Ekel in der Krankenpflege - Kein Thema


Hausarbeit, 1998

25 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Table of Contents

1. Der Autor und seine Motive

2. Einleitung

3. Erläuterungen

4. Definitionen

5. Was Ekel bewirkt und bedeutet

6. Ekel und Peinlichkeit in der Krankenpflegeausbildung

7. Methodik und Material der Untersuchung

8. Auswertung

9. Ergebnis

10. Zusammenhang zwischen dem Thema und der Arbeit des Praxisanleiters

11. Fazit

12. Literaturnachweis

13. Anlage

1. Der Autor und seine Motive

Seit 1991 arbeite ich in der Medizinischen Hochschule Hannover, nachdem ich zuvor 6 Jahre in einer großen Psychiatrischen Klinik gearbeitet habe. In den letzten 7 Jahren besuchte ich verschiedene Fortbildungen, hatte aber mit dem Thema Ekel nur unbewußt bei der täglichen Arbeit zu tun. Im September 1997 begann ich die Weiterbildung zum Praxisanleiter. Im Januar 1998 wurde ich im Unterricht mit dem Thema konfrontiert. Ich erinnerte mich wieder an manche Situationen aus der Psychiatrie und von Station. Gerade in der Psychiatrie gibt es genügend Tabuthemen über die geschwiegen wird und über die man hätte schreiben können. Da die Psychiatrie aber nun nicht mehr mein Arbeitsbereich ist und Ekel hingegen in jeder Klinik vorkommt, habe ich mich für dieses Thema entschieden. Außerdem halte ich es für sehr wichtig, gerade in der Position als Praxisanleiter, Schüler in der Krankenpflegeausbildung frühzeitig auch auf die unangenehmen Seiten unseres Berufes aufmerksam zu machen. Somit kann man ihnen eine Möglichkeit geben über Probleme in der Praxis zu reden oder gar hinweg zu kommen.

2. Einleitung

Nachdem das Thema Ekel in der Krankenpflege im Unterricht behandelt wurde, stellte ich mir die Frage, was ich wohl später als Praxisanleiter zur Enttabuisierung beitragen kann. Gibt es schon bei der Anleitung Möglichkeiten einer Tabuisierung vorzubeugen? Kann man vielleicht den Praxisschock verhindern oder zumindest mindern?

Diese Arbeit soll aufzeigen, was der Praxisanleiter in Hinblick auf Enttabuisierung, Qualitätssicherung und Professionalität in der Krankenpflege bewirken kann.

3. Erläuterungen

Ich weise daraufhin, daß die in dieser Arbeit verwendeten Titel und Anreden jeweils beide Geschlechter meinen. Weiterhin weise ich daraufhin, daß ich nicht wie in der Fachliteratur verbreitet, die Pflegeempfänger als Patienten bezeichne, sondern als Klienten.

Die Begründung für diese Bezeichnung liegt für mich einerseits in der Definition (s.h.Punkt 4), und andererseits in der sich bis heute veränderten Berufsauffassung der Pflegefachkräfte. Für mich ist der Begriff Patient in der heutigen Zeit, nach Einführung der geplanten Pflege (klientenorientierte Pflege) mit dem Pflegeempfänger, unpassend. Wenn die Pflegenden weiterhin Schritte in Richtung Professionalisierung unternehmen, sollten sich die Beteiligten überlegen, ob nicht die Bezeichnung „Klient“ offiziell verwendet werden sollte. Natürlich ist der Begriff Klient anfangs noch sehr ungewohnt, da man zuerst an andere Berufsgruppen und keinesfalls an ein Krankenhaus denkt. Schließlich und letztlich liegt es an jedem selber, welche Bezeichnung er wählt. Sicherlich möchte aber jeder von uns so bezeichnet werden, wie es ihm würdig ist.

