Die pikareske Erzählung "Lazarillo de Tormes" und das Problem des literarischen Kanons im Spanischunterricht


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

22 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kanon
1.1 Kanon und Unterricht
1.2 Kanondifferenzierung
1.3 Kanondiskussion in Spanien
1.4 Lehrplan

2. Textauswahl

3. Lazarillo de Tormes
3.1 Sachanalyse und didaktische Reduktion
3.2 Reihenvorschlag
3.3 Stundenvorschlag
3.4 Methodisch-didaktische Entscheidungen

Bibliographie

Anhang

Einleitung

Im Rahmen des Didaktikseminars „Don Quijote, Lazarillo, Don Juan & Co.: Literarischer Kanon und Spanischunterricht“ beschäftigten wir uns mit ausgewählten Werken der spanischen Literatur. Im Plenum und in Einzelvorträgen bearbeiteten wir Texte, die von einer solchen Qualität waren, dass sie es Wert zu sein schienen, in einen Kanon aufgenommen zu werden. Doch in dieser Feststellung liegt schon ein Problem: an welcher Art Kanon kann und soll man sich als Lehrer orientieren, um sowohl Schülerinteressen zu wahren als auch literaturwissenschaftliche Kriterien zu berücksichtigen? An der Universität setzten sich die meisten Veranstaltungen mit den „großen Klassikern“ Don Quijote, Lazarillo, Don Juan etc. auseinander, doch sind diese Werke auch für die Schule geeignet? Spontan würden wohl viele Kollegen antworten, dass dies nicht der Fall sei. Was liest man also im Unterricht mit Lernenden, die zwei, drei Jahre mit der neuen Fremdsprache zu tun haben? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hilft die Befragung des Rahmenplans nur bedingt weiter, da dort an keiner Stelle explizit von einem Kanon die Rede ist.

Im Seminar untersuchten wir Texte exemplarisch anhand ausgewählter Textstellen. Zu allen vorgelegten Texten stellten wir uns die Frage, ob die Texte eine Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung für die Schüler darstellten. Wenn diese Frage mit ja beantwortet werden konnte, erachteten wir den Text als brauchbar, um in den Lektürekanon des Schulunterrichts aufgenommen zu werden. Wir fragten weiterhin, ob ein Lektürekanon im Unterricht nötig sei. Reicht es nicht aus, Sachtexte der unmittelbaren Gegenwart zu benutzen, um den Aktualitätsbezug, der im Lehrplan gefordert wird, zu gewähren. Hierzu musste auch auf die Frage eingegangen werden, welche Art des Textes (Originaltext oder adaptierte Fassung) vom Lehrenden ausgewählt werden müsse und wie der Text gelesen werden soll (kursorisch oder ausschnittsweise etc).

In der folgenden Arbeit werde ich als erstes kurz den gegenwärtigen Stand der Diskussion um die Frage „Lektürekanon im Unterricht“ darstellen. Des Weiteren werde ich auf den derzeitig gültigen Rahmenplan für das Fach Spanisch eingehen und zeigen, wie die Richtlinien in Bezug auf den Literaturunterricht gestaltet sind.

Daraufhin werde ich darlegen, welche Art von Texten ich als sinnvoll erachte, um sie im Unterricht einzusetzen. Sollten Originaltexte ganz oder kursorisch gelesen werden? Ist es sinnvoll, mit den sogenannten „Easy-Readern“ zu arbeiten oder nicht.

Der letzte Teil beschäftigt sich ganz konkret mit einem spanischen Literaturklassiker. Ich werde den „Lazarillo“ nach ausgewählten Aspekten hin überprüfen und der Frage nachgehen, ob es sinnvoll ist, dieses über 400 Jahre alte Werk im Spanischunterricht von heute einzusetzen. Zum Schluss werde ich eine mögliche Stundenreihe skizzieren und einen möglichen Stundenverlauf vorstellen.

1. Kanon

1.1 Kanon und Unterricht

„[...]:nichts ist älter als die Tageszeitung von gestern - Homer ist aktueller!“[1] Frage ich meine Kollegen, ob sie beispielweise „Madame Bovary“ im Französischunterricht der Oberstufe lesen würden, winken die meisten bloß ab und erklären: „viel zu schwer!“ Begibt man sich auf die Suche nach „originalen Klassikern“ in den Fachbibliotheken von Schulen, findet man weder im Englisch- noch im Französischfachbereich den typischen Klassiker. Vielleicht noch den „Kleinen Prinzen“ oder „Romeo und Julia“, also „kleine“, überschaubare Werke. Mehr ist nicht vorhanden, und falls doch, werden die Ausgaben von einer dicken Staubschicht bedeckt. Selbst im Deutschfachbereich stößt man auf keine wesentlich erfreulicheren Ergebnisse. Klassiker ja, aber bitte nur in kurzen Auszügen - anders scheint der Umgang mit Literatur nicht bewältigt werden zu können.

In der Fachliteratur zur Frage „Lektürekanon“ zeigt sich dem Leser ein deutlich anderes Bild. Die meisten Autoren fordern einen Lektürekanon und ermutigen Kollegen vehement dazu, Klassiker im Unterricht zu lesen. Ich selbst fand nur eine Aussage einer Autorin[2] aus den 60iger Jahren, die dazu aufforderte, nur aktuelle Literatur und Sachtexte zu lesen. Wieso besteht also ganz offensichtlich ein Bruch zwischen den Forderungen der Fachliteratur und dem Alltag der Schule? Ein Grund scheint sich in den Lehrplänen zu finden. Klassische Werke werden eher als Ausnahme mit aufgezählt. Dafür werden Namen ganz aktueller Autoren genannt, die in Deutschland teilweise völlig unbekannt sind und deren Werke nicht einmal in Spanien zu erhalten sind[3].

Die Aufgabe des Literaturunterrichts besteht darin, den Schüler handlungsfähig in der Zielsprache zu machen, das heißt seine Kommunikationsfähigkeit in der Zielsprache auszubilden. Was liegt näher, als ihm das Kulturgut des Landes der Zielsprache zu vermitteln? Mein Ziel als Fremdsprachenlehrende liegt nicht darin, Literaturwissenschaftler auszubilden. Dennoch erachte ich es als enorm wichtig, die Kultur des Landes zu vermitteln. Sollte sich also Schüler X in der Zukunft nach Spanien (das ist wohl das naheliegende) begeben, möchte ich ihm die Möglichkeit zu Anknüpfungspunkten für Gespräche bieten. Dies erreiche ich allerdings nicht, indem ich dem Schüler kurzweilige moderne Texte vermittle, sondern indem ich ihm Kulturgut, d.h. Klassiker vermittle, die im Zielland fast jeder kennt. Die Kenntnis der wichtigsten (‚klassischen’) Werke des Landes bereichern den Schüler sehr.

Das Kanonproblem ist bereits sehr alt, es geht bis in die Antike zurück[4]. Dennoch ist es noch immer und immer wieder ein sehr aktuelles Problem, wie die Kanon-Diskussion in allen geisteswissenschaftlichen Fächern beweist. Wenn die Lehrplaner sich heute verweigern, einen verbindlichen Kanon für die Schule zu gestalten[5], dann sollte dies meines Erachtens nicht als Schwäche, sondern als Chance erkannt werden. In einem Beitrag zum Kanon in der Schweiz von K. Spinner wird erwähnt, dass Lehrende den fehlenden Kanon als Freiraum betrachteten, den zu füllen als Privileg erachtet wird. Es wird an das „eigene[s] pädagogische[s] Gewissen und [an das] Wissen [des Lehrenden] als Richtschnur“[6] appelliert.

Über den Kanon wird bereits in der Zeit der alexandrinisch-byzantinischen Spätantike diskutiert. Als kanonisch wurden nicht nur Werke von Tragikern, Lyrikern und Rednern erachtet, sondern auch Skulpturen.[7] Die Frage, was in den Kanon mit aufgenommen werden soll, ist also nicht, wie Fehrmann behauptet, eine Problematik der „letzten Jahrzehnte“[8], sondern wesentlich älter, dennoch stellt Fehrmann berechtigterweise die Frage nach der Art der Medien (z.B. Bildtext, Hörtext), die in den Unterricht mit einfließen sollen[9]. Er geht in seinem Aufsatz noch weiter und stellt in Frage, „ob denn überhaupt Literatur geeigneter Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts sein könne“[10]. Ich werde in der vorliegenden Arbeit nicht auf diese Frage eingehen, da die Erörterung hierzu einer eigenen Arbeit bedürfte. Für diese Arbeit gilt, dass die Entscheidung, eine klassische Lektüre zu lesen bereits gefällt worden ist, und dass nun entschieden werden soll, welches Werk ausgewählt wird.

Simone Winko definiert den Begriff „Kanon“ als „Korpus literarischer Texte [...], die eine Trägergruppe, z.B. eine ganze Kultur [...], für wertvoll hält, autorisiert und an dessen Überlieferung [...] interessiert ist“[11]. Seit Beginn der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde über den Kanonbegriff angefangen zu diskutieren, da die Gegner in ihm ein „Machtinstrument“ sahen, das zur „Ausgrenzung und Abwertung [...] kultureller Randgruppen“[12] führe. Weitere Argumente gegen einen Kanon listet Erwin Klein auf: Kanones seien konservativ, reaktionär, elitär und undemokratisch[13], Georg Fehrmann erwähnt noch die Kritik von Vansant, die im traditionellen Kanon eine Widerspiegelung „männlich geprägte[n] Gedankenguts“ sieht, „unter Vernachlässigung von ganzen gesellschaftlichen (Frauen-)Gruppen“[14]. Die Befürworter des Kanons sehen diese Gefahren nicht. Kanones stifteten Identität, sie gäben Handlungsorientierung, sie sicherten Kommunikation über gemeinsame Gegenstände[15]. Die Bedenken, die von den Gegnern des „traditionellen“ Kanons geäußert werden, sind sicherlich berechtigt, gelten aber nur in eingeschränktem Maß für die Schule. Bei Fricke fand ich ein aussagekräftiges Zitat – dem ich mich anschließen möchte - aus der Wochenzeitung „Die Zeit“, das für einen Kanon für Kinder eintritt und damit natürlich auch für Schüler gilt: „[...] Kinder haben ein Menschenrecht darauf, dass Erwachsene Informationen für sie vorsortieren.“[16]

Harold Bloom veröffentlichte 1994 ein Buch mit dem Titel „The Western Canon“, welches die Kanondebatte wieder neu entfachte[17]. In einer autoritativen Liste seien Meisterwerke der Literatur aufgezählt, die ausschließlich aus Autoren des westlichen Kulturkreises bestünde[18]. 26 Autoren werden zur Weltliteratur gerechnet, darunter Cervantes als alleiniger Vertreter für Spanien, Borges und Neruda als Vertreter der Spanisch sprechenden lateinamerikanischen Welt. Der „Lazarillo“ taucht erst im Kontext des Index’ des spanischen Kanons auf[19].

Als Kriterium für seine Auswahl setzte Bloom den Begriff der strangeness an, hierunter verstand er „die Durchbrechung des Erwartungshorizonts“[20]. Für Italo Calvino gilt ein Werk als kanonwürdig, wenn es 14 Attribute erfüllt:

„Es sind solche Bücher, die man immer wieder liest; die eine persönliche Bereicherung während und nach dem Lesevorgang darstellen; die einen besonderen Einfluss auf Individuum und kollektives Gedächtnis ausüben; die bei jeder neuen Lektüre genauso voller Entdeckungen stecken wie bei der ersten; die bei der ersten Lektüre bereits ein Wiederlesen erzeugen; die nie aufhören noch aufgehört haben, das zu sagen, was sie zu sagen haben; die Spuren hinterlassen, diejenigen früherer Lektüren, aber auch solche im Sprachgebrauch und in den Sitten der Länder; die ständig eine „Staubschicht“ literaturkritischer Diskurse auf sich ziehen, um sie dann wieder – unbeschadet, möchte man sagen – abzuschütteln; es sind Schriften , die man als um so neuer und überraschender entdeckt, je genauer man sie vom Hörensagen zu kennen glaubt; die einem Universum gleichkommen; die zur persönlichen Betroffenheit zwingen, zur Selbstdefinition in Bezug auf oder im Kontrast zu dem Klassiker; deren Platz in der Genealogie der Klassiker sofort deutlich wird; die die Gegenwart zum Hintergrundgeräusch werden lassen und gleichzeitig ohne jedes Geräusch nicht auskommen; und schließlich sind es solche Werke, die als Hintergrundgeräusch verweilen, selbst wenn die ‚inkompatibelste Aktualität vorherrscht’.“[21] [Unterstreichungen von mir.]

Auf diese 14 Attribute hin sollte der Lehrer im Vorfeld eine möglichen Schullektüre untersucht haben, um das Werk in die engere Auswahl aufzunehemen; das endgültige Attribut sollte meines Erachtens nach aber sein, dass der Text für die Schüler einen Gegenwarts- und eine Zukunftsbedeutung besitzt.

1.2 Kanondifferenzierung

Unterschieden werden muss im Vorfeld zwischen den Begriffen „Literaturkanon“ und „Lektürekanon“. Ein ‚Lektüre-Kanon’ ist laut Kochan „eine Aufstellung jener literarischen Texte, die [...] für die Behandlung im Literaturunterricht vorgesehen sind und in deren verbindlichen Rahmen der Unterrichtende auswählen kann“[22], er ist also ein „normatives Instrument schulischer Unterweisung“[23]. Unter „verbindliche[m] Rahmen“, von dem Kochan hier spricht, versteht er den Rahmenplan des jeweiligen Faches. Für das Fach Spanisch muss der Begriff differenziert werden, da der Rahmenplan für das Fach Spanisch (s.u.) keinen verbindlichen Lektürekanon vorgibt. Hier wäre es also ratsam, wenn der Fachbereich der Schule einen solchen Rahmen schaffen würde, indem sich verbindlich über den Einsatz bestimmter Lektüren geeinigt würde.

Der ‚Literatur-kanon’ hat eher die Funktion der Beschreibung und des Sammelns all dessen, „was Literarität und literarische Geselligkeit im jeweils aktuellen Literaturbetrieb ausmachen; er bewahrt – zeitübergreifend – den literarischen Bestand, der überdauert hat, aufgehoben fortlebt und vorbildlich, d.h. klassisch ist.“[24] Fehrmann erwähnt noch den „individuellen Lehr kanon eines Lehrers“[25]. Hierbei handelt es sich um die Texte, die der Lehrer in der Praxis erfolgreich verwendet hat und nun immer wieder einsetzen würde. Meier weist auf das Einflussvermögen des Lektürekanons bzw. Lehrkanons hin, welches nicht zu unterschätzen sei. „Der Lektürekanon ist ein nicht zu unterschätzender Faktor im Prozeß der Bewußtseinsbildung, im Prozeß der Produktion von Einstellungen, Wertvorstellungen und Urteilskriterien in den Köpfen der Schüler[...]“[26].

1.3 Kanondiskussion in Spanien

Die Kanondiskussion in Spanien ist vergleichbar mit der Situation in Deutschland. Beide Länder sind wesentlich beeinflusst von der von Bloom angestoßenen Debatte. Neben vielen Fürsprechern gebe es, laut Pozuelo, „no sólo [...] desconfianza, sino [...] hostilidad“[27]. Auch in Spanien werden die Fragen „Êqué es literatura? o bien Êqué enseñamos?“[28] stark diskutiert. Eine Folge davon könnte sein, dass – wie im Seminar erwähnt - in jüngster Zeit in einigen Gebieten Spaniens der „Don Quijote“ aus dem verpflichtenden Lektürekanon herausgenommen wurde. Dies ist einerseits erstaunlich, da der „Don Quijote“ unzweifelhaft und unangefochten das berühmteste Werk Spaniens ist und zu den „Klassikern“ der Weltliteratur zählt[29]. Andererseits auch deswegen, weil „in den romanischen Ländern eine besonders starke schulische Kanontradition besteht“[30].

Anders als in der deutschen Debatte, in der die derzeitige Krise des Kanons als etwas Negatives angesehen wird[31], scheint man in Spanien in der Kanondiskussion eine Chance zur (positiven) Veränderung zu sehen. Pozuelo schreibt, „vemos esta situación de crisis en un sentido positivo“[32]. Die Hauptdebatte in Spanien kreist um die Fragestellung der Verortung von Literatur im Zeitalter elektronischer Medien, „el papel [de la literatura] en un mundo [...] en la era del ‚lenguaje electrónico’“[33].

Robinson weist auf die Offenheit und Veränderbarkeit des Kanons hin: „[..] hay que quitar algo cada vez que se añade algo, y es cuando las ideologías, estéticas y extraestéticas, entran necesariamente en juego“[34].

Wendell V. Harris liefert sieben Funktionen, die ein Kanon erfüllen soll. Mindestens fünf der sieben Punkte dienen der Implementierung des kollektiven Gedächtnisses. [El canon debe] „transmitir una herencia intelectual, crear marcos de referencia comunes, intercambiar favores [...], ofrecer una perspectiva histórica y pulralizar“[35].

1.4 Lehrplan

Im Lehrplan[36] tauchen die Begriffe „Literatur“ und „literarisch“, „Ganzschrift“ und „Lektüre“ nicht auf. Allerdings werden, wenn es um die Bedeutung des Faches geht, „aktuelle und historische literarische Werke aus Spanien und Lateinamerika“[37] erwähnt. Im Abschnitt „Interkulturelles Lernen, soziokulturelle Themen und Inhalte“[38] werden verschiedenste Themengebiete vorgestellt, die aber keinen Themenkanon darstellen. Literarische Werke werden erwähnt, allerdings kritisiert Klein, dass keine Transparenz bei der Auswahl der Werke bestehe[39]. Klein stellt eine „eindeutige [...] Präferenz für moderne Literatur“ fest, außerdem erscheint ihm „die Vorliebe für Autorinnen“ auffällig, sowie die „Vorrangstellung“ der „erzählenden Literatur“[40].

Klein resümiert in Anlehnung an Hans Robert Jauß, dass im neuen Lehrplan Spanisch die Trivialliteratur einen höheren Stellenwert einnehme, als die sogenannte Höhenkammliteratur[41].

Gräfin Schwerin von Krosigk findet die Erwähnung von „Literatur [...] relativ unkonkret [...]“.[42] Sie kommt zu dem Schluss: „Literatur JA, die konkrete Textauswahl ist vom Unterrichtenden in eigener Verantwortung zu treffen.“[43]

Der „Lazarillo“ scheint eine privilegierte Stellung einzunehmen, denn er wird im Lehrplan expliziert erwähnt und zwar im Zusammenhang mit Projektvorschlägen für den Bereich Kunst, Kultur und Literatur. Ein Projektvorschlag lautet: „Rezeption spanischer Literatur in Deutschland (Don Quijote, Lazarillo, Tirso de Molina, [...])“[44]. Die Lehrplanautoren scheinen dem „Lazarillo“ also die Kriterien zuzuerkennen, die Glaap[45] als Kriterien für die Auswahl eines Unterrichtsgegenstandes bestimmt hat. Dies sind zum einen literaturwissenschaftliche Kriterien (Universalität, Aktualität...), zum anderen das Kriterium der Adressatenbezogenheit (Lebenswelten der Jugendlichen, Identifikationsmöglichkeiten...) und drittens fremdsprachliche Kriterien (Eignung des Textes als Gegenstand für Interpretation und Kommunikation).

2. Textauswahl

Hat sich der Lehrende für einen Text entschieden, stellt sich für ihn die Frage, welche Art Text er den Schülern präsentiert bzw. wie er den Text im Unterricht bearbeiten wird. Er hat die Möglichkeit, den Text in der Originalfassung zu lesen; dafür muss er entscheiden, welche Ausgabe er wählt. Der „Lazarillo“ ist sowohl beim spanischen Verlagshaus „Cátedra“, als auch bei „clásicos castalia“ erschienen. Besonders die Ausgabe von Rico (Cátedra) ist sehr ausführlich kommentiert. Der erste Teil der Ausgabe gibt auf 139 Seiten Zusatzinformationen zum Text. Im Durchschnitt gibt es zu einer halben Seite Text eine halbe Seite Kommentierungen, die für Studenten zwar interessant sein mögen, für Schüler aber völlig ungeeignet sind. Für eine sehr starke Lerngruppe empfiehlt sich eher die „schlankere“ Ausgabe, die von Alberto Blecua bei „clásicos castalia“ herausgegeben wurde.

Beim Gebrauch dieser Ausgaben werden die Schüler auf Schwierigkeiten bei der Lektüre stoßen, da sie einerseits das Renaissance-Spanisch bewältigen müssen, andererseits wird Wissen vorausgesetzt, welches der Renaissance-Leser besaß, welches bei Schülern von heute aber nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Beispielsweise wird im Prolog von „Tulio“[46] gesprochen. Es erfordert ein großes Vorwissen, um zu erkennen, dass es sich bei dem so selbstverständlich Angeredeten um Cicero handelt. In der adaptierten Fassung des „Easy Readers“ fehlt diese Stelle. Dies entlastet den Text und fokussiert auf die Handlung. Bei der zu wählenden Textart kommt es also auf die zu erreichenden Lernziele an. Der Lehrer muss entscheiden, ob er zum Erreichen der Ziele den originalen Renaissance-Text lesen lässt, oder ob ein adaptierte Fassung genügt.

Andere brauchbare Alternativen der Textausgabe scheinen mir die Internetversionen zu sein, die man sich unter www.cervantesvirtual.com bzw. www.ups.edu herunterladen kann. Der Text bei „cervantesvirtual“ umfasst 39 Seiten und enthält keine kritischen Anmerkungen, von denen die Schüler „erschlagen“ werden könnten. Es handelt sich hier um den reinen Text, den nun Schüler und Lehrer gemeinsam auf unterschiedlichste Weise kommentieren können.

Für weniger starke Gruppen halte ich die Ausgabe von Klett in der Reihe „Lecturas Fáciles“ für geeignet. Im Text sind Kürzungen vorgenommen worden, die Satzteile sind teilweise vertauscht worden und dem Schüler höchstwahrscheinlich unbekannte Wörter sind durch bekannte ersetzt worden. Im Text sind Fußnoten ergänzt worden, die in einem einfachen Spanisch schwierigere Wörter erklären. Dem Text sind Bilder und Fragen hinzugefügt worden, die eine gelenkte Lektüre ermöglichen. Meines Erachtens nach wird der Stil des Originaltextes weitmöglichst beibehalten, so dass kein Verlust der Literarizität befürchtet werden muss.

In der fachdidaktischen Diskussion lehnen die meisten Autoren den Einsatz von „Easy Readern“ ab[47]. Becker weist daraufhin, dass der Sinngehalt eines Werkes stark eingeschränkt werde, Handlungsstränge würden nicht primär sichtbar, die sprachliche Progression bei Schülern sei gering und schließlich käme es zu einem Verwischen von literarischer Sprache und Alltagssprache[48]. Natürlich ist es die Aufgabe des Lehrers, dass er jede Fassung, die er im Unterricht verwenden möchte, genauestens prüft – und sicherlich gibt es „Easy Reader“, die den Originaltext so verfälschen, dass der eigentliche Inhalt falsch dargestellt ist. Im „Lazarillo“ konnte ich diese Feststellung nicht machen. Die meisten vorgenommen Veränderungen erachte ich als sinnvoll. Für die meisten Schüler stellt die Tatsache, einen Text in der Fremdsprache gelesen zu haben, ein Erfolgserlebnis dar, welches sich positiv auf die Lernmotivation auswirkt. Ich denke, dass jegliche Lektüre sich positiv auf die sprachliche Progression auswirkt. Beckers o.g. Argument kann ich nicht zustimmen. Da ich meine Schüler nicht zu Literaturwissenschaftlern ausbilden will – das ist Aufgabe der Universität -, sehe ich in einer eventuellen Vermischung von literarischer Sprache und Alltagssprache kein großes Problem, da ich erstens will, dass der Schüler sich in der Zielsprache korrekt (also alltagssprachlich) ausdrückt, zweites können durch einen Vergleich mit Auszügen des Originaltextes die Veränderungen und Unterschiede bewusst gemacht werden.

Vences hebt hervor, dass der Lehrplan den Einsatz von „Lecturas Fáciles“ verbiete, da diese Art von Lektüre den erhobenen Forderungen nach Authentizität nicht gerecht werde[49]. Dieses Argument greift aber in dem Moment nicht mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass es eine Reihe spanischer Verlage gibt, die auch adaptierte Fassungen für spanische Schüler herausgeben[50]. Man könnte an dieser Stelle darüber diskutieren, ob eine adaptierte spanische Fassung als ein authentischer (muttersprachlicher) Text gilt.

Becker erwähnt auch die Vorteile des Einsatzes von Easy Readern. Sie könnten sehr früh im Unterricht eingesetzt werden. Der Text könne recht zügig gelesen werden, ohne dass große Abschnitte vom Lehrer oder von Mitschülern zusammengefasst werden müssen. Die Schüler erhielten einen unmittelbaren Zugang zur Literatur der Zielsprache und es werde ein leichterer Einblick in wichtige Bereiche der Literatur ermöglicht[51].

Meines Erachtens nach muss der Einsatz von Easy Readern individuell geprüft werden; Becker schlägt sie für den AG-Bereich vor, ich denke, dass man durchaus in Grundkursen mit geeigneten Ausgaben arbeiten kann. Ich weiß aus persönlichen Erfahrungen zu berichten, dass es viele Schüler motiviert und anregt, selbstständig zu lesen, sobald sie einen leicht zu bewältigenden Text mit Bildern und Leitfragen vor sich liegen haben. Zu schwere Texte werden für die meisten Schüler eher zum „Stolperstein“[52].

Hat der Lehrende sich für einen Text entschieden, stellt sich ihm die Frage, in welcher Weise der Text gelesen werden soll. Becker spricht sich für das „kursorische Lesen“[53] aus. Für ihn stellt das Beherrschen dieser Lesetechnik „eine der wichtigsten Fertigkeiten [dar], die im und für den Literaturunterricht erworben werden sollten“[54]. Unter kursorischem Lesen wird das „nicht gründliche“ Lesen[55] bei hohem Lesetempo verstanden. Der Lesevorgang soll automatisiert werden, indem der Schüler sich Techniken des inferierenden Lesens (Wortfamilien, internationale Parallelen, Wortzusammensetzungen, Prä- und Suffixe etc.)[56] aneignet. Der Lehrer erleichtere den Zugang zum Text, indem er ihn durch „Schlüsselwörter“[57] vorentlastet. Letztendlich soll der Schüler zu einer „Selb-ständigkeit [sic] hinsichtlich des Lesens“[58] erzogen werden. Um oberflächlichem Lesen vorzubeugen, schlägt Becker vor, „nicht immer kursorisch [zu lesen]. An Scharnierstellen, wichtigen Wendepunkten der Handlung, bedeutungsvollen Stellen kann durchaus auch einmal eine Detailanalyse vorgenommen werden.“[59] Außerdem schlägt er vor, „weniger wichtige Abschnitte [...] von Schülern [zusammenfassen zu lassen]“[60]. Für mich stellt diese Aussage den Schwachpunkt des Textes von Becker dar. Becker lehnt einerseits adaptierte und verkürzte Texte ab, aus Angst, dem Text als Gesamtkunstwerk nicht gerecht zu werden. Andererseits suggeriert er dem Schüler durch unterschiedlich intensives Lesen, dass es wichtige und unwichtige Stellen im Text gibt. Becker fokussiert auf Schlüsselszenen im Text, lehnt aber gleichzeitig eine „Häppchenlektüre“[61] ab. Vences führt als Vorteil der Lektüre in der Gruppe an, „dass nicht immer alle alles lesen müssen“[62], obwohl auch sie das Lesen der Ganzschrift favorisiert und das Lesen einzelner Textstellen ablehnt[63].

Je nachdem, welche Lernziele ich verfolge, halte ich sowohl skimming, scanning, das kursorische und das totale Lesen[64], als auch das Lesen von Textauszügen, in denen Schlüsselszenen dargestellt werden, für sinnvoll und zulässig.

Für die Behandlung des „Lazarillo“ schlägt Lindau[65], der mit der Ausgabe von Cátedra arbeitet, dreizehn kürzere Textausschnitte vor, von denen keiner länger als eine Seite ist. Anhand von fünf Textstellen wird das erste Tratado behandelt, drei sind für das zweite Tratado vorgesehen, drei Testausschnitte behandeln das dritte, ein Textauschnitt das sechste und eine Textstelle das siebte und letzte Tratado. Lindau hält es also für möglich, dass das Werk nicht als Ganzschrift behandelt werden muss, sondern dass es auch über ausgewählte Sequenzen be- und erarbeitet werden kann.

3. Lazarillo de Tormes

3.1 Sachanalyse und didaktische Reduktion

Der „Lazarillo de Tormes“ gilt als „Prototyp“[66] der pikaresken Erzählungen. Hierin liegt die Exemplarizität des Textes begründet. 1554 wurde das Werk in drei verschiedenen Ausgaben, an drei verschiedenen Orten anonym veröffentlicht. Die Handlung, die fingierte Autobiographie des Antihelden Lazarillo, wird in einem Prolog und sieben „Tratados“ dargestellt. Die Bezeichnung der Kapitel als „Tratado“ ist parodistisch zu verstehen, da es sich nicht um eine wissenschaftliche, sondern um eine literarische Darstellung handelt. Der Erzähler wendet sich an einen Zuhörer „Vuestra Merced“[67] und damit an den Leser. Die Erlebnisse des pícaro – der in diesem Werk noch nicht so genannt wird – werden aus einer Sicht von unten, aus der Sicht des sich am Rande der Gesellschaft befindlichen Außenseiter Lázaro in der Form eines Ich-Erzählers, der sowohl aus dem direkten Erleben heraus, als auch mit der Distanz der Retrospektive erzählt, dargestellt. Es handelt sich um ein personales Erzählen.

Lázaro ist der Sohn krimineller, der Unterschicht zugehöriger Eltern. Mit acht Jahren wird er einem blinden Bettler anvertraut, dem er fortan zu dienen hat. Bei ihm geht Lázaro in eine harte Schule, da der Bettler grausam und hartherzig ist. Lázaro beißt sich durch und lernt mit den harten Lebensbedingungen umzugehen. „Bei diesem geizigen und geschäftstüchtigen Gauner erfährt Lázaro die Initiation in sein eigenverantwortliches Leben als Angehöriger der Unterschicht“[68]. Am Ende des ersten „Tratados“ rächt er sich für die Grausamkeiten des Bettlers, indem er ihn gegen einen Steinpfeiler springen lässt und ihn hilflos zurücklässt. Die „Lehrzeit“ Lazarillos ist zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. Von nun an dient Lázaro den unterschiedlichsten Herren, die sich fast alle in Geiz und Grausamkeit übertreffen. Am Ende ist Lázaro auf dem „cumbre de toda buena fortuna“[69] angelangt. Er hat eine gesicherte Anstellung als Ausrufer - die eng mit dem Amt des Henkers verbunden zu sein scheint[70] - und ist mit der Konkubine des Erzpriesters[71] verheiratet.

Trotz der vielen humoristischen und ironischen Stellen im Text, stellt der Autor eine negative Weltsicht dar. Grundthemen sind Hunger und Heuchelei. Der Mensch scheint dem launischen Schicksal „Fortunas“ unausweichlich ausgeliefert zu sein. Der Begriff „virtus“ (Tugend) wird umgedeutet. Gefragt sind keine christlichen Tugenden, sondern Tugend im Sinne von Gewitzt- und Gewieftheit. Um zu Überleben muss Lázaro lernen, sich durchzuschlagen, Vergeltung zu üben, zu betteln und zu stehlen etc. Lázaro schlägt sich mit diesen „Tugenden“ so weit durch, bis er den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft hat, der allerdings auch trügerisch ist. Da ihm Hörner aufgesetzt werden und er den geächteten Beruf eines Ausrufers des Henkers ausübt, lebt Lázaro mit einer Lebenslüge, die er sich selbst nicht eingesteht.

In der Frage nach „fortuna“ und „virtus“ sehe ich eine Verbindung zum Fach Philosophie. Bereits in der Jahrgangsstufe 11 wird das Thema „Glück“ behandelt. Im Roman wird eine Welt dargestellt, „in der Glück und Unglück vom Zufall bestimmt sind“[72]. Man könnte nun diese Einheit wieder aufgreifen und zur Diskussion stellen, inwieweit Schicksal und Tugend das Leben des Menschen beeinflussen können. Hieran könnte sich ein kurzer Gang durch die Kulturgeschichte anschließen, da dieses Thema „in der Antike entfacht, im Mittelalter wachgehalten, durch italienische Humanisten seit Petrarca intensiviert wurde“[73].

Eine weitere Verbindung kann zum Fach Pädagogik hergestellt werden. Lázaro geht beim Blinden sozusagen in die Lehre. „Der >>Lehrer<< unterweist so schlecht, daß sich der >>Schüler<< eigene Handlungsmuster schafft. Der Educandus wird zu hartgesottener Individualität gezwungen“[74]. Anknüpfend an das Kursthema „Erziehungssituationen und Erziehungsprozess“[75] der Jahrgangsstufe 11, könnte das Thema Erziehungsziele, -mitte und –stile noch einmal thematisiert werden, sowie die Themen „Erziehung in früheren Epochen, in verschiedenen Milieus und Kulturen“.

Im Laufe der Erzählung stellt sich der Erzähler immer wieder „moralphilosophische“[76] Fragen. So geht es beispielsweise um die Frage, ob Geiz oder Habgier „auf persönlicher Anlage beruhe“[77]. An dieser Stelle könnte an den Pädagogikunterricht der Jahrgangsstufe 12 angeknüpft werden. Im Rahmen der Thematik „Grundlagen und Interdependenzen von Entwicklung und Sozialisation“ soll den Schülern ein Zugang durch die Anlage-Umwelt-Problematik verschafft werden[78]. Lázaro fragt sich an einer Stelle scheinbar beiläufig, ob der Geiz des Klerikers angeboren sei oder nicht: „no sé si de su cosecha era o lo había anejado con el hábito de clerecía“[79].

An einer anderen Stelle stellt Lázaros „Stiefvater“ die rhetorische Frage, wie viele Menschen Angst vor einer Eigenschaft besitzen und diese bekämpfen, obwohl sie diese selbst besitzen, es bloß noch nicht erkannt haben: „¡Cuántos debe haber en el mundo que huyen de otros porque no se veen a sí mesmos!“[80]

Simson beurteilt die Sprache des Romans als „klar [und] witzig“[81]. Das Werk gilt als Reaktion auf die Ritter-, Schäfer- und Sentimentalromane, in denen die Sprache und der Stil oft ausschweifend und kompliziert ist, aufgrund der komplizierten Verstrickungen der Helden. So wurde das „kurze“ Werk anfangs aufgrund der simplen parataktischen Konstruktionen als arm und schwerfällig[82] empfunden. Sieht man vom weniger vertrauten Renaissance-Spanisch ab, eignet sich der „Lazarillo“ besonders gut für die Lektüre in der Schule, auf Grund der „angenehme[n] Unkompliziertheit, ungewöhnliche[n] Klarheit [und] lesergerechte[r] Dynamik“[83].

In der Renaissance dienen (Auto-)Biographien einerseits dazu, die Lesefreude des Lesers zu wecken, andererseits dienen sie aber auch dazu, den Leser in Fragen der Lebensplanung und -ausrichtung zu unterweisen[84]. Lazarillo wird gezwungen, sein Glück zu erkämpfen. Hierin sehe ich einen aktuellen Bezug zu der Situation der Schüler von heute. Auch der modere Mensch muss sich sein Glück erkämpfen und mithilfe verschiedenster Tugenden verstehen, es zu bewahren. Fortuna sitzt nicht mehr auf einem Rad und entscheidet über Erfolg und Misserfolg, heute scheinen die großen Konzerne diese Aufgabe zu übernehmen. Sie entscheiden über den Verbleib von Arbeit an Konferenztischen, ohne dass die Arbeitnehmer Einfluss auf die Entscheidungen ausüben können.

Der Autor der unten erwähnten Internet-Einheit[85] zum Lazarillo sieht den Aktualitätsbezug an einer anderen Stelle, die ich nicht als falsch, dennoch als zu vordergründig erachte: „El Lazarillo podría ser cualquier niño abandonado de las calles de cualquier ciudad latinoamericana, o de la India actual. El tema está más vivo que nunca...“[86]

3.2 Reihenvorschlag

Thema der Einheit: Initiationsgeschichten. Reifungsprozesse in Auseinandersetzung mit der Umwelt

Rahmenplanbezug: Ganzschriften – La gente joven en la literatura – En busca de la identidad

Mögliche Stundenabfolge:

1. Stunde: Von der Geburt Lázaros bis zum Verlassen der Mutter

2. Stunde: Der Schlag gegen den Stier – Der Beginn des

Erwachsenwerdens – Formen der Erziehung

3. Stunde: Der Mundraub Lázaros und die Zügelung des Blinden

4. Stunde: Die Vergeltung Lázaros – Das Ende der Lehrzeit

5. Stunde: Das Ende der Erzählung – Der Mensch zwischen ‚fortuna’ und ‚virtud’

6. + 7. Stunde: Die Initiation Albertos in der Erzählung „Vieja moralida“ de Carlos Fuentes

8. Stunde: Vergleich der Protagonisten Alberto und Lázaro und deren „Erzieher“

9.+10. Stunde: Vergleich der Initiation Albertos und Lázaros

Im Anhang befindet sich ein Reihenvorschlag aus dem Internet[87]. Das Thema der Einheit lautet „El trabajo de los jóvenes en la literatura“. Mit dem Protagonisten Lazarillo wird der Held Carlos aus dem Buch „Historias del Kronen“ von José Angel Mañas verglichen. Die vorgestellte Einheit ist sinnvoll aufgebaut und viele vorgeschlagene Übungen sind sinnvoll einzusetzen; allerdings halte ich das Ziel der Aufgaben für zu einseitig, da es sich hauptsächlich um Textverständnisaufgaben handelt.

3.3 Stundenvorschlag

Als Textgrundlage für diese Stunde dienen die Seiten 14, Zeile 11 bis Seite 16, Zeile 9 des „Lazarilo de Tormes“[88].

Gegenstand der Stunde: El golpe contra el toro de piedra

Thema der Stunde: Erwachsenwerden des Lazarillos am Beispiel der Brückenszene

Ziel der Stunde: Die Schüler erkennen die Bedeutung des Schlags gegen der Stier als Ausdruck der beendeten Kindheit Lazaros

Lerngruppe: Grundkurs 12/II

3.4 Methodisch-didaktische Entscheidungen

Der Einstieg in die Stunde erfolgt über ein Bild[89], welches eine Brücke und einen Stier darstellt. Über die Symbolik von Brücke ( conexión entre dos puntos, de camino a otro lugar, a otro mundo, una carretera encima de algo que es desconocido) und Stier (fuerte, fértil, peligroso) werden die Schüler in die Thematik eingeführt. Ein visueller Einstieg hat den Vorteil, dass Vorstellungen gebildet werden, und dass es zu einer Vorentlastung kommt. Nun wird den Schülern das Bild von Lázaro[90] gezeigt, er hält sich den Kopf vor Schmerzen. Die Schüler werden aufgefordert, Vermutungen darüber anstellen, was passiert sein könnte und wie der „Ciego“ darauf reagieren könnte. Alternativ könnte auch das Bild des lachenden „Ciegos“ gezeigt werden[91], doch da sich die Stunde um die Initiation Lázaros handelt, er also im Mittelpunkt steht, ziehe ich es vor, das erst genannte Bild zu zeigen.

Nun wird das eigentliche Bild gezeigt, das Lazarillo unmittelbar nach dem Stoß gegen den Stier zeigt[92], während der „Ciego“ ihn auslacht. Dieses Bild ist für die Schüler sicherlich schockierend, da sie mit einer solchen Konstellation nicht rechnen würden. Das Bild wird an die Schüler verteilt und außerdem ist es für alle sichtbar auf Folie vorhanden. In der Erarbeitungsphase I werden die Schüler gebeten, das Bild zu beschreiben. Wichtige Wörter ergänzt der Lehrende auf der Folie (toro, piedra, puente, golpe, partirse de dolor, reírse a carcajadas...). Nun sollen die Schüler Hypothesen bilden, wie es zu der dargestellten Situation gekommen sein mag. Die Hypothesen werden an der Tafel festgehalten. In der Erarbeitungsphase II werden die Schüler gebeten, den kurzen Text zu lesen. In Partnerarbeit soll die eine Hälfte der Klasse den Vorgang aus Sicht Lázaros beschreiben, die andere Hälfte aus Sicht des „Ciegos“. Die Schüler, die den Lazarillo bearbeiten, haben außerdem die Aufgabe die Gefühle des Jungen darzustellen, die anderen Schüler sollen das Verhalten des „Ciegos“ begründen.

In der Auswertungsphase tragen die Schüler ihre Texte vor. In einer Tabelle ergänzen alle die Gefühle Lázaros und die Gründe des „Ciegos“ stichwortartig. In der Transferphase bewerten die Schüler das Verhalten der Protagonisten aus heutiger Sicht.

Bibliographie

Primärliteratur:

Anonymus: Lazarillo de Tormes. Hrsg. von Pallares, Berta. (Klett) Kopenhagen 1976

Anonymus: La Vida de Lazarillo de Tormes, y de sus Fortunas y Adversidades. Hsrg. von Blecua, Alberto. (Castalia) Madrid 31982

Anonymus: Lazarillo de Tormes. Hrsg. von Rico, Francisco. (Cátedra) Madrid 172003

Fuentes, Carlos: Vieja moralida. (Klett) Kopenhagen 1993

Sekundärliteratur:

Altmann, Werner / Vences, Ursula (Hrsg.): Vom Lehren und Lernen: neue Wege der Didaktik des Spanischen. Berlin 1999

Becker, Norbert: Problemfelder der unterrichtlichen Behandlung von italienischen Erstlektüren im Italienischunterricht. In: Becker, Norbert [Hrsg.]: Einführung in die Lektüre italienischer literarischer Texte. Bamberg 2001

Fehrmann, Georg / Klein, Erwin [Hrsg.]: Literarischer Kanon und Fremdsprachenunterricht. Bonn 2001

Glaap, Albert-Reiner: Literatur im Fremdsprachenunterricht – Eine alte Frage neu gestellt. In: Fehrmann, Georg / Klein, Erwin [Hrsg.]: Literarischer Kanon und Fremdsprachenunterricht. Bonn 2001

Klink, Hella: Die literarische Ganzschrift im Grund- und Leistungskurs Spanisch – am Beispiel des Romans No pasó nada von Antonio Skármeta. In: Die Neueren Sprachen 93:2 (1994). S. 148-159

Kochan, Detlef C. [Hrsg.]: Literaturdidaktik, Lektürekanon, Literaturunterricht. Amsterdam 1990

König, Bernhard: (Anonym) - Lazarillo de Tormes. In: Roloff, Volker, Wentzlaff-Eggebert, Harald [Hrsg.]: Der spanische Roman vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2., aktualisierte Aufl., Stuttgart, 1995. S. 30-47

Lessing, Doris: Don Quijote im Spanischunterricht. In: Fehrmann, Georg / Klein, Erwin [Hrsg.]: Literarischer Kanon und Fremdsprachenunterricht. Bonn 2001

Lindau, Hans Christian: Narraciones Picarescas im Spanischunterricht. Bonn 1995

Meier, Bernhard: „Schultag um Schultag nach vorgegebenen Regeln“. In: Kochan, Detlef C. [Hrsg.]: Literaturdidaktik, Lektürekanon, Literaturunterricht. Amsterdam 1990

Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (1999): Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule: Richtlinien und Lehrpläne. Erziehungswissenschaft. Frechen: Ritterbach (Schriftreihe Schule in NRW Nr. 4719)

Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (1999): Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule: Richtlinien und Lehrpläne. Philosophie. Frechen: Ritterbach (Schriftreihe Schule in NRW Nr. 4716)

Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (1999): Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule: Richtlinien und Lehrpläne. Spanisch. Frechen: Ritterbach (Schriftreihe Schule in NRW Nr. 4707)

Nünning, Ansgar [Hrsg.]: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart 22001

Pozuelo Yyancos, José María; Aradra Sánchez, Rosa María: Teoría del canon y literatura española. Madrid 2000

Roloff, Volker, Wentzlaff-Eggebert, Harald [Hrsg.]: Der spanische Roman vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2., aktualisierte Aufl., Stuttgart, 1995

Schwerin von Krosigk, Ulrike Gräfin: Fabeln im Spanischunterricht. In: Fehrmann, Georg / Klein, Erwin [Hrsg.]: Literarischer Kanon und Fremdsprachenunterricht. Bonn 2001

Simson, Ingrid: Das Siglo de Oro. Stuttgart 2001

Vences, Ursula: Die Behandlung der Ganzschrift im neueinsetzenden Fremdsprachenunterricht. Beispiel: Spanisch. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts. 3/1995, S. 290-298

Vences, Ursula: Spanische Romane ohne Mühe!? Die literarische Ganzschrift im Spanischunterricht. In: Altmann, Werner / Vences, Ursula (Hrsg.): Vom Lehren und Lernen: neue Wege der Didaktik des Spanischen. Berlin 1999

Vences, Ursula: Ein Jugendroman im Spanischunterricht – Stress oder Spaß? In: Fehrmann, Georg / Klein, Erwin [Hrsg.]: Literarischer Kanon und Fremdsprachenunterricht. Bonn 2001

Weller, Franz Rudolf: Wozu ‚Schulausgaben’ im Fremdsprachenunterricht? Überlegungen aus textdidaktischer Sicht. In: Fehrmann, Georg / Klein, Erwin [Hrsg.]: Literarischer Kanon und Fremdsprachenunterricht. Bonn 2001

Wittschier, Heinz Willi: Die spanische Literatur : Einführung und Studienführer. Tübingen 1993

Internetadressen:

www.cervantesvirtual.com

www.ticcal.org

www.ups.edu

[...]


[1] Weinrich, 1983. Zitiert nach Fehrmann, S. 30

[2] Wagner, Emanuelle: De la langue parlée à la langue littéraire. Paris 1965. Zitiert nach Becker, S. 9f.

[3] vgl. Klein, S.214

[4] vgl. Kochan, S. 2

[5] siehe Lehrplan

[6] Kochan, S. 74

[7] Kochan, S.1

[8] Fehrmann, S.13

[9] Fehrmann, S. 13 f.

[10] Fehrmann, S. 14

[11] Winko, Simone, S. 300

[12] Winko, Simone, S. 301

[13] Klein, Erwin, S. 196

[14] Fehrmann, S. 19

[15] Winko, Simone, S. 300

[16] Die Zeit 30.3.2000, S. 7. Zitiert nach Fricke, S. 91

[17] vgl. Klein, S. 197f.

[18] Zapf, S. 65 f.

[19] Klein, S. 201. Weitere Vertreter sind: Diego de San Pedro, Jorge Manrique, Fernando de Rojas, Quevedo, Fray Luis de León, San Juan de la Cruz, Góngora, Lope de Vega, Tirso de Molina, Calderón de la Barca, Sor Juana Inés de la Cruz, Bécquer, Pérez Galdós, Alberti, Cernuda, Hernández, Blas de Otero, Cela und J. Goytisolo.

[20] Klein, S. 197

[21] Fehrmann, S. 15f.

[22] Kochan, S. 3-4

[23] Kochan, S. 4

[24] Kochan, S. 4

[25] Fehrmann, S. 14

[26] Meier, S. 181

[27] Pozuelo, S. 15

[28] Pozuelo, S. 15

[29] vgl. Blooms Aufzählung, sowie Salvador de Madariaga, der den Quijote zu einem der vier Archetypen Europas zählt. Zitiert nach Lessing, S. 234

[30] Fehrmann, S. 25

[31] vgl. Klein, S. 200

[32] Pozuelo, S. 15

[33] Pozuelo, S, 17

[34] zitiert nach Klein, S. 199

[35] zitiert nach Klein S. 200

[36] Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Richtlinien und Lehrplan. Spanisch. 1999

[37] Richtlinien und Lehrplan. Spanisch, S. 5

[38] Richtlinien und Lehrplan. Spanisch, S. 13ff

[39] Klein, S. 193

[40] Klein, S. 195

[41] Klein, S. 201

[42] Schwerin von Krosigk, S.261

[43] Schwerin von Krosigk, S. 262

[44] Richtlinien und Lehrplan. Spanisch, S. 39

[45] zitiert nach Doris Lessing, S. 230

[46] Anonymus (Cátedra), S. 6

[47] vgl. Becker, S. 11f, Vences (1995), S. 290 f., Vences (2001), S. 284, Klenk (1994), S. 148, Weller, S. 167

[48] Becker, S. 11f

[49] Vences (1995), S. 291

[50] zum Beispiel Edelsa

[51] Becker, S. 11

[52] Glaap, S. 37

[53] Becker, S. 14

[54] Becker, S. 14

[55] Becker, S. 14

[56] Becker, S. 15

[57] Becker, S. 16

[58] Becker, S. 17

[59] Becker, S. 17

[60] Becker, S. 17

[61] Becker, S. 10

[62] Vences (2001), S. 283

[63] Vences (1995), S. 290

[64] Vences (1999), S. 36

[65] vgl. Lindau, S. 40-75

[66] Simson, S. 131

[67] Anonymus (Cátedra), S. 9

[68] Simson, S. 131

[69] Anonymus (Cátedra), S. 135

[70] Simson, S. 132

[71] vgl. Anonymus (Cátedra), S. 130f

[72] Wittschier, S. 94

[73] Wittschier, S. 94

[74] Wittschier, S. 94

[75] Richtlinien und Lehrpläne. Erziehungswissenschaft. S. 17

[76] König, S. 44

[77] König, S. 43

[78] Richtlinien und Lehrpläne. Erziehungswissenschaft. S. 23

[79] Anonymus (Cátedra), S. 47

[80] Anonymus (Cátedra), S. 18

[81] Simson, S. 132

[82] vgl. Wittschier, S. 95

[83] Wittschier, S. 95

[84] vgl. das Vorwort des „Lazarillo“

[85] siehe Seite 16 dieser Arbeit

[86] www.ticcal.org/materiales

[87] www.ticcal.org/materiales

[88] Anonymus (Klett)

[89] Klett-Ausgabe, S. 15 (verändert)

[90] Klett-Ausgabe, S. 15 (verändert)

[91] Klett-Ausgabe, S. 15 (verändert)

[92] Klett-Ausgabe, S. 15 (verändert)

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die pikareske Erzählung "Lazarillo de Tormes" und das Problem des literarischen Kanons im Spanischunterricht
Université
University of Duisburg-Essen
Cours
Hauptseminar: Don Quijote, Lazarillo, Don Juan & Co.: Literarischer Kanon und Spanischunterricht
Note
1,7
Auteur
Année
2004
Pages
22
N° de catalogue
V109125
ISBN (ebook)
9783640073092
Taille d'un fichier
418 KB
Langue
allemand
Annotations
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Mots clés
Erzählung, Lazarillo, Tormes, Problem, Kanons, Spanischunterricht, Hauptseminar, Quijote, Lazarillo, Juan, Literarischer, Kanon, Spanischunterricht
Citation du texte
Susanne Rimat (Auteur), 2004, Die pikareske Erzählung "Lazarillo de Tormes" und das Problem des literarischen Kanons im Spanischunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109125

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