Die Kontroversen über den "Extremismus der Mitte"


Tesis de Maestría, 2003

164 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

I. Die historischen Mittelstandstheorien

1. Einleitung

2. Extremismus, Mitte, Mittelstand – Eine einführende Begriffsbestimmung
2.1 Philosophisch-ideengeschichtliche Tradition des Begriffs „Mitte“
2.2 Anmerkungen zum Mittelstandsbegriff
2.3 Historische Tendenzen der Mittelstände
2.4 Der Mittelstandsbegriff in der wissenschaftlichen Forschung
2.4.1 Die Beurteilung der Mittelstände im klassischen Marxismus
2.5. Selbstbild des Mittelstandes
2.6 Zum Begiff des Extremismus
2.6.1 Totalitarismustheoretische Voraussetzungen des Extremismusbegriffs
2.6.2 Kritik der Totalitarismustheorien
2.6.3 Schlussfolgerungen zur Totalitarismustheorie
2.7. Aktualität der Extremismuskritik
2.7.1 Rechtspopulismus als zusätzliche Kategorie

3. Theodor Geigers soziologischer Beitrag zur Erforschung des deutschen Faschismus
3.1 „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“
3.1.1 Die Grundlagen der Publikation Geigers
3.1.2 ´Mentalität´ als sozialpsychologische Kategorie bei Geiger
3.1.3 Der Zusammenhang von ´Mentalität´ und Schichtungsbild
3.2 Über den „Exkurs: Die Mittelstände im Zeichen des Nationalsozialismus“ – Fragestellungen und Bewertungsmaßstäbe
3.2.1 Die NSDAP im Parteiensystem der Weimarer Republik – Anmerkungen zu Wahlerfolgen, Trägergruppen und Gewerkschaftspolitik des Nationalsozialsmus
3.2.2 NSDAP und Mittelstände
3.2.3 Die mittelständischen Wirtschaftsmentalitäten in der Weimarer Republik und das nationalsozialistische Wirtschaftsbekenntnis
3.2.4 Ständische Ideale des Mittelstands und die Politik des Nationalsozialismus
3.3 Zusammenfassende Bewertung der Geigerschen Argumentation

4. „Dämonisierung des Mittelstands“ – Die Kontroverse in den 1930er Jahren
4.1 Theodor Geigers Mittelstandsanalyse im Kontext anderer theoretischer Ansätze
4.2 Exkurs: Antisemitismus und Mittelstände – Die Funktion der antisemitischen Agitation für den Aufstieg der NSDAP

5. S.M. Lipsets „Extremism of the center“ – Analyse, Rezeption, Kritik
5.1 Die politisch-soziologischen Begriffe „links“, „rechts“ und „Mitte“ bei S.M. Lipset
5.1.1 Methode und Untersuchungsgegenstand
5.1.2 Klassifizierungen der politischen Strömungen
5.1.3 Der historisch-politische Hintergrund der Analyse
5.2 Das Beispiel Deutschland: Niedergang der Mittelparteien und Aufstieg der NSDAP
5.3 Extremismus-Varianten im internationalen Vergleich
5.4 Schlussbetrachtung bei Lipset
5.5 „Extremismus der Mitte“ – Kritik und Rezeption
5.6 Erweiterung der Mittelstandstheorien
5.6.1 Die Beiträge von Heinrich August Winkler
5.6.2 „Who voted for Hitler?“ – Die Fortführung der Diskussion in den 1990er Jahren
5.6.3 „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“
5.7 Widerlegung der Mittelstandstheorien? – Textanalyse der Arbeiten von Jürgen W. Falter im Kontext geschichtspolitischer Diskurse
5.8 „Extremismus der Mitte“ – Zur Kritik der historischen Mittelstandstheorien
5.8.1 Prägungen des Mittelstandes im gesamtgesellschaftlichen Umfeld
5.9 Die soziologischen Mittelstandstheorien – Leistungen und Defizite

II. „Extremismus der Mitte“ als Schlagwort: Die 1990er Jahre

6. Wahlerfolge rechter Parteien Ende der 1980er Jahre und die Reaktionen
6.1 Anmerkungen zum Diskurs über den Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland
6.2 Wilhelm Heitmeyers Beitrag zur Rechtsextremismusforschung
6.3 „Kippt die Republik?“ – Die Rechtsentwicklung seit Beginn der 1990er Jahre und die Diskussion über den Rechtsextremismus
6.3.1 „Grauzone“ und die Formierung einer deutschen „Neuen“ Rechten
6.3.2 Die „Neue“ Rechte in Deutschland
6.3.3 Rechtstendenzen im öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik
6.3.4 Unterschiede zwischen der deutschen und französischen „Neuen“ Rechten
6.4 „Deutschland driftet“ – Liberal-konservative Kritik der „Neuen“ Rechten
6.4.1 Erosion der Mitte
6.4.2 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und das „neue nationale Denken“
6.4.3 „Normative Westbindung“ und „offene Gesellschaft“
6.4.4 Kritik der Pflügerschen Argumentation

7. „Extremismus der Mitte“ – Die Neuanwendung des Theorems als politische Kategorie
7.1 „Implosion der Mitte“ – Wolfgang Kraushaar
7.1.1 Soziale Herkunft der Täter
7.1.2 Ein „Pakt“ zwischen staatlichen Organen und rechten Gewalttätern?
7.1.3 Die Analyse moderner rechtspopulistischer Parteien
7.1.4 Kraushaars Rekonstruktion der Theorietradition des „Extremismus der Mitte“
7.2 Die Kritik von Uwe Backes und Eckard Jesse
7.2.1 Backes und Jesse über die Diskussion in den 1990er Jahren
7.2.2 Kritik des Beitrags von Backes und Jesse

III. Wie aktuell ist der „Extremismus der Mitte“?

8. Themen der Rechten – Themen der Mitte?
8.1 Beispiel 1: Kritik des ethnisierenden Multikulturalismus
8.2 Beispiel 2: „Geistige Brandstiftung“ – Martin Walser als Stichwortgeber der „Neuen“ Rechten
8.3. Beispiel 3: Der „Antisemitismus-Streit“ in der FDP im Jahr
8.4 Der „Extremismus der Mitte“ und die Sozialstrukturanalyse der Gegenwart
8.4.1 Krise des Sozialstaats als Voraussetzung für einen neuen „Extremismus der Mitte“?
8.4.2 Antidemokratische Tendenzen in der politischen Kultur der BRD
8.5 Konsequenzen für die Analyse der Rechtsentwicklung

9. Resümee und Ausblick

Literaturverzeichnis

„Der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß als Gespenst dessen, was so ungeheuerlich war, daß es am eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zum Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern.

Ich möchte nicht auf die Frage neonazistischer Organisationen eingehen. Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.“

Theodor W. Adorno - Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit [1]

I. Die historischen Mittelstandstheorien

1. Einleitung

Als die NSDAP nach 1928 einen dramatischen Stimmenzugewinn verzeichnen konnte, kommentierte der Soziologie Theodor Geiger dies mit den Worten, niemand könne daran zweifeln, dass der Nationalsozialismus „ [...] seinen Wahlerfolg wesentlich dem Alten und Neuen Mittelstand verdankt.“[2]

Die von Theodor Geiger an dieser Stelle diagnostizierte „Panik im Mittelstand“, welche einen signifikanten Hinweis auf die Krisenreaktion der Mittelstände in der Endphase der Weimarer Republik gab, wurde Ende der 1950er Jahre vom US-amerikanischen Soziologen S.M. Lipset zur Formel vom „Extremismus der Mitte“[3] zugespitzt. Diese folgenreiche Interpretation, welche hinter dem Aufstieg der NSDAP vor allem die von „Proletarisierungsfurcht“ gezeichneten Mittelstände ausmachte, wurde von der Tatsache verstärkt, dass die klassischen Wahlparteien der Mitte (DVP, DDP, Wirtschaftspartei) zeitgleich in erheblichem Maße an Einfluss und Wählerstimmen verloren. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind die von dieser Interpretation ausgehenden Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“, welche bis in die Gegenwart nachwirken, wenn z.B. formuliert wird, Rechtsextremismus komme „aus der Mitte der Gesellschaft“ und sei nicht auf alkoholisierte, bildungs- und bindungsarme gewalttätige männliche Jugendliche mit Glatze und Springerstiefel beschränkt. Beispielhaft formuliert hat dies auf dem Höhepunkt der staatlichen, im NPD-Verbotsantrag mündenden Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus im Jahre 2000 Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der im Interview mit dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt meinte, man bräuchte angesichts der Herausforderungen durch rechte Gewalt

„[...] eine wirkliche Offensive von politischer Bildung und Werteerziehung an den Schulen und in der Jugend- und Kulturarbeit. Der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Nichts ist deshalb fataler, als bei der Jugendarbeit und bei der politischen Bildung zu sparen.“[4]

Gegenwärtig findet diese in vielfältiger Form anzutreffende Einschätzung ein Echo in Publikationen, welche z.B. angesichts der frappierenden Ähnlichkeit einschlägiger Positionen zur Asyl- bzw. Einwanderungspolitik feststellen, die Themen der Rechten seien längst Themen der Mitte geworden und somit eine - in dieser Arbeit noch näher zu bestimmende - Korrespondenz zwischen der politischen Mitte und dem rechten Rand des Parteienspektrums behaupten.[5]

Ziel dieser in drei thematische Blöcke gegliederten Magisterarbeit ist a) die detaillierte Rekonstruktion der Argumentation führender Vertreter der Mittelstandstheorien, b) die Darstellung der Rezeption und Kontroversen um den „Extremismus der Mitte“ anhand wichtiger Literaturbeispiele und c) die kritische Bewertung dieser beiden Punkte vor dem Hintergrund der Fragestellung, was die Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ heute noch an analytischem Material für das Verständnis gegenwärtiger Tendenzen liefern. Teil I umfasst folglich die historisch-kritische Darstellung der Entstehung und Rezeption der Mittelstandstheorien, wobei vor allem die noch genauer vorzustellenden Arbeiten von Theodor Geiger, S.M. Lipset, Heinrich August Winkler und Jürgen W. Falter im Mittelpunkt stehen. In Teil II, welcher von den Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ in den 1990er Jahren handelt, soll aufgezeigt werden, inwieweit das zuvor auf die Analyse der Rolle der Mittelschichten beim Aufstieg der NSDAP als Wahlpartei- und Bewegung beschränkte Theorem vom „Extremismus der Mitte“ in diesem Zeitraum um eine Vielzahl von Bedeutungen erweitert wird und wie aus der von Lipset popularisierten theoretischen Figur ein Schlagwort zur Einordnung heutiger neofaschistischer, rechtspopulistischer und rassistischer Tendenzen und deren Wirkung auf die gesellschaftliche und politische Mitte wurde. Um diese Akzentverschiebung und den Anlass der Neuauflage der Kontroverse zu verstehen, soll anhand ausgewählter und aussagekräftiger Beispiele das politische Klima der jüngsten deutschen Vergangenheit seit Mitte der 1980er Jahre dargestellt werden. Nur vor dem Hintergrund der intellektuellen Debatten und der politischen Ereignisse dieses Zeitraums (Historikerstreit, Wiedervereinigung, Asylrechtsdebatte, Einfluss der „Neuen“ Rechten auf die Diskurse der politischen Mitte) kann der Diskussionsrahmen angemessen verstanden werden. Teil III wiederum fragt nach der Bedeutung des mit dem „Extremismus der Mitte“ verbundenen kritischen Potenzials für die Analyse aktueller politischer Ereignisse. Hier soll anhand einiger Beispiele (u.a. eine kontextbezogene Einordnung von Martin Walsers „Paulskirchenrede“ von 1998 und eine Untersuchung des liberalen Multikulturalismus-Diskurses) nach der Plausibilität der Verwendung dieses Konzeptes für die Analyse gegenwärtiger Phänomene gefragt werden. Abschließend wird in diesem thematischen Block diskutiert, ob die Verwendung des Terminus „Extremismus der Mitte“ die präzise Einschätzung gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland heute ermöglicht oder ob nicht andere Interpretationen angesichts der gravierenden sozialstrukturellen Veränderungen zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland notwendig geworden sind.

Nicht bzw. nicht ausführlich untersucht werden in dieser Arbeit umfassendere, über den konkreten Untersuchungsgegenstand hinausweisende Probleme, die mit der historischen Faschismusforschung bzw. der Analyse des Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland verknüpft sind. Dargestellt werden diese Aspekte also nur insoweit, als dass sie für die Klärung des „Extremismus der Mitte“ von Bedeutung sind. Hinweise auf die Weiterentwicklung verschiedener Positionen (z.B. in der struktur- und schulbildenden Rechtsextremismusforschung von Wilhelm Heitmeyer) werden deshalb nur skizziert, wodurch aber ein Einblick in die Modifikation der wissenschaftlichen Arbeiten zum Rechtsextremismus ermöglicht werden soll, der in diesem Zusammenhang jedoch nicht ausgearbeitet wird. Diese Arbeit will einen Beitrag zur Klärung der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ in ihrer Genese und Aktualität leisten, ohne jedoch eine allgemeine Ausarbeitung zum (Neo-) Faschismus zu sein. Es erfolgt daher z.B. auch keine ausführliche Beschäftigung mit den politisch-institutionellen bzw. ökonomischen Rahmenbedingungen der sog. „Machtergreifung“ Hitlers, die neben den Wahlerfolgen und Mitgliederzuwächsen der Partei die wesentliche Voraussetzung für die Installation der faschistischen Diktatur war. Auch die sozialpsychologischen Ansätze, welche einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der subjekt spezifischen Dispositionen für pro-faschistische Affinitäten leisten, werden in dieser Arbeit nicht gesondert untersucht, da eine ausführliche Würdigung der Werke von Wilhelm Reich oder Erich Fromm Thema einer eigenständigen Arbeit wäre.[6]

Um die Denkfigur vom „Extremismus der Mitte“ adäquat entfalten zu können, soll in dieser Arbeit nach einer in Teil I vorgenommenen einführenden Klärung der ideengeschichtlichen und politisch-soziologischen Implikationen bzw. Voraussetzungen der Begriffe „Extremismus“, „Mittelstände“ und „Mitte“ zunächst die Argumentation der Begründer dieses Theorems, Theodor Geiger und S.M. Lipset, ausführlich dargestellt werden. Dieses Verfahren wähle ich vor allem deshalb, weil in anderen Untersuchungen zum Thema die Darstellung der Argumentation der beiden Autoren nur in - z.T. erheblicher - Reduzierung auf die Hauptpunkte erfolgt, sich bei Lipset vor allem auf dessen Ausführungen zum Länderbeispiel Deutschland erstrecken.[7] Dadurch werden meiner Auffassung nach die Feinheiten der Untersuchungen ausgeblendet, obschon diese für einen aus internationalen Beispielen entwickelten Begriff wie „Extremismus der Mitte“ von Bedeutung für die methodische Konzeption des Theorems sind. Die Arbeit beschränkt sich jedoch in der Analyse auf die deutsche Situation, Verweise auf die Existenz eines „Extremismus der Mitte“ z.B. in Österreich oder den Niederlanden werden deshalb nur am Rande thematisiert. Diese Magisterarbeit untersucht eine Thematik, welche an der Schnittstelle zwischen Ideen- bzw. Zeitgeschichte, Soziologie und Politikwissenschaft zu verorten ist, d.h. eine interdisziplinäre gesellschaftswissenschaftliche Herangehensweise erforderlich macht. Es ist deshalb unverzichtbar, im Rahmen dieser für das Fach Politikwissenschaft angefertigten Abhandlung auch auf soziologische Ergebnisse und Fragestellungen zurückzugreifen. Dieser Ansatz kann Material für eine kritische Sicht auf die „politische Mitte“ liefern, die trotz der im Laufe dieser Arbeit zu nennenden problematischen Entwicklungen oftmals eine unhinterfragte, affirmative Bezugsgröße im politischen bzw. politikwissenschaftlichen Diskurs darstellt.

Den Diskurs um den „Extremismus der Mitte“ in seinem Entstehungszusammenhang darzustellen und zu analysieren, ist Thema und Ziel dieser Arbeit. Gefolgert werden soll aus dieser historisch-kritischen Rekonstruktion ein Ansatz, der für eine kritische Sozialwissenschaft nutzbar ist. Da eine eingehende Untersuchung aktueller, über den eigentlichen Rahmen dieser Arbeit hinausweisender politischer und gesellschaftlicher Tendenzen den Rahmen sprengen würde, soll mit Verweis auf jüngst zurückliegende Debatten („Antisemitismus-Streit“ des Jahres 2002, Diskurs über den Rechtspopulismus) aber zumindest eine Perspektive eröffnet werden, die unter Rekurs auf die aus der Analyse der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ gewonnenen Ergebnisse zum Verständnis aktueller gesellschaftlicher und politischer Prozesse beiträgt. Dabei soll gezeigt werden, wie sich der Ansatz des „Extremismus der Mitte“ von einer sozialstrukturellen Analyse des Anteils der Mittelstände an „extremistischen“ Bewegungen zu einer Analyse der Korrespondenzen zwischen den Diskursen der Rechten und denen der „politischen Mitte“ entwickelt. Es ist dabei zu zeigen, welche „extremistischen“, von zahlreichen Politikern und Sozialwissen-schaftlern oftmals auf die Ränder der Gesellschaft verlagerten Positionen Eingang in die Diskurse der politischen Mitte gefunden haben und wie im Laufe der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ sich der Terminus „Mitte“ von einer sozialstrukturellen zu einer im wesentlichen politischen Kategorie entwickelt, die Kontroversen also entlang zweier unterschiedlicher Linien verlaufen.

2. Extremismus, Mitte, Mittelstand – Eine einführende Begriffsbestimmung

Der hier zu analysierende, auf den ersten Blick paradox anmutende Terminus „Extremismus der Mitte“ birgt die Gefahr in sich, statt der systematischen Klärung von Begriffen, Strukturen und Kausalzusammenhängen eine redundante und unpräzise Perspektive zu entwickeln. Schließlich gelten im politischen bzw. politikwissenschaftlichen Diskurs die Begriffe „Extremismus“ und „Mitte“ als Antagonismen, ist der politische Extremismus das ständige Drohpotential gegen die gesellschaftliche Mitte, welche ihrem Selbstbild gemäß der soziale Ort des demokratisch-liberalen Verfassungsstaats an sich ist. Mitte ist als politische Kategorie folglich ein Schutzwall gegen extremistische, d.h. zersetzende, gewalttätige Strömungen von den Rändern der Gesellschaft, zwischen deren entgegen gesetzten linken und rechten Polen die Mitte einen Ausgleich schafft und ständig – hier nähern sich die linken und rechten Pole an – von diesen anti-demokratischen Tendenzen in ihrer Substanz gefährdet wird.

2.1 Philosophisch-ideengeschichtliche Tradition des Begriffs „Mitte“

Ideengeschichtlich kann der Begriff Mitte als politische Kategorie auf eine lange philosophische Tradition zurückgeführt werden. Wolfgang Kraushaar benennt in seiner „politischen Topographie der Mitte“ die Antike als den geistesgeschichtlichen Ursprung des „Mitte-Mythos“. In der „Nikomachischen Ethik“ des Aristoteles ist Mesótes - die vernünftige Mitte - eine wesentliche Kategorie, in der „Politik“ wird für die Verfassung (politeia) dem historischen Mittelstand zudem eine zentrale Rolle zugewiesen.[8] Auch Cicero, der das Mittelmaß als anzustrebende Einheit anordnet, kann zusätzlich als Vorläufer genannt werden.[9] Und Montesquieu schreibt in „Vom Geiste der Gesetze“:

„Der Geist der Mäßigung muss den Gesetzgeber beherrschen; das politisch Gute und das moralisch Gute liegt immer zwischen zwei Grenzen.“[10]

Diese und andere geistesgeschichtlichen Traditionen sind Voraussetzung für den Mitte-Topos als Maßstab des Ausgleichs, der Vernunft und Mäßigung, kurz: der Entgegensetzung zu den Extremen. Im Anschluss an die Französische Revolution von 1789, dem Symbolbild für die europäische Moderne, wurde die politische Mitte zum Maßstab für die Sitzordnung im Parlament, wo die an sozialer Gleichheit und Volkssouveränität orientierten Abgeordneten „links“ und die traditionalistisch-monarchistisch geprägten Politiker „rechts“ verortet wurden. Sozialer Träger der demokratischen Ordnung wurde – vor allem in seinem Selbstbild – der Mittelstand (besser: die Mittelstände), der politische Träger die bürgerlichen Parteien.

2.2 Anmerkungen zum Mittelstandsbegriff

Historisch leitet sich die Existenz einer sozialstrukturellen Mitte zwischen lohnabhängig Beschäftigten und Kapital von der Existenz des Kleinbürgertums ab.

Dieses Kleinbürgertum wird definiert als Schicht des städtischen Bürgertums in der frühindustriellen Phase des Kapitalismus, die eine starke konkurrenzwirtschaftliche Ökonomie begünstigte. Im Unterschied zum Großbürgertum besitzt das Kleinbürgertum einen deutlich geringeren Anteil an Kapital, Einkommen und politischen Einfluss. Im entwickelten Kapitalismus etabliert sich diese soziale Gruppe als „Mittelstand“ zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft. Differenziert werden kann in dieser Kategorie zwischen alten und neuen Mittelstand. Während zu der Gruppe des alten Mittelstands Bauern und Handwerker zählen, bildet sich der neue Mittelstand vorzugsweise aus der Gruppe der Beamten, Angestellten und Angehörigen der sog. „freien“ Berufe. Für eine Binnendifferenzierung des Mittelstands (z.B. die Unterschiede zwischen den Vertretern des alten und neuen Mittelstands in Hinblick auf Einkommenshöhe, Vermögen, berufliche Selbstständigkeit, Art und Grad der Ausbildung, Einstellungen, Mentalität, Wertvorstellungen und gesellschaftlichem Bewusstsein) ist eine genaue Betrachtung der einzelnen Gruppen innerhalb des Mittelstands notwendig. Neben diesen sozialstrukturellen Unterschieden ist die besondere Lage des Mittelstands von vorrangigem Interesse. Denn einhergehend mit der fortschreitenden Industrialisierung nahm der Bedeutungsverlust des Mittelstands deutlich zu, was sich sozialstatistisch mit dem Rückgang des Anteils der wirtschaftlich Selbständigen an der Gesamtheit der Erwerbsbevölkerung feststellen lässt. Für eine Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik Deutschland ist zum einen der Prozess der Tertiärisierung – der Entwicklung eines dritten Sektors der Dienstleistungen neben dem landwirtschaftlichen und industriellen Sektor – zum anderen der quantitative Rückgang der Selbstständigen von Bedeutung. Betrug der Anteil der Selbstständigen in den 1950er Jahren noch 32 Prozent, schrumpfte dieser in den 1980ern auf 11 Prozent; eine Tendenz, die relativ stabil geblieben ist. Für 1998 werden für die alten Bundesländer rund 3 Millionen Selbstständige angegeben (zusätzlich werden 370000 unterstützende Familienangehörige hinzugerechnet), was einer Zahl von 11,7 Prozent entspricht (Zahlen für die „neuen“ Bundesländer 1998: 543000 Selbstständige und 19000 unterstützende Familienangehörige). 2,3 Millionen dieser Selbstständigen bieten Dienstleistungen im engeren Sinne an.[11]

2.3 Historische Tendenzen der Mittelstände

Die historische Erfahrung der krisenhaften Entwicklung und die Wahrnehmung der eigenen Stellung zwischen den Klassen führte zu einer Abwehrhaltung innerhalb des Mittelstandes gegenüber der Arbeiterbewegung, die als (niederer) Gegenpart in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung angesehen wurde und zu einer ökonomisch bedingten Abwehrhaltung gegenüber dem Industriekapital, welches die existenzbedrohende Massenproduktion immer weiter forcierte. Die historische Entwicklung zeigte folgende Tendenz: In Deutschland nahm der Anteil der Angestellten an den Erwerbstätigen von 11,3% 1873 auf 21,6% im Jahre 1914 zu.[12] Dieser Prozess der Entwicklung eines neuen Sektors im Mittelstand muss im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kapitalkonzentration gesehen werden. Denn durch die Konzentration des Kapitals und das Anwachsen der Betriebe in Produktion und Verteilung wurden neue Arbeitskräfte für die Bereiche Verwaltung, Planung, Koordination, Büro und Verteilung benötigt. Parallel dazu kann zum damaligen Zeitpunkt eine Weiterentwicklung im Bereich der Staatsfunktionen (Sozialversicherung, Staatsaufträge, Militär) verzeichnet werden. In diesem Zusammenhang ist die Herkunft der Angestellten von Bedeutung. Denn da viele Vertreter der Angestelltenberufe aus Beamtenfamilien oder dem Bildungsbürgertum kamen, brachten diese bereits eine durch die (klein-)bürgerliche Sozialisation vermittelte Abgrenzung von den proletarischen Berufen bzw. einen anderen Prestigeanspruch mit.

2.4 Der Mittelstandsbegriff in der wissenschaftlichen Forschung

Mit dem Mittelstand sind mehrere – z.T. widersprechende – soziologische und politische Vorstellungen verknüpft. Während einerseits dem Mittelstand aufgrund seiner Zwischenposition eine regulative, staatstragende Kraft innerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zugeschrieben wird, weisen andere auf einen für den Untersuchungsrahmen dieser Magisterarbeit wesentlichen Sachverhalt hin: Demzufolge bildet der Mittelstand gerade wegen seiner instabilen Position zwischen der aufstrebenden Arbeiterbewegung und dem dominierenden Industriekapital eine höchst problematische „Zwischenklasse“, die einerseits den Antikommunismus der faschistischen Bewegung unterstützt, andererseits auch die völkisch-„sozialistische“ Phraseologie der Nazis gegen dass dem industriellen Kleinproduzenten feindlich gegenüberstehenden Großkapital teilt. Durch diese Stellung zwischen Lohnarbeit und Kapital begründet sich den Mittelstandstheorien zufolge die mit autoritären Mustern durchsetzte Abwehrhaltung des Mittelstands, welche für die faschistische Bewegung ein nützliches Potenzial bereithielt. So bildet der Mittelstand, dessen historische Vertreter in Form des Kleinbürgers ideologisch und sozial als reaktionär eingestuft wurden (darauf verweist auch die heute synonym gebräuchliche Verwendung von klein- bzw. spießbürgerlich zur Kennzeichnung eines rückwärtsgerichteten Denkens bzw. engstirnigen Sozialtypus), in den auch mit „Extremismus der Mitte“ bezeichneten Mittelstandstheorien den zentralen sozialen Träger des Faschismus als Bewegung und als Wahlpartei.

2.4.1 Die Beurteilung der Mittelstände im klassischen Marxismus

Marx und Engels bezeichnen den Mittelstand an einer berühmten Stelle als „schwankende Masse“, als

„[...] eine neue Kleinbürgerschaft [...], die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergänzender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden, ja selbst mit der Entwicklung der großen Industrie einen Zeitpunkt herannahen sehen, wo sie als selbstständiger Teil der modernen Gesellschaft gänzlich verschwinden und im Handel, in der Manufaktur, in der Agrikultur durch Arbeitsaufseher und Domestiken ersetzt werden.“[13]

Die historische Rolle der Mittelstände wurde wie folgt beschrieben:

„Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär, denn sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen.“[14]

Auch wenn dieser Prognose bezüglich der kommenden Krisenverläufe und der Bewusstseinlage der Mittelstände eine beachtliche Genauigkeit zukommt, so muss doch vermerkt werden, dass der Mittelstand keinesfalls eine lediglich dem Untergang geweihte soziale Gruppe war und ist. Denn bei allen sozialstatistisch erfassten Rückgängen des Anteils der Mittelstände und der krisenhaften Lage etwa des Bauerntums, ist in anderer Hinsicht eine Fortexistenz des Mittelstands zu verzeichnen, die staatlich subventioniert und ideologisch angebunden an das Bürgertum keinesfalls die vorhergesagte „Proletarisierung“ durch die subjektive Übernahme klassenkämpferischer Inhalte und Praktiken vorwegnahm. Durch die Entstehung neuer Mittelschichten, die vielfältigen Differenzierungen hinsichtlich der Bewusstseinslagen und die Herausbildung neuer „alternativer“ ökonomischer Sektoren, bleibt die Analyse der Mittelstände auch in der Gegenwart eine Herausforderung an die marxistische Klassentheorie.

2.5. Selbstbild des Mittelstandes

Trotz der von den meisten modernen Sozialwissenschaftlern formulierten Ablehnung einer allzu starren Festlegung auf Schicht- bzw. Klassenzugehörigkeit, ist das Selbstbild des Mittelstandes geprägt von der Behauptung der Wesensidentität des eigenen Standes mit dem der Mäßigung. Der Mittelstand ist, seinen eigenen Zeugnissen zufolge, der soziale Träger der politischen Mitte. Wilhelm Heinrich Riehl schrieb beispielsweise in seiner Fibel „Die bürgerliche Gesellschaft“:

„Der Konstitutionalismus, als der Lehre der politischen Mitte, der bewegenden Mitte, entspricht dem Bürgerstande als dem Mittelstand.“[15]

Und M.Rainer Lepsius schreibt über das Selbstbild des Mittelstandes in der Weimarer Republik die prägnanten Sätze:

„Die >Mitte< ist nicht bloßer Durchschnitt, sie ist >goldene Mitte<, >gesund<, und nicht zufällig sind die Redensarten vom >gesunden Mittelstand<, vom >goldenen Boden des Handwerks<. Die beanspruchte Mitte bezieht sich auf eine normative Vorstellung, die Leistung des Mittelstandes ist die Verwirklichung der Moralnorm einer Gesellschaft – wohlgemerkt, natürlich immer im Selbstbild des Mittelstandes.“[16]

Diesem Selbstbild, so Lepsius in seiner höchst anschaulichen Darstellung, entsprechen auch die moralischen Postulate von Fleiß, Ehrlichkeit, Sparsamkeit, maßvoller Handlungsweise etc.; der Tugendkatalog des Mittelstandes umfasst zahlreiche Werte, die zugleich seine staatstragende Rolle legitimieren. Lepsius schließt seine Darstellung des mittelständischen Selbstbildes mit den Worten:

„Kurz: im Selbstbild des Mittelstandes ist über einen Anspruch auf Schichtprivilegien hinaus konstitutiv auch ein Anspruch auf nationale Ehre und Geltung enthalten, ein Anspruch, Vertreter und Verwalter der Normalmoral der Gesellschaft zu sein. Jede Bedrohung der wirtschaftlichen Lage des Mittelstandes erscheint zugleich als Bedrohung der gesellschaftlichen Moral, und jeder Klassenkonflikt, in den der Mittelstand verwickelt wird, verlängert sich für ihn in einen nationalen Notstand, in einen Angriff auf die Moral der Gesellschaft.“[17]

Lepsius weist in dieser Schrift auf die Affinität der Mittelstände zum extremen Nationalismus hin und benennt das zentrale Motiv der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ – die inhaltliche Nähe der Mittelstände zu „extremistischen“ und pro-nationalistischen Positionen.

2.6 Zum Begiff des Extremismus

Als Terminus im politischen Diskurs ist „Extremismus“ ein „Relationsbegriff“[18] (Michael Kohlstruck) welcher auf jene Personen, Parteien, Bewegungen, Strömungen etc. angewandt wird, welche in Opposition zum als politischen Ort „der Mitte“ definierten liberalen Verfassungsstaat stehen bzw. dort vermutet werden.[19] „Mitte“ als Bezugs- und Relationskategorie meint in diesem Kontext weniger eine sozialstrukturelle Größe, sondern vor allem die normativ gesetzte Idealfigur des liberalen Verfassungsstaats als parlamentarisch-demokratischer Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, Mehrparteiensystem und „freier“ Wirtschaftsordnung. Vom Bundesminister des Inneren, der 1974 dazu überging, die im Verfassungsschutzbericht verwendete Kennzeichnung „radikal“[20] für angebliche und tatsächlich verfassungsfeindliche Gruppierungen durch „extremistisch“ bzw. „extremistisch beeinflusst“ zu ersetzten, stammt folgende Differenzierung: Als „rechtsextremistisch“ wird dabei jene „Gedankenwelt“ bezeichnet, die von Nationalismus und Rassismus bestimmt wird. Die „Rechtsextremisten“ werden wie folgt beschrieben:

„Sie treten für ein autoritäres politisches System ein, in dem oftmals Staat und Volk – nach ihrer Vorstellung ein ethnisch homogenes Volk - als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen (Ideologie der „Volksgemeinschaft“) und die staatlichen Führer nach eigener Eingebung den vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes erkennen und entsprechend handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würde kein Raum für die wesentlichen Kontrollelemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – beispielsweise das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition – bleiben.“[21]

In der Darstellung der ethnischen, rassistischen, nationalistischen und elitären Ideologeme des „Rechtsextremismus“ werden diese als Gegenpart zu den Grundpfeilern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (Menschen- und Bürgerrechte, Postulat des Universalismus, Recht auf Bildung einer Opposition, freie Wahlen etc.) bewertet, Rechtsextremismus ist folglich die Negativfolie für den liberalen Verfassungsstaat. „Linksextremismus“ wird hingegen wie folgt beurteilt:

„Linksextremisten stehen in Gegnerschaft zur Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, die von ihnen als kapitalistisch, imperialistisch oder rassistisch diffamiert wird. Je nach ideologisch politischer Ausrichtung – revolutionär-marxistisch oder anarchistisch orientiert – wollen sie an deren Stelle ein sozialistisch/kommunistisches System bzw. eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ (Anarchie) etablieren.“[22]

Diese im Gegensatz zum „Rechtsextremismus“ vergleichsweise dünne Definition beschränkt sich in ihrer Kennzeichnung „linksextremer“ Bestrebungen als verfassungsfeindlich auf deren Einsatz für eine andere – z.B. sozialistische – Gesellschaftsordnung. Zugleich lässt die Definition die Frage offen, warum die Bezeichnung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland als „kapitalistisch“ eine Diffamierung sein soll. Im Kontext dieser Definition wird dieser zunächst deskriptive Begriff negativ konnotiert, als diffamierendes Etikett bewertet und eingeführt. Auch dass in dieser Definition im Gegensatz zum „Rechtsextremismus“ keine ideologischen Elemente des „Linksextremismus“ benannt werden, veranlasst zur Skepsis gegenüber dieser Extremismusdefinition, die eine Entsubstanzialisierung politischer Begriffe bewirkt, da anstelle von inhaltlichen Kriterien vor allem formale – tatsächliche oder behauptete Gegnerschaft zum liberalen Verfassungsstaat, Befürwortung militanter Aktionen – Aspekte die Begriffsbildung prägen. H.Joachim Schwagerl schreibt zu den Schwierigkeiten einer Definition von Extremismus:

„Ein weiteres Definitionsproblem: Die Begriffe >>radikal<< und >>extrem<< sind nach offizieller Lesart nicht deckungsgleich. Bis etwa 1975 wurde von den Sicherheitsbehörden, insbesondere dem BMI, der Begriff >>radikal<< für politische Randgruppen verwendet, bei denen der Verdacht bestand, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu richten. Da aber auch demokratische Spitzenpolitiker sich zunehmend als radikal in dem Sinne bezeichnen, daß sie der Sache auf den Grund oder an die Wurzel gehen wollten, wichen die offiziellen Stellen des Verfassungsschutzes in ihren Berichten auf den Begriff >>extrem<< aus. Es waren hier aber ursprünglich reine Arbeitsbegriffe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes zur Abgrenzung und Einordnung. Da sie inzwischen recht abweichend voneinander in der politischen Publizistik gebraucht werden, ist eine Unsicherheit in der inhaltlichen Abgrenzung entstanden.“[23]

Diese „Unsicherheit in der inhaltlichen Abgrenzung“ (Schwagerl) veranlasste die Extremismusforscher Uwe Backes und Eckard Jesse[24] zu einer Definition, die den „Arbeitsbegriff“ wissenschaftlich konsistent herausarbeiten sollte. Backes und Jesse schreiben:

„Der Begriff des politischen Extremismus soll als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen, sei es, daß das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit negiert (Rechtsextremismus), sei es, daß der Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird und die Idee der individuellen Freiheit überlagert (Kommunismus), sei es, daß jede Form von Staatlichkeit als ,repressiv‘ gilt (Anarchismus).“[25]

Auch in dieser „Sammelbezeichnung“ verschwinden die Unterschiede: Der radikale Autonome, welcher die Abschiebepraxis des „demokratischen Verfassungsstaates“ bekämpft, erscheint auf gleicher Ebene mit dem rassistischen Brandstifter; der Kritiker des Eigentums an Produktionsmittel, welcher die individuelle Aneignung kollektiv geschaffener Produkte aufheben will, wird mit dem völkischen Anhänger des Führerstaates gleichgesetzt. Dabei sind diese Gleichsetzungen keinesfalls der Gedankenlosigkeit einer nicht-stringenten Begriffsbildung anzulasten, sondern die Konsequenz des theoretischen Modells. Nach Backes und Jesse bedingen die Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geradezu einander, sie sind für ihr spezifisches politisches Handeln wechselseitig aufeinander angewiesen:

„Rechts- und Linksextremismus brauchen mithin einander. Letztlich sind sie also gar nicht daran interessiert, daß die andere Variante des Extremismus, die sie zu bekämpfen vorgeben, gänzlich von der Bildfläche verschwindet. Sie wollen vielmehr hervorrufen, was sie heftig attackieren.“[26]

Unabhängig von der Frage, ob gemäß einer solchen Logik nicht auch der „demokratische Verfassungsstaat“ die Feindmarkierung „Extremisten“ zur Selbstvergewisserung in einem funktionalen Sinne „braucht“, ist die Konsequenz dieses Gedankens klar: Wenn Antifaschistinnen und Antifaschisten gegen die Existenz neofaschistischer Organisationen demonstrieren, ist – nach Backes und Jesse - das verheimlichte, uneingestandene und gewünschte Ziel die Stärkung eben dieser angeblich bekämpften Parteien zwecks Krisenverschärfung und Delegitimierung des demokratischen Verfassungsstaates. Deutlich wird hier vor allem, welchem Paradigma sich die beiden Extremismusforscher bedienen: der Totalitarismustheorie.

2.6.1 Totalitarismustheoretische Voraussetzungen des Extremismusbegriffs

Georg Fülberth weist in seiner historisch-kritischen Darstellung des Extremismusbegriffs[27] neben Montesquieu auch auf Edmund Burke hin, dessen Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, insbesondere mit der Schreckensherrschaft von 1793, ein ideengeschichtlicher Vorläufer der Extremismus-Kritik sei. Durch die Oktoberrevolution 1917 sei der Extremismusbegriff wiederbelebt worden, da die bolschewistische Revolution als Antipode des demokratischen Verfassungsstaates galt. Und in der Tat ist die moderne Extremismuskritik nicht zuletzt eine Antwort auf die historische Zäsur von 1917. Bereits das französische Wort „extrémisme“ bezog sich vor allem auf diesen historischen Kontext, wobei es im deutschen Sprachraum erst über den Umweg des von Emigranten geprägten Begriffs des „extremism“ zur vollen Geltung kam. Wichtig ist in diesem Kontext die Herausbildung totalitarismustheoretischer Ansätze, deren politologische Variante von in unterschiedlichem Umfang rezipierten Autorinnen und Autoren wie Hannah Arendt, Carl J. Friedrich, Zbigniew Brzezinski, Karl Dietrich Bracher und Richard Löwenthal geprägt wurde. Vor dem Zeithintergrund des Kalten Krieges und den beiden Diktaturen im „Zeitalter der Extreme“ (Eric J. Hobsbawn),[28] versuchten die Vertreter dieser wirkungsmächtigen und oft kritisierten Theorie durch den Vergleich der nationalsozialistischen und stalinistischen Herrschaftstechniken[29] Unterschiede und signifikante Ähnlichkeiten herauszuarbeiten, wobei den Ähnlichkeiten die für die Theoriebildung entscheidende strukturbildende Bedeutung zugeschrieben und eine Wesensgleichheit der diktatorischen Systeme (in der Literatur auch als basically alike bezeichnet) abgeleitet wird. Carl J. Friedrich, ein führender Vertreter dieses Ansatzes, nennt als konstitutive Merkmale für die Kennzeichnung eines Herrschaftstyps als „totalitär“:

„[...] eine Ideologie, eine Partei, eine terroristische Geheimpolizei, ein Nachrichtenmonopol, ein Waffenmonopol und eine zentralgelenkte Wirtschaft.“[30]

Diese Merkmale wurden im Laufe der Theorieentwicklung noch erweitert, so dass folgende Elemente die Verwendung der Kategorie „totalitäre Herrschaft“ rechtfertigen sollen: monopolisierte Ideologien, Maßnahmen der Indoktrination und formal-„demokratische“ Verfahrensweisen wie Wahl einer Einheitspartei, die Existenz einer staatsterroristischen Geheimpolizei, Monopol der Kommunikations- und Informationswege, Waffenmonopol (im Gegensatz zu den Modellen in der Schweiz oder der USA), zentralistische Ökonomie, Einfluss der politischen Führung auf das Rechtssystem, Einsatz politischer Symbole (Fahnen, Rituale), Massenaufmärsche, Uniformierung der Zivilbevölkerung in staatstragenden Vereinen und Organisationen etc., Erfassung der Individuen in staatliche Institutionen sowie die Ideologisierung der Staatskunst. In diesem Sinne zielt der totalitäre Staat, der als Phänomen des 20. Jahrhunderts gilt, auf die vollständige Erfassung und Mobilisierung des Individuums, dessen Privatsphäre nicht anerkannt wird und in dem die staatliche Propaganda Wissenschaft, Weltanschauung und Bildungsvorgaben durchsetzt. Der „totalitäre Staat“ ist seinen Analytikern zufolge der Feind der „offenen Gesellschaft“ und des freiheitlich-pluralistischen Verfassungsstaats. Gerade die Abgrenzung von totalitären Regimen ist für das Selbstverständnis der Bundesrepublik von herausragender Bedeutung, weshalb noch jüngst im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR der „anti-totalitäre Konsens“ postuliert wurde und „extremistischen Parteien“ die Legitimation abgesprochen wurde.[31]

2.6.2 Kritik der Totalitarismustheorien

In Bezug auf die in den 1920er Jahren entstandenen Totalitarismustheorien, welche eng mit der Extremismusforschung verbunden sind, wurde immer wieder auf deren ideologische Funktion und Verbreitung im Rahmen des Kalten Krieges hingewiesen. In diesem Zeitabschnitt diente der vergleichende Rekurs auf die nationalsozialistische Herrschaft vor allem der Delegitimierung des anderen deutschen Staates. Konrad Adenauer hat diese Haltung während einer Rede 1950 in Goslar prägnant wie folgt formuliert:

„Ich wollte, die Bewohner der Ostzonen-Republik könnten einmal offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören, daß der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager, durch Verurteilungen ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht.“[32]

Zitate wie dieses legen anschaulich den politischen Zweck frei, denen Vergleiche der DDR mit dem NS-Staat dienen sollten. Doch freilich beschränkte sich die Kritik nicht mit dem ideologiekritischen Verweis auf das Interesse einer solchen Theorie: Methodisch wurde eingewandt, dass der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn der – durchaus unterschiedlichen – Totalitarismustheorien auf die phänomenologische Ebene begrenzt bleibe und diese nicht in der Lage seien, die historischen Prozesse sowie Ursprung, Herkunft, soziale Träger, ökonomische Triebkräfte, Wandel, Dynamik und Staatsziele (z.B. in der Außenpolitik) der unterschiedlichen unter dem Begriff „totalitär“ subsumierten Gesellschaftssysteme in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Weiter seien auch die ideologischen Unterschiede mit einer identifizierenden Perspektive nicht zu begreifen. Denn der Marxismus speist sich aus der Aufklärung und dem Humanismus und sieht an keiner Stelle einen „Führer“ vor, zumal zielt der Klassenkampf nicht auf vollständige physische Ausrottung des Gegners. Außerdem könne die Bedeutung des Rassismus und Antisemitismus für faschistische, nationalsozialistische und stalinistische bzw. realsozialistische Diktaturen nicht mit diesem theoretischen Besteck begriffen werden. Auch die Dynamik und Änderung der Staaten seien mit dieser Perspektive nicht zu erläutern, da es für die Phase der sog. „Entstalinisierung“ nach dem XX. Parteitag der KPdSU keinen adäquaten Vergleich im historischen Faschismus gebe. Zu unterschiedlich seien auch die wirtschaftlichen Grundlagen der beiden vergleichend identifizierten Staaten gewesen, eine staatlich-administrative „Befehlswirtschaft“ realsozialistischen Typs sei von der im NS-Staat verschieden.[33] Auf einen für das Erkenntnisinteresse unserer Darstellung der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ wichtigen Punkt weist Reinhard Kühnl in seiner scharfen Kritik der Renaissance totalitarismustheoretischer Ansätze hin:[34] Der führende Vertreter der modernen Totalitarismustheorie, Carl Joachim Friedrich - dessen Verständnis von „Verfassungsstaat“ sich an Carl Schmitt anlehne und der „Volkssouveränität“, „Partizipation“ und „Mitbestimmungsbegehren“ ablehnte - habe Totalitarismus immer als „wahre Demokratie“ begriffen. Antitotalitarismus und Demokratie seien folglich nicht identisch, Friedrichs Ideal entspreche eher einem anti-partizipatorischen Konstitutionalismus, den er von der negativ konnotierten „totalitären Diktatur“ abgrenzt. Kühnl schreibt in diesem Kontext:

„In der Tat lässt sich die Logik der herrschenden Totalitarismustheorie so zusammenfassen: Das eigentliche Übel ist die radikale Demokratie, die Volkssouveranität, die den Volksmassen direkte politische Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gewährt. Danach führt die totalitäre Entwicklungslinie von Rosseau über die Französische Revolution, über Marx und Lenin bis zu Stalin und Hitler. [...] Der >Antitotalitarismus< ist also in Wahrheit ein Antidemokratismus.“[35]

Und Hans J. Lietzmann, der die Voraussetzungen von Friedrichs potentiell anti-demokratischer politischer Theorie und deren Nähe zu Carl Schmitt ausführlich herausgearbeitet hat, zieht ein Fazit, nach dem es nicht mehr möglich sein solle

„[...] unter Berufung auf die klassische Totalitarismustheorie naiv eine Alternative von ´Totalitarismus´ und ´Demokratie´ zu behaupten. Das Gegensatzpaar, das der klassischen Totalitarismustheorie entspricht, lautet vielmehr: ,totalitäre‘ oder ,konstitutionelle Diktatur‘. Von Demokratie ist bei alledem nur am Rande die Rede. Friedrich vermeidet den Begriff der Demokratie im Zusammenhang seiner dualistischen Diktaturlehre und spricht betont von ´Verfassungsstaat´ bzw. ´constitutional government´. Im Begriff des Verfassungsstaates ist aber auch die konstitutionelle Diktatur, die die demokratischen Verfahrensregeln gerade suspendiert, als jederzeitige Möglichkeit mitgedacht.“[36]

„Antitotalitarismus“ ist dieser Einschätzung zufolge keineswegs notwendigerweise demokratisch,[37] die politisch-theoretischen Voraussetzungen der Definitionsmacht für die Kennzeichnung politischer Strömungen als „extremistisch“ sind selbst Gegenstand der Kritik. In diesem Hinweis liegt ein wichtiges Motiv für die Einschätzung der theoretischen Voraussetzungen der Extremismusforschung: Wenn einer der wichtigsten Vertreter der Totalitarismustheorie den demokratisch-partizipativen Elementen derart skeptisch gegenübersteht, ist zu konstatieren, dass dieser – pro-konstitutionalistische - Ort der Kritik selber nicht in der Lage ist, demokratische Positionen gegenüber „extremistischen“ Tendenzen zur verteidigen. Zudem zeigt der politische Entwurf von Friedrich ein tief verankertes Ressentiment gegenüber den „Massen“ bzw. der „Volkssouveränität“, weshalb er auch eine an Rousseau anknüpfende „Basisdemokratie“ als „totalitär“ identifiziert.

2.6.3 Schlussfolgerungen zur Totalitarismustheorie

Trotz der hier vorgenommenen Zurückweisung der Totalitarismustheorie aufgrund ihrer analytischen Defizite, ihrer – im Fall von Friedrich - partiell anti-demokratischen Grundierung und ihres im Kalten Krieg manifest werdenden ideologischen Charakters, darf ein über den thematischen Rahmen dieser Magisterarbeit hinausgehendes und deshalb hier nur kurz angesprochenes Problem nicht übersehen werden. Während die Behauptung einer Wesensgleichheit zwischen Faschismus und Staatssozialismus nicht aufrecht zu erhalten ist, bleibt doch die Tatsache, dass die Totalitarismustheorie auf der phänomenologischen Ebene wichtige Hinweise auf die Herrschaftstechniken (z.B. zur Zeit der „Großen Säuberung“ in der Sowjetunion seit Mitte der 1930er Jahre unter Stalin) gibt. War die kommunistische Rhetorik lange Zeit durch die apologetische Rede von den Leistungen der rasanten „nachholenden Modernisierung“ in der Sowjetunion („vom Bastschuh zum Sputnik“) bestimmt (ohne deren Kosten für Menschen und Natur zu benennen), wurde auch die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen des stalinistischen Terrors, jenem „Exzeß der Macht“ (Hofmann) erst Jahrzehnte später geführt. Eine Kritik der Totalitarismustheorie darf deshalb nicht den Fehler machen, durch bloße Zurückweisung der ideologischen Gehalte diese Theorie jene Elemente zu denunzieren, welche die Analyse totalitärer Herrschaftstechniken mit ihrer Unterdrückung der individuellen Freiheitsrechte, der Rechtssicherheit etc. fördern, jedoch – wie gesehen - nicht kausal erklären können. Die schonungslose Analyse des Stalinismus, seiner Voraussetzungen und Nachwirkungen auf staatssozialistische Gesellschaften bleibt deshalb eine Herausforderung an eine linke Theoriebildung. Erlinghagen, Klotz und Wiegel ist zuzustimmen, wenn sie schreiben:

„Die Frage, warum die Sowjetunion in der Zeit des Stalinismus Herrschaftsstrukturen etablierte, die vielfältige äußerliche Übereinstimmungen mit dem Faschismus aufwiesen, ist legitim und auf Seiten der Linken für eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte unerlässlich. Totalitarismustheoretische Ansätze können, vor allem in der dynamischen Variante, hier einen Beitrag leisten. Eine Erklärung des Stalinismus und erst recht des Faschismus läßt sich von hier jedoch nicht erwarten.“[38]

2.7. Aktualität der Extremismuskritik

Unabhängig von den vielfältig ausgeführten Einwänden gegen die Totalitarismustheorie können in der politischen Debatte immer wieder Motive herausgearbeitet werden, die mit dieser identifizierenden Perspektive arbeiten. Das Herrschaftssystem der DDR wird immer wieder mit dem des „Dritten Reiches“ verglichen und trotz Weltkrieg, Genozid, Vernichtungslagern und Staatsterrorismus Bezüge zwischen Real- und Nationalsozialismus hergestellt.[39] Mit Blick auf die politischen Implikationen, welche mit dem Extremismus-Verdikt verbunden sind, sollte klar sein, dass es bei der Auseinandersetzung nicht um einen Kampf um bloße Wörter und Begriffe geht, sondern um die Voraussetzungen für demokratische Partizipationsmöglichkeiten. Die „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) beispielsweise wird, obwohl auf Länderebene Regierungspartei, in zahlreichen Bundesländern vom Verfassungsschutz überwacht und in den entsprechenden Berichten als „linksextremistisch beeinflußt“ aufgeführt – mit der Konsequenz, dass diese Partei als „anrüchig“, außerhalb des demokratischen Rahmens stehend betrachtet werden kann und ihr der Zutritt zu bestimmten sicherheitsrelevanten Gremien verwehrt wurde. Auch verbirgt sich hinter der Verwendung von unterschiedlichen Begriffen wie Neofaschismus, Neonazismus, Nationalismus, Rechtspopulismus, Naziskins, Rechtsextremismus, Linksextremismus, Rechtsradikalismus, Linksradikalismus, Nationaldemokraten, Alte Rechte und Neue Rechte keinesfalls nur ein semantisches Problem. Während die häufig verwendete Bezeichnung „Rechtsextremismus“ dem inhaltlich fragwürdigen und formalisierenden Extremismus-Paradigma verhaftet bleibt, wiederholt die Verwendung der Kategorie „Neue Rechte“ – im folgenden deshalb „Neue“ Rechte genannt – die von interessierter Seite selbst gesetzte Behauptung, es handle sich bei dieser Variante rechter Politik um etwas tatsächlich Neues. Auch für Neofaschismus gilt dieses Urteil, sofern der Begriff behaupten soll, es handle sich bei „Neo“ nicht nur um eine Zeitangabe, sondern auch um eine inhaltliche Änderung. Reinhard Opitz hat in seinem Standardwerk „Faschismus und Neofaschismus“ dazu folgenden Einwand formuliert:

„Alle Versuche, einen „Neofaschismus“ in Absetzung vom Faschismus der Zeit bis 1945 zu rekonstruieren nach dem Vorbilde etwa, wie sich vom klassischen Liberalismus der „Neoliberalismus“, vom Konservatismus des 19.Jahrhunderts der „Neokonservatismus“ durch in der Tat nachzeichenbare, charakteristisch variierende Paradigmata abhebt, sind daher auch gescheitert. Sie sind von der Wirklichkeit überholt worden, in der sich zeigte, daß der Faschismus, wo immer er in unseren Jahren auch nur aus seiner Isolierung in einer Randgruppen-Wartestellung herauskam und eigene Dynamik, geschweige denn (wie in Chile, der Türkei usw.) die Macht gewann, sich wenig um die von Politologen ihm zugeschriebenen „eleganteren“, „selbstverständlich nicht mehr so groben“, viel „manipulativeren“ und „raffinierteren“, „pluralistisch korporativistischen“ etc. etc. Methoden kümmerte und sich statt dessen sofort wieder als der eben gerade alte, blutige, knochenbrecherisch auftretende, terroristische Faschismus erwies.“[40]

Dass sich der Begriff „Neofaschismus“ zur Kennzeichnung neuerer rechter Wahlparteien nicht durchgesetzt hat und stattdessen der Terminus „Rechtsextremismus“ o.ä. in Politik, Publizistik und Wissenschaft breiteste Verwendung findet, liegt freilich nicht an den Vorzügen dieser Begriffe, sondern an deren Besetzung im politischen Diskurs der jüngeren Vergangenheit: Faschismus gilt hier als hochideologisch besetzter quasi-kommunistischer Kampfbegriff, der entbunden von seiner Begriffsgeschichte – schließlich stammt der Begriff Faschismus nicht von der Moskauer Antifa-Hochschule, sondern ist die an das italienische Wort fascio (Bund, bzw. Rutenbündel) anknüpfende Selbstetikettierung der italienischen Frühfaschisten um Mussolini – von verschiedenen Autoren verworfen wurde. Gleiches gilt für die Faschismustheorie oder den Antifaschismus, die aufgrund der Operation mit dem Sammelbegriff „Faschismus“ für verschiedene Bewegungen, Parteien und Herrschaftsformen seit Beginn der 1920er Jahre in Italien, Deutschland, Österreich, Frankreich, Kroatien etc. unter Ideologieverdacht geraten sind. „Faschismus“ gilt hier als „linksextremer Kampfbegriff“[41], „Antifaschismus“ hingegen als „kommunistische Legitimationsideologie“ bzw. als antidemokratischer „deutscher Mythos“.[42] Mit der Verwendung von politischen Begriffen sind also auch politische Konzeptionen und Erkenntnisinteressen verknüpft, weshalb hier zur eigenen Kennzeichnung entsprechender Phänomene die Bezeichnung „Neofaschismus“ – verstanden als zeitlich neue Strömungen faschistischen Denkens oder Bewegungen seit 1945 – vorzugsweise benutzt werden soll. Das Begriffspaar „Rechts- und Linksextremismus“ bleibt zu sehr dem identifizierenden Blick der Totalitarismustheorie verhaftet, als dass es einen überzeugenden Gehalt hätte, der eine genaue, über die formale Etikettierung hinausgehende Analyse ermöglichen würde. Gerade weil aber der Extremismus so sehr als Gegensatz zum liberalen Verfassungsstaat aufgefasst wird, wird deutlich, warum die von S.M. Lipset eingeführte und von Theodor Geiger als Theorem zuerst entwickelte Interpretationsfigur vom „Extremismus der Mitte“ soviel Widerspruch provozierte.

2.7.1 Rechtspopulismus als zusätzliche Kategorie

Zu den Schwierigkeiten einer angemessenen Begriffsbildung – auch der hier bevorzugte Terminus „Neofaschismus“ soll primär als Arbeitsbegriff, nicht als exakte Definition verwendet werden, da die neofaschistischen Parteien selber wieder Unterschiede aufweisen – zählt die Existenz verschiedener Parteien in Europa, die nicht präzise mit dem Verdikt „Rechtsextremismus“ oder „Neofaschismus“ belegt werden können, da hier – anders als bei NPD, DVU und z.T. auch bei den REPublikanern – nicht die Affinität zum historischen Faschismus im Vordergrund steht bzw. nachgewiesen werden kann. Unterschiedliche Parteien wie die Liste Pim Fortyn (Niederlande), die Lega Nord (Italien), die FPÖ (Österreich) oder die Schill-Partei (Deutschland) werden deshalb seit jüngerem unter dem Titel „Rechtspopulismus“ aufgeführt. Verbunden wird damit die Vorstellung, diese Parteien seien zwischen den Polen Demokratie und Neofaschismus in einer Sonderposition zu verorten, die aufgrund der z.T. neoliberalen Ausrichtung der modernen Rechtsparteien nicht mehr als Ausdruck einer klassisch faschistischen, d.h. völkischen Ideologie eingeordnet werden kann.[43] Das Erfolgsrezept dieser Parteien liegt vor allem in einer hier zu skizzierenden „populistischen Methode“ welche die schichtübergreifenden Stimmenzuwächse erst möglich macht. Ebenso wie die faschistischen Parteien verfügen rechtspopulistische Parteien meist über eine herausragende, „charismatische“ Persönlichkeit (darin waren sich die FPÖ unter Jörg Haider und LePens Front National durchaus ähnlich), die entlang eines dichotomischen Weltbildes komplexe Probleme moderner Industriegesellschaften reduziert und sich selbst in einen Gegensatz zum „System“ der etablierten Parteien setzt. Gerade in diesem Punkt, in der Popularisierung von vermeintlich „einfachen“ Lösungsvorschlägen und der Behauptung, „unbequeme Wahrheiten“ öffentlich zu artikulieren und die „wahren Interessen“ des Volkes (Populismus leitet sich bekanntlich von populus, lateinisch für Volk, ab) gegen die Vertreter des traditionellen Parteienspektrums durchzusetzen, stimmen diese Parteien überein. Hier liegt die Besonderheit und Wichtigkeit dieser Kategorie für die vor allem in Teil II dieser Arbeit zu belegende Affinität verschiedener Programmpunkte neofaschistischer und rechtspopulistischer Parteien mit denen der bürgerlichen Mitte, handelt es sich z.B. in der Ablehnung von Migration bei Vertretern rechtspopulistischer Parteien doch häufig um die Verselbstständigung und Radikalisierung von Positionen, welche der Programmatik etablierter Parteien bzw. dem politischen Diskurs der Mitte immanent sind. In diesem Sinne wäre in den Programmen dieser Parteien die Klage eines Edmund Stoiber, Deutschland werde „durchmischt“ und „durchrasst“ nur in zugespitzter Form vorhanden. Zu den Erfolgsbedingungen dieser Parteien zählt neben der für den Erfolg in fast allen Fällen notwendigen „Führungspersönlichkeit“ (Haider, Le Pen, Fortyn) vor allem der Umstand, dass die Wählerinnen und Wähler den Eindruck erhalten, die Politiker der etablierten Parteien würden den entsprechenden Äußerungen z.B. in der Einwanderungspolitik keine Taten folgen lassen und sich unter den Bedingungen des ökonomischen und gesellschaftlichen Umbruchs vom „Volk“ entfernen. Gerd Wiegel hat die Funktion des Rechtspopulismus unter den Bedingungen des „globalisierten Kapitalismus“ wie folgt beschrieben:

„Der rechte Populismus stellt dabei nicht die Logik der ökonomischen Entwicklung in Frage, sondern wendet die Ängste und Aggressionen gegen Minderheiten. Homogenisierung des Eigenen und Ausschließung der Anderen sind hierbei die Angebote. Es findet eine Ethnisierung der sozialen Frage statt, d.h. Zugehörigkeit und Einbindung werden entlang ethnischer Lagen definiert und bieten so eine scheinbare Sicherheit für die Dazugehörigen.“[44]

Wiegel verweist mit Recht auf den systemimmanenten Charakter dieser Parteien, die entgegen ihrer sozialen Rhetorik keinesfalls über protektionistische Vorstellungen hinausgehen, sofern sie – wie Herbert Schui vermerkt hat[45] – nicht ohnehin den wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel vollzogen haben und politisch eine „Ethnisierung des Sozialen“ leisten, welche Identitätsstiftung entlang ethnischer und nationaler Kriterien bietet und somit realen Entfremdungserfahrungen im modernen Kapitalismus mit klassisch rechten Topoi begegnet. Dieser inhaltliche Faden soll in den Teilen II und III dieser Arbeit nochmals aufgenommen werden, da dort nach der inhaltlichen Nähe zwischen rechtspopulistischen Parteien und denen der politischen Mitte gefragt wird, das nun vorzustellende Theorem vom „Extremismus der Mitte“ als analytisches Besteck zur Untersuchung moderner rechtspopulistischer Parteien Verwendung findet.

3. Theodor Geigers soziologischer Beitrag zur Erforschung des deutschen Faschismus

Theodor Geigers 1932 in dem Buch „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“[46] veröffentlichter „Exkurs: Die Mittelstände im Zeichen des Nationalsozialismus“ ist die pointierte Zusammenfassung und Ergänzung einer Argumentation, die der sozialdemokratische Soziologe bereits einige Jahre zuvor vorbereitet, entwickelt und publiziert hat. So erschien 1930 in der sozialdemokratischen Theoriezeitschrift Die Arbeit der viel beachtete Aufsatz „Panik im Mittelstand“,[47] in dem der Kern der späteren Argumentation Geigers bereits angelegt war. Hauptaussage war damals, dass sich die NS-Wähler im wesentlichen aus Angehörigen des alten und neuen Mittelstandes rekrutieren würden. Beide Teile des Mittelstandes stellten den „gesegneten Boden ideologischer Verirrung“[48] dar. Die Pointe in diesem Aufsatz war die Einführung eines Ideologiebegriffs, der eine „ zeitinadäquate “ von einer „ standortinadäquaten “ Ideologie unterscheidet.[49] Eine zeitinadäquate Ideologie vertritt demzufolge der „alte“, aus Bauern, Handwerkern und Kleinhändlern gebildete Mittelstand, da sich dieser an der längst vergangenen vorindustriellen Zeit orientieren würde und deshalb ein romantisch-verklärtes Bild von der Wirklichkeit habe. Standortinadäquat dagegen ist die Haltung des „neuen“ Mittelstandes, der laut Geiger aus Angestellten und kleinen Beamten gebildet wird. Obwohl deren objektive sozioökonomische Position in der Klassengesellschaft der Weimarer Republik eine deutliche Strukturähnlichkeit mit der abhängig beschäftigten Industriearbeiterschaft aufweisen würde, orientiert sich dieser Mittelstand in seinem politischen Handeln und seinem Bewusstsein an den bürgerlichen Schichten. Die Hoffnung Geigers bestand darin, dass sich in naher Zukunft die rationale Einsicht in die materiellen Interessen über die Propaganda durchsetzen werde:

„Auch die zeit- und standortinadäquaten Ideologien der Mittelstände werden zerflattern - und damit werden die politischen Nutznießer dieser ideologischen Verwirrung wieder in ihren Radaukonventikeln unter sich sein.“[50]

Die damals von Geiger erhobene politische Forderung war der Versuch, die (neuen) Mittelstände durch konsequente Sozialpolitik an die SPD heranzuführen. Jedoch scheiterte dieser Versuch an der relativen Einflusslosigkeit der Sozialdemokraten bzw. an dem integrationistischen Kurs der SPD-Führung, welche die Sparpolitik Brünings (der seine monarchistische Grundeinstellung nie ablegte und mit seiner harten Deflationspolitik die Krise weiter forcierte), unterstützte. An anderer Stelle ging Geiger politisch sogar noch weiter. Ebenfalls in der Zeitschrift Die Arbeit forderte Geiger die Orientierung der Sozialdemokratie an der „standortinadäquaten Ideologie“ des „neuen Mittelstandes“ durch die Verwendung nationalistischer Parolen in der Agitation der SPD.[51] Abhandlungen wie diese zeigten die Versuche des Soziologen, nicht nur Wissenschaft zu betreiben, sondern aufgrund einer sozialdemokratischen, durchaus auch national gefärbten Haltung politisch zu intervenieren.

3.1 „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“

Geigers Schrift, die heute als Standardliteratur für den Mittelstandsbegriff und die historische Mittelstandstheorie gilt, war eingebunden in die Schriftenreihe „Soziologische Gegenwartsfragen“ die von den Sozialwissenschaftlern Alfred von Martin (Göttingen), Sigmund Neumann (Berlin) und Albert Salomon (Köln) herausgegeben wurde. In dem ersten Band dieser Reihe, deren Fortsetzung durch den Machtantritt des deutschen Faschismus, welcher die Herausgeber ins Exil zwang, verhindert wurde, findet sich eine teils theoretisch, teils sozialstatistisch abgeleitete Analyse deutscher Schichtverteilungen sowie der bemerkenswerte „Exkurs“ über die Mittelstände und den Nationalsozialismus (im folgenden auch NS). Dieser „Exkurs“ ist einer der frühesten Erklärungsversuche des Erfolges des deutschen Faschismus und bildet die wohl wichtigste Grundlage für die Mittelstandstheorien der 1930er-Jahre.

3.1.1 Die Grundlagen der Publikation Geigers

In seiner Analyse verwendet Geiger das sich aus der Statistik der Berufszählung von 1925 ergebende Material und unterzieht dieses einer genauen dreigliedrigen Untersuchung. Im ersten Teil gliedert Geiger die Berufe nach der ökonomischen Situation in Form einer Kategorisierung nach der „kapitalistischen“, „mittleren“ und „proletarischen“ Lage und nimmt abschließend eine Tiefengliederung vor. Im zweiten Schritt werden die Berufslagen dem entsprechenden sozialen Bereich zugeordnet. Der dritte Schritt ist schließlich der entscheidende, er ist der Kern der hier verwendeten Methode: Durch die Einführung des Begriffs „Mentalität“ als analytische soziologische Kategorie werden die sozialen Schichten bezüglich ihrer Einstellungen und ihrer Praxis betrachtet.

3.1.2 ´Mentalität´ als sozialpsychologische Kategorie bei Geiger

Geiger differenziert in seiner Arbeit zwischen Ideologie und Mentalität. Ideologie ist dabei definiert als

„[...] Lebens- und Weltdeutungen oder auch Gedankengefüge, die sich auf enger abgesteckte Gegenstandsbereiche, z.B. auf die Wirtschaft oder einzelne wirtschaftliche Tatsachen beziehen.“[52]

Diese auf einen Teil- oder auch Gesamtbereich bezogenen Ideologien treten Geiger zufolge als Theorien oder Doktrin auf, die durch Schulung oder Agitation verbreitet werden können. Mentalität dagegen wird charakterisiert als

„[...] geistig-seelische Disposition,[...] unmittelbare Prägung des Menschen durch seine soziale Lebenswelt und die von ihr ausstrahlenden, an ihr gemachten Lebenserfahrungen.“[53]

„Mentalität“ wäre hier also eine subjektive, geistig-seelische Haltung, welche Folge einer unmittelbaren Prägung ist. Ideologie dagegen steht für ein ´objektives´, quasi-reflexives System, welches die durch z.B. Sozialisation gemachten Erfahrungen erst verarbeitet, auslegt und im gewissen Sinne auch überdenkt. In einem anderen Zusammenhang vergleicht Geiger die assoziative Verknüpfung von Mentalität und Ideologie mit den Worten „Haut“ bzw. „Gewand“. In Geigers Mittelstandstheorie taucht ein Ansatz auf, der eine nicht uninteressante Ähnlichkeit zu sozialpsychologischen Ansätzen (Untersuchung der „Mentalität“ ganzer Bevölkerungsschichten) zur Erklärung gesellschaftlicher Vorgänge aufzeigt. Die Aussagekraft einer solchen „Mentalitätsbeschreibung“ wird deutlich in einer längeren Passage aus Geigers Buch, welche die spezifische Beamtenmentalität charakterisieren soll:

„Sie sind keine Klasse, sind kaum ein Stand, sondern - namentlich in unserer bürokratisch belasteten deutschen Welt - fast eine Kaste. Für soziologische Betrachtungsweise wiegt am schwersten, daß auch dem an letzter Stelle untergeordneten Beamten noch das mit einem Hungergehalt erstandene trockene Brot mundlich gewürzt ist: durch das Quäntchen Anteil, das er an der von ihm mitvertretenen staatlichen Machtfülle hat. Es ist psychologisch so leicht zu erklären, daß dies bißchen Machtanteil um so mehr bedeutet, um so eifriger als Prestige zur Schau getragen, um so eifersüchtiger gehütet und verteidigt wird, je gedrückter die Stellung des einzelnen Beamten nach Besoldungsrang und innerdienstlicher Funktion ist. Je weniger die Persönlichkeit sich im beruflichen Wirkungskreis zur Geltung zu bringen und zu entfalten vermag, jemehr sie durch straffe Unterordnung in ihrer Initiative gehemmt und der Weisung Vorgesetzter unterstellt ist, desto unnahbarer wahrt sie die Schalterdistanz gegenüber einem „abzufertigenden“ Publikum, desto mehr ist die durch Achselstücke, Säbel und andere Insignien einer amtlich-unpersönlichen Erhabenheit beglückt; desto mehr auch durch Vorenthaltung solcher Symbole der Sozialgeltung gekränkt.“[54]

Hier wird, unter Bezugnahme auf die Kategorie „Mentalität“ ein bestimmter Sozialtypus beschrieben, der in anderen Varianten und Ausarbeitungen – z.B. der Sozialpsychologie - auch als Ausformung eines „autoritären Charakters“[55] bekannt ist.

3.1.3 Der Zusammenhang von ´Mentalität´ und Schichtungsbild

Bei Geiger werden soziale Schichten als Gruppen mit gemeinsamer Sozialmentalität betrachtet, die trotz der fließenden Übergänge im Schichtungsbild und der jeweiligen Binnendifferenzierung ein eigentümliches ökonomisches bzw. politisches Verhalten aufweisen. Die derart konstruierten Schichtbilder dienen der Charakterisierung feststellbarer Verhaltensformen und der Erklärung derselben aus der gemeinsamen sozio-ökonomischen Lage. Geiger zeigt diesem Verfahren gemäß fünf Hauptschichten der Weimarer Republik auf (die hier angegebenen Zahlen entstammen der Tiefengliederung, die Relativzahlen sind nach Wirtschaftsabteilungen differenziert[56] ):

Kapitalisten 0,92%

Alter Mittelstand 17,77%

Neuer Mittelstand 17,95%

Proletaroide (d.h. abgeglittener alter Mittelstand) 12,65%

Proletariat 50,71%

Geiger betrachtet nun, nach der prozentualen Gliederung, die einzelnen Schichten genauer. Die oberste Schicht, gebildet aus Großunternehmern, Großgrundbesitzern und Großrentnern, ist demzufolge geprägt von der Krisenangst. Zitat Geiger:

„[...] die Krisis des Spätkapitalismus hat die schichtsichere Haltung so sehr erschüttert, daß der Schichtkern erheblich geschrumpft ist.“[57]

Der alte Mittelstand (Selbstständige, Handel, Gewerbe, Landwirtschaft), befindet sich in dieser Analyse in einem gesellschaftlichen Kampf, in dem es neben der Verteidigung der ökonomischen Interessen nicht zuletzt um den Erhalt und Ausbau des Prestiges geht. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Haltung der Angehörigen des neuen Mittelstandes, den Angestellten und kleinen Beamten, welche für Geiger die soziale Träger des Nationalsozialismus sind. Geiger schreibt:

„Der schichttypische Charakterzug wäre also: die ideologische Unsicherheit des Siedlers auf gesellschaftlichem Neuland; in seiner standorttypischen Mentalität noch unsicher und uneinheitlich ist der >neue Mittelstand< das gegebene Einzugsfeld >falscher Ideologien<.“[58]

Zu den weiteren Hauptschichten zählt in dem hier erarbeiteten Modell die Schicht der „Proletaroiden“, eine prekäre Gruppe des Mittelstands, die das von Marx und Engels an zahlreichen Stellen prognostizierte Schicksal der Proletarisierung ereilt hat. Dieser aus „Tagewerker für eigene Rechnung“[59] bestehende „abgeglittene alte Mittelstand“[60] ist gekennzeichnet durch eine uneinheitliche Mentalität. Die „Proletaroiden“ verteilen ihren politischen Zuspruch auf verschiedene Parteien (Stahlhelm, Kommunisten, Zentrum und zunehmend auch die NSDAP), sie bilden also eine schwierig zu fassende, heteromorphe soziale Schicht, deren Beurteilung entsprechend problematisch ist. Als letzte gesellschaftlich relevante Schicht verbleibt hier das Proletariat, dem Geiger eine mehrheitlich „marxistische“, d.h. vom Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit sowie der Wahrnehmung der realen Hierarchien der Klassengesellschaft geprägten Mentalität attestiert, ohne die problematische Rolle der „Jungarbeiter“ zu vernachlässigen (diese bilden bei Geiger ebenfalls einen wesentlichen Träger des NS). Durch das umfassende, ausdifferenzierte Schichtungsbild entsteht bei Geiger ein Erklärungszusammenhang, der in der Schrift „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“ als dreizehnseitiger Exkurs abgedruckt ist. Eingebettet ist dieser Exkurs über die Beziehung zwischen NS und Mittelständen in das hier kurz skizzierte Konzept einer soziographischen Beschreibung der Gesellschaft, in der statistische Mittel zur Unterstützung der soziologischen Interpretation herangezogen werden. Das Ziel dieser Forschungsmethodik hat Geiger so formuliert:

„So möchte ich diese Arbeit aufgenommen wissen: sie will an einem Beispiel Bedeutung und Grenzen des statistischen Verfahrens in der exakten Soziographie zeigen.“[61]

Nach der Präzisierung der Fragestellung, der Einführung der Terminologie, der Erläuterung der sozialstatistischen Grundlagen und der ausführlichen Erstellung eines Schichtungsbildes, nimmt Geiger eine genaue Kritik des Mittelstandsbegriffs vor. Diese durch theoretische und sozialstatistische Verfahren erarbeitete Analyse einer Schichtmentalität, die eine Korrelation zwischen gesellschaftlicher Position und den entsprechenden Rollenerwartungen und Einstellungen aufzeigt, ist ein bemerkenswerter Erklärungsansatz, mit dem die Erfolge der NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik betrachtet werden können. Er charakterisiert den Nationalsozialismus als Bewegung mit einem widersprüchlichen Programm, welches durchsetzt mit unspezifischen nationalen Appellen eine signifikante Anziehungskraft für die Mittelstände hat. Aufgrund der Wahlergebnisse in den 1930er Jahren und dem dort feststellbaren Rückgang der Parteien der bürgerlichen Mitte und dem parallelen Anwachsen der NSDAP, zeigt Geiger einen plausiblen Zusammenhang zwischen der Mittelstandsmentalität und dem „Wirtschaftsmaterialismus“[62] der NSDAP auf, zeigt also die Affinitäten zwischen den Mittelständen und der faschistischen Bewegung aufgrund der unsicheren mittelständischen Selbstverortung im gesellschaftlichen Gefüge.

3.2 Über den „Exkurs: Die Mittelstände im Zeichen des Nationalsozialismus“ – Fragestellungen und Bewertungsmaßstäbe

Geigers kleingedruckter dreizehnseitiger Exkurs, der hier im folgenden vorgestellt wird, beansprucht einige wichtige Aspekte der nationalsozialistischen Bewegung zu behandeln. Untersucht wird in diesem Zusammenhang die Frage,

„[...] ob die Mittelstände auf dem Wege und ob sie überhaupt fähig sind, sich als e i n geschlossener Block und als Träger e i n e s gesellschaftgestaltenden Willens zu formieren.“[63]

Es geht Geiger also nicht um die Analyse anderer Teilebereiche des NS (Antisemitismus, Elitegedanken etc.), sondern um die Abhandlung eines einzelnen Gegenstandes. Der Nationalsozialismus stellt sich dem Kritiker Geiger zufolge als widersprüchliche Bewegung vor, als Konglomerat divergierender Einzelmerkmale. Deshalb ist die Bewertung der Bewegung mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden, da weder die offiziellen Programmpunkte oder die Parteipropaganda, noch die parlamentarische Praxis aufgrund der unspezifischen, schwer fassbaren Verhaltensweisen der Bewegung einen Orientierungspunkt bieten können. Eine politische Partei könne nicht nach ihren Programmpunkten beurteilt werden, deshalb konzentriert sich Geiger auf folgendes Verfahren:

„Es bleibt nur die Beurteilung auf Grund des Eindrucks, den der gewissenhafte Beobachter vom Stil der Bewegung, vom Verhalten ihrer Organe, von der Entwicklung ihres Anhangs gewinnt.“[64]

Da die NSDAP mit Regelmäßigkeit ihre eigenen Aussagen widerrufen hat und somit nicht im Sinne einer umgesetzten Programmatik beurteilt werden könne, die Politik des NS-Staats hingegen zum Zeitpunkt der Analyse nicht genügend empirisches Material hergibt, bilden die oben zitierten Merkmale das Zentrum der Analyse.

3.2.1 Die NSDAP im Parteiensystem der Weimarer Republik – Anmerkungen zu Wahlerfolgen, Trägergruppen und Gewerkschaftspolitik des Nationalsozialsmus

Geiger erwähnt die Selbstbezeichnung des NS als „allgemeiner Volksbewegung“,[65] in der sämtliche Schichten des Volkes einen klassenübergreifenden Zusammenhang bilden sollten. In einer kurzen wahlanalytischen Betrachtung untersucht er den Wählerwechsel zwischen den Parteien. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die NSDAP keinen Einfluss auf den Wahlausgang der SPD hatte, da diese Abgänge zum Zentrum zu verzeichnen hätte (Preußenwahl 1932) und beim zweiten Präsidentschaftswahlgang 1932 kommunistische Stimmen erhielt, während andererseits ein Wählerwechsel zwischen KPD und NSDAP zu beobachten sei. Als problematische Wahlgruppe der NSDAP benennt Geiger die „Jungarbeiter“, die als faktisch Dauererwerbslose über den direkten oder den Umweg via KPD zur NSDAP kommen würden. Geiger nennt hier die Hauptgruppen, aus denen die Nazipartei ihren Anhängerstamm in den sog. „Kampfgarden“ bildet: „Jungarbeiter“, Dauererwerbslose und einen Teil der „schlechtbehüteten Kriegsjugend“,[66] welche durch den historischen Verlauf bindungslos wurde. Ein schwieriges Feld für die NS-Bewegung bildete der gewerkschaftliche Bereich, zu dem die Partei ein strategisches Verhältnis bezog. Die Misserfolge bei den Betriebsratswahlen und das Scheitern der NSBO (Nationalsozialistische Betriebsorganisation), welche nach kurzer Zeit ihre Taktik umstellen musste (aus dem NSBO-Zellensystem wurde die Bewegung „Hinein-In-die Betriebe“), veranlassen Geiger zu folgender Feststellung:

„Klar ist jedenfalls: die feste organisatorische Mauer der Gewerkschaften ist bisher umsonst berannt; die sozial-standortbewußte Haltung des arbeitenden Arbeiters ist steiniger Boden für die nationalsozialistische Saat.“[67]

Da Absprachen bekannt wurden, nach denen Unternehmer erwerbslose Anhänger des NS einstellen sollten (sog. „Pair-Schub-System“), nennt Geiger die Erwerbslosenzellen, nicht die Betriebszellen als eigentliches Potential des NS innerhalb der Arbeiterschaft. In Bezug auf diese Gewerkschaftspolitik formuliert er die Vermutung, dass nach den fehlgeschlagenen Konzepten nach italienischem Vorbild nun auf langfristige Sicht eine Zerschlagung der Gewerkschaften anvisiert werde.

3.2.2 NSDAP und Mittelstände

Spätestens seit den Preußenwahlen von 1932 macht Geiger eine dramatische Umwandlung im Parteiensystem der späten Weimarer Republik aus. In diesen Wahlen mussten die traditionellen Parteien des Kleinbürgertums (Wirtschaftspartei und andere Mittelparteien) erhebliche Niederlagen hinnehmen und wurden vom Erfolg der NSDAP aufgerieben. Nachdem die Partei bereits durch Verlautbarungen während der Reichtagswahlen ihre Ausrichtung auf den Mittelstand betonte, stellt Geiger eine nun - 1932 - vollzogene enge Beziehung zwischen Mittelständen und NS fest. Er schreibt:

„Breite Teile des Kleinbürgertums haben die Sache des Nationalsozialismus zu der ihrigen gemacht, die Partei selbst nimmt heute vor allem sie für sich in Anspruch.“[68]

Geiger fasst die Wahlanalyse wie folgt zusammen: Die Zentrumspartei sei durch die starke konfessionelle Anbindung der Wählerschaft noch relativ stabil, während die traditionellen Parteien der Mittelstände dezimiert würden. Während die beiden großen Parteien der Arbeiterbewegung in Lager gespalten und dadurch relativ geschwächt seien, verzeichne die Nazipartei einen Zulauf durch die ehemaligen Anhänger der bürgerlichen Parteien und jugendliche Erwerbslose. Mit einigen wahlarithmetischen Feststellungen erklärt Geiger den Stimmenzuwachs der NSDAP durch die Verluste der bürgerlichen Mittelparteien, durch den Zulauf aus den Reihen der beiden Mittelstände und den „Tagewerken für eigene Rechnung“.[69] Einzige Kraft, die dem Aufschwung des NS tendenziell entgegenstünde, sei das vor allem im katholischen Milieu verankerte Zentrum, welche als kleine, „klassenübergreifende Volkspartei“ über eine eigene, konfessionell geprägte Kultur verfügte.

3.2.3 Die mittelständischen Wirtschaftsmentalitäten in der Weimarer Republik und das nationalsozialistische Wirtschaftsbekenntnis

Die Epoche der späten Weimarer Republik, deren politischen Ablauf Geiger hier an einem Teilaspekt nachzeichnet, ist seiner Auffassung zufolge von einem besonderen Signum gekennzeichnet, und zwar von der kulturellen Hegemonie der Wirtschaft. Eine politische Bewegung müsse sich deshalb auf einen Träger stützen, der über eine weitgehend homogene „Wirtschaftsmentalität“ verfügt, oder bei dem - wie bei den katholischen Wählern des Zentrum - andere Bindungskräfte wirksam seien, welche die Stärke des wirtschaftlichen Bezugs überwiegen. Geiger richtet sein Augenmerk im weiteren Verlauf seiner Argumentation auf die „staatspolitisch-nationale Ideologie der NSDAP“[70] und auf die Frage, welche Mentalitätsunterschiede und Konflikte die jeweiligen Gruppen der Anhängerschaft der NSDAP vorweisen bzw. auszutragen haben. Laut Theodor Geiger ist ein Ziel des NS die Aufhebung der Trennungslinien zwischen den verschiedenen Wirtschaftsmentalitäten in den Mittelständen, die Zusammenführung der Mentalitäten von Bauern, Handwerkern, Kleinhändlern und Angestellten zum politisch agierenden Block. Geiger sieht die Gründe für den Anstieg der NSDAP nicht in einer Festlegung auf den souveränen Volksstaat, sondern im Protest gegen die vorherrschende Regierung. Demnach bezieht die NSDAP ihren Erfolg nicht aus der Überwindung der trennenden Unterschiede der Wirtschaftsmentalitäten durch völkische Ideale, sondern durch die Erfassung derjenigen Gruppen, die gerade in Zeiten der Krise in ihrem Wirtschaftsdenken besonders unsicher sind.

Diesen Zusammenhang zwischen mittelständischer Wirtschaftsmentalität und nationalsozialistischer Politik hat er prägnant zusammengefasst:

„Die Sturzwelle der Hitlerbewegung ist - von der Jugend der Schreibstuben, Hörsäle und Schulzimmer weislich abgesehen! - keineswegs idealistisch, sie ist nicht einmal blutsnaturalistisch, sondern höchst wirtschaftsmaterialistisch - nur eben im negativen Sinne.“[71]

Und an gleicher Stelle heißt es treffend:

„Man dürfte vielleicht sagen: enttäuschte, aussichts- und hilflos gewordene oder ihrer selbst noch nicht sicheren Materialismen fingen an, ihre eigne Verzweiflung oder Ratlosigkeit für idealistische Begeisterung zu halten.“[72]

Nicht die Wirkungskraft von Wirtschaftsmentalitäten wird hier durch die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik aufgelöst, im Gegenteil, „ökonomische Materialismen“[73] benötigen laut Geigers Argumentation einer „Selbst-verschleierung“;[74] die dem unsicheren Wirtschaftsstandort entsprechende Mentalität bedient sich auf der politischen Ebene eines kleinbürgerlichen Radikalismus mit neurotischen Zügen. Geiger betont in diesem Zusammenhang die Kontroversen innerhalb der NS-Partei. Während bestimmte Fraktionen der faschistischen Bewegung eine Art „völkischen Sozialismus“ propagierten (Gebrüder Strasser, Gottfried Fehder und andere), vollzieht sich mit der Fixierung auf die Mittelstände eine Abkehr vom „sozialistischen“ Anspruch. Die NSDAP wird erklärte Mittelstandspartei. Als empirischen Beleg für diese Aussage erwähnt Geiger ein Beispiel aus der Braunschweiger Kommunalpolitik. Dort nämlich lehnte die NSDAP die sozialdemokratischen Sozialisierungsthesen aus Rücksichtnahme auf bürgerliche Koalitionspartner und Mittelstandswähler ab. Zusammenfassend stellt Geiger fest, dass die politische Mobilisierung des „neuen Arbeitnehmermittelstandes“ durch die nationalistische Propaganda und die Weckung ständischer Wunschbilder, welche beide Mittelstände ansprachen, vollzogen wurde. Doch wie bereits erwähnt, konnten diese Propagandatechniken nur deshalb derart erfolgreich sein, weil die ökonomische Bedrängnis des (Besitz-)Mittelstandes die psychische Voraussetzung für die Akzeptanz der NS-Politik lieferten.

3.2.4 Ständische Ideale des Mittelstands und die Politik des Nationalsozialismus

Laut Geiger haben mehrere Autoren auf die Unterschiede zwischen dem französischen und dem deutschen Bürgertum hingewiesen. Während demzufolge beim französischen Bürgertum der linkspolitische Akzent den ökonomischen überwiege, orientierte sich der deutsche Besitzmittelstand im Vorkriegsdeutschland an den weltanschaulich konservativen Parteien. Die bloße Reduzierung des deutschen Bürgertums auf den ökonomischen Sektor stimme also nicht, da auch das deutsche Bürgertum dem weltanschaulichen Bereich - wenn auch weitaus konservativer - verhaftet war. Erst nach 1918 zerfiel dieser Analyse zufolge der Kreis der mittleren und kleinen Besitzer in „hunderte Interessentenhaufen“ mit den entsprechenden politischen Vertretern und Differenzen. Die „wirtschaftlichen Drangsale“ waren derart hoch, dass eine Rücksichtnahme auf „weltanschauliche Idealpolitik“[75] unmöglich geworden sei. Geiger beschreibt die Rolle des zwischen Lohnarbeit und Kapital angesiedelten Mittelstandes so:

„Zwischen den hochgetürmten Mächten des Wirtschaftskampfes gab es nur Parteinahme rechts oder links - und beides war unmöglich, weil der Besitzmittelstand an keiner der beiden Wirtschaftsformen interessiert sein konnte, um die da gekämpft wurde.“[76]

Zwischen den Wirren des Wirtschaftskampfes nehmen die von Geiger untersuchten Mittelstände eine spezifische Haltung ein, welche präzise wie folgt beschrieben wird:

„Das war kein Sieg des Idealismus, sondern ein Aufbäumen herb enttäuschter Materialismen. Der Nationalsozialismus hat in d i e s e m Teil der Bevölkerung nicht ein enges, wirtschaftsbestimmtes Sozialdenken durch weltanschauliche Begeisterung weggefegt, sondern: ein Bürgertum, das seine weltanschauliche Orientierung, Erbgut der 48er und 70er Jahre, in Interessenängsten verloren hatte, das in positiv wirtschaftsbestimmten Sozialdenken seine Einheit nicht finden konnte, warf sich der eignen Verzweiflung in die Arme.“[77]

Von der „messianischen Verheißung“[78] eines ständisch verfassten Gesellschaftssystems angetrieben, wurde gegen die Nivellierungstendenzen der Klassengesellschaft ein „ständisches Prinzip“ verfochten, welches den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Besitz, Geltung und Prestige wahrt. In dieser ständischen Orientierung stellt Geiger einen Differenzierungsgrad innerhalb der Mittelstandsgruppen fest und erklärt diesen so:

„Die psychologische Erklärung dafür ist wahrscheinlich sehr einfach: verletzte oder durch Einebnungstendenzen bedrohte Standesgeltung reagiert; der höhere Beamte hat also auf Grund seiner Dienstfunktionen - und seines Gehaltes die Ranggeltung, die er beansprucht; der mittlere und untere Beamte, dessen Dienst zusehends mehr mechanisiert wird, der insbesondre durch die Vermehrung der öffentlichen Angestellten die Standesgrenzen zwischen sich und ihnen tatsächlich verwischt sieht, hat ständisches Prestige verzweifelt zu verteidigen.“[79]

Geiger sieht den Zuspruch der unteren und mittleren Beamtenschaft zur NSDAP der unsicheren Lage der unteren Gruppen des Mittelstandes geschuldet. Während sich höhere Beamtengruppen auf stabilere Strukturen beziehen können, sind die nachgeordneten Gruppen besonders anfällig für die NS-Propaganda. Im Gegensatz dazu haben insbesondere sozialistische Politikformen bei den Angestellten aufgrund der dort feststellbaren politischen Apathie und dem mit nationaler Gesinnung verbundenen Prestigedenken wenig Erfolg, vor allem aber sei - so Geiger - das Prestigedenken Resultat gesellschaftlicher Prozesse, die mit den oben zitierten Prozessen der Verteidigungshaltung zwischen den gesellschaftlichen Positionen erklärt werden – ständisches Prestige muss verzweifelt verteidigt werden! Zum Abschluss seines Exkurses über die Rolle der Mittelstände im Zeichen des NS macht Geiger noch auf die für die nationalsozialistische Politik folgenreiche Trennlinien zwischen den Mittelständen aufmerksam, welche ihre Ursachen in den unterschiedlichen Interessenlagen (in Bezug auf die Gewerkschaften etwa beim Besitzmittelstand und den Angestellten) der verschiedenen Mittelstandsgruppen hat. Die unterschiedlichen Wünsche an die Politik fasst Geiger wie folgt zusammen:

„[...] der Großlandwirt will Getreideschutzzoll, der Kleinbauer billige Futtermittel, der Handwerker billige Lebensmittel; der Beamte und Angestellte erhofft Wiederherstellung seines Besoldungsstatus - dem Handwerker und Händler ist jeder Groschen für Beamtenbesoldung zuviel.“[80]

Der hier erwähnte „Bruch der Wirtschaftsmentalitäten innerhalb des Mittelstandes wird in der NSDAP deutlich“.[81] Geiger notiert abschließend die Konsequenzen, welche die NSDAP aus dieser Lage zog, in der entgegenstehende Interessen vereint werden sollten. Durch eine schichtspezifische Propaganda nämlich wurde anlässlich der Präsidentschaftswahl 1932 nicht nur das berufsständische Prinzip betont, sondern darüber hinaus ein getrennter Appell an wirtschaftliche Sonderinteressen (Handel, Handwerker, Mediziner, Lehrer) vollzogen, da eine Vereinbarung der Agitation aufgrund der Trennungslinien innerhalb der Wirtschaftsmentalität nicht möglich war.

3.3 Zusammenfassende Bewertung der Geigerschen Argumentation

Ein inhaltlicher Kern in diesem Exkurs ist von besonderer Wichtigkeit: Der anhand der Wahlergebnisse spätestens in den frühen 1930er-Jahren feststellbare Zerfall der bürgerlichen Mittelparteien konnte – so Geiger - von der NSDAP dahingehend genutzt werden, dass diese Wählerschichten (beide Mittelstände, seit 1930 zunehmend aus den gewerblichen bzw. bäuerlichen Kreisen, Jungarbeiter und Erwerbslose) für die NS-Partei gewonnen werden konnten. Durch die Vernachlässigung der nationalen Frage durch die klassischen Arbeiterparteien konnte die Rechte laut Geiger dieses Thema erfolgreich für sich besetzen und somit in die Mittelstände eindringen. In der prekären Lage während der Weltwirtschaftskrise sahen sich die Mittelstände zwischen der Industriearbeiterschaft und dem Großkapital eingeengt, das unsichere Wirtschaftsdenken insbesondere der mittleren und unteren Mittelstände fand im NS eine adäquate Bewegung. Mit der Bedienung ständischer Wunschbilder und nationalistischer Propaganda konnte die NSDAP die Mittelstände politisch mobilisieren, während die Partei selbst die „sozialistische“ Phraseologie weitgehend in den Hintergrund stellte. Durch das „Aufbäumen herb enttäuschter Materialismen“[82] innerhalb der Mittelstände, konnte die NSDAP also einen rasanten Aufschwung verzeichnen. Geiger hat in seinem dreizehnseitigen Exkurs aufgezeigt, dass die Programmpunkte der NSDAP widersprüchlich, die nationalen Appelle des weiteren bemerkenswert ungenau waren. Getrieben von der unsicheren Stellung im „Niemandsland“ zwischen Industriearbeiterschaft und Großkapital, verunsichert durch die Weltwirtschaftskrise, weist die Mentalität des alten Mittelstandes der kleinen Selbstständigen und des neuen Mittelstandes der Angestellten und Beamten eine Affinität zum „Wirtschaftsmaterialismus“ der NSDAP auf. Diesen oben erwähnten Zusammenhang prägnant dargestellt und plausibel gemacht zu haben, ist neben der Einführung der Kategorie „Mentalität“ in die Untersuchung ein Verdienst des Soziologen Theodor Geiger. Jahre später resümierte er in dem 1949 erschienen Werk „Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel“ den von ihm erforschten Zusammenhang mit den oft zitierten Worten:

„Die kurze Rolle der Mittelschichten in der großen Politik ist ein Paradox der Gesellschaftsgeschichte: eine Klasse leugnet mit Entrüstung Klasse zu sein und führt einen erbitterten Klassenkampf gegen Wirklichkeit und Idee des Klassenkampfes.“[83]

Und eben dieser „Klassenkampf gegen die Wirklichkeit“ sowie die Anfälligkeit für die nationalsozialistische Propaganda wurde von den von Geiger herausgearbeiteten „zeit- und standortinadäquaten Ideologien“ der Mittelstände begünstigt.

4. „Dämonisierung des Mittelstands“ – Die Kontroverse in den 1930er Jahren

Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Geigerschen Aufsatzes „Panik im Mittelstand“ veröffentlichten verschiedene andere Wissenschaftler, Publizisten und Politiker Einschätzungen, die – sofern sie nicht in direkter Bezugnahme seinen Thesen zustimmten – Geigers Deutung des NS als Mittelstandsbewegung mit neuen Argumenten unterstützten.[84] Walter Mannzen z.B. schrieb in dem sozialdemokratischen Organ „Neue Blätter für den Sozialismus“, dass der Nationalsozialismus „das ganze spezifische Kleinbürgertum“ repräsentiere und nannte als hervorstechende Gruppe das selbstständige Handwerk, nicht ohne auf die relativ hohe Anzahl von Arbeitern hinzuweisen, die in den „Hitlerschen Sturmtruppen“ aktiv seien.[85] Hendrik de Man wies 1931 mit Nachdruck auf die Ergebnisse der damaligen soziologischen Studien hin, nach denen die NSDAP eine „typische Bewegung von Mittelständlern und Stehkragenproletariern“ (de Man) sei:

„Alle soziologischen Untersuchungen über die Zusammensetzung der nationalsozialistischen Wählerschaft in Deutschland kommen zu demselben Ergebnis: Diese Schichten gehören im wesentlichen zum proletarisierten oder mit Proletarisierung bedrohten sogenannten Mittelstand.“[86]

Politiker wie der Sozialdemokrat Carl Mierendorff reihen sich ebenfalls in die Gruppe derjenigen ein, welche die prekäre Lage der von Proletarisierung bedrohten Mittelstände als Ursache für den Übergang zur faschistischen Bewegung betrachten und Svend Riemer wiederum benennt in der Zeitschrift Die Arbeit die Angestellten, das Beamtentum und Teile der Bauernschaft als „soziologische Träger“ der faschistischen Partei.[87] Rudolf Heberle – dessen hier angeführte Untersuchung über die Wahlentwicklung in der schleswig-holsteinischen Landbevölkerung für S.M. Lipset als Quellenmaterial von besonderer Bedeutung war – konzentrierte sich auf die Rolle der Landwirte und hob, nachdem 1932 die NSDAP mit 51% zum ersten mal in einem Wahlkreis die absolute Mehrheit erhielt, den Anteil der mittelständischen Bauern an der Stärkung der NSDAP hervor.[88] Wolfgang Kraushaar weist in seiner Überblicksdarstellung über die Debatte in den 1930er-Jahren[89] noch auf andere Personen hin, welche vor der Anfälligkeit der Mittelstände für die nationalsozialistische Partei warnten: der sozialdemokratische Theoretiker Rudolf Küstermeier, der sozialdemokratische Ökonom Erik Nölting, der linkskatholische Publizist Walter Dirks (der in der frühen Bundesrepublik zu den wichtigsten politischen Kommentatoren zählen sollte), der Nationalökonom Emil Lederer und andere. Zu den wortmächtigsten Kritikern dieser Auffassung zählte der sozialistische Historiker Arthur Rosenberg, der sich in einer 1934 zuerst veröffentlichten Schrift eindeutig gegen die Auffassungen von Geiger und anderen richtete. Diese „Dilettanten der Soziologie“, schrieb Rosenberg

„[...] fanden meistens, daß die Kleinbürger jene geheimnisvolle Klasse wären, mit deren Hilfe Hitler und Mussolini ihre Siege erfochten haben. Der Gemüsehändler Fritz Schulze wuchs empor zu dämonischer Größe. Mit der einen Hand hält er das Proletariat nieder und mit der anderen den Kapitalismus.“[90]

Rosenbergs glänzend formulierte Polemik wider die „Dämonisierung des Mittelstandes“ kann jedoch die überzeugend herausgearbeitete Unterstützung der nationalsozialistischen Bewegung und Wahlpartei durch die Mittelstände nicht widerlegen. Der Kern dieses hier ausgefochtenen Streits liegt auf einer anderen Ebene, er bezieht sich auf die unterschiedliche Verwendung von analytischen Kategorien zur Erklärung des Faschismus. Während die Mittelstandstheoretiker in den Wahlerfolgen und Zuwächsen der Bewegung durch die Mittelstände die wesentliche Triebkräfte der Entwicklung des Faschismus sehen, rekurriert der sozialistische Gelehrte Rosenberg auf die politischen Gruppen aus Industrie, Reichswehr und Kapital, welche nach seiner Auffassung weitaus maßgeblicher für Erfolg und politischen Charakter des Faschismus seien. Rosenberg nimmt hier ein Motiv der Kritik vorweg, welches in der faschismustheoretischen Rezeption der Mittelstandstheorien häufig verwendet wurde. Doch trotz der vereinzelten Einwände gegen die Fixierung auf die Rolle der Mittelstände für die Erklärung des Erfolgs des deutschen Faschismus, fand der „Chor der Mittelstandstheoretiker“ (Jürgen W. Falter) bis in die USA und Großbritannien Gehör. Autoren wie Harold Lasswell, auf den sich S.M. Lipset später wieder beziehen sollte, kennzeichnete die NS-Bewegung als „Verzweiflungsreaktion der unteren Mittelklassen“ und der US-amerikanische Ökonom David J. Saposs beschreibt 1935 den Faschismus als „extremistische Ausdrucksform der Zugehörigkeit zur Mittelklasse oder des Populismus“.[91] Zu diesem Stand der Debatte wurden also Einschätzungen zur sozialstrukturellen Zusammensetzung der NSDAP als Bewegung und Wahlpartei vorgelegt, die den von Theodor Geiger vorgetragenen Punkt unterstützten und die noch Jahre später in verschiedenen Studien verifiziert wurden und lange – bis zur Vorlage präziserer Untersuchungen Anfang der 1990er Jahre - ihre Gültigkeit behalten sollten.[92] Und auch die von Arthur Rosenberg formulierte Kritik kann die Analyse nicht entwerten (zumal Geiger ausdrücklich auch auf seine analytische und methodische Konzentration auf den Teilaspekt der NS-Bewegung hinwies). Die Verlagerung des Blicks vom „Gemüsehändler Fritz Schulze“ zu den Größen aus Reichswehr, Kamarilla, Finanzkapital, Schwerindustrie etc. ist jedoch für ein umfassendes faschismustheoretisches Verständnis des Aufstiegs der nationalsozialistischen Bewegung unabdingbar, da ansonsten Kurzschlüsse wie die von dem bedeutenden Hitler-Biographen Joachim C. Fest drohen, der unter Verweis auf die nazifizierten Mittelstände über die „soziale Substanz“ der nationalsozialistischen Bewegung formulierte:

„[...] diese Millionen sind es gewesen, die den Erfolg Hitlers ermöglichten, nicht die der Industrie.“[93]

4.1 Theodor Geigers Mittelstandsanalyse im Kontext anderer theoretischer Ansätze

Zu den dominierenden Erklärungsansätzen des deutschen Faschismus zählte über lange Jahre die vor allem von konservativen Autoren wie Joachim C. Fest und Golo Mann maßgeblich geprägte „Führertheorie“, welche eine personalisierende, auf Adolf Hitler und die unmittelbare NS-Spitze fixierte Analyse des Dritten Reiches vornimmt. Vertreter dieser Richtung stehen der Untersuchung der sozialen Zusammensetzung der NS-Bewegung entsprechend kritisch bzw. ablehnend gegenüber. Ernst Nolte, der selbst einen phänomenologischen Ansatz formulierte,[94] hielt der Frage nach Zusammensetzung und Herkunft der sozialen Trägerschaft der NSDAP entgegen, die Erkenntnis, welche bei dieser Frage gewonnen werde sei

„[...] eng begrenzt, da eine Untersuchung der französischen Radikalsozialistischen Partei oder der englischen Heilsarmee zu ganz ähnlichen Resultanten kommen würde“[95]

Und mehr noch, die

„vulgärmarxistische (...) Zurückführung allen Unheils auf die schwachen oder bösen >Kleinbürger< bedarf selbst der soziologischen und psychologischen Klärung“[96]

Obschon die NSDAP bei den Wahlen 1928 nur 2,6%, im Juli 1932 jedoch 37,4% der Stimmen erlangte und somit einen rasanten Aufschwung vollzog, hält Nolte die Frage nach den sozialen Trägern des Aufstiegs der nationalsozialistischen Bewegung für eine „vulgärmarxistische“ Abirrung. Ernst Nolte dürfte damit Auffassungen wie die von Luigi Salvatorelli meinen, der bereits 1923 über den italienischen Faschismus schrieb:

„Der Faschismus stellt also den Klassenkampf des Kleinbürgertums dar, das sich zwischen Kapital und Proletariat wie der dritte zwischen zwei Kämpfenden befindet.“[97]

Die Frage nach der sozialen Lage der Hauptgruppen der NS-Bewegung, nach ihrer gesellschaftlichen Position und der entsprechenden Ideologie und Mentalität jener Gruppen ist Gegenstand der Mittelstandstheorien. Welche Notwendigkeit in der kritischen Untersuchung gerade der kleinbürgerlichen Schichten liegt, zeigt eindrucksvoll beispielsweise das Programm der Schleswig-Holsteinischen Landespartei, deren Anhang später der NSDAP angegliedert wurde:

„Der Handwerker muß einerseits gegen den Kapitalismus geschützt werden, der ihn mit seinen Fabriken erdrückt, und andererseits gegen den Sozialismus, der danach strebt, einen proletarischen Lohnarbeiter aus ihm zu machen. Gleichzeitig muß der Kaufmann gegen den Kapitalismus in der Form großer Warenhäuser verteidigt werden und der Einzelhandel gegen die Gefahr des Sozialismus.“[98]

„Gegen Kapitalismus und Marxismus“ lautete eine Parole der NSDAP, welche das im „Niemandsland“ zwischen Industriekapital und Arbeit angesiedelte Kleinbürgertum ansprach und auch eine Erklärung für den Antisemitismus in dieser Schicht lieferte. Bankdirektor und Spekulant, Wucherer und Intellektueller, Kommunist und Revolutionär, Kosmopoliten und bürgerliche Liberale - all diese symbolisch besetzten „Funktionen“ in der kapitalistischen Moderne wurden in der antisemitischen Propaganda mit den Juden verbunden. Der antisemitische Kampf wurde auf diese Weise mit dem erhofften Ende des Klassenkampfs verknüpft und ist Ausdruck einer spezifischen, später noch näher zu erläuternden Ideologisierung sozialer Verhältnisse. Reinhard Kühnl schreibt in seinen Ausführungen zu Theodor Geiger über den Charakter der Mittelstandstheorien, welche der sozialen Lage und der daraus resultierenden Mentalität besondere Aufmerksamkeit widmen:

„Aus dieser Lage der beiden >>Mittelstände<< - der Kleineigentümer und der Angestellten - leiten die Mittelstandstheorien die Empfänglichkeit dieser Schichten für die faschistische Ideologie ab: die Sehnsucht nach vorindustriellen, vorkapitalistischen, agrarisch-kleingewerblich geprägten Gesellschaftsformen, die Frontstellung gegen Arbeiterbewegung und Großkapital , von denen sie sich bedroht fühlen, den Wunsch nach dem >>starken Staat<<, der ihre bedrohte soziale Stellung sichern soll, die Identifizierung mit dem Ganzen, der Nation die Sicherheit und Selbstgefühl vermitteln kann.“[99]

Geiger hat diesen Zusammenhang - den Wunsch nach dem Ende des Klassenkampfs - mit seinem einprägsamen Wort von den „enttäuschten Materialismen“, die der „Selbstverschleierung“ und der „idealistischen Verklärung“ realer gesellschaftlicher Widersprüche bedürfen, zusammengefasst. Hier liegt ein Problem, welches Gegenstand der klassischen Ideologiekritik ist. Es lassen sich die falschen gesellschaftlichen - standort- bzw. zeitinadäquaten - Vorstellungen der Mittelstände treffend mit Georg Lukács („Geschichte und Klassenbewußtsein“) ideologiekritisch charakterisieren:

„Es erscheint einerseits als etwas subjektiv aus der gesellschaftlich-geschichtlichen Lage heraus Berechtigtes, Verständliches und Zu-Verstehendes, also als >richtiges< und zugleich als etwas objektiv an dem Wesen der gesellschaftlichen Entwicklung Vorbeigehendes, sie nicht adäquat Treffendes und Ausdrückendes, also >falsches Bewußtsein<.“[100]

Geiger weist weiter sehr plausibel jene Affinität auf, welche zwischen der sozialen Lage und Mentalität der Mittelstände einerseits und dem rasanten Aufschwung der NSDAP andererseits besteht. Da Geiger in seiner Fragestellung bereits betont, dass er keinesfalls „eine Kritik des Nationalsozialismus im ganzen“[101] vorbringen will, sondern allein „einzelne, wenn auch sehr wichtige Züge der Bewegung behandelt“[102], kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass dieser Ansatz stimmig ist und nicht die Erklärung des Faschismus an der Macht sein kann. Trotzdem bleibt die Frage offen, welchen Stellenwert die genaue Untersuchung der „Nazifizierung des Mittelstandes“ – so der Titel eines von Arthur Schweitzer verfassten Buches,[103] in welchem dieser die konservative Statusideologie des Mittelstandes im NS-Regime herausarbeitete und daraus auch eine Gefährdung der Bundesrepublik folgerte – für die Analyse des deutschen Faschismus hat. Der von Theodor Geiger begründete soziologische Ansatz bildete vor allem den Vorläufer und die Grundfigur für die später von S.M. Lipset formulierte These vom „Extremismus der Mitte“, die in den hier referierten Debatten der 1930er Jahre ihren Unsprung hat und später als „Mittelstandstheorie“ in die Faschismusforschung einging. Die hier von Geiger diagnostizierte „Panik im Mittelstand“ und „ideologische Verirrung“ breiter Bevölkerungsschichten geben - wie gesehen - gewichtige Hinweise darauf, warum sich die NSDAP derart schnell entwickeln konnte und warum ihre Wähler und Mitglieder sich zu erheblichen Anteilen aus den Mittelständen rekrutierte. Die Konzentration auf den charismatischen Führer jedoch zeugt von einer – geläufigen – Verengung der Perspektive auf die großen Männer, die Geschichte machen; Noltes scharfe Kritik an den Mittelstandstheorien zeugt wiederum von Ignoranz gegenüber einer sozialwissenschaftlichen Forschung, welche statt der emphatischen Exegese von Reden, Archivakten, Protokollen und Gesamtausgaben die sozio-ökonomische Dynamik gesellschaftlicher Prozesse in ihren kausalen Zusammenhängen verstehen will und deshalb auf die Frage, warum sich in Deutschland maßgebliche Teile des Mittelstands zur nationalsozialistischen Bewegungen hinorientiert haben, nicht verzichten kann. Kühnl, der sich in seiner eigenen Analyse des Faschismus vor allem auf die maßgebliche Rolle von Reichswehr, Staatseliten und Industrie konzentriert, schreibt dazu mit Recht:

„Ohne eine Klärung dieser Frage können die Ursachen, die faschistische Bewegungen hervorbringen und die Bedingungen, die ihren Aufstieg ermöglichen, nicht ermittelt werden.“[104]

4.2 Exkurs: Antisemitismus und Mittelstände – Die Funktion der antisemitischen Agitation für den Aufstieg der NSDAP

Zu den Ursachen und Bedingungen, die den Aufstieg der NSDAP neben anderen ermöglichten, zählt zweifellos der Antisemitismus in Deutschland.

Diesen Zusammenhang nicht hinreichend und ausführlich dargestellt zu haben, zählt zu den Leerstellen von Theodor Geiger, der trotz seines Verweises auf die Bedeutung von Mentalität und Ideologie die Rolle des Antisemitismus nicht gesondert ausführt, obwohl dieser eine wesentliche Rolle für die Ideologie der Mittelstände spielte. In diesem Exkurs soll kurz auf die antisemitische Grundhaltung verschiedener Teile des Mittelstandes verwiesen werden. Der Antisemitismus, der in seiner modernen Variante auf eine lange Tradition von Vorläufern - vom christlichen Antijudaismus bis zum Ruf „Die Juden sind unser Unglück“ durch den bedeutenden Historiker Heinrich von Treitschke - zurückblicken kann, erfährt im preußisch-deutschen Kaiserreich eine Phase der Institutionalisierung: 1884 wird unter maßgeblichen Einfluss von Krupp-Direktor Alfred Hugenberg der Alldeutsche Verband gegründet, dessen späterer bayerischer Landesvorsitzender der Verleger J.F. Lehmann wurde. Besagter Lehmann war Herausgeber des Münchener Medizinischen Wochenblattes, einem der einflussreichsten Fachblätter für die deutsche Ärzteschaft. Zielgruppe des Alldeutschen Verbandes war die Elite in Deutschland: Professoren, Ärzte, Lehrer, Publizisten, Juristen und Pfarrer – ein Verweis darauf, dass die treibenden (Gründungs-)Kräfte des modernen Antisemitismus (der analytisch in seiner rassistisch-„wissenschaftlichen“ Form vom klassischen christlichen Antijudaismus zu trennen ist) sich nicht alleine aus dem Mittelstand rekrutierten, sondern auf Einflussträger des Bildungsbürgertums, der Konzerne und der Wissenschaft zurückgeführt werden müssen.[105] Teile der Mittelschichten – die wie die Kleinhändler als Segment des alten Mittelstandes von den sozio-ökonomischen Prozessen (neue Formen des Warenaustausches, Entstehung moderner Kauf- und Warenhäuser, Entwicklung des Finanzkapitals) besonders betroffen waren - fungierten in dieser Situation vor allem als Rezipienten und aktiver Part zugleich. Die Stellung dieser sozialen Gruppe als Zwischenklasse ist hier für die Ideologiebildung von hervorragender Bedeutung, fühlten sich die Mittelklassen doch von Lohnarbeit und Kapital zugleich in ihrer Existenz bedroht. Hieran konnte die antisemitische Agitation der frühen NSDAP anknüpfen, da die frühen Reden und Schriften von Adolf Hitler[106] an genau diese Doppelfunktion „des Juden“ – der in seiner Funktion als „soziales Wesen“ Kommunist und Kapitalist zugleich sein sollte - appellierten. Schon in „Mein Kampf“ lautet eine prägnante Stelle:

„Indem er auf der einen Seite die kapitalistischen Methoden der Menschenausbeutung bis zur letzten Konsequenz organisiert, macht er sich an die Opfer seines Geistes und Waltens selber heran und wird in kurzer Zeit schon der Führer ihres Kampfes gegen sich selbst sein.“[107]

Neben den Bemühungen um eine wissenschaftliche Grundierung des modernen rassistischen Antisemitismus liegt die entscheidende Differenz zur früheren Form des wesentlich vom Gottesmord-Vorwurf bestimmten christlichen Antijudaismus in der Ablehnung des Konvertitentums, welches den Juden durch einen „Guß Taufwasser“ immer noch gestattet habe, der Verfolgung zu entfliehen. Auch wenn antisemitische Organisationen wie der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DVSTB) keine Massenbewegungen im herausragenden Sinne wurden,[108] konnten sich diese Organisationen auf weit verbreitete Stereotypen und Klagen über die „Verjudung“ in Kultur, Presse, Politik und Wirtschaft beziehen. In der Schaffung dieses Feinbildes konnten auf „den Juden“ zahlreiche Ressentiments, Ängste und Ablehnungen übertragen werden: Die Ablehnung der „zersetzenden“ Kultur und des Liberalismus, die Personalisierung der „bolschewistischen Bedrohung“ durch „den Juden“ ebenso wie die Karikatur des jüdischen Geschäftsmannes und Börsenmaklers oder die Klage über die „Judenrepublik“ – sämtliche Entfremdungsgefühle ließen sich auf diese abstrakte Person beziehen. Doch trotz dieser nicht gering verbreiteten Judenfeindschaft blieb die NSDAP in ihrer frühen, stark antisemitisch geprägten Phase eine kleine Partei, selbst nach dem Krisenjahr 1923 konnten in der anschließenden Wahl vom Mai 1924 nur 6,5% der Stimmen verbucht werden. Anders als die Kommunisten, welche nicht als Teil der bürgerlichen Gesellschaft angesehen wurden, waren die Juden ein - nicht vollständig akzeptierter! - Teil derselben, weshalb mit der Fixierung auf die Juden alleine keine Massenbewegung initiiert werden konnte. Doch obwohl für die Jahre nach 1926 eine Abwendung von allzu lauten „Krawallantisemitismus“ - dessen Höhepunkt lag in den Jahren 1919 bis 1923[109] - und die Stärkung eines strikt anti-marxistischen „legalistischen“ Kurses verzeichnet werden kann,[110] blieb für eine Gruppe die Agitation in der schichtspezifischen Propaganda konstant: für Teile des Mittelstandes – hier vor allem die Kleinhändler – und der Akademiker.

Der „NS-Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand“ beispielsweise knüpfte genau an dem Punkt an, wo die wesentlichen Bedrohungspotenziale für diese Teile des Mittelstandes gesehen wurden. Der „NS-Kampfbund“ agitierte gegen die Welt der „jüdischen“ Warenhäuser, welche die Kleinhändler qua übermächtige Konkurrenz bedrohten und gegen die kommunistischen „jüdischen“ Politiker, deren Forderungen nach Sozialisierung ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Existenz mittelständischer Existenzen darstellte. Auch die deutschen Studenten und Akademiker (besser: die christlichen deutschen Studenten und Akademiker) sahen in den jüdischen Kommilitonen vor allem potenzielle Konkurrenten. Dieser kurze Hinweis auf die antisemitischen Potenziale im Mittelstand und Bildungsbürgertum verdeutlicht die Verschränkung der sozialen Lage mit der Ideologiebildung: Da der Mittelstand – in besonderer Form die Kleinhändler als Teil des klassischen alten Mittelstandes – vor allem vom sozio-ökonomischen Prozess des Wandels betroffen war, diente der Antisemitismus verschiedenen Zwecken. „Der Jude“ diente als Chiffre des Unbehangens am wirtschaftlichen und politischen Wandel, die Angriffe vor allem des Bildungsbürgertums galten dem „Überhang“ von Juden in bestimmten Berufen, „jüdisch“ galt als Gegensatzpaar vor allem zum „deutschen“ (besser: völkischen) Denken. In diesem Zusammenhang finden sich Gründe, warum das antisemitische Syndrom im Verbund mit anderen Elementen (Antimarxismus, Antiliberalismus) so wirkungsmächtig wurde: Aufgrund der prekären Zwischenstellung der Mittelstände wird eine Disposition für antisemitische Muster geschaffen, die sich jedoch nicht alleine durch einen Kurschluss zwischen sozialer Lage und unmittelbar darauf folgender politischer Haltung erklären lässt. Nur durch die politische Kultur eines Landes, welches seit dem preußisch-deutschen Kaiserreich zu einem Zentrum des Antisemitismus in seiner modernen Form wurde, kann die Wirkungsmächtigkeit und Existenz von Ideologien hinreichend berücksichtigt werden.

Als Ergebnis dieser kurzen kursorischen und unvollständigen Überlegung sei aber festgehalten, was für die gesamten Kontroversen und Debatten über den „Extremismus der Mitte“ von Wichtigkeit ist: Antisemitismus ist kein Phänomen der Ränder der Gesellschaft, seine sozialen, politischen und kulturellen Wurzeln können nicht auf fanatische >>Radauantisemiten<< oder alkoholisierte SA-Männer zurückgeführt werden. Der Antisemitismus findet seine Förderer in den Konzernen der damaligen Zeit, seine geistig-ideellen Voraussetzungen in den Kirchen und im Bildungsbürgertum, seine Verbreitung vor allem in den Mittelständen, wobei hier nicht zuletzt die Kleinhändler zu nennen sind. Zwei zentrale Elemente der faschistischen Ideologie, der Antimarxismus und der Antisemitismus, hatten also in den Mittelschichten eine nennenswerte Resonanz, die auch erklärt, warum aus dieser sozialen Schicht kaum Protest laut wurde, als im Anschluss an die Verhaftungen Anfang Februar 1933 die führenden Mitglieder und Funktionäre der deutschen Arbeiterbewegung aus dem politischen Leben entfernt wurden. Bevor nun die soziologischen Mittelstandstheorien einer umfassenden kritischen Bewertung unterzogen werden können, muss jedoch zuerst die sich an den von S.M. Lipset formulierten Terminus vom „Extremismus der Mitte“ anschließende Debatte nachgezeichnet und analysiert werden.

5. S.M. Lipsets „Extremism of the center“ – Analyse, Rezeption, Kritik

Während Theodor Geiger bereits in den 1930er Jahren auf die Affinität der Mittelstände zur nationalsozialistischen Bewegung hingewiesen hat, begründete der liberale US-amerikanische Soziologe S.M. Lipset in seiner Untersuchung „Der >>Faschismus<<, die Linke, die Rechte und die Mitte“ das Theorem vom „Extremismus der Mitte“ („extremism of the center“), welches struktur- und schulbildend für die weitere Debatte über den Faschismus als Mittelklassenbewegung wurde.[111] Lipsets zentraler Punkt ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Zerfall der Mittelstandsparteien während der Weimarer Republik und dem Aufstieg der NSDAP. Methodisch versucht er dies durch den statistischen Vergleich der Reichstagswahlen während der Jahre 1928 bis 1932, welche die Endphase der Weimarer Republik markieren, zu belegen. In dieser Zeit konnte die NSDAP ihren prozentualen Anteil an der Gesamtstimmenzahl von 2,6% (1928) auf 33,1% (1932; das Wahlergebnis 1933 war 43,9%) steigern, während die klassischen Mittelstandsparteien wie DVP, DDP, Wirtschaftspartei und andere aus diesem politischen Spektrum mehr als 80% Verluste in ihrer Wählerschaft hinnehmen mussten.[112] Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Lipset in seinem Text trotz der frappierenden Ähnlichkeit der Analyse keine nennenswerte Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Beitrag von Geiger führt, obwohl ihm die Zeitschrift Die Arbeit und die Studie von Geiger durchaus bekannt waren.[113] Die wichtigsten Referenzen von Lipset sind die Arbeiten von K.D. Bracher, David J. Saposs, Harold Lasswell, Reinhard Bendix, Günther Franz und Rudolf Heberle; Geiger ist hier nur eine Nebenfigur. Lipsets Topos vom „Extremismus der Mitte“ ist folglich eine Weiterentwicklung des Theorems von Geiger, dessen eigener Anteil an der Entwicklung der historischen Mittelstandstheorien von Lipset nicht hinreichend kenntlich gemacht wird.[114]

5.1 Die politisch-soziologischen Begriffe „links“, „rechts“ und „Mitte“ bei S.M. Lipset

Beginnend mit einem Verweis auf die Befürchtungen, mit der Rückkehr de Gaulles an die Macht im Jahre 1958 könne sich in Frankreich der Faschismus als Bewegung wieder etablieren, stellt sich Lipset die „Frage nach dem Charakter der verschiedenen Arten von extremistischen Bewegungen“.[115] Ausgehend von der Voraussetzung, „links“, „rechts“ und „Mitte“ würden als politische Richtungen je eine gemäßigte und eine extremistische Variante aufweisen, erweitert er in seinem spezifischen Ansatz die klassische Unterscheidung zwischen Links- und Rechtsextremismus um einen „Extremismus der Mitte“ und konzentriert sich in seiner Beobachtung sowohl auf die Ideologie als auch auf die gesellschaftliche Stellung der jeweiligen Gruppen, welche entlang dieser politischen Geographie verortet werden. Lipset schreibt:

„Die Untersuchung der gesellschaftlichen Grundlagen verschiedener moderner Massenbewegungen weist darauf hin, daß in jeder größeren sozialen Schicht sowohl demokratische als auch extremistische politische Tendenzen sich äußern. Die extremistischen Bewegungen der Linken, der Rechten und der Mitte (Kommunismus und Peronismus, traditioneller Autoritarismus und Faschismus) wurzeln der Reihe nach in der Arbeiter-, der Ober- und der Mittelklasse. Der Begriff >>Faschismus<< ist gelegentlich auf alle drei Arten von Extremismus angewendet worden, doch zeigt die Analyse der gesellschaftlichen Grundlagen und der Ideologien, daß die verschiedenen Bewegungen nicht den gleichen Charakter besitzen.“[116]

Lipset weist an dieser Stelle auf die begriffsgeschichtliche Herkunft der politisch-soziologischen Begriffe „links“, „rechts“ und „Mitte“ aus der Ersten Französischen Republik hin und stellt fest, dass vor 1917 politischer Extremismus vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums verortet wurde (monarchistische Kräfte bzw. Vertreter aristokratischer Herrschaftsformen vs. Demokratie), danach aber auch dessen „linke“ Variante (in Lipsets Terminologie: Faschismus und Kommunismus) wirkungsmächtig wurde. Ausgehend von dieser Auffassung - so Lipset - seien Extremisten jeweils am linken und rechten Ende des politischen Kräfteverhältnisses festgestellt worden, während die Kräfte der Mitte - die „Gemäßigten“ - für die Demokratie votieren würden. Diese bipolare Setzung des Extremismusbegriffes erweitert Lipset um eine entscheidende Kategorie und wendet sich gegen die einseitige Fixierung auf die „Extremisten von links und rechts“:

„Ich möchte in dem vorliegenden Artikel zu zeigen versuchen, daß dies ein Irrtum ist, daß nämlich extremistische Ideologien und Gruppen in derselben Weise und in denselben Begriffen klassifiziert und analysiert werden können wie die demokratischen Gruppen, das heißt also in den Begriffen der Rechten, der Linken und der Mitte. Die drei extremen Positionen haben nämlich mit ihren gemäßigten Parallelen sowohl die Zusammensetzung ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Grundlage als auch den Inhalt ihres jeweiligen Appells gemeinsam. Obwohl ein Vergleich der drei Positionen des demokratischen mit den drei des extremistischen Kontinuum von größtem Interesse wäre, möchte ich mich hier doch auf die Politik der Mitte, also auf die am meisten vernachlässigte Art von politischem Extremismus, sowie auf jene Form des >>Linksextremismus<< beschränken, die manchmal >>Faschismus<< genannt wird, nämlich auf den Peronismus, wie er in Argentinien und Brasilien aufgetreten ist.“[117]

5.1.1 Methode und Untersuchungsgegenstand

Hier wird die methodische Grundlage der Lipsetschen Argumentation deutlich: Durch die empirische Fundierung seiner Argumentation mit statistischem Material der Reichstagswahlen in der Weimarer Republik von 1928 bis 1932, in der eine Korrelation zwischen den Ergebnissen der klassischen Mittelstandsparteien und dem Aufstieg der nationalsozialistischen Partei festgestellt wird, findet Lipset wichtige Belege für die Klassifizierung der NSDAP als Mittelklassenbewegung und nicht etwa - wie zu vermuten wäre - für die Etikettierung der Partei als Variante eines radikalisierten Konservatismus oder deutschen Faschismus. Die sozialstrukturelle Ähnlichkeit zwischen NSDAP-Wählern vor 1933 und >>Liberalen<< sei signifikanter als bei Anhängern konservativer Parteien. Über die ideologische Ausrichtung des Liberalismus und der daraus folgenden Vergleichbarkeit mit der politisch-programmatischen Haltung der NSDAP schreibt er:

„Die klassischen faschistischen Bewegungen vertreten zum Beispiel den Extremismus der Mitte. Obgleich zwar die faschistische Ideologie in ihrer Glorifizierung des Staates antiliberal ist, hat sie mit dem Liberalismus nicht nur die Opposition gegen die Großindustrie, die Gewerkschaften und den sozialistischen Staat gemeinsam, sondern auch die Gegnerschaft gegenüber der Religion und anderen Formen des Traditionalismus.“[118]

In Anknüpfung an ein Motiv, welches schon von Theodor Geiger und anderen verwendet wurde - die Frontstellung des Liberalismus gegen Großindustrie und Gewerkschaften - entwickelt S.M. Lipset sein Theorem, welches für die spätere Rezeption dieses Ansatzes entscheidend ist. Schon zuvor, in der Endphase wirtschaftlicher Depression, hatten von Lipset zitierte Wissenschaftler wie Harold Lasswell auf den Zusammenhang von faschistischem Aufstieg und der sozialen Situation der Mittelklassen hingewiesen. Lasswell sprach beispielsweise vom „Hitlerismus“ als einer „Verzweiflungsreaktion der unteren Mittelklassen“, deren „psychologische Verarmung“ die „emotionale Unsicherheit ihrer Mitglieder“ verschärfe und die faschistischen „Bewegungen des Massenprotestes“ stärke.[119] Lipset schlussfolgert daraus:

„In dem Maße, in dem die Bedeutung der Mittelklasse vergleichsweise abnahm und ihre Ressentiments gegen bestehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends bestehenbleiben, wurde aus der >>liberalen<< Ideologie einer revolutionären Klasse - welche für die individuellen Rechte und gegen die in den Händen weniger Leute geballte Macht kämpfte - die Ideologie einer reaktionären Klasse.“[120]

Diese Transformation der Ideologie der Mitte, welche sich aufgrund des Drucks der modernen industriellen Ordnung auf die Mittelklassen vollzieht, steht im Kernpunkt des Interesses bei Lipset, dessen Untersuchungen sich zahlreichen, durchaus unterschiedlichen mit der Kennzeichnung Faschismus versehenen politischen Richtungen widmet. Anhand von Wahlstatistiken, ökologischen Untersuchungen, Sozialstrukturanalysen und der Auswertung der Fachliteratur widmet er sich in seinen Fallbeispielen Deutschland, Ungarn, Österreich, Frankreich, Italien, USA und Argentinien. Die dortigen für seine Argumentation relevanten politischen Strömungen ordnet er in die Kategorien Rechtsextremismus (Horthy-Regime in Ungarn, Dollfuß-Regime in Österreich, Franco-Diktatur in Spanien, Gaullismus in Frankreich), Extremismus der Mitte (italienischer Faschismus, Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich, Poujadismus in Frankreich, McCarthy-Ära in den USA) und Linksextremismus (Peronismus in Argentinien, Vargaismus in Brasilien) ein. Lipset erklärt die spezifische Form seines Ansatzes wie folgt:

„Die Untersuchung moderner totalitärer Bewegungen bedient sich im allgemeinen der alten Begriffe der Linken, der Rechten und der Mitte. Die Politiker, wie auch die Gelehrten, haben in diesen Bewegungen die beiden Extreme des politischen Spektrums gesehen und daher vom Kommunismus als der extremen Linken und vom Faschismus als der extremen Rechten gesprochen. Doch können sowohl die antidemokratischen Ideologien als auch die antidemokratischen Gruppen besser klassifiziert und analysiert werden, wenn man erkennt, daß >>links<<, >>rechts<< und >>Mitte<< sich auf Ideolgien beziehen, von denen jede einzelne eine gemäßigte und eine extremistische Spielart besitzen, wobei die eine parlamentarisch, die andere außerparlamentarisch orientiert ist. Es ist ebenfalls wichtig zu erkennen, daß eine extremistische Linksbewegung, die sich auf die Arbeiterklasse stützt und auf sie ausgerichtet ist, auch militaristisch, nationalistisch und antimarxistisch sein kann.“[121]

5.1.2 Klassifizierungen der politischen Strömungen

In der Analyse antidemokratischer Einstellungen, Programmpunkte und politischer Grundlagen will Lipset in seinem Theorem die Korrelation zwischen Politik, Sozialstruktur, Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit und Parteipräferenz herausarbeiten; die oben referierte Klassifizierung der politischen Bewegungen, Traditionen und Parteien gemäß der drei Varianten des politischen Extremismus sind die Konsequenz dieses Ansatzes. Die daraus resultierende, auf den ersten Blick sogar irritierende Systematik wird später noch genauer beleuchtet. Lipset weist darauf hin, dass sich der „Extremismus der Arbeiterklasse“[122] vor allem in Gesellschaften zeige, die sich in rascher Art und Weise industrialisieren bzw. wie in Lateinamerika zwar deutliche Tendenzen der Industrialisierung aufweisen, jedoch Tendenz blieben und nicht vorherrschend seien. „Extremismus der Mittelklasse“[123] ist bei Lipset ein Signum jener Länder, die sich durch „Hochkapitalismus als auch durch starke Arbeiterbewegungen“[124] kennzeichnen lassen. Rechtsextremismus kommt laut Lipset in wenig bzw. kaum entwickelten Gesellschaften vor, „wo die traditionellen konservativen Kräfte, die eng mit Thron und Altar verbunden sind, ihren Einfluss bewahren konnten.“[125] Diese Einordnungen und begrifflichen Präzisierungen bilden den Hintergrund für signifikante Charakterisierungen wie derjenigen Hitlers, der von Lipset als „Extremist der Mitte“[126] bezeichnet wird, während Franco zur Reihe der „konservativen Extremisten“[127] gezählt wird.

5.1.3 Der historisch-politische Hintergrund der Analyse

Das Länderbeispiel Deutschland bzw. die Analyse der späten Weimarer Republik spielt ein zentrale Rolle in der Argumentation von Lipset, welche sich zwar wesentlich mit der Lage in Deutschland der prä-faschistischen Ära befasst, jedoch keine allgemeine Analyse - wie bereits die Konzentration der Untersuchung auf den Erfolg des deutschen Faschismus als Wahlpartei zeigt - des Erfolgs der NSDAP bzw. der Entwicklung des NS-Systems darstellt. Vielmehr entwickelt Lipset hier eine länderübergreifende und perspektivenerweiternde Extremismustheorie. Konkreter Zeithintergrund bei Abfassung der Veröffentlichung waren die dramatischen Entwicklungen in Frankreich 1958, welche die Geburtsstunde der V. Französischen Republik einläuteten. Der Putsch der Generäle in Algerien wurde als Gefahr für die französische Nachkriegsdemokratie eingeschätzt, als Speerspitze der Bewegungen gegen die Demokratie wurden die gaullistische RPF („Rassemblement du Peuple Français“) und die populistische Partei von Pierre Poujade, die UDCA („Union de défense des commerçants et artisans“) angesehen. Vor diesem Hintergrund entwickelte Lipset seine Systematisierung divergierender Extremismen, in welcher der RPF als konservative Bewegung mit rechtsextremen Elementen und die UDCA als „Extremismus der Mitte“, als ein spezifischer Extremismus der unteren Mittelklassen betrachtet wird. Seine Perspektive hat einen durchaus normativen Charakter, wenn er die von ihm vorgenommene Erweiterung der Perspektive mit den Worten begründet:

„Wenn wir die parlamentarische Demokratie bewahren und ausweiten wollen, müssen wir wissen, von welcher Seite sie bedroht wird; und die Bedrohung durch die Konservativen ist anders als die Bedrohung durch die Mittelklasse oder durch den Kommunismus.“[128]

Entgegen anderen Interpretationen will Lipset - selbst ein liberaler Soziologe - die Vertreter des liberalen Verfassungsstaats, die sich üblicherweise als „Mitte“ definieren, keinesfalls provozieren, sondern auf die unterschiedlichen Gefahren hinweisen, die von einem Extremismus ausgehen, der gemäß seiner sozialstrukturellen Verortung in der Mitte anzutreffen ist und der sich - so Lipsets Hinweis - in Krisenzeiten radikalisieren kann.

5.2 Das Beispiel Deutschland: Niedergang der Mittelparteien und Aufstieg der NSDAP

Auch wenn Deutschland nicht alleiniger Gegenstand der Untersuchung ist und es Lipset vielmehr um einen durch internationalen Vergleich gewonnenen und mit empirischem Material unterstützten mehrdimensionalen Extremismusbegriff geht, hat die Untersuchung der deutschen Zustände in der Endphase der Weimarer Republik doch besonderes Gewicht. Schließlich sei das „klassische Beispiel einer revolutionären faschistischen Partei [...] natürlich die von Hitler geführte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“.[129] Anhand der Untersuchung von Wahlstatistiken und relevanter Fachliteratur[130] kommt Lipset zu einer wichtigen Schlussfolgerung:

„Mit der Zunahme der Nationalsozialisten brachen die liberalen bürgerlichen Parteien der Mitte, die sich aus den am wenigsten traditionalistischen Elementen der deutschen Gesellschaft, nämlich aus den kleinen Unternehmern und den kleinen und mittleren Angestellten zusammensetzen, völlig zusammen. Zwischen 1928 und 1932 verloren diese Parteien fast 80% ihrer Wähler, und ihr Anteil an der Gesamtstimmenzahl fiel von einem Viertel auf weniger als 3%.“[131]

Im Vergleich dazu hätten die konservativen Parteien lediglich 40%, also bedeutend weniger verloren, während das stark konfessionell ausgerichtete Zentrum relativ stabil blieb. Lipset kommt also zu der Vermutung

„[...] daß die Nationalsozialisten am meisten von den liberalen Parteien der Mittelklasse profitierten, den früheren Bollwerken der Weimarer Republik.“[132]

Lipset verweist auf Forschungen, die diesen Befund unterstützen[133] und widmet sich einer genauen Untersuchung der regionalen Aspekte in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Hier ist insbesondere die politischen Rolle der im Kapitel zu Theodor Geiger bereits erwähnten Schleswig-Holsteinischen Landespartei von Bedeutung, welche „regionale und kulturelle Autonomie für Schleswig-Holstein innerhalb von Deutschland“[134] einklagte und welche in ihrem Programm die Mittelstände in ihrer Frontstellung zwischen Großindustrie und Gewerkschaften, zwischen Warenhaus und Genossenschaft unterstützen wollte. Lipset zeigt anhand dieser Beispiele die Affinität einer regionalistischen Programmatik und mittelständischen Ideologie zur nationalsozialistischen Partei und zitiert zustimmend eine Untersuchung von Rudolf Heberle, welcher darauf hinwies dass

„[...] zu jenen Klassen, die sich für den Nationalsozialismus als besonders anfällig erwiesen, weder die Landaristokratie und die Großbauern noch das ländliche Proletariat gehörten, sondern die selbstständigen Kleinbauern, die ländliche Parallele zur unteren Mittelklasse oder zum Kleinbürgertum, welches das Rückrat der NSDAP in den Städten darstellte.“[135]

Hier verortet auch Lipset die sozialen Trägerschichten der nationalsozialistischen Partei und grenzt sich damit von marxistischen Wissenschaftlern ab, welche die Verbindungen zur Großindustrie betonten, eine Verbindung, die laut Lipset weitaus geringer war als von dieser Richtung behauptet und zwar „ bis zu dem Augenblick, in dem die Partei den Status einer großen Partei erlangt hatte.“[136] Ausgehend von der Analyse des Materials entwirft Lipset folgenden Idealtypus[137] des NSDAP-Wählers:

„Im Jahre 1932 war der idealtypische Wähler der nationalsozialistischen Partei ein selbstständiger protestantischer Angehöriger der Mittelklasse, der entweder auf einem Hof oder in einer kleinen Ortschaft lebte und der früher für eine Partei der politischen Mitte oder eine regionale Partei gestimmt hatte, die sich der Macht und dem Einfluß von Großindustrie und Gewerkschaften widersetzte.“[138]

In dieser Sozialfigur hat Lipset den für seine Argumentation wesentlichen idealtypischen NSDAP-Wähler entwickelt, nicht ohne jedoch den Erkenntniswert einer solchen Idealfigur zu modifizieren:

„Das bedeutet natürlich nicht, daß die meisten nationalsozialistischen Wähler nicht auch noch andere Merkmale besaßen. Wie alle Parteien, die nach der Mehrheit streben, versuchten die Nationalsozialisten, alle größeren Wählergruppen in mehr oder minderem Grade anzusprechen. Dabei hatten sie auch bei den anderen Gruppen der Mittelklasse, vor allem bei den Arbeitslosen großen Erfolg. Und auf dem Tiefstand der Depression, die Deutschland schlimmer traf als alle anderen industrialisierten Nationen, verbreitete sich die Unzufriedenheit mit dem >>System<< über das ganze Volk. Als Bewegung hingegen fand die nationalsozialistische Partei den größten Anklang bei Personen mit den gesellschaftlichen Merkmalen, die wir oben in einer idealtypischen Konstruktion zusammengefaßt haben“.[139]

Hitler als „Extremist der Mitte“, die NSDAP als das „klassische Beispiel einer revolutionären faschistischen Partei“, die vom Niedergang der Mittelklassenparteien, den einstigen „Bollwerken“ der Weimarer Republik[140] profitierte - in dieser Argumentation liegt eine Perspektivenerweiterung, die für den damaligen Stand der Debatte, die noch stark unter dem Einfluss von Publizisten der Erlebnisgeneration stand, keinesfalls üblich war. Reinhard Kühnl[141] weist darauf hin, dass nach Deutung von publizistischen Zeitgenossen die sozialen Träger der Bewegung viel unspezifischer bzw. völlig woanders verortet wurden. Gerhard Ritter wird zitiert mit den Worten, dass das „Massenmenschentum der modernen Industriegesellschaft“ bzw. „die breiten städtischen Massen der Industriezentren“ es waren, die „Hitler zuliefen“. W. Röpke behauptet, das der Nationalsozialismus „im eigentlichen Proletariat wurzelte“, welches nach seiner Auffassung eine „Kloake unmenschlicher Typen“ und „unmenschlicher Schlammassen“ darstellt. Hagemann, ein anderer Autor dekretiert: „Die Massen der frühen Parteianhänger stammten aus den marxistischen Reihen“ [sic!][142] Angesichts dieses Konglomerats aus sozialen Vorurteilen, Ressentiments, ideologisch aufgeladenen Wertungen und - siehe Hagemann - eklatanten Fehleinschätzungen, wird deutlich, warum Lipsets Topos vom „Extremismus der Mitte“ vor dem damaligen Zeithintergrund und Diskussionstand mitunter als Provokation empfunden wurde. Entgegen der Annahme, es handle sich beim Stamm der nationalsozialistischen Bewegung um völkische Lumpenproletarier, weist er auf den tatsächlichen sozialen Ort der Bewegung hin. Und schließlich zeigt sich, dass die Verlagerung der faschistischen Bewegung aus der bürgerlichen Mitte an die Ränder der Gesellschaft eine lange Tradition hat und sich bis heute, da sich die „Kloake unmenschlicher Typen“ im Medien-Bild des Skinheads manifestiert, perpetuiert.

5.3 Extremismus-Varianten im internationalen Vergleich

Im weiteren Verlauf seiner Analyse befasst sich Lipset nach dem Länderbeispiel Deutschland mit verschiedenen anderen Ländern, um andere, zu unterscheidende Extremismus-Varianten im internationalen Vergleich systematisieren zu können. Diese seien hier kurz dargestellt, da Lipsets Ausarbeitung eine übergreifende, nicht auf Deutschland beschränkte Analyse extremistischer Bewegungen sein will. In Österreich untersucht er die Volkspartei des Dr. Schober und die Rolle des Dollfuß-Regimes, welche er beide dem „Rechtsextremimus“ zuordnet.[143] Ausführlicher werden in diesem Verlauf der Lipsetschen Argumentation die französischen Verhältnisse Ende der 1950er Jahre untersucht. Lipset verweist an diesem Punkt seiner Ausführungen auf zwei große Bewegungen im Nachkriegsfrankreich, die beide von ihren politischen Gegnern mit dem Verdikt des Faschismus belegt wurden: das - später aufgelöste - gaullistische „Rassemblement du Peuple Français“ (RPF) und die „Union de defense des commerçants et artisans“ (UDCA), welche unter dem Namen Poujadisten bekannt wurden. Lipset differenziert in seiner Argumentation zwischen den beiden Bewegungen, welche nach seiner Einschätzung eine je verschiedene Ideologie propagieren würden. Lipset illustriert diese Differenz anhand der Person de Gaulle - laut Lipset ein der Tradition der Rechten verpflichteter „klassischer Konservativer“, der an die klassischen konservativen Bezugsgrößen – (katholische) Kirche, Autoritäten etc. anknüpft.[144] Auch die gaullistische Anhängerschaft stammt laut Lipset aus der „klassischen Quelle des Konservatismus“,[145] für die traditionelle Institutionen wie Monarchie und Kirche wichtig sind und die eine starke Führung des Staates befürworteten. Im Vergleich dazu wird der Poujadismus mit der nationalsozialistischen Bewegung verglichen, der

„[...] im wesentlichen eine extremistische Bewegung [war], welche dieselben sozialen Schichten ansprach - und sich auf sie stützte - wie die Parteien der >>liberalen Mitte<<[...]“[146]

Lipset weist weiter auf die unterschiedliche Sozialstruktur der Anhänger beider Bewegungen hin und notiert, dass die meisten Gaullisten aus den wohlhabenderen, die Poujadisten aus den ärmeren Departements kamen und vor allem aus Kleinbürgern, Handwerkern, kleinen Kaufleuten und Bauern bestanden.[147] In Bezug auf die politische Geschichte Italiens weist Lipset auf die Schwierigkeit hin, diese „in den Begriffen der drei Typen antidemokratischer Politik zu analysieren“[148] und zwar aufgrund „der besonderen Art und Weise, wie der italienische Faschismus ursprünglich an die Macht gelangte“.[149] Zwar rechnet Lipset den italienischen Faschismus dem „Extremismus der Mitte“ zu - vor allem aufgrund der Erfolge der schichtspezifischen Propaganda Mussolinis bei den städtischen und ländlichen Mittelschichten - schränkt diesen Befund allerdings ein mit Verweis auf den politischen Charakter des faschistischen Regimes in Italien, welcher einen bruchlosen Bezug auf die Mitte-Kategorie erschwert. Als der italienische Faschismus nämlich an die Macht gelangte, habe sich dieser mit der Großindustrie, den Großgrundbesitzern, der Kirche verbündet und – in der Schlussphase zwischen 1944-45 als Italienische Soziale Republik unter versuchter Anbindung an die norditalienische Arbeiterklasse eine sozialistische Färbung gegeben. Lipset schlussfolgert, das faschistische Regime in Italien sei eine „Koalition des Extremismus der Mitte und der Konservativen“ welche „von einem reinen Opportunisten geführt“ wurde, gewesen.[150] Dieses Spannungsverhältnis zwischen sozialstruktureller Herkunft der Wähler und Parteimitglieder und des politischen Charakters des italienischen, mit Großindustrie, Großgrundbesitzern und Kirche verbündeten italienischen Faschismus an der Macht, wird von Lipset jedoch nicht hinreichend diskutiert, obwohl es auf die Schwierigkeit eines Schlusses von der sozialen Herkunft auf die politische Funktion verweist. Den McCarthyismus in den USA nennt Lipset einen „populistischen Extremismus“, der ebenfalls zum „Extremismus der Mitte“ – vergleichbar mit dem Poujardismus gezählt wird[151] ; das Regime von Juan Perón (argentinischer Präsident von 1946 bis 1955) nennt er „>>Faschismus<< der Unterklasse“.[152] Diesen Herrschaftstyp – Peronismus - verortet Lipset ebenfalls in Brasilien und benennt diesen eine „Abart des Faschismus“, genauer: einen „Faschismus der Linken“ da dieser sich auf soziale Schichten stützt „die sonst zum Sozialismus oder Kommunismus neigen würden, um dort einen Ausweg für ihre Frustrationen zu finden.“[153] Mit diesem Beispiel einer lateinamerikanischen Herrschaftsform schließt Lipset seine Typologisierung extremistischer Bewegungen und Regime, dessen Zielsetzung wissenschaftlich-normativer Art war, d.h. zum einen eine Präzisierung der Kategorien für Extremismus und zum anderen eine Verbesserung der Methoden zum Schutz der parlamentarischen Demokratie leisten wollte.

5.4 Schlussbetrachtung bei Lipset

Lipsets Leistungen einer Typologisierung internationaler extremistischer Bewegungen aufgrund empirischer Beispiele, der Auswertung von Regionalstudien und der Fachliteratur bezieht ihren wissenschaftlichen Gehalt aus dem Ansatz, politische Richtungen aufgrund der Sozialstruktur ihrer Wähler zu benennen. Die soziale Herkunft der Wähler und Mitglieder extremistischer Bewegungen und Parteien ist bei Lipset folglich von besonderer Bedeutung – ein Ansatz, der wissenschaftlich nicht unproblematisch ist. Trotz der Differenzierung und der Erweiterung des Extremismus-Begriffs um die Variante „Extremismus der Mitte“ oder „Faschismus der Linken“ verweist Lipset auf übergeordnete Vergleichsgrößen:

„Die extremistischen Bewegungen haben vieles gemeinsam. Sie sprechen die Unzufriedenen und die psychologisch Entwurzelten an, die persönlich Erfolglosen und die gesellschaflich Isolierten, die wirtschaftlich Unsicheren, die Ungebildeten, die Unintelligenten und die Autoritären einer jeden einzelnen gesellschaftlichen Schicht.“[154]

Doch trotz dieser strukturellen Ähnlichkeit in sozialer Lage, Bildungsniveau und Mentalität befürwortet Lipset mit Nachdruck einen differenzierten Blick auf extremistische Bewegungen:

„Es ist nicht möglich, die Rolle und den unterschiedlichen Erfolg der extremistischen Bewegungen zu verstehen, wenn man sie nicht genau unterscheidet, ihre verschiedenartigen sozialen Grundlagen und ihre Ideologie zu erfassen trachtet, genau so wie man dies mit demokratischen Parteien und Bewegungen tut.“[155]

Hier wird deutlich, dass es Lipset wissenschaftlich um eine Differenzierung und Präzisierung des verallgemeinernden und deshalb oftmals unterschiedslos verwendeten Extremismus-Begriff geht.

5.5 „Extremismus der Mitte“ – Kritik und Rezeption

Ähnlich wie bei Theodor Geiger, wirft der Ansatz von Lipset eine Reihe von Fragen und Einwänden auf, die in der breiten Rezeption seines berühmt gewordenen Theorems vom „Extremismus der Mitte“ von großer Bedeutung waren. Denn entgegen dem oben erwähnten Schlusszitat, scheint das von Lipset formulierte Extremismus-Schema, welches z.B. den französischen Gaullismus und das Franco-Regime als „Rechtsextremismus“, den italienischen und deutschen Faschismus sowie den McCarthyismus in den USA als „Extremismus der Mitte“ und den Peronismus in Argentinien als „linken Faschismus“ bezeichnet, weniger zu differenzieren, als konkrete Differenzen zu verwischen. In der Faschismusdiskussion der jüngeren Vergangenheit war beispielsweise die theoretisch-historische Einordnung des Antisemitismus und der Judenvernichtung von besonderer Gewichtung; die Differenzen zwischen dem Mussolini-Regime und dem NS-Staat sind hier von tragender Bedeutung – bei Lipset taucht diese für den deutschen Faschismus besondere Dimension gar nicht erst auf! Hierin liegt fraglos der Mangel des Ansatzes von Lipset, der sich auf die Korrelation zwischen politischer Bewegung und der Sozialstruktur ihrer Anhänger fixiert. Die besondere soziale Funktion des Faschismus an der Macht kann mit dem hier entwickelten Schema nicht analysiert werden; auch der Kommunismus – als Wahlpartei in der Weimarer Republik eine wichtige Größe – wird als eigenständige Kategorie in der Lipsetschen Argumentation völlig vernachlässigt, „Linksextremismus“ wird hier nur in der umstrittenen, inhaltlich kaum überzeugenden Variante „Faschismus der Linken“ o.ä. analysiert und zugeordnet. „Faschismus“ - von Lipset vermutlich deshalb in Anführungszeichen gesetzt - wird entgegen des selbst gesetzten wissenschaftlichen Ziels zur Großkategorie, unter die verschiedenste Bewegungen subsumiert werden, deren gemeinsamer Nenner die Vergleichbarkeit der Herkunft der sozialen Träger in Mitglieder- und Wählerschaft ist. Statt der wissenschaftlichen Präzisierung des Begriffs wird die analytische Kategorie „Faschismus“ bei Lipset überdehnt und unnötig aufgeladen, zu keinem Zeitpunkt findet eine sorgfältige Klärung der eigenen faschismustheoretischen Auffassung statt. Liegt in der überzeugenden Herausarbeitung des mittelständischen Anteils an extremistischen Bewegungen noch ein unbestreitbarer Erkenntnisgewinn – schließlich speist sich das Selbstbild des Mittelstands aus der Betonung seiner staatstragenden, gemäßigten Rolle – so ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Liptsetsche Paradigma entgegen seiner präzisierenden Intention zu einer theoretischen Engführung der Faschismusanalyse führt, welche im Mittelstand die Triebkraft und den Motor faschistischer Herrschaft sieht und die Differenzen zwischen italienischen und deutschen Faschismus in einer zentralen Frage – dem Antisemitismus – ausblendet. Der Erkenntnisgewinn der Lipsetschen Analyse liegt, so scheint es, in der Erfassung der Sozialstruktur extremistischer Bewegungen; ein Erkenntnisgewinn, der – bezogen auf weitere Fragestellungen – einen nicht zu unterschätzenden Reduktionismus aufweist. Begnügte man sich beispielsweise in der Einschätzung der katholischen Zentrumspartei in der späten Weimarer Republik lediglich mit der von Geiger und Lipset erwähnten vergleichsweise hohen Resistenz der Wählerschaft gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung, könnte diese langjährige Stütze der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie als Hort des Widerstands eingeordnet werden – der Zustimmung der Parlamentsfraktion des Zentrums zum „Ermächtigungsgesetz“ zum Trotz! Dieses Beispiel ist ein wichtiges Argument für die Kritik der kurzsichtigen Analyse, welche von der sozialen Trägerschaft auf die politische Funktion der NSDAP und Adolf Hitlers, dem angeblichen „Extremisten der Mitte“ schließt. Ähnlich hat der bereits erwähnte Arthur Rosenberg gegen Theodor Geiger und die anderen Mittelstandstheoretiker dieses Zeitraums angeschrieben und mit der Sozialfigur des „Gemüsehändlers Schulze“ wider die „Dämonisierung des Mittelstandes“[156] polemisiert und somit einen Hinweis auf die Rolle der Kohlebarone, Stahlmagnaten, Schwerindustriellen, Pressezaren und Bankiers in der Unterstützung der NSDAP gegeben. Die Klärung dieser und anderer Fragen waren für die Rezeption von Lipsets Theorem in der Bundesrepublik Deutschland und den USA von entscheidender Bedeutung.

5.6 Erweiterung der Mittelstandstheorien

Wie schon in den Ausführungen zu Theodor Geiger kurz gezeigt, hat der Soziologie Ralf Dahrendorf entscheidenden Anteil an der Rezeption der Mittelstandstheorien in der Bundesrepublik Deutschland. Neben der kritischen Diskussion der Arbeiten von Geiger und Lipset hat er deren Ansätze zudem für eine Weiterentwicklung der Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik Deutschland nutzbar gemacht. In diesen zeitbezogenen Arbeiten kam er auch auf die Diskussion der Rolle des deutschen Mittelstandes im Faschismus zurück. Dahrendorf schrieb hierzu 1961 in einer soziologischen Gegenwartsanalyse das knappe Urteil:

„Die Zerstörung der deutschen Demokratie ist also ein Werk des Mittelstandes.“[157]

Und in seinem berühmten Buch über „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“, schreibt er, die Ursprung dieser Variante des „Extremismus der Mitte“ sei

„[...] die Unsicherheit der sozialen Position; seine vornehmlichen Träger sind die am wenigsten geprägten und intelligenten Gruppen des Mittelstandes; seine Ideologie ist der Faschismus.“[158]

Dahrendorfs Urteil über den Mittelstand ist insofern überraschend, als dass Lipsets Topos vom „Extremismus der Mitte“ häufig als Provokation empfunden wurde und Dahrendorf, dessen wissenschaftspolitische Zielsetzung die Grundlegung einer liberal-demokratischen Programmatik in Deutschland ist, auf die Mittelstände als wichtige soziale Träger des Liberalismus gar nicht verzichten kann. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die in „Gesellschaft und Demokratie“ erfolgende Modifizierung bzw. Revidierung der Gültigkeit von Lipsets Analyse, die zwar „wichtig und überzeugend“ sei, in Bezug auf die „Machtübernahme Hitlers“ am 30. Januar 1933 jedoch in Schwierigkeiten gerate:

„[...] denn einen Mittelstand gab es in allen industriellen Gesellschaften, einen 30. Januar 1933 aber nur in Deutschland. Warum sind England und die Vereinigten Staaten dem >Extremismus der Mitte< nicht zum Opfer gefallen?“[159]

Zwar hat Lipset selbst die Vergleichbarkeit zwischen den Varianten des „Extremismus der Mitte“ Hitler-Faschismus und McCarthyismus in Bezug auf den späteren Diktaturcharakter des deutschen Faschismus eingeschränkt und auf die andere – geringere - Stärke der populistischen McCarthy-Bewegung verwiesen, beide jedoch unter demselben Label gefasst. Dahrendorf weist in seinem damaligen Werk auf die fehlende liberale Tradition in Deutschland und den starken obrigkeitsstaatlichen Einfluss auf die politische Kultur hin. Zwar verweist Dahrendorf zu diesem Zeitpunkt weiter auf den gewichtigen Erklärungsgehalt von Lipsets Topos, revidiert seine Position jedoch an entscheidender Stelle, nämlich in Beantwortung der Frage „Wer zerstörte die Weimarer Republik?“ Hier wird die Rolle der Mittelstände nun anders beurteilt, ihr Anteil an der Niederlage der parlamentarischen Demokratie weitaus geringer eingeschätzt. Gerade an dieser Stelle wurde Dahrendorf mehrfach Inkonsequenz vorgeworfen. Gottfried Eisermann betonte, mit dieser argumentativen Wendung habe Dahrendorf die „Nazifizierung des deutschen Mittelstandes“ nicht hinreichend herausgestellt und deren Anteil an der „Machtergreifung“ verkleinert.[160] Dahrendorfs changierende Position wurde von Annette Leppert-Fögen in ihrer Studie „Die deklassierte Klasse – Studien zu Geschichte und Ideologie des Kleinbürgertums“ mit den Worten kommentiert:

„Die von Dahrendorf gegen Lipset gewendete Frage: >Was erklärt diese Theorie?< wäre an ihn selbst zu richten...“[161]

Und Wolfgang Kraushaar beurteilt in seiner Überblicksdarstellung „Implosion der Mitte“ die Argumente gegen Dahrendorfs Positionsänderung wie folgt:

„Und in der Tat: Dahrendorfs Einwand besitzt keine Stringenz, sondern weicht dem soziologisch erfaßten Problem in seiner historischen Konkretisierung nur aus.“[162]

Die hier referierten Einwände gegen Dahrendorf sind fraglos plausibel. Wenn – wie 1961 behauptet – die „Zerstörung der deutschen Demokratie [...] ein Werk des Mittelstandes“[163] ist, kann dessen Rolle bei der „Machtübernahme Hitlers“ nicht relativiert werden, er müsste also gemäß der Logik des Dahrendorfschen Arguments eine zentrale Triebkraft auch bei diesem Prozess gewesen sein.

5.6.1 Die Beiträge von Heinrich August Winkler

Diese Ambivalenz gilt auch für die umfangreiche Rezeption des Lipsetschen Theorems durch den Historiker Heinrich August Winkler, der sich Anfang der 1970er Jahre in zwei wichtigen Veröffentlichungen mit dem Verhältnis von Mittelstand zu Demokratie und Nationalsozialismus beschäftigte.[164] Während er einerseits schreibt, Lipsets Annahmen seien „heute nicht mehr ernsthaft umstritten“[165], hat er dennoch wichtige Einwände formuliert, welche die Gültigkeit der Lipsetschen Argumente einschränken. Schließlich könne der Charakter des deutschen und italienischen Faschismus nicht plausibel als „Herrschaft des Mittelstandes“ begriffen werden (besser sei es, die Manipulation des Mittelstandes zu beachten), zum anderen sei die Rolle der DNVP (Deutsch Nationale Volkspartei) als Zwischenstation beim Wechsel der liberalen Wähler zur NSDAP nicht ausreichend berücksichtigt worden. In einem wichtigen Punkt weist Winkler auf Lipsets Fehleinschätzung[166] des Charakters faschistischer Bewegungen hin:

„Der Terminus >Extremismus der Mitte< suggeriert die Vorstellung, als hätten die faschistischen Bewegungen die traditionelle Rechte und Linke aller Schattierungen mit gleicher Intensität bekämpft. In Wirklichkeit kam der Faschismus nirgendwo ohne den Pakt mit der traditionellen Rechten an die Macht. Seine Stoßrichtung zielte so überwiegend gegen die politische Linke, daß man ihn doch wohl als die konsequenteste Spielart eines auf Massenbasis beruhenden Rechtsradikalismus bezeichnen muß.“[167]

Nur aus diesem „Massenreservoir“ habe sich der „Radikalismus von rechts“ bedienen können, was in Anschluss an Winklers treffenden Einwand auf eine wichtige Modifizierung der Analyse vom „Extremismus der Mitte“ verweist: Mit den Untersuchungen von Geiger und Lipset kann – wie bereits erwähnt - vor allem der Bewegungscharakter des Faschismus erklärt werden, die Zustimmung weiter Teile der Mittelstände zum Nationalsozialismus gibt wertvolle Hinweise auf dessen parteipolitische Dimension und auf die politische Lage in der Endphase der Weimarer Republik. Annette Leppert-Fögen schreibt in diesem Zusammenhang:

„Die ursprüngliche Konzeption der faschistischen Bewegung war die einer sämtliche Klassenantagonismen hinter sich lassenden >Volksbewegung<. Doch konnte die vorgesehene Integration des Proletariats in einen >nationalen Sozialismus< im erstrebten Ausmaß nicht gelingen. Der Mißerfolg dieser Konzeption warf die NSDAP daher einerseits auf den Mittelstand als Massenbasis zurück, die sich nun andererseits auch um diejeniegen seiner Gruppierungen erweiterte, die, ökonomisch besser gestellt, von der Ineffizienz der bürgerlichen wie der Interessenparteien abgestoßen waren [...]“[168]

Nach dem Aufstieg des Faschismus sei dessen kleinbürgerliche Programmatik rasch zugunsten einer großkapitalistischen Ausrichtung aufgehoben worden. Neben diesen Argumenten gegen die Verabsolutierung des Mittelstands-Paradigmas, schreibt Winkler mit empirischen Belegen überzeugend gegen den analytischen Kurzschluss an, welcher das soziale Elend in den Schichten des Mittelstandes unmittelbar für den Anstieg des faschistischen Wählerpotenzials verantwortlich macht:

„Die materielle Not der Arbeitslosen dürfte die Bedrängnisse des gewerblichen Mittelstandes bei weitem übertroffen haben.“[169]

Und zur politischen Einordnung der ideologischen und programmatischen Schwerpunkte merkt Winkler an, diese seien in ihrer Mehrheit nicht „der Mitte des politischen Spektrums“[170] zuzuordnen, sondern seien vielmehr auf die traditionelle Rechte des Kaiserreiches zurückzuführen. In seiner Studie, die sich entgegen dem internationalen Vergleich von Lipset auf den deutschen Kleinhandel und das Handwerk beschränkt, untersucht Winkler - methodisch durchaus mit Geiger und Lipset vergleichbar, jedoch analytisch über diese hinausgehend - die soziale Lage, politische Einstellung und Mentalität vor allem des gewerblichen Mittelstandes. Neben der Position der „Mittelklassen“ zwischen Großkapital und Proletariat erläutert Winkler die Existenz antidemokratischer Muster in diesen Schichten mit der obrigkeitsstaatlichen Tradition in Deutschland, welche vor allem die Zeit vor 1918 umfasst. Obwohl Winkler die Mentalität des Mittelstandes durchaus im Kontext sozialstruktureller Faktoren, wirtschaftlicher Prozesse wie der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der politischen Kultur analysiert (ohne diese jedoch mit anderen Ländern zu vergleichen und damit die nationalen Besonderheiten hervorzuheben), überwiegt bei ihm die Betonung des „Primats der Politik“ sowie des subjektiven Faktors (der Ideenwelt Hitlers bzw. der faschistischen Bewegung, den Stimmungen in den Gruppen des Mittelstandes[171] wird besondere Bedeutung zugewiesen). Auch hier fehlt eine übergreifende Einordnung, welche sich von der subjektiven Seite des zu analysierenden Phänomens löst und stattdessen eine Analyse des Verhaltens des Mittelstands aufgrund bestimmter ökonomischer Prozesse wie z.B. der aufgrund von Konzentration von Kapital, Monopolisierung etc. erfolgenden Deklassierung des Mittelstandes leistet.

5.6.2 „Who voted for Hitler?“ – Die Fortführung der Diskussion in den 1990er Jahren

In der ersten Phase der Rezeption der Lipsetschen Theorie - für die hier exemplarisch Ralf Dahrendorf, Heinrich August Winkler und Annette Leppert-Fögen stehen - war vor allem die Einschätzung der faschistischen Bewegung sowie die soziologischen, sozialgeschichtlichen und politikwissenschaftlichen Konsequenzen der Theorie vom „Extremismus der Mitte“ von besonderer Bedeutung. Die Weiterführung der hier umrissenen Diskussion brachte vor allem auf der Ebene der wahlsoziologischen Präzisierung wichtige Erkenntnisse, welche eine genauere Einordnung der Analysen von Theodor Geiger und S.M. Lipset erlauben, da sich die Untersuchungen von deutschen und US-amerikanischen Wissenschaftlern mit der wesentlichen Voraussetzung der Mittelstandstheorien befassen: mit der Überprüfung des Anteils der Mittelschichtsgruppen- und Parteien am Aufstieg der NSDAP als Wahlpartei und Massenbewegung.

Michael H. Kater schreibt in seinem Buch „The Nazi-Party – A social profile of members and leaders“, dass sich mittelständische Gruppierungen aus Handwerk und Kleinhändlern bereits in der Anfangsphase der Parteienbildung in überdurchschnittlich hoher Zahl in der Partei befunden haben und sich zudem die schichtspezifische Propaganda im wesentlichen auf diese Gesellschaftsschichten bezogen hätte. Kater schlussfolgert:

„The lower middle class as a whole was still overrepresentented among both party joiners and old members.“[172]

Thomas Childers wiederum kommt in seiner Arbeit „The Social Foundations of Faschism in Germany“ zu dem Ergebnis, dass es im Zeitraum von 1924-1932 – dem Untersuchungszeitraum dieser Studie – vor allem in den Städten mit einem hohen Anteil von Handwerkern signifikant hohe Wahlergebnisse für die NSDAP gegeben habe. Besonders hoch sei die Zustimmung unter den Selbstständigen mit niedrigem Einkommen gewesen.[173] Eine andere, für diesem Zusammenhang wesentliche Akzentuierung erhalten die Mittelstandstheorien in der – nicht repräsentativen – Untersuchung von Richard Hammilton, der darauf hinwies, dass die NSDAP in den von ihm untersuchten 14 Städten dort ihre höchsten Anteile erzielen konnte, wo die obere Mittelschicht und die Oberschicht besonders stark vertreten gewesen seien.[174]

5.6.3 „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“

Hammilton hob auch ein Defizit der empirischen Untersuchungen von Lipset hervor, welches wahlsoziologisch von erheblicher Bedeutung ist. Da für die Weimarer Republik nur raumbezogene Daten (Wahlbezirke, Kreise, Städte) herangezogen werden könnten, könne nicht unmittelbar auf das Wahlverhalten z.B. der mittelständischen Gruppen geschlossen werden. Dies lasse die Möglichkeit von Fehlinterpretationen zu; eine Gefahr, welche von Lipset nicht hinreichend diskutiert wurde, später aber vor allem von dem Parteien- und Wahlforscher Jürgen W. Falter in seiner umfassenden Studie „Hitlers Wähler“ berücksichtigt wurde.[175] Ausgestattet mit weitaus umfangreicherem und aussagekräftigerem Material als Lipset, verfeinert Falter seine Untersuchungen zur Korrelation von Schicht- und Klassenzugehörigkeit und Wahlergebnissen, da er neben den Wahlergebnissen von kleinen Bezirken, Kreisen, Gemeinden, Städten etc. auch weitere Informationen zur damaligen Sozialstruktur berücksichtigt. In seiner Auseinandersetzung beschäftigt er sich mit dem herangezogenen empirischen Material und anderen, von konkurrierenden Vertretern der Wahlforschung verwendeten Erklärungsmustern, welche vor allem aus einer klassentheoretischen Sicht argumentierten bzw. dem theoretischen Ansatz des politischen Konfessionalismus anhingen. Falter schränkt den Erkenntnisgewinn dieser Modelle ein und kommt zu dem Fazit:

„Die einzige soziale Schicht mit einer starken Abweichung von der durchschnittlichen NSDAP-Wahlbereitschaft war die alte Mittelschicht der selbständigen Geschäftsleute, Handwerker und Bauern. Zumindest im Hinblick auf diese Gruppe, besitzt die These vom Extremismus des Mittelstandes Gültigkeit, ist aber auch hier wieder (...) weitestgehend auf den nicht-katholischen Bevölkerungsteil begrenzt. Auch votierte vor 1933 zwar eine Mehrheit, aber bei weitem nicht die Gesamtheit aller Angehörigen dieser Sozialschicht für den Nationalsozialismus. Faßt man alte und neue Mittelschicht zusammen, so kamen aus der Mittelschicht insgesamt rund 60 Prozent der NSDAP-Wähler, ein Anteil, der über die fünf im Brennpunkt des Interesses stehenden Reichstagswahlen hinweg bemerkenswert stabil blieb. Wähler aus der Arbeiterschaft oder aus Arbeiterhaushalten dagegen stellten bis zu 40 Prozent der NSDAP-Wählerschaft.“[176]

Mit diesem Vergleich relativiert Falter die These vom „Extremismus der Mitte“ erheblich, da angesichts dieser Ergebnisse die NSDAP nicht als reine oder überwiegende Bewegung des Mittelstandes begriffen werden könne. Zu groß sei der Anteil anderer Wählerschichten gewesen, um die auf Geiger und Lipset zurückgehenden Einschätzung weiter vorbehaltlos zu übernehmen. Trotz der hier vorgenommenen plausiblen Modifikation will Jürgen W. Falter den Erklärungsansatz jedoch nicht verwerfen. Mit Verweis auf die Gegenden mit vorwiegend protestantischer Bevölkerung weist er nach, dass dort die NSDAP mit überdurchschnittlichem Anteil von der dortigen Oberschicht bzw. vom oberem Mittelstand gewählt worden sei. Aufgrund der sozialstrukturellen Relation der NSDAP-Wähler hält es Falter für gerechtfertigt, von einer „Volkspartei des Protestes“ bzw. von einer „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“ zu sprechen. Während sich andere Autoren mit Verweis auf diese und ähnliche, zuvor publizierte wahlsoziologische Ergebnisse vollständig von der Einschätzung der NSDAP als einer reinen oder signifikant überwiegenden Mittelschichtsbewegung verabschieden – Heinz-Gerhard Haupt schrieb beispielsweise, aufgrund der neueren wahlsoziologischen Befunde sei der Mittelstand „aus der Position des Sündenbocks“ für den Niedergang der Weimarer Republik enthoben[177] - summiert Falter seine Einwände gegen eine allzu starre Reduktion der nationalsozialistischen Bewegung auf eine Mittelstandserhebung unter dem oben zitierten Begriff von einer „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“, verhilft dem Hinweis auf die Rolle der Mittelstände durchaus zu ihrem Recht und setzt somit einen vorläufigen Schluss in der Debatte über die historische Rolle der Mittelstände, auf deren relativ hohe Zustimmung zum nationalsozialistischen Programm trotz aller begründeten Einschränkungen hingewiesen werden muss, um den Erfolg der NSDAP als Wahlpartei und Bewegung zu verstehen.

5.7 Widerlegung der Mittelstandstheorien? – Textanalyse der Arbeiten von Jürgen W. Falter im Kontext geschichtspolitischer Diskurse

Wie im zweiten Teil dieser Magisterarbeit gezeigt wird, findet in den 1990er-Jahren eine explizite Auseinandersetzung mit den Theoremen von Theodor Geiger und S.M. Lipset nur am Rande, d.h. in wenigen Publikationen statt. Das Wort vom „Extremismus der Mitte“ macht jedoch – wie noch zu zeigen ist - begriffsgeschichtlich eine eigenständige, in Teilaspekten durchaus problematische Karriere. Falters oben referierte und in „Hitlers Wähler“ differenziert dargelegte Argumentation tritt hingegen – in zugespitzter und veränderter Form! - in einem politisch bemerkenswerten Kontext wieder auf. Anfang der 1990er begann eine geschichtspolitisch hochbrisante Diskussion um „Nationalsozialismus und Modernisierung“, bzw. um die „Historisierung“ des Nationalsozialismus, die beide veranlasst wurden durch Veröffentlichungen, an denen der Hitler-Biograf Rainer Zitelmann mitgewirkt hatte.[178] Zitelmann, damals promovierter wissenschaftlicher Assistent am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, hatte mit seinen Co-Herausgebern[179] an Debatten angeknüpft, die bereits zu den wichtigsten Kontroversen der deutschen Geschichtswissenschaft zählten: die Auseinandersetzung um die vom ehemaligen Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat geforderte „Historisierung“ des Nationalsozialismus und die von David Schoenbaum und Ralf Dahrendorf formulierte These, nach der die Nationalsozialisten entgegen ihrer eigenen Intention aufgrund der Auflösung kultureller und politischer Traditionen bzw. sozialer Strukturen eine Modernisierung der deutschen Gesellschaft forciert hätten.[180] Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Nationalsozialismus könne demzufolge nicht nur anhand seiner archaisch-reaktionären Utopien verstanden werden, man müsse auch dessen – vor allem im sozial-technologischen Sinne „fortschrittlichen“ - Potenziale beachten. Die sich daran anschließenden Debatten, in denen die von Zitelmann und seinen Mitstreitern veröffentlichten Thesen über die „totalitäre Seite der Moderne“ (Zitelmann) und den „Revolutionär“ Hitler zum Teil vehement zurückgewiesen wurden,[181] waren ein Vorläufer des sich daran anschließenden, von rechter Seite ausgelösten Streits um das Verständnis der deutschen Vergangenheit.[182] Für eine historisch-kritische Rekonstruktion der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ ist hier vor allem der Umstand von Bedeutung, dass im Kontext dieser Debatten renommierte Forscher wie Jürgen W. Falter hervortraten, die anhoben, die aus angeblich „volkspädagogischer“ Absicht implementierte „Legende“ vom Mittelstand als sozialer Basis der NSDAP zu zerstören und die Unterstützung der nationalsozialistischen Partei und Bewegung auch durch die Arbeiterschaft nachzuweisen. Zwar hatten sich in den Jahren zuvor Historiker schon lange mit methodischen und ideologischen Fragen beschäftigt und herausgearbeitet, dass zur Arbeiterschaft keinesfalls nur klassenbewusste und organisierte Arbeiter (die dem Faschismus weitgehend ablehnend gegenüberstanden) gezählt werden dürfen,[183] sondern auch ein sozialpartnerschaftliches,[184] christliches[185] sowie ein nationalistisches[186] Segment existiere. Die Feststellung, es gäbe eine dominante Richtung in der Geschichtswissenschaft, die behauptet, „die“ Arbeiter – und nicht ihr klassenbewusster, organisierter Teil - hätten sich als überdurchschnittlich resistent gegenüber dem Faschismus erwiesen, fällt eher selbst in den Bereich der Legendenbildung, zumal schon Theodor Geiger zum Beispiel auf die „Tagelöhner auf eigene Rechnung“ und deren positive Haltung zur NSDAP hingewiesen hatte. Trotzdem schreibt Jürgen W. Falter in diesem Zusammenhang, er wolle der „[...]Vorstellung einer beträchtlichen, wenn nicht sogar fast totalen Immunität von Arbeitern und, komplementär dazu, einer weit überdurchschnittlichen Anfälligkeit von Angestellten gegenüber dem Nationalsozialismus vor 1933[...]“ entgegentreten.[187] Falter kommt, nachdem er die Positionen der Mittelstandstheoretiker vorstellt, zu dem – nicht überraschenden – Befund, Arbeiter seien

„[...] unter den Wählern bei weitem nicht so stark unterrepräsentiert, wie von der Mittelschichtsthese vorausgesetzt wird.“[188]

Unabhängig von den hier nicht zu erörternden methodologischen Problemen der wahlstatistischen Quellenauswertungen und Quellendefizite – die Falter im zitierten Aufsatz übrigens anders als in „Hitlers Wähler“ nicht hinreichend thematisiert – ist der publizistische Ort und wissenschaftspolitische Kontext der Fortführung der Debatte um die (in „Hitlers Wähler“ differenzierter ausgearbeiteten Ergebnisse) wichtig: Falters Rede von einer „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“ wird in dem Aufsatz „War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei?“ eingeordnet in die mit Einschränkungen versehene Charakterisierung der NSDAP als „moderne Volkspartei“.[189] Mit der Behauptung einer von zahlreichen Historikern betriebenen „Legendenbildung“ bzw. Verketzerung des Mittelstandes und einer Verklärung der Rolle der Arbeiter, wird deren Anteil am nationalsozialistischen Erfolg betont[190] und die Frage nach der sozialen Basis einer Partei bzw. Bewegung umgewandelt in einen Streit um die (De-)Legitimierung sozialer Schichten und Klassen.[191] Zwar ist der publizistische Ort der Falterschen Veröffentlichungen im Umfeld von Rainer Zitelmann – bis Mitte der 1990er Jahre ein führender Kopf der deutschen „Neuen“ Rechten - kein treffender Einwand gegen dessen Forschungen und kein ausreichendes Indiz für eine Nähe Falters zu problematischen Positionen im Kontext einer deutschen „Neuen“ Rechten. Doch ist der Hinweis auf diesen Aspekt der Debatte in den frühen 1990er-Jahren wichtig für die Einordnung der aktuellen Debatte um den „Extremismus der Mitte“, von der – wie noch zu zeigen sein wird – auch heute noch vor allem von Uwe Backes und Eckard Jesse der Versuch einer im Kern politisch motivierten Delegitemierung des Mittelstandes vermutet wird. Auffällig ist an der Falterschen Argumentation in diesem Zusammenhang die angesichts der weitreichenden Vorwürfe knappe Form, in der er die „Mittelschichtshypothese“ in seinem Aufsatz zum Thema „NSDAP als moderne Volkspartei“ abhandelt, um diese dann mit einigem wahlsoziologischen Aufwand und Beiwerk (Tabellen, Statistiken, Zahlen) in ihrer „Auschließlichkeit“ (Falter) – die in der sich an Lipset anschließenden Rezeption wie in den zurückliegenden Abschnitten gezeigt gar nicht mehr so „ausschließlich“ behauptet wurde – zu verwerfen. In besagtem Aufsatz „War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei?“ kommt Falter nach einigen Einwänden zu dem bereits in „Hitlers Wähler“ formulierten Ergebnis, diese sei eher eine „Volkspartei des Protestes“ bzw. eine „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“ und hält als Ergebnis seiner Relativierungen folgenden, auf den ersten Blick bekannt vorkommenden Befund fest:

„Die einzige soziale Schicht mit einer starken Abweichung von der durchschnittlichen NSDAP-Wählerschaft scheint [sic! Sämtliche Hervorhebungen der sinnverschiebenden Änderungen von Falter durch RG] die alte Mittelschicht der selbstständigen Geschäftsleute, Handwerker und Bauern gewesen zu sein. Zumindest im Hinblick auf diese Gruppe gewinnt das Schlagwort vom Extremismus des Mittelstandes Gültigkeit. Faßt man alte und neue Mittelschicht zusammen, so kamen aus der Mittelschicht insgesamt „nur“ [sic!] etwa 60% der NSDAP-Wähler, ein Anteil, der über die fünf hier betrachteten Reichstagswahlen hinweg bemerkenswert stabil blieb. Wähler aus der Arbeiterschaft oder aus Arbeiterhaushalten dagegen stellten regelmäßig [sic!] an die 40% der NSDAP-Wählerschaft [...]“[192]

Vergleichen wir dieses Zitat mit der bereits unter Abschnitt 5.6.3 referierten und zitierten Textstelle aus „Hitlers Wähler“, wird an obiger Passage aus „War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei?“ die veränderte Konnotation der Falterschen Ergebnisse im Rahmen der Zitelmannschen Sammelbände deutlich. Während Falter in „Hitlers Wähler“[193] eindeutig schrieb, die einzige Schicht mit einer signifikanten Abweichung „war [sic!] die alte Mittelschicht“ heißt es in der redigierten Fassung nun einschränkend „scheint [!] die alte Mittelschicht der selbstständigen Geschäftsleute [...] gewesen zu sein.“ Wo in „Hitlers Wähler“ steht: „aus der Mittelschicht [kamen] insgesamt rund [sic!] 60 Prozent der NSDAP-Wähler“ wird in dem Zitelmann-Band „Nationalsozialismus und Modernisierung“ nun den zahlenmäßigen Anteil abschwächend formuliert: es „kamen aus der Mittelschicht insgesamt „nur“ [!] etwa 60% der NSDAP Wähler“. Und wenn in der Referenzstelle aus „Hitlers Wähler“ in Bezug auf die Rolle der Arbeiter festgehalten wird „Wähler aus der Arbeiterschaft oder aus Arbeiterhaushalten dagegen stellten bis zu [sic!] 40 Prozent der NSDAP-Wählerschaft“, steht im „Volkspartei“-Aufsatz von Falter in diesem Zusammenhang „Wähler aus der Arbeiterschaft oder aus Arbeiterhaushalten dagegen stellten regelmäßig [!] an die 40% der NSDAP-Wählerschaft.“ Durch die auf den ersten Blick kaum merklich redigierte Fassung der fast zeitgleich publizierten Ergebnisse[194] verändert sich die Wertung der Ergebnisse. Kann die Textfassung in „Hitlers Wähler“ noch als Argument für eine kritische, modifizierte und abgeschwächte Verwendung der Mitteltstandsthese („Volkspartei mit Mittelstandsbauch“) genutzt werden, lassen sich im angeführten Aufsatz durch die pejorative Verwendung von Worten wie „scheint“, „nur“ und „regelmäßig“ die gleichen Ergebnisse als Widerlegung der Mittelstandsthese und Stärkung der Konzentration auf den Anteil „der Arbeiterschaft“ am Aufstieg der NSDAP lesen. Tatsächlich entsteht der Eindruck, Falter habe seine Formulierungen dem zu >>beweisenden<< Sachverhalt angepasst. Dass sich die Falterschen Ergebnisse im Kontext dieser Veröffentlichung anders interpretieren lassen, ist insofern bedenklich, als dass Falter in dem Aufsatz „>>Anfälligkeit<< der Angestellten - >>Immunität<< der Arbeiter? Mythen über die Wähler der NSDAP“ in seinen Ausführungen zur Werturteilsproblematik[195] sich ausdrücklich mit der „Bemühung um größtmögliche Objektivität“ beschäftigt. Weiter versucht er unter Verweis auf „Mythen“ in Bezug auf die Rolle sozialer Klassen und Schichten beim Aufstieg des Nationalsozialismus und anderer politisch motivierten „Legenden“ das Postulat der Freiheit wissenschaftlicher Ergebnisse von nichtkognitiven Wertungen oder außerhalb der Forschungslogik liegenden normativen „Verzerrungen“ zu propagieren. Dabei fällt auf, dass das Faltersche Bekenntnis zur Werturteilsfreiheit der Forschung im Kontext einer Publikation erscheint, an der mit Ernst Nolte, Rainer Zitelmann, Franz W. Seidler, Michael Wolffsohn, Herbert Ammon, Uwe Backes, Eckard Jesse etc. zeitgeschichtlich arbeitende Forscher beteiligt sind, deren Publikationen häufig nicht nur fachwissenschaftliche Veröffentlichungen sondern auch politische Interventionen in den öffentlichen Diskurs waren und sind. Gerade deshalb sollte die von Falter formulierte Kritik moralischer Überdeterminierung wissenschaftlich-empirischer Forschung vor dem Hintergrund des eigenen (auch politisch motivierten) Publikationsortes analysiert werden. Auch die im Band „Schatten der Vergangenheit“ formulierten „Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus“ (so der Untertitel der von Backes, Jesse und Zitelmann herausgegebenen Textsammlung) und Falters ausdrücklicher Versuch „Mythen“ der Geschichtsschreibung zurückzudrängen, haben eine – nicht explizit gemachte - politische Färbung, durch welche die die oben analysierte redigierte Fassung verständlich wird, welche durch Änderungen der Wortwahl die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung tendenziös zuungunsten einer kritischen, aktualisierten Verwendung der Mittelschichtstheorien verschiebt. In dem (in der hier zitierten Version) 1992 veröffentlichten Aufsatzes über die „Anfälligkeit“ der Angestellten geht Falter so gar so weit, den in „Hitlers Wähler“ festgestellten Anteil der alten und neuen Mittelschicht („insgesamt rund 60 Prozent der NSDAP-Wähler“) als „unterdurchschnittlich“ zu bewerten. Zitat Falter:

„Der von der Mittelschichtsthese vorausgesetzte positive Korrelationszusammenhang zwischen Angestelltenanteil und NSDAP-Wahlerfolgen läßt sich nicht herstellen. Der Versuch, das gruppenspezifische Wahlverhalten der Angestellten mit Hilfe geeigneter statistischer Verfahren zu schätzen, führt sogar zu dem Ergebnis, daß Angestellte wohl eher unterdurchschnittlich, bestenfalls aber durchschnittlich [sic! Anmerkung RG] für die NSDAP gestimmt haben. Arbeiter dagegen waren den gleichen Untersuchungen zufolge – wie schon im Falle der Mitglieder – unter den Wählern bei weitem nicht so stark unterrepräsentiert, wie von der Mittelschichtsthese vorausgesetzt wird. Zusammengenommen bedeuten diese Ergebnisse der neueren Wahl- und Mitgliederforschung, daß die NSDAP viel eher eine Volkspartei als eine Mittelschichtsbewegung gewesen ist und daß die vorgelegten, von einer eindeutigen Mittelschichtsbasis des Nationalssozialismus ausgehenden sozialwissenschaftlichen und sozialhistorischen Theorien eher eine Fiktion als ein Faktum zu erklären versuchen.“[196]

Das Problem der Falterschen Ausführungen liegt nicht in der kritischen Überprüfung und Revision der historischen Mittelstandstheorien – hier leistet der Mainzer Parteien- und Wahlforscher in „Hitlers Wähler“ einen wichtigen, in weiten Teilen auch argumentativ überzeugenden Beitrag. Der von ihm in den beiden hier kritisch beleuchteten Aufsätzen betriebene Aufwand und Ansatz wirkt jedoch insofern unzureichend, als dass er sich beim Referieren der Mittelstandstheorien weitgehend auf die Kontroverse in den 1930er Jahren mit den Autoren Theodor Geiger, Hendrik de Man, Carl Mierendorff et al und den „Faschismus“ -Beitrag von S.M. Lipset beschränkt und aus deren Arbeiten nur die besonders griffigen „Schlüsselstellen“ anführt. Die kritischen Stimmen, die oben in der Rezeption eben dieser zentralen Texte vorgestellt wurden, werden von Falter nur knapp behandelt; eine kritische Würdigung der Erweiterung bzw. Kritik an Geiger und Lipset durch Ralf Dahrendorf, Annette Leppert-Fögen und Heinrich August Winkler, geschweige denn der kritischen Faschismustheorie[197] findet fast ausschließlich unter dem Vorzeichen einer text- und quellenkritischen Analyse der Arbeiten von Jürgen Kocka und Heinrich August Winkler statt.[198] Im übrigen sind einige der von Falter angeführten Kritikpunkte an den Mittelstandstheorien keinesfalls neu, sondern wurden andernorts schon formuliert (z.B. wurde die von Falter betonte Rolle der DNVP im Wählerwechsel[199] schon von Winkler herausgestellt). Andere von Falter herausgestellte Ergebnisse wurden bereits von Theodor Geiger (etwa der Hinweis auf die Bedeutung der Konfession für die relative Reserviertheit katholischer Wählergruppen gegenüber der NSDAP) festgestellt. In seinen Ausführungen „widerlegt“ Falter die Auffassung von der besonderen Anfälligkeit der Angestellten für die NSDAP mit den Worten, die Arbeiter seien „[...] im Durchschnitt sehr viel härter von der Wirtschaftskrise betroffen als Angestellte.“[200] Ein Argument, welches schon von Heinrich August Winkler treffend vorgebracht wurde,[201] von Falter aber nicht als solches gekennzeichnet wird. Polemisch formuliert, arbeitet er sich mit seiner Abwehr der „Ausschließlichkeit“ (Falter) der Annahmen der „Mittelschichtshypothese“[202] im Kern am Diskussionsstand von 1932 (Geiger) bzw. 1959 (Lipset) ab; die Rezeption und Kritik dieser Klassiker der Mittelstandstheorien fällt vergleichsweise gering aus. So werden die z.B. von Winkler vorgenommenen Änderungen nur kurz referiert, Ziel der Kritik ist der quellenkritische Verweis auf die Verwendung von unzureichenden empirischen Material durch Winkler und Kocka,[203] d.h. Falter formuliert im Kern den Vorwurf, die „neueren“ Arbeiten zum Thema repetuierten letztlich nur den Kenntnisstand der Weimarer Republik, da sie die in diesem Zeitraum publizierten Arbeiten unkritisch wiedergeben würden. Auch für den Beleg der von Falter formulierten These, „die Arbeiterschaft“ sei am Aufstieg der NSDAP als Wahlpartei viel maßgeblicher als behauptet beteiligt, findet sich – verglichen mit der Tragweite dieser Feststellung - in den beiden hier angeführten Aufsätzen nur unzureichend Material. Vor diesem Hintergrund betrachtet, liefert Falter, der in den beiden Sammelbänden unter dem Postulat der „Werturteilsfreiheit“ gegen „historische Legenden“ antritt einen widersprüchlichen, inkonsistenten Beitrag, der selbst ein bezeichnender Gegenstand wissenschaftskritischer, die Kontextgebundenheit empirischer Forschung thematisierender Überlegungen darstellt.

5.8 „Extremismus der Mitte“ – Zur Kritik der historischen Mittelstandstheorien

Die von Theodor Geiger vorbereitete und von Seymor Martin Lipset geprägte Formel des „Extremismus der Mitte“ legt folgenden Argumentationsgang nahe: In Ländern, in denen eine organisierte Arbeiterbewegung im Gegensatz zum Großkapital existiert, befindet sich insbesondere das Kleinbürgertum als Klasse im Abstieg, ist die Lage der mittelständischen Bevölkerung in ländlichen Gebieten besonders prekär. Resultierend aus den Trends der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung (Rationalisierung, Monopolbildung, Kapitalkonzentration und Zentralisierung) bildet sich im Krisenverlauf in diesen Gruppen ein aus der sozialen Lage und Mentalität folgender Radikalismus, welcher die Dominanz der Mittelschichten bei Wählern und Mitgliedern der faschistischen Parteien erklärt. Trotz aller aus der Mittelstandstheorie gewonnenen Erkenntnisse wäre eine Reduzierung der Analyse auf die soziale Herkunft und die Anhängerschaft der NSDAP aber selbstverständlich falsch. Denn diese Erkenntnisse müssen im methodisch folgenden Schritt auf die gesamtgesellschaftliche Kräfte- und Interessenkonstellation bezogen werden, wobei die spezifische soziale Situation in Deutschland ebenso wichtig ist wie die nationalstaatliche Entwicklung und die ideologischen Prägungen der Mittelstände sowie die Herausbildung der „Mentalitäten“. Würde man nämlich von der sozialen Basis des deutschen Faschismus auf dessen realpolitischen Charakter schließen, so wäre dieser die Durchsetzung der Interessen eines rabiaten Kleinbürgertums, des „Gemüsehändlers Gerhard Schulze“ (Rosenberg), welcher Urheber und Profiteur des Faschismus sei. Freilich kann dieser Befund aufgrund der unübersehbaren Dominanz der Großindustrie, des Militärs, der oberen Staatsbürokratie und der Führungseliten nicht aufrechterhalten werden. Im folgenden sollen – die oben formulierte Kritik bedenkend - abschließend die Defizite und Leistungen der historischen Mittelstandstheorien vor dem Hintergrund der Genese der Mittelstände dargestellt und bewertet werden.

5.8.1 Prägungen des Mittelstandes im gesamtgesellschaftlichen Umfeld

Durch finanzielle Zuwendungen, personelle Verflechtungen und Prestigeanbindungen standen die Verbände der Handwerker, Bauern und Kleinhändler stets unter dem Einfluss des Großbürgertums, wurde bedingt durch die (häufig gehobene) soziale Herkunft vieler Angestellten zu Beginn des Jahrhunderts eine dünkelhafte Abgrenzung von der Arbeiterklasse in Form von Habituskämpfen vollzogen. Doch gab es in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einen historischen Punkt, an dem Angestellte und Lohnarbeiter weitergehende Zusammenschlüsse eingegangen sind: Reinhard Kühnl, der eine ahistorische Festlegung des Mittelstands auf eine bestimmte Rolle ablehnt, weist zurecht darauf hin, das in der Novemberrevolution 1918 eine starke Anbindung breiter Kreise innerhalb des Mittelstands an die Arbeiterbewegung festgestellt werden konnte (daraus resultierte auch der zu Beginn der Weimarer Republik vergleichsweise hohe Organisierungsgrad der Angestellten). Dies zeigt gegen die starre Auffassung von der politischen Rolle gesellschaftlicher Gruppen, dass der Mittelstand nicht notwendigerweise ein Potenzial für faschistische Bewegungen sein muss, sondern sich die Orientierung dieser Gruppen maßgeblich von gesellschaftlichen Kräfteorientierungen beeinflussen lies. Auch die Verwendung der Kategorie „Mentalität“ bei Geiger birgt die Gefahr einer Differenzierungen nivellierenden Generalisierung, da durch die statische Einführung des Begriffs „Mentalitäten“ bestimmte Dispositionen ahistorisch, d.h. starr und essentialistisch festgeschrieben werden, was den Blick auf die empirische, von Menschen geschaffene und deshalb von Menschen veränderbare Wirklichkeit trüben kann. Dennoch ist die Einführung von Begriffen wie „Schichtmentalität“ legitim, denn: An bestimmte gesellschaftliche Positionen sind entsprechende soziale, kulturelle, politische und ökonomische Einstellungen gebunden, die ähnlich wie Rollenerwartungen wirken und sowohl das kollektive als auch das individuelle Verhalten beeinflussen.[204]

Ein weiterer, wesentlicher Faktor bezüglich der Prägungen, welche den Faschismus begünstigten, liegt in der spezifischen obrigkeitsstaatlichen Entwicklung Deutschlands, welche einen autoritären Sozialcharakter hervorbrachte, den Heinrich Mann in seinem Roman „Der Untertan“[205] treffend dargestellt hat. Als Konsequenz der gescheiterten bürgerlichen Revolution in Deutschland und den daraus folgenden militaristisch-autoritären Traditionen[206] den Kontinuitäten der Eliten nach 1918 (nach dem „Kindsmord“ [Sebastian Haffner] der SPD-Führung blieb die Novemberrevolution[207] auf die parlamentarisch-demokratische Staatsform beschränkt) und die obrigkeitsstaatliche Tradition wurden antizivilisatorische Standards gesetzt, die nun, in der Krisenphase der Weimarer Republik jene politische Bewegung förderte, welche eine Zurücknahme der mit den Daten 1789 und 1918/19 verbundenen Errungenschaften erstrebte. Reinhard Kühnl analysiert diese Rücknahme emanzipatorischer Inhalte und vergleicht den realen politischen Charakter der NSDAP mit der „revolutionären“ Phraseologie der Partei:

„Er [der Nationalsozialismus, Anm. RG] ist also im präzisen Sinn des Wortes >>gegenrevolutionär<<. Dies ist er aber auch in einem ganz konkret-historischen Sinne, nämlich dadurch, daß er alle politische und sozialen Rechte, die durch die November-Revolution 1918 vom Volk errungen worden waren, wieder zerstört – vom Acht-Stunden-Tag bis zum Mitspracherecht der Arbeiter und Angestellten durch Betriebsräte, von allgemeinen und freien Wahlen bis zum Recht, sich in Gewerkschaften und Parteien und zu organisieren und frei seine Meinung zu äußern. >>Gegenrevolutionär<< ist er schließlich in einem übergreifenden historischen Sinne deshalb, weil er sich gegen die gesamte Emanzipationsbewegung richtet, die seit der Französischen Revolution sich entwickelt und das Prinzip der Volkssouveranität und der Menschenrechte als Ziel formuliert hat. Gewisse (schein)revolutionäre Phrasen und Ideologeme erweisen sich somit als Irreführung.“[208]

Und ein letzter, entscheidender Grund für die Schaffung dieser autoritären Dispositionen lag neben dem „deutschen Sonderweg“ und der reaktionären ideologischen Tradition in der besonderen Schärfe der ökonomischen Krise in Deutschland, welche teilweise erheblich stärkere Folgen hatte als in anderen Ländern. Zudem konnte Deutschland im Gegensatz zu den alten imperialistischen Mächten die inneren Probleme nicht auf unterjochte Kolonien abwälzen. Kühnl nennt dazu folgende Zahlen:

„Die Industrieproduktion ging von 1929 bis 1932 in Großbritannien um 12 Prozent, Frankreich um 19 Prozent, USA um 36 Prozent, Deutschland aber um 39 Prozent zurück; der Anteil der Vollarbeitslosen betrug 1932 in Großbritannien 22 Prozent, in den USA 32 Prozent, in Deutschland aber 43,8 Prozent. Zweitens zeigte sich in der Steigerungsrate der Konkurse die besonders starke Deklassierung der Selbstständigen in Deutschland: Von 1928 bis 1930 stiegen die Konkurse in Frankreich um 11 Prozent, in den USA um 19 Prozent, in Deutschland aber um 42 Prozent.“[209]

Eine umfassende und kritische Analyse der Rolle der Mittelstande im deutschen Faschismus kann nicht auf die Frage verzichten, welche historischen Voraussetzungen in der politischen Kultur eines Landes für die Schaffung autoritärer Verhaltensmuster, Charaktere und Gruppen existieren, da ansonsten die im Klassenkampf zwischen Großindustrie und Proletariern zerriebenen Mittelstände undialektisch auf ihre Rolle als Manövriermasse in der kapitalistischen Industriegesellschaft festgeschrieben werden.

5.9 Die soziologischen Mittelstandstheorien – Leistungen und Defizite

Problematisch wird die Berufung auf den Ansatz der Mittelstandstheorien wie bereits erwähnt vor allem dort, wo sich der Bezug auf die soziale Basis des deutschen Faschismus verselbstständigt und die Rede vom „Extremismus der Mitte“ sich paradigmatisch als Erklärungsansatz für den deutschen Faschismus festsetzt; eine Formel, die Lipsets Wendung von Hitler als „Extremisten der Mitte“ nahe legt. Schließlich müssen für die genaue Analyse des Nationalsozialismus die zentralen Punkte Klassencharakter, politische Herrschaftsform und Rolle des Antisemitismus erklärt werden, statt sich mit der Mentalität und sozialen Herkunft der Mehrheit der Wähler zu begnügen.[210] Und hier reicht der Bezug auf den Mittelstand nicht aus, denn Auschwitz und Treblinka, Buchenwald und Sachsenhausen können in dieser Form kaum verstanden werden, da bei diesem Problem jene Erklärungsmuster versagen, die ausschließlich in Kategorien von kapitalistischer Ausbeutung, Ideologie und Funktionalität denken und dabei die Eigendynamik der Abläufe bei der Vernichtung der europäischen Juden übersehen.[211]

Interessanterweise wird weder bei Geiger noch bei Lipset der antisemitischen Propaganda der Nazis ein besonderer Stellenwert zugewiesen und obwohl vor allem Geiger mit Begriffen wie „Ideologie“ und „Mentalität“ operiert, wird diesem hoch ideologisiertem Element des deutschen Faschismus in der Analyse der Mittelstandsprägungen keine besondere Rolle zugewiesen. Gleichfalls führt der Bezug auf die Gruppen des Mittelstands in die Irre, wenn diese als umfassende Erklärung mit dem Titel „Extremismus der Mitte“ als Hort und Nutznießer – und nicht als Transmissionsriemen - des Faschismus betrachtet werden. Stattdessen muss immer die Abhängigkeit der Mittelstände von den gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnissen betont werden, welche wie gezeigt keinesfalls auf einen zwangsläufigen Kausalzusammenhang zwischen reaktionärer Ideologie und mittelständischer Mentalität verweisen. Das historische Beispiel der Novemberrevolution zeigt, dass bei entsprechender Stärke der Arbeiterbewegung zumindest erhebliche Teile der Angestellten von den demokratischen Bestrebungen erfasst werden können. Realpolitisch vollzog die NSDAP keinesfalls die Interessen der Mittelstände, sondern festigte mit den Mitteln des Terrors jene Form der politischen Herrschaft, welche den Eliten aus Großkapital, Junkertum, oberster Bürokratie und Militär zupass kam. Durch die innenpolitische Herrschaftsabsicherung, welche durch die vollständige Zerstörung der klassischen Organisationen der Arbeiterbewegung bewerkstelligt wurde, konnten außenpolitisch jene Ziele durchgesetzt werden, welche den expansionistisch-imperialistischen Fraktionen des deutschen Kapitals entgegenkamen. Nachdem die Erfahrungen des Kapp-Putsches 1920 (Generalstreik zur Abwehr einer antidemokratischen Militäraktion) das Risiko eines isolierten Vorgehens der Eliten aufgezeigt hatten, war – wie Reinhard Kühnl anschaulich zeigt - die Funktion einer hierarchisch geführten faschistischen Massenpartei von besonderer Wichtigkeit.[212] Mit diesem Hinweis auf die politische Funktion der nationalsozialistischen Partei nicht der Schluss nahegelegt werden soll, als könnte eine politische Partei mit Massenbasis qua Befehl aufgrund der Interessenlage der herrschenden Klasse geschaffen werden und als ließe sich die Dynamik der Parteientwicklung der NSDAP mit den Strategien führender Eliten verstehen. Es ist gerade die Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Interessenlagen, welche die Dynamik gesellschaftlicher Prozesse forciert. Ohne die zumindest subjektive Einschätzung des Mittelstände, der Nationalsozialismus diene primär der Durchsetzung ihrer Interessen, hätte die von Heinrich August Winkler so benannte „Manipulierung des Mittelstandes“ aber nicht vollzogen werden können.

Zusammenfassend können die Leistungen und Defizite der Mittelstandstheorien so festgehalten werden: Produktiv und wichtig sind die von Theodor Geiger, S.M. Lipset und anderen entwickelten Ansätze dort, wo sie auf die soziale Herkunft der Mehrheit der Anhänger der faschistischen Parteien und Bewegungen hinweisen. Entgegen dem Selbstbild der Mittelstände, welche sich zum sozialen Ort gesellschaftlicher Stabilität, des Ausgleichs und der Mäßigung verklären und extremistische Tendenzen aus dem sozialen Feld des „ehrlichen und rechtschaffenden Handwerks“ heraus auf die Ränder der Gesellschaft verlagern, haben Geiger, Lipset, Winkler und andere die Unterstützung des historischen Faschismus durch die Mittelstände herausarbeitet. Die bis heute gültige Verklärung des politischen Liberalismus, welcher sich als Widerpart antidemokratischen Denkens begreift, selbst jedoch – wie die Unterzeichnung des Ermächtigungsgesetzes durch den jungen liberalen Abgeordneten und späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss symbolhaft zeigt – keineswegs resistent gegenüber der faschistischen Gefahr war,[213] kann anhand der Mittelstandstheorien aufgehellt werden. Wer sich also kritisch mit antidemokratischen Bestrebungen auseinandersetzen will darf – wie ebenfalls im zweiten Teil dieser Arbeit zur aktuellen Verwendung des Theorems auszuführen sein wird – die „Mitte“ der Gesellschaft keinesfalls aus den Augen lassen. Diesen Blick auf die soziale Lage der Mehrheit der Wähler und Mitglieder der NSDAP, ihre politischen Optionen, ihre Ideologie, ihr Selbstbild und ihr Prestigedenken geschärft zu haben, darin liegt die unbestreitbare Leistung der Mittelstandstheorien.

Wer das Theorem vom „Extremismus der Mitte“ in kritischer Absicht weiter verwenden will, darf dabei aber keinesfalls die Einwände, Modifikationen und Differenzierungen vernachlässigen, welche zur Vorsicht im Umgang mit diesem spätestens in den 1990er Jahren zum Schlagwort gewendeten Topos gemahnen. Denn ebenso wenig wie der Mittelstand der ausschließliche soziale Träger des NSDAP war – hier sind trotz aller Kritik nicht zuletzt die wissenschaftlichen Ergebnisse von Jürgen W. Falter in „Hitlers Wähler“ zu beachten – taugt die These vom „Extremismus der Mitte“ zur Verallgemeinerung geschweige denn zur vollständigen Analyse des politischen, ökonomischen und sozialen Charakters des deutschen Faschismus. Unzulässig ist weiterhin die Wesensbestimmung der Mittelstände als Hort reaktionärer Tendenzen, gerade so, als seien die Angehörigen des Mittelstandes essentialistisch darauf festgelegt, in Krisenzeiten ein faschistisches Votum zu bevorzugen. Diese Ablehnung der Ontologisierung sozialer Gruppen, welche die soziale Dynamik historisch-politischer Formationen ausblendet und die Kritik des analytischen Kurzschlusses, welcher von der sozialen Lage unmittelbar politisches Verhalten ableiten will, führt zur Beachtung anderer wichtiger Faktoren: die historischen Traditionen eines Landes, die politische Kultur, die sozio-ökonomischen Prozesse usw. Nur wenn diese Elemente politischer Analyse mit bedacht werden, kann ein vollständiges Bild entfaltet werden. Deutlich werden die Defizite einer solchen verallgemeinernden Herangehensweise, welche Tendenzen, aber nicht unbedingt Feinheiten erkennt, auch in der Verwendung des Begriffes „Faschismus“ bei S.M. Lipset, den dieser bereits im Titel in Anführungszeichen setzt und damit eine Distanzierung gegenüber der eigenen – in diesem Punkt unscharfen - Begrifflichkeit erkennen lässt. Eine Gänsefüßchen-Terminologie aber ist keine präzise wissenschaftliche Begriffsbestimmung, weshalb „Faschismus“ bei S.M. Lipset verglichen mit anderen führenden Faschismustheorien ein wenig hilflos, überdehnt und vage wirkt.[214] Zur Analyse faschistischer Regime sind die Mittelstandstheorien folglich unzureichend, da sich ihr Ansatz zu sehr auf einen einzelnen Aspekt konzentriert, ohne diesen hinreichend mit anderen zu verknüpfen. Werden die prekäre soziale Zwischenposition der Mittelstände, ihr ideologisiertes Selbstbild, das vorhandene Prestigedenken und die Affinitäten zur faschistischen Politik jedoch kritisch und eingedenk der notwendigen Differenzierungen festgehalten, ergibt sich aus der hier referierten „soziologischen und sozialhistorischen Interpretationsfigur“ (Kraushaar) durchaus ein wertvolles Motiv auch für die kritische Analyse gegenwärtiger neofaschistischer Phänomene in der Bundesrepublik Deutschland, die – wie im anschließenden Teil noch zu zeigen sein wird – aus der politischen Mitte heraus an die Ränder der Gesellschaft verlagert werden.

II. „Extremismus der Mitte“ als Schlagwort: Die 1990er Jahre

Die im ersten, (wissenschafts-)historischen Teil dargestellten Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ bezogen sich auf die Frage, inwieweit die Mittelstände einen spezifischen Anteil am Aufstieg des Nationalsozialismus hatten. Auch die analysierten Arbeiten von Jürgen W. Falter behandelten die Problematik, inwieweit die Mittelschichtstheorien vor dem Hintergrund neuester wahlsoziologischer Untersuchungen zu interpretieren sind. In diesem zweiten, die 1990er Jahre behandelnden Kapitel, sollen die Bedeutungsverschiebungen und Perspektivwechsel in der Verwendung des Theorems vom „Extremismus der Mitte“ analysiert und diskutiert werden. Um die Voraussetzungen dieser Debatte zu rekonstruieren, ist zunächst die Frage wichtig, wie in der Bundesrepublik Deutschland über den Rechtsextremismus geforscht und wie dessen Stand im politischen System der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet wurde. Zum anderen soll die Frage nach der politischen Situation in Deutschland, welche den Gebrauch des Theorems vom „Extremismus der Mitte“ befördert hat, gestellt werden. Nur so, unter Verweis auf den konkreten zeithistorischen und empirischen Hintergrund, kann die aktuelle Kontroverse (die hier mehr als eine mittelstandstheoretische Perspektive, nämlich vor allem eine politische Kategorie meint) adäquat verstanden werden.

6. Wahlerfolge rechter Parteien Ende der 1980er Jahre und die Reaktionen

Als im Januar 1989 die Partei der „REPublikaner“ in das Berliner Abgeordnetenhaus einzog, richtete sich der Blick der Öffentlichkeit erstmals seit Jahrzehnten wieder auf die Erfolge einer rechten Wahlpartei, die – wie zuvor vereinzelt die „Deutsche Volksunion“ (DVU) – auf regionaler Ebene beachtliche Erfolge erzielen konnte. Der Erfolg der „REPublikaner“ zeigte an, was in den Jahren zuvor vielfach schlicht geleugnet wurde: Für eine Rechtspartei existierte in der Bundesrepublik Deutschland ein signifikantes Wählerpotential, welches zuvor bestenfalls in umstrittenen Untersuchungen analysiert wurde.[215] Ein besonders pikanter Aspekt beim Erfolg der „REPublikaner“, die in ihrer Namensgebung schon auf demokratisch-republikanische Traditionen rekurrierten, war der Umstand, dass es sich bei dieser Partei nicht um eine alte und traditionelle Rechtspartei im Stil der NPD handelte, sondern um eine Abspaltung der CSU, deren ehemalige Abgeordnete Franz Handlos und Ekkehard Voigt die Partei aus Protest gegen die „Milliarden-Kredite“ des damaligen CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß an die DDR gründeten. Vorsitzender der „REPublikaner“ war zum Zeitpunkt der Wahlerfolge 1989 der Journalist Franz Schönhuber, der als ehemaliger Moderator einer Sendung des Bayerischen Rundfunks mit dem Titel „Jetzt red´ i“ eine große Popularität genoss und als Verfasser eines apologetischen Erinnerungsbuches an seine Zeit in der Waffen-SS mit den Titel „Ich war dabei“[216] von seiner Position zurücktreten musste. Klaus Naumann kommentierte den Erfolg der „REPublikaner“ zunächst unter der Überschrift „Die Geburt des Rechtsextremismus aus dem Geist der Mitte“[217] und schrieb andernorts nur kurze Zeit später, was aufgrund der Wahl der „REPs“ geschehe sei

„[...] zunächst einmal nichts anderes als die Freisetzung des von der staatserhaltenden Mitte selbst herangezogenen Extremismus.“[218]

Naumann nahm damit an dieser Stelle zu einem frühen Zeitpunkt in zwei Publikationen mit geringer Auflage ein Motiv der Diagnose der frappierenden Rechtsentwicklung vorweg, für die die Wahlerfolge der „REPublikaner“ Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre lediglich die Ouvertüre waren. Sein Hinweis auf die gesellschaftliche Mitte unterschied sich zu diesem Zeitpunkt frappant von der Mehrheitsmeinung der deutschen Wissenschaft und Publizistik, welche in der Existenz neofaschistischer Einstellungs- und Wählerpotenziale vor allem ein Problem der Ränder der Gesellschaft sah.

6.1 Anmerkungen zum Diskurs über den Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland

Vor dem Hintergrund der Niederlage des deutschen Faschismus und dem Einfluss der alliierten Gesetzgebung auf das Parteienspektrum der frühen Bundesrepublik Deutschland war die Existenz von zum Teil offen an den Nationalsozialismus anknüpfenden Parteien (Deutsche Reichspartei (DRP), Sozialistische Reichspartei (SRP) und andere) verboten bzw. mit Auflagen versehen, die im Falle der SRP 1952 zum Verbot durch das Bundesverfassungsgericht führten. Frühe Studien, die sich mit dem Thema Neofaschismus (der hier freilich „Rechtsradikalismus“ genannt wurde) auseinandersetzten, begriffen diesen als beinahe historisches, d.h. in absehbarer Zukunft verschwundenes Problem. Der Bonner Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter ordnete die vorhandenen Zirkel, Parteien und Publikationen lediglich als Randproblem ein, welches bedingt durch die Niederlage des Nationalsozialismus nichts weiter als ein bald verschwindendes Relikt des historischen Faschismus sei.[219] Das Problem der Fortexistenz faschistischer Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland wurde im Zeitrahmen des Kalten Krieges vor allem vor dem Hintergrund totalitarismustheoretischer Muster betrachtet, das Extremismusverdikt wurde gegen die linken und rechten Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verhängt, auf das Verbot der SRP im Jahre 1952 folgte 1956 das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).[220] Als jedoch die 1964 gegründete NPD bei Kommunal- und Landtagswahlen mehrfach beachtliche Erfolge verbuchen konnte, vollzog sich in der – damals nur marginal existierenden „Rechtsradikalismusforschung“ - ein Paradigmenwechsel, welcher im Erfolg rechter Wahlparteien nicht nur die Fortsetzung nationalsozialistischer Potenziale oder eine totalitäre Herausforderung sah, sondern den Erfolg der NPD als Phänomen betrachtete, welches die Bundesrepublik Deutschland mit anderen entwickelten Industriegesellschaften wie den USA teile. Der politische und sozio-ökonomische Hintergrund der Erfolge der NPD – neben der Bildung der Großen Koalition 1966 und der herausragenden politischen Rolle des als „Vaterlandsverräter“ beschimpften SPD-Politikers Willy Brandt vor allem die Rezession 1966/67, die Krisenverschärfung auf dem Arbeitsmarkt, das relative Sinken des Bruttosozialprodukts – lies eine Deutung zu, welche die Zuwendung nicht zuletzt mittelständischer Wähler (Kleinbürger, Bauern) zur NPD als Zeichen von Entwicklungsproblemen moderner Industriegesellschaften wertete. Nicht die personelle und ideologische Fortexistenz faschistischer Strömungen sei demzufolge das Problem, sondern die Konsequenzen des sozialen Wandels, welcher gesellschaftliche Anomie – d.h. Regellosigkeit, soziale Verwerfungen etc. - hervorbringe:

„In allen westlichen Industriegesellschaften existiert ein Potential für rechtsradikale politische Bewegungen. Rechtsradikalismus ist unter dieser Perspektive eine ,normale‘ Pathologie von freiheitlichen Industriegesellschaften.“[221]

Scheuch und Klingelmann legten hier eine Interpretationsfigur für die politische Analyse neofaschistischer Tendenzen vor, welche sich im wissenschaftlichen Diskurs um den Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland als besonders wirkungsmächtig erweisen sollte: In den Krisenverläufen „westlicher Industriegesellschaften“ entwickle sich durch die Desorientierung der Individuen eine „pathologische Persönlichkeit“, die autoritären Wertemustern zuneige und die bedingt durch Angst vor dem nicht durchschaubaren sozialen Wandel ein Potenzial für extremistische Bestrebungen bilde. Erfolge neofaschistischer Parteien werden vor diesem Hintergrund als Zeichen von Devianz, Anomie und anderen Formen der „Abweichung“ von der „demokratischen Mitte“ gewertet. Zwar kann diese Pathologisierung individueller Reaktionen auf soziale Prozesse nicht die Frage erklären, warum manche Menschen in Krisenzeiten autoritäre Lösungen, Ordnungsmuster und Wertevorstellungen (Votum für neofaschistische Parteien) bevorzugen, während sich andere emanzipatorischen Politikformen z.B. in Form von gewerkschaftlichem Engagement anschließen. Doch der Verbindung von Modernisierungseffekten und den Erfolgen rechter Parteien wird in diesem Theoriemodell ein wesentlicher Bedeutungsgehalt zugewiesen. Außerdem liegt in der von Scheuch und Klingemann formulierten Definition ein Motiv, welches für die Kontroversen um den Extremismus der Mitte von zentraler Bedeutung ist: Durch den Begriff der >>´normalen´Pathologie<< lassen sich abweichende politische Auffassungen aus der „gesunden“ Mitte der Gesellschaft auf deren „abnorme“ Ränder übertragen. Auch für die offizielle Beschäftigung mit neofaschistischen Phänomenen gilt die Strategie, entsprechende Vorfälle an die Ränder zu verlagern und aus der Mitte der Gesellschaft zu entsorgen. Einige Beispiele können dies verdeutlichen: Als von Dezember 1959 bis Januar 1960 fast 700 antisemitische Vorfälle (darunter die Schändung der Kölner Synagoge) die Bundesrepublik Deutschland in Aufregung versetzten, sah sich Bundeskanzler Konrad Adenauer veranlasst, am 16. Januar 1960 eine Fernsehansprache zu halten, um den jüdischen Mitbürger zu versichern, dass diese unter dem Schutz der Bundesregierung stünden. Es wurde unter anderem auch von Carlo Schmidt betont, dass diese Aktionen keinen positiven Widerhall in der Bevölkerung finden würden.[222] Auf der ideologischen Ebene galten die Existenz und Verbreitung neofaschistischer Zirkel und Publikationen (Deutsche Nationalzeitung, Nation und Europa) trotz zeitweise beachtlicher Verbreitung als Randphänomene, die keine Aussage über deren Relevanz für die gesellschaftliche Mitte erlauben würden. Und im Anschluss an das Attentat auf dem Münchner Oktoberfest sprach Franz Josef Strauß von einem Einzeltäter, obwohl auf dessen Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann mehrfach hingewiesen wurde.[223] Die verbindende Klammer zwischen diesen Beispielen lautet: Wenn neofaschistische Tendenzen manifest wurden, wurden diese als Problem marginalisierter Randgruppen betrachtet, das von Klaus Naumann anlässlich der Wahlerfolge der Republikaner vorgetragene Argument eines Bezugs zur Mitte fand in der Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland in den seltensten Fällen Widerhall.

6.2 Wilhelm Heitmeyers Beitrag zur Rechtsextremismusforschung

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus dominierte lange eine bis heute einflussreiche Lesart, welche die Existenz rechtsextremer Tendenzen mit den Modernisierungs- bzw. Individualisierungsprozessen westlicher Industriegesellschaften verknüpft. Zu den führenden Vertretern zählt Wilhelm Heitmeyer, der ebenso wie Scheuch und Klingelmann die Reaktionen der Individuen auf den sozialen Wandel als Ursachen für rechte Gewalt benennt. Parallel zu den in den 1980er Jahren vorgetragenen soziologischen Gesellschaftsanalysen unter dem Titel „Individualisierung“ (Ulrich Beck etc.) konzentriert sich Heitmeyer auf sozialstrukturelle Veränderungen, welche sich im Kontext der Untersuchungen rechtsextremer Orientierung von Jugendlichen vor allem negativ gewendet in Desorientierung, Ohnmachtsgefühlen und Vereinzelungserfahrungen manifestieren. Durch die Auflösung tradierter Wertesysteme und sozialer Bindungen (Familie, Nachbarschaft etc.) bzw. soziokultureller Milieus (Vereine, konfessionelle Zugehörigkeit etc.) werde laut Heitmeyer der fehlende soziale Bezugsrahmen durch die Orientierung an rechtsextremen Werteskalen kompensiert.[224] Der Vorzug einer solchen Anbindung an rechtsextreme Vorstelllungen und Ideen liege in der Entlastung des Individuums durch die Anlehnung an Kriterien wie ethnische und nationale Überlegenheit gegenüber anderen „Rassen“ und Nationen. Durch die deutschnationale Orientierung könne das individuelle Ohnmachtsgefühl mit der Betonung der Stärke der deutschen Nation aufgehoben werden. Heitmeyer verwendet in dieser Phase seiner Arbeiten einen Rechtsextremismusbegriff der „Ideologien der Ungleichheit“ (völkisches Denken, Sozialdarwinismus) und Gewaltbereitschaft als die beiden Kernelemente zur Verwendung dieses Begriffs benennt.[225] Vor allem in den Arbeiten der 1980er Jahre wird Kategorien wie Devianz, Anomie und Modernisierungsprozesse erheblicher Erklärungswert zugewiesen. Doch auch wenn gerade für diese Phase die Publikationen von Wilhelm Heitmeyer auf das oben beschriebene Erklärungsmuster der Modernisierungs- und Desintegrationsprozesse zurückgriffen und dieses Paradigma neben den auf den von Theodor W. Adorno, Erich Fromm et al entwickelten Begriff des „autoritären Charakters“ zurückgehenden Ansätzen zu den bestimmenden Theorien über Rechtsextremismus zählte, kann Heitmeyer heute nicht mehr umstandslos dieser Richtung zugeordnet werden. Heitmeyer hat inzwischen nämlich seine Position, wonach – um in seiner Diktion zu bleiben - rechtsextremistische Verhaltensmuster dem desintegrierten Individuum in Zeiten des Zerfalls traditioneller Bindungen eine prekäre Stabilität geben, modifiziert. So hat Heitmeyer eine seiner Grundannahmen, ein negatives Selbstbild gekoppelt mit einer schlechten schulischen oder beruflichen Position führe bei fehlender sozialer Verankerung und schlechten Zukunftsperspektiven zu einer rechtsextremen Orientierung, korrigiert. Vielmehr seien nationalistische und autoritäre Einstellungen an ein starkes Selbstwertgefühl gebunden, was wiederum auf die Verbreitung solcher Orientierungsmuster in der Gesellschaft deute. Die sich im Zuge der Individualisierung herausbildenden Konkurrenzverhältnisse würden den Zwang herausbilden, sich durchsetzen zu müssen. Diese Form des Autoritarismus wiederum könne nicht mit dem alten sozialpsychologischen Konzept der Ich-Schwäche erklärt werden, vielmehr sei das sich in diesen Zusammenhängen herausbildende Überlegenheitsgefühl zu beachten.[226] Damit legte Heitmeyer die Grundlage für seine neueren Forschung, die nun auch den Anteil der gesellschaftlichen Mitte an der rechten Gewalt herausarbeiten und darauf verweisen, das „rechts“ nicht „aus dem Nichts“ komme[227] sondern in der Mitte der Gesellschaft zu betrachten sei.[228] Diese Erweiterung des Blickfelds führt bei Heitmeyer und seinen Mitarbeitern zu einer Perspektive, welche die „Schattenseite der Globalisierung“ untersucht und den Zusammenhang zwischen „Autoritäre[n] Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus“ untersucht, welche in der autoritären Entwicklung des gegenwärtigen Kapitalismus für rechtspopulistische Tendenzen den Resonanzboden bereitstellt.[229] Andere Forscher aus dem Umfeld von Heitmeyer sprechen sogar von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen öffentlichen Diskurs und rechtsextremer Ideologiebildung, welche von diesem befördert werde. Danach habe

„[...] die politische Mitte selbst das Vordringen der Neuen Rechten gefördert, der es immer wieder gelingt, diese nicht bearbeiteten Ressentiments und neopopulistischen Ideologeme zu thematisieren und in die Reihen der etablierten Parteien zu tragen. Um es deutlich zu sagen: Die äußerste Rechte befindet sich nicht mehr am Rand des politischen Spektrums, sondern in dessen Mitte.“[230]

Somit haben Heitmeyer und die Mitarbeiter der Bielefelder Sozialforschung zentrale Motive in ihre Analyse übernommen, die wir jetzt in den nächsten Abschnitten über die Rezeption des „Extremismus der Mitte“ in den 1990er Jahren ausführlich behandeln werden.[231]

6.3 „Kippt die Republik?“ – Die Rechtsentwicklung seit Beginn der 1990er Jahre und die Diskussion über den Rechtsextremismus

Seit Beginn der 1990er Jahre kann in der Bundesrepublik Deutschland eine Rechtsentwicklung verzeichnet werden, die für die Geschichte und politische Kultur dieses Landes einen tiefen Einschnitt bedeutet: Rassistische Anschläge auf Flüchtlingsheime,[232] antisemitische Schmierwellen und Friedhofsschändungen, dramatisierende Äußerungen von herausragenden Politikern (beispielhaft das Wort vom >>Staatsnotstand<< [sic!], welches Bundeskanzler Helmut Kohl im Zusammenhang mit den steigenden Zahlen von Asylbewerbern im Herbst 1992 lancierte),[233] emotional und ideologisch aufgeladene Debatten um das Asyl- und Ausländerrecht, die Diskussion um den Abbau (im offiziellen Sprachgebrauch „die Reform“) sozialer und politischer Rechte[234] sowie um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren veranlassten Beobachter der Szenerie zu skeptischen und warnenden Zwischenrufen. „Deutschland leicht entflammbar“ lautete der Titel eines Buches des ehemaligen Richters und Staatsanwalts Heribert Prantl, der in der Süddeutschen Zeitung für den Erhalt der liberalen Kernsubstanz des Grundgesetzes stritt.[235] Der Politologe Wolfgang Gessenharter fühlte sich durch die seiner Auffassung nach parallel zu diesen Ereignissen verlaufenden Aufwertung der „Neuen Rechten“ zu der besorgten Frage „Kippt die Republik?“ veranlasst.[236] Beide Betrachter des aktuellen Zeitgeschehens diagnostizierten eine Rechtsentwicklung, und zogen vor allem die etablierten und offiziellen Politiker und Medien zur Verantwortung, beschränkten sich also nicht auf die Schuldzuweisung gegenüber kleinen neofaschistischen Gruppen oder alkoholisierten >>depravierten<< Jugendlicher.

6.3.1 „Grauzone“ und die Formierung einer deutschen „Neuen“ Rechten

Zeitgleich zu den für den Zeitpunkt Anfang der 1990er Jahre bestimmenden Debatten um die Änderung des Asylrechts Artikel 16 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland warnten Beobachter der politischen Verhältnisse in Deutschland vor dem Erstarken einer „Neuen Rechten“, deren Einfluss auf die Diskurse der politischen Mitte im folgenden ein zentraler Gegenstand der Untersuchung ist.