4. Definitionen

4.1. Patient

Vom griechischen Wort „Pathos“ = Leiden abgeleitet; pati = erleiden, erdulden; Patient = der vom Arzt und anderen Helferberufen besuchte (Duden, Das große Deutsche Wörterbuch, 1981)

4.2. Klient

Vom lateinischen Wort „Cliens“ abgeleitet, Schutzbefohlener, Beratener, Vertreter, „Kunde“ [Duden, Das große Deutsche Wörterbuch, 1978] Oder auch Person, die Hilfe oder Rat sucht bei einem Fachmann [...] (Lexikon der Psychologie, 1988, S.1074)

4.3. Ziele der Qualitätsicherung

Pflegepersonalorientiert: - Arbeitszufriedenheit, - Professionalität, - Steigerung der Popularität, - Kooperation von Theorie und Praxis

4.4. Tabu

Aus dem polynesischem ® geheiligt, unterliegend, unantastbar, verboten (Duden, Das große Deutsche Wörterbuch,1978)

4.5. Ekel

Widerlich, abstoßend, psychischen Widerstand und Abscheu hervorrufend (Duden, Das große Deutsche Wörterbuch,1981) Aus Psychologischer Sicht ist Ekel eine eigenständige Empfindung, d.h. sie kann ohne Gegenwart von anderen Gefühlen auftreten. Caroll E. Izard, ein Emotionsforscher und Psychologe, beschreibt die Empfindung des Ekels darüber hinaus als ein oft von körperlicher Übelkeit und einem schlechtem Geschmack im Mund begleiteter Widerwillen. In diesen Situationen möchte man sich schnellstens abwenden und wenn möglich die Situation beseitigen oder zumindest verändern (vgl. Izard 1981, S.376 u. Overlander, 1996, S.87).

5. Was Ekel bewirkt und bedeutet

In vielen der in den letzten Jahren durchgeführten Burn out Untersuchungen an Krankenpflegepersonal wurden Arbeitsbelastungen, speziell bei der Arbeit mit und am Klienten, festgestellt. Welche Belastung nun damit genau gemeint war, blieb aber zumeist unbeantwortet oder wurde mit Floskeln wie z.B. „der schwierige Patient“ umschrieben. Erst Untersuchungen an z.B. Altenpflegepersonal durch Christine Sowinski (Pflege Heft3, 1991) zeigten, daß das Erleben von Ekelsituation und der Umstand Erlebtes nicht verarbeiten zu können eine erhebliche Belastung darstellt.

Das auch Krankenpflegeschüler solchen Situationen gegenüber stehen, zeigt eine Burn-out Untersuchung aus dem Jahre 1989 an einer Krankenpflegeschule in einem 6000 Betten Krankenhaus (vgl. Gerti Knoben/Wolff, 1994). Dort wurde nach einer Untersuchung eines Unter-, Mittel- und Oberkurses ein beginnendes Burn-out-Syndrom im Mittelkurs, und ein deutliches Burn-out-Syndrom im Oberkurs gemessen. Dieser Zustand wird auch als ein Zustand der emotionalen Erschöpfung bezeichnet. Laut Maslach/Jackson (vgl. K.-M. Perrar u. A. Büssing, 1994) wird emotionale Erschöpfung wie folgt beschrieben: “Emotionale Erschöpfung bezieht sich auf die Gefühle einer Person, durch ihren Kontakt mit anderen Menschen überbeansprucht und ausgelaugt zu sein.“

Weiterhin wird der Begriff Depersonalisation beschrieben: “Depersonalisation bezieht sich auf eine gefühllose und abgestumpfte Reaktion auf diese Menschen, die für gewöhnlich die Empfänger ihrer Dienstleistungen und Fürsorge sind.“

Hält man sich nun die Definition von Ekel vor Augen und stellt sich dazu die Situation einer Pflegeperson vor, welche mit Ekelgefühlen nur sehr schwierig umgehen kann, so wird klar, welche Bedeutung Ekel im Zusammenhang mit emotionaler Erschöpfung und Depersonalisation hat.

Ekelgefühle können nicht unterdrückt werden, sondern nur überspielt. Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild (vgl. Hochschild, 1990 u. Overlander, 1996) beschreibt drei Techniken, die eine Veränderung der Darstellung oder im Gefühlsleben selbst bewirken soll. Auf der Ebene des Oberflächenhandelns („surface acting“) wird versucht Gestik und Mimik zu kontrollieren, so daß der Klient nichts von den eigentlichen Gefühlen mitbekommt. Auch physiologische Reaktionen (Würgereiz und Erbrechen) werden versucht zu kontrollieren und zu unterdrücken. Auf der inneren Ebene wird versucht eine Veränderung der inneren Empfindungen herzustellen, in dem zum Beispiel der parallel entstehende Ärger unterdrückt wird und dem Gefühl der Empathie, des Mitfühlens mit dem Klienten, weicht. Auch die Vorstellung, daß der Klient „nicht schuldig“ und ein „Opfer“ seines Umstandes ist, hilft die Aggressionen zu mildern.

Eine weitere Belastung durch Ekel tritt dann auf, wenn sich diese Situationen wiederholen bzw. gehäuft auftreten. Den Pflegenden ist es mitunter zu peinlich mit anderen, außer Menschen ihrer Berufsgruppe, über dieses Thema zu reden, da angenommen wird, niemand würde sie verstehen. Die ständige Kontrolle von eigenen Gefühlen und zumindest der Versuch sich anders darzustellen als man fühlt, führt auf die Dauer in eine Situation, die als Interaktionsstreß bezeichnet wird. In diesem Zusammenhang verweisen mehrere Autoren wie A.R. Hochschild und W.Dunkel (vgl.Overlander, 1996, S.40) auf die Gefahr in eine Burn-out-Symptomatik zu geraten. Dieser Zustand ist auch als ein Zustand unkontrollierter emotionaler Belastung zu bezeichnen. Vorher treten allerdings noch eine Menge andere Verhaltensweisen auf, die zum Teil durch die Fragebogenauswertung gestützt und bewiesen werden können. Hierbei sind vor allem die Verhaltensweisen in Frage 7 zu beachten.

Trotz der o.g. Gefahren die auftreten können, wenn die Gefühlsarbeit mit Ekelsituationen nicht ausreichend stattfinden kann, ist eine Tendenz zur Enttabuisierung in den Neunziger Jahren nicht zu beobachten. Unser Verhalten in Ekel hervorrufenden Situationen unterliegt einem zeitlichen, sozialen Wandel. Diese Verhaltensstandards, welche einem vorschreiben, wann welche Gefühle gezeigt werden dürfen, werden in dem Buch von G. Overlander, „Die Last des Mitfühlens“, durch mehrere Zitatreihen aus Krankenpflegelehrbüchern, über einem Zeitraum von über 100 Jahren, verdeutlicht. In einigen Zitaten wird dort ganz klar angesprochen, auf was sich die Pflegende Person im Umgang mit dem Klienten einzustellen hat. Hier wird in der Zeit von 1878 bis 1947 von „Ekel hervorrufenden“, „übelriechenden“, „gesundheitsgefährdenden, [...] faulenden Ausdünstungen“ und „Gestank“ gesprochen (vgl.Overlander, 1996, S.83,84).

In den heutigen Krankenpflegelehrbüchern wird man so eine direkte Ansprache wohl vermissen. Statt dessen wird nur ganz sachlich auf den pathophysiologischen Mechanismus und auf das „Achten der Intimsphäre“ hingewiesen. Kein Hinweis mehr auf sich selbst zu achten. Auch in der Gesellschaft hat sich entsprechend ein Wandel vollzogen. Hat man im Mittelalter noch Geld für die Abnahme seiner Fäkalien bekommen, so beklagen wir uns heute über steigende Abwassergebühren. Sprachlich als auch das Verhalten gegenüber seinen natürlichen Bedürfnissen hat sich ebenfalls vieles in Richtung zunehmender Selbstzwänge gewandelt. So saß man im Mittelalter gemeinsam auf dem „Donnerbalken“ und unterhielt sich bei entsprechender „Begleitmusik“ über die Geschehnisse des Tages. Heute hingegen ist eine Wohnung mit Gäste WC, in dem man sich möglichst lautlos zurückzieht, schon fast Standard.

6. Ekel und Peinlichkeit in der Krankenpflegeausbildung

Das Krankenpflegegesetz von 1985 mit seiner Ausbildungs- und Prüfungsordnung hat in den letzten Jahren schon mehrfach Grund zu Diskussionen gegeben. Ein Grund hierfür war unter anderem, das laut der Ausbildungsverordnung kaum affektive und kognitive Lernziele der niedrigsten Schwierigkeitsstufe vermittelt werden sollen. Ein weiterer Grund ist die Tendenz zur naturwissenschaftlichen und medizinischen Seite und dem Fehlen von wissenschaftlichen Lehren der Pflege (der Begriff „Pflegewissenschaft“ fehlt gänzlich). Zu den affektiven Lernzielen hätte unter anderem eine Auseinandersetzung mit Tabubereichen gehört. Hier hätte man die Chance gehabt Tabus bewußter zu machen um z.B. Schutzmechanismen entwickeln zu können. Aber auch Frau Juchli tabuisiert Ekel und Peinlichkeit, in dem sie das Thema auf eine äußerst umständliche Art und Weise bearbeitet:

(Vgl. Overlander, 1996, S.103, Juchli, 1987, S.190)“[...] Ein solcher Mensch [der Pflegende] sieht ja weder darum nicht, weil er (übersehenwollend) nicht sehen will, noch darum, weil er unaufmerksam oder blind wäre, sondern im Gegenteil darum, weil ´er seine Augen ganz woanders hat´, weil er ganz aufmerksam ist, er sieht nicht, er ersieht. ‘Nur die Liebe sieht wirklich‘ sagte schon Thomas von Aquin, ´ und man sieht nur mit dem Herzen gut‘ sagt A. de Saint Exupery. Dieses richtige Sehen versteht die u.U. sehr verschlüsselte Sprache eines Kranken, ohne das es alles übersetzen, verdeutschen, ans Licht zerren oder zerreden muß.“

So eine Erklärung in dem wohl am weitest verbreitetsten Krankenpflegelehrbuch noch am Ende der 80´er Jahre zu finden, finde ich persönlich nicht angemessen. Zeigt es doch nur all zu deutlich, wie sehr dieses Thema tabuisiert wird.

7. Methodik und Material der Untersuchung

Ursprünglich sollte diese Arbeit nur auf einer Literaturrecherche basieren. Die Begebenheit, daß es äußerst schwierig war überhaupt entsprechende Literatur über dieses Thema zu finden führte dazu, daß ich eine Befragung bei Krankenpflegeschülern unserer Krankenpflegeschule und Mitarbeitern unserer Station durchführte.

Um brauchbares Material zu finden und um so aktuell wie möglich zu sein, wollte ich zunächst nur Bücher, Zeitschriften, Diplomarbeiten und Untersuchungen aus den Neunziger Jahren verwenden. Als ich aber nur sehr wenig passendes Material fand, war ich gezwungen auch älteres Material einzusehen. Dabei war erstaunlicherweise festzustellen, daß gerade in den 90´er Jahren Tabuthemen viel seltener behandelt wurden als noch in den 80´er Jahren. Ich fand zunächst einige Bücher und Zeitungsabschnitte, allerdings war das Thema Ekel und Peinlichkeit nur sehr selten zu finden und verbarg sich nicht selten hinter anderen Überschriften. Einige Tabuthemen (z.B. Sterben und Tod, Inkontinenz) wurden schon recht häufig behandelt andere (religiöse Tabus, Intimpflege, Päderastie, Ekel) nur sehr selten. In einer Literaturrecherche der Med-Line Datenbank wurden 456 Artikel aus den letzten 24 Jahren (1972 – 1996) zum Thema Tabus in der Pflege gefunden. Die Artikel verteilten sich auf 23 Tabus. Viele Literaturhinweise verwiesen auf Bücher oder Arbeiten von Skandinavischen oder Italienischen Autoren. Möglicherweise ist das Thema dort besser behandelt als in Deutschland.

Zusätzlich entwickelte ich einen Fragebogen, der zur Befragung von Krankenpflegeschülern gedacht war. Dabei überlegte ich mir, ob es nicht interessant wäre, auch eine Befragung bei langjährig tätigen Krankenpflegepersonal durchzuführen. Hintergrund war die Überlegung, ob nicht die Berufserfahrung einen Einfluß auf die Beantwortung der Fragen hat.

8. Auswertung

Insgesamt wurden 25 Fragebögen in der Krankenpflegeschule an Krankenpflegeschüler im 5.Semester verteilt und 25 Fragebögen an Krankenpflegepersonal auf einer herzchirurgischen Station. Von den Fragebögen kamen jeweils 14 wieder zurück (siehe Tabelle1 und 2)

Die Fragen lauteten wie folgt:

1.) Nennen sie bitte Ihr Alter, Geschlecht und die Dauer Ihrer Beschäftigung in der Pflege in Jahren und / oder Monaten?

Diese Frage sollte die Befragten Personen etwas transparenter machen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie in den beiden Diagrammen deutlich zu sehen ist, arbeiten nach wie vor weitaus mehr Frauen in diesem Beruf als Männer. Jedoch ist der Männeranteil mit 28,57% recht hoch. Das Alter der Krankenpflegeschüler liegt mit durchschnittlich 25,29 Jahren nur mit 1,56 Jahren niedriger als das der Mitarbeiter mit 26,85 Jahren. Die Mitarbeiter arbeiten mit 8,0 Jahren durchschnittlich 5,25 Jahre länger in der Pflege als die Schüler mit durchschnittlich 2,75 Jahren.

2.) In der Zeit Ihrer Beschäftigung sind Sie irgendwann das erste Mal mit einer sehr ekelerregenden Situation konfrontiert worden. Wie sehr haftet Ihnen noch der Eindruck im Gedächtnis?

In der 2. Frage wird die Behauptung aufgestellt, daß jede Pflegeperson früher oder später mit mehr oder weniger ekelerregenden Situationen konfrontiert wird.

Auf einer Skala von (1) „Gar nicht mehr“ bis (7) „noch sehr deutlich“, sollte angekreuzt werden. Bei den Krankenpflegeschülern antworteten 4 Schüler mit „fast gar nicht mehr“ ,1 Schüler mit „weniger gut“, 2 Schüler mit „gut“, 2 Schüler mit „recht gut“, 3 Schüler mit „deutlich“ und 1 Schüler mit „sehr deutlich“. Bei den Mitarbeitern antworteten 4 mit „gar nicht“, 1 Mitarbeiter mit „fast gar nicht mehr“, 3 Mitarbeiter mit „gut“, 1 Mitarbeiter mit „deutlich“ und 5 Mitarbeiter mit „sehr deutlich“. Die Antworten der Schüler waren auf der Skala relativ gleichmäßig verteilt, wobei sich ein Schwerpunkt bei „kann mich fast nicht daran erinnern“, abzeichnete. Andererseits konnte sich jedoch die Masse an eine Ekelsituation erinnern, wobei jedoch die Intensität zwischen „weniger gut“ bis „recht gut“ aufgeteilt war. Bei den Mitarbeitern stellten sich drei Pole dar. Man konnte sich entweder „überhaupt nicht mehr“, „gut“, oder „noch sehr deutlich“ an eine Situation erinnern. Dies könnte bedeuten, daß sich die Mitarbeiter aufgrund der häufig erlebten Situation besser erinnern können, als die Schüler, die noch nicht so belastet sind.

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3.) Um was für eine Situation handelte es sich? Bitte schildern Sie in Stichworten!

In der 3. Frage sollte ergründet werden, ob eine besonders ekelerregende Situation länger im Gedächtnis verbleibt und ob es an Hand dieser Frage möglich ist festzustellen, ob es Situationen gibt, die immer als sehr ekelig oder weniger ekelig bezeichnet werden. Das heißt, ob es vielleicht eine Gradeinteilung geben könnte, wenn man wollte. Die Schüler gaben eine Vielzahl von Situationen an. Am häufigsten (4x) wurde der Kontakt mit Stuhlgang genannt, und zwar nur dann, wenn dieser unphysiologisch war oder kombiniert mit anderen Geschehnissen auftrat. Mit 3 Nennungen wurden Situationen benannt, die mit Verbandwechseln zu tun hatten. Die Größe und die Lokalisation (Intimbereich) waren hier wohl ausschlaggebend. Ebenfalls 3x wurden Situationen mit Erbrechen als Einzelnennung oder in Kombination genannt. 3x wurde sich zu den Situationen gar nicht geäußert. Der Umgang bzw. das Reinigen von Zahnprothesen wurde 2x genannt. Der Umgang mit Tod in Kombination mit Erbrochenem, Umgang mit Sputum und das unhygienische Arbeiten von Kollegen wurden je 1x genannt. Bei den Mitarbeitern sah das Ergebnis deutlicher aus. So hatte der Umgang mit Stuhlgang als Einzelnennung und in Kombination mit 7 Nennungen die meisten Probleme bereitet, gefolgt vom Umgang mit Erbrochenem mit 3 Nennungen. Ebenfalls 3x wurden keine Angaben zu dieser Frage gemacht. Der Umgang mit Sputum machte 2x Probleme und die Konfrontation mit Tod wurde 1x genannt.

Eine Gradeinteilung konnte man zwar nicht vornehmen, aber es wurde deutlich, daß der Umgang mit Fäkalien, insbesondere wenn diese nicht physiologisch waren oder in Kombination mit anderen Geschehnissen auftraten, eine große Belastung ist. Erstaunlich für mich war, daß der Umgang mit Tod nur 2x genannt worden ist. Hier hätte ich persönlich eine höhere Quote bei den Schülern vermutet. Möglicherweise könnte dies ein Zeichen dafür sein, daß dieses Thema in der Ausbildung schon recht gut behandelt wurde. Andererseits muß angenommen werden, daß es noch nicht zu solchen Situationen gekommen ist, oder daß es vereinzelt schon zu einem Verdrängungs- oder Verarbeitungsprozeß gekommen ist.

4.) Fühlen sich in Zeiten, wo Sie vermehrt mit Ekelgefühlen konfrontiert werden (z.B. Die ganze Station führt ab) vermehrt belastet?

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In der 4. Frage soll geklärt werden, ob es tatsächlich eine vermehrte Belastung gibt, wenn vermehrt Ekel hervorrufende Tätigkeiten durchgeführt werden müssen.

Bei Frage 4 konnte ebenfalls in einer Skala von (1) „Gar nicht“ bis (7) „sehr stark belastet“ angekreuzt werden.

2 Krankenpflegeschüler fühlten sich „fast gar nicht“, 5 Schüler „eher weniger“, 3 Schüler „mittelmäßig“, 1 Schüler „eher stark“, 2 Schüler „stärker“ und 1 Schüler „sehr stark belastet“. Bei den Mitarbeitern antworteten mit „gar nicht“ und „fast gar nicht“ je 1x, 6 Mitarbeiter fühlten sich „eher weniger belastet“, 1 Mitarbeiter „mittelmäßig“ , 3 Mitarbeiter „eher stark“ und 2 Mitarbeiter „stärker belastet“. Keiner der Mitarbeiter fühlte sich „sehr stark belastet“. In der Beantwortung dieser Frage bestand der Unterschied zwischen den Schülern und den Mitarbeitern darin, daß sich die Masse der Schüler „eher belastet“ bis „sehr belastet“ einordnet und ein weiterer Teil sich als „eher weniger belastet“ fühlt. Bei den Mitarbeitern fühlt sich die Masse „eher nicht“ bis „gar nicht belastet“ und der Rest „vermehrt“ oder „sehr belastet“. Bei den Schülern ist tendenziell eine Belastung zu erkennen. Bei den Mitarbeitern fühlen sich die Hälfte unterschiedlich stark belastet, die andere Hälfte fühlt eher weniger eine Belastung. Tatsache ist aber, das fast alle eine Belastung verspüren.

5.) Haben Sie Gelegenheit gehabt über diese Art von Gefühlen reden?

Zur Auswahl standen die Antwortmöglichkeiten:

„Ja“, „Manchmal“, „Nein“, „Nein, ich möchte mit niemandem darüber reden“

Wenn es solche Arbeitsbelastungen durch Ekel gibt, gibt es dann auch eine Möglichkeit diese zu verarbeiten, bzw. darüber zu reden?

Eine Möglichkeit darüber zu reden war für alle Befragten da, jedoch nicht grundsätzlich oder immer. Bei den Schülern wurde diese Frage 10x mit „Ja“ und 4x mit „Manchmal“ beantwortet. Bei den Mitarbeitern sah das Ergebnis etwas anders aus. Hier gab es bei „Ja“ nur 6 Nennungen, bei „Manchmal“ 7, und bei „Nein“ eine Nennung.

Wer sind diese Personen?

Mehrfachnennungen waren bei den folgenden Vorschlägen möglich: Freund(in), Bekannte, Kollegen, Mitschüler, Familie, Unterrichtsschwester /Stationsleitung

Bei den Krankenpflegeschülern gab es insgesamt 30 Nennungen. Hiervon entfielen 11 auf Kollegen, 8 auf Mitschüler, 6 auf Freund(in), 4 auf die Familie und 1 auf die Unterrichtsschwester. Bei den Mitarbeitern war ein ähnliches Bild zu beobachten. Es gab insgesamt 29 Nennungen, wobei 1 Person keine Ansprechpartner oder keinen Bedarf hatte über diese Thematik zu reden. Von den 29 Nennungen entfielen 13 auf Kollegen, je 5 auf Freund(in) und Familie, 3 Nennungen auf die Stationsleitung und 2 auf Bekannte. Bei diesem Ergebnis wird zunächst einmal deutlich, daß das Problem in erster Linie mit Kollegen besprochen wird. Die Motive hierfür können einmal das zu erwartende Verständnis für diese Situation sein, als auch die Tatsache, das man solche Dinge direkt vor Ort noch ansprechen will, um sie „los zu werden“. Interessant wäre hier noch die Frage gewesen, ob das „Reden“ mit den Kollegen zu einer Besserung des Befindens geführt hat oder nicht. Mit „Bekannten“ darüber reden, also in der Regel mit Menschen, mit denen man nicht so sehr häufig zu tun hat, wurde insgesamt nur 2x genannt. Dies macht auch noch mal deutlich, daß man das Thema eher mit jemanden erörtern möchte, den man schon länger kennt, als mit jemanden von dem man vielleicht Mitleid oder Unverständnis bekommen würde.

6.) Haben Sie im Laufe der Zeit eine Veränderung Ihres Verhaltens bemerkt, wenn Sie mit ekelerregenden Tätigkeiten zu tun hatten?

Die Antwortmöglichkeiten waren „Ja“, „Nein“, „Ist mir nicht bewußt“

Zunächst einmal bemerkten 7 Schüler eine Veränderung ihres Verhaltens, 4 bemerkten keine Veränderung und 3 Schülern war es unklar. Bei den Mitarbeitern fiel es ein wenig deutlicher aus, es bemerkten 9 Mitarbeiter eine Veränderung ihres Verhaltens, 2 bemerkten keine Veränderung und 3 Mitarbeitern war es unklar ob eine Veränderung vorlag.

In Frage 7 wurden dann konkret Verhaltensweisen angeboten, welche angekreuzt werden sollten (siehe Diagramm 3). Es handelte sich hierbei um Vermeidungsverhalten, welches in der Literatur z.B. von Frau Sowinski beobachtet und beschrieben wurden. In Frage 8 wird nachgefragt, ob es noch andere Vermeidungstechniken oder Verhaltensweisen als die in Frage 7 benannten gibt. Geschieht dieses Vermeiden nun bewußt oder unbewußt, und was für Strategien gibt es?

7.) Haben Sie einige der folgenden Verhaltensweisen an sich selbst schon einmal beobachtet?

Die Beantwortung dieser Frage ist in Diagramm 3 auf Seite 14 sehen (siehe auch Fragebogen Mitarbeiter-/Schülerbefragung Frage Nr.7).

8.) Gibt es andere Verhaltensweisen die Sie bei sich selbst oder bei Kollegen erlebt haben? Wenn ja, schildern Sie in kurzen Worten!

Insgesamt wurde diese Frage 13x nicht beantwortet, was bedeuten könnte, daß die wesentlichen Verhaltensweisen bei knapp der Hälfte der Befragten in der vorherigen Frage abgetan wurden. Andererseits könnte man mutmaßen, daß man sich nicht weiter damit beschäftigen will, da dies doch ein recht intimes Thema ist. 4x wurde bestätigt, daß die Verhaltensweisen alle schon einmal beobachtet wurden. Als weitere Verhaltensweisen wurden z.B. das Meiden des Zimmers bzw. des Klienten, die Pflege zu zweit durchführen (wahrscheinlich vor dem Hintergrund des schnelleren Arbeitens), Schüler vorschicken (welche ihrerseits dann Schüler des nächst niedrigeren Kurses schicken), unwichtigere Schreibtischarbeiten als wichtiger vorweisen (Hintergrund des Ekelvermeidens), Aggressionen in Form von verbalen Auseinandersetzungen, bis hin zur Krankmeldung, wenn ständig mit Ekel zu tun ist, genannt. Dieses Ergebnis weist eindeutig daraufhin, was auch schon in der Definition von Ekel beschrieben ist: „sich abwenden, die Situation nach Möglichkeit bereinigen oder wenigsten verändern“.

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9.) Glauben Sie, daß diese für Sie ekelerregenden Tätigkeiten für den Klienten in gewissem Maße genauