Seuil und Galli mar, Paris 1996
- 2000: Die Gouvernementalität, in: BRÖCKLING, Ulrich u.a. : Gouvernementalität der Gegenwart, 2000, S.41-67

FOUCAULT, Michel/ MARTIN, RUX/ MARTIN, Luther H./ PADEN, William E./ ROTHWELL, Kenneth S./ GUTMANN, Huck/ HUTTON, Patrick H.:

- 1993: Technologien des Selbst, Fischer Verlag, Frankfurt a.M., orig. The University of Massachu setts Press 1988

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- 1972: Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind. Hoffmann und Campe, Ham- burg

GSTETTNER, Peter:

- 1981: Die Eroberung des Kindes durch die Wissen- schaft. Aus der Geschichte der Disziplinierung, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg

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- 1988: Nachmetapysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Suhrkamp, Frankfurt a.M. HELSPER, Werner:
- 1990: Schule in den Antinomien der Moderne, in:

KRÜGER, Heinz-Hermann(Hrsg.): Abschied von der Aufklaerung? Perspektiven der Erziehungswissenschaft, Leske + Budrich, Opladen 1990, S.175-194

HINTE, Wolfgang:

- 1980: Non-direktive Pädagogik. Eine Einführung in

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HIRSCH, Joachim:

- 1995: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demo-

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HOBBES, Thomas:

- 1989: Leviathan oder der Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

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- 1993: Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundle- gung, Campus Verlag, Frankfurt a.M./New York HONNETH, Axel:
- 1986: Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie, Suhrkamp, Frankfurt a.M.
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- 1992: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Gram- matik sozialer Konflikte, Suhrkamp, Frankfurt a.M. JACKE, Norbert/ SIMOLEIT, Jürgen/ LEMMERMÖHLE-THÜSING/ FELDHOFF, Jürgen:
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- 2000: Paradigmenwechsel. Von der Angestelltenmen- talität zu einem „neuen “ unternehmerischen Den- ken, in: 1001 m@l Lernen. Der Hamburger Weiterbil- dungskatalog, 26. Jahrgang, Ausgabe 2000/2001, Weiterbildung Hamburg e.V., BSJB, Hamburg KLAFKI, Wolfgang:
- 1991: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didak- tik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch- konstruktive Didaktik, Beltz Verlag, Wein- heim/Basel, 2., erweiterte Auflage KLEINMANN, Bernd:
- 2000: Promovieren zwischen Frust und Lust. Ein Er- fahrungsbericht über das Graduiertenkolleg „Ästhetische Bildung “ 1991-2000, Universität Hamburg

KOLLBRUNNER, Jürg:

- 1987: Das Buch der Humanistischen Psychologie. Ei- ne ausführliche einführende Darstellung und Kritik des Fühlens, Denkens und Handelns in der Humanis- tischen Psychologie, Eschborn bei Frankfurt a.M.

KOLLER, Hans-Christoph:

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- 1997: Eine Kritik der politischen Vernunft. Fou- caults Analyse der modernen Gouvernementalität, Argument-Verlag, Hamburg/Berlin
- 2000a: Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnolo- gien, Wein kritischer Überblick über die govern- mentatity studies, in: Politische Vierteljahr- schrift, 41. Jahrgang, Heft 1, März 2000, S.31-47
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LÉVINAS, Emmanuel:

- 1991: Jenseits des Seins oder anders als das Sein geschieht, Freiburg/München LIEDLOFF, Jean:
- 1980: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Ge- gen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit, Beck’sche Reihe, München, orig. New York 1977

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- 1997: Summerhill: Antiautoritäre Pädagogik heute. Ist die freie Erziehung tatsächlich gescheitert?, Beltz Verlag, Weinheim/Basel

LUDWIG-KÖRNER, Christiane:

- 1992: Der Selbstbegriff in Psychologie und Psycho- therapie. Eine wissenschaftshistorische Untersuchung, Deutscher Universitäts Verlag, Wiesbaden

MAAS, Michael:

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MAGIROS, Angelika:

- 1995: Foucaults Beitrag zur Rassismustheorie, Ar- gument-Verlag, Hamburg

MANNONI, Maud:

- 1987: “ Scheißerziehung“ . Von der Antipsychatrie zur Antipädagogik, Frankfurt a.M., orig. Éditions du Seuil, Paris 1973

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- 1973: Psychologie des Seins: ein Entwurf, Kindler, München

MEAD, George Herbert:

- 1968: Geist, Identität und Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M., orig. Chicago 1934

MEYER-DRAWE, Käte:

- 1996: Versuch einer Archäologie des pädagogischen Blicks, in: Zeitschrift für Pädagogik, 42. Jahrgang, Nr. 5, 1996, S.654-664 MILLER, Alice:

- 1980: Am Anfang war Erziehung, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

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- 1952: Kinder sind anders, Klett, Stuttgart, orig. Garzanti, Mailand 1950

MORRIS, Charles W.:

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NEGT, Oskar:

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NEILL, Alexander S.:

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NORDRHEIN-WESTFÄLISCHER LEHRERVERBAND:

- 1997: Schulautonomie in der Kritik. Stellungsnahme des Nordrhein-westfälischer Lehrerverbandes zur Denkschrift der Bildungskommission »Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft«, Nordrhein- westfälischer Lehrerverband, Düsseldorf ORTEGA, Francisco Guerrero:

- 1995: Freie Formen der Sozietät als Problem einer Ethik der ästhetischen Selbstkonstitution in Fou- caults historischer Anthropologie des Subjekts, Dissertation an der Fakultät für Geschichtswissen- schaft und Philosophie der Universität Bielefeld, wiedererschienen unter ders.: Michel Foucault. Re- konstruktion der Freundschaft, Wilhelm Fink Ver- lag, München 1997

PASCHEN, Harm:

- 1995: Schulautonomie in der Diskussion, in: ZEIT- SCHRIFT FÜR PÄDAGOGIK, 41. Jahrgang, 1995, Heft Nr. 1, S.15-19 PAZZINI, Karl-Josef:
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PERLS, Frederick/ HEFFERLINE, Ralph F./ GOODMAN, Paul:

- 1979: Gestalt-Therapie. Wiederbelebung des Selbst, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, orig. New York 1951 PHILIPP, Elmar:

- 1992: Gute Schule verwirklichen. Ein Arbeitsbuch mit Methoden, Übungen und Beispielen der Organisationsentwicklung, Beltz, Weinheim/Basel,

PONGRATZ, Ludwig A.:

- 1985: Pädagogik und Antipädagogik. Über die Wider- sprüchlichkeit des Erziehungsprozesses, in: VIERTEL-

JAHRSSCHRIFT FÜR WISSENSCHAFTLICHE PÄDAGOGIK, Jahrgang 61/3, S.340-354

- 1989: Pädagogik im Prozeß der Moderne. Studien zur Sozial- und Theoriegeschichte der Schule, Deutscher Studien Verlag, Weinheim
- 1990: Schule als Dispositiv der Macht - pädagogi- sche Reflexionen im Anschluß an Michel Foucault, in: VIERTELJAHRSSCHRIFT FÜR WISSENSCHAFTLICHE PÄDAGOGIK, Jahrgang 66, S.289-308

QUITMANN, Helmut, Dr.:

- 1985: Humanistische Psychologie. Zentrale Konzepte und philosophischer Hintergrund, Verlag für Psychologie, Göttingen RADTKE, Frank-Olaf/ WEIß, Manfred (Hrsg.):
- 2000: Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancen- gleichheit. Ein Studienbuch, Leske+Budrich, Opla- den REICH, Wilhelm:
- 1966: Die sexuelle Revolution. Zur charakterlichen Selbststeuerung des Menschen, Fischer, Frankfurt a. M., orig. 1945

RICKEN, Norbert:

- 1999: Subjektivität und Kontingenz. Markierungen im pädagogischen Diskurs, Königshausen und Neumann, Würzburg ROGERS, R. Carl:
- 1972: Die klientenzentrierte Gesprächstherapie, Kindler, München, orig. 1942
- 1973: Entwicklung der Persönlichkeit. Psychothera- pie aus der Sicht eines Therapeuten, Klett-Cotta, Stuttgart, 3. Auflage, orig. 1961
- 1974: Lernen in Freiheit. Zur Bildungsreform in Schule und Universität, Kösel-Verlag, München o- rig. Columbus, Ohio 1969
- 1980: Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit, mit Rachel L. Rosenberg, Klett-Cotta, Stuttgart, orig. São Paulo 1977
- 1981: Der neue Mensch, Klett-Cotta, Stuttgart, o- rig. Boston 1980
- 1985: Die Kraft des Guten. Ein Apell zur Selbst- verwirklichung, Fischer, Frankfurt a.M., dt. Erstveröffentlichung bei Kindler, München 1978, orig. New York 1977
- 1989: Freiheit und Engagement. Personenzentriertes Lehren und Lernen, Fischer, Frankfurt a.M., dt. Erstveröffentlichung im Kösel-Verlag, München 1984, orig. Columbus, Ohio 1982

REFORMSCHULE HAMBURG e.V.:

- 2000: Reformschule Hamburg. Konzept, zu beziehen bei Butt-Otten, Holger und Heusler, Martin, Ham- burg ROLFF, Hans-Günter:
- 1995: Autonomie als Gestaltungs-Aufgabe, in: DASCHNER, Peter/ ROLFF, Hans-Günter/ STRYCK, Tom (Hrsg.): Schulautonomie - Chancen und Grenzen. Im- pulse für die Schulentwicklung, Institut für Schulentwicklungsforschung, Dortmund, Juventa, Weinheim/München 1995, S.31-54
- 1999: Schulentwicklung in der Auseinandersetzung, in: PÄDAGOGIK, 51. Jahrgang, Heft 4, April 1999, Hamburg ROSE, Nikolas:
- 1989: Governing the Soul. The Shaping of the pri- vate Self, Free Association Books, London, 2. edition 1999
- 2000: Tod des Sozialen? Eine Neubestimmung der Grenzen des Regierens, in: BRÖCKLING, Ulrich u.a.: Gouvernementalität der Gegenwart, 2000, S.72-109

ROUSSEAU, Jean-Jacques

- 1971: Emil oder über die Erziehung, Ferdinant Schöningh, Paderborn
- 1984: Diskurs über die Ungleichheit. Discours sur l’inégalité, Paderborn
RÜB, Matthias:
- 1987: Suche nach den Wurzeln des Subjekts. Der er- staunliche Wandel im Spätwerk des Michel Foucault, in: Spuren in Kunst und Gesellschaft, Nr. 18, März/April 1987, S. 49-52

RUMPF, Horst:

- 1981: Die übergangene Sinnlichkeit. Drei Kapitel über die Schule, Juventa, München

RUTSCHKY, Katharina

- 1977: Schwarze Paedagogik. Quellen zur Naturge- schichte der bürgerlichen Erziehung, Ullstein, Frankfurt a.M. S.-STURM, Eva:
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SCHÄFER, Alfred:

- 1996: Das Bildungsproblem nach der humanistischen Illusion, Deutscher Studien Verlag, Weinheim
- 1999: Unbestimmte Transzendenz. Bildungsethnologi- sche Betrachtungen zum Anderen des Selbst, Leske+Budrich, Opladen SCHIRLBAUER, Alfred:
- 1996: Im Schatten des pädagogischen Eros. Destruk- tive Beiträge zur Pädagogik und Bildungspolitik, Sonderzahl, Wien

SCHMALHOLZ, Claus G.:

- 2001: Leiten Lernen, in: manager magazin, Heft 1/01, Januar 2001, S.210-215

SCHMID, Wilhelm:

- 1991: Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst. Die Frage nach dem Grund und die Neubegründung der Ethik bei Foucault, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2. Auflage 1992

SCHOENEBECK, Hubertus v.:

- 1979: Determinanten personaler Kommunikatiuon mit jungen Menschen, Dissertation Universität Osnabrück, meines Wissens nicht veröffentlicht, sondern nur beim „Freundschaft mit Kindern - Förderkreis e.V. “ zu beziehen

- 1980: Der Versuch ein kinderfreundlicher Lehrer zu sein. Ein Tagebuch, Fischer, Frankfurt a.M.