Die Selbstetikettierung „Neue Rechte“ – das „neu“ in diesem Begriffspaar wird im folgenden in Anführungszeichen gesetzt, da die hier vorzustellenden Konzepte keinesfalls qualitativ, sondern bestenfalls zeitlich als >neu< zu bezeichnen sind – stammte von den französischen Vordenkern der „Neuen“ Rechten um den Publizisten mit dem Pseudonym Alain de Benoist, seines Zeichens Vorzeigedenker der „Nouvelle Droite“. Dieser hatte 1968 in Abgrenzung zu den Akteuren der Studentenrevolte des Pariser Mai die Denkschule GRECE („Groupement de récherche et d` études pour la civilisation européenne“) gegründet, welche sich von der „alten“ Rechten abgrenzte.[237] Während nämlich die „Alte“ Rechte in ihrem Denken immer noch auf die Autoritäten des Staates - den König, den Präsidenten, den General - fixiert sei, erkenne diese laut de Benoist als Konsequenz nicht „daß Schwerpunkte und Formen der Macht sich geändert haben.“[238] Auch die Gesellschaftsanalyse der „Nouvelle Droite“ ist bestimmt von der Diagnose, das „Macht“ heute vor allem dezentral und abstrakt geworden sei, sich über den „kulturellen Komplex“ von Mentalitäten, Einstellungen, Denkmustern etc. vermittle, sichere und stütze.[239] Wichtig für die „Neue“ Rechte sei deshalb die Erlangung der „kulturellen Hegemonie“, weshalb de Benoist seinen Mitstreitern und Schülern die Schriften des italienischen Marxisten Antonio Gramsci zur Lektüre empfahl. Dieser hatte die Erlangung der „kulturellen Hegemonie“ als Voraussetzung der Erlangung politischer Macht bestimmt, und im Kanon der neu-rechten Schriften sollte nun ausgerechnet der Leninist, KPI-Abgeordnete und Mussolini-Gefangene Gramsci einen Ehrenplatz erhalten. Im Anschluss an die Herausbildung der „Neuen“ Rechten („Nouvelle Droite“) in Frankreich, können folgende Punkte als wesentliche Kernelemente „neu“-rechten Denkens herausgearbeitet werden:

1. Die strategische Ausrichtung der eigenen Aktivitäten auf die Erlangung der „kulturellen Hegemonie“, welche eine partielle Abkehr von klassischen Formen der Politik und eine Stärkung der theoretischen Schulung impliziert. Verbunden wurden diese Taktiken vor allem mit Begriffen wie „Metapolitik“, „Kapillarsysteme“ und „Graswurzeldenken“. Hinter diesen Kategorien verbirgt sich vor allem die Auffassung, statt der offenen Unterstützung rechter Wahlparteien sollte vor allem auf dem kulturellen Feld gearbeitet werden und die vor-politischen Felder z.B. in den Feuilletons oder der universitären Lehre besetzt werden.
2. Ideengeschichtlich knüpft die „Neue“ Rechte an die Protagonisten der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik an. Dieser Kreis, unter den verschiedene Autoren wie Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt, Edgar Julius Jung und Hans Freyer gefasst werden, gilt – bei allen Unterschieden - als geistiger Vorläufer und Wegbereiter des Nationalsozialismus. (Ein Vorwurf, der von den Protagonisten der „Neuen“ Rechten freilich heftig bestritten wird.) Vor allem die ideologischen Elemente der Konservativen Revolution Anti-Liberalismus und völkischer Nationalismus erwiesen sich als kompatibel für die faschistische Bewegung.
3. Neben den strategischen Ausrichtung der „Neuen“ Rechten und deren affirmative Rezeption der Schriften der Konservativen Revolution zählt der diffenz-rassistische, unter dem Namen „Ethnopluralismus“ firmierende Kampf der Neuen Rechten gegen die „Überfremdung“ der heimischen Kultur durch Migration und die >multikulturelle Ideologie< des Liberalismus. Alain de Benoist hat diese Haltung in einer neueren Version prägnant mit den Worten formuliert, Ziel seines „differenzialistischen Anti-rassismus“ sei „weder Apartheid noch melting-pot, sondern die Annahme des Anderen in einer dialogischen Sicht gegenseitiger Bereicherung“[240] welcher an die Stelle ethnischen Varianten treten solle.

6.3.2 Die „Neue“ Rechte in Deutschland

Die deutschsprachigen Protagonisten der „Neuen“ Rechten Armin Mohler, Pierre Krebs, Henning Eichberg, Bernhard Wilms und Gerd-Klaus Kaltenbrunner führten – mit der Ausnahme Mohlers, der als ehemaliger Sekretär Ernst Jüngers, Geschäftsführer der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung und WELT -Autor über eine gewisse Reputation verfügte - über Jahrzehnte ein Dasein jenseits der etablierten Öffentlichkeit, Veröffentlichungen in großen Magazin waren – anders als in Frankreich, wo die „Nouvelle Droite“ zeitweise das auflagenstarke FIGARO -Magazin als Forum nutzen konnte – eher die Ausnahme, ihre publizistische und praktisch-politische Tätigkeit wurden vor allem von antifaschistischen Autoren verfolgt und analysiert. Einen ersten Wechsel im politischen Feld, der jedoch nicht auf eine erfolgreiche Strategie der „Neuen“ Rechten zurückzuführen ist, sondern durchaus im Spektrum des deutschen Konservatismus angesiedelt war, bildete der von Ernst Nolte ausgelöste Historikerstreit, der entlang dessen Thesen von Auschwitz als einer „asiatischen Tat“ geführt wurde, wobei ein „kausaler Nexus“ zwischen dem Terror des deutschen Faschismus und dem der bolschewistischen Oktoberrevolution bestünde.[241] Nicht nur, dass diese Debatte die von Nolte veranlasste Einschränkung der Singularität der Shoa zum Inhalt hatte, gleichzeitig wurde auch anhand des von Jürgen Habermas vorgeschlagenen und auf Dolf Sternberger zurückgehenden Begriffs „Verfassungspatriotismus“ um das Nationalbewusstsein der Deutschen gestritten. Zwar konnten sich Nolte und seine Kombattanten – die „Viererbande“ (Elie Wiesel) Joachim C. Fest, Michael Stürmer, Ernst Nolte und Klaus Hildebrand - nicht gegen die Antipoden der Thesen vom „kausalen Nexus“ zwischen Auschwitz und 1917 durchsetzen. Nach 1989 wurde aber gerade die von Nolte vorgegebenen inhaltlichen Stränge wieder aktuell, Nolte selber wiederum sollte seine Position sogar noch verschärfen und – spätestens seit 1987 - die Schriften geschichtsrevisionistischer Autoren wie Robert Faurrisson rezipieren. Trotz aller vorsichtiger Distanz und von ihm formulierter Einwände, schreibt Nolte gegen die Diffamierung „revisionistischer“ Autoren, welche nicht mit neo-nazistischer Propaganda gleichgesetzt werden dürften.

„Eine solche Gleichsetzung wäre jedoch irreführend; denn dieser radikale Revisionismus ist weit mehr in Frankreich und in den USA begründet worden als in Deutschland, und es läßt sich nicht bestreiten, daß sein Vorkämpfer sich in der Thematik sehr gut auskennen und Untersuchungen vorgelegt haben, die nach Beherrschung des Quellenmaterials und zumal in der Quellenkritik diejeniegen der etablierten Historiker in Deutschland vermutlich übertreffen.“[242]

Mit der Maxime „Audiatur et alterna pars“ und dem Postulat von der Freiheit der Wissenschaften verteidigt Nolte öffentlich die bislang aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossenen Revisionisten mit der Forderung, dass „jeder Versuch, bestimmte Argumente und Beweise durch Totschweigen oder Verbote aus der Welt zu schaffen [...]“ „illegitim“ seien und deshalb den vor allem französischen und US-amerikanischen Autoren ein Platz in der scientific community gehöre.[243]

6.3.3 Rechtstendenzen im öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik

Neben den rassistischen Angriffen auf Flüchtlingsheime, richtete sich der Blick der Öffentlichkeit auch international[244] auf eine Rechtsentwicklung im der deutschen Publizistik, deren zentrale Motive bereits im Historikerstreit vorweggenommen wurden und die, gefördert durch die Debatte um die deutsche nationale Identität anlässlich der deutschen Wiedervereinigung, eine viel beachtete Größe annahm. Während sich eine Gruppe konservativer Autoren um die Journalisten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht in traditionell-konservativen Organen des Springer-Verlages wie WELT AM SONNTAG gegen die „negativen Folgen von ´68“ wie Feminismus, durch die antiautoritäre Erziehung begünstigten Bildungsverfall und Multikulturalismus polemisierte und der rechten Selbstverständigung dienender Sammelbände gegen die „Westbindung“ bzw. für eine „Selbstbewußte Nation“ herausgaben, bekannte sich der Dichter Botho Strauss im Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL mit einem Aufsehen erregenden Essay unter dem Titel „Anschwellender Bocksgesang“ zu einer „wahren Rechten“ und schlug damit einen kulturpessimistisch-zivilisationskritischen Tonfall an, welcher als Grundakkord zahlreiche folgende, von diesem Text inspirierte Schriften durchzog.[245] Einiges Aufsehen erregten auch die politischen Tendenzen in traditionsreichen deutschen Verlagshäusern,[246] die etwa im Falle Ullstein dazu führte, dass dem Historiker Karlheinz Weißmann die Aufgabe zugetragen wurde, für die Propyläen-Reihe zur deutschen Geschichte den Band über den Nationalsozialismus zu verfassen. Weißmanns Arbeit unter dem Titel „Der Weg in den Untergang“ (sic!) wurde von fast allen Rezensenten negativ besprochen; die Vernichtung der europäischen Juden nahm in diesem Buch eine nur marginale Rolle ein, während dem Leid der deutschen Bevölkerung während des Krieges viel Raum in seiner Darstellung eingeräumt wird.[247] Gerade das Leid der deutschen Bevölkerung, die deutschen Opfer des Kriegs, der Bombernächte und der Invasion der Roten Armee war es, was die Gruppe um den ehemaligen OSI-Mitarbeiter, Ullstein-Lektor und damaligen WELT -Redakteur Rainer Zitelmann dazu veranlassten, mehrfach mit spektakulären Anzeigen und Unterschriftenlisten in den Öffentlichen Diskurs zu intervenieren. Zitelmanns geschickt lancierten Zeitungsanzeigen z.B. zur Bedeutung des 8. Mai 1945, der hier ausdrücklich nicht als „Tag der Befreiung“ sondern als Beginn neuen Leids und systematischer Vertreibung der Deutschen in den Ostgebieten eingestuft wurden, trug die Unterschrift von prominenten Politikern wie dem CDU-Ehrenvorsitzenden Alfred Dregger oder dem ehemaligen Generalbundesanwaltes Alexander von Stahl. Problematisch an vielen Überblicksdarstellungen zur „Tendenzwende“, d.h. der Stärkung rechter Positionen zur damaligen Zeit, ist die mitunter beliebige Verwendung des Terminus „Neue“ Rechte für Positionen, die meist rechts von der CDU/CSU angesiedelt sind, kaum aber eine >>Neuerung<< im Sinne der französischen Vorgaben darstellen.

6.3.4 Unterschiede zwischen der deutschen und französischen „Neuen“ Rechten

„Neue“ Rechte ist aber in seiner Bedeutung belegt mit der spezifischen Argumentation von Autoren, die bewusst an das französische Projekt der Nouvelle Droite anschließen. Insofern handelt es sich bei den in Deutschland unmittelbar nach der Wiedervereinigung agierenden Protagonisten keinesfalls um „Neue“ Rechte im spezifischen Sinn – dieses Etikett würde am ehesten zu Karlheinz Weißmann passen – sondern um deutsche Vertreter einer rechten Politik, die z.B. in ihren öffentlichen Appellen durchaus von der Strategie der französischen Nouvelle Droite inspiriert wurde, im Kern aber an die zentralen Elemente des christlichen deutschen Konservatismus anschließt. Wesentliches Element der Unterscheidung zwischen rechten und linken Positionen ist die Bestimmung der Gleichheit der Menschen;[248] für die „Neue“ Rechte wird der sich aus der Betonung des Besonderen, der Differenz und der Ungleichheit abgeleitende Anti-Egalitarismus, für den der universalistische Begriff der „Menschheit“ eine kalte, leere Abstraktion ist, um zahlreiche Punkte erweitert. Hinter der kapitalismuskritischen Phraseologie „neu“-rechter Polemiken gegen den Konsumterror steckt ein verklärter Wunsch nach der Rückbesinnung auf Traditionen; dem vor allem hinter Christentum, Judentum, Liberalismus und Sozialismus vermutete Egalitarismus wird eine Betonung der kulturellen Besonderheiten entgegen gehalten, die vor allem von der Amerikanisierung der Welt nivelliert würden. Hier liegt die stärkste Unterscheidung zwischen der französischen Nouvelle Droite und der „Neuen“ Rechten in Deutschland. Während in Frankreich Heiden- und Germanentum, Kulte und Riten im Mittelpunkt der kulturellen Selbstverständigung der Neuen Rechten stehen, orientiert sich der größte Teil der in Deutschland von den Medien als „Neue“ Rechte benannte Kreis um Rainer Zitelmann, Heimo Schwilk, Alexander von Stahl et al an der klassischen Motiven des Konservatismus und Rechtsliberalismus. Auch die von Micha Brumlik vorgetragene Warnung, eine „[...] neurechte Ideologie [...] mit Annahmen über angeborene Ungleichheiten, starken Institutionen, effizienten Exekutiven und einer systematischen Bevorzugung eigener Staatsbürger in Zeiten weltwirtschaftlicher Ungewißheiten [...]“[249] müsste hinsichtlich der verwendeten Terminologie noch erläutert werden. Die von ihm benannten Elemente einer neu-rechten Ideologie sind nämlich mit dem klassischen Konservatismus der Unionsparteien kompatibel, der die Gesamtschule oder Umverteilung als „gleichmacherisch“, „starke Institutionen“ und „effiziente Exekutiven“ als staatstragende Notwendigkeit und die „systematische Bevorzugung eigener Staatsbürger“ gegenüber Migranten nicht nur in der wirtschaftlichen Krise als normale Reaktion gilt. In diesem Sinne sind für die Verwendung der Bezeichnung „Neue“ Rechte für die deutsche und französische Situation einige signifikante Unterschiede zu beachten. Für den deutschen Hintergrund bezeichnet man mit „Neue“ Rechte häufig auch jene Positionen, die den klassischen Konservatismus der Unionsparteien ändern bzw. verschärfen wollen und sich vor allem gegen die Aufnahme bürgerrechtlich-liberaler und pro-westlicher Positionen in das Programm des deutschen Konservatismus und Liberalismus wenden. Das Erstarken derartiger Positionen seit der Wiedervereinigung verweist auf die damit verbundene „Notwendigkeit“, die deutsche Rolle in der Weltpolitik neu zu bestimmen. Begünstigt durch diese Lage konnten Forderungen nach einer „selbstbewußten Nation“ ein großes Medienecho finden und im Kern alte geopolitische, national-neutralistische etc. Ideen in modernisierter Form an die Öffentlichkeit gebracht werden. Dabei ging es den Vertretern dieser, d.h. sich nicht explizit auf die französische „Nouvelle Droite“ beziehenden und von der Publizistik so genannten „Neuen Rechten“ um drei Punkte:

- Erstens sollte die Neubestimmung der deutschen Rolle in der Weltpolitik in größerer Offensive erfolgen. Dazu notwendig sei die Lösung von der vergangenheitsfixierten Zurückhaltung der Deutschen in Fragen der Verteidigungspolitik. Die deutsche Politik könne nicht mehr länger durch den Rekurs auf die Lehren aus dem Nationalsozialismus bestimmt werden; es gelte fortan auch die deutschen Opfer zu würdigen, statt diese mit Formeln wie „Tag der Befreiung“ für den 8. Mai 1945 zu vergessen.
- Zweitens wurden die Rufe nach einer Lösung der engen Bindung zu den Vereinigten Staaten von Amerika notwendig; die kulturelle, politische und vor allem militärische „Westbindung“ solle durch die Bestimmung der deutschen Nation abgelöst werden.
- Drittens gilt es den Vertretern dieser „Neuen“ Rechten, die von Helmut Kohl angekündigte geistig-moralische Erneuerung durchzusetzen und in gesellschaftspolitischen Fragen wie Migration, Abtreibung, berufliche Geschlechtergleichstellung etc. den sog. „Geist von 1968“ zurückzudrängen und gegen den auch in den großen Volksparteien festgestellten Einfluss der „Linksliberalen“ vorzugehen. In diesem Sinne ist das Ziel dieser Gruppe die Pointierung bereits etablierter konservativer bzw. nationalliberaler Positionen, die Neudefinition der Westbindung und die Historisierung des Nationalsozialismus.

Diese bis in die großen Volksparteien festzustellenden Rechtstendenzen veranlassten den CDU-Politiker Friedbert Pflüger zu dem Buch „Deutschland driftet“, welches zwecks Vergegenwärtigung des damaligen Diskussionstands hier genauer vorgestellt und kritisch betrachtet werden soll. Pflüger fragte damals nach den Einflüssen der „Neuen“ Rechten auf die politische Mitte; eine Fragestellung, die ein wesentliches Motiv der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ in den 1990er Jahren war.

6.4 „Deutschland driftet“ – Liberal-konservative Kritik der „Neuen“ Rechten

In seinem 1994 veröffentlichten Buch „Deutschland driftet. Die Konservative Revolution entdeckt ihre Kinder“[250] unternimmt der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger den Versuch einer eindeutigen Positionierung eines aufgeklärt-liberalen Konservatismus gegen den von ihm diagnostizierten Einfluss der „Konservativen Revolution“ und „Neuen“ Rechten auf die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung. Vor allem die völkische Ideologie der Vordenker der sog. „Konservativen Revolution“ und deren Popularisierung durch das „neu“-rechte Wochenblatt Junge Freiheit ist Gegenstand der Kritik Pflügers. Anhand zahlreicher Beispiele setzt er sich mit den anti-demokratischen Traditionen von Carl Schmitt, Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler et al auseinander und weist den Fortbestand dieses Denkens in den politischen Debatten Anfang der 1990er Jahre nach. Da Pflüger sich mit seinem populären Sachbuch an ein breiteres, nicht ausschließlich akademisches Publikum wendet, erfolgt seine Untersuchung kursorisch, die Ergebnisse seiner Ausführungen haben häufig lediglich fragmentarischen statt systematisch-stringenten Charakter. Trotzdem gelingt es Pflüger an verschiedenen Stellen, zwei divergierende Linien konservativen Denkens - eine freiheitlich-demokratische Variante vs. eine völkisch-obrigkeitsstaatliche Variante - herauszuarbeiten und auf der Grundlage eines modernen Konservatismus gegen den „neurechten“ Diskurs auch in seiner eigenen Partei, der CDU, Stellung zu beziehen.

6.4.1 Erosion der Mitte

Prägnant für den Zusammenhang dieser Untersuchung sind Pflügers Beispiele, in denen er ein Einsickern rechter Ideologeme in die Politik der „Mitte“ - zu der er vor allem die bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP zählt - nachweist und diese einer eindeutigen Kritik unterzieht. Anhand eines am 8. Mai 1993 unter dem Titel „Der Brand in unserem Haus“ in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Beitrags des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt zeigt Pflüger, wie die rassistischen Anschläge auf Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland von einem bekannten Wissenschaftler mit „neu“-rechten Argumenten interpretiert werden. Die „Abneigung gegen alles Fremde“ werde darin - so Pflüger - „zu einer anthropologischen Konstante“.[251] Der Konrad Lorenz-Schüler Eibl-Eibesfeldt wählt zur Erklärung des Rassismus (der hier terminologisch als „Xenophobie“ bezeichnet wird) eine biologistische Argumentation, in welcher der Verhaltensforscher „die Vielfalt der Völker mit der artlichen Vielfalt im Tier- und Pflanzenreich“ vergleicht, in welchem ein „Ausleseprozeß“ und Kampf um „begrenzte Güter“stattfindet.[252] Eibl-Eibesfelds Erklärung einer anthropologisch begründeten „Fremdenfurcht“ ist das bereits im Kindesalter bei allen Kulturen gebildete „Urmißtrauen“. Die „massenhafte Einwanderung“ von „Vertreter[n] kulturferner Ethnien“ führt dem Wissenschaftler zufolge zu einem Konkurrenzverhältnis mit der einheimischen Bevölkerung, welche dann „mit archaischen Verhaltensmustern der Territorialität und Xenophobie“ reagiere, welche „in Krisensituationen leicht in Haß umschlagen“ könne. Zwar sei diese „Fremdenangst“ nach Ansicht des berühmten Verhaltensforschers „prinzipiell kulturell zu beherrschen“, jedoch sei die Einwanderungspolitik der europäischen Staaten nicht in der Lage, dem Problem der „Fremdenangst“ entgegenzutreten, da durch diese Politik ein „übervölkertes Europa“ mit entsprechenden Versorgungsproblemen entstünde.[253] Pflüger kritisiert an den Ausführungen von Eibl-Eibesfeldt, diese würden „Fremdenangst“ nicht erklären, sondern vielmehr verstärken. Er weist weiter auf die Rezeption des Textes durch die „Neue“ Rechte hin: Die Zeitschrift Nation und Europa habe den Artikel zustimmend erwähnt, in der Welt am Sonntag habe der zeitgenössische Vordenker der „Konservativen Revolution“, Karlheinz Weißmann, den Verhaltensforscher öffentlich verteidigt und die „natürlichen Ursprünge“ des Fremdenhasses betont.[254] Pflüger benennt damit eine zentrale Strategie der „Neuen“ Rechten, die sich mit Vorliebe Texte von bekannten öffentlichen Personen (in diesem Fall Konrad Lorenz, Eibl-Eibesfeldt et al) zu Nutze machen, wenn diese sich in inhaltlicher Nähe zu z.B. „ethnopluralistischen“ Positionen befinden. Insofern ist der Biologismus eines Irenäus Eibl-Eibesfeld, der hier Rassismus („Xenophobie“) kulturübergreifend zur anthropologischen Konstante erklärt, eine dankbare Vorlage für die Vertreter einer „Neuen“ Rechten, die im Abdruck eines solchen Textes in einem traditionsreichen liberalen Blatt die Stärkung eigener Inhalte sehen und somit als politische Gruppierung der Rechten über eine „unverdächtige“ inhaltliche Referenz im Wissenschaftsbetrieb verfügen. Hier wird auch ein Muster deutlich, welches für die Strategie der „Neuen“ Rechte typisch ist: Findet sich in der etablierten Presse ein Text oder Beitrag, der die eigene Position unterstützt, wird dieser von den publizistischen Vertretern der „Neuen“ Rechten zitiert, wiederverwertet oder nachgedruckt. Dadurch können auch originäre, eigene Positionen in den öffentlichen Diskurs einsickern.

6.4.2 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und das „neue nationale Denken“

In einem signifikanten Abschnitt widmet sich Pflüger einem Teil des Herausgeberkreises der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in dem er eine „Speerspitze für das neue nationale Denken in Deutschland“[255] erkennt und dieses Urteil an Beispielen belegt. Friedrich Karl Fromme habe die „REPpublikaner“ eine „konservative Partei“ genannt, Eckhard Fuhr die Postleitzahlenreform von 1993 die „postalische Einheit des Vaterlandes“, ein „patriotisches Exempel“. Johann Georg Reißmüllers scharfe Kommentare gegen die „uneuropäischen“ Serben werden von Friedbert Pflüger mit „alten >>Serbien-muß-sterbien<<-Parolen verglichen, der Hinweis auf Annoncen der Jungen Freiheit in der FAZ sowie der häufige unkommentierte Abdruck „rechtsradikaler Zuschriften“[256] im Leserbriefteil des Blattes verdichtet für Pflüger das Bild einer Nationalisierung der Debatte in Deutschlands führender konservativer Tageszeitung. Pflüger zieht aus den nationalistischen Tönen in FAZ und DER SPIEGEL das Fazit, dieser Tonfall sei „[...] besorgniserregender als selbst die 4000 rechtsextremistischen Gewalttaten, die 1992 und 1993 begangen wurden (mit 25 Toten)[...]“[257] und benennt die Verschiebung rechter Positionen in die Mitte wie folgt:

„Hier werden ideologische Fetzen von rechtsaußen ein wenig entschärft, etwas aufpoliert und zur bürgerlichen Mitte weitergereicht. So werden die Themen der Rechtsradikalen in der bürgerlichen Mitte salonfähig. Die Mitte wird publizistisch nach rechts verschoben [...]“[258]

Bemerkenswert ist diese Zusammenfassung deshalb, weil sich hier ein konservativer Politiker in der Schlussfolgerung aus den oben genannten Beispielen ausdrücklich gegen die Entpolitisierung neofaschistischer Straftaten richtet und einen Zusammenhang zwischen rassistischen Anschlägen und der politischen Diskussion herstellt. Damit benennt Pflüger einen wesentlichen Aspekt der Debatte in den 1990er Jahre: Was zunächst als Elitendiskurs, als diskursanalytisch zu erfassender Kampf um Begriffe und „kulturelle Hegemonie“ erschien,[259] hält Einzug in die politische Mitte. Die „Neue“ Rechte findet Resonanz in der bürgerlichen Mitte und wirkt sogar inhaltlich auf diese ein.

6.4.3 „Normative Westbindung“ und „offene Gesellschaft“

Pflügers Plädoyer für eine offene Gesellschaft und gegen die Wiederkehr des verdrängten völkischen Gedankenguts war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 1994 vor allem eine Intervention in die programmatische Debatte innerhalb der Unionsparteien, in denen damals zunehmend deutschnationale und europakritische Töne (z.B. von Alfred Dregger, Theo Waigel, Edmund Stoiber) zu vernehmen waren. Außerdem diente seine Publikation der Kritik derjenigen in der Union, welche durch personelle Kontakte oder öffentliche Stellungnahmen die Parteien rechts von CDU/CSU aufwerteten. Pflüger verweist auf den damaligen Berliner Bundestagsabgeordneten Heinrich Lummer, der sich mehrfach für die Zusammenarbeit mit den Republikanern ausgesprochen hatte[260] oder auf den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl, der den Vorsitzenden der „REPublikaner“, Franz Schönhuber, zu einer mehrstündigen Diskussion in seinem Privathaus empfangen hatte.[261] Pflüger bringt aus diesem unionsinternen Kontext zahlreiche Beispiele, die ihn zu einer Positionierung führen, die sich nachdrücklich gegen die völkische Ideologie der „Neuen“ Rechten und deren auf Carl Schmitt zürückgehende Feindbestimmung als zentralen Kern des Politischen richtet. Gegen einen Konservatismus, der die Differenz in den Mittelpunkt des politischen Handelns stellt und aus der Betonung und Verteidigung der Besonderheiten der nationalen und kulturellen Identität seine Existenzberechtigung ableitet, setzt Pflüger die Betonung das Konsensprinzips parlamentarischer Demokratien, gegen anti-europäische Tendenzen im Konservatismus eine „normative Westbindung“,[262] welche statt der Einzigartigkeit der mythologisch aufgeladenen deutschen Nationalgeschichte das Gemeinsame in Europa - christlicher Glaube, griechische Philosophie, römisches Recht und humanistisches Denken haben nach Pflüger die „Zivilisationsgeschichte im Abendland“[263] entscheidend geprägt - hervorhebt und gegen die Kritik an der europäischen Orientierung die eindeutige Option für den liberalen Verfassungsstaat als Modell für den Kontinent.

6.4.4 Kritik der Pflügerschen Argumentation

Ihre Grenzen hat Pflügers Diagnose dort, wo er - ausgehend von den grundlegenden Paradigmen der Totalitarismustheorie - rechte Vordenker wie Botho Strauß mit linken Intellektuellen wie Herbert Marcuse vergleicht - als seien beide gleichermaßen die „Feinde“ der „offenen Gesellschaft.“[264] Während die Zivilisationskritik eines Botho Strauss vor allem an metaphysische Kategorien anknüpft[265] und von diesem Ansatz aus den Lebensstil und Medienkonsum westlicher Gesellschaften beklagt, verweist Herbert Marcuse ausgehend von der Rationalitätskritik der Kritischen Theorie - wie Freuds Psychoanalyse ist die Kritische Theorie eine Vernunftkritik zur Verteidigung der Vernunft! - auf den formal verengten Vernunftbegriff westlich-kapitalistischer Gesellschaften, in der jede Handlung dem Leistungsprinzip und instrumentellen Verwertungszweck unterworfen sei und deshalb anderen, menschlicheren Zielen „entfremdet“ ist.[266] Pflüger vergleicht diese Position mit der von Botho Strauss und schreibt unter Verweis auf Personen, die nach 1968 im Lager der „Konservativen Revolution“ anzutreffen waren:

„So läßt sich das Umsteigen von neomarxistisch inspirierter Studentenrevolte zum Konservativen Revolutionär in manchen Fällen gar nicht schwer erklären. Im Grunde ändert man nur das Vorzeichen. Der Haß gegen das bestehende System bleibt gleich. Das gilt auch für die Methoden der Kritik. Negative Auswüchse der westlichen Zivilisation werden beschrieben, überspitzt und im Sinne einer Fundamentalkritik grundsätzlich gegen die liberale Gesellschaft gewendet.“[267]

Pflüger interpretiert diese Ähnlichkeit als inadäquate Reaktion auf soziale Veränderung, welche in die Anbindung an – totalitäre! – Utopien münde:

„So stürzt sich dann der linke Zivilisationskritiker in Utopien von herrschaftsfreier Gesellschaft und versucht, den Himmel auf Erden zu errichten, der nach Karl Popper stets die Hölle produziert. Oder er sucht, wie die Jüngers, Benns, Georges oder Strauss´, die Erlösung im Mythos, in der Tiefenerinnerung, im Instinkt, im Elementaren. Der eine betet den jungen Marx an, der andere sehnt sich nach Thor und Odin zurück. Das eine wie das andere ist eine Flucht aus der schwierigen Wirklichkeit, eine gefährliche Reduktion von Komplexität als Folge der Sehnsucht nach endgültiger, alles erklärender Wahrheit.“[268]

Als Verteidiger der „offenen Gesellschaft“ will Friedbert Pflüger die Auseinandersetzung mit denjenigen Kräften führen, welche die „politische Mitte“ in Frage stellen. Deshalb können Botho Strauß und Herbert Marcuse für ihn als beinahe identische Gegner moderner offener Gesellschaften gelten. Dieses mangelnde Differenzierungsvermögen, welches die Unterschiede in theoretischen Kategorien, Begriffen, Bezugsgrößen und nicht zuletzt Zielen vernachlässigt, die auf menschliche Emanzipation ausgerichtete Kritik am „irrationalen Elend“ der „Rationalität“ moderner Gesellschaften durch Herbert Marcuse mit den reaktionären Elegien eines Botho Strauß vergleicht und somit die als Aufklärung intendierte Kritik einer verengten, versachlichten Vernunft mit der anti-aufklärischen und tiefen-mythologisch aufgeladenen Sehnsucht nach „Wiederanschluß an die lange Zeit“ (Strauss) vergleicht, zeigt die Beschränktheit und Grenzen der Pflügerischen Perspektive. Eine Perspektive, die letztlich auf Unkenntnis basiert und im Vergleich vom „jungen Marx“ mit „Thor und Odin“ seltsame Blüten treibt. Vielmehr scheint jene Fraktion der von Pflüger benannten Rechtsabweichler der Studentenbewegung (Pflüger nennt in diesem Zusammenhang keine Namen; denkbar wären aber die Beispiele Horst Mahler, Reinhard Oberlercher, Günther Maschke und Bernd Rabehl) ohnehin nicht am Humanismus der Marxschen „Frühschriften“ oder gar an der materialistischen Kritik der politischen Ökonomie interessiert gewesen zu sein. Vielmehr war sie vom Aspekt der Revolte gegen die bürgerliche Welt, vom anti-westlichen Ressentiment und von anti-liberaler Grundhaltung bestimmt. Doch trotz dieser analytischen Defizite formuliert Pflüger in seiner Publikation aus liberal-konservativer Sicht eine wichtige Kritik für den Zusammenhang dieser Untersuchung: Wenn die Themen der Rechten zu Themen der Mitte werden bzw. genauer: rechte Inhalte in die politische Mitte „einsickern“, wird damit nicht den rechtsradikalen Parteien das Handlungsspektrum eingeengt, sondern die Themen - und freilich die von den Rechten gesetzten Inhalte - verlieren ihre Anstößigkeit. Dies ist ein zentrales Motiv der Kritik an der politischen Mitte, welches auch von anderen Autorinnen und Autoren zuvor artikuliert bzw. bzw. später aufgegriffen wurde und von Pflüger zu einer umfassenden Bestandsaufnahme der Rechtstendenzen der Jahre unmittelbar nach der Wiedervereinigung zusammengefügt wurde. Wichtig ist das Buch von Pflüger unter anderem deswegen, weil kurz vor der Veröffentlichung von Pflügers Buch die Öffentlichkeit über die Nominierung des sächsischen Justizministers Steffen Heitmann zum Bundespräsidenten diskutierte. An Heitmanns Kandidatur wurden exemplarisch jene Positionsverschiebungen innerhalb der bürgerlichen Mitte aufgezeigt, die bei einem Teil der Öffentlichkeit zur Auffassung führte, gerade die Unionsparteien und ihr Umfeld in Stiftungen, Publikationen etc. seien ein Forum für die Neuformierung der deutschen Rechten.[269] Die unionsinterne Gegenposition zu Friedbert Pflüger formulierte in gleichen Jahr der damalige Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble, der angesichts der Krise der liberalen Demokratien und der „notwendigen Reformen“ des Sozialstaates die gesellschaftserhaltende Kraft der Nation als „Schicksalsgemeinschaft“ beschwor.[270] Schäuble fordert zur Neugestaltung des Gemeinwesens deshalb eine „Rückbesinnung auf unsere nationale Identität“[271] und plädiert folglich eindeutig für die Neubesetzung des nationalen Gedankens, welcher nicht länger historisch und moralisierend mit Verweis auf die Zeit des Nationalsozialismus verhindert werden solle. Gerade dieses Plädoyer für die Rückbesinnung auf die Nation, seine öffentliche Intervention wider ein „verkümmertes Nationalbewusstsein“[272] verlagerte den Blick zahlreicher politischer Beobachter auf die Diskurse innerhalb der politischen Mitte. Während Pflüger mit seinem Votum für eine „normative Westbindung“ einer explizit „deutschen“ Haltung eine Absage erteilte, formulierte Wolfgang Schäuble mit seinem Rekurs auf die nationale Identität eine Position, welche der „neu“-rechten Forderung nach einer „selbstbestimmten Nation“ fatal ähnlich sah und den Blick auf inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Politiken der Unionsparteien und den Vertretern der „Neuen“ Rechten schärfte.

7. „Extremismus der Mitte“ – Die Neuanwendung des Theorems als politische Kategorie

Gerade diese Diskussion um die Neuformierung der deutschen Nation, die Abkehr von der „Schuldmetaphysik“ (Karlheinz Weißmann), die Kritik der Westbindung, die Forderungen nach der Lösung aus dem „Schatten Hitlers“ beförderte eine Blick auf die politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, welche unter dem Topos „Extremismus der Mitte“ Tendenzverschiebungen innerhalb der politischen Mitte – gemeint sind hier die staatstragenden Parteien, die staatlichen Behörden und die etablierten Institutionen der Zivilgesellschaft – nach rechts konstatierte. „Extremismus der Mitte“ war auch der Titel eines im renommierten Fischer-Taschenbuch-Verlag erschienen Sammelbandes,[273] dessen Anlass – die neuen Diskurse über die deutsche Nation - der Herausgeber Hans-Martin Lohmann wie folgt beschrieb:

„Die national gefärbten Diskurse der neorechten Intellektuellen können in der gegenwärtigen Situation, die von Unsicherheit und Zukunftsängsten bestimmt ist, mit einiger Aussicht auf Erfolg an Affekte und Stimmungen appellieren, die in Deutschland nie ganz untergegangen sind. Anders als die großen Demokratien des Westens, in denen die >>Vergesellschaftung der Nation<< (Heinz Bude) zu einem Gutteil geglückt ist, steht die zweite deutsche Republik in der permanenten Gefahr, das wieder zu verspielen, was sie zwischen 1949 und 1989 an demokratischem Selbstverständnis, Gesellschaftlichkeit, Zivilität und Bürgersinn gewonnen hat. Deutschland ist wieder einmal dabei, sich zu verkrampfen und so jene westlichen Errungenschaften preizugeben, denen es den Charme eines durchaus gewöhnlichen, eines nicht-exzeptionellen und unheroischen Gemeinwesens verdankt. Deshalb ist es Zeit, Alarm zu schlagen.“[274]

Dieser Band umfasst kritische Untersuchungen zur Aktualität „deutscher Sonderwege“ und den Versuchen der Loslösung von der „Westbindung“, Betrachtungen zur verlagspolitischen Richtlinie im traditionsreichen Ullstein-Verlag und eine Kritik des SPIEGEL -Herausgebers Rudolf Augstein ebenso wie eine Studie Hans-Ulrich Wehlers zu Ernst Noltes geschichtsphilosophischer Interpretation des Nationalsozialismus. Einzelne Autoren widmeten sich den „Verteidungspolitischen Richtlinien“ der Bundeswehr und der Politik des Generalinspekteurs Klaus Naumann, während im Schlusskapitel die „Nouvelle Droite“ in Frankreich und der Umbruch im parlamentarisch-demokratischen System in Italien betrachtet wird. Dieses Konglomerat an Themen in einem der Kritik des „rechten Verständnis von deutscher Nation“ (so der Untertitel) gewidmeten Sammelband, zeigt deutlich die Änderung der Verwendung des Theorems vom „Extremismus der Mitte.“ Während es in Anschluss an Geiger und Lipset darum ging, den spezifischen Anteil der Mittelschichten am Aufstieg der NSDAP bzw. anderer internationaler extremistischer Bewegungen herauszuarbeiten, wird in den 1990er Jahren aus „Extremismus der Mitte“ ein Terminus zur Kennzeichnung von Rechtstendenzen innerhalb der politischen Mitte. Lediglich Wolfgang Kraushaar beschäftigt sich in seinem einleitenden Aufsatz „Extremismus der Mitte. Zur Geschichte einer soziologischen und sozialhistorischen Interpretationsfigur“[275] mit Geiger und Lipset; für die anderen Autorinnen und Autoren wird die auf Lipset zurückgehende „Interpretationsfigur“ lediglich zu einem Label der Kennzeichnung rechter Entwicklungen im etablierten Diskurs der Bundesrepublik Deutschland. Lohmann setzte mit seinem Band eine Entwicklung fort, die schon zu Beginn der 1990er Jahre angelegt war. Zu diesem Zeitpunkt häuften sich auch die Diagnosen, denen zufolge „aus der Mitte der Gesellschaft“ Gefahr für die demokratische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland drohe. Zahlreiche Schriften des diskursanalytisch orientierten „Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)“ arbeiteten – unter anderem unter dem Titel „Aus der Mitte der Gesellschaft“[276] - bereits relativ früh die Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus heraus, indem sich ihre Perspektive nicht auf die Problembereiche der Gesellschaft („Deprivation“) richtete, sondern vor allem die mediale Vermittlung rassistischer Bilder und Diskurse und deren Verstärkung durch entsprechende Äußerungen von Politikern verdeutlichen. Bis in die Mitte der 1990er Jahre häuften sich die Publikationen, welche einen Zusammenhang zwischen der politischen Mitte und den in den fremdenfeindlichen Straftaten und ideologisch aufgeladenen Diskursen um das Asylrecht etc. manifest werdenden Zuspitzungen rechter Tendenzen herstellten. Ähnlich wie Friedbert Pflüger warnte der Sozialdemokrat Peter Glotz vor den „Neuen Rechten“, welche „die Parteien der rechten Mitte nach rechts“ drücken würden,[277] Jürgen Habermas warnte in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ vor dem „Extremismus, der aus der Mitte kommt“[278], und in einer Monographie warnte Jürgen Trittin wortreich vor der drohenden „Gefahr aus der Mitte“.[279] Ähnlich lautete mit „Rechte Gewalt und der Extremismus der Mitte“ auch eine Publikation des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen, in welchem u.a. die Einflüsse der organisierten Rechten auf die Bonner Politik untersucht wurden.[280] Dass diese und ähnliche in Wort- und Titelwahl an Lipset anknüpfenden Veröffentlichungen jedoch keinesfalls die Weiterentwicklung des dort formulierten Paradigmas sein wollten, sondern auf die objektive Duldung und teilweise auch Förderung rassistischer Anschläge gegen Flüchtlinge rekurrierten, belegt ein Zitat des Berliner Politologen Wolf-Dieter Narr, der unter dem Titel „Der Extremismus der Mitte“ schreibt:

„Ich klaue diese Bezeichnung, ohne mich näher mit den Lipsetschen Konnotationen und der seitherigen Diskussion auseinanderzusetzen.“[281]

Diese Stelle zeigt treffend und beispielhaft die Entwicklung des „Extremismus der Mitte“ vom Theorem zur Klärung des spezifischen Anteils der Mittelschichten am Aufstieg der NSDAP zum Schlagwort, mit dem ein ganzes, eher diffuses Spektrum von Themen, Perspektiven, Beobachtungen und Befunden abgedeckt wird.

7.1 „Implosion der Mitte“ – Wolfgang Kraushaar

Zentral für die Diskussion der Neuanwendung des Theorems vom „Extremismus der Mitte“ für die zeitgenössische Entwicklung sind die Veröffentlichungen des Hamburger Sozialforschers und Publizisten Wolfgang Kraushaar, der in Mittelweg 36, der Zeitschrift des von Jan Philip Reemtsma begründeten Hamburger Instituts für Sozialforschung, eine umfassende und kenntnisreiche dreiteilige Artikelfolge unter dem Titel „Implosion der Mitte“ veröffentlicht hat.[282] Hier und in anderen Publikationen[283] versucht Kraushaar, die „Interpretationsfigur“ vom Extremismus der Mitte in ihrer Genese darzustellen und auf (damals) aktuelle Phänomene anzuwenden bzw. zu kritisieren. Kraushaars Beitrag zur Reformulierung einer Theorie vom „Extremismus der Mitte“ soll hier ebenso wie die Kritik der beiden Extremismusforscher Eckard Jesse und Uwe Backes[284] dargestellt und analysiert werden.

Kraushaar beginnt seine Ausführungen zum Thema mit einem Verweis auf die seit der Anschlagwelle gegen Flüchtlingsheime, Nicht-Deutsche, Behinderte, Obdachlose etc. zu verzeichnenden Untätigkeit der Sicherheitsorgane und die Positionen der offiziellen Asylpolitik. Er schreibt:

„Unübersehbar waren nicht nur die Korrespondenzen, die es zwischen der Asylpolitik Schäubles, Wedemeyers und Stoibers und den >>Ausländer-Raus<<-Parolen der jungen Rechten im allgemeinen gab, sondern auch die Vielzahl von ermunternden Begleitkommentaren, Tatduldungen ausgesetzten Strafverfolgungen, die es an den Anschlagorten im besonderen gegeben hatte.“[285]

Kraushaar leitet aus diesem Zusammenhang die Attraktivität der These vom „Extremismus der Mitte“ ab:

„Wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, rückte dabei eine These immer mehr ins Zentrum der Debatte: die These vom Extremismus der Mitte. Die rassistischen Aktionen, hieß es, würden nicht von den Tätern begangen, die vom Rande der Gesellschaft kämen, sondern aus deren Mitte. Das, was als Aggressions- und Destruktionspotential ausgemacht werden könne, gehe nicht von der sozialen Peripherie, sondern vom Zentrum aus.“[286]

Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Vielzahl von Publikationen, welche in Anlehnung an das Schlagwort vom „Extremismus der Mitte“ veröffentlicht wurden.[287] Um die Genese des Theorems darzustellen, arbeitet er in seinen Ausführungen zur „politischen Topographie der Mitte“[288] die Herkunft des „Mitte-Mythos [...] aus der Antike“[289] heraus, da bereits die Philosophie der Vorsokratiker ebenso wie Aristoteles den heutigen Bedeutungsgehalt von „Mitte“ vorgeprägt hätten. Der heutige Mitte-Mythos umfasse weltanschauliche (Mittelweg), geopolitische (Mittellage), soziologische (Mittelschichten etc.) und partei- und staatspolitische (demokratische Mitte) Dimensionen, welche zur ideologischen Aufladung der sich selbst als Norm setzenden politischen und gesellschaftlichen Mitte beigetragen hätten.[290] Auch in seiner begriffsgeschichtlichen Analyse der Extremismus-Kategorie arbeitet Kraushaar die politischen Implikationen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen heraus und ordnet den Begriff als eine „kategoriale Differenz“[291] der staatstragenden Kräfte gegenüber den im Zuge der 1968-Bewegung akut gewordenen Herausforderungen ein.[292] Durch die normative Aufladung des Extremismusbegriffs sei dieser aufgrund

„[...] entsubstantialisierter politischer Positionalität zu einer Schlüsselkategorie im politischen System der Bundesrepublik geworden.“[293]

In seiner Untersuchung des Theorems vom „Extremismus der Mitte“ weist Kraushaar darauf hin,

„[...] daß bisher insgesamt drei Ansätze zu seiner Überprüfung und Präzisierung erkennbar sind. Es sind dies:

- einer zur Kennzeichnung der sozialen Herkunft der Täter;
- einer zur Identifizierung der Komplizenschaft zwischen Tätern und Politikern, besonders zwischen rechtsradikalen Drahtziehern und staatlichen Behörden und
- einer zur Charakterisierung moderner rechtspopulistischer Parteien.“[294]

Entlang dieser drei Ansätze untersucht Kraushaar im ersten Teil seiner Untersuchung die Gültigkeit und Plausibilität der Verwendung des Begriffs „Extremismus der Mitte“. Es fällt auf, dass an dieser Stelle die Gültigkeit des Paradigmas nicht auf seine eigentliche Bezugsgröße, den Anteil der Mittelstände am Aufstieg der NSDAP bezogen wird. Obwohl Kraushaar im zweiten Teil seiner Studie ausführlich auf die Kontroversen um die Ansätze von Geiger und Lipset eingeht und vor allem den letzteren Ansatz einer plausiblen Kritik unterzieht,[295] wird deutlich, dass es Kraushaar vor allem um die Prüfung der Tauglichkeit des populären Verdikts, Rechtsextremismus komme „aus der Mitte der Gesellschaft“, geht.

7.1.1 Soziale Herkunft der Täter

Zur Stützung der These, die soziale Herkunft der Täter sei nicht in Randgruppen anzusiedeln, bedient sich Kraushaar vor allem einer quantitativen Studie aus dem Bundesministerium für Jugend und Frauen, in welcher 1398 polizeiliche Ermittlungsakten aus neun und 53 Gerichtsurteile aus fünf Bundesländern des Zeitraums von Januar 1991 bis April 1992 ausgewertet wurden.[296] Die dort versammelten Ergebnisse (mehr als 70% der Tatverdächtigen stammen aus der Altersgruppe zwischen 15-20jährigen, die Mehrheit verfügt über ein niedriges bis mittleres Bildungsniveau, die Mehrheit ist Arbeiter- und Angestelltenberufen zuzuordnen, der Arbeitslosenanteil liegt bei 18%) werden von Kraushaar wie folgt zusammengefasst:

„Ihre Lebensläufe unterscheiden sich nicht auffällig von den als Normalbiografie der deutschen Gesellschaft unterstellten. Nur bei einer Minderheit können gravierende Störungen wie Scheidung der Eltern, Abbruch der Schul- und Ausbildung sowie Herkunft aus sozialen Randgruppen nachgewiesen werden.“[297]

Die signifikanteste ideologische Klammer zwischen den Tätern sei ein „diffuses Bedrohungs- bzw. Benachteiligungsgefühl gegenüber >>den Ausländern<<, insbesondere Asylbewerbern.“[298] Auch eine – nicht repräsentative - Lokalstudie der Gießener Wissenschaftler Bergmann und Leggewie führt Kraushaar zum Beleg der These an, die Herkunft der modernen rechtsextremen Gewalt könne nicht auf soziale Randgruppen beschränkt bleiben. In ihrer Beobachtung eines jugendlichen Milieus in einer hessischen Kleinstadt Anfang der 1990er Jahre schreiben die Gießener Forscher:

„Ihre scheinbar so außergewöhnlichen Vorlieben – überreichlicher Bierkonsum, rohe Sexualität, Fußballfanatismus und Fun >bis zum Abwinken< - teilen sie mit jenem bedrohten Milieu, das sie wieder in die Mitte der in ihren Augen übermäßig pädagogisierten und intellektualisierten Gesellschaft rücken möchten: den >kleinen< Leuten und >ehrlichen< deutschen Arbeitnehmern. Deren Ethos – Leistung, Disziplin, Nation – haben sie verinnerlicht und verteidigen es gegen die Alternativkultur der Wertumstürzler ...“[299]

Kraushaar verstärkt die hier formulierte Beobachtung mit den Worten:

„Nicht Jugendliche aus sozialen Randgruppen, sondern solche aus dem Kleinbürgertum, die den Wertekatalog der sogenannten einfachen Leute repräsentieren, scheinen demnach in erster Linie als Täter für die fremdenfeindlichen Gewalttaten verantwortlich zu sein.“[300]

Gerade dieser Hinweis auf die gemeinsame Werteskala zwischen den Akteuren vor den Flüchtlingsheimen und den „kleinen Leuten“ ist ein folgendschweres Indiz für die Behauptung, Rechtsextremismus komme aus der Mitte der Gesellschaft.

7.1.2 Ein „Pakt“ zwischen staatlichen Organen und rechten Gewalttätern?

Während Kraushaar der Formel vom „Extremismus der Mitte“ in Bezug auf die soziale Herkunft der Täter mit Verweis auf das oben verwendete Material eine deutliche Prägnanz zuschreibt, fällt sein Urteil bezüglich der Korrespondenzen zwischen Staat und rechter Gewalt deutlich differenzierter aus. Angesichts der Ereignisse vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZaST), die der SPD-Politiker Freimut Duve als ein „staatlich geduldetes Pogrom“ bezeichnet hatte,[301] wurde der Verdacht formuliert, es bestünde ein Pakt zwischen Rechten, Staat und Bonner Politik. Aufgrund der empathischen Zuschreibungen für die rechten Brandstifter – wohlgemerkt: die vielfach im sozialarbeiterischen Duktus vorgetragene Emphase galt den von „Migrationsdruck“ und „Überfremdung“ belasteten Tätern, nicht den Opfern! – wonach diese spontan und unideologisch, bzw. unter Alkoholeinfluss und im jugendlichen Leichtsinn gehandelt hätten, wirkten in ihrer depolitisierenden Form wie eine von offizieller Seite betriebene Verharmlosung rechter Gewalt. Auch Kraushaar geht diesem von Siegler, Tolmein und Wiedemann in zugespitzter Form dargelegten Verdacht nach, hat aber Einwände gegen deren Auffassung, es habe sich nicht zuletzt bei den Ereignissen von Rostock-Lichtenhagen um einen „Pakt“ gehandelt, vom dem Kraushaar sagt, auf diesen gebe es keinen Hinweis.[302] Kraushaar schreibt gegen diese Interpretation:

„Für einen >>Pakt<< zwischen Rechtsradikalen und Staatsorganen, wie es der Titel des Buches behauptet, gibt es keinerlei Nachweis. Tatduldungen, schwerwiegend genug, sind etwas qualitativ anderes als Formen von Kooperation. Selbst wenn man Siegler im Falle seiner Darstellung der Rostocker Eskalation folgen würde, daß es in der Nacht vom 24. auf den 25. August >>eine Art Stillhalteabkommen zwischen Polizei und rassistischen Randalierern<< gegeben habe, ist die Ermöglichung eines faktischen Freiraumes, von dem aus dann Gewaltdelikte begangen werden können, immer noch nicht gleichzusetzen mit einem operativen Bündnis. Diese qualitative Differenz darf nicht verwischt werden, wenn nicht Bilder von einem Netzwerk zwischen Rechten und Staat suggeriert werden sollen, aus denen sich letztlich nur haltlose Verschwörungstheorien speisen.“[303]

Kraushaar schließt sich in seiner eigenen Bewertung der Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke an, der in einer weitaus abgeschwächteren Form den Vorwurf and die Behörden formulierte. Zitat Funke:

„Es war ein durch bewußte Blockade von Lösungen staatlich gefördertes Pogrom: durch Inkaufnahme eines bestehenden aggressiven Vorurteilstaus; durch fahrlässige Einsatz-schwächung der Polizei und durch offenen Gewaltpopulismus des für Sicherheit zuständigen Innenministers Kupfer“[304]

Aufgrund dieser Einschätzung spricht Kraushaar der Kennzeichnung der bewussten Zusammenarbeit zwischen staatlichen Organen und militanten Rechten einen nur sehr partiellen Wahrheitsgehalt zu, hilfreicher als die Behauptung eines „Pakts“ sei nach seiner Auffassung die Analyse der Voraussetzungen einer „Indolenz der Behörden“[305] welche „intentionale Gemeinsamkeiten der passiv-aktiv Beteiligten“[306] aufzeigen würde.

7.1.3 Die Analyse moderner rechtspopulistischer Parteien

Anlässlich der Frage, ob das Paradigma vom „Extremismus der Mitte“ wesentliches zur Analyse der rechten Wahlparteien beitragen kann, erinnert Kraushaar an die Herkunft der Partei „Die REPublikaner“ aus dem Spektrum der CSU und die bewusste Anknüpfung in der Namensgebung an die demokratische Tradition des politischen Republikanismus. Auch Claus Leggewie habe im Zusammenhang mit dieser Partei an die Formel vom „Extremismus der Mitte“ erinnert.[307] Zur Kennzeichnung der sozialstrukturellen Grundlagen der Partei verweist Kraushaar ohne konkrete Angaben der empirischen Quellen und deshalb methodisch unbefriedigend darauf, dass in Bezug auf die Klientel der „REPublikaner“ davon ausgegangen werden könne

„[...] daß ihr Kern im kleinbürgerlichen Milieu vertreten ist, eine überproportional hohe Anzahl qualifizierter Facharbeiter und eine unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote aufweist. [...] Auffällig ist außerdem die Tatsache, daß Sozialängste wie Statusverlust und Wohnungslosigkeit eine Katalysatorenfunktion bei der Wahlentscheidung gespielt haben und die Partei auf Polizisten eine so starke Anziehungskraft ausübt, daß Beobachter mitunter von einer rechten >>Polizisten-Gewerkschaft<< gesprochen haben.“[308]

Kraushaar erklärt den Erfolg von >>REPublikanern<< und DVU vor allem mit deren Appell an weit verbreitete Ressentiments, weshalb sie das Wählerpotenzial rechts von der Union geschickt an sich anbinden könnten. Die zumindest offiziell vorgetragene Distanz zu offen rechtsextremen Positionen, mache die Partei wählbar auch für Leute, die sich bislang von der CSU unter Frans-Josef Strauß repräsentiert fühlten. „Extremismus der Mitte“ verweise in diesem Zusammenhang laut Kraushaar folglich nicht darauf, das Parteien wie der >>Bund freier Bürger<< oder die >>Republikaner<< Parteien der Mitte wären, sie seien vielmehr klar rechts konturierte Parteien, deren Herkunft die politische Mitte sei. Aus diesen Gründen liefere die Formel vom „Extremismus der Mitte“ hinreichendes Material zur Einordnung der Erfolge rechter Wahlparteien ebenso wie der Analyse der verdeckten, nicht expliziten institutionellen Beziehungen zwischen staatlichen Organen und rechten Gewalttätern.[309]

7.1.4 Kraushaars Rekonstruktion der Theorietradition des „Extremismus der Mitte“

Kraushaar stellt im folgenden Teil ausführlich die Rezeption der Arbeiten von Theodor Geiger[310] und S.M. Lipset[311] dar und merkt an, dass die aktuellen sozial- und politikwissenschaftlichen Interpretationen von dem soziologischen Theorem des „Extremismus der Mitte“ kaum Gebrach gemacht hätten. In seiner Überblicksdarstellung, die bei den wahlsoziologischen Ergebnissen von Jürgen W. Falter endet (dessen zeitgleiche, hier analysierte Kritik an den Mittelstandstheorien in den erwähnten Zitelmann-Bänden aber nicht berücksichtigt), versucht Kraushaar als einer der wenigen Publizisten der damaligen Zeit, die theoretischen Voraussetzungen des „Extremismus der Mitte“ zu rekonstruieren und auf ihre zeitgenössische Wirkung zu untersuchen. Kraushaar summiert seine Einschätzung der Lipsetschen Interpretation der „nationalsozialistischen Machtergreifung“[312] unter vier Punkte. Demzufolge sei der „Extremismus der Mitte“ erstens ein „Phänomen des Übergangs“ gewesen, welche auf die Endphase der Weimarer Republik und den Beginn des Nationalsozialismus zutreffe.[313] Zweitens lasse sich die „ [...] NS-Herrschaft nicht simplifizierend als eine Herrschaft der Mittelschichten oder des Kleinbürgertums bezeichnen.“[314] Drittens weist Kraushaar mit Bestimmtheit auf die soziale Rolle der Mittelschichten hin:

„Die Mittelschichten stellten vor allem das Wählerreservoir der NSDAP dar. Sie waren eher das Medium ihres Aufstiegs als ihr soziales Subjekt. Die genuin mittelständischen Interessen waren begrenzt.“[315]

Kraushaar verschärft diese Sicht noch mit dem Hinweis darauf, die Mittelschichten seien für die Nazis ein „notwendiges Übel“[316] und vielmehr noch ein „Objekt politischer Manipulation“[317] gewesen. Kraushaar teilt also allen Deutungsmustern eine Absage, welche erlauben würden, die Mittelstände als den Hauptakteur und zentralen sozialen Träger des Nationalsozialismus zu betrachten:

„Kurzum: Die Nazis benötigten den Mittelstand als Transmissionsriemen zu ihrer Machtergreifung. Sie bildeten selber aber keine Mittelklassenbewegung, wie Lipset meint, sondern eine rechtsextreme Bewegung. Hitler war, obwohl zweifelsohne kleinbürgerlicher Herkunft, keineswegs ein >>Extremist der Mitte<<, sondern der Phänotyp eines Extremismus von rechts. Die Fehler in Lipsets Typologie treten immer dann auf, wenn er einen zu engen, beinahe schematischen Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und politischem Interesse herzustellen versucht.“[318]

Dies sei der Grund, weshalb die deutsche Rezeption mit Ausnahme Dahrendorfs[319] fast rein historisch verlaufen sei und sich keine exponierten Beispiele dafür finden lassen, wie aus den theoretischen Figuren von Geiger und Lipset eine Gegenwartsanalyse abgeleitet wird. Dies sei vor allem deshalb der Fall, da es heute für die Soziologie schwierig sei, die Gesellschaft kategorial zu fassen.[320] Aufgrund dieser Schwierigkeiten, die in der bundesrepublikanischen Soziologie von Autoren wie Ulrich Beck, Stefan Hradil etc. formuliert wurden, schlussfolgert Krausshaar wesentliche Konsequenzen für die Weiterverwendung des Paradigmas vom „Extremismus der Mitte“:

„[...] Das analytische Instrumentarium verfügt nicht über die ausreichende Präzision, um so einen engen Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und politischem Verhalten, wie ihn die Theorie vom Extremismus der Mitte voraussetzt, begründet hypostasieren zu können.“[321]

Am Ende seiner Überblicksdarstellung zur „Implosion der Mitte“ zieht Kraushaar vier Schlussfolgerungen, die trotz der oben genannten Einschränkungen sich auch positiv-kritisch auf Lipset beziehen. So seien laut Kraushaar aus dem Scheitern der Weimarer Republik nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen worden, die Fixierung der liberalen Kräfte auf die „Extreme von rechts und links“ gehe an der Tatsache vorbei

„[...] daß die Weimarer Republik nicht ohne die Hinwendung der Mittelschichtsparteienwähler zur NSDAP auf legalem Wege hätte zerstört werden können. Wer sich in seinem antitotalitären Selbstverständnis auf die Abwehr antidemokratischer Kräfte von rechts und links beschränkt, macht deshalb einen großen Fehler.“[322]

„Ein antidemokratisches Potential“ dürfe laut Kraushaar „nicht für sakrosant erklärt werden, nur weil es in einer der Mitte-Parteien auftaucht“.[323] Wolfgang Kraushaar zitiert zur Veranschaulichung dieser These Altkanzler Helmut Schmidt, der im Zusammenhang mit den Themen multikulturelle Gesellschaft und Asylpolitik Sätze wie „Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen“[324] formulierte und damit auf homogenisierte Vorstellungen von einer authentischen kulturellen Identität und Geschichte zurückgriff. Drastisch formuliert Schmidt auch die Situation von Flüchtlingen in Deutschland:

„Es muß derjeniege, der aus Bosnien oder aus Rumänien kommt wissen: Er kommt ins Lager [...]“[325]

Aufgrund dieser zugespitzten Formulierungen und angesichts der Einschätzung, dass die Mitte nicht per se demokratisch sei,[326] schreibt Kraushaar in seiner Schluss-folgerung:

„Vielleicht ist nicht Botho Strauß so sehr das Problem, sondern Helmut Schmidt; vielleicht nicht Martin Walser, sondern Henning Voscherau und vielleicht nicht einmal Rainer Zitelmann, sondern Wolfgang Schäuble.“[327]

Diese Worte markieren den Schlusspunkt seiner Auseinandersetzung. Kraushaar, der ein wertmilitantes Verfassungsschutzkonzept mit einer liberalen Demokratie für unvereinbar und den Einsatz gewalttätiger Mittel für den einzigen begründeten Anlass für ein Parteienverbot hält, weist im obigem Zitat auf die Relevanz des Terminus vom „Extremismus der Mitte“ Mitte der 1990er Jahre hin. Auch wenn er mit Recht aufgrund der sozialstrukturellen Verschiebungen und der Verkürzungen in der Argumentation von Lipset dem soziologischen Gehalt der Theorie keine umfassende Bedeutung zumisst, liegt für Kraushaar deren zentrale Leistung in der begründeten Skepsis gegenüber der kritiklosen Identifizierung von „Mitte“ mit „Demokratie“. Kraushaar zieht daraus das frappierende Fazit:

„Was in der Bundesrepublik implodiert, das ist die Ideologie von der Mitte, der Monopolanspruch einer >>demokratischen Mitte<<. Die Gründungslegende der Republik, daß die Weimarer Demokratie zwischen den Extremen von links und rechts zerrieben worden sei und es deshalb vor allem darauf ankomme, die parlamentarische Etablierung dieser Kräfte zu verhindern, stürzt in sich zusammen. Die längst überfällige Erkenntnis, daß auch die Parteien der Mitte unter Extremismusverdacht geraten können, beginnt sich durchzusetzen. In einem Land, wo die Anschläge von Rostock, Mölln und Solingen möglich waren, können sich die Regierenden nicht mehr länger unter Verweis auf ihre Mitte-Position aus der Verantwortung stehlen“.[328]

Kraushaar ist in diesem Punkt völlig zuzustimmen und trotz der Schwierigkeiten einer sozialstrukturellen Koppelung von Klassenlage, Schichtzugehörigkeit o.ä. mit dem politischen Interesse, liegt hier in der Tat das produktive Moment der Lipsetschen Ausführungen zum „Extremismus der Mitte“. Diese Mitte ist nämlich keineswegs frei von antidemokratischen Potenzialen und in der als „historische Lehre“ formulierten Rede von den „Extremisten von links und rechts“ liegt mehr als die berechtigte Kritik an der – ohnehin nicht wesensgleichen - Politik von KPD und NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik. Hier, in dieser Formel, wiederholt sich eine historische Legendenbildung. Denn diese Rede unterschlägt, dass es für die Verantwortlichen in der Weimarer Republik sehr wohl staatliche Schutzmöglichkeiten in Form von Republikschutzgesetzten, Strafparagrafen gegen gewalttätige Umstürzler etc. gab. Nur wurde von diesen Gesetzen nicht der notwendige Gebrauch gemacht, der Schwerpunkt bei der Verfolgung politischer Delikte lag bei der Kriminalisierung der linken Parteien und Aktivitäten, während sich die Rechte schon in der „Harzburger Front“ betätigte und sich „Zähmungskonzepten“ zur Einbindung der NSDAP in das politische System zuwandte. Dass es im übrigen die Kommunisten waren, welche als erste in die Zuchthäuser und Lager gesteckt wurden, macht die Redewendung von den „Extremisten von links und rechts“, welche Schuld seien am Niedergang der Weimarer Republik, zudem zu einer ahistorischen Position, welche die geschichtlichen Zusammenhänge ideologisiert statt erklärt.

7.2 Die Kritik von Uwe Backes und Eckard Jesse

Innerhalb der deutschen Politikwissenschaft zählen die Herausgeber des „Jahrbuchs für Extremismus und Demokratie“[329], Uwe Backes und Eckart Jesse, zu den führenden Extremismusforschern, die sich in einer Vielzahl von Seminaren, Vorträgen, Artikeln, Sammelbänden und gemeinsam verfassten Monographien immer wieder dem Thema gewidmet haben. Das von Backes und Jesse herausgegebene „Jahrbuch Extremismus und Demokratie (E&D)“ versammelt regelmäßig eine große Anzahl prominenter Wissenschaftler, Historiker und Publizisten, darunter auch solche, die zum offiziellen Diskurs derzeit keinen direkten Zugang (mehr) haben (im Jahr 2002 veröffentlichten im Jahrbuch neben Claus Leggewie, Wilfried von Bredow, Uwe Backes und Eckard Jesse auch Ernst Nolte sowie Bernd Rabehl, der unlängst mit einer offen nationalrevolutionären Deutung der Biografie und des politischen Werks von Rudi Dutschke an die Öffentlichkeit getreten ist[330] ). In ihrem im Jahrbuch von 1995 veröffentlichten Beitrag „Extremismus der Mitte? – Kritik an einem modischen Schlagwort“[331] weisen beide die öffentliche Rede vom „Extremismus der Mitte“ aufgrund seiner begrifflichen und theoretischen Unzulänglichkeiten entschieden zurück. Nach einer Übersicht über die Aktualität des Theorems anhand der kurzen Nennung verschiedener Buchtitel, die sich zumindest implizit auf diese Extremismus-Variante beziehen, schreiben sie:

„Manche Wendungen gewinnen ihren Reiz aus der Verbindung des Widersprüchlichen und des paradox anmutenden. >>Extremismus der Mitte<< ist eine davon. Wenn man als Mitte den gleich weit von den Enden A und B entfernten Punkt auf einer Strecke definiert, bildet die Mitte das Gegenstück zu den Extremen. Ein Extremismus der Mitte wäre demnach eine warme Kälte, ein trockenes Wasser, eine feuchte Wüste, ein tiefer Berg, eine gebirgige Ebene, ein rundes Viereck, ein eckiger Kreis, mit anderen Worten: eine contradictio in adjecto.[332]

Nach einer griffigen Übersicht über die Herkunft des Begriffs „Mitte“ und die Geschichte der politischen Unterscheidung zwischen rechts und links, definieren sie ihren Maßstab für die pejorative Kennzeichnung politischer Phänomene als „extremistisch“. Zu diesem Maßstab gehören:

„[...] liberale politische Ordnungsideen wie Rechtsstaat, Grundrechtsverbürgung, Gewaltenteilung, Parlamentarismus, Parteienkonkurrenz, Pluralismus – in enger Verbindung mit der demokratischen Forderung nach politischer Gleichberechtigung der Bürger. >>Extremismus<< umfaßt also historische Gegenbewegungen zu Demokratie und/oder Konstitutionalismus – Strömungen, die dem zuerst in den Vereinigten Staaten von Amerika und danach in einigen europäischen Ländern in unterschiedlichen Variationen entwickelten Typus des demokratischen Verfassungsstaates in zentralen Fragen zuwiderlaufen.“[333]

Nach dieser Definition stellen die Autoren fest, die Wortprägung „Extremismus der Mitte“ gehe „anscheinend [? Anm. RG] auf den amerikanischen Soziologen Seymour Martin Lipset zurück“[334] Dieser habe in seiner theoretischen Ausarbeitung „[...] einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen der Klassenzugehörigkeit einer Bewegung und ihrer ideologisch-programmatischen Orientierung unterstellt.“[335] Nach einer kurzen Übersicht über die Genese der Mittelstandstheorie, in der lediglich David J. Saposs und Theodor Geiger kurz erwähnt werden, widmen sich Backes und Jesse der Kritik an Lipset und erwähnen in einem Unterabschnitt die Positionen von Ralf Dahrendorf, M.Rainer Lepsius, Heinrich August Winkler und Jürgen W. Falter. Sie unterstreichen dort die von Heinrich August Winkler vorgenommene Kritik an Lipsets „unterstellte[r] Einheit von sozialstruktureller Basis und ideologisch-programmatischer Orientierung.“[336]

7.2.1 Backes und Jesse über die Diskussion in den 1990er Jahren

Für die Diskussion in den 1990er Jahren, die sich auf aktuelle Beispiele (rassistische Anschläge, Asyldebatte) bezieht und sich nicht – wie Jürgen W. Falter in „Hitlers Wähler“ – mit neuen wahlsoziologischen Überlegungen auf die Zeit der Weimarer Republik bezieht, stellen Backes und Jesse einen wesentlichen Wechsel fest:

„Anfang der neunziger Jahre löst sich die von Lipset geprägte Formel von ihrer sozial-ökonomischen Ursprungsbedeutung und findet in vielerlei Variationen Eingang in politische und politikwissenschaftliche Diskussionen. Den Hintergrund für die steigende Beliebtheit der Vokabel bildet der starke Anstieg fremdenfeindlich motivierter Gewalt, zeitweilig begleitet von erheblichen Stimmenzuwächsen nationalistischer Protestparteien. Vor allem Autoren der (extremen) Linken greifen nun den Begriff des Extremismus der Mitte auf, um die regierenden Parteien auf die Anklagebank zu stellen. Als sich z.B. herausstellt, daß die fremdenfeindlichen Ausschreitungen nur selten auf Täter aus dem organisierten Rechtsextremismus zurückzuführen sind, wird vielfach davon gesprochen, sie kämen aus >>der Mitte der Gesellschaft<<. Entweder ist das eine Banalität oder eine Diffamierung der tragenden gesellschaftlichen Kräfte, weil die Kritik sie indirekt für die Gewalttaten verantwortlich macht.“[337]

Treffend weisen Backes und Jesse auf den entscheidenden Wechsel im Gebrauch des Theorems vom „Extremismus der Mitte“ in den 1990er Jahren hin, d.h. auf die hier schon erwähnte Loslösung von dem ursprünglich damit verbundenen sozio-ökonomisch bestimmten Versuch, aufgrund der sozialstrukturellen Positionierung gesellschaftlicher Gruppen politisches Verhalten erklären zu können. Stattdessen wird die Formel nun vor allem auf die staatstragenden Parteien der politischen Mitte und deren Haltung zur nationalen Frage, zur Asylpolitik etc. angewandt. Backes und Jesse werden in ihrer Analyse jedoch tendenziös, wenn sie behaupten, wesentlich Autoren der „(extremen) Linken“ würden Gebrauch von diesem Wort machen. Auch Wolfgang Kraushaar, der Mitte der 1990er Jahre die wesentlichen Beiträge zur Reformulierung einer Theorie vom Extremismus der Mitte verfasst hat, wird hier zunächst als „Alt-68er“ vorgestellt. Dessen Auffassung, dass die Fixierung auf den Rechts- und Linksextremismus das antidemokratische Potenzial in der Mitte vernachlässige, wird kritisiert mit den Worten:

„Kraushaar verwechselt die Frage der Schichtzugehörigkeit der Wähler mit der nach der politischen Ausrichtung der Partei.“[338]

Seine Einschätzungen seien vielmehr der „Perspektive eines gesinnungsethisch geprägten linken Moralismus“[339] geschuldet; sein Hinweis, nicht Botho Strauß, Martin Walser oder Rainer Zitelmann, sondern vielmehr Henning Vorscherau oder Helmut Schmidt seien aufgrund ihrer Äußerungen zur Asylpolitik das Problem, kommentierten Backes und Jesse:

„Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Angriffe dieser Art das >>System<< als solches treffen sollen, mithin der Delegitimierung des demokratischen Verfassungsstaates dienen“.[340]

Tatsächlich sei die „Neue Linke“ [sic!] heute auch stärker als die „Neue Rechte“, zudem habe „antitotalitäres und antiextremistisches Denken an Boden verloren“,[341] und unter Verweis auf die politische Situation schreiben beide:

„Strategien zur Delegetimierung des demokratischen Verfassungsstaates steht ein reichhaltiges ideologisches Rechtfertigungsarsenal zur Verfügung.“[342]

In ihren Ausführungen „wider die Entgrenzung des Extremismusbegriffs“[343] kritisieren die Autoren die in Kraushaars Frage nach der sozialen Herkunft der Täter, dem Zusammenspiel rechter Gewalttäter und staatlichen Behörden, der Einordnung rechtspopulistischer Parteien und der Analyse rechtskonservativer Ideologien implizite „Soziologisierung“ und „Ökonomisierung des Extremismusproblems“.[344] Diese täusche

„[...] über die anthropologischen und geistesgeschichtlichen Wurzeln und Traditionsbestände der Gegner freiheitlicher Demokratien hinweg.“[345]

Backes und Jesse kritisieren an der Verwendung des Theorems vom „Extremismus der Mitte“ neben den bekannten methodischen Schwächen im Lipsetschen Ansatz vor allem die diffuse Richtung des Schlagworts, welches mal für sozialstrukturelle, mal für politische Felder verwendet würde.[346] Zum anderen umfasse der Extremismusbegriff nicht nur die rechten und linken Herausforderer des liberalen Verfassungsstaates, sondern auch Formen von Subversion, Spionage, Landesverrat etc. Er sei also nicht nur auf seine inneren politischen Gegner beschränkt.[347] Und schließlich drittens:

„[...] stellt der Begriff ein Einfallstor für Bestrebungen dar, die selbst (tendenziell) extremistisch sind. So können jene, die dem demokratischen Verfassungsstaat reserviert gegenüberstehen, den Spieß umdrehen und in die Offensive gelangen. Damit wäre der Extremismusbegriff eine politische Kampfvokabel und verlöre jede analytische Trennschärfe.“[348]

Aufgrund der diffusen Zuschreibungen extremistischer Bestrebungen innerhalb der „Mitte der Gesellschaft“ kommen Backes und Jesse zu dem Schluss:

„Die Formel vom Extremismus der Mitte [...] lebt von provozierender Konfusion“[349]

7.2.2 Kritik des Beitrags von Backes und Jesse

Die beiden Extremismusforscher Backes und Jesse stellen in ihrem kritischen Beitrag in der Tat verschiedene Aspekte in den Mittelpunkt, die mit Recht gegen die in den 1990er Jahren gebräuchliche Verwendung des Schlagworts „Extremismus der Mitte“ vorgebracht werden können. Wurden in der Rezeption und Kritik der Arbeiten von Geiger und Lipset bereits die methodischen Schwächen der Mittelstandstheorien benannt, kritisieren Backes und Jesse mit guten Gründen die diffuse Verwendung des Theorems für die Einordnung unterschiedlichster Phänomene, vom sog. „Asylkompromiß“ über Rudolf Augsteins nationaler Emphase hin zur Rehabilitierung des Revisionismus durch Ernst Nolte. Auch Wolfgang Rudzio beklagt in der gleichen Ausgabe der „Jahrbücher“ in einem Rezensionsessay zutreffend, dass in dem von Hans-Martin Lohmann herausgegebenen Sammelband[350] keineswegs eine Weiterentwicklung der Theoreme von Geiger und Lipset zu finden sei (diese Aufgabe leiste im Sammelband lediglich Wolfgang Kraushaar), sondern sich die Beiträge kritisch mit der neuen Diskussion von z.B. „Nation“ und „Mittellage“ auseinandersetzen und die im Buch erwähnten Personen wie Rudolf Augstein und Roman Herzog nicht notwendigerweise „extremistisch“ seien.[351]

Wer also in kritischer Absicht die mit „Extremismus der Mitte“ verbundenen theoretischen Implikationen weiter stärken will, steht vor der Aufgabe, den Gegenstand seiner Kritik präziser zu benennen. In diesem Sinne kann der Kritik von Backes und Jesse entgegen der Intention der Autoren, die ja auf die Verwendung der Formel eindeutig verzichten wollen, zugestimmt werden. Die Schwachstellen des Konzepts werden von Backes und Jesse treffend benannt. Nicht nachvollziehbar bzw. tendenziös wird aber deren Kritik, wenn sie neben den Schwachstellen der Verwendung des Schlagworts seine Nutzer per se unter Ideologieverdacht stellen. Vor allem Autoren der „extremen Linken“ – so Backes und Jesse – verwenden den Extremismusvorwurf gegen die politischen Mitte zwecks Delegitimierung des liberalen Verfassungsstaats. Besonders schillernd wird dieser Vorwurf im Fall des „Alt-68ers“ (Backes/Jesse) Wolfgang Kraushaar, über den die Autoren zum Abschluss schreiben:

„Man dürfte nicht fehlliegen, wenn man dem terminologischen Vorschlag Kraushaars mehr politisch-polemische als wissenschaftliche Intention unterstellt. >>Extremimsmus<< in dessen Sinne würde zur geistigen Waffe derjenigen Kräfte, gegen den sich der Begriff ursprünglich richtete. Die Formel vom Extremismus der Mitte eignet sich mithin trefflich als strategisches Instrument zur Delegitimierung des demokratischen Verfassungsstaates.“[352]

Auf diesem Wege wird aus der differenzierten, mehrere Folgen und Versionen umfassenden Ausarbeitung Kraushaars ein lediglich politisch-polemischen Intentionen folgender Entwurf, der sich unausgesprochen gegen „das System“ selber richtet! Aus dem ehemaligen Frankfurter SDS-Aktivisten Wolfgang Kraushaar wird bei Backes und Jesse ohne Zögern ein alter linksradikaler Kämpfer, der sich immer noch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet. Wolfgang Kraushaar aber – und das verleiht dem Vorwurf eine gewisse Komik - hat in den letzten Jahren in umstrittenen, z.T. in der FAZ veröffentlichten Beiträgen sich u.a. sehr kritisch mit dem Kommunisten Emil Carlebach[353] und dem Politikwissenschaftler und Widerstandskämpfer Wolfgang Abendroth befasst.[354] Im Fall Carlebach untersuchte er dessen umstrittene Verwicklung in einen Mordfall im KZ Buchwald, Abendroth wurde mit dünnen Argumenten der Zusammenarbeit mit dem MfS verdächtigt. In einem anderen Beitrag galt die Zeitschrift Das Argument als verlängerter Arm der DDR-Faschismusforschung.[355] In Mittelweg 36 trat er zudem bereits früh für eine – affirmative – Neubeschäftigung mit der Totalitarismustheorie ein.[356] Wie diese Arbeiten von Kraushaar zu dem von Backes und Jesse gezeichneten Bild des „Systemkritikers“ passen, bleibt das Geheimnis der Autoren, deren eigene Leerstellen und blinde Flecken bezeichnend sind, beziehen sich deren plausiblen Einwände gegen das Konzept vom „Extremismus der Mitte“ doch lediglich auf dessen offenkundige Schwächen. Nicht diskutiert werden von Backes und Jesse beispielsweise die Ereignisse von Rostock, die doch exemplarisch das antidemokratische und rassistische Potenzial auch in den staatlichen Behörden offenbarten! Kaum von eingehender Textlektüre zeugt auch der Vorwurf gegen Kraushaar, dieser verwechsle die soziale Lage mit dem politischen Verhalten, wirft Kraushaar diesen Kurzschluss Lipset in seiner Kritik doch gerade selber mit Nachdruck vor.[357] Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, Backes und Jesse seien selber polemisch-politischen Zwecken verhaftet, vermuten sie doch hinter dem Gebrauch des Schlagworts vom „Extremismus der Mitte“ ohne Umschweife eine Delegimiterung des liberalen Verfassungsstaats und eine Gegnerschaft zum „System“; ein Vorwurf, der in Bezug auf die dieses „Schlagwort“ nutzende Autoren wie Glotz, Habermas, Kraushaar, Trittin et al geradezu vermessen wirkt. Mit dem Gestus des legitimen Verfassungsschützers richtet sich der Argwohn der Extremismusforscher gegen alle, die mit Nachdruck antidemokratische Tendenzen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland (und nicht etwa außerhalb) ausmachen.

Dabei ist in der Tat fraglich, ob die Ausführungen eines Rudolf Augstein zur deutschen Wiedervereinigung oder dem deutsch-israelischen Verhältnis mit dem Terminus „Extremismus der Mitte“ angemessen belegt sind, soll dieser tatsächlich auf antidemokratische Bestrebungen verweisen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang gewesen, wie Backes und Jesse ihre eigene zumindest publizistische Nähe zu (ehemals) rechten Personen und Magazinen[358] verorten, zählen doch zu den Autoren des von ihnen herausgegebenen „Jahrbuchs“ neben zahlreichen renommierten Wissenschaftlern und Publizisten der Republik auch solche, die – wie Ernst Nolte – als Verteidiger revisionistischer Positionen bzw. wie Herbert Ammon, Klaus Hornung, Manfred Funke, Bernd Rabehl et al durch ihre häufige Autorenschaft in Blättern wie Junge Freiheit klar als rechts von CDU verortet werden können. Verwiesen sei an dieser Stelle auch ausdrücklich noch mal auf ihre publizistische Zusammenarbeit mit Rainer Zitelmann Anfang der 1990er Jahre, die den expliziten Zweck einer Einflussnahme in den geschichtspolitischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland hatte. Fragwürdig ist zum Schluss auch die Haltung der Wissenschaftler, eine „Tabuisierung des Extremismusbegriffs in Deutschland“ zu behaupten. Unter diesem Titel referierte Uwe Backes im Dezember 2002 in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hamburg zum Thema: „Über die Ungleichbehandlung des Links- und des Rechtsextremismus“.[359] Inwieweit hier der Begriff der „Tabuisierung“ der von Backes und Jesse geforderten Klarheit wissenschaftlicher Begriffe und deren Beitrag zur Präzisierung und Erfassung eines Sachverhalts dient, bleibt unklar. Da angesichts der Tatsache, dass die „Jahrbücher für Extremismusforschung“ von einem breiten, überparteilichen Spektrum etablierter Wissenschaftler unterstützt werden, die Extremismusparadigmen zentral für die Verfassungsschutzberichte und die staatlich geförderte politische Bildung an Schulen sind, die Kennzeichnung „extremistisch“ fast täglich in der Presse zu finden ist, kann kaum sinnvoll von einer „Tabuisierung des Extremismusbegriffs“ gesprochen werden. Deshalb sind Vermutungen über die Motive einer solchen Behauptung angebracht. Nicht nur, dass damit die Notwendigkeit der eigenen Arbeit aufgewertet wird und mit der behaupteten „Tabuisierung“ die politisch-wissenschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden; Forscher wie Backes und Jesse verfolgen selber auch politische Zwecke, die mit dem Verdikt der Delegitimierung von Kritikern der sich selbst als staatstragend setzenden „politischen Mitte“ hinreichend beschreiben sind.

III. Wie aktuell ist der „Extremismus der Mitte“?

Die Kritik von Backes und Jesse bildete zugleich einen Schlusspunkt der Diskussion um den „Extremismus der Mitte“, Mitte der 1990er Jahre hatte die Kontroverse in der hier aufgezeigten Art ihren Höhepunkt; der Topos vom „Extremismus der Mitte“ findet inzwischen weitaus weniger Verwendung,[360] einen Widerhall findet die Debatte jedoch bei den Arbeiten derjeniegen Journalisten und Wissenschaftlern, die sich unter der Fragestellung „Themen der Rechten – Themen der Mitte?“ explizit mit den Korrespondenzen zwischen rechten Ideologien und der Politik der Mitte befassen. Dieser Zusammenhang soll entlang der Beispiele des Multikulturalismus-Diskurs, der Paulskirchenrede von Martin Walser und des von Jürgen W. Möllemann veranlassten „Antisemitismus-Streits“ im Jahr 2002 dargestellt werden. Zum Abschluss dieser Magisterarbeit über die Kontroversen um den „Extremismus der Mitte“ soll anhand eigener Überlegungen die Frage erörtert werden, ob anhand der sozialstrukturellen Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland die Theoreme von Geiger und Lipset noch Gegenwartsbezug haben oder ob der hier analysierte Ansatz sich heute primär auf die Verbindungen zwischen („neu“-)rechten Diskursen und denen der Mitte bezieht.

8. Themen der Rechten – Themen der Mitte?

In dem von Christoph Butterwegge herausgegebenen Sammelband „Themen der Rechten – Themen der Mitte“[361] untersuchen die Autorinnen und Autoren die Ähnlichkeiten der inhaltlichen Positionierung der etablierten Parteien mit den Ausführungen in rechten Publikationen oder Parteiprogrammen. Signifikant für den Ansatz der Wissenschaftler ist die Annahme, dass die aktuellen neofaschistischen bzw. rechtspopulistischen Diskurse nicht vom Diskurs der politischen Mitte getrennt, sondern nur in Verbindung mit diesen begriffen werden können. In den Diskursen der Mitte über den demografischen Wandel, Zuwanderung, Multikultur und Nationalbewusstsein werden Überschneidungen mit Argumentationen nachgewiesen, die zu Beginn vor allem in rechten Theoriezirkeln erörtert wurden. Ziel einer solchen Herangehensweise ist der Nachweis von ideologischen Verbindungen zwischen rechtspopulistischen bzw. neofaschistischen Diskursen und denen in der offiziellen Wissenschaft, Publizistik und Politik. Christoph Butterwegge schreibt dazu in der Einleitung des Sammelbandes:

„Rassistisch motivierte Gewalttaten vollziehen sich in einem gesellschaftlichen Klima, das durch Horrormeldungen über den demografischen Wandel („Vergreisung“ und Schrumpfung der Bevölkerung) einerseits sowie Auseinandersetzungen über die Formen der Zuwanderung und des interkulturellen Zusammenlebens andererseits geprägt ist. In den öffentlichen Debatten darüber droht eine zunehmende Ethnisiertung sozialer Beziehungen und ökonomischer Konflikte. Typisch hierfür sind Kontroversen um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts („Doppelpaß“), Inititativen zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte („Green Card“) sowie von den Zuwanderern erwartete Integrationsleistungen (Anpassung an die „deutsche Leitskultur“).[362]

Butterwegge verweist an gleicher Stelle auch auf die Probleme der sozio-ökonomischen und politischen Voraussetzungen der Rechtsentwicklung:

„Die schon fast zum Allgemeinplatz gewordene Feststellung, dass „Rechtssein“ kein Identitätsmerkmal sozialer Randgruppen darstellt, hat die Auseinandersetzung darüber nicht eben leichter gemacht. Hieraus resultiert vielmehr ein wissenschaftlicher Erklärungsbedarf, welche ökonomischen, politischen und sozialen Faktoren für die Erfolge des Rechtsextremismus (mit)verantwortlich sind und wie der Verweis auf Diskurse der „Mitte“ inhaltlich zu füllen ist.“[363]

Auch hier wird deutlich, dass in Untersuchungen dieser Art mit „Mitte“ nicht – wie bei Geiger, Lipset et al - die sozialstrukturelle Bestimmung der Zugehörigkeit zu den Mittelschichten gemeint ist, sondern die Zugehörigkeit zu einer weit gefassten gesellschaftlichen und politischen Mitte, die sich entlang der Kategorien Erwerbstätigkeit (zur Mitte zählen demgemäß auch Lohnabhängige außerhalb der Mittelschichten) und Zustimmung zu der Politik der im Bundestag vertretenen Parteien (mit Ausnahme der nach wie vor zumindest mittelbar vom Extremismus-Verdikt betroffenen PDS-Gruppe) definieren lässt. Aus „Mitte“ wird hier folglich eine politische, keine allein sozialstrukturelle Kategorie.[364] Mit diesem Arbeitsbegriff arbeiten die Autoren signifikante Überschneidungen in den Diskursen der Rechten mit denen der gesellschaftlichen Mitte heraus. Gudrun Hentges z.B. sieht im Plädoyer vor allem von Unionspolitikern (Laurenz Meyer, Friedrich Merz) für eine „deutsche Leitkultur“ eine „Steilvorlage für die extreme Rechte“; die Debatte um diesen Begriff sei zudem „[...]gründlich mißglückt, da sie untrennbar verknüpft war mit nationalistischen und rassistischen Ideologien.“[365] Alexander Häußler analysiert die „Nationalstolz“-Debatte „als Markstein einer Rechtsentwicklung der bürgerlichen Mitte“[366] und weist auf deren Herkunft aus der politischen Mitte (Schäuble, Meyer) hin. Christoph Butterwegge wiederum weist anhand eines in der kritischen Sozialwissenschaft bislang vernachlässigten Themas, dem Demographie-Diskurs, nach, das die im Spektrum der politischen Mitte durchaus akzeptierte Rede vom „Aussterben des deutschen Volkes“ völkische Elemente enthält, die dem rechten Diskurs über Volk und Nation zusätzliche Legitimation verschafft.[367] So prägnant die von Butterwegge und den anderen Autorinnen und Autoren aufgeführten Beispiele für eine inhaltliche Korrespondenz zwischen den rechten Diskursen und denen der Mitte auch sind,[368] desto mehr lässt der populäre Arbeitstitel „Themen der Rechten – Themen der Mitte“ einen falschen Eindruck zurück: Es ist nicht vor allem die Identität der Themen zwischen den Rechten und denen der Mitte problematisch. Angesichts der im Vorfeld des Irak-Kriegs z.B. in der Jungen Freiheit artikulierten expliziten Gegnerschaft zu diesem Krieg oder der im NPD-Organ Deutsche Stimme verhandelten sozialen Frage, kann angesichts der Gleichheit der Themen auch eine Untersuchung unter dem Titel „Themen der Rechten – Themen der Linken“ veranlasst werden. Es kommt folglich darauf an, bereits im Titel die Konzentration auf die Argumentation, d.h. auf die Inhalte rechter Diskurse und deren Überschneidungen zur politischen Mitte erkennbar zu machen, da der ledigliche Verweis auf gemeinsame Themen nicht stichhaltig ist und zudem auch nicht die jeweils vorgenommene Ausarbeitung hinreichend würdigt. Notwendig wäre auch eine Perspektivenerweiterung, welche die Verwendung prekärer Argumente auch in jenem liberalen Milieu analysiert, die den Diskurs um Nationalstolz oder Migration in den von Butterwegge, Häusler et al kritisierten Punkten nicht teilen und dem die Idee einer multikulturellen Gesellschaft entgegensetzen.

8.1 Beispiel 1: Kritik des ethnisierenden Multikulturalismus

In einer anderen Ausarbeitung, welche die Grundlage für die Publikation „Themen der Rechten – Themen der Mitte“ bildete, zeichnen Christoph Butterwegge und Alexander Häußler anhand einer Medienexpertise im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen Nordrhein-Westfalen (LAGA NRW) die Überschneidungen zwischen den Argumenten rechter Kritiker der Multikultur und etablierter Politik nach.[369] So sehr die von den beiden Autoren vorgenommene Analyse von Zitaten von Politikern wie Edmund Stoiber, Bernd Seite und Heinrich Lummer im Vergleich mit rechten Politikern und Publikationen auch überzeugt – aus dem Blick gerät dabei eine Kritik am Konzept des Multikulturalismus selber, welches vor allem vom liberalen oder grün-alternativen Milieu geprägt wird. Exemplarisch für die Problematik dieses Ansatzes ist ein im Vorfeld der Wahlen 2002 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Deutschland den Deutschen. Jetzt werden die Ausländer doch noch Wahlkampfthema“ verfasster Beitrag des Bochumer Japanologen Florian Coulmas.[370] Dieser kritisiert, dass mit „Xenophobie“ nun doch noch Wahlkampf betrieben werden soll und beklagt die strukturelle Diskriminierung von Ausländern, die im offiziellen Diskurs häufig als reiner Kostenfaktor beschrieben werden. Zitat:

„Daran zum Beispiel, dass es die Steuerzahler belastet, den Ausländern Deutsch beizubringen, erinnern uns stirnrunzelnde Politiker aller Coleur regelmäßig. Von den Steuern, die die Ausländer zahlen, ohne dafür das Stimmrecht zu erhalten, ist nur selten die Rede. No taxation without representation! Dafür haben sich die nordamerikanischen Kolonien von der britischen Krone losgesagt. In einem Deutschland für Deutsche hält man dieses Prinzip für absurd – ein Stück institutionalisierte Diskriminierung, an das man sich gewöhnt hat.“[371]

Coulmas treffende Kritik an der fehlenden politischen und gesellschaftlichen Repräsentanz von „Ausländern“ – Coulmas erinnert mit Recht an den Umstand, dass hellhäutige Personen, die ihrem Status nach „Ausländer“ sind, weit weniger Passkontrollen unterzogen werden, als „dunkelhäutige“ Menschen[372] wird ergänzt um Ausführungen zur Ausländerpolitik in Deutschland. In seinem Beitrag kommt er nach einer kritischen Bewertung derselben zu der Forderung:

„Wo sind die Politiker, die laut und deutlich sagen, wie trostlos ein Deutschland der Deutschen wäre, die aussprechen, dass Deutschland ohne die Hilfe der anderen eine kulinarische Wüste wäre, sondern auch ein geistiger Sumpf? Wo die Politiker, die darauf hinweisen, wie sehr die Zuwanderung seit den 1960er Jahren das Leben in der BRD wirtschaftlich und kulturell bereichert hat, darauf, dass jeder einzelne Ausländer dringend gebraucht wird, damit man in diesem Land nicht erstickt?“[373]

Für Coulmas besteht die öffentliche Aufklärung folglich darin, auf die Bereicherung der Inländer durch die Ausländer hinzuweisen, die z.B. durch das Angebot kulinarischer Vielfalt einen Farbtupfer in den grauen deutschen Alltag bringen. Gerade in diesem – von Politikern wie Heiner Geißler[374] sehr wohl geführten – Bereicherungs-Argument steckt aber ein zentrales Problem: Ausländer werden hier nach ihrem wirtschaftlich-kulturellem Nutzen bewertet; ein Argument, was sich fraglos auf steuerzahlende Facharbeiter, Computerspezialisten, Restaurant-Besitzer und Künstler anwenden lässt. Gegen rassistische Diskurse lässt sich mit einem solchen Hinweis jedoch nicht angehen, da sich diese in der Regel zunächst gegen ausländische Konkurrenten am Arbeitsplatz, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger oder türkische Jugendbanden richten. Eine Kritik der Mitte-Diskurse hat folglich zu berücksichtigen, dass nicht nur inhaltliche Korrespondenzen zwischen zahlreichen Unionspolitikern und denen der äußersten Rechten bestehen, sondern dass sich auch im liberalen Spektrum ein bestimmtes Bild vom Ausländer als Nutzenbringer und Repräsentant einer essentialistischen kulturellen Identität etabliert hat. Dieses richtet sich zwar gegen die völkisch-deutsche Auffassung von Nation, reduziert Nicht-Deutsche aber auf ihren Anteil an wirtschaftlichen und kulturellen Erfolg in Deutschland und identifiziert Migranten mit der typischen Folklore der Herkunftsländer. Wie Coulmas mit diesen Argumenten aber gegen die Kampagnen gegen asylsuchende Sozialhilfeempfänger vorgehen will, die sich nicht unter das Bereicherungsparadigma subsumieren lassen, darauf gibt der Text keinen Hinweis. Stattdessen liefert er ein Beispiel für einen hilflosen Anti-Rassismus, der selber im Kosten-Nutzen-Denken verhaftet bleibt. Eine Analyse der inhaltlichen Verschiebungen der politischen Mitte, die anhand der Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ sensibilisiert wurde und Gemeinsamkeiten in der Abwehr multikultureller Konzepte feststellt, müsste auch dem Umstand Rechnung tragen, dass im Multikulti-Diskurs ein Element vorhanden ist, welches partielle Überschneidungen mit ethnopluralistischen Ansätzen der „Neuen“ Rechten ermöglicht, nämlich die Heraushebung der „kulturellen Besonderheit“, die schützens- und verteidigenswert sei. „Kultur“ wird so zur homogenisierten-essentialistischen Einheit, die von sozialer Dynamik und Wandelbarkeit entbunden ist.

8.2 Beispiel 2: „Geistige Brandstiftung“ – Martin Walser als Stichwortgeber der „Neuen“ Rechten

Der Schriftsteller Martin Walser hielt anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche eine umstrittene „Sonntagsrede“,[375] in welcher er sich vehement gegen die „Instrumentalisierung“ der Shoa richtete. Walsers öffentliche Rede, die von aus dem „neu“-rechten Diskurs bekannten Topoi wie „Moralkeule“ durchzogen war,[376] setzte das „private Gewissen“ als moralische Instanz gegen die von ihm beklagte mediale Verarbeitung und Entwertung des Gedenkens an „unsere Schande“; forderte also in der Konsequenz die privatime Auseinandersetzung mit kollektiv begangenen Verbrechen, deren Ausmaß, Durchführung und Voraussetzungen fürderhin nicht mehr im öffentlichen Raum, sondern im individualisierten Gedenken verhandelt werden sollen. Walser kritisierte „Meinungssoldaten“[377] und die „Instrumentalisierung unsere Schande zu gegenwärtigen Zwecken“.[378] Es ist hier nicht die Frage zu erörtern, ob ein von zeitgebundenen Wissen freier Blick auf die Vergangenheit, ob kontextgelöste Historisierung überhaupt möglich ist, da die Wahrnehmung der Vergangenheit immer von gegenwärtigen sozialen, politischen und kulturellen Prägungen mitbestimmt ist. Wichtig ist für unseren Untersuchungszusammenhang die Rede als Indikator für Verschiebungen in der politischen Kultur und dem Diskurs der kulturellen Eliten – die sich selbst als Repräsentanten der politischen Mitte definieren - über die Shoa. Im höchsten Maße irritierend war nämlich der Duktus dieser Rede, in der Walser wortmächtig den Impuls des „Wegschauens“ verteidigte und einen individualisierten, von politischen Zwecken bereinigten Blick auf die Vergangenheit forderte. Nicht nur, dass Martin Walser einen der renommiertesten Preise des deutschen Kulturbetriebs erhielt und diesen unter dem lebhaften Beifall zahlreich versammelter Größen aus Politik und Kulturleben der Bundesrepublik Deutschland entgegennahm (die Ausnahmen bildeten Ignatz Bubis und seine Gattin sowie der ehemalige Friedenspreisträger Friedrich Schorlemmer), weshalb von ihm gewählte Formulierungen wie „[...] weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere[...]“[379] angesichts des ihm zuteil werdenden Zuspruchs geradezu grotesk wirkten. Auch die später aufgrund der z.T. heftigen Kritik von Ignatz Bubis, der dem Schriftsteller „geistige Brandstiftung“ vorwarf, einsetzende Verteidigung Walsers von Kolleginnen wie Monika Maron, die in der ZEIT Walser unterstützte, wirkten dem Sachverhalt inadäquat, da sich die öffentliche Verteidigung Walsers ausnahm, als habe dieser ein Schreibverbot zu befürchten. Von den meisten damaligen Kommentaren vernachlässigt wurde der Umstand, dass Walsers heftige Kritik an der Instrumentalisierung der Vergangenheit aus zeitgebundenen Zwecken selber von der Intention einer Polemik gegen bestimmte Journalisten, Wissenschaftler und Personen des öffentlichen Lebens (Günter Grass, Jürgen Habermas, Helmuth Karasek et al) getragen war; sich sein Vortrag also entgegen seines Plädoyers für private Reflexionen mit großer Geste an die deutsche Öffentlichkeit richtete, selber also das Thema für seine Kritik an deutschen Intellektuellen >>instrumentalisierte<<. Im Rahmen dieser Magisterarbeit sind nicht die geschichtspolitischen Implikationen der Walser-Rede von zentraler Bedeutung,[380] sondern der Tatbestand, dass sich entlang der Rezeption der Rede in den Medien signifikante Korrespondenzen zwischen der legitimen (bzw. durch öffentliche Preisverleihungen legitimierten) Kultur der Bundesrepublik und zahlreichen „neu“-rechten Publikationen bzw. neofaschistischen Publikationen wie Junge Freiheit oder Nationalzeitung nachweisen lassen, wie in der vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) erstellten Textsammlung „endlich ein normales Volk“ überzeugend dokumentiert und herausgearbeitet wird.[381] Die Tatsache, dass auf einer der zentralen Veranstaltungen des deutschen Kulturlebens Topoi geprägt werden können, die sich bestens in das Argumentationsschema auch neofaschistischer Publikationen einfügen lassen, verweist auf einen „Extremismus der Mitte“, der in der Interpretation deutscher Vergangenheit auch Anschlussstellen für die äußerste Rechte offen lässt, die diese dann mit eigenen Wendungen, neuen Konnotationen und Akzentverschiebungen nutzen können. Wie bereits erwähnt, zählt es zu den zentralen Techniken der „Neuen“ Rechten, einzelne Elemente aus dem hegemonialen Diskurs herauszulösen und für die Stärkung, Ergänzung und Absicherung eigener, weiterführender Positionen zu nutzen. So hatten sowohl Nationalzeitung als auch Junge Freiheit in den folgenden Wochen massiv von der Rede Gebrauch gemacht, diese ganz bzw. passagenweise nachgedruckt und einzelne Sentenzen immer wieder veröffentlicht, um im Diskurs über den Holocaust – der schon von Walser zentral aus der Perspektive des Täterkollektivs geführt wurde – einzugreifen. Walser hatte sich in seiner Paulskirchenrede mit für diese Untersuchung wesentlichen Themen befasst. Neben der Verteidigung des „Top-Spions“ Rainer Rupp (Topas), der in der Brüsseler NATO-Zentrale für das Ministerium für Staatsicherheit gearbeitet hatte und für den Schriftsteller ein „grundidealistische[r] Mensch“[382] und Opfer der deutschen Teilung ist, widmet sich Walser Gegenwartsdiagnosen, die sich eindeutig gegen die rechte Gewalt richten. Walser zitiert aus Zeitungsartikeln:

„Ein wirklich bedeutender Denker formulierte im Jahr 92: >>Erst die Reaktionen auf den rechten Terror – die aus der politischen Mitte der Bevölkerung und die von oben: aus der Regierung, dem Staatsapparat und der Führung der Parteien – machen das ganze Ausmaß der moralisch-politischen Verwahrlosung sichtbar.<< Ein ebenso bedeutender Dichter ein paar Jahre davor: >>Gehen Sie in irgendein Restaurant in Salzburg. Auf den ersten Blick haben Sie den Eindruck: lauter brave Leute. Hören Sie Ihren Tischnachbarn aber zu, entdecken Sie, daß sie nur von Ausrottung und Gaskammern träumen.<< Addiert man, was der Denker und Dichter – beide wirklich gleich seriös – aussagen, dann sind Regierung, Staatsapparat, Parteienführung und die braven Leute am Nebentisch >>moralisch-politisch<< verwahrlost.“[383]

Walser kommentiert diese Beobachtungen mit den Worten:

„Meine erste Reaktion, wenn ich Jahr für Jahr solche in beliebiger Zahl zitierbaren Aussagen von ganz und gar seriösen Geistes- und Sprachgrößen lese, ist: Warum bietet sich mir das nicht so dar? Was fehlt meiner Wahrnehmungsfähigkeit? Oder liegt es an meinem zu leicht einzuschläfernden Gewissen?“[384]

Zu den in diesem Kontext wichtigen Hinweis einer von Walser zitierten, nicht namentlich genannten Hamburger Wochenzeitung (vermutlich DIE ZEIT) auf „Würstchenbuden vor brennenden Asylantenheimen“[385] bemerkt Walser:

„Meine nichts als triviale Reaktion auf solche schmerzhaften Sätze: Hoffentlich stimmt´s nicht, was uns da so kraß gesagt wird. Es geht sozusagen über meine moralisch-politische Phantasie hinaus, das, was da gesagt wird, für wahr zu halten. Bei mir stellt sich eine unbeweisbare Ahnung ein: Die, die mit solchen Sätzen auftreten, wollen uns wehtun, weil sie finden, wir haben das verdient. Wahrscheinlich wollen sie auch sich selber verletzen. Aber uns auch. Alle. Eine Einschränkung: Alle Deutschen. Denn das ist schon klar: In keiner anderen Sprache könnte im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts so von einem Volk, von einer Bevölkerung, einer Gesellschaft gesprochen werden. Das kann man nur von Deutschen sagen.“[386]

Während der Aussagen zu Rainer Rupp in den Kommentaren zum Text weitgehend vernachlässigt wurden, boten Passagen wie diese, in denen der Dichter seine Ressentiments und Affekte verwörtert, für die Publikationen der „neuen“ bzw. neofaschistischen Rechten zahlreiche Anschlussmöglichkeiten, um gegen die Vergangenheitsbewältigung und Kritik des Rassismus zu polemisieren. Sätze von Martin Walser, der beklagt, dass „uns“ die „unvergängliche Schande“[387] täglich vorgehalten werde, dienen als vorzügliches Material für rechte Interventionen in den Geschichtsdiskurs. Wenn Walser in seiner Medienkritik gegen die „Dauerrepräsentation unserer Schande“[388] das „Wegschauen“ verteidigt, so betreibt er damit mehr als eine legitime Kritik der medialen Verwertung des Holocaust oder des Dritten Reiches, seine Intervention richtet sich vehement gegen - von Walser behauptete – Schuldzuschreibungen gegen das deutsche Kollektiv. Die stilistisch interessante Häufung von Wendungen wie „unserer Schande“ wiederum gibt Auskunft über die Tatsache, dass sich Walser mit den Befindlichkeiten des Tätervolkes identifiziert.[389] Die Vernichtung der europäischen Juden wird unter dem Terminus „unsere Schande“ subsumiert, Auschwitz aber wird im Kontext dieser Rede nur als Chiffre, als medial vermitteltes Bild und instrumentalisiertes Ereignis, als „Drohroutine“[390], „jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel“[391] oder „Moralkeule“ bzw. „Pflichtübung“ und „Ritualisierung“ von der „Qualität eines Lippengebets“[392] verhandelt. Auch die im Berliner Holocaustdenkmal manifestierte Form öffentlichen Gedenkens gerät bei Walser zu einer „Betonierung des Zentrums der Haupstadt mit einem fussballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande.“[393] Sätze, die in den Publikationen der Rechten zahlreich wiederholt wurden; ebenso wie Walsers Polemik gegen die „Meinungssoldaten“, die „mit vorgehaltener Moralpistole den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen“[394] und damit das in der rechten Publizistik weit verbreitete Urteil verstärken, die „Vergangenheitsbewältigung“ sei den Deutschen aufgezwungen worden. Die inzwischen vielfach untersuchte und interpretierte Rede von Martin Walser zeigt auf, wie sich bei einem erklärten „Sprachmenschen“[395] Anknüpfungspunkte auch für die Nationalzeitung des Gerhard Frey finden und sich trotz der unterschiedlichen Intentionen inhaltliche Korrespondenzen herausfinden lassen, die nicht darauf schließen lassen, dass die kulturelle Elite der Gesellschaft vollständig resistent gegen Übernahme ambivalenter Positionen wäre. Eine Rede, die sich kritisch mit der medialen Vermittlung der Shoa, der Problematik der kulturgewerblichen Verarbeitung des Gedenkens an die Vernichtung der europäischen Juden und der Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen öffentlichen Gedenkritualen und privater Gewissensforschung widmet, wäre fraglos legitim. Bemerkenswert bleibt bei der Rezeption der Walser-Rede, dass sich im Text selber derart viele Anknüpfungspunkte für den Diskurs der „Neuen“ Rechten finden lassen, so dass die Frage nahe liegt, ob Walser nicht selbst zum Spektrum der deutschen Rechten gezählt werden soll, zumal sich ein guter Teil seiner Rede gegen die öffentliche Problematisierung rechter Gewalt und deutscher Kontinuitäten richtete und Autoren, die solches taten, dem Verdacht aussetzten, diese wollten primär Deutschland schaden.[396] Zwar könnte gegen die Einordnung und der Aufnahme der Walser-Rede in den Untersuchungszusammenhang dieser Arbeit eingewendet werden, es handle sich hierbei nicht um einen „Extremismus der Mitte“ sondern um einen Elite-Diskurs, der in den Feuilletons verhandelt wurde und nicht notwendigerweise in die gesellschaftliche Mitte Einzug hielt. Gegen diese Lesart spricht jedoch die Übertragung der Rede des Bestsellerautors Walser im Oktober 1998 in der ARD, da der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sich doch an die interessierte Öffentlichkeit richtet, die weit mehr umfasst als den handverlesene Kreis der eingeladenen Paulskirchenbesucher. Zum anderen waren die dortigen Besucher z.T. Repräsentanten der deutschen Politik, die schwerlich nur aufgrund ihrer Privilegierung im Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen umstandslos zur Elite gezählt werden können. Wenn wir in diesem Zusammenhang „Mitte“ als eine politische Größe definieren, die nicht zuletzt die Repräsentanten der im Bundestag vertretenen Parteien sowie zivilgesellschaftliche Institutionen wie Verlage und Medien umfasst, wird am Beispiel Walser deutlich, dass eine der wichtigsten Veranstaltungen im deutschen Kulturleben zahlreiche dankbar aufgenommenen Anschlussstellen für den rechten Diskurs bot. Prägnant gesprochen kann anhand der Walser-Rede die Akzeptanz rechter Ideologeme im Geschichtsdiskurs der Bundesrepublik Deutschland und deren Widerhall in der deutschen Gesellschaft nachgewiesen werden.[397]

8.3. Beispiel 3: Der „Antisemitismus-Streit“ in der FDP im Jahr 2002

Im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs 2002 wurde in der FDP heftig über die richtige Strategie für den Wahlerfolg gestritten. Durchsetzen konnte sich schließlich der stellvertretende Parteivorsitzende Jürgen W. Möllemann, der für die Transformation der liberalen Partei zur Volkspartei das „Projekt 18“ entwickelte, welche zum ersten Mal in der Geschichte der Partei auch eine Kanzlerkandidatur vorsah. Im Rahmen des (Vor-) Wahlkampfs waren aus den Reihen des Vorstands häufiger Töne zu vernehmen, die sich explizit an die rechte Wahlklientel richtete. Z.B. bekannte sich der Vorsitzende Guido Westerwelle explizit zum Nationalstolz und bezeichnete das Werben um ehemalige Wähler der REPublikaner als „Dienst an der Demokratie“. Zur Eskalation der innerparteilichen Auseinandersetzung trug Jürgen W. Möllemann bei, als dieser im Interview mit der Berliner taz (die tageszeitung) der israelischen Regierung „Staatsterrorismus“ vorwarf und verkündete, bei einer vergleichbaren Besatzung in Deutschland würde sich Möllemann „[...] auch wehren, und zwar mit Gewalt.“[398] Möllemann wies im gleichen Interview auch auf seine Tätigkeit als Fallschirmspringer der Reserve bei der Bundeswehr hin, die ihn dazu verpflichte, in vergleichbaren Situationen Widerstand zu leisten. Um seiner Position im Nahostkonflikt Nachdruck zu verschaffen, bot Möllemann dem kurz zuvor aus dem Bündnis 90/Die Grünen ausgetretenen NRW- Abgeordneten Jamal Karsli einen Platz in der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion der FDP sowie die Mitgliedschaft in der Partei an. Karsli hatte die grüne Partei zuvor aus Protest gegen die seiner Auffassung nach zu israelfreundliche Politik von Bundesaußenminister Joschka Fischer verlassen und in Interviews der israelischen Armee die Anwendung von „Nazi-Methoden“ vorgeworfen. Als daraufhin der Zentralrat der Juden in Deutschland gegen die Vorwürfe von Möllemann und Karsli öffentlich intervenierte, spitzte Jürgen W. Möllemann den Streit in einem ZDF-Fernsehinterview mit der Bemerkung zu, niemand habe den Antisemitismus - von dem er sich distanziere - in Deutschland so befördert wie der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon und der Zentralrats-Vize Michel Friedman, letzterer vor allem aufgrund seiner „arroganten und gehässigen Art.“[399] Die daraufhin einsetzende lebhafte öffentliche und innerparteiliche Diskussion um die Legitimität von Israel-Kritik und der Virulenz von Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, fand ihren letzten Höhepunkt, als Jürgen W. Möllemann kurz vor dem Wahltag einen Flyer verteilen ließ, in dem Möllemann scharf gegen Scharon und Friedman (sic!) polemisierte und eigene Ideen für einen Nahost-Friedensplan skizzierte. Von Interesse ist hier neben der kurzen Nachzeichnung der Genese des sog. „Antisemitismus-Streits“ vor allem die politische Technik, mit der Jürgen W. Möllemann das Thema „Israel-Kritik“ in der Öffentlichkeit lancierte. Durch die Behauptung, Kritik an der israelischen Regierung sei in Deutschland ein „Tabu“[400] setzt sich Möllemann in die Position desjenigen, der gegen ein von oben erlassenes „Sprechverbot“ agiert und damit die Interessen der „schweigenden Mehrheit“ vertritt. Ebenso wie die Abwehr eines angeblich von den Alliierten erhobenen Vorwurfs einer „Kollektivschuld“ der Deutschen, erfüllt die Behauptung, es gebe in Deutschland ein „Tabu“ in Bezug auf die Kritik der israelischen Regierung die Funktion, den Juden in Deutschland und international die Rolle einer weit verzweigten, gut vernetzten Zensurbehörde zuzuschreiben. Dass sich für diesen Befund kaum ein plausibler Beweis finden lässt und dass Möllemann als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft die Frage von Demokratie und Menschrechten in den arabischen Staaten nicht thematisierte, ist für die Analyse dieser Behauptung zweitrangig. Dass Möllemann unter dem Slogan „Klartext. Mut für Deutschland“ Wahlkampf betrieb und sein Buch zum Thema ebenso betitelte,[401] legt die Interpretation nahe, dieser kämpfe gegen angebliche Auflagen an, welche die veröffentlichte Meinung in Deutschland bestimmen würden. Mit dieser Strategie knüpfte Möllemann offen an rechtspopulistische Strategien an, deren wesentliches Element die Kritik eines elitären, volksfernen Establishments und politischen Systems ist. Ein Beleg für die These, Möllmann habe sich für seine Strategie auch von den Erfolgen rechtspopulistischer Parteien inspirieren lassen, findet sich in einem Kommentar, den Möllemann Ende Mai 2002 für die PDS-nahe Tageszeitung Neues Deutschland geschrieben hatte. Hier nannte er die Wahlerfolge von Haider und Fortyn eine „Emanzipation der Demokraten“, für die die Kategorien von rechts und links die Bedeutung verloren habe.[402] Erfolg habe, wer die Probleme „[...]in der Sprache des Volkes nennt und zu ihrer Zufriedenheit löst.“[403] Aus der Perspektive des Historikers würden sich diese Wahlerfolge später wie folgt einordnen lassen:

„Zu Beginn des dritten Jahrtausends prägte eine Welle des erwachenden Selbstbewusstseins der Menschen die Völker und Staaten Europas. Ein mündiges Volk von Demokraten nach dem anderen zwang die politische Klasse, sich an Haupt und Gliedern zu erneuern.“[404]

Die von Möllemann mit biologistischem Vokabular vorgetragene Entgegensetzung von „Volk“ und „politischer Klasse“ zählt zum Standard-Repertoire rechtspopulistischer Parteien, deren Technik sich hier ein wegen Begünstigung zurückgetretener ehemaliger Bundesminister bedient, der selbst ein medienbewusstes Mitglied des von ihm attackierten „Establishments“ war und sich zugleich als dessen scharfer Kritiker aufführte. Diese Paradoxie – Möllemann als systemkonformer Rebell - und die innerparteilichen Auseinandersetzungen sowie die Fixierung auf den für den deutschen Wahlkampf zweitrangigen Nahostkonflikt, waren vermutlich die Gründe für das letztendliche Scheitern des „Projekts 18“. Für die Debatten um den „Extremismus der Mitte“ seit den 1990er Jahren bietet das Beispiel Möllemann jedoch wichtiges Material vor allem in Bezug auf die Virulenz des sich hier hinter der „Israel-Kritik“ versteckenden Antisemitismus. Unabhängig von der Frage, welchen sachlichen Gehalt angesichts der militärischen Einsätze in den besetzten Gebieten der Vorwurf des „Staatsterrorismus“ an die israelische Rechtsregierung hat, lässt sich an der von Möllemann behaupteten Verantwortung von Scharon und Friedman für antijüdische Stimmungen ein klassisch antisemitisches Stereotyp nachweisen, welches „den Juden“ selbst die Schuld am Antisemitismus zuschreibt! Auch die Behauptung, Kritik an der israelischen Regierung werde in Deutschland tabuisiert, weist „den Juden“ die Rolle einer Zensurbehörde zu. Scharf kritisiert wurden „israelkritische“ Äußerungen im öffentlichen Raum aber nur dann, wenn die Politik Israels mit den Methoden der Nazis verglichen wurde bzw. offen antisemitische Stereotypen und Argumentationsmuster nachgewiesen werden konnten. Möllemann selbst hatte in seinem Buch „Klartext“ die – erbost zurückgewiesene - Behauptung aufgestellt, Parteichef Guido Westerwelle sei vom israelischen Geheimdienst Mossad aufgefordert worden, Möllemann politisch zu isolieren. Außerdem hat in seinem Buch Möllemann die Auffassung verbreitet, ein deutsches Panzergeschäft mit Saudi-Arabien sei gescheitert, weil der Schwiegersohn des ehemaligen Bundesaußenministers Klaus Kinkel ein Offizier des Mossad sei. Vorwürfe wie diese sind es, die in den Foren der nichtöffentlichen Meinung - vor allem die Chat-Rooms des Internet sind hier zu nennen – für lebhafte Spekulationen sorgen. Entlang der auf den Soziologen Franz Böhm zurückgehende Trennung des Öffentlichkeitsmodells in eine – im Sinne der Publikationsformen - öffentliche und nicht-öffentliche (besser: nicht- ver öffentlichte, d.h. an Stammtischen u.ä. artikulierten Meinung), kann auch die Virulenz des Antisemitismus beschrieben werden: Während im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland, in den Leitmedien (Talkshows, überregionale Zeitungen) und politischen Erklärungen Antisemitismus zurückgewiesen wird und nach Auschwitz als politischer Skandal gilt, tritt in den Chat-Rooms die Kommunikationslatenz[405] antisemitischer Tendenzen zu Tage, in der „die Wahrheit“ über jüdische Einflüsse auf die deutsche Politik diskutiert wird. Wird eine solche Position vom einem politischen Vertreter formuliert – z.B. Jamal Karslis in der Jungen Freiheit erhobene Klage über die „zionistische Lobby“ – greifen die Reglementierungen im öffentlichen Diskurs und werden solche Positionen häufig als „antisemitisch“ gekennzeichnet, sofern nicht die allgemeine Begriffsverwirrung die korrekte Etikettierung vernebelt. So wurde z.B. Möllemanns Flyer als „anti-israelisch“ bzw. „israel-kritisch“ bezeichnet, obwohl dieser in der Koppelung von Scharon und Friedman eindeutig antisemitische Züge trug. Für eine Analyse der Korrespondenzen zwischen rechter Ideologie und der politischen Kultur der Bundesrepublik wäre wichtig, genau diese Ambivalenz des Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland zu beachten, welche sich nicht als Randphänomen der Gesellschaft erklären lässt, im öffentlichen Diskurs jedoch nicht toleriert bzw. im Falle Walsers meist bestritten wird.