- 1982: Unterstützen statt erziehen. Die neue El- tern-Kind-Beziehung, Kösel Verlag, München, 4. Auflage 1988

- 1985: Antipädagogik im Dialog. Eine Einführung in antipädagogisches Denken, Beltz, Weinheim/Basel,

3. Auflage 1992

SCHÜTZ, Egon

- 1992: Macht und Ohnmacht der Bildung, Deutscher Studien Verlag, Weinheim

SENNETT, Richard:

- 1998: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag, Berlin, orig. New Y- ork 1998

SIELAND, Bernhard/ RIßLAND, Birgit:

- 2000: Qualitätssicherung in der Lehrerbildung. Lehrerarbeit: Bedingungsfaktoren und Qualitätskriterien, Verlag Dr. Kova•, Hamburg

STEINER-KHAMSI, Gita:

- 2000: De-Regulierung und Schulwahl in den U.S.A.: Gewinner und Verlierer. Was ist aus internationa- len Vergleichen zu lernen?, in: RADTKE, Frank-Olaf/ WEIß, Manfred (Hrsg.): Schulautonomie, Wohlfahrts- staat und Chancengleichheit, 2000, S.117-135 SÜNKER, Heinz/ KRÜGER, Heinz-Hermann (Hrsg.):

- 1999: Kritische Erziehungswissenschaft am Neube- ginn?, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

THIEMANN, Friedrich:

- 1985: Schulszenen. Vom Herrschen und vom Leiden, Suhrkamp, Frankfurt a.M.

TILLMANN, Klaus-Jürgen:

- 1989: (Hrsg.): Was ist eine gute Schule?, Berg- mann+Helbig, Hamburg

- 1993a: „Leistung muß auch in der Schule neu defi- niert werden “ . Ein neuer Reformdialog zwischen Pädagogik und Wirtschaft?, in: PÄDAGOGIK, 45. Jahrgang, Heft 6, Juni 1993, Hamburg, S.6-8

- 1993b: Autonomie der Schule. Oder: Wollen Schulen verwaltet werden? in: PÄDAGOGIK, 45. Jahrgang, Heft 11, November 1993, Hamburg, S.6-8 y 1994: Schule und Wirtschaft in einem neuen Reform- dialog? Kritische Auseinandersetzung mit „neuen Tönen “ in einer alten Debatte, in: Ar- beit+Lernen/Technik, Nr. 16, 1994, S.46-48

- 1995: Schulentwicklung und Lehrerarbeit. Nicht auf bessere Zeiten warten, Bergmann+Helbig, Hamburg

UNTERWEGS auf neuen Lern- und Erziehungswegen:

- ab 1994, unterwegs Nr. 1, Juni 1994, Herg. von Hanna Marti, Winterhur

VON DER GROEBEN, Annemarie/ TILLMANN, Klaus-Jürgen:

- 2000: Pro und Contra Leistungsvergleichsstudien, in: PÄDAGOGIK, 52. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2000, Hamburg, S.6-9 VOß, G. Günter/ PONGRATZ, Hans J.:

- 1998: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jahrgang 50, Heft 1, S.131-158

WEISS, Manfred:

- 1993: Der Markt als Steuerungssystem im Schulwe- sen?, in: ZEITSCHRIFT FÜR PÄDAGOGIK, 39. Jahrgang, 1993, Heft Nr. 1, S.71-84

WEIZENBAUM, Joseph:

- 1977: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Suhrkamp, Frankfurt a.M., orig. 1976 WILD, Rebecca:

- 1986: Erziehung zum Sein. Erfahrungsbericht einer aktiven Schule, Arbor Verlag, Heidelberg WIMMER, Michael:

- 1996: Die Gabe der Bildung. In: MASSCHELEIN, Jan/ WIMMER, Michael: Alterität Pluralität Gerechtigkeit. Randgänge der Pädagogik, Academia Leuven U- niversity Press, S.127-162

[...]


1 Rousseau, Jean-Jacques: Emil, 1971

2 Vielleicht sollte man besser von einer Abzieh-Folie sprechen. Abzieh- folie insofern, da Rousseaus Vorstellung vom „Naturzustand “ weit weni- ger eindeutig ist, als bei vielen seiner pädagogischen Interpreten. Bei genauerer Lektüre bekommt man vielmehr den Eindruck, es handele sich bei diesem weniger um einen empirisch vorfindlichen Zustand, als vielmehr um ein normatives oder gar ethisches Prinzip: ”Denn es ist kein geringes Unterfangen zu unterscheiden, was in der aktuellen Natur des Menschen ursprünglich und was künstlich ist, und einen Zustand richtig zu erkennen, der nicht mehr existiert, der vielleicht nie e- xistiert hat, der wahrscheinlich niemals existieren wird und von dem zutreffende Begriffe zu haben dennoch notwendig ist, um über unseren gegenwärtigen Zustand richtig zu urteilen.” (Rousseau, Jean-Jacques: Diskurs über die Ungleichheit, 1984, S.47/49) Bezogen auf die konkrete historische Situation, in der Rousseau geschrieben hat, könnte man ar- gumentieren, daß der von Natur aus gutmütige Emil dem Leviathan entge- gentritt, den Hobbes herbeiredet, um die vorgebliche Wolfsnatur des Menschen zu domestizieren. (vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan, 1989)

3 Es sei mir verziehen, daß ich weitgehend auf eine weibliche Form ver- zichtet habe. Dies hat seinen Grund schlicht in der Tatsache, daß ich all zu oft - wie in diesem Fall - nicht konkrete Menschen, sondern ei- ne bestimmte Subjektform im Auge habe. Einmal abgesehen davon, daß diese dann in aller Regel ohnehin männlich konnotiert ist (das allge- meine Subjekt ist eben als männliches konstruiert), würde eine (zumin- dest dichotome) Differenzierung suggerieren, es ginge hier um empiri- sche Subjekte. Dies ist zumeist nicht der Fall; wenn doch, ist dies entsprechend verdeutlicht.

4 vgl. Engelen, Norbert Q.: Das innere Selbst. Die Geburt der Selbstverwirklichung aus dem Geiste der Erlösung, 1991

5 Gemeinhin wird zwischen Erziehungswissenschaften und Pädagogik unter- schieden, wobei darunter einerseits eine wissenschaftliche, systemati- sche und historische Erfassung des Problemfeldes der Erziehung, mit vielerlei Anleihen aus Nachbardisziplinen, verstanden wird, anderer- seits die pädagogische Praxis und deren unmittelbare Selbstreflexion bedeutet ist. Mir scheint diese Trennung ebenso wenig hilfreich wie eine Trennung von Theorie und Praxis im allgemeinen; handelt es sich hierbei doch vielmehr um ein wechselwirksames Ineinandergreifen zweier Aspekte eines zusammengehörigen Komplexes. Wird im Folgenden von Päda- gogik gesprochen, ist dieser Gesamtkomplex gemeint. Soll der eine oder andere Pol dieses Komplexes hervorgehoben werden, werde ich die Beg- riffe Erziehungswissenschaft(en) bzw. pädagogische Praxis benutzen. Ersterer bezeichnet primär den akademischen Betrieb, bei letzterem denke ich an die verschiedensten Bildungs-Institutionen im weitesten Wortsinne und die hierin stattfindenden Handlungen.

6 Reformschule Hamburg e.V.: Konzept, 2000, S.6ff.

7 Gemeint ist hier eine Form der historischen Analyse, oder allgemeiner eine Form des Theoretisierens, wie sie Michel Foucault spätestens seit „Die Ordnung des Diskurses “ vorschlägt; vgl. Foucault 1974b.

8 vgl. im Zusammenhang eines solchen methodischen Vorgehens die Arbeiten von Katharina Rutschky, etwa: Schwarze Pädagogik, 1977

9 Rogers, Carl R.: Die Kraft des Guten, 1985, S.283ff. und S.323

10 vgl. Habermas, Jürgen: Moralentwicklung und Ich-Identität, 1973

11 Bourdieu übernimmt diesen Begriff der „rechten Meinung“ aus Platons „Menon “ . Für ihn stellt dieser Begriff das Bindeglied zwischen Habitus und sozialem Feld dar. Mit der doxa sind die Wahrnehmungs- und Denk- schemata bezeichnet, vermittels derer diejenige soziale Wirklichkeit „erkannt “ wird, welcher jene ihre Genese verdanken. Der Habitus ist das inkorporierte Soziale; die doxa ist der Anteil des Habitus, der die Erkenntnis dieses verdoppelten Sozialen gewährleistet. Entsprechend erscheint den sozialen Akteuren das soziale Feld, in dem sie sich bewegen, als evident, als selbstverständlich. Sie bewegen sich wie Fische im Wasser. (vgl. Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn, 1987, S.51 oder ders.: Reflexive Anthropologie, 1996, S.161f.) Der common sense steht im übrigen im Gegensatz zum „Wissen der Leute “ , welches „ein Spezialwissen, ein lokales, regionales, differentielles Wissen ist, das sich nicht in Einstimmigkeit überführen läßt “ und das in diesem Sinne die Erinnerung an verlorene Schlachten gegen die Ver- einheitlichung darstellt. (vgl. Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.15f.)

12 vgl. Seite 7 dieser Arbeit

13 vgl. z.B. Klafki, Wolfgang: Neuere Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, 1991

14 vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.101f

Eine Auseinandersetzung mit Jacques Lacan wäre sehr viel mühevoller und müßte auf einer ganz anderen Ebene ansetzen: Sie würde sich weni- ger gegen eine Naturalisierung der menschlichen Psyche wenden, als vielmehr gegen eine mangelnde Historisierung der Begriffe von Ordnung, Macht und Gesetz. Daß diese Arbeit nicht unternommen wird, entspringt einer ganz pragmatischen Überlegung: eine strukturale Psychoanalyse ist in den Erziehungswissenschaften bisher nur vereinzelt rezipiert worden, auf die pädagogische Praxis hat sie, soweit ich sehen kann, bisher kaum Einfluß genommen. Andererseits scheint mir gerade diese Denkrichtung die Dezentrierung des Subjekts ernst zu nehmen und von hieraus auch potentiell produktiv zu machen für eine veränderte Sicht- weise auf die pädagogische Praxis.

15 Wenngleich auch speziell die Kritische Erziehungswissenschaft (dies- mal mit großem K) in einem postulierten Neubeginn ihre kritischen An- sprüche auch im Zeitalter der Globalisierung und postmodernen Ökonomi- sierung der Schule zurückzuerobern sich anschickt, kommt sie doch we- nig darüber hinaus, ihren eigenen Untergang zu bejammern. vgl. Sünker, Heinz/ Krüger, Heinz-Hermann (Hrsg.): Kritische Erziehungswissenschaft am Neubeginn?, 1999

16 vgl. „Wir waren die 68er! “ , Video-Interview mit dem hamburger Landesschulrat Peter Daschner, produziert und uraufgeführt im Rahmen der Vorlesungsreihe „BGS 2113: Bildung - Gesellschaft - Schule “ am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, 1999

17 So hat z.B. vor kurzem Hans-Jörg Schmidt-Trenz, der Hauptgeschäfts- führer der Hamburger Handelskammer, gefordert, daß hamburger Schulwe- sen vollständig zu privatisieren. Eltern sollen Bildungsgutscheine im Werte der momentanen, schulwesenbezogenen, staatlichen Aufwendungen pro Schüler ausgehändigt werden. Hiermit könnten sie dann auf dem freien Bildungs-Markt unter verschiedenen Anbietern wählen und das für ihr Kind geeignetste Bildungsangebot einkaufen. Die Idee dahinter: Konkurrenz belebt das Geschäft. Der Markt würde dafür sorgen, aus Ham- burgs Schulen die Besten zu machen. Der Landesschulrat hat ablehnend auf den Vorschlag reagiert; nicht zuletzt mit dem Verweis, daß die Schulbehörde auch ohne Markt für den Wettbewerb unter den Schulen sor- ge. vgl. taz hamburg, 1.2.2001, S.1; vgl. zudem die Videodokumentation des öffentlichen Dialogs zwischen Schmidt-Trenz und Daschner im Rahmen der Vorlesungsreihe „BGS 2113: Bildung - Gesellschaft - Schule “ am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, 1999; vgl. auch Weiss, Manfred: Der Markt als Steuerungssystem im Schulwesen?, 1993

18 Pazzini, Karl-Josef, in: Kleinmann, Bernd: Promovieren zwischen Lust und Frust, 2000, S.8

19 Die Wochenzeitung „Die ZEIT “ bezeichnet etwa Herrn Prof. Dr. Rainer Lehmann als einen der führenden deutschen Bildungsforscher. Er habe nämlich an mehreren internationalen Schulvergleichsstudien, so z.B. an der TIMS-Studie mitgewirkt. Die ZEIT, Nr. 41, 7. Oktober 1999

20 Der Begriff Neoliberalismus bedarf einiger Erläuterungen, da er be- reits ab den 30er Jahren für eine bestimmte wirtschaftswissenschaftli- che Lehre stand, die in Abgrenzung zum klassischen laissez-faire- Liberalismus ein staatliches Eingreifen ins Marktgeschehen als Garan- tie des Wettbewerbs für notwendig hielt. Dieser Neo- oder Ordo- Liberalismus wurde etwa durch Friedrich August von Hayek oder die Freiburger Schule von Walter Euken und Alfred Müller-Armack vertreten. Letzterer prägte den Begriff der sozialen Marktwirtschaft, der schließlich zum Inbegriff der konkreten Umsetzung dieser ökonomischen Theorie wurde. In unseren Tagen erfährt der Begriff des Neoliberalis- mus eine neue Konjunktur und eine andere Bedeutung. Nun bezeichnet er ein sozial-ökonomisches Denken, dessen realer Effekt u.a. die Umkeh- rung jener Entwicklung ist, also etwa der Abbau staatlich garantierter sozialer Sicherungssysteme.

Ich beziehe mich hier, bei der Bezeichnung des Neoliberalismus als ei- ner Sozialphilosophie, auf Pierre Bourdieu. Im Gegensatz zu der Vor- stellung, der Neoliberalismus sei durch die Wirtschaftswissenschaften in Form von universalen Gesetzen zu begründen, unterstreicht Bourdieu die Merkmale des Neoliberalismus als die einer Sozialphilosophie oder Ethik, die in den „einfachsten, banalsten und alltäglichsten Lebens- weisen “ auftaucht und die einer spezifischen, letztendlich US- amerikanischen, Tradition verpflichtet sei. Diese sei insbesondere durch die Betonung der individuellen Selbstverantwortung gekennzeich- net: der Idee der „Self Help “ auf der Folie einer Gesellschaft, die sich über die vermeintlich universellen Naturgesetze des Marktes reguin der das Geld das universelle Äquivalent und den ausschließ- lichen Maßstab und in der die institutionalisierte Unsicherheit den Motor der gesellschaftlichen Dynamik darstellt. Damit sei der Neolibe- ralismus in der Lage, das traditionelle europäische Solidaritätsprin- zip zu zerstören und die Menschen zu vereinzeln. vgl. Bourdieu, Pi- erre: Eine Gefahr für die Grundlagen unserer Kultur, 1999; vgl. auch ders.: Gegenfeuer, 1998

21 http://www.inis.stiftung.bertelsmann.de/set.htm

22 Reinhard Mohn, ehemaliger Chef der Bertelsmann-Stiftung und Mitverfasser der sogenannten Rau-Sudie, (indirekt) zitiert nach Etzold, Susanne: „Menschlichkeit ist effizient “ , 1999 Nebenbei: Das Bertelsmann-Unternehmen beteiligt sich seit kurzem an der Organisation von bis dato selbstorganisierten file-sharing- Datenbanken und -Oberflächen, also internet-sites, die kostenlosen Austausch und unkontrollierte Vervielfältigung von Programmen und Da- teien, hier speziell von Musikstücken, ermöglichen. Nachdem das Unter- nehmen bisher versucht hatte, das gewinnschmälernde Verteilen von Raubkopien zu verhindern, sieht es jetzt in der Herstellung eigener interfaces, also eigener (ob kostenloser oder gebührenpflichtiger ist z.Z. noch ungeklärt) Zugriffs- und Verteilungsverfahren, die Chance, im Geschäft zu bleiben

23 vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1974, S.43 Im Gegensatz zum Präsentismus, der die Sinnzusammenhänge der Vergan- genheit in den Begriffen der Gegenwart zu fassen versucht, und in Ab- kehr vom Finalismus, der die Geschichte als teleologische Entfaltung eines in der Vergangenheit angelegten ursprünglichen Keimes auf die Gegenwart hin interpretiert, betont Foucault die Bedeutung einer Ge- schichte der Gegenwart: „Dieser Ansatz beginnt in expliziter und selbstreflektierter Weise mit einer Diagnose der gegenwärtigen Situa- tion. Ihre Gegenwartsorientierung ist eindeutig und unverhohlen. Der Historiker verortet die Anzeichen eines besonderen »minutiösen Macht- rituals« oder einer »politischen Körpertechnologie« um zu sehen, wo sie aufkamen, Gestalt annahmen, Bedeutung gewannen usw.“ (Dreyfus, Hu- bert L./ Rabinow, Paul: Michel Foucault, 1987, S.148)

Einschränkend muß allerdings bemerkt werden, daß ein Rückschreiten der letzten 40 Jahre für eine Geschichte der gegenwärtigen pädagogischen Macht-Technologien wohl kaum ausreichend ist. Insofern werde ich auf die Arbeiten von Foucault zurückgreifen, die letztlich die Entstehung der „Technologien des Selbst “ noch vor dem Beginn unserer Zeitrechnung datieren.

24 Daneben ist es mir ein Anliegen - wenn ich mich darauf beschränke, anstatt eine Genealogie des Selbst im allgemeinen zu versuchen, mich einzig mit dessen Konzeption bei Rogers auseinanderzusetzen - zumin- dest einige der Verbindungslinien zwischen dieser Konzeption und einer Unmenge an anderen zu skizzieren, die dabei ausgeblendet und dennoch auf eine sehr diffuse Art und Weise mitgemeint werden. Es sollen also kurz einige jener Theorien und pädagogischen Praktiken in Gedächtnis gerufen werden, die hier den bisher nebulös gebliebenen Hintergrund der Fragestellung abgeben.

25 Das populärste dieser pädagogischen Experimente ist zwar im Grunde genommen viel älter, zu wirklichem Weltruhm ist es aber gerade in je- nen rebellischen 60er Jahren gelangt: Das Beispiel Summerhill. Alexan- der S. Neills „Theorie und Praxis der antiautoritäre Erziehung“ er- schien als Taschenbuch in Deutschland 1969 (Neill, 1969) und war in diesen wilden Jahren derart populär, daß die Macher der Dauer- Ausstellung im Bonner „Haus der (deutsch-deutschen) Geschichte “ das Buch in einer eigenen Glasvitrine zur Schau gestellt haben. Bekannter- maßen war wiederum Wilhelm Reich ein guter Freund von Neill und hat auf dessen Arbeit in Summerhill zugestandenermaßen großen Einfluß ge- nommen. Summerhill existiert zwar noch, so daß man berechtigterweise fragen kann, ob die freie Erziehung tatsächlich gescheitert ist - sei- ne Funktion als Vorbild und Projektionsfläche aller revolutionären pä- dagogischen Bestrebungen hat es in jedem Fall inzwischen eingebüßt. vgl. Ludwig, Peter: Summerhill: Antiautoritäre Pädagogik heute, 1997

26 Für einen etwas systematischeren und detaillierteren Überblick über diese Entwicklung vgl. Ditfurth, Jutta: Entspannt in die Barbarei, 1997 Als eine kleine erläuternde Notiz sei an dieser Stelle beispielhaft auf die US-amerikanische Gruppe „Earth First“ verwiesen, die vor kur- zem gewisse mediale Aufmerksamkeit auf sich zog, nachdem Julia Hill nach zweieinhalb Jahren von ihrem von der Abholzung bedrohten Mammut- baum hinabstieg. Earth First war maßgeblich an der Verhinderung der Welthandelsorganisation-Konferenz in Seattle vorletzten Jahres betei- ligt. Hier wird das gesellschaftspolitische Problem der Liberalisie- rung und Globalisierung der Märkte aus der Perspektive eines unumstöß- lichen Naturrechts angegriffen. Sicherlich hat sich diese Gruppe durch ihre Priorisierung der „Mutter Erde “ zum Teil von einer traditionellen Humanität entfernt und nimmt in ihrem Denken öko-faschistoide Formen an; dennoch nimmt auch hier die Vorstellung eines von der - und damit auch seiner inneren - Natur entfremdeten Menschen einen breiten Raum ein

27 vgl. z.B. PÄDAGOGIK, Heft 10, Oktober 1996. Das Thema dieses Heftes lautet: „Schule gestalten - Kommunikation fördern ” . Es stellt eine aufschlußreiche Sammlung verschiedenster Vorschläge dar, wie durch eine Optimierung von Kommunikationsprozessen Konflikte und Probleme in und von Schule „gemanagt ” werden können. Die Axiome der Humanistischen Psychologie finden auf fast jeder Seite ihren Platz.

28 Später zusammengefügt in dem Standardwerk: Perls, Frederick S.: Gestalt-Therapie. Wiederbelebung des Selbst, 1979

29 vgl. z.B. Burow, Olaf-Axel/ Gudjons, Herbert (Hrsg.): Gestaltpädagogik, 1994; oder etwas älter, dafür um so eindeutiger: Burow, OlafAxel/ Scherpp, Karl-Heinz: Lernziel: Menschlichkeit, 1981

30 vgl. Gudjons, Herbert: Humanistische Pädagogik, 2000, S.60

31 Wobei ich - lange nachdem ich diesen Text schrieb, eher zufällig und insbesondere mit einem Schmunzeln - sogar in Herbert Gudjons (sic!) „Pädagogische(m) Grundwissen “ auf einen kleinen polemischen Seitenhieb gestoßen bin, in dem er anmerkt, daß viele der „ehemals so gesell- schaftskritische(n) Lehrer und Lehrerinnen heute [...] in die Esoterik- oder Psychoszene abgedriftet “ sind. Gudjons, Herbert: Pädagogisches Grundwissen, 1993, S.40f.

32 Mir ist sehr wohl bewußt, daß man diese Anfänge sehr viel früher und nicht unbedingt in der Bundesrepublik Deutschland ansiedeln muß. Sicherlich kann man die Alternativschulbewegung auf eine mindestens hundertjährige Tradition von Reformpädagogik und praktizierenden Reformschulen zurückführen. Mir geht es hier aber insbesondere darum, die Entwicklung der pädagogischen Kritik nachzuvollziehen, wie sie sich in den letzten ca. 40 Jahren zugetragen hat, da mir dies für unsere gegenwärtige Situation von Belang erscheint.

33 vgl. Negt, Oskar: Schule als Erfahrungsprozess, 1975/76, vgl. auch ders.: Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche, 1997, S.191ff. Negt hat für sein neues Buch dem 25 Jahre alten Text einige Passagen entnommen. Es ist interessant zu verfolgen, in welchen neuerlichen Kontext diese gestellt werden. So taucht der Begriff der Selbstregu- lierung nun unter der Kapitelüberschrift „Schlüsselqualifikationen “ und nur noch in ihrer Dialektik mit „Strukturierungsarbeit“ auf. Selbstregulierung wird nicht mehr allein unter Berufung auf das Ideal „freier und autonomer Subjekte “ begründet, sondern damit, daß sie für die Erreichung bestimmter Erziehungsziele, wie „Vervielfältigung der Initiativen, Ausbildung sachlicher Kompetenz, Kooperationsfähigkeit, Autonomie “ eine Notwendigkeit darstelle. Im Übrigen bezieht sich Negt in diesem neuen Zusammenhang u.a. auf Kurt Lewin, der wiederum großen Einfluß auf die Organisationsentwicklung genommen hat.

34 vgl. Freie Alternativschulen: Kinder machen Schule, 1992, hier insbesondere den Artikel von Norbert Scholz: Zur Erziehungstheorie Freier Alternativschulen. Ansonsten kursierten immer schon und immer noch beispielsweise folgende Bücher durch die Alternativschulszene: Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung, 1980; Gordon, Thomas: Familienkonferenz, 1972; Rogers, Carl R.: Lernen in Freiheit, 1974

35 vgl. z.B. Holzkamp, Klaus: Die Fiktion administrativer Planbarkeit schulischer Lernprozesse, 1992 Die Debatte um Klaus Holzkamps Kritische Psychologie als mögliche theoretische Fundierung der Alternativschulpädagogik ist meines Wissens nirgendwo dokumentiert - ich habe sie aber im Rahmen des Bundesverbandes Freier Alternativschulen persönlich verfolgt.

36 Maas, Michael: Geschichte, Mythen und Erfolge der Alternativschulbewegung, 1998, S.18ff.

37 Man könnte gar noch schärfer formulieren und fragen, ob sich die Alternativschulbewegung legitimerweise nach wie vor als Avantgarde der Pädagogik verstehen kann. Etwa in bezug auf altersgemischte Lerngruppen haben andere Schulen mehr Erfahrungen sammeln können als die Alternativschulen, die großenteils an homogenen, sehr personenbezogenen Klassenverbänden festhalten.