Als Zwischenbilanz dieser Beispiele kann festgehalten werden, dass sowohl der liberale Multikulturalismus aufgrund seines Bereicherungsdiskurses und vor allem aufgrund seiner kulturalistischen Grundhaltung über Schnittstellen zur „Neuen“ Rechten verfügt, die diesen hilflos in Bezug auf eine ernsthafte Kritik des Rassismus machen, welche sich schließlich von essentialistischen Zuschreibungen lösen müsste. In den Fällen Walser und Möllemann wiederum wird deutlich, welche Überschneidungen zwischen den Diskursen der „Neuen“ Rechten und denen der politischen Mitte existieren und wie diese genutzt und verstärkt werden. Im Nachweis solcher Korrespondenzen liegt die Aufgabe einer Sozial- und Politikwissenschaft, die kritisch an die Kontroversen über den „Extremismus der Mitte“ anknüpft.

8.4 Der „Extremismus der Mitte“ und die Sozialstrukturanalyse der Gegenwart

Die soziale und politische Rolle des Mittelstands in der Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor umstritten. Seit Gründung der BRD sind zahlreiche – hier nur im Kontext unseres Themas zu untersuchende – Debatten über den Charakter der Sozialstruktur der BRD geführt worden. Populär wurde dabei vor allem der von Helmut Schelsky eingeführte Begriff der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“, demzufolge einerseits soziale Einebnungstendenzen zur Auflösung von hierarchischen Schicht- und Klassenstrukturen geführt haben, andererseits mittelständische Wertvorstellungen von breiten Bevölkerungsschichten übernommen wurden.[406] Parallel zum zu verzeichnenden Rückgang der Klassenanalyse[407] im sozial-wissenschaftlichen Paradigmenstreit, lautet die vielfach vorgetragene Diagnose, die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sei eine Formation „jenseits von Stand und Klasse“, eine „Risikogesellschaft“, in der bestimmte – z.B. ökologische – Gefahren sämtliche Bevölkerungsgruppen beträfen und in der sich weiterhin die starren Klassenschranken durch den „Fahrstuhleffekt“ aufgelöst hätten.[408] Für die Bundesrepublik Deutschland spricht Jürgen Ritsert sogar von der „fünffachen Abschaffung der Klassen durch die deutsche Soziologie der Nachkriegszeit.“[409] Ritsert verweist in diesem Zusammenhang neben Schelskys „nivellierter Mittelstandsgesellschaft“ auf die von Ralf Dahrendorf vorgenommene Transformation der Klassenkategorie in Konfliktgruppen und Konflikttheorie, auf die „nachindustrielle Gesellschaft“ von Daniel Bell und auf die Kategorie „Jenseits von Marx und Weber“, wozu er vor allem Ulrich Beck zählt. Dessen Thesen zur Individualisierung, zum Strukturbruch, der Klassenerosion und der Dezentrierung sowie die Entdeckung der „neuen sozialen Ungleichheiten“, die in jeglichen stabilen Strukturen auch Momente von Risiken und Unbestimmtheiten entdecken, sind bestimmend für den Mainstream der Soziologie. Daraus resultiert vielfach für eine Mehrheit der Vertreter der Soziologie die Auffassung, angesichts der Fahrstuhleffekte und der Individualisierung könne nicht mehr von strukturellen Ungleichheiten aufgrund der Klassenzugehörigkeit gesprochen werden. Der Charakter unserer Gesellschaft sei ohnehin fraglich, da die Evidenz sozialwissenschaftlicher Kategorienbildung auf dem Prüfstand stünde. Kurt Lenk weist in diesem Zusammenhang auf ein Statement des renommierten Berliner Soziologen Claus Offe hin, der während der Frankfurter Buchmesse auf einer Podiumsdiskussion zur Frage, in welcher Gesellschaft wir leben würden, sagte:

„>>Wir sind postindustriell, postmodern, im Übergang begriffen. Die Irritation hat zugenommen, seit wir bei jeder Trendaussage, die wir treffen, damit rechnen müssen, daß auch das Gegenteil wahr ist ... Woher wissen wir eigentlich, daß wir alle in einer >Gesellschaft< leben und nicht möglicherweise in einer Milchstraße mit unzähligen isolierten Planeten<<?“[410]

Trotz des ironischen Tonfalls der zugespitzten Frage von Offe kommt darin ein Grundproblem moderner Untersuchungen zum Vorschein. Angesichts der schon nach dem Krieg diagnostizierten gravierenden Veränderungen in der Sozialstruktur zählt die Bestimmung einer bestimmten Mentalität bzw. politischen Disposition einer sozialen Gruppe zu den großen Herausforderungen der Sozialwissenschaften. Wurde in der Weimarer Republik bei den Zentrum-wählenden Facharbeitern die politische Entscheidung schon durch die vorrangige Bedeutung der konfessionellen Bindung überlagert, so kann für die heutige Zeit die ambivalente Identität „Klasse“ kaum noch als alleiniger Maßstab gelten. Denn dass die Bestimmung politischer Mentalitäten aufgrund sozialstruktureller Zugehörigkeiten auf immense Schwierigkeiten stößt, hatte 1949 schon Theodor Geiger kritisch gegenüber seinem alten Ansatz vermerkt. „Alles scheint im Gleiten zu sein“, bemerkt der hellsichtige Analytiker der Mittelstände, „eine klar sich abzeichnende Struktur ist kaum zu finden.“[411] Auch über die Frage, wie die Mittelschichten in der Bundesrepublik einzuordnen sei, gab es starken Dissens. Während der Soziologe Arthur Schweitzer zu Beginn der 1970er Jahre die Auffassung vertrat, die ständische Statusideologie sei vom Mittelstand durch das NS-Regime hindurch erhalten worden,[412] vermerkte Heinrich August Winkler in einer nochmaligen, ausführlichen Annäherung an das Thema, der Mittelstand sei relativ stabil in die deutsche Gesellschaft eingegliedert.[413] Winkler schreibt in einer aufschlussreichen Passage:

„In einer Gesellschaft, in der weder das Privateigentum noch der Sozialstaat grundsätzlich in Frage gestellt werden, fehlt die Hauptvoraussetzung mittelständischer Militanz – ein kollektives Gefühl des Bedrohtseins“[414]

8.4.1 Krise des Sozialstaats als Voraussetzung für einen neuen „Extremismus der Mitte“?

Winklers oben zitierte Einschätzung bezog sich jedoch auf einen Zeitrahmen, in dem die Grundpfeiler des bundesrepublikanischen Modells (Sozialstaat, Sozialpartner-schaft, soziale Marktwirtschaft) weitgehend intakt waren und nicht zur Disposition standen. Bedingt durch die Krisenverschärfung und Reformdebatten der letzten Jahre bildet sich in der deutschen Öffentlichkeit nun ein schriller werdender Tonfall heraus, dessen markanter Höhepunkt im letzten Jahr der von dem Berliner Historiker Arnulf Baring verfasste Aufruf „Bürger, auf die Barrikaden!“ bildete.[415] Barings Rezepte für die gesellschaftliche Neuordnung beschränken sich im ökonomischen Bereich auf zugespitzte wirtschaftsliberale Positionen, Formen des zivilen Protests („massenhafter Steuerboykott“) oder diffus bleibende Absichtserklärungen („passiver und aktiver Widerstand“). Der von ihm geforderte „Aufstand gegen das erstarrte Steuersystem“ enthält jedoch geschichtliche Analogien und Schlussfolgerungen, die an die Grundfeste der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland gehen. Baring hebt z.B. nachdrücklich die Notverordnungen nach Art.48 der Weimarer Verfassung hervor, welche „die krisengeschütelte Republik jahrelang am Leben“ gehalten hätten. Obwohl die kritische Geschichtswissenschaft schon früh auf diesen verfasssungsspezifischen Anteil an der Transformation der Weimarer Republik zum NS-Staat hingewiesen hat, regt Baring eine Neuauflage dieses Paragraphen als Mittel für „den innenpolitischen Ernstfall“ an. In der Berliner Wochenzeitung Freitag hat Rudolf Walther in einem Kommentar die Baringschen Vorschläge daraufhin als „Radikalismus der Mitte“[416] bezeichnet und diese als „tiefe Verunsicherung des besserverdienenden juste milieu“[417] gedeutet:

„Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik bedroht eine Wirtschaftskrise nicht nur Arbeiter und Angestellte, die als „Überflüssige“ weg-rationalisiert, weg-flexiblisiert und weg-modernisiert werden, sondern auch das akademisch gebildete Personal. Besonders betroffen ist die Zeitungsbranche, wo nach dem Einbruch des Anzeigengeschäfts (minus 30 Prozent) auch Hunderte von Redakteuren und Pauschalisten mit Arbeits- und Aussichtslosigkeit konfrontiert werden.“[418]

Walther schreibt über die Ursachen für die Stimmungslage des von Baring repräsentierten Protests:

„Wenn Gewinne aus Aktien- und Immobilienverkäufen oder das haarsträubende deutsche Dienstwagenwesen ordentlich besteuert werden sollen wie überall auf der Welt, bemühen die Untergangspropheten allerorten reflexartig den „Leistungsträger“ und „produktiven Steuerzahler“ als Leitfigur gegenüber dem „Transferempfänger“ („Arbeitslose, Rentner und Beamte“).“[419]

Markenzeichen dieses Protests sei „ressentimentgeleiteter Fanatismus“[420], welcher nicht zuletzt Resultat eines Abgesangs auf theoriegeleitete Überlegungen sei. Zwar sind Walthers Überlegungen nicht ganz stimmig – das „akademisch gebildete Personal“ z.B. ist keinesfalls zum ersten Mal (Stichwort: „Akademikerschwemme“ und „Lehrerüberschuss“) von Krisen betroffen – doch weisen seine Beobachtungen ins das Zentrum der Problematik.

8.4.2 Antidemokratische Tendenzen in der politischen Kultur der BRD

Unter den Bedingungen der ökonomischen Krise verschärfen sich nämlich auch die politischen Haltungen der Angehörigen sozio-ökonomischer Gruppen. Ein Abgesang der Soziologie auf Theorie- und Kategorienbildung scheint also vollkommen deplaziert, soll doch im Anschluss an die Mittelstandstheorien die jeweils spezifische Reaktion sozialer Gruppen auf gesellschaftliche Krisenprozesse herausgearbeitet werden. Da diese Reaktionen aber wie aufgezeigt auch innerhalb einer sozialen Gruppe nicht notwendigerweise einheitlich verlaufen, ist die Konstruktion eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der sozialen Lage und politischer Haltung nicht sinnvoll, wie schon in der Kritik am Lipsetschen Ansatz aufgezeigt wurde. Sinnvoll erscheint heute nicht – wie es die Rede vom „Extremismus der Mitte“ in Anschluss an Geiger und Lipset nahelegt – alleine die Fixierung auf eine bestimmte soziale Gruppe, deren Dispositionen und Mentalitäten, sondern die Analyse der Vermittlung prekärer politischer Positionen in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen der jüngeren Vergangenheit haben nämlich schichtübergreifend die signifikante Akzeptanz antidemokratischer Positionen in breiten sozialen Schichten der Bevölkerung festgestellt. In ihrer Untersuchung der politischen Haltung von Studentinnen und Studenten haben Alex Demirovic und G. Paul die verbreitete Akzeptanz von elitären Expertengruppen hervorgehoben, die als „Vermieter des Intellekts“ (Bertolt Brecht) ihr Herrschaftswissen abgekoppelt von der Bevölkerung, welche die in Expertenkommissionen gefällte Entscheidung zunächst als Nachricht, dann als soziale Macht erreicht, für politische Entscheider verfügbar machen.[421] Im letzten Jahr benannten die Erziehungswissenschaftler Ahlheim und Heger den Anteil der Antisemiten unter den Studenten bei 13 Prozent.[422] Besonders wichtig für eine Perspektivenerweiterung, welche die Gründe und Voraussetzungen für neofaschistische, rassistische etc. Haltungen nicht monokausal in der sozialen Lage verortet, sondern die Genese von Wertorientierungen und politischen Einstellungen in den Blick nimmt, ist die 1994 veröffentlichte Untersuchung über die politischen Einstellungen von jungen Gewerkschaftsmitgliedern.[423] Das zunächst überraschende Ergebnis lautet, dass unter gewerkschaftlich organisierten Jugendlichen die nationalistische Orientierung vor allem in den industriellen Kernsektoren eine weitaus breitere Zustimmung findet, als in der nicht gewerkschaftsgebundenen Vergleichsgruppe.[424] Dieses Ergebnis liefert einen weiteren Beleg dafür, dass nicht die sozial benachteiligten Jugendlichen in prekären Arbeitsverhältnissen diejenigen sind, die besonders rechten politischen Orientierungen zustimmen. Abzuleiten ist daraus zudem eine Kritik der politischen Kultur, welche im Medien- und politischen Diskurs über Migration und Asyl Ausländer vor allem als Problem oder Kostenfaktor darstellt oder - wie im Fall des Multikulturalismus aufgezeigt – Zuwanderer vor allem unter Nützlichkeitskriterien („kulturelle Bereicherung“ etc.) betrachtet, d.h. marktwirtschaftliche Rentabilitätskriterien auf Menschen anwendet, die in Krisenzeiten dann ihren Wert verlieren. In einer vor allem von Konkurrenzdenken und Standort-Logik geprägten gesellschaftlichen Situation, in der die Rücknahme und Reduzierung sozialer Errungenschaft laut offiziellem Diskurs eine staatserhaltende Notwendigkeit ist, existiert - wie die neueren sozialwissenschaftlichen Ergebnisse zeigen - eine breite Akzeptanz für rechtspopulistische und neofaschistische Positionen. In diesem Sinne müssen auch die Sektoren der Lohnarbeit analysiert werden, da dessen Angehörige keinesfalls vor neofaschistischen und rechtspopulistischen Einflüssen gefeit sind. Mit Blick auf die Situation in Österreich weist Gerd Wiegel z.B. auf die soziale Zusammensetzung der FPÖ hin:

„Von den Selbstständigen und Angehörigen freier Berufe wählten 33 Prozent die FPÖ, bei den Arbeitern waren es 47 Prozent. Die FPÖ ist damit zu der Arbeiterpartei in Österreich geworden, noch vor der SPÖ (35 Prozent Arbeiteranteil).“[425]

Eine Analyse der gegenwärtigen Phänomene des Neofaschismus bzw. Rechtspopulismus kann also nicht - wie noch in der Frühphase der Entwicklung der Position vom „Extremismus der Mitte“ - auf die Mittelstände beschränkt werden, wichtig ist die Analyse der Verbreitung entsprechender Positionen und Haltungen in den Mediendiskursen und der politischen Kultur sowie deren spezifische Vermittlung innerhalb der sozialen Lage vor dem Hintergrund der allgemeinen Stimmung, für die es allgemeine Indikatoren gibt. Laut einer vor anderthalb Jahren von Michael Bromba und Wolfgang Edelstein (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung) im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft erstellten Expertise waren 1998 zirka 26 Prozent der West- und beinahe 47 Prozent der Ostdeutschen unzufrieden mit der Demokratie. Im gleichen Jahr sagten 55 Prozent der West- und 61 Prozent der Ostdeutschen aus, dass sie „Ausländer ablehnten.“ Explizit „rechtsorientiert“ nannten sich 6,7 Prozent der West- und 5,8 Prozent der Ostdeutschen.[426] Betrachtet man diese in Hinblick auf Fragestellung, Forschungsdesign, Grundgesamtheit und Untersuchungsrahmen unterschiedlichen Studien vor dem Hintergrund der rassistisch motivierten Verbrechen und antisemitischen Friedhofsschändungen etc., entsteht ein beunruhigendes Bild über die Gefährlichkeit latenter und manifester neofaschistischer und rechtspopulistischer Tendenzen. Zwar sind letztere nicht notwendigerweise mit der Politik etwa der NPD zu vergleichen und weisen auch untereinander Unterschiede auf – so ist die Politik von der Liste Pim Fortyn nicht deckungsgleich mit der von Le Pen in Frankreich, doch besteht bei den mit dem Etikett „Rechtspopulisten“ versehenen Politiker wie Jörg Haider oder dem ehemaligen Poujardisten Le Pen eine unübersehbare Affinität zum völkischen Nationalismus und historischen Faschismus. Letztlich bleibt der Rechtspopulismus eine Tendenz, die sich in der Bundesrepublik Deutschland deswegen nicht wie in Italien, Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden entwickeln konnte, weil die deutschen Vertreter dieser Richtung entweder regional beschränkt (wie die SCHILL-Partei in Hamburg) oder aber zerstritten sind und nicht über die notwendige charismatische Persönlichkeit zur Popularisierung ihrer Parteien verfügen.

8.5 Konsequenzen für die Analyse der Rechtsentwicklung

Zu den Konsequenzen einer anhand der Kontroversen um den „Extremismus der Mitte“ geschulten Analyse der gesellschaftlichen Gegenwart zählt also eine Perspektivenerweiterung, welche neben den Mittelständen auch die sich selbst als Mitte „setzenden“ Eliten (Walser-Rede, Baring-Aufruf etc.) im Blick hält und die von dort ausgehende Prägung der politischen Kultur und Mediendiskurse analysiert. Denn wie viel verharmlosendes Gedankengut von den intellektuellen Eliten der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den deutschen Faschismus verbreitet wird, lässt sich anhand eines Zitats von Arnulf Baring illustrieren, welcher den NS-Staat von der DDR abgrenzt und damit unter totalitarismustheoretischen Vorgaben eine euphemistische Einschätzung des Alltag im Faschismus formuliert:

„[...] historisch betrachtet war das Dritte Reich natürlich nur ein autoritäres Regime, wenn auch mit gewaltiger krimineller Energie [...] Das Leben Deutschlands ging nach 1933 im großen und ganzen unverändert weiter.“[427]

Verweist der eigentümliche Satzbau in Bezug auf die konkrete Analyse des Dritten Reichs („natürlich nur“, „wenn auch“) schon auf die halbherzige Einordnung des kriminellen Charakters seitens Baring, so ist der Schlussteil dieses Zitats, wonach das Alltagsleben nach 1933 „im großen und ganzen unverändert“ weiter ginge, in doppelter Hinsicht aufschlussreich. Zum einen verweisen die nicht erwähnten Juden, Sinti, Roma, Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter, Homosexuellen, Bibelforscher, widerständige Geistliche etc., die nach 1933 sukzessive verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, auf eine bezeichnende Leerstelle in der Betrachtung Barings – dieser meint anscheinend den „deutschen Volksgenossen“, für den das Alltagsleben bis zum Krieg weitgehend unverändert seinen Gang ging –, zum anderen verweist die Einschätzung Barings aber auch auf die Integrationsleistung des deutschen Faschismus, der auch dem im Nationalsozialismus sozialisierten Historiker Baring den Eindruck eines kommodenen autoritären Staates vermittelt. Einen Eindruck, welchen Baring scheinbar noch Jahrzehnte später nicht revidiert hat. Wer also nicht die Anzahl von Buchpublikationen, Fernsehreihen, Gedenkfeiern und Sonntagsreden als Indikator für die erfolgreiche Aufarbeitung der Vergangenheit bemisst, sondern diese nach dem in breiten Bevölkerungskreisen präsenten Wissen über Triebkräfte, Voraussetzungen und Wesen des deutschen Faschismus, der Shoa und des Vernichtungskrieges bewertet, wird in diesen Äußerung einen massiven Anteil an Verdrängung erkennen, der von öffentlichkeitswirksamen Multiplikatoren wie Baring an das Publikum weitergeleitet wird. Ein an den Kontroversen um den „Extremismus der Mitte“ geschulter Blick zeigt in diesem Kontext die Korrespondenzen zwischen rechter Ideologiebildung und den Diskursen der sog. politischen Mitte auf, welche ein bisweilen geschöntes Bild der Vergangenheit zeigen. Und viele der Bilder, die der Neofaschismus oder Rechtspopulismus in zugespitzter oder verzerrter Form zu verschiedenen Themen (Ausländer, Asyl) entwirft, haben ihr Äquivalent im Bewusstsein der bürgerlichen Mitte, rechte Jugendbanden fühlen sich oftmals als avantgardistische Fraktion der Mehrheitsmeinung der „Anständigen“, als Vollstrecker des Volkswillens, weshalb das Phänomen der rechten Gewalt nicht auf die Auswüchse von (männlichen) Jugendlichen reduziert werden darf.[428] In diesem Sinne ist der DGB-Studie zuzustimmen, die in Bezug auf die Täter festhält, diese

„[...] verstehen sich als diejeniegen, die entschlossen etwas ausführen, wovon die Erwachsenen immer nur reden. Auch stimmen die rechtsstehenden Jugendlichen in hohem Maße mit den Norm- und Wertvorstellungen ihrer Eltern überein. Beides weist darauf hin, daß es sich bei den rassistisch motivierten Anschlägen keineswegs um eine Rebellion gegen die Erwachsenenwelt und Obrigkeit handelt. Vielmehr stellen sie den Versuch dar, die bedrohte eigene Integration durch Loyalität zu sichern. Anfällig für rechtsextreme Orientierungen sind vor allem die Jugendlichen, die sich mit den herrschenden Werten Geld, Karriere und Erfolg identifizieren, das Leistungsprinzip absolut setzen und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf ihre Funktionalität für das Eigeninteresse reduzieren.“[429]

Eine Kritik des „Extremismus der Mitte“ ist heute also auch eine Kritik der vorrangigen Orientierungen von Jugendlichen, eine Kritik der „Dominanzkultur“ (Birgit Rommelspacher),[430] welche die Individuen nach dem Aspekt des Nutzens betrachtet und einer Verwertungslogik unterwirft, in der Geld, Aufstieg und Status dominieren, während Normabweichler von rechten Jugendlichen, welche die (kapitalistischer Vermarktung ohnehin immanenten) Werte wie Disziplin, Durchsetzungsvermögen und Gehorsam internalisiert haben, zur Jagd ausgesetzt werden. Diese Kongruenz zwischen wohlstandschauvinistischer Werteorientierung der gesellschaftlichen Mitte und Umsetzung derselben durch rechte Skinheads (etwa im militanten Protest gegen ein Flüchtlingsheim) zu betrachten ist die Aufgabe einer Politik- und Sozialwissenschaft, welche Konsequenzen aus der Analyse des „Extremismus der Mitte“ zieht. Ob vor der Rostocker ZASt oder der Flüchtlingsheim in Mannheim-Schönau, ob vor der Belegstelle in Guben oder in Hoyerswerda - nirgendwo war die Szene nur von Skinhead-Jugendlichen bestimmt. Es gilt, diesen Zusammenhang zu analysieren und praktische Voraussetzungen für dessen Aufhebung zu schaffen.

9. Resümee und Ausblick

Als Ergebnis kann festgehalten werden: Während die soziologischen Mittelstandstheorien trotz der referierten und analysierten Kritik und Modifikationen wertvolle Hinweise bezüglich der sozialen Träger des Faschismus als Wahlpartei und Bewegung geben, wird „Extremismus der Mitte“ gegenwärtig – sofern noch in Gebrauch[431] - zum politologischen Arbeitsbegriff, der, von seiner ursprünglichen Bedeutung – der Herausarbeitung der spezifischen Anteile des Mittelstands am Aufstieg des Faschismus – abgetrennt, eine jeweils genau zu bestimmende Perspektive gesellschaftlicher Rechtsentwicklungen ermöglicht. Die Korrespondenzen zwischen den Diskursen der Rechten und denen der politischen Mitte zu analysieren ist die Konsequenz der in dieser Magisterarbeit vorgenommenen Untersuchung; die Bestimmung der „Grauzonen“ zwischen „Neuen“ Rechten und ihrer Scharnier-funktion zur offiziellen Politik war das Grundmotiv jener Arbeiten, die an den Topos vom „Extremismus der Mitte“ anknüpften und statt der sozialstrukturellen Analyse die politische Kategorie Mitte, die politische Kultur und die Eliten in den Mittelpunkt rückten. Ebenso wie sich die populistische und neofaschistische Rechte auf Diskurse der Elite oder Mitte bezieht (Walser-Rede, Asyldebatte), greift diese wiederum Inhalte auf, die vor Jahren noch dem kleinen Kreis rechter Zirkel vorenthalten war (z.B. die Verwendung von völkischen Argumentationen im Demographie-Diskurs[432] ). Diese Affinitäten aufzuzeigen und sich der Entlastungsfunktion zu verweigern, die in der – vermutlich auch einem Mittelschichtsvorurteil deutscher Akademiker geschuldeten – Verlagerung rechter Phänomene an die Ränder der Gesellschaft liegt, ist die Aufgabe von Politik- und Sozialwissenschaftler, die aus der Analyse der Kontroversen um den „Extremismus der Mitte“ Schlussfolgerungen für eine kritische Gesellschaftsanalyse ziehen wollen. Wer rassistische oder neofaschistische Ideologeme auf die Ränder der Gesellschaft projiziert bzw. lediglich dort verortet, lenkt von der Verantwortung der Politik, der Wirtschaft, der Medien und zivilgesellschaftlichen Gruppen für die politische Kultur im Lande ab. Wenn Bundeskanzler Schröder vollmundig mit den Worten „Kriminelle Ausländer gehören raus und zwar sofort“ zur Ausländerpolitik Stellung nimmt,[433] werden entsprechende Äußerungen aus der rechten Presse legitimiert, wird der Diskurs über Migration entsprechend aufgeladen. Es zeigt aber auch, dass die deutsche Politik nicht bereit ist, „Ausländer“ als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen, sondern sie im Regelfall als geduldete Untertanen betrachtet, über die man bei unbotmäßigem Verhalten nach Gutsherrenart verfügen kann und denen man die Ausübung demokratischer Rechte weitgehend vorenthält. Trotz aller vorgenommenen Änderungen der letzten Jahre dominiert im Staatsbürgerschaftsrecht das völkische ius sanguinis, nicht das territoriale ius soli Politik, Rechtsprechung und öffentliches Bewusstsein in der Bundesrepublik Deutschland. Es geht also darum, die „demokratische Mitte“, den blinden Fleck jeder entlang der Kategorien links und rechts arbeitenden Extremismustheorie, schärfer zu betrachten. Nicht um – wie Backes und Jesse vermuten – die Demokratie zu delegitimieren, sondern um die Voraussetzungen von Demokratie im Sinne der Partizipation der hier lebenden und arbeitenden Menschen zu schaffen, ohne diese Bedingung an die >deutsche< Herkunft oder rentable Leistung zu knüpfen. Eine der größten Aufgaben für Politik, Medien, Wissenschaft und Publizistik liegt deshalb und angesichts der von Neofaschisten gewählten Opfer – Flüchtlinge, Ausländer, Homosexuelle, Obdachlose, Behinderte - in der Herausbildung und Förderung von Haltungen, welche die Anerkennung des Anderen, Fremden, Schwachen und Differenten befördern, ohne dabei auf essentialistische Zuschreibungen zurückzugreifen. Da aber bei sich verschärfender ökonomischer Krise um knapper werdende Ressourcen nach wie vor entlang ethnischer Kriterien gekämpft wird, stellt sich für einen hier zu formulierenden Ausblick die Frage, wie dies möglich sein soll unter den Bedingungen neoliberaler Ökonomie und in Anbetracht der Tatsache, dass im Wissenschafts-, Politik- und Mediendiskurs bei jeder Welle neofaschistischer Gewalt verschwunden und überwunden geglaubte Paradigmen wieder auftauchen und dass Problem rechter Anschläge in den Medien als ostdeutsches Jugendproblem abgehandelt wird, als Gewalt alkoholisierter männlicher Jugendlicher. Die Aufgabe, welche die hier angeführte DGB-Studie für die Gewerkschaften in dieser Situation nennt, muss auch die Aufgabe einer kritischen Politik- und Sozialwissenschaft sein:

„Eine richtig verstandene Sensibilisierungsstrategie bleibt nicht dabei stehen, rechtsextremistische Organisationen oder Jugend-Szenen ins Visier [zu, Korrektur des Textes durch RG] rücken. Gewerkschaften müssen ihre Augen und Ohren für diskriminierende, fremdenfeindliche oder rassistische Einstellungen der politischen Mitte offen halten. Hier liegt das ungleich größere Gefährdungspotential für das demokratisch-pluralistische System. Wann immer sich Politiker, Funktionäre oder Medienberichterstatter mit rechtspopulistischer oder rechtsintellektueller Rhetorik hervortun, bedarf es einer Öffentlichkeit, die solche Äußerungen kritisch kommentiert. Dies gilt mehr noch für Taten, mit denen ethnische Minderheiten, Behinderte, Obdachlose etc. diskriminiert oder ausgegrenzt werden. Auf die Medien, die sich vor allem der Extreme annehmen und als Skandal inszenieren, sollten Gewerkschaften einen kritischen Blick werfen. Denn sie neigen dazu, derartige Äußerungen als politische Entgleisungen Einzelner zu interpretieren und nähren so die Illusion einer demokratischen Normalität.“[434]

Statt sich mit dem Gestus des Verfassungsschutzbeamten lediglich auf neonazistische Gruppen zu fixieren, ist ein geschärfter Blick auf die Eliten und die gesellschaftliche Mitte die adäquate Schlussfolgerung aus der hier vorgenommenen Analyse. „Rechts, wo die Mitte ist“, findet sich zahlreiches Material für eine Kritik der Verhältnisse und (politischen, ideengeschichtlichen, sozio-ökonomischen) Voraussetzungen, die den Faschismus ermöglichten.[435]

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Versicherung

Hiermit versichere ich, die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst zu haben. Es wurden keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel und Quellen benutzt.

Unterschrift

Richard Gebhardt

Aachen, 10. August 2003

[...]


[1] Vgl. Theodor W. Adorno (1963): Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. In: ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt am Main, S.125-146, Zitat auf S.125f. [zuerst 1959]

[2] Vgl. Theodor Geiger (1930): Panik im Mittelstand. In: Die Arbeit, VII. Jg., Heft 10/1930, S.637-654, Zitat auf S.647

[3] Vgl. Seymor Martin Lipset (1980): Der „Faschismus“, die Linke, die Rechte und die Mitte. In: Ernst Nolte (Hrsg.) [1980]: Theorien über den Faschismus. Frankfurt, S.449-491 [Dt. Erstveröffentlichung von Lipset 1959]

[4] „Flagge zeigen!“ Wolfgang Thierse im Gespräch mit Peter Gärtner. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 30. Juni 2000 [Nr.26/2000]

[5] Vgl. exemplarisch Christoph Butterwegge u.a. (2002): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein. Opladen

[6] Vgl. für die Entwicklung dieser Richtung exemplarisch: Wilhelm Reich (1972): Die Massenpsychologie des deutschen Faschismus. Köln [zuerst 1933] und Erich Fromm (1966): Die Furcht vor der Freiheit. Frankfurt a.M. [zuerst 1947]

[7] Vgl. hierzu beispielhaft Uwe Backes und Eckard Jesse (1995): Extremismus der Mitte? – Kritik an einem modischen Schlagwort. In: Uwe Backes und Eckard Jesse (Hrsg.) [1995]: Jahrbuch Extremismus und Demokratie (E&D). 7.Jg, S.13-26. Obwohl Backes und Jesse in diesem Beitrag eine umfassende Kritik des „modischen Schlagworts“ liefern wollen, reduzieren sie die spezifische Argumentation von Lipset auf wenige Schlüsselsätze und Kernpunkte, wodurch aber der Gegenstand der Kritik nicht hinreichend gewürdigt wird.

[8] Vgl. hierzu: Wolfgang Kraushaar (1994): Implosion der Mitte. Teil I. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Heft 2 (April/Mai 1994), S.10-27, hier S.14ff.

[9] Vgl. Marcus Tullius Cicero (Ausgabe 1980): De officiis/Vom pflichtgemäßen Handeln. Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Heinz Gunermann. Stuttgart, vgl. hierzu S.78 (I, 89).

[10] Vgl. Ch. De Montesquieu (Ausgabe 1992): Vom Geist der Gesetze. Hrsg. von E. Forsthoff. 2 Bd., Tübingen [zuerst 1748].

[11] Angaben zur Sozialstruktur vgl. Rainer Geißler (1998): Die Sozialstruktur Deutschlands. Hagen

[12] Angaben nach Reinhard Kühnl (1990): Faschismustheorien. Ein Leitfaden. Heilbronn, S.101ff.

[13] Karl Marx und Friedrich Engels (Ausgabe 1959): Manifest der Kommunistischen Partei. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke: Band 4 [im folgenden MEW4]. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin. Zitat auf S.484 [zuerst 1848]

[14] Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW4, S.472

[15] Wilhelm Heinrich Riehl (1917): Die bürgerliche Gesellschaft. Schulausgabe. Mit einer Einleitung und Anmerkungen von Oberstudienrat Dr. Theodor Matthias. 3. verbesserte Auflage, Stuttgart/Berlin, S.125

[16] Vgl. im folgenden M. Rainer Lepsius (1966): Extremer Nationalismus – Strukturbedingungen vor der nationalsozialistischen Machtergreifung. Stuttgart, S.13

[17] Vgl. Lepsius, a.a.O., S.14

[18] Vgl. die Ausführungen in: Michael Kohlstruck (1999): Unser Rechtsextremismus. In: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 27. Jg., Heft 4, Dezember 1999, S.469-478, Zitat und Analyse des Terminus „Extremismus“ auf S.473ff.

[19] Zum Problem der Definitionsmacht schreibt Manfred Funke in einem Lexikonbeitrag sehr zutreffend: „Üblicherweise bezeichnet sich kein Extremist als Extremist. Er erhält vielmehr dieses Werturteil zugewiesen von den Inhabern der Definitionsherrschaft über die zentralen Standards einer Gesellschaftsordnung, die ihre Bestandsgefährdung zurückweist, indem sie den vermuteten bzw. erkannten Zerstörer der Basisstabilität als „Extremisten“ markiert und ihn damit von jeder unerwünschten Einflussnahme auszugrenzen versucht.“ Vgl. Manfred Funke: Extremismus. In: Wolfgang W. Mickel, Dietrich Zitzlaff [1986]: Handlexikon zur Politikwissenschaft. Bonn [Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung – Band 237], S.132-136, Zitat auf S.134

[20] Die Probleme der Kennzeichnung „anti-demokratischer Strömungen“ mit dem Begriff >>radikal<<, d.h. an die Wurzel (Radix) gehender politischer Bestrebungen, liegen auf der Hand, bedienten sich doch auch in der 1848er-Revolte freiheitlich gesinnte Politiker dieser Vokabel. Noch heute benennen sich in Frankreich ausgewiesene Anhänger der Marktwirtschaft dieser Haltung; der Ruf nach „radikalen Reformen“ des Sozialstaats zählt zum Standardrepertoire der neoliberalen Leitartikler der bürgerlichen Presse.

[21] Vgl. Bundesministerium des Innern (2002):Verfassungsschutzbericht 2001. Berlin, hier S.26

[22] a.a.O., S.138

[23] Vgl. H. Joachim Schwagerl (1993): Rechtsextremes Denken. Merkmale und Methoden. Frankfurt am Main, S.15f.

[24] Laut Wolfgang Wippermann handelt es sich bei Backes und Jesse um zwei ehemalige Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, weshalb er deren politische Publizistik als interessengeleitet und deshalb ideologisch einstuft. Vgl. Wolfgang Wippermann (2001):>>Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein<<. Über >>Extremismus<<, >>Faschismus<<, >>Totalitarismus<< und >>Neofaschismus<<. In: Siegfried Jäger/Alfred Schobert (2001): Weiter auf unsicherem Grund. Faschismus – Rechtsextremismus – Rassismus. Duisburg, S.21-47, Hinweis auf S.25

[25] Uwe Backes/Eckard Jesse (1993): Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin/ Frankfurt am Main, S.40

[26] Uwe Backes/Eckard Jesse, Politischer Extremismus, a.a.O., S.33

[27] Vgl. Georg Fülberth (1996): >>Extremismus<<. In: Wolfgang Fritz Haug [Hrsg.] Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Bd. 3. Ebene bis Extremismus. Berlin-Hamburg, S.1208-1216

[28] Vgl. Eric J. Hobsbawn (1995): Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München und Wien

[29] Werner Hofmann definiert Stalinismus als „[...]jener Exzeß der Macht(...), der nicht in den Aufgaben einer ,Erziehungsdiktatur‘ gründete, der nicht objektiv ,notwendig‘ war“. Vgl. Werner Hofmann (1984): Was ist Stalinismus? Heilbronn [zuerst 1967], S.48f. Hofmann entwickelt in seiner Studie eine Perspektive, die sich signifikant von totalitarismustheoretischen Vorgaben unterscheidet, da sie die Entwicklung der >Stalinisierung des Realsozialismus< aus dem historischen Kontext und nicht durch vergleichende Analysen zu erklären versucht. Stalinismus ist nach Hofmann weiter ein „spezifischer Opportunismus der Macht, auf der allgemeinen Grundlage einer proletarischen Gesellschaft.“ (S.48). Erklärt wird dies mit der „relative[n] Verselbstständigung der Führer von ihrer vorerst noch schwach entwickelten gesellschaftlichen Basis“ (S.48). In diesem Sinne handelt es sich beim Stalinismus um den Herrschaftstypus einer „ stellvertretenden Diktatur “ (S.49). Problematisch bleibt bei dieser Definition jedoch z.B. die Frage, welche Maßnahmen denn durch die ,objektiven‘ Notwendigkeiten der >>Erziehungsdiktatur< (sic!) bestimmt werden und wie diese zu bewerten sind.

[30] Vgl. Carl J. Friedrich, Zbigniew Brzezinski (1957): Totalitäre Diktatur. Stuttgart, S.19

[31] Vgl. zur parlamentarischen Aufarbeitung der DDR-Geschichte vor allem den Abschlußbericht: Deutscher Bundestag [Hrsg.] (1995): Materialien der Enquête-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit“: 13. Wahlperiode des deutschen Bundestages. Baden-Baden und Frankfurt am Main, 9 Bände

[32] Konrad Adenauer (1975): „Deutschlands Stellung und Aufgabe in der Welt“ Rede am 20. Oktober 1950 auf dem 1. Bundesparteitag der CDU in Goßlar. In: ders: Reden 1917-1967. Eine Auswahl. Stuttgart

[33] Zur neueren Kritik der Totalitarismustheorien vgl. beispielhaft Michael Schöngarth (1996): Die Totalitarismusdiskussion in der neuen Bundesrepublik 1990-1995. Köln

[34] Vgl. Reinhard Kühnl (1998): Vom Siechtum und Wiederbelebung einer politischen Theorie und von der Sichtweise eines Polizeiverstandes auf eine wissenschaftliche Umwälzung. In: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften. Ausgabe 225. 40 Jahrgang, Heft 3 1998, S.385-391

[35] Vgl. Kühnl, Siechtum und Wiederbelebung, a.a.O., S.388

[36] Vgl. Hans-J. Lietzman (1997): Von der konstitutionellen zur totalitären Diktatur. Carl Joachim Friedrichs Totalitarismustheorie. In: Alfons Söllner et al (Hrsg.): Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Berlin, S.174-192, Zitat auf S.191

[37] Lietzmann schreibt: „[...] man kann nicht Antitotalitarismus und Demokratie umstandslos für dasselbe halten, wie es sich im Kalten Krieg so schön einbürgerte und nach der deutschen Einheit bisweilen fortgesetzt wird.“ Vgl. Lietzmann, a.a.O.

[38] Vgl. Robert Erlinghagen, Johannes Klotz und Gerd Wiegel (1999): Die Renaissance der Totalitarismustheorie. Zur geschichtspolitischen Bedeutung und zur wissenschaftlichen Tragfähigkeit. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 1/1999, S.89-98, Zitat auf S.98

[39] Vgl. z.B. Horst Möller (1999): Der rote Holocaust und die Deutschen. Die Debatte um das >>Schwarzbuch des Kommunismus<< München

[40] Vgl. Reinhard Opitz (1984): Faschismus und Neofaschismus. Frankfurt am Main, S.239

[41] Vgl. Hans-Hellmuth Knütter (1982): Hat der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik eine Chance? In: Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Sicherheit in der Demokratie. Die Gefährdung des Rechtsstaates durch Extremismus. Köln. Zitat auf S.113. Knütter, Autor dieser von offizieller Seite herausgegebenen Studie, zählt zu den Stammautoren der Jungen Freiheit.

[42] Vgl. exemplarisch Antonia Grunenberg (1993): Antifaschismus. Ein deutscher Mythos. Reinbeck bei Hamburg. Zur Kritik vgl. Frank Deppe (1996): Heimkehr in die >>Hölle des Juste Milieu<< - Zur Kritik von Antonia Grunenberg: >>Antifaschismus – ein deutscher Mythos<<. In: Frank Deppe, Georg Fülberth, Rainer Rilling (1996): Antifaschismus. Heilbronn. S.388-402

[43] Vgl. Herbert Schui et al (1997): Wollt ihr den totalen Markt. Der Neoliberalismus und die extreme Rechte. München

[44] Vgl. Gerd Wiegel (2002): Populismus als Erfolgsrezept. Form und Inhalt einer erneuerten Rechten – Gefahr auch in Deutschland. In: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung. Nr.51 September 2002, S.20-31, Zitat auf S.27

[45] Vgl. Schui, a.a.O.

[46] Vgl. Theodor Geiger (1932): Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage. Stuttgart

[47] Vgl. Theodor Geiger (1930): Panik im Mittelstand, a.a.O.

[48] Vgl. Geiger, Panik, a.a.O., S.641

[49] Vgl. Geiger, Panik, a.a.O., S.643ff.

[50] Vgl. Geiger, Panik, a.a.O., S.654

[51] Theodor Geiger (1931): Die Mittelschichten und die Sozialdemokratie. In: Die Arbeit 8, 1931, S.619-635

[52] Vgl. Geiger, a.a.O., S.77

[53] ebd.

[54] Vgl. Geiger, a.a.O., S.98

[55] Vgl. exemplarisch Adorno, Theodor W. u.a. (1969) Der autoritäre Charakter. Amsterdam [zuerst als >>Studies in Prejudice<< New York 1950]

[56] Vgl. Geiger, a.a.O, S.73, hier Tabelle 2. Die Summierung erfolgte nach Berufszugehörigen

[57] Vgl. Geiger, a.a.O., S.84

[58] Vgl. Geiger, a.a.O., S.105

[59] Vgl. Geiger, a.a.O., S.90

[60] ebd.

[61] Vgl. Geiger, a.a.O., S. IV

[62] Vgl. die Ausführungen auf S.109, Geiger, a.a.O.

[63] Vgl. Geiger, a.a.O., S.110

[64] Vgl. Geiger, a.a.O., S.110

[65] ebd.

[66] Vgl. Geiger, a.a.O., S.111

[67] ebd.

[68] ebd.

[69] Vgl. Geiger, a.a.O., S.112

[70] ebd.

[71] Vgl. Geiger, a.a.O., S.118

[72] ebd.

[73] ebd.

[74] ebd.

[75] Alle Zitate bei Geiger, a.a.O., S.120

[76] ebd.

[77] Vgl. Geiger, a.a.O., S.121

[78] ebd.

[79] Vgl. Geiger, a.a.O., S.121

[80] Vgl. Geiger, a.a.O., S.122

[81] ebd.

[82] Vgl. Geiger, a.a.O., S.120

[83] Vgl. Theodor Geiger (1949): Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel. Köln, Hagen, S.168

[84] Vgl. für den damaligen Zeitraum vor allem. E. Grünberg (1932): Der Mittelstand in der kapitalistischen Gesellschaft. Leipzig

[85] Walter Mannzen (1930): Die sozialen Grundlagen des Nationalsozialismus. In: Neue Blätter für den Sozialismus I, August 1930. Zitiert nach Wolfgang Kraushaar (1994): Implosion der Mitte II. In: Mittelweg 36, Heft 3/1994, S.73-91, Quellenangabe auf S.79

[86] Hendrik de Man (1931): Sozialismus und Nationalfaschismus. Potsdam. S.7f. Zitiert nach Wolfgang Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O, S.80. Kraushaar verwendet hier den modernen Sprachgebrauch, im Original erschien de Mans Buch jedoch unter dem Titel „Sozialismus und Nationalfascismus“ [sic!]

[87] Carl Mierendorff (1931): Was ist der Nationalsozialismus? Zur Topographie des Faschismus in Deutschland. In: Neue Blätter für den Sozialismus II, 4, April 1931. Svend Riemer (1932): Zur Soziologie des Nationalsozialismus. In: Die Arbeit, Heft 9, 1932, S.103. Zitiert nach Wolfgang Kraushaar (1994): Implosion der Mitte II, a.a.O., S.80

[88] Rudolf Heberle (1945): From Democracy to Nazism – A Regional Case Study on Political Parties in Germany. Baton Rouge; die überarbeitete Fassung der Ergebnisse findet sich auch in: Rudolf Heberle (1963): Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Stuttgart. Angaben nach Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.80

[89] Vgl. Wolfgang Kraushaar (1994): Implosion der Mitte II, a.a.O., hier S.81f.

[90] Zitiert nach Arthur Rosenberg (1974): Der Faschismus als Massenbewegung. In: Demokratie und Klassenkampf. Ausgewählte Studien. Herausgegeben von Hans-Ulrich Wehler. Frankfurt, S.221

[91] Harold Lasswell (1933): The Psychology of Hitlerism. In: The Political Quarterly, Vol. IV.; David J. Saposs (1935): The Role of the Middle Class in Social Development: Fascism, Populism, Communism, Socialism. In: Economic Essays in Honor of Wesley Clair Mitchell. New York. Hier zitiert nach Wolfgang Kraushaar (1994), Implosion der Mitte II, a.a.O., S.81f.

[92] Als exemplarische Untersuchung für die jüngere Debatte vgl. P. Manstein (1989): Die Mitglieder und Wähler der NSDAP 1919-1933. Frankfurt a.M./Bern/New York/Paris [2.Auflage]. Für die Entwicklung der Debatte vgl. W. Schieder u.a. [Hrsg.] (1976): Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich. Hamburg.

[93] Vgl. zu dieser Haltung Joachim C. Fest (1973): Hitler. Eine Biographie. Berlin (West) sowie derselbe im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit vom 12.10.1973; hier zitiert nach Reinhard Kühnl, Faschismustheorien,a.a.O., S.109

[94] Vgl. das Standardwerk Ernst Nolte (1963): Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action FranVaise, der italienische Faschismus, der Nationalsozialismus. München

[95] Vgl. Ernst Nolte (1968): Die Krise des liberalen Systems und der Aufstieg der faschistischen Bewegungen. München, Zitat auf S.420f.

[96] ebd.

[97] Vgl. L. Salvatorielli (1923), Nationalfacismo. In: Ernst Nolte [Hrsg.] (1967): Theorien über den Faschismus. Köln, Zitat auf S.131

[98] Programm zitiert nach Reinhard Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.100

[99] Vgl. Kühnl, a.a.O., S.102

[100] Georg Lukács (1968): Geschichte und Klassenbewußtsein. In: Werke Bd.2. Neuwied/Berlin(West), S.223

[101] Vgl. Geiger, Exkurs, a.a.O., S.109

[102] ebd.

[103] Vgl. Arthur Schweitzer (1970): Die Nazifizierung des Mittelstandes. Stuttgart

[104] Vgl. Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.98

[105] Vgl. hierzu vor allem den Abschnitt „IV. Wie hingen im deutschen Faschismus der Antisemitismus, die Judenverfolgungspolitik und die Judenvernichtung mit den Interessen des Monopolkapitals zusammen?“ in: Reinhard Opitz, Faschismus und Neofaschismus, a.a.O.,S.192-237 sowie für Lehmann (Alldeutscher Verband Bayern) die Seiten 16ff.

[106] Zur Genese von Hitlers Antisemitismus vgl. Brigitte Hamann (1996): Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. München, S.285-336

[107] Adolf Hitler [zuerst 1923]: Mein Kampf. 241/248. Auflage im Zentralverlag der NSDAP. München, S.349

[108] Bereits zu Beginn der 1920er Jahre traten viele Mitglieder des DVSTB der NSDAP bei. Vgl. auch die Angaben bei Werner Jochmann (1988): Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870-1945. Hamburg [Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 23], S.154.

[109] Der Hitler-Biograph Joachim C. Fest weist darauf hin, dass zu dieser Phase bereits die meisten antisemitischen Aktivisten der NSDAP beigetreten sind. Vgl. Joachim C. Fest (1973): Hitler. Eine Biographie. Frankfurt am Main, S.166-182

[110] Ian Kershaw schreibt hierzu: „Der Antisemitismus hatte nun [gemeint sind die Jahre ab 1926, Anmerk. RG] eine eher rituelle oder mechanische Funktion. Das Schwergewicht lag inzwischen auf dem Antimarxismus“. Vgl. Ian Kershaw (1998): Hitler. Band 1. Suttgart, Zitat auf S.369

[111] Vgl. S.M. Lipset (1959): Der >Faschismus<, die Linke, die Rechte und die Mitte. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 11.Jg., 1959, S.401-44. Weitere Veröffentlichungen in: S.M. Lipset (1962): Soziologie der Demokratie. Neuwied. In diesem Kapitel wird Lipset zitiert nach der 1980 erschienen Ausgabe des Sammelbandes von Ernst Nolte. Vgl. Seymor Martin Lipset: Der >>Faschismus<<, die Linke, die Rechte und die Mitte. In: Ernst Nolte [Hrsg.] (1980): Theorien über den Faschismus, a.a.O., S.449-491

[112] Vgl. Lipset, a.a.O., S.458

[113] Vgl. Lipset, a.a.O., S.486, Fußnote 29

[114] Dort, wo Lipset Geiger explizit aufführt, geschieht dies in nur beiläufiger Form. Die Leistung Geigers wird hier nicht entsprechend gewürdigt, zumal Geiger hier als Vertreter der Ansicht benannt wird, traditionell uninteressierte bzw. Jungwähler hätten die NSDAP maßgeblich gewählt. Eine explizite Thematisierung des Exkurses über die Mittelstände im Nationalsozialismus findet bezeichnenderweise nicht statt, obwohl Lipset das Buch über „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“ bekannt war. Vgl. Lipset, a.a.O., S.463f. und S.487, Fußnote 31.

[115] Vgl. Lipset, a.a.O., S.449

[116] ebd.

[117] Vgl. Lipset, a.a.O., S.450

[118] Vgl. Lipset, a.a.O., S.451

[119] Kurzzitate vgl. Harold Lasswell, The Psychology of Hitlerism, in: The Political Quaterly, 4, 1933, S.374. Hier zitiert nach Lipset, a.a.O., S.452f.

[120] Vgl. Lipset, a.a.O., S.453

[121] Vgl. Lipset, a.a.O., S.481f.

[122] Vgl. Lipset, a.a.O., S.454

[123] ebd.

[124] ebd.

[125] Vgl. Lipset, a.a.O., S.453

[126] Vgl. Lipset, a.a.O., S.456

[127] ebd.

[128] Vgl. Lipset, a.a.O., S.482

[129] Vgl. Lipset, a.a.O., S.456

[130] Lipset verweist z.B. mehrfach auf Karl D. Bracher (1954): Die Auflösung der Weimarer Republik. Stuttgart und Düsseldorf

[131] Vgl. Lipset, a.a.O., S.458

[132] ebd.

[133] Günther Franz schrieb beispielsweise: „Die Mehrheit der nationalsozialistischen Wähler stammte aus den bürgerlichen Parteien der Mitte.“ Vgl. Günther Franz (1957): Die politischen Wahlen in Niedersachsen 1867 bis 1949. Bremen-Horn, S.62. Hier zitiert nach Lipset, a.a.O., S.459

[134] Zitiert nach Lipset, a.a.O., S.460

[135] Vgl. Rudolf Heberle (1945): From Democracy to Nazism. Baton Rouge. Zitat im Original auf Seite S.112. Hier zitiert nach Lipset, a.a.O., S.461

[136] Vgl. Lipset, a.a.O., S.462

[137] Max Weber definiert Idealtypus im Kontext soziologischen „Verstehens“ wie folgt: „´Verstehen´ heißt in allen diesen Fällen: deutende Erfassung: a) des im Einzelfall real gemeinten (bei historischer Betrachtung) oder b) des durchschnittlich und annäherungsweise gemeinten (bei soziologischer Massenbetrachtung) oder c) des für den reinen Typus (Idealtypus) einer häufigen Erscheinung wissenschaftlich zu konstruierenden (´idealtypischen´) Sinnes und Sinnzusammenhangs. Solche idealtypischen Konstruktionen sind z.B. die von der reinen Theorie der Volkswirtschaftslehre aufgestellten Begriffe und `Gesetze´. Sie stellen dar, wie ein bestimmt geartetes, menschliches Verhalten ablaufen würde, wenn es streng zweckrational, durch Irrtum und Affekte ungestört, und wenn es ferner ganz eindeutig nur an einem Zweck (Wirtschaft) orientiert wäre. Das reine Handeln verläuft nur in seltenen Fällen (Börse) und auch dann nur annäherungsweise so, wie im Idealtypus konstruiert.“ Vgl. Max Weber (1985): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, 19. bis 23. Tausend. Tübingen. [zuerst 1922] Zitat auf S.4. Im Sinne der Weberschen Definition ist die Nichtexistenz eines reinen Idealtypus in der sozialen Realität zu beachten. Lipsets idealtypischer NSDAP-Wähler ist deshalb eher Sozialfigur denn reale Persönlichkeit.

[138] Vgl. Lipset, a.a.O., S.463

[139] ebd.

[140] Lipsets Begriff vom „Bollwerk“ ist in diesem Zusammenhang nicht unproblematisch, da die tatsächlichen politischen Träger der Weimarer Republik, die SPD, die DDP und das Zentrum nicht nahtlos in die hier vorgenommene Argumentation passen. Während die Analyse der SPD bei Lipset keine tragende Rolle spielt und aus den Reihen der DDP kein entscheidender Zuwachs für die NSDAP kam, schränkt Lipset ähnlich wie Geiger die Bedeutung des Zentrums für den NSDAP-Aufstieg mit Hinweis auf die geringen Streuverluste aufgrund der stabilen konfessionellen Bindung ein. Vgl. Lipset, a.a.O., S.458.

[141] Vgl. Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.99

[142] Die oben angeführten Zitate stammen aus folgenden Werken: G. Ritter (1948): Europa und die deutsche Frage, München; W. Roepke (1948): Die deutsche Frage, Erlenbach/Zürich, W. Hagemann (1948): Publizistik im Dritten Reich, Hamburg. Zitiert nach Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O.

[143] Vgl. Lipset, a.a.O., S.465ff.

[144] Vgl. hierzu Lipset, a.a.O., S.467

[145] ebd.

[146] Vgl. Lipset, a.a.O., S.469

[147] Vgl. Lipset, a.a.O., S.470

[148] Vgl. Lipset, a.a.O., S.474

[149] ebd.

[150] Zitate bei Lipset, a.a.O., S.482

[151] Vgl. dazu Lipset, a.a.O., S.476ff.

[152] Vgl. Lipset, a.a.O., S.479ff.

[153] Alle Zitate bei Lipset, a.a.O., S.481

[154] Vgl. Lipset, a.a.O., S.483

[155] ebd.

[156] Vgl. Arthur Rosenberg, a.a.O.

[157] Ralf Dahrendorf: Demokratie und Sozialstruktur in Deutschland. In: Ralf Dahrendorf (1961): Gesellschaft und Freiheit – Zur soziologischen Analyse der Gegenwart. München, S.267

[158] Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, a.a.O., S.424

[159] Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, a.a.O., S.424f.

[160] Vgl. Gottfried Eisermann (1970): Vorwort zu: Arthur Schweitzer: Die Nazifizierung des Mittelstandes. Stuttgart

[161] Vgl. Annette Leppert-Fögen (1974): Die deklassierte Klasse – Studien zu Geschichte und Ideologie des Kleinbürgertums. Frankfurt, S.261. Annette Leppert-Fögen analysiert in ihrer Studie die Ideologie und Geschichte des Kleinbürgertums durchaus in mit Lipset verwandter Weise, hält sie doch mit Einschränkungen an der Kategorie Extremismus der Mitte fest. Jedoch weist sie darauf hin, das die Mittelstände im Aufstieg der NSDAP bestenfalls eine „transitorische Rolle“ gehabt hätten, weshalb die faschistische Herrschaftsform kaum als „Herrschaft des Kleinbürgertums“ – wie Lipsets Argumentation nahelegt – eingeordnet werden könne. Vgl. hier vor allem den Abschnitt 259-288.

[162] Vgl. Wolfgang Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.87

[163] Vgl. Dahrendorf, a.a.O.

[164] Vgl. Heinrich August Winkler (1972): Extremismus der Mitte? Sozialgeschichtliche Aspekte der national-sozialistischen Machtergreifung. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. Bd.20, 1972 und Heinrich August Winkler (1972): Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. Die politische Entwicklung von Handwerk und Kleinhandel in der Weimarer Republik. Köln

[165] Vgl. Winkler, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.175

[166] In dem Aufsatz „Extremismus der Mitte?“ formuliert Winkler sinnverwandt, der Terminus >>Extremismus der Mitte<< suggeriere die Einschätzung „[...] als hätte der Nationalsozialismus irgendwo in der Mitte zwischen links und rechts gestanden. In Wirklichkeit konnte er wie andere faschistische Bewegungen nur im Bunde mit der traditionellen Rechten an die Macht kommen, und er erhielt diese Unterstützung, weil sich seine Angriffe ganz überwiegend gegen die politische Linke richteten.“ Vgl. Winkler, Extremismus der Mitte, a.a.O., S.190

[167] Vgl. Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, a.a.O., S.180

[168] Vgl. Leppert-Fögen, Studien, a.a.O., S.326

[169] Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, a.a.O., S.35

[170] Winkler, Extremismus der Mitte, a.a.O., S.186

[171] Winkler spricht u.a. von einer „Selbstentfremdung des politischen Liberalismus“. Vgl. Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, a.a.O., S.159

[172] Vgl. Michael H. Kater (1983): The Nazi-Party – A social profile of members and leaders. Cambridge, Mass, S.56. Zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.89

[173] Thomas Childers (1983): The Social Foundations of Facism in Germany – The Nazi Voters 1924-1932. Chapel Hill. Zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O.

[174] Richard Hammilton (1982): Who voted for Hitler? Princeton, N.Y.

[175] Vgl. Jürgen W. Falter (1991): Hitlers Wähler. München

[176] Vgl. Falter, a.a.O., S.371

[177] Vgl. exemplarisch für die Kritiker Heinz-Gerhard Haupt (1986): Mittelstand und Kleinbürgertum in der Weimarer Republik. In: Archiv für Sozialgeschichte, Heft 26, 1986, S.233. Ähnlich formuliert auch Friedrich Lenger (1989): Mittelstand und Nationalsozialismus. In: Archiv für Sozialgeschichte, 29, 1989, siehe vor allem S.195. Die Tendenz (nicht sämtliche Ergebnisse) von Lipset bestätigen folgende Untersuchungen: Detlef Mühlberger (Hrsg.) [1987]: The Social Basis of European Fascist Movement. London sowie Stein Larsen et al (Hrsg.)[1980]: Who were the Fascist? Social Roots of European Fascism. Bergen

[178] Vgl. Rainer Zitelmann (1989): Hitler: Selbstverständnis eines Revolutionärs. 2. überarb. u. erg. Auflage. Stuttgart

[179] Bei den kontrovers aufgenommenen Titeln handelt es sich um: Uwe Backes/Eckard Jesse/Rainer Zitelmann [Hrsg.] (1990): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus. Frankfurt am Main. Berlin [im folgenden wird zitiert nach der um ein Nachwort erweiterten Ausgabe von 1992] sowie Michael Prinz/Rainer Zitelmann [Hrsg.] (1991): Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt

[180] Vgl. Martin Broszat (1985): Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 3 (1985), Heft 5, S.373-385. Zur Modernisierungsthese vgl. insbesondere Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, a.a.O., hier vor allem das berühmte Kapitel „Das nationalsozialistische Deutschland und die soziale Revolution“, S.431ff.

[181] Vgl. zu einem relativ frühen Zeitpunkt exemplarisch Karl Heinz Roth (1992): Verklärung des Abgrunds. Zur nachträglichen „Revolutionierung“ der NS-Diktatur durch die Gruppe um Rainer Zitelmann. In: 1999, 7 (1992), H.I, S.7-11

[182] Kritisch dazu vor allem Johannes Klotz/Ulrich Schneider (1997): Die selbstbewußte Nation und ihr Geschichtsbild: Geschichtslegenden der Neuen Rechten – Faschismus/Holocaust/Wehrmacht. Köln

[183] Vgl. Ulrich Herbert (1989): Arbeiterschaft im „Dritten Reich“. Zwischenbilanz und offene Fragen. In: Geschichte und Gesellschaft (GG), 15, S.320-360

[184] Vgl. Klaus Mattheier (1973): Die Gelben. Nationale Arbeiter zwischen Wirtschaftsfrieden und Streik. Düsseldorf

[185] Vgl. Michael Schneider (1982): Die Christlichen Gewerkschaften 1894-1932. Bonn

[186] Vgl. Volker Kratzenberg (1987): Arbeiter auf dem Weg zu Hitler? Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation. Ihre Entstehung, ihre Programmatik, ihr Scheitern 1927-1934. Frankfurt am Main, Bern, New York

[187] Vgl. Jürgen W. Falter (1992): „Anfälligkeit“ der Angestellten – „Immunität“ der Arbeiter? Mythen über die Wähler der NSDAP. In: Uwe Backes et al [Hrsg.], Schatten, S.265-290, Zitat auf Seite 265

[188] Vgl. Jürgen W. Falter, „Anfälligkeit“, a.a.O., S.283

[189] Vgl. Jürgen W. Falter (1991): War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei? In: Michael Prinz/Rainer Zitelmann [Hrsg.] : Nationalsozialismus und Modernisierung., a.a.O., S.21-47

[190] Vgl. hierzu die bereits 1987 publizierten Überlegungen: Jürgen W. Falter [1987]: Warum die deutschen Arbeiter während des „Dritten Reiches“ zu Hitler standen. In: Geschichte und Gesellschaft, 13 (1987), S.217-231

[191] Vgl. hierzu auch die Studie von Michael Schneider (1995): >Volkspädagogik< von rechts. Ernst Nolte, die Bemühungen um die >Historisierung< des Nationalsozialismus und die >selbstbewußte Nation<. Bonn [Reihe Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung]. Schneiders prägnante und kritische Darstellung der damaligen Geschichtsdiskurse weist auf deren ideologisch-politischen Implikationen hin, versäumt jedoch eine genaue Analyse der Publikationen von Jürgen W. Faltern in Hinblick auf deren tendenziöse Sinnverschiebungen im Kontext der Kooperation mit Rainer Zitelmann.

[192] Vgl. Falter, War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei?, a.a.O., Zitat auf Seite 41f.

[193] Vgl. die Ausführungen unter Abschnitt 5.5.4. Zitat bei Falter, Hitlers Wähler, a.a.O., S.371. Im folgenden synoptischen Verfahren wird die Fassung der Passage aus Hitlers Wähler, S.371 mit der aus dem Aufsatz „War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei?“ (in Prinz und Zitelmann, Nationalsozialismus und Modernisierung, a.a.O., S.41f.) verglichen, um die veränderte, d.h. für die >>Widerlegung<< der Mittelschichtshypothese nutzbare Konnotation der Ergebnisse in dem Zitelmann-Band nachzuweisen.

[194] Die hier angeführte Publikation von „Hitlers Wähler“ erschien ebenso wie der Sammelband „Nationalsozialismus und Modernisierung“ im Jahre 1991, die Erstausgabe von „Schatten der Vergangenheit“ 1990.

[195] Vgl. Falter, >>Anfälligkeit<< der Angestellten?, a.a.O., S.266ff.

[196] Vgl. Falter, „>>Anfälligkeit<< der Angestellten“, a.a.O., S.283. Irritierend und widersprüchlich in diesem Zusammenhang auch die in dem Aufsatz „War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei?“ vorgenommene Bewertung, nach der die NSDAP aufgrund „[...] der sozialen Zusammensetzung ihrer Wähler her am ehesten eine Volkspartei des Protestes oder, wie man es wegen des nach wie vor überdurchschnittlichen, aber eben nicht erdrückenden Mittelschichtanteils unter ihren Wählern in Anspielung auf die resultierende statistische Verteilungskurve formulieren könnte, eine „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“. Vgl. Falter, Volkspartei, a.a.O., S.42.

[197] Auch Reinhard Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.115 weist mit Nachdruck darauf hin „[...] daß auch die Arbeiterschaft keineswegs prinzipiell immun ist gegen die faschistische Propaganda und Ideologie.“

[198] Vgl. Falter, „>>Anfälligkeit<< der Angestellten“, a.a.O., S.279f.

[199] Vgl. Falter, Volkspartei, a.a.O., S.29f.

[200] Vgl. Falter, „>>Anfälligkeit<< der Angestellten“, a.a.O., S.284

[201] Vgl. dazu die Ausführungen unter Abschnitt 5.7.1

[202] Vgl. Falter, Volkspartei, a.a.O., S.27

[203] Falter, „>>Anfälligkeit<< der Angstellten“ (S.288f.) kritisiert an Jürgen Kocka (1981), Die Angestellten in der deutschen Geschichte 1850-1980, Göttingen die unzureichende Hinzufügung neuer empirischer Untersuchungen und beklagt Kockas Verwendung veralterter wahlhistorischer Forschungsergebnisse.

[204] Neben der Fragestellung für rollentheoretische und sozialstrukturelle Ansätze sind diese Überlegungen vor allem in der Soziologie von Pierre Bourdieu von besonderer Wichtigkeit. Insbesondere der Bezug auf die über den Habitus ausgetragenen Klassenkämpfe sollte zum Besteck jeder Sozialanalyse in machtkritischer Absicht gehören. Vgl. exemplarisch den Klassiker Pierre Bourdieu (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main

[205] Heinrich Mann (1991): Der Untertan. Roman. 33.Auflage. Taschenbuchausgabe, München [zuerst 1918]

[206] Dem Datum 1848 stehen der Krieg gegen Österreich 1866 und der Krieg gegen Frankreich 1870 gegenüber, das deutsche Bürgertum versuchte durch die Übernahme verschiedener Verkehrsformen des Adels wie Duell oder Mensur zwanghaft einen anderen Status einzunehmen; der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einflussreiche Philosoph Oswald Spengler charakterisierte die parlamentarische Demokratie gar als „inneres England“.

[207] Vgl. Sebastian Haffner (1994): Der Verrat. 1918/19 – als Deutschland wurde, wie es ist. Berlin. 2. Auflage der Neuausgabe [zuerst 1969]

[208] Vgl. Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.108

[209] Vgl. Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.112

[210] Bezeichnenderweise hat vor allem Lipset mit seinem Instrumentarium nicht die Möglichkeit überzeugend zu erklären, warum nicht unerhebliche Teile der lohnabhängig Beschäftigten für die NSDAP votierten, da dessen Fixierung auf die Mittelstände eine derartige Frage vernachlässigenswert erscheinen lässt und insofern auch keine vollständige Sozialstrukturanalyse leistet.

[211] Entgegen einem zählebigen Vorurteil, demzufolge marxistische Faschismustheorien die Frage nach den Gründen für die Vernichtung der europäischen Juden lediglich ökonomistisch, d.h. aus Profitinteressen heraus ableiten, sei darauf verwiesen, das selbst dem klassischen Marxismus-Leninismus zuzurechnende Historiker wie Kurt Pätzold bereits vor Jahrzehnten die Probleme einer Verselbstständigung der antisemitischen Ideologie gegenüber der >>rationalen<< kapitalistischen Dynamik gesehen haben, weshalb der Einwand, die Shoa könne aus reinem Kapitalinteresse nicht erklärt werden, von marxistischer Seite keinesfalls ignoriert wurde. Vgl. dazu exemplarisch Kurt Pätzold (1975): Faschismus – Rassenwahn – Judenverfolgung. Berlin [DDR]

[212] Vgl. Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O., S.116f.

[213] Zum Verhältnis von Liberalismus und (Neo-)Faschismus vgl. Norbert Frei (2002): Deutsches Programm. Wie Nordrhein-Westfalens FDP Anfang der fünfziger Jahre bewährte Nazis zur Unterwanderung der Partei einlud. In: Die Zeit Nr.23/2002. Wiederveröffentlicht in: Tobias Kaufmann, Manja Orlowski [Hrsg.] (2002): „Ich würde mich auch wehren...“ Antisemitismus und Israel-Kritik – Bestandsaufnahme nach Möllemann. Potsdam. Vgl. auch Jakob Moneta (1996): Schützt Liberalismus vor Faschismus? In: Frank Deppe, Georg Fülberth, Rainer Rilling: Antifaschismus, a.a.O., S.255-266

[214] Vgl. zur kritischen Übersicht Kühnl, Faschismustheorien, a.a.O.

[215] Vgl. SINUS-Institut (1981): 5 Millionen Deutsche: >>Wir sollten wieder einen Führer haben...<<. Die SINUS-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen. Reinbeck bei Hamburg

[216] Franz Schönhuber (1981): Ich war dabei. München

[217] Klaus Naumann (1989): Die Geburt des Rechtsextremismus aus der Mitte. In: Deutsche Volkszeitung/die tat, Nr. 28, 7. Juli 1989, S.3. Zitiert nach Wolfgang Kraushaar (1989): Implosion der Mitte, Teil II, a.a.O., S.73

[218] Vgl. Klaus Naumann (1989): Republikaner sind wir doch alle – Zeitgemäßes zum Umgang mit Parteien und Potentialen von rechtsaußen. In: Vorgänge Nr.101, Mai 1989, S.14. Zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte II,a.a.O., S.76

[219] Hans-Helmuth Knütter (1961): Ideologien des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Eine Studie über die Nachwirkungen des Nationalsozialismus. Bonn. Vgl. hierzu die Seiten 208f.

[220] Zum Zeithintergrund des KPD-Verbots vgl. A. v. Brünnek (1978): Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968. Frankfurt am Main

[221] Vgl. Erwin Scheuch/Hans-Dieter Klingemann (1967): Theorie des Rechsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften. In: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 (1967), S.11-29, Zitat auf Seite 12f.

[222] Zum Verlauf vgl. die nach wie vor lesenswerte Einführung von Thomas Assheuer, Hans Sarkowicz (1992): Rechtsradikale in Deutschland: die alte und die neue Rechte. 2., aktualisierte Auflage. München, S.93ff. Eine ausführliche Untersuchung leistet Werner Bergmann (1990): Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmierwelle im Winter 1959/60. In: Werner Bergmann, Rainer Erb [Hrsg.]: Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945. Opladen, S.253-275

[223] Zur Wehrsportgruppe Hoffmann vgl. Ulrich Chaussy (1985): Oktoberfest. Ein Attentat. Darmstadt/Wien

[224] Vgl. hierzu vor allem Wilhelm Heitmeyer (1987): Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation. Weinheim/München

[225] ebd.

[226] Vgl. Wilhelm Heitmeyer (1992): Einig Vaterland – einig Rechtsextremismus? Sortierungsüberlegungen zu unübersichtlichen Rechtsextremismuspotentialen im vereinigten Deutschland. In: Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen (1992): Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern. Erfurt. Hier vor allem S.67f.

[227] Vgl. Wilhelm Heitmeyer (2000): Rechts kommt nicht aus dem Nichts. In: SozialExtra 9/2000, S.10

[228] Vgl. Wilhelm Heitmeyer et al (1992): Die Bielefelder-Rechtsextremismus-Studie. Weinheim/München

[229] Vgl. hierzu exemplarisch Wilhelm Heitmeyer (2001): Autoritärer Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus. Eine Analyse von Entwicklungstendenzen. In Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer: Schattenseiten der Globalisierung. Frankfurt am Main, S.497-530

[230] Vgl. Ursula Birsl, Peter Lösche (2001): (Neo-)Populismus in der deutschen Parteienlandschaft. Oder Erosion der politischen Mitte. In: Dietmar Loch, Wilhelm Heitmeyer: Schattenseiten der Globalisierung, a.a.O., S.346-380, Zitat auf S.369f.

[231] Interessant ist in diesem Zusammenhang Heitmeyers jüngste Publikation, die anknüpfend an sein Desintegrationsparadigma „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ misst und die These begründet, wonach materiell, sozial und politisch integrierte Personen keine signifikante Feindlichkeit gegenüber „ethnischen Minderheiten“ erkennen lassen. Ungeachtet der hier nicht zu erörternden Schwierigkeiten in der Begriffsbildung ist das Ergebnis auffällig, wonach mit 67,4 Prozent die klare Mehrheit derjenigen, denen die Forscher eine Nähe zum rechtspopulistischen Denken attestieren, sich selbst zur politischen Mitten zählen und CDU/CSU (56,1%) oder SPD (26,8%) wählen. Vgl. Wilhelm Heitmeyer [Hrsg.] (2002): Deutsche Zustände. Folge 1. Frankfurt am Main. Dieser Titel soll den Auftakt einer Reihe bilden, welche den „´klimatischen´ Zustand dieser Gesellschaft“ (S.10) dokumentieren soll.

[232] Vgl. hierzu vor allem die Ausführungen zu den Ereignissen in Rostock unter Abschnitt 7.2.2

[233] Vgl. dazu Heribert Prantl (1994): Deutschland leicht entflammbar. Ermittlungen gegen die Bonner Politik. München, S.11f.

[234] Den Bedeutungswechsel des Begriffs Reform, einst anknüpfend an die Direktive „Mehr Demokratie wagen!“ der Ära Brandt 1972ff. ein Versprechen für mehr Partizipation und Wohlstand, haben Thomas Ebermann und Rainer Trampert treffend mit den knappen Worten zusammengefasst: „Die Ankündigung einer Reform ist heute eine Drohung.“ Vgl. Thomas Ebermann, Rainer Trampert (1996): Die Offenbarung der Propheten. Über die Sanierung des Kapitalismus, die Verwandlung linker Theorie in Esoterik, Bocksgesänge und Zivilgesellschaft. Hamburg, Zitat auf S.7

[235] Vgl. Prantl, a.a.O.

[236] Vgl. Wolfgang Gessenharter (1994): Kippt die Republik? Die Neue Rechte und ihre Unterstützung durch Politik und Medien. München

[237] Vgl. zur „Neuen“ Rechten neben den bereits erwähnten Publikationen von Assheuer/Sarkowicz, a.a.O. und Reinhard Opitz, a.a.O., aktuell den Titel von Alice Brauner-Orthen (2001): Die Neue Rechte in Deutschland. Antidemokratische und rassistische Tendenzen. Opladen.

[238] Alain de Benoist (1985), Kulturrevolution von rechts. Krefeld, S.21ff.

[239] Vgl. dazu auch Assheuer/Sakrkowiczs, Rechtsradikale, a.a.O., S.167

[240] Vgl. Alain de Benoist (1999): Die Nouvelle Droite (Neue Rechte) des Jahres 2000. In: Junge Freiheit vom 24. September 1999.

[241] Vgl. Ernst Nolte (1987): Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte. In: Ernst Piper (1987): Historikerstreit. Die Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München. [zuerst in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juni 1986]

[242] Vgl. Ernst Nolte (1992): Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus. Berlin, S. 304

[243] Zitate bei Nolte, Streitpunkte, a.a.O., S.308

[244] Vgl. Heilbrunn, Jacob (1996): Germany´s New Right. In: Foreign Affairs (November/December 1996), S.80-98. Heilbrunns essayistisch-journalistische Abhandlung zeigt paradigmatisch die Irritation des US-Publikums angesichts der Neuformierung einer „neuen“ intellektuellen Rechten in Deutschland.

[245] Vgl. Heimo Schwilk, Ulrich Schacht (1994): Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte. Berlin sowie Rainer Zitelmann et al (1993): Westbindung. Chancen und Risiken für Deutschland. Frankfurt am Main und Berlin. Vgl. für weitere Beispiel aus diesem Zeitrahmen auch die Überblicksdarstellung von Micha Brumlik (1996): Das rechtskonservative Projekt. Zur Einführung. In: Deborah E. Lipstadt: Leugnen des Holocaust – Rechtsextremismus mit Methode. Reinbeck bei Hamburg, S.9-27

[246] Vgl. Maria Zens (1994): Vergangenheit verlegen. Zur Wiederherstellung nationaler Größe im Hause Ullstein. In: Hans-Joachim Lohmann: Extremismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation. Frankfurt am Main, S.105-122

[247] Vgl. Karlheinz Weißmann (1995): Der Weg in den Abgrund: Deutschland unter Hitler 1933 bis 1945. Berlin [Propyläen-Geschichte Deutschlands; Band 9]

[248] Vgl. Noberto Bobbio (1994): Rechts und links. Gründe und Bedeutung einer politischen Unterscheidung. Berlin

[249] Vgl. Micha Brumlik, Das rechtskonservative Projekt, a.a.O., S.19

[250] Friedbert Pflüger (1994): Deutschland driftet. Die Konservative Revolution entdeckt ihre Kinder. Düsseldorf, Wien, New York, Moskau

[251] Zitate im folgenden nach Pflüger, Deutschland driftet, a.a.O. S.58ff.

[252] Zitate nach Pflüger, a.a.O., S.58f.

[253] Sämtich Kurzzitate nach Pflüger, a.a.O., S.59f.

[254] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.61f.

[255] Vgl. hierzu und im folgenden Pflüger, a.a.O., S.122

[256] ebd.

[257] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.123f.

[258] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.122

[259] Vgl. hierzu die zahlreichen Arbeiten des sorgfältig recherchierenden Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Dazu zählen vor allem die Arbeiten von Siegfried und Margret Jäger, Jürgen Link, Helmut Kellershohn, Martin Dietzsch, Alfred Schobert u.v.m. Vgl. exemplarisch für die Analyse der „Neuen“ Rechten den Sammelband von Helmut Kellershohn (Hrsg.) [1994]: Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit. Duisburg

[260] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.175

[261] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.190

[262] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.194

[263] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.61

[264] Eine bekannte, auf den führenden Vertreter des Kritischen Rationalismus, Sir Karl Raimund Popper (1902-1994) und dessen grundlegendes zweibändiges Werk Die offene Gesellschaft und ihre Feinde zurückgehende Kritik an „Utopisten“ wie Marcuse besagt, dass in der gesellschaftlichen Verwirklichung philosophischer „Wahrheiten“ bereits unmittelbar die Gefahr diktatorischer Unterdrückung liegt. Popper, der dies u.a. an Platon, Hegel und Marx beweisen will, ist auch ein wichtiger Bezugsrahmen für die pragmatische Kritik eines Friedbert Pflüger an den konservativen Gegnern des liberalen Verfassungsstaats. Da für Popper und dessen Anhänger kein wissenschaftlich letztbegründetes Fundament, keine „absolut“ gesicherte Wahrheit existiert und Politik folglich rationalen Kriterien, nicht aber weltfernen Entwürfen entsprechen sollte, ist der Rekurs auf „wahre“ nationale und kulturelle Identitäten durch die „Konservative Revolution“ für die Popper-Schule im Kern ideologisch, d.h. unwissenschaftlich und irrational. Vgl. Karl Popper (1975): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde: Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen. 2 Bände. 4. Auflage. München.

[265] „Anders als die linke Phantasie malt sich die rechte kein künftiges Weltreich aus, bedarf keiner Utopie, sondern sucht den Wiederanschluß an die lange Zeit, die unbewegte, ist ihrem Wesen nach Tiefenerinnerung und insofern eine religiöse oder protopolitische Initiation.“ Botho Strauss zitiert nach Pflüger, a.a.O., S.40f.

[266] Vgl. Herbert Marcuse (1967): Der eindimensionale Mensch. Neuwied

[267] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.42f.

[268] Vgl. Pflüger, a.a.O., S.43

[269] Ursel Sieber [Hrsg.] (1994): Deutsche Demokraten: wie rechtsradikal sind CDU und CSU? Göttingen

[270] Vgl. hierzu Wolfgang Schäuble (1994): Und der Zukunft zugewandt. Berlin, S.217f. Ein früherer Versuch einer pointierten Rechtspositionierung innerhalb der Union war Jürgen Todenhöfer (1989): Ich denke deutsch. Abrechnung mit dem Zeitgeist. 2.Auflage. Berlin

[271] Vgl, Schäuble, a.a.O., hier S.197

[272] Vgl. Schäuble, a.a.O., S.199

[273] Vgl. Hans-Martin Lohmann (1994): Extremismus der Mitte, a.a.O.

[274] Vgl. Hans-Martin Lohmann (1994): Von der Gesellschaft zur Nation – ein deutscher Sonderweg“ In: Hans-Martin Lohmann (1994): Extremismus der Mitte, a.a.O., S.9-22, Zitat auf S.17

[275] Vgl. Wolfgang Kraushaar (1994): Extremismus der Mitte. Zur Geschichte einer soziologischen und sozialhistorischen Interpretationsfigur. In Lohmann, a.a.O., S.23-50

[276] Vgl. Margret Jäger/Siegfried Jäger [Hrsg.] (1991): Aus der Mitte der Gesellschaft (I-IV). Zu den Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus in Europa. Dortmund

[277] Vgl. Peter Glotz (1994): Extremismus der Mitte. Plädoyer für die differenzierte Auseinandersetzung im intellektuellen Kampf gegen die neuen Rechten. In: Die Wochenpost vom 16. Juni 1994. Zitiert nach Uwe Backes und Eckhard Jesse (1994), Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.13

[278] Vgl. Jürgen Habermas (1994): Der Extremismus, der aus der Mitte kommt. In: Die Zeit vom 30. September 1994. Zitiert nach Backes und Jesse, a.a.O., S.13

[279] Vgl. Jürgen Trittin (1993): Die Republik rutscht nach rechts. Göttingen

[280] Vgl. Bündnis 90/Die Grünen [Hrsg.] (1993): Rechte Gewalt und der Extremismus der Mitte. Bonn

[281] Vgl. Wolf-Dieter Narr (1992): Der Extremismus der Mitte. In: Vorgänge 31(1992), Nr.118, S.4-7, Zitat auf S.7

[282] Zur vollständigen Bibliographie vgl. Wolfgang Kraushaar (1994): Implosion der Mitte I. In: Mittelweg 36. April/Mai 1994 [Heft 2], S.10-27 ders.: Implosion der Mitte II. In: Mittelweg 36. Juni/Juli 1994 [Heft 3], S.73-91; ders: Implosion der Mitte III. In: Mittelweg 36. Oktober/November 1994 [Heft 5], S.65-76.

[283] Vgl. auch Wolfgang Kraushaar (1994): Extremismus der Mitte. Zur Geschichte einer soziologischen und sozialhistorischen Interpretationsfigur. In: Lohmann, Extremismus der Mitte, a.a.O., S.23-50; ders.: Radikalisierung der Mitte. Auf dem Weg zur Berliner Republik. In: Richard Faber/Hajo Funke/Gerhard Schoenberner [Hrsg.] (1994): Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt. Berlin

[284] Vgl. Backes/Jesse, a.a.O.

[285] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.10

[286] ebd.

[287] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.11-13

[288] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.14

[289] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.15

[290] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.16f.

[291] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.18

[292] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.18f.

[293] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.19

[294] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.21

[295] Vgl. hierzu die zusammenfassende Kritik an Lipset in Kraushaar, Implosion der Mitte III, hier S.65

[296] Vgl. die Studie vom Bundesministerium für Frauen und Jugend (Hrsg.) (1993): Materialien zur Jugendpolitik – Fremdenfeindliche Gewalt: Eine Analyse von Täterstrukturen und Eskalationsprozessen – Forschungsbericht, Bonn 1993. Referiert von Kraushaar in Implosion der Mitte I, a.a.O., S.22.

[297] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, S.22

[298] ebd.

[299] Jörg Bergmann/Claus Leggewie (1993): Die Täter sind unter uns – Beobachtungen aus der Mitte Deutschlands. In: Kursbuch Heft 113 [September 1993]. Zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte I, S.23

[300] ebd.

[301] Freimut Duve zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.24

[302] Eine Einschätzung des Skandals aus heutiger Sicht, lieferte im letzten Jahr der ZDF-Korrespondent Jochen Schmidt, der die damaligen politischen Verantwortlichen scharf kritisiert, jedoch keinen Hinweis auf einen expliziten Pakt liefert. Vgl. Jochen Schmidt (2002): Politische Brandstiftung. Warum 1992 in Rostock das Ausländerwohnheim in Flammen aufging. Berlin.

[303] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S.26

[304] Vgl. Hajo Funke, Brandstifter, a.a.O., Zitat auf S.155. Zitat auch bei Kraushaar, Implosion der Mitte I, S.27. Innenminister Kupfer hatte im Zusammenhang mit dem Ereignissen von einem „gewissen Verständnis“ für die Anwohner der Zentralen Aufnahmestelle geäußert, dem rassistischen Pogrom also eine Berechtigung attestiert. Vgl. ebd.

[305] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte I, a.a.O., S. 27

[306] ebd.

[307] Vgl. Claus Leggewie (1989): Die Republikaner – Phantombild der Neuen Rechten. Berlin, S.89. Zitat bei Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.73

[308] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.74

[309] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.77

[310] Vgl. hierzu die Ausführungen in Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.77-82

[311] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte II, a.a.O., S.82-90

[312] Kraushaar übernimmt (in Implosion der Mitte III, a.a.O., S.65) diesen problematischen Terminus, der suggeriert, Hitler habe die Macht ohne >>fremde<< Hilfe übernommen. Der Blick wird dadurch auf eine einzige Person verengt, historische Hintergründe und Kräftekonstellationen verschwinden dahinter gänzlich. Würde stattdessen korrekter von einer „Machtübergabe an Hitler“ gesprochen, würde die Perspektive auf die Personen erweitert, die Hitler mit dem „Kabinett der nationalen Konzentration“ den Weg zur Macht ebneten. Die Untersuchung dieser aus Reichswehrvertretern, Schwerindustriellen, Bankiers, ostelbischen Grundbesitzen etc. bestehenden >>Kamarilla<< hinter Hindenburg würde eine andere Deutung ermöglichen, als jene mit der Rede von der „Machtergreifung“ verbundene Vorstellung, Hitler sei ein „Betriebsunfall“ gewesen. Vgl. dazu auch Emil Carlebach (1993): Hitler war kein Betriebsunfall. Hinter den Kulissen der Weimarer Republik: Die programmierte Diktatur. 5. Auflage. Bonn

[313] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.65

[314] ebd.

[315] ebd.

[316] ebd.

[317] ebd.

[318] ebd.

[319] Dahrendorf entwickelte in Anschluss an Theodor Geiger ein die Kontinuitäten und Brüche seit der Weimarer Republik berücksichtigendes Schichtungsmodell der Bundesrepublik Deutschland, welches ein Mentalitätsmodell sozialer Schichtung unter der besonderen Berücksichtigung sozio-kultureller und sozio-politischer Aspekte darstellte. In einem hausförmigen Bild siedelt er die verschiedenen Schichten des deutschen Volkes an und trennt diese durch Grenzmarkierungen, welche Formen von Schicht- bzw. Klassenschranken aufzeigen sollen. Diese sind – so Dahrendorf – durch beschwerliche Umwege durchlässig. Wichtig für unseren Kontext ist die von Dahrendorf analyisierte „Dientklassenmentalität“ z.B. der nicht-technischen Beamten und Verwaltungsangestellten, welche stark von individueller Konkurrenz geprägt ist sowie der sog. „falsche Mittelstand“ (laut Dahrendorfs Schätzung 12% der Erwerbstätigen). Mit dem Terminus „falscher Mittelstand“ (Arbeiter der Tertiärindustrien) wird der Mittelstandsbegriff um eine wichtige Gruppe erweitert. Durch die Tätigkeit im Dienstleistungssektor bildet sich nämlich nach Dahrendorf bei lohnabhängig Beschäftigten ein ständisches Selbstbild heraus, dessen Resultat eine Abgrenzung etwa der Verkäuferin von der „proletarischen“ Näherin ist. Hier wäre der Verdacht naheliegend, dass bei Angehörigen dieser Sozialgruppen ein instabiles Gesellschaftsbild spezifische Dispositionen schafft, die reaktionären Ideologien Vorschub leistet. Vgl. hierzu Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, a.a.O., S.94-115, Schichtungsgrafik auf Seite 105

[320] Vgl. hierzu die Ausführungen von Kraushaar, Implosion der Mitte III, a.a.O., S.67f.

[321] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.68

[322] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.69

[323] ebd.

[324] Schmidt-Zitat nach Kraushaar, Implosion der Mitte III, a.a.O., Zitat auf S.70

[325] Altkanzler Helmut Schmidt im Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 12.September 1992. Zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte III, a.a.O., S.70

[326] „Die automatische Kopplung von Verfassungskonformität und Mitte-Position ist ein Trugschluß, den es aufzulösen gilt“ Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.70

[327] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.72

[328] Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.76

[329] Das „Jahrbuch Extremismus und Demokratie (E&D)“ erscheint seit 1989 in der Baden-Badener Nomos-Verlagsgesellschaft. Zum wissenschaftlichen Kuratorium zählen neben den Herausgebern Backes und Jesse bekannte Politologen und Historiker wie Klaus von Beyme, K.D. Bracher, Peter Graf Kielmannsegg und Jürgen W. Falter.

[330] Vgl. Bernd Rabehl (2002): Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland. Dresden

[331] Vgl. Backes/Jesse (1995): Extremismus der Mitte?, a.a.O.

[332] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.15

[333] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.16

[334] ebd.

[335] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.17

[336] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, S.19

[337] ebd.

[338] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.21

[339] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.22

[340] ebd.

[341] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.23

[342] ebd.

[343] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.24

[344] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.25

[345] ebd.

[346] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.25f.

[347] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.25

[348] Vgl. Bakces/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.26

[349] ebd.

[350] Vgl. Hans-Martin Lohmann, Extremismus der Mitte, a.a.O.

[351] Merkwürdig euphemistisch klingt jedoch die Anmerkung Rudzios in Bezug auf die Kritik am Konzept der Nation, man „[...]könnte sich ja angesichts seiner Abnutzung [sic!] im Dritten Reich etwas Sensibilität bei der Verwendung wünschen[...]“ bzw. seine Auffassung, bei „Volk“ und „Vaterland“ handele es sich um weniger emphatische Begriffe als bei „Nation“. Als sei der auf die Französische Revolution zurückgehende moderne Begriff der Nation von den Nazis „abgenutzt“ worden! Vgl. Wolfgang Rudizio(1995): Von der Antifa-Keule zum >>Extremismus der Mitte<<?. Rezensionsessay. In: Uwe Backes/Eckard Jesse (1995) Jahrbuch Extremismus und Demokratie (E&D) 1995, a.a.O., S.248-250

[352] Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte?, a.a.O., S.26

[353] Einen Überblick über dessen Arbeiten, die sich sehr kritisch mit der „traditionellen“ und „stalinistischen“ Linken auseinandersetzen, gibt Wolfgang Kraushaar (2001): Linke Geisterfahrer. Denkanstösse für eine antitotalitäre Linke. Frankfurt am Main.

[354] Vgl. Wolfgang Kraushaar (1998): Unsere unterwanderten Jahre – Die barbarische und gar nicht schöne Infiltration der Studentenbewegung durch die Organe der Staatssicherheit. In: FAZ vom 7.April 1998. Zur Kritik vgl. Frank Deppe (1998): Die Methode Gauck und ders.(1998): Zur Diskussion um Wolfgang Abendroth. In Sozialismus 7-8/1998, S.17-21. Zum Zeitpunkt ihrer Kritik konnten Backes und Jesse diesen speziellen Beitrag freilich nicht kennen, trotzdem war der Vorwurf gegenüber Kraushaar schon damals irreführend, da sich Kraushaar bereits früh mit der Protestgeschichte der Bundesrepublik Deutschland befasste.

[355] Vgl. Wolfgang Kraushaar (2001): Spuren eines Paradigmenwechsels. Von der Totalitarismus- zur Faschismustheorie. In: Kraushaar, Linke Geisterfahrer, a.a.O., S.109-130. Ebenfalls veröffentlicht in Söllner et al, Totalitarismus, a.a.O. unter dem Titel „Von der Totalitarismustheorie zur Faschismustheorie – Zu einem Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Studentenbewegung, S.267-283

[356] Zur Kritik an Kraushaar Reformulierung der Totalitarismustheorie vgl. Karl-Heinz Roth (1996): >>Sich aufs Eis wagen<< - Zur Wiederbelebung der Totalitarismustheorie durch das Hamburger Institut für Sozialforschung. In: Deppe, Fülberth, Rilling, Antifaschismus, a.a.O., S.403-415

[357] Kraushaar sei zur Widerlegung dieses Vorwurfs an dieser Stelle nochmals ausdrücklich zitiert: „Kurzum: Das analytische Instrumentarium verfügt nicht über die ausreichende Präzision, um einen so engen Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und politischem Verhalten, wie ihn die Theorie vom Extremismus der Mitte voraussetzt, begründet hypostasieren zu können.“ Vgl. Kraushaar, Implosion der Mitte III, a.a.O., S.68. Das Backes und Jesse diese Textfassung kannten, wird aus ihren Literaturangaben ersichtlich, in denen sie selber auf den Dreiteiler im Mittelweg 36 hinweisen. Vgl. Backes/Jesse, Extremismus der Mitte, a.a.O., S.21, hier die Angaben in Fußnote 26

[358] Beispielhaft Eckhard Jesse (1993): 1968 – und 25 Jahre später. In: Mut, Nr. 315, S.21

[359] Der Titel des Vortrags von Uwe Backes am 2. Dezember 2002 in der Hamburger Konrad-Adenauer-Stiftung war: „Tabuisierung des Extremismusbegriffs in Deutschland. Über die Ungleichbehandlung des Links- und Rechtsextremismus“ Vgl. die Terminankündigung in der FAZ vom 14. November 2002, S.48

[360] Zu den jüngsten Veröffentlichungen, die daran anknüpfen zählt Christoph Butterwegge (2002): Wie die Themen der Rechten zu Themen der Mitte werden. In: Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik 160. Heft 4 Dezember 2002, S.86-93. Eine gekürzte Fassung erschien unter dem Titel „Extremismus der Mitte“ in der Frankfurter Rundschau vom 18.Dezember 2002

[361] Vgl. Christoph Butterwegge u.a., Themen der Rechten – Themen der Mitte, a.a.O. (Angaben in FN5)

[362] Butterwegge, Einleitung, a.a.O., S.7

[363] ebd.

[364] Unpräzise ist jedoch die von Alexander Häußler und Christoph Butterwegge im Abschnitt >>(De)-Konstruktion der symbolischen Begriffe „Mitte“ und „Extremismus“<< formulierte Einordnung: >>„Extremismus der Mitte“ ist ein Terminus, der 1930 von Theodor Geiger zur Kennzeichnung des kleinbürgerlichen Herkunftsmilieus der NS-Bewegung eingeführt und 1958 von Seymor Martin Lipset, einem US-amerikanischen Soziologen, wieder aufgenommen wurde, um den historischen Faschismus als Mittelklassenbewegung zu charakterisieren.<< (Vgl. S.239). Tatsächlich hat wie in Teil I gezeigt, Geiger das soziologische Theorem eingeführt, der Terminus aber geht originär auf Lipset zurück, der sich selber wiederum - wie gezeigt - nicht explizit mit Geigers Mittelstandsanalyse auseinandergesetzt hat.

[365] Vgl. Gudrun Hentges (2002): Das Plädoyer für eine „deutsche Leitkultur“ – Steilvorlage für die extreme Rechte? In: Butterwegge, a.a.O., S.95-122, hier S.121

[366] Vgl. Alexander Häußler (2002): Die „Nationalstolz“-Debatte als Markstein einer Rechtsentwicklung der bürgerlichen Mitte. In: Butterwegge u.a., a.a.O., S.123-146

[367] Vgl. Christoph Butterwegge (2002): Stirbt „das deutsche Volk“ aus? – Wie die politische Mitte im Demografie-Diskurs nach rechts rückt. In: Butterwegge u.a., a.a.O., S.167-216

[368] Vgl. hierzu als exemplarische Ausarbeitung Christoph Butterwegge, Alexander Häußler (2002): Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus: Randprobleme oder Phänomene der Mitte? In: Butterwegge u.a., a.a.O., S.217-266

[369] Vgl. Christoph Butterwegge, Alexander Häußler (2001): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Rechtsextreme Einflüsse auf Debatten zu Migration, Integration und multikulturellem Zusammenleben. Medienexpertise im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen Nordrhein-Westfalen (LAGA NRW). Köln

[370] Vgl. Florian Coulmas (2002): Deutschland den Deutschen. Jetzt werden die Ausländer doch noch zum Wahlkampfthema. In: Süddeutsche Zeitung vom 17. September 2002, S.13

[371] ebd.

[372] ebd.

[373] ebd

[374] Vgl. Heiner Geißler et al (1992): Plädoyers für eine multikulturelle Gesellschaft. Akademie der Diozöse Rottenburg-Stuttgart. Stuttgart.

[375] Hier zitiert nach Martin Walser (1998): Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1998. Mit einer Laudatio von Frank Schirrmacher. Sonderdruck. Frankfurt am Main.

[376] Zur Kritik vgl. Kurt Lenk (1999): Nur ein Medienphänomen? Martin Walsers jüngste Ich-Überschreitung. In: Das Argument 229/1999, S.71-75

[377] Vgl. Walser, a.a.O., S.25

[378] Vgl. Walser, a.a.O., S.18

[379] Vgl. Walser, a.a.O., S.20

[380] Zur Kontroverse vgl. Gerd Wiegel, Johannes Klotz [Hrsg.] (1999): Geistige Brandstiftung? Die Walser-Bubis-Debatte. Köln sowie Gerd Wiegel, Johannes Klotz [Hrsg.] (2001): Geistige Brandstiftung. Die neue Sprache der Berliner Republik. Berlin. Grundsätzlich zur Rezeption: Moshe Zuckermann (1998): Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands. Göttingen sowie Moshe Zuckermann (1999): Gedenken und Kulturindustrie. Ein Essay zur neuen deutschen Normalität. Berlin und Bodenheim bei Mainz

[381] Vgl. Martin Dietzsch, Alfred Schobert [Hrsg.] (1999): Endlich ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin Walsers. Eine Dokumentation. Duisburg

[382] Vgl. Walser, a.a.O., S.13

[383] Vgl. Walser, a.a.O., S.14f.

[384] Vgl. Walser, a.a.O., S.15

[385] Vgl. Walser, a.a.O., S.16

[386] ebd.

[387] Vgl. Walser, a.a.O., S.17

[388] Vgl. Walser, a.a.O., S.18

[389] Kurt Lenk hat in seinem Aufsatz im Argument (Lenk, Medienphänomen, a.a.O.) darauf hingewiesen, das Walser durchgängig von Volk und nicht von Gesellschaft spreche und sich somit „in der Tradition eines national-völkischen Deutungsmusters“ (S.71) befinde. Lenk kritisiert, für Walser wären „[...]Begriffe wie >>Heimat<< >>Volk<< und >>Nation<< ontologische Substanzen, an denen man – bei Strafe der Seins- und Geschichtsvergessenheit teilhaben müsse, durchaus im Sinne einer >>schlechthinnigen Abhängigkeit<<. (S.74)

[390] Vgl. Walser, a.a.O., S.20

[391] ebd.

[392] ebd.

[393] ebd.

[394] Vgl. Walser, a.a.O., S.25

[395] Vgl. zum Verhältnis des Schriftstellers zur Sprache die Ausführungen bei Walser, a.a.O. auf S.27f.

[396] Zitat bei Walser, a.a.O., S.17. Vgl. hierzu auch die Hinweise von Wolfgang Kraushaar und Friedbert Pflüger, die bereits 1994 auf prekäre Positionen von Martin Walser hingewiesen haben. Vgl. z.B. Kraushaar, Implosion der Mitte III, S.72 und Pflüger, a.a.O., S.124

[397] Grundsätzlich zur Problematik des Geschichtsdiskurses vgl. Gerd Wiegel (2001): Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie. Köln

[398] Möllemann nach taz vom 4.4.2002. Eine genaue und umfassende politikwissenschaftliche Untersuchung steht noch aus. Verwiesen sei hier als erster Versuch einer Analyse auf Tobias Kaufmann, Manja Orlowski [Hrsg.] (2002): „Ich würde mich auch wehren...“ Antisemitismus und Israel-Kritik. Bestandsaufnahme nach Möllemann. Potsdam; dort auch das Zitat auf S.6

[399] Vgl. Kaufmann, a.a.O., S.7

[400] Zu den semantischen Implikationen dieses Begriffs im Zusammenhang mit Möllemann und der Debatte um das Buch „Tod eines Kritikers“ von Martin Walser vgl. den treffenden Kommentar von Jürgen Habermas (2002): Tabuschranken. Eine semantische Anmerkung – für Marcel Reich-Ranicki aus gegebenen Anlässen. In: Süddeutsche Zeitung vom 7.6.2002, S.13

[401] Vgl. Jürgen W. Möllemann (2003): Klartext. Für Deutschland. München

[402] Vgl. Neues Deutschland vom 25.5.2002. Hier zitiert nach Gerd Wiegel (2002): Populismus als Erfolgsrezept. Form und Inhalt einer erneuerten Rechten – Gefahr auch in Deutschland? In: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung, S.20-31, hier S.30

[403] ebd.

[404] ebd.

[405] Zum Modell der Kommunikationslatenz vgl. Werner Bergmann, Rainer Erb (1990): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945. München

[406] Vgl. Helmut Schelsky (1954): Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Stuttgart, S.218ff.

[407] Vgl. aktuell Joachim Bischoff, Sebastian Herkommer, Hasko Hüning (2003): Unsere Klassengesellschaft. Verdeckte und offene Strukturen sozialer Ungleichheit. Hamburg

[408] Für dieses Modell exemplarisch und paradigmenbildend: Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main

[409] Vgl. Jürgen Ritsert (1998): Soziale Klassen. Münster

[410] Vgl. Frankfurter Rundschau 27.11.1999, S.11. Zitiert nach Kurt Lenk (2000): Ideologische Kontinuitäten. In: Siegfried Jäger, Alfred Schobert (2000): Weiter auf unsicherem Grund, a.a.O.,S.11-20, Zitat auf S.17

[411] Vgl. Theodor Geiger (1949): Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel. Köln-Hagen, S.147. Zitiert nach Kraushaar, Implosion der Mitte III, a.a.O.,S.67

[412] „Die Wiedererrichtung der Statusordnung des alten Mittelstandes ist ein bedeutsamer Aspekt der allgemeinen Restauration konservativer Wertevorstellungen und Institutionen in der Bundesrepublik“ Vgl. Arthur Schweitzer, Nazifizierung des Mittelstandes, a.a.O., S.178ff. Für Schweitzer konnte die erhaltene konservative Ideologie vor allem im Falle einer Wiedervereinigung zum Problem werden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Umstand, dass sich die NPD wenige Jahre vor der Veröffentlichung des Buchs von Schweitzer in Wahlkreisen mit hohen Selbstständigenanteilen besonders erfolgreich betätigen konnte. Auch die Tatsache, dass die REPublikaner vor allem in Baden-Württemberg, dem Bundesland der „deutschen Sillicon Valleys“ eine Hochburg hatte, ist ein Beleg für die These, das Rechtsparteien nicht notwendigerweise nur in sozialen Randgebieten erfolgreich sind.

[413] Vgl. Heinrich August Winkler (1991): Stabilisierung durch Schrumpfung: Der gewerbliche Mittelstand in der Bundesrepublik. In: ders. (1991): Zwischen Marx und Monopolen – Der deutsche Mittelstand vom Kaiserreich zur Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt, hier die Ausführungen von S.99-118. Auch in diesem Titel klingt nach wie vor eine Nähe Winklers zu den Mittelschichtstheorien an, bleiben die Mittelstände doch in einer von Lohnarbeit und Kapital dominierten Zwischenposition.

[414] Winkler, Zwischen Marx und Monopolen, a.a.O., S.16

[415] Arnulf Baring (2002): Bürger, auf die Barrikaden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 19.November 2002. Zitate ebd. Der Beitrag wurde am nächsten Tag auszugsweise in der Bild-Zeitung veröffentlicht

[416] Rudolf Walther (2002): Geballte Ladung. In: Freitag 49, 29.11.2002, S.1

[417] ebd.

[418] ebd.

[419] ebd.

[420] ebd.

[421] Für die Ergebnisse vgl. A. Demirovic, G.Paul (1994): >>Eliten gegen Demokratie – Studierende zwischen demokratischem Selbstverständnis und rechtsextremen Ideologien.<< In: Institut für Sozialforschung [Hrsg.]: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit – Studien zur aktuellen Entwicklung. Frankfurt a.M., New York, S.163-177

[422] Vgl. Klaus Ahlheim, Bardo Heger (2002): Die unbequeme Vergangenheit. NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeiten des Erinnerns. Schwalbach/Ts.

[423] Vgl. Josef Held, Hans-Werner Horn, Athanasios Marvakis (1994): Politische Orientierungen jugendlicher ArbeitnehmerInnen. Tübingen

[424] Vgl. Hans-Werner Horn (1995): No time for loosers. In: Gewerkschaftliche Monatshefte. Heft 8, 1995, S.485ff.

[425] Vgl. Gerd Wiegel, Populismus als Erfolgsrezept, a.a.O., S.21

[426] Vgl. dazu M. Bromba, W. Edelstein (2001): Das anti-demokratische und rechtsextreme Potenzial unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Expertise für das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn

[427] Arnulf Baring [1991]: Deutschland, was nun? Ein Gespräch mit Dirk Rumberg und Wolf Jobst Siedler, Berlin, S.55

[428] Expemplarisch hierfür Uwe Backes, der schreibt: „Die ´Szene´ der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Skinheads entwickelte überwiegend keine formalisierten Organisationsstrukturen, sondern bestand aus lockeren Cliquen ohne Programmatik und Planung. Fremdenfeindliche Anschläge geschahen zumeist spontan und unter Alkoholeinfluss“. Vgl. Uwe Backes (1998): Rechtsextremismus in Deutschland. Ideologien, Organisation und Strategien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 9/10 1998, S.27-35

[429] Vgl. DGB-Bundesvorstand (2000): Schlussbericht der Kommission Rechtsextremismus. Berlin, S.10

[430] Vgl. zur Kritik der „Dominanzkultur“ Birgit Rommelspacher (1995): Rassistische und rechte Gewalt: Der Streit um die Ursachen. In: Birgit Rommelspacher: Dominanzkultur. Texte zur Fremdheit und Macht. Berlin, hier vor allem S.82

[431] Uwe Backes spricht von einer „durch die Feuilletons geisternde These vom >>Extremismus der Mitte<<“. Vgl. Uwe Backes (2001): Gestalt und Bedeutung des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 46/2001, S.24-30, Zitat auf S.29

[432] Vgl. Christoph Butterwegge (2002): Stirbt „das deutsche Volk“ aus? – Wie die politische Mitte im Demografie-Diskurs nach rechts rückt. In Butterwegge u.a., Themen der Rechten – Themen der Mitte, a.a.O., S. 167-216

[433] Zitat nach Albrecht von Lucke (2002): Die neueste Mitte steht rechts. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2002, S.138-140, Zitat auf S.139

[434] DGB-Bundesvorstand, a.a.O., Zitat auf S.36. Satzbau so im Original

[435] Vgl. Kurt Lenk (1994): Rechts, wo die Mitte ist: Studien zu Ideologie: Rechtsextremismus, Nationalsozialis-mus, Konservatismus. Baden-Baden

Final del extracto de 164 páginas

Detalles

Título
Die Kontroversen über den "Extremismus der Mitte"
Universidad
University of Marburg
Calificación
1,0
Autor
Año
2003
Páginas
164
No. de catálogo
V109194
ISBN (Ebook)
9783640073764
Tamaño de fichero
936 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Kontroversen, Extremismus, Mitte
Citar trabajo
Richard Gebhardt (Autor), 2003, Die Kontroversen über den "Extremismus der Mitte", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109194

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