38 Maas, Michael: Geschichte, Mythen und Erfolge der Alternativschulbewegung, 1998, S.22

39 Zum genaueren Verständnis und zur Relativierung einer möglichen Ver- allgemeinerbarkeit dieser Aussagen muß man bemerken, daß die betref- fende Schule ihren Betrieb als genehmigte Ersatzschule nur unter der Bedingung von Seiten der Schulbehörde hat aufnehmen dürfen, daß sie einer bestehenden Regelschule als gesonderter Klassenzug mit besonde- rer pädagogischer Prägung organisatorisch zugeordnet wurde. Sie ist der Regelschulleitung de jure unterstellt und somit enger an schulad- ministrative Vorgaben, Richtlinien und Mittelzuweisungen gebunden als andere Freie Schulen.

40 vgl. Both, Helmut u.a.: Schulzeit, Lehrzeit, Zeit zum Lernen ..., 1999, S.157

41 Diese Bewegung in der Praxis der Alternativschulen ist in der For- schungsliteratur schwerlich nachzuvollziehen, da ein Reden über Alter- nativschulen im herrschenden Diskurs bisher unterrepräsentiert ist. So beruht diese Einschätzung primär auf persönlichen Erfahrungen. Eine solche Entwicklung betrifft insbesondere verschiedene Schulgründungen in den neuen Bundesländern. Als Textnachweis sei hier auf das einzig ständige Publikationsorgan der deutschsprachigen Bewegung für alterna- tive Lern- und Erziehungswege hingewiesen: unterwegs, ab 1994

42 Leboyer, Frédérick: Geburt ohne Gewalt, München 1981; Liedloff, Jean: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück, München 1980; Wild, Rebecca: Erziehung zum Sein, Heidelberg 1986

43 endlich/enfin, ab 1991 und unterwegs, ab 1994. Die besagten Zeitschriften beziehen auch bzw. insbesondere die schwei- zerische, österreichische und französische Alternativschulbewegung mit ein, da sie in der Schweiz produziert werden. Der bundesdeutsche Al- ternativschulverband verfügt eigenständig nur über einen Infobrief, der an seine Mitglieder oder andere Interessenten verschickt wird. Bei dem beschriebene Übergang von der einen zur nächsten Zeitschrift handelt es sich um einen wahren Entwicklungsprozeß, quasi ein Image- wechsel - die Herausgeber sind z.T. nämlich ein und die selben.

44 Montessori, Maria: Kinder sind anders, 1952, S.18f.

45 Braunmühl, Ekkehard v.: Antipädagogik, 1975, Nachwort zur Neuaufla- ge, S.287

46 ebd., S.162

47 vgl. Foucault, Michel. Der Mensch ist ein Erfahrungstier, 1996a, S.55ff Auch bei Braunmühl findet sich noch ein Foucault-Zitat (Braunmühl, Ek- kehard v.: Antipädagogik, 1975, S.101), wenn auch ohne den zugehörigen Kontext und aus einem Buch, welches Foucault Zeit seines Lebens ver- leugnet hat und dessen Neuauflage er stets zu verhindern suchte (vgl. Eribon, Didier: Michel Foucault, 1991, S.119 f.): „Psychologie und Geisteskrankheit ” (Foucault 1968a).

48 vgl. hierzu Baerbaum, Christian: Zur Einheit und Differenz, Rezeption und Kritik der Antipädagogik, 1996

49 Braunmühl, Ekkehard v.: Was ist antipädagogische Aufklärung?, 1997, S.33ff

50 Rogers, Carl R.: Lernen in Freiheit, 1974, S.280, zitiert in Braunmühl, Ekkehard v.: Antipädagogik, 1975, S.114

51 Braunmühl, Ekkehard v.: Antipädagogik, 1975, S.115 Zu den Aporien, die sich durch eine solche „antipädagogische Lebens- führung “ und deren Rekurs auf ein „natürliches Selbst“ ergeben, ver- gleiche auch Pongratz, Ludwig A.: Pädagogik und Antipädagogik, 1985

52 Schönebeck, Hubertus v.: Determinanten personaler Kommunikation mit jungen Menschen, 1979

53 ders.: Der Versuch ein kinderfreundlicher Lehrer zu sein, 1980

54 ders.: Unterstützen statt erziehen, 1982, S.16

55 Diese empathische Vereinnahmungsstrategie betreibt Schönebeck auch mit anderen Autoren, wie eben mit Ekkehard von Braunmühl oder etwa A- lexander S. Neill. Obwohl oder gerade weil er mit der antiautoritären Bewegung nichts anzufangen weiß, attestiert er Neill, im Grunde seines Herzens ein Antipädagoge gewesen zu sein - auch wenn dieser selber da- von gar nichts wußte. vgl. Schönebeck, Hubertus v.: Antipädagogik im Dialog, 1985, S.181, kommentiertes Literaturverzeichnis. (An eine an- dere Stelle, die diese These besser belegt, kann ich mich leider nur noch erinnern, konnte sie aber nicht mehr auf die Schnelle wiederfin- den und hatte andererseits nicht die nötige Geduld, mich abermals durch das umfangreiche schönebecksche Werk hindurchzukämpfen.)

56 vgl. etwa Schönebeck, Hubertus v.: Antipädagogik im Dialog, 1985, S.36ff

57 vgl. Hinte, Wolfgang: Non-direktive Pädagogik, 1980, insb. S.91ff

58 ebd. S.99

59 Hinte, Wolfgang: Non-direktive Pädagogik, 1980, S.173

60 ebd.S.175f

61 Dies gilt auch für jene Techniken, die sich explizit auf die Huma- nistische Psychologie beziehen, obwohl diese wiederum in ihrem Selbst- verständnis anfänglich für eine revolutionäre (und das meint grundle- gende) Umgestaltung der Gesellschaft eingetreten ist und nicht etwa für eine therapeutisch gestützte Anpassung an herrschende Verhältnis- se. Insofern auch schon hier eine gesellschaftliche Umwälzung immer an die vorherige Veränderung des Individuums gebunden war, hat sie diesen individualistischen Weg vorgezeichnet - der sicherlich auch heute noch in so manchen Kopf als ein revolutionärer herumspukt. Die neuerliche allgemeine Anwendung derTechniken der Humanistischen Psychologie in pädagogischen Kontexten hat sich diesem revolutionären Ansinnen weit- gehend entlegigt

62 Die gewählten Beispiele beziehen sich zum einen auf eine öffentliche Beratungssituation, wie sie als Lehrveranstaltung an der Universität Hamburg angeboten wird, zum anderen auf einen Artikel in der PÄDAGOGIK, letztlich auf Erfahrungen, wie ich sie regelmäßig während meiner Arbeit mit straffälligen Jugendlichen machen kann.

63 Aus systematischer Perspektive könnte man beschreiben, daß in diesen sanften und antiautoritären Ansätzen das pädagogische Paradox der Freiheit und Notwendigkeit, sprich die Kantische Frage: „Wie kultivie- re ich die Freiheit bei dem Zwange? “ einseitig zur Freiheit hin aufge- löst ist. Die damit uneingestandenen und dennoch praktizierten pädago- gischen Notwendigkeiten wirken sodann gerade im Zuge ihrer Verleugnung um so zwanghafter. vgl. Benner, Dietrich: Allgemeine Pädagogik, 1987, S.187ff.

64 Wie später noch genauer mit Foucault gezeigt werden soll, beruht die Macht der Ökonomie aber stets auf einer Ökonomie der Macht.

65 Lemke, Thomas u.a.: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien, 2000b, S.26

66 vgl. Hirsch, Joachim: Der nationale Wettbewerbsstaat, 1995

67 Im Zusammenhang einer gesellschaftlichen Dynamik, wie sie die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen und beför- dern, ist speziell das Phänomen der „Kalifornischen Ideologie “ wieder- um im Zusammenhang dieser Arbeit nicht uninteressant. Sind es doch ge- rade die kalifornischen Hippies und die kulturelle Boheme aus San Francisco, die in den 60er und 70er Jahren für universalistische, ra- tionale und progressive Ideale wie Demokratie, Toleranz, Selbstver- wirklichung, soziale Gerechtigkeit und eine Liberalität im sozialen Sinne des Begriffs gestritten haben, die sich nun in den High-Tech- Unternehmen von Silicon Valley wiederfinden. Diese seltsame Verschmel- zung der Gegensätze erklärt sich genau aus dieser Tradition in Kombi- nation mit einem tiefreichenden Glauben an das emanzipatorische Poten- tial der neuen medialen Möglichkeiten: In der digitalen Utopie sind alle gleich, gut drauf und reich. Da diese zunehmend konkret werdende Utopie einer digitalen Agora, die eben gleichzeitig ein freier elekt- ronischer Marktplatz ist, an die Möglichkeiten und Verheißungen der Neuen Medien gebunden ist - die ich hier nicht diskutieren kann -, möchte ich es mit dieser Fußnote bewenden lassen. vgl. Barbrook, Ri- chard/Cameron, Andy: Die kalifornische Ideologie, unter http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1007/1.html

68 Rose, Nikolas: Tod des Sozialen?, 2000, S.93

69 Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung, 2000, S.136

70 vgl. Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung, 2000, insbesondere S.139

71 Peters, Thomas/ Watermann, Robert H. jun.: Auf der Suche nach Spitzenleistungen, Landsberg/Lech 1993, zitiert nach Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung, 2000, S.141. Ulrich Bröckling bezeichnet Peters/Watermann als die „- gemessen an den Auflagen ihrer Bücher - wohl bekanntesten Management-Gurus “ .

72 Schmalholz, Claus G.: Leiten Lernen, 2001, S.212

73 vgl. Sennett, Richard: Der flexible Mensch, 1998

74 Voß, G. Günter/ Pongratz, Hans J.: Der Arbeitskraftunternehmer, 1998

75 Kaul, Christa Tamara: Paradigmenwechsel, 2000, S.16

76 Rose, Nikolas: Tod des Sozialen?, 2000, S.94f.

77 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft, 1995

78 vgl. Both, Helmut/ Dreßler, Wilhelm u.a.: Schulzeit, Lehrzeit, Zeit zum Lernen ... , 1999 Die Textpassagen, die unter dem entsprechenden Abschnitt folgen, sind dieser Studie entnommen, z.T. neu formuliert und gekürzt worden. Da ich für jenen Text Verantwortung zeichne, habe ich dies nicht extra kenntlich gemacht.

79 Z.B. so wohlklingende Titel, wie „Kernressourcenmanagement in Me- dienunternehmen “ oder „Fit für die Globalisierung? “ , bis hin zu „Kon- version von Rüstungsunternehmen “ - eine auch für Pädagogen aufschluß- reiche Dissertation zur Umstrukturierung von Rüstungsbetrieben, die nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr dem Primat der Politik folgen, sondern sich unternehmerisch auf einem freien Markt zu behaupten haben.

80 Arnold, Rolf: Schlüsselqualifikation und Selbstorganisation in Be- trieb und Schule, 1994, S.56

81 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.113 und insb. S.52ff., zudem S.113 u. S.232

82 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.42f., S.54 und S.56

83 ebd., S.54

84 vgl. Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, 1993, S.257

85 Diese Struktur ist nicht zuletzt deswegen notwendig, da sich die Primar- gegenüber den weiterführenden Schulen oder die Bildungseinrichtungen allgemein gegenüber den „Endabnehmern “ : den Ausbildungsbetrieben oder der freien Wirtschaft in einem Kunden-Zulieferer- Verhältnis verstehen, verstehen müssen, da die Kunden eine entsprechende „Qualität “ der „Ware “ erwarten.

86 vgl. Lehmann, Lutz: Unterricht ohne Lehrer?, 2000

87 vgl. bzgl. einer Kritik an der Unwissenschaftlichkeit der Autonomie- debatte Paschen, Harm: Schulautonomie in der Diskussion, 1995 Je unakademischer die Debatte ist, desto interessanter erscheint sie mir, da es mir - wie mehrfach erwähnt - um einen Diskurs geht, des quasi unterhalb wissenschaftlicher Formulierungen als „common sense “ das Denken und Handeln des pädagogischen Praktikers bestimmt.

88 Rolff, Hans-Günter: Autonomie als Gestaltungs-Aufgabe, 1995, S.31

89 vgl. schon 1993 Weiß, Manfred: Der Markt als Steuerungssystem im Schulwesen?, 1993; oder ganz aktuell Radtke, Frank-Olaf/ Weiß, Manfred: Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancengleichheit, 2000

90 vgl. Liket, Theo M. E.: Freiheit und Verantwortung, 1993. Diese Buch liest sich streckenweise wie eine Bedienungsanleitung - etwa für die Installation von größeren Telefonanlagen oder einer Netzwerkkonfiguration - oder zumindest wie das Handbuch für angehende „Bildungsmanager “ .

91 vgl. Bastian, Johannes: Autonomie konkret, 1996, S.7f

92 ders.: Auf dem Weg zum Schulprogramm, 1998, S.7

93 vgl. dazu etwa das Methoden- und Trainingsbuch von Philipp, Elmar: Gute Schule verwirklichen, 1992, insb. S.69f. Zum Hintergrund vgl. Tillmann, Klaus-Jürgen: Was ist eine gute Schule?, 1989

94 vgl. hierzu beispielsweise Sieland, Bernhard u.a.: Qualitätssiche- rung in der Lehrerbildung, 2000

95 Fleischer-Bickmann, Wolff/Maritzen, Norbert: Schulprogramm, 1996, S.13

96 ebd.

97 vgl. jüngst Von der Groeben, Annemarie u.a.: Pro und Contra Leistungsvergleichsstudien, 2000, S.6f., insbesondere Punkt 6.

98 Daschner, Peter: Schule auf dem Prüfstand, 1998, S.6f.

99 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.66

100 Altrichter, Herbert/ Messner, Elgrid: Wenn Schulen sich den Spiegel vorhalten, 1998, S.30

101 Eikenbusch, Gerhard: Schulinterne Evaluation, 1997, S.7

102 Strittmatter, Anton: „Eine knüppelharte Sache “ , 1997, S.17

103 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.20

104 ebd., S.97

105 Nebenbei: Interessanterweise hat jüngst die CDU den Begriff der „Leitkultur“ geprägt - hier im Sinne eines „europäisch-abendländischen Grundwertekonsens “ oder eines auf unserer Verfassung fußenden „gemeinsamen Identitätsbewußtseins “ , welchem sich all diejenigen gegenüber verpflichtet fühlen sollten, die auf deutschen Boden leben wollen. (vgl. CDU-Entwurf für „Eckpunkte moderner Zuwanderungspolitik “ , z.B. in: Frankfurter Rundschau, 6. November 2000, S.1)

106 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.67f.

107 Klaus-Jürgen Tillmann: Autonomie der Schule, 1993b, S.3

108 vgl. z.B. Kahl, Reinhard: Lob des Fehlers, 1992 In dieser Video-Dokumentation wird der Reformpädagoge und „Erfinder “ des Wochenplans, Jürgen Reichen, permanent mit den Geschäftsführern großer Unternehmen gegengeschnitten - nicht zuletzt des Effektes einer wechselseitigen Bestätigung willen. Als ich während einer kurzen Auto- fahrt die Gelegenheit hatte, Herrn Reichen persönlich darauf anzuspre- chen, ob er nicht besorgt sei, daß seine Unterrichtsreformkonzepte von ökonomischen Zwecken vereinnahmt werden könnten, antwortete er nur in dieser unvergleichlich sympathischen schweizerischen Mundart: „Ach, wissen’s, die Wirtschaft hat doch immer bestimmt, was in der Schule passiert ... “ , stieg mit einem Lächeln aus dem Auto und verschwand im Institut für Lehrerfortbildung.

109 vgl. z.B. Becker, Gerold/ Seydel, Otto: Neues Lernen, 1993

110 vgl. z.B. Klaus-Jürgen Tillmann: Schule und Wirtschaft in einem neuen Reformdialog?, 1994; zuletzt erschienen in ders.: Schulentwicklung und Lehrerarbeit, 1995; vgl. auch ders.: „Leistung muss auch in der Schule neu definiert werden “ , 1993a

111 vgl. z.B. Bastian, Johannes: Autonomie konkret, 1996; ders./ Otto, Gunter: Schule gestalten, 1995 oder gleich ders.: Pädagogische Schulentwicklung, Schulprogramm und Evaluation, 1998, welches eine Sammlung sämtlicher Artikel darstellt, die in der PÄDAGOGIK zwischen 1996 und 1998 zum Thema erschienen sind.

112 vgl. zur Geschichte der Auseinandersetzung zusammenfassend Daschner, Peter:Verführung von oben oder Bedürfnis von unten?, 1995

113 ders.: Weder Fast Food noch Sonntagsbraten, 2000, S.7

114 Frommer, Helmut: Evaluation pädagogisch verstanden, 2000

115 vgl. Tillmann, Klaus-Jürgen: Schulentwicklung und Lehrerarbeit, 1995, S.27

116 vgl. Jacke, Norbert u.a.: Bildung für die moderne Industriegesellschaft?, 1993

117 vgl. Bastian, Johannes: Pädagogische Schulentwicklung, 1997 u. ders./ Combe, Arno: Pädagogische Schulentwicklung, 1998. Vgl. die Gegendarstellung bei Rolff, Hans-Günter: Schulentwicklung in der Auseinandersetzung, 1999

118 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.31

119 vgl. Tillmann, Klaus-Jürgen: Schulentwicklung und Lehrerarbeit, 1995, S.28f.

120 Steiner-Khamsi, Gita: De-Regulierung und Schulwahl in den U.S.A.: Gewinner und Verlierer, 2000, S.123 Dementsprechend wird auch nicht zur Kenntnis genommen, was etwa das „Fallbeispiel USA “ zeigt, „daß langfristig die marktwirtschaftlichen Argumente Überhand nehmen “ und die Autonomiedebatte möglicherweise der Vorbote eines vollends deregulierten Bildungsmarktes sein wird; eines zumindest in den USA grausamen Marktes, der in der Logik der Profit- orientierung bevorzugt die reiche weiße Oberschicht bedient und somit zusätzlich privilegiert, während insbesondere die armen, bildungsfer- nen Migrantenfamilien, nicht nur bezogen auf das kulturelle Kapital, in der Verelendung versinken.

121 Eine Ausnahme bildet hier der nordrhein-westfälische Philologen- Verband, dem die von der Kommission geforderte Schulautonomie als Aus-höhlung eines traditionellen schulischen Leistungsbegriffes und eine Entfremdung vom Bildungsgangprinzip erscheint. vgl. Nordrhein-westfälischer Lehrerverband: Schulautonomie in der Kri- tik, 1997

122 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, 1995, S.91f.

123 Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung, 2000, S.160

124 Foucault, Michel: About the beginning of the Hermeneutics of the Self, 1993a, S.203f., in der Übersetzung von Thomas Lemke, in: ders. u.a.: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien, 2000b, S.29; vgl. auch Foucault, Michel: Sexualität und Einsamkeit, 1984e, S.36

125 Foucault, Michel: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Sub- jekts, 1987, S.243; ders.: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.275; vgl. auch ders.: Gebrauch der Lüste, 1986, S10 Foucault spricht wohlweislich von historischen Ontologien. Die Bedin- gungen, die das Wissen-Sein, das Macht-Sein und das Selbst-Sein kon- stituieren, sind nämlich keine universellen Bedingungen. Die „Bedin- gungen sind niemals allgemeiner als das Bedingte und gelten aufgrund ihrer eigenen historischen Singularität. “ ( Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.160f.)

126 vgl. z.B. Forneck, Hermann: Bildung - Die Archäologie der Selbster- schaffung, 1993; Brinkmann, Malte: Das Verblassen des Subjekts bei Foucault, 1999; Schäfer, Alfred: Das Bildungsproblem nach der humanis- tischen Illusion, 1996; Schütz, Egon: Macht und Ohnmacht der Bildung, 1992

127 vgl. Gstettner, Peter: Die Eroberung des Kindes durch die Wissenschaft, 1981; vgl. Dressen, Wolfgang: Die pädagogische Maschine, 1982; vgl. auch Rumpf, Horst: Die übergangene Sinnlichkeit, 1981

128 vgl. Pongratz, Ludwig A.: Pädagogik im Prozeß der Moderne, 1989, S.188ff. u. S.228f.; vgl. ders.: Schule als Dispositiv der Macht, 1990 Interessant ist auch, wie Pongratz einen fließen Übergang von den klassischen Reformpädagogen zum Faschismus beschreibt. Diese hätten dem Faschismus aufgrund ihrer „antiintellektuellen Erlebnispädagogik “ und einem „biologisch-vitalistisch gedeutetem Urtrieb “ mitunter gera- dezu „theoretisch die Steigbügel “ gehalten. vgl. Pongratz, 1989, S.222f.

129 Oder sollte man besser sagen: die Ordnung in seinem Werkzeugkasten? Schließlich war es u.a. Foucaults Anliegen, den Werkbegriff in Fragezu stellen (vgl. ders.: Archäologie des Wissens, 1973, S.35ff.) und er sagt über sich selbst: „Ich verstehe, was ich mache überhaupt nicht als Werk, ... ich bin Werkzeughändler. “

130 Foucault, Michel: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Sub- jekts, 1987, S.243

131 vgl. ebd., S.243

132 Holzkamp, Klaus: Lernen, 1993, S.15

133 Holzkamp, Klaus: Lernen, 1993, S.12ff.

134 ebd., S.21ff. und S.12

135 Es sei darauf hingewiesen, daß es, gelinde gesagt, eine grobe Fehl- lektüre darstellt, Foucaults „Überwachen und Strafen “ als eine „Genea-logie der Schuldisziplin “ zu bezeichnen; sich dann auch noch zu wun- dern, daß die Schuldisziplin „lediglich als unselbständiger Teilaspekt der Genealogie anderer »Disziplinen« “ untersucht wird, grenzt schon an eine vorsätzliche Verfälschung, bestenfalls ist es dumm. Denn Foucault hat weder eine Genealogie der Schule, schon gar nicht eine der Schul- disziplin betrieben, sondern eine Genealogie der Macht. Die Schule in- teressiert Foucault nur, insofern sie eine von vielen Wirkstätten der Macht ist. Er hat sich gerade darum bemüht, die universell eingesetz- ten, den gesamten Gesellschaftskörper durchziehenden Technologien der Macht, neben anderen die „Disziplinen “ herauszuarbeiten. Dabei ist „Disziplinen “ nicht einfach der Plural von Disziplin, und schon gar nicht identisch mit der Vorstellung, die diesem Begriff im Zusammen- hang mit der Disziplin in der Schule oder beim Militär beigegeben wird, nämlich im Sinne eines - auch sich selbst gegenüber - unterdrü- ckenden und beherrschenden Befehl-Gehorsam-Systems. Vielmehr versteht Foucault unter den „Disziplinen“ - niemals im Singular - ein Bündel von gewußten Verfahren und Techniken, eben (einen Teil) jener ganzen „Technologie der Macht über den Körper “ , die diesem eine Seele er- schaffen. Eine Macht, die somit von der Technologie der Seele - derje- nigen der Erzieher, Psychologen und Psychiater - weder maskiert noch kompensiert werden könne. Vielmehr sei diese nur eines ihrer Instru- mente und ihre Machtwirklichkeit die autonome Subjektivität, eben die- se Seele, auf der die moralischen Ansprüche des Humanismus gründen. vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976, S.42f.

136 Holzkamp, Klaus: Lernen, 1993, S.386f.

137 Deutlicher könnte man sagen: Holzkamp schreibt die Kapitelüber- schriften und die kursiv hingedruckten Worte des isolierten dritten Abschnittes systematisch und in der Monotonie einer warenproduzieren- den Dampfmaschine Zeile für Zeile, Absatz für Absatz, Seite für Seite ab (ein Vorgehen, das mir symptomatisch für die pädagogische Foucault Rezeption scheint), faßt die Abschnitte auf der Basis seines subjektzentrierten, materialistischen Standpunktes zusammen und stellt diesen Inhaltsangaben zumeist ihrem Kontext enthobene, aber sehr präzise gewählte Zitate zur Seite, so daß Foucault letztlich tatsächlich als ein marxistisch argumentierender Schultheoretiker erscheint.

138 Holzkamp, Klaus: Lernen, 1993, S.348

139 ebd., S.347

140 Holzkamp, Klaus: Lernen, 1993, S.559

141 ebd., S.541

142 vgl. Schmid, Wilhelm: Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991; vgl. Ortega, Francisco Guerrero: Freie Formen der Sozietät, 1995

143 vgl. Fink-Eitel, Hinrich: Foucault zur Einführung, 1989, S.99; Hon- neth, Axel: Zur philosophisch-soziologischen Diskussion um Michel Fou- cault, 1990, S.17; Rüb, Matthias: Suche nach den Wurzeln des Subjekts, 1987

144 vgl. Coelen, Thomas: Pädagogik als „Geständniswissenschaft “ ?, 1996, insb. S.85ff.

145 Foucault, Michel: Das Wahrsprechen des anderen, 1988a, S.17

146 Foucault, Michel: Das Wahrsprechen des anderen, 1988a, S.29

147 ebd.

148 ders.: Diskurs und Wahrheit, 1996b, S.17

149 Foucault, Michel: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.267f.; vgl. ders.: Sex als Moral, 1984d, S.71 Foucault ist zudem sehr wohl bewußt, daß die antike Ethik lediglich einer kleinen männliche Elite vorbehalten war und etwa Sklaven und Frauen ausschloß. Allein deshalb könne sie kein allgemeines Modell ab- geben.

150 ders.:Freiheit und Selbstsorge, 1985, S. 48f.

151 Foucault, Michel: Eine Ästhetik der Existenz, 1984c S.137f.

152 ders.: Sex als Moral, 1984d, S.71f.; vgl. ders.: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.268f.

153 Foucault, Michel: Der Wille zu Wissen, 1976; ders.: Der Gebrauch der Lüste, 1986a; ders.: Die Sorge um sich, 1986b

154 ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999

155 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997

156 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.260

157 vgl. ebd. S.259; vgl. Foucault, Michel: Was ist Kritik?, 1992, S.13

158 Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987, S.255

159 Im Gegensatz etwa zu einer Beschreibung, die diese nur in Form von Interaktions- und Kommunikationsmustern in den Grenzen einer isolierten Handlungseinheit erfassen kann; oder gar nur im Sinne einer individuellen Psychologisierung.

160 Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987, S.255

161 vgl. ders.: Für eine Kritik der Politischen Vernunft, 1988b, S.58

162 vgl. Rose, Nicolas: Governing the Soul, 1989; Donzelot, Jaques u.a.: Zur Genealogie der Regulation, 1994; Barry, Andrew u.a.: Foucault and political Reason, 1996; Burchell, Graham u.a.: The Foucault Effect, 1991 Leider habe ich diese angelsächsischen Anschlüsse an Foucault zu spät entdeckt, als daß sie systematisch in diese Arbeit eingegangen wären.

163 Bröckling, Ulrich u.a.: Gouvernementalität der Gegenwart, 2000; vgl. auch Lemke, Thomas: Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien, 2000a

164 Foucault, Michel: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Sub- jekts, 1987, S.243

165 Helsper, Werner: Schule in den Antinomien der Moderne, 1990, S.183; Helsper bezieht sich hier auf ein Interview mit Foucault (Foucault, Michel: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.274ff., Zitat auf S.289) welches einen Überblick über dessen laufende Arbeiten darstellt und an der entsprechenden Stelle speziell „Der Gebrauch der Lüste “ (vgl. Foucault, Michel, 1986, S.37f.) kommentiert.

166 Meyer-Drawe, Käte: Versuch einer Archäologie des pädagogischen Blicks, 1996, S.656

167 ebd. S.656

168 ebd. S.659

169 Meyer-Drawe, Käte: Versuch einer Archäologie des pädagogischen Blicks, 1996, S.656f.

170 Thiemann, Friedrich: Schulszenen, 1985, S.8

171 Thiemann, Friedrich: Schulszenen, 1985, S.101ff. u. 111

172 Schirlbauer, Alfred: Im Schatten des pädagogischen Eros, 1996, Klap- pentext

173 Schirlbauer, Alfred: Im Schatten des pädagogischen Eros, 1996, S.13

174 vgl. Bourdieu, Pierre: Über die „scholastische Ansicht “ , 1993, S.342

175 vgl. Foucault, Michel: Was ist ein Autor ?, 1969; ders.: Archäologie des Wissens, 1973, S.30; ders.: Der maskierte Philosoph, 1984b

176 ders.: Überwachen und Strafen, 1976, S.397

177 in: Nothing to Fear, Selected Addresses of Franklin D. Roosevelt, 1932-45, Books For Libraries Press, 1946, S.269f. zitiert nach Quitmann: Humanistische Psychologie, 1985, S.20

178 Journal of Humanistic Psychology 1962, 1, S.96, zitiert nach Quitmann: Humanistische Psychologie, 1985, S.26

179 Quitmann: Humanistische Psychologie, 1985, S.23, vgl. Laing, R.: Reason and Violance, Tavistock, 1964

180 Rogers, R. Carl: Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit, 1980, S.200ff

181 ders.: Der neue Mensch, 1981

182 ders.: Die Kraft des Guten, 1978

183 vgl. ders.: Der neue Mensch, 1981, S.183 ff.

184 Kierkegaard, nach Rogers, R. Carl: Entwicklung der Persönlichkeit, 1973, S.117 Es sei angemerk, daß es in der Erziehungswissenschaft auch andere Lesarten von Kierkrgaard gibt. vgl. Ricken, Norbert: Subjektivität und Kontingenz, 1999

185 Rogers, R. Carl: A Theory of Therapy, Personality, and Interpersonal Relationship, in: Koch: Psychology: A Study of a Science, NY 1959, S.2oo, zitiert nach Kreuter-Szabo, Susan: Der Selbstbegriff in der Hu- manistischen Psychologie von A. Maslow und C. Rogers, 1988, S.71

186 Rogers, R. Carl: Die Kraft des Guten, 1978, S.268 Die Teilung der Seeigellarve findet laut Rogers unmittelbar nach der ersten Zellteilung der befruchteten Eizelle statt. Obwohl ich mich nicht der Mühe unterzogen habe, die Quellen, auf die Rogers sich be- zieht nachzuvollziehen, kann ich mich der, sicherlich unproduktiven, Polemik nicht enthalten und stelle mir die Frage, auf welchem Stand wohl die humanbiologische Zwillingsforschung 1977 gewesen sein mag, und, wenn sie zumindest gewußt hat, daß sich beim Menschen das gleiche Phänomen - heutzutage allgemein unter dem Stichwort „eineiige Zwillin- ge “ bekannt - beobachten läßt, warum Rogers sich so für Seeigel inte- ressiert, wo doch die Seeigel-Zwillinge sogar kleiner sind als der Normal-Seeigel und jener sich auch noch fragen lassen muß, wie das wohl mit der Übertragbarkeit von an Krustentieren ermittelten Erkennt- nissen auf den Menschen aussieht.

187 Rogers, R. Carl: Die klientenzentrierte Gesprächstherapie, 1972, S.422

188 ders.: Entwicklung der Persönlichkeit, 1973, S.195

189 die deutsche Übersetzung ist durchaus schmeichelhaft: Im englischen Original heißt es (er): „fully functioning person “

190 vgl. Maslow, Abraham H.: Psychologie des Seins, 1973

191 vgl. Quitmann, Helmut: Humanistische Psychologie, 1985, S.130f.

192 Rogers, R. Carl/Wood, J.K.: Client-centered theory, in: Burton, A. (Hrsg.): Operational theories of personality, NY, S.224, zitiert nach Ludwig-Körner, Christiane: Der Selbstbegriff in Psychologie und Psychotherapie, 1992, S.120

193 Rogers, R. Carl: Die klientzentrierte Gesprächstherapie, 1972, S.417-458

194 Rogers, R. Carl: Some observations on the organization of personality, in: American Psychologist 2, 1947, S.358-368, zitiert nach Kreuter-Szabo, Susan: Der Selbstbegriff in der humanistischen Psychologie von A. Maslow und C. Rogers, 1988, S.74

195 Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung, Ffm 1992, S.118

196 Morris, Charles W.: Sprechen und menschliches Handeln, 1975, S.241

197 Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft, Ffm 1968, S.218; vgl. Habermas, Jürgen: Nachmetapysisches Denken, Ffm 1988, S.211f.

198 Rogers R. Carl: Die klientzentrierte Gesprächspsychotherapie, 1972, S.442

199 vgl. Rogers, R. Carl: Entwicklung der Persönlichkeit, 1973, S.321

200 ders.: Die klientenzentrierte Gesprächstherapie, 1972, S.440

201 Wobei hier m.E. ein sehr reduziertes Verständnis der freudschen Psy- choanalyse unterstellt ist. Mir scheint, daß die an Freud anschließen- den Ich- oder Individual-Psychologien - eben die eines Wilhelm Reich oder Alfred Adler - die sich wiederum zu den Humanistischen Psycholo- gien zählen, in einem weit höheren Maße dem Modell einer angeborenen, biologischen, triebhaften, statischen psychischen Substanz verpflich- tet sind, als Freud selbst.

202 vgl. Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung, 1992, S.120

203 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge, 1971, S.388

204 ders.: Philosophie et psychologie, 1965, zitiert nach Schmid, Wilhelm: Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991, S.102

205 vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, 1973b, S.15

206 ders.: Ordnung der Dinge, 1971

207 ebd., S.373

208 Foucault, Michel: Ordnung der Dinge, 1971, S.375

209 ebd. S.377

210 ebd. S.384

211 Foucault, Michel: Ordnung der Dinge, 1971, S.412

212 Foucault, Michel: Ordnung der Dinge, 1971, S.389

213 Foucault, Michel: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, 1974, S.73

214 Schönebeck, Hubertus v.: Vortrag in Lüneburg, im Rahmen des Pro- gramms von „Freundschaft mit Kindern"

215 Wenn man Foucault Glauben schenken darf, ähnelt die Bewegung, die Rogers vollführt, wenn er das Selbst als etwas gegebenes, erkennbares und festgelegtes abweist, es aber über die Hintertür wieder einführt, einem Gedankengang, wie er auch bei Jean-Paul Sartre zu finden ist: „Ich denke, theoretisch gesehen vermeidet Sartre die Vorstellung, das Selbst sei etwas Gegebenes, aber über den moralischen Begriff der Au- thentizität kommt er auf die Vorstellung zurück, daß wir wir selbst sein müssen, durch und durch unser echtes Selbst sein müssen.“ Fou- cault, Michel: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.274, vgl. ders.: Sex als Moral, 1984d, S.80f.

216 vgl. die Ausführungen von Hubertus von Schönebeck, S.38 dieser Ar- beit Die passive, unbedingte Affirmation des Therapeuten gegenüber den Äu- ßerungen des Klienten, die diesen anhält, im Grund genommen nichts weiter zu tun, als diese gutheißend, bekräftigend und vorbehaltlos an ihn zurückzugeben, hat es möglich werden lassen, daß eine Anzahl prak- tizierender Psychiater ernsthaft glaubte, man könne mit Hilfe eines Computers eine fast völlig automatisierte Form der Psychotherapie e- tablieren. Joseph Weizenbaum hatte in den 60er Jahren ein Programm entwickelt, welche eine Roger‘sche Gesprächstherapie simulierte, indem es die aufgezeichneten Ausführungen der Probanden vermittels eines simplen Algorithmus umformulierte und quasi als Echo an diese zurück- gab. Freilich hatte Weizenbaum den ELIZA-DOCTOR als Parodie verstanden wissen wollen, der die instrumentell-vernünftige, kalte Unmenschlich- keit der Maschine demonstriert. Das hat aber weder jene Therapeuten davon abgehalten, große Hoffnungen in in das Programm zu setzen, noch die Benutzer, eine innige emotionale Beziehung zu dem Computer-Doc aufzubauen und ihm intimste Geheimnisse anzuvertrauen - so intim, daß sie gern mit ihrem „Therapeuten“ allein sein und die aufgezeichneten „Gespräche“ nicht von dritten einsehen lassen wollten. vgl. Weizen- baum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, 1977, S.14ff. Des Weiteren ist leicht zu sehen, daß die Bedingungen, die für eine gelungene Therapie oder Entwicklung notwendig erscheinen, gleichzeitig - speziell bzgl. der Kongruenz - Ziel der Interaktion sind. Daraus ist wohl zu schließen, daß entweder der Vergesellschaftungszusammenhang, dem Rogers diese unheilsame Wirkung zuschreibt, nicht total ist, sondern es vielmehr noch Enklaven von ungestörtem, sozusagen von wahrem im falschen Leben geben muß, oder aber daß Rogers ein Lügenbaron ist, der sich selbst am Schopf aus dem Sumpf zieht.

217 Rogers, Carl R.: Die klientenzentrierte Gesprächstherapie, 1972, S.442

218 Rogers, Carl R.: Die klientenzentrierte Gesprächstherapie, 1972, S.445 u. S.449

219 ders.: Entwicklung der Persönlichkeit, 1973, S.99f

220 Jürg Kollbrunner, der immerhin für sich in Anspruch nimmt, „Das Buch der humanistischen Psychologie ” geschrieben zu haben, gelingt es gar, unter Zuziehen einiger anderer Vertreter dieser Psychologierichtung eine zweiseitige Stichwortsammlung derjenigen Attribute zu erstellen, die dem Menschen - dem verwirklichten, voll entfalteten - zukommen. Kollbrunner, Jürg: Das Buch der humanistischen Psychologie, 1987, S.199ff

221 vgl. Rogers, Carl R.: Entwicklung der Persönlichkeit, 1973, S.163ff, Kapitel IV; vgl. zudem ders.: Der neue Mensch, 1981, S.183 ff.

222 ders.: Entwicklung der Persönlichkeit, 1973, S.181

223 ebd., S.183

224 Die Anspielungen auf eine (inzwischen gesattelte und etablierte - z.T. gar zur „virtuellen Klasse“ yuppisierte) US-amerikanische 68er- Hippie-Jugend sind unübersehbar.

225 Ganz im Gegenteil zum finsteren, animalischen, der Kontrolle bedürfenden Unbewußten, von dem uns angeblich die Psychoanalyse spricht, und jener behavioristischen black-box, die, je nach dem womit sie gefüttert wird, zur Büchse der Pandora mutieren kann.

226 Foucault, Michel: Dispositive der Macht, 1978, S.51

227 ebd., S191

228 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, 1973b

229 ders.: Die Ordnung der Dinge, 1971 und ders.: Die Geburt der Klinik, 1973a

230 Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, 1987, S.110

231 Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.20

232 ebd., S.69 ff

233 Diese Hinwendung zur Machtanalyse beginnt pikanter Weise zu einem Zeitpunkt, an dem Foucault innerhalb der Machtverhältnisse eine ge- wichtige Position zugegeben wird, namentlich in seiner Inauguralvorle- sung am College de France. vgl. Foucault, Michel: Ordnung des Diskur- ses, 1974a

234 vgl. Deleuze, Gilles: Was ist ein Dispositiv?, 1990, S.153ff.

235 Foucault, Michel: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, 1974, S.73

236 vgl. Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.131ff.

237 vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976

238 ders.: Dispositive der Macht, 1978, S.78; vgl. ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S. 35

239 vgl. ders.: Überwachen und Strafen, 1976a, S.170

240 ders.: Leben machen und sterben lassen, 1992a, S.28; vgl. ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.278; vgl. auch ders.: Der Wille zum Wissen, 1977, S.162ff

241 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.109

242 ebd., S.109

243 Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.27

244 ebd., S.50f.

245 ders.: Der Wille zum Wissen, 1977, S.106

246 Foucault, Michel: Was ist Aufklärung, 1990a, S.45

247 ders.: Freiheit und Selbstsorge, 1985, S.10

248 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.77f.

249 ebd., S.167

250 vgl. Foucault , Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.200f.

251 vgl. ebd., S.216

252 vgl. Foucault , Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.236f.; vgl. auch Canguilhem, Georges: Das Normale und das Pathologische, 1974, S.161ff.

253 Foucault , Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S. 220

254 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.236

255 ders.: Der Wille zum Wissen, 1977, S.76

256 ebd., S.53

257 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.238

258 ebd., S.42

259 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.258

260 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.260

261 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.166

262 ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.292

263 vgl. auch ders.: Die Geburt der Klinik, 1973a

264 Foucault, Michel: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.265

265 Reich, Wilhelm: Die sexuelle Revolution, 1966

266 Damit gab Foucault auch der Feminismus-Debatte ein entscheidenes Stichwort, indem er die gängige Unterscheidung von sozialem Ge- schlecht, gender, und biologisch-natürlichem Geschlecht, sex, insofern obsolet erscheinen läßt, als er nicht nur das erstere, sondern auch letzteres als „sozialisatorischen “ Effekt, als Effekt eines Macht- dispositiv analysiert. vgl. Butler, Judith: Das Unbehagen der Ge- schlechter, 1991

267 Der Nationalsozialismus hat die Verquickung von diktatorischer Füh- rer-Souveränität und eliminatorischer Bio-Macht in historischer Ein- zigartigkeit vollführt. Angesichts der drohenden Niederlage, ange- sichts der damit uneingelösten Forderung nach Überlegenheit des deut- schen Volkes, sollte nach dem letzten Willen des Souveräns auch dieses der rassistischen Selbstreinigung zum Opfer fallen und von der Ge- schichte vertilgt werden. (vgl. Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.302) Das Paradox unserer gegenwärtigen Bio-Macht besteht in der Tatsache, daß es der Sorge ums Leben gelungen ist, eine Technologie zu entwickeln, die es ermöglicht, das gesamte Leben in ei- nem einzigen Augenblick auszulöschen. Die aktuelle Entwicklung der Bio-Macht nimmt ihr zunehmend diese offensichtliche Grausamkeit und dieses mörderische Potential, allerdings nicht ohne andere (basenpaar- codierte, mikroskopisch kleine, einzeln-verwirrte, pränatal-gnädige, virtuelle oder einfach nur Schmuse-) Monster aus sich zu entlassen.

268 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.163

269 ders.: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987b, S.251

270 vgl. ders.: Mikrophysik der Macht, 1976b, S.114ff

271 ders.: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts, 1987, S.247

272 Lemke, Thomas u.a.: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien, 2000b, S.26

273 Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.23ff.

274 ders.: Der Wille zum Wissen, 1977, S.125

275 ders.: Dispositive der Macht, 1978, S.110

276 vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.116

277 vgl. ders.: Mikrophysik der Macht, 1976b, S.114

278 ders.: Der Wille zum Wissen, 1977, S.116

279 ebd., S.113

280 ders.: Überwachen und Strafen, 1976, S.217; ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.27

281 Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.82 u. S.92; ders.: Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, 1986, S.47

282 ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.94

283 Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.296

284 Zu „Foucaults Beitrag zur Rassismustheorie“ vgl. Magiros, Angelika, 1995

285 Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.194

286 ders.: Mikrophysik der Macht, 1976b, S.115

287 Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.40; vgl. ders.: Dispositive der Macht, 1978, S.83

288 Genau an diesem Punkt liegt das Mißverständnis der kritischen Fou- cault-Kritiker - die nicht anders können, als die Macht in Form eines Dualismus zu denken - und somit der Grund, warum diese Kritik ihren Gegenstand vollends verfehlt. vgl. Honneth, Axel: Kritik der Macht, 1986, S.168ff oder Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985, S.279ff

289 vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.114

290 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.116

291 Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.131

292 Foucault, Michel: Dispositive der Macht, 1978, S.196

293 vgl. ders.: Dispositive der Macht, 1978, S.131 u. 195f.

294 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.117

295 ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, 1999, S.200

296 ders.: Überwachen und Strafen, 1976a, S.39

297 ebd., S.241

298 ebd., S.290 und S.246

299 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1976, S.119

300 ders.: Überwachen und Strafen, 1976a, S.250

301 ebd., S.39

302 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.397

303 Deleuze, Gilles: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, 1993

304 Foucault, Michel: Technologien des Selbst, 1993b, S.27

305 Deleuze, Gilles: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, 1993, S.255

306 Diese hat sie vielmehr an die Marginalien des Weltmarktes verlagert, in die sogenannte Dritte Welt.

307 Deleuze, Gilles: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, 1993, S.257 u. S.260

308 Foucault, Michel: Mikrophysik der Macht, 1976b, S.108

309 Foucault, Michel: About the beginning of the Hermeneutics of the Self, 1993a, S.204; vgl. auch ders.: Sexualität und Einsamkeit, 1984e, S.36

310 Foucault, Michel: Mikrophysik der Macht, 1976b, S.110

311 Foucault, Michel: About the beginning of the Hermeneutics of the Self, 1993a, S.204; vgl. auch ders.: Sexualität und Einsamkeit, 1984e, S.34f.

312 ders.: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.10

313 ders., zitiert nach Schmid, Wilhelm: Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991, S.259

314 Foucault, Michel: Die Rückkehr der Moral, 1990, S.144

315 Man kann sicherlich den Wendepunkt in Foucaults Denken schon in dem Begriff der Biopolitik der Bevölkerung verorten, insofern er von der Idee der Unterwerfung zum Begriff der Regulierung übergeht. Diese wen- det sich allerdings nicht mehr auf die individuellen Körper, sondern auf den Gattungskörper. In dem hier gegebenen Zusammenhang scheint es sinnvoller, diese Zäsur dort zu setzen, wo der Begriff der Regulation auch für das Verhältnis der Macht in Bezug auf die Individuen frucht- bar gemacht und mit denen der umfassenden staatlichen Regulierung in Verbindung gebracht wird.

316 vgl. Foucault, Michel: Technologien des Selbst, 1993b, S.62

317 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S154f.

318 Foucault, Michel: Für eine Kritik der Politischen Vernunft, 1988b, S.62

319 Foucault, Michel: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts, 1987, S.248f.

320 vgl. ders.: Die Politische Technologie der Individuen, 1993c, S.172

321 Foucault, Michel: Für eine Kritik der Politischen Vernunft, 1988b, S.64 Foucault weist darauf hin, daß die Literatur der Polizeiwissenschaft damit eine gewisse Nähe zur Literaturgattung der Utopie aufweist. Es scheint, daß die Utopie im allgemeinen (und selbst die anarchistische) immer eine bestimmte Form der Macht impliziert, insofern sie einen bestimmten gesellschaftlichen Zustand vorweg definiert

322 ders.: Die Politische Technologie der Individuen, 1993c, S.177f.

323 vgl. ebd., S.180

324 Foucault, Michel: Für eine Kritik der Politischen Vernunft, 1988b, S.65

325 ders.: Der Staub und die Wolke, 1982, S.39

326 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.167

327 Foucault, Michel: Für eine Kritik der Politischen Vernunft, 1988b, S.66

328 ders.: Die Politische Technologie der Individuen, 1993c, S.176f.

329 vgl. hierzu Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.169-256, woran ich mich im folgenden orientiere.

330 vgl. Foucault, Michel: Der Staub und die Wolke, 1983, S.6

331 Foucault, Michel: Die Gouvermentalität, 2000, S.53

332 ebd., S.54

333 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.173 u. S.185

334 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.187

335 ebd., S.202

336 vgl. Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.239

337 ebd., S.239f.

338 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.248

339 ebd., S.249

340 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.250

341 Foucault, Michel: Die Gouvermentalität, 2000, S.47

342 ebd., S.66

343 Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.190 Ein simples, aber (gerade für Pädagogen) recht anschauliches Beispiel der - in dieser Reinheit ohnehin nur analytisch - voneinander ver- schiedenen Normativitätstypen stellt die unterschiedliche Art und Wei- se der Notengebung in der Schule dar. So kann ich etwa als Lehrer bei einem Diktat von vornherein festlegen, bei welcher Fehlerzahl, welche Note vergeben wird. Bezüglich dieser Vorgabe ergibt sich eine Normal- verteilung der Schülerleistungen. Das Diktat ist dann entsprechend gut oder schlecht ausgefallen. Die Schüler werden entlang dieser einheit- lichen Norm individualisiert: vom Klassenprimus bis zum Sorgenkind. Umgekehrt kann ich als Lehrer aber auch die tatsächlich auftretenden Fehlerzahlen abwarten und den Bewertungsmaßstab diesen entsprechend variieren und modulieren, d.h. hoch oder tief ansetzen, die Noten- Intervalle strecken oder aneinanderrücken, dies wiederum proportional oder im einzelnen etc. Es ist also möglich, variabel verschiedene Schüleridentitäten zu erzeugen, je nach dem, welcher Schülerleistung man bedarf, wie das Diktat ausfallen muß, damit man als Lehrer nicht in Bedrängnis kommt. Die Lehrer arbeiten zumeist mit einer Mischung aus beiden Modellen.

344 vgl. S.155f. d. Arbeit, vgl. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.12f. und 18f.

345 Foucault, Michel: Technologien des Selbst, 1993b, S.27

346 Foucault, Michel: Sexualität und Einsamkeit, 1984e, S.35f.; vgl. auch ders.: About the beginning of the Hermeneutics of the Self, 1993a, S.203

347 ders.: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.283

348 vgl. S.97f. und 101f. d. Arbeit

349 vgl. ders.: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.20; bekanntlich ist der vierte und letzte Band von Sexualität und Wahrheit, der die christlichen „Geständnisse des Fleisches “ behandelt, aufgrund von Foucaults frühen Tod bisher nicht veröffentlicht worden.

350 ebd., S.18

351 Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.36ff.

352 vgl. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.36ff. u. S.51; ders.: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.274ff.; vgl. Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1999, S.277

353 Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.142

354 Foucault, Michel: Sex als Moral, 1984d, S.78; vgl. ders.: Zur Genealogie der Ethik, 1987c, S.272

355 Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.140; vgl. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste, 1986a, S. 106

356 Hier trifft sich Foucault mit der Lacanschen Psychoanalyse. Nach Jacques Lacan ist das Ich von Beginn an in Bezug auf ein imaginäres Ideal-Ich situiert und wird als Subjekt erst durch die Einschreibung der symbolische Ordnung konstituiert. So kann er sagen: „Ich ist ein anderer. “ Auch in Emmanuel Lévinas' Ethik ist das Subjekt allererst in seiner unabweislichen Verantwortung gegenüber dem absolut Anderen des Anderen begründet. Bevor sich das Ich als monadisches Subjekt behauptet, ist es immer schon vom Anderen angerufen, dem An-spruch des Anderen unterworfen. Der Andere ist der Störenfried des Ich-Selbst.

357 Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.144f.

358 Foucault, Michel: Freiheit und Selbstsorge, 1985, S.26

359 vgl. Foucault, Michel: Freiheit und Selbstsorge, 1985, S.26

360 vgl. S.189f. d. Arbeit

361 vgl. Foucault, Michel: Freiheit und Selbstsorge, 1985, S.27

362 Helsper, Werner: Schule in den Antinomien der Moderne, 1990, S.183; vgl. S.101f d. Arbeit

363 Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987b, S.255

364 Deleuze, Gilles: Foucault, 1987, S.101

365 Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, 1987, S.137

366 Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987b, S.254

367 ebd., S.257

368 ebd., S.255

369 Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987b, S.254

370 vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.173 Foucault spricht an der zitierten Stelle zugestandenermaßen nicht vom Selbst, sondern vielmehr vom Leben und dem Menschen als Lebewesen, dem letztlich ein bestimmtes Begehren, ein Sex innewohnt. Die von mir vor- genommene Analogisierung dieser Idee mit der Vorstellung vom Selbst scheint mir hier wie im folgenden aber durchaus angemessen, da - wie erwähnt - die Sexualität Foucault nur als Beispiel dient. (vgl. S.155f. u. S.187 d. Arbeit) Umgekehrt nimmt das Selbst in Rogers' The- orie denjenigen Stellenwert ein, den etwa Wilhelm Reich dem Sex zu- weist: als eine ursprüngliche, revolutionäre, von der Macht unter- drückte Instanz. Auch Reichs „sexuelle Revolution “ führt - wie der Un- tertitel suggeriert - „Zur charakterlichen Selbststeuerung des Men- schen “ (Reich, 1969)

371 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.173, siehe auch Anmerkung 370, S.199

372 Die hier gemeinte kritische Pädagogik vertritt z.B. der hamburger Reformpädagoge und Vorsitzender des Vereins „Humane Schule “ Wulf Wall- rabenstein, der sich wiederum explizit auf die Humanistische Psycholo- gie beruft.

373 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976a, S.41f

374 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.172, siehe auch Anmerkung 370, S.199

375 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.184, siehe auch Anmerkung 370, S.199

376 ders.: Dispositive der Macht, 1978, S.32

377 Schulen in Freier Trägerschaft müssen sich (in der BRD) von staats- wegen genehmigen lassen, damit die Schüler/-innen, die sie besuchen, ihrer Schulpflicht Genüge tun und deren Eltern sich nicht strafbar ma- chen. Genehmigte Ersatz-Schulen müssen in erster Linie ein besonderes pädagogisches Interesse, was die Gesellschaft an ihr haben kann, und ihre grundsätzliche Orientierung an den Zielen und Zwecken der Staats- schule nachweisen. In ihrer alltäglichen Praxis sind sie relativ unab- hängig von staatlichen Vorgaben. Schulabschlüsse dürfen diese Schulen nicht vergeben. Anerkannte Ersatzschulen haben das Recht, eigene Schulabschlüsse zu vergeben. Sie sind entsprechend enger an staatliche Vorgaben, Richtlinien und Lehrpläne gebunden und einer sehr viel in- tensiveren Schulaufsicht unterlegen. Spielräume für eine im Verhältnis zu Regelschule veränderten Praxis sind hier weitgehend eingeschränkt.

378 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen, 1977, S.185, siehe auch An- merkung 370, S.199

379 Beispielsweise in Form von individuellen Lernentwicklungsberichten.

380 So wurde z.B. meine Nachfrage, ob nicht eine berichtförmige, an den individuell mit den Schülern getroffenen Lernzielvereinbarungen orien- tierte Beurteilung, schließlich auch eine Beurteilung sei, in die ein gesellschaftlich erwarteter Zielhorizont eher verdeckt als offen hin- einwirkt, im Rahmen einer Diskussion mit den Verantwortlichen der ein- gangs erwähnten Initiative „Reformschule Hamburg e.V. “ geradezu belei- digt als nicht diskussionswürdiger „blanker Unfug “ abgeschmettert.

381 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, 1976, S.173

382 Authentisch bedeutet im Sinne des griechischen Ursprungs des Wortes (authenteo) das eigenmächtige Handeln. Der Authentes ist dementspre- chend im Griechischen der Mörder und im übertragenen Sinne der Gewalt- haber, der von eigener Hand und in eigener Verantwortung - ohne Bezug auf die anderen - etwas ausführt. Der erste Wortbestandteil von au- thentisch leitet sich von authos, selbst ab. Der zweite Wortbestand- teil ist nicht so leicht zu dechiffrieren. Nach Auskunft der Wörterbü- cher steckt in ihm dieselbe Wurzel wie „Sin“ , was ja bekanntlich Sünde bedeutet, in der älteren Bedeutung „schädlich “ , „sträflich “ heißt.

383 vgl. Arnold, Rolf: Schlüsselqualifikation und Selbstorganisation in Betrieb und Schule, 1994

384 So war während eines Vortrages an der Universität Hamburg auf der power-point-Folie von Susanne Stein, die u.a. die Organisationsent- wicklung am Hamburger IfL durchgeführt hat, zu lesen: „Organisations- entwicklung (OE): Menschenbild. OE ist ein wertegebundener Ansatz des Wandels: • OE basiert auf dem Menschenbild der humanistischen Psycholo- gie. • OE sieht den Menschen als lernfähig und lernbedürftig an, sowie bereit und in der Lage, in der Gesellschaft einen anerkannten Beitrag zu leisten“ , Susanne Stein, VIA Personal- und Organisationsentwicklung Hamburg.

385 vgl. die Arbeiten und „Institutionellen Schulentwicklungsprogramme “ von Hans-Günter Rolff. Kurt Lewin selber hat sich im Übrigen wohl eher als Kritischer Theoretiker angesehen.

386 vgl. Joseph M. Juran, einen der Gründungsväter des Qualitätsmanage- ments, zitiert nach Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung, 2000, S.140

387 Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, 1993, S.256f.

388 Zwar bringen zur Zeit auch jene Neuauflagen der klassischen Quizshows wieder Quote - insbesondere aber vermutlich deshalb, da sie versprechen, einen ein für alle mal und gut versorgt aus den Zwängen der Arbeitsgesellschaft zu entlassen.

389 Stern, Nr.6, 1.2.2001, S.27

390 Vielleicht sind es aber insofern gerade diese popkulturellen Phäno- mene, die einem eine Ahnung davon gewinnen lassen, daß das Problem der authentischen Selbstidentität, welches hier als das zentrale Problem der Moderne und aller hier verhandelten pädagogischen Denkweisen und Praktiken angesehen wird, auf Dauer gar kein Problem mehr darstellen wird. Die Forderung nach Authentizität ist zwar entscheidendes Element in dem Spiel, doch die Produktionsmechanismen im Hintergrund sind zu offensichtlich: die Grenzen zum Fake beginnen zu schwinden - und nicht, da ja doch alles nur inszeniert ist, sondern da die Inszenie- rung das Echte ist und die Ununterscheidbarkeit der Reiz des Spiels. Authentizität tritt zunehmend als zitierte auf. Sie wird selbst zur Maske. Insofern könnte man behaupten, Queen of Pop wird man, indem man das Spiel mit den authentischen Masken derart virtuos spielt, daß deutlich wird, daß es kein Original gibt, niemals gegeben hat - das wäre oder war mal subversiv und rebellisch. Zudem würde es die vorliegende Ar- beit gänzlich hinter die aktuellen Fragen zurückfallen lassen. Oder aber man interpretiert die neuerliche Massenunterhaltung als letztes Aufbäumen des Gebots zum Selbst-Sein und behauptet, Queen of Pop wird diejenige, die die Suche nach dem wirklich wahren Selbst und dessen Weg zur Verwirklichung als unabschließbare, lebenslange Arbeit an sich selbst öffentlich inszeniert. Wahrscheinlich ist es beides, denn „Mu- sic makes the bourgeoisie and the rebel come together “ (Madonna: Mu- sic/Music, 2000).vgl. auch Holert, Tom /Terkessidis, Mark (Hrsg.): Mainstream der Minderheiten, 1996, insb. Einführung

391 Berger: „Zeig mir dein Gesicht“ , Titelsong der zweiten Staffel der RTLII-Realsoap „Big Brother “

392 Foucault, Michel: Wahrheit, Macht, Selbst, 1993d, S.22

393 Foucault, Michel: Wie wird Macht ausgeübt?, 1987, S.257

394 Sie nimmt ihren Gegner ernst und ist interessiert an einem ausgeglichenen Kräfteverhältnis. Sie sympathisiert gar mit der einen oder anderen Strategie des Humanismus, sieht deren Notwendigkeit in bestimmten historischen Situationen oder sozialen Konstellationen.

395 Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung, 1969, S.3

396 Foucault, Michel: Kritische Theorie und die Krise des Regierens, 1978, S.6; vgl. ders: Der Mensch ist ein Erfahrungstier, 1996a, S.82

397 ebd. S.6 bzw. S.83f.

398 Wie Jürgen Habermas zu sagen pflegt

399 vgl. Foucault, Michel: Was ist Kritik ?, 1992b, S.8

400 vgl. Schmid, Wilhelm: Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991, S.71

401 ebd., S.94

402 Schmid, Wilhelm: Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991, S.81

403 Foucault, Michel: Was ist Kritik ?, 1992b, S.11f.

404 ders., zitiert nach Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, 1997, S.361

405 ders.: Was ist Aufklärung, 1990a, S.45

406 Foucault, Michel: Was ist Aufklärung, 1990a, S.49

407 ders.: Kritische Theorie und die Krise des Regierens, 1994, S.6; vgl. ders.: Der Mensch ist ein Erfahrungstier, S.83f.

408 Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.15

409 ders.: Der Gebrauch der Lüste, 1986, S.15

410 Bourdieu, Pierre: Reflexive Anthropologie, 1996, S.269

411 ebd.,S.261

412 Bourdieu, Pierre: Reflexive Anthropologie, 1996, S.270

413 ebd., S.267

414 Aus einer ausdrücklich bildungs ethnologischen Perspektive zeigt beispielsweise Alfred Schäfer, wie die Begegnung mit der fremden Kultur zur Relativierung der Vorstellung vom selbstverantwortlichen, über sich selbst und die Welt verfügenden Subjekts führen kann. vgl. Schäfer, Alfred; Unbestimmte Transzendenz, 1999

415 Amann, Klaus/ Hirschhauer, Stefan: Die Befremdung der eigenen Kultur, 1997, S.36f.

416 Wimmer, Michael: Die Gabe der Bildung, 1996, S.138

417 ebd., S.149

418 Pazzini, Karl-Josef: Kulturelle Bildung im Medienzeitalter, 1999, S.19 u. S.8 Pazzini spricht in dem gegebenen Zusammenhang ausschließlich von Kul- tureller Bildung, die er aber explizit als ästhetische Bildung ver- steht (S.9). An anderer Stelle sagt er wiederum, daß alle Bildung äs- thetisch sei.

419 Wie diese Arbeit möglicherweise verdeutlicht hat, werden sich die Institutionen ganz von allein auf einem freien Bildungsmarkt zum Verschwinden bringen und wird auch die Lehre im ursprünglichen Wortgebrauch von entpersonalisierten offenen Lernformen oder virtuellen Lernumgebungen ersetzt werden. Solcherlei (kritische) Forderungen aufzustellen, bedeutet somit im Grunde genommen einer ohnehin ablaufenden, herrschenden Bewegung das Wort zu reden.

420 Koller, Hans-Christph: Bildung und Widerstreit, 1999, S.154f.

421 S.-Sturm, Eva: Weiße Tücher, weiße Tasche, weiße Karte, 2000, S.160

Excerpt out of 248 pages

Details

Title
Selbst-Sein. Zur Gouvernementalität der humanen und autonomen Schule
College
University of Hamburg
Grade
sehr gut
Author
Year
2001
Pages
248
Catalog Number
V108947
ISBN (eBook)
9783640071364
File size
3593 KB
Language
German
Keywords
Selbst-Sein, Gouvernementalität, Schule
Quote paper
Stephan Münte-Goussar (Author), 2001, Selbst-Sein. Zur Gouvernementalität der humanen und autonomen Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108947

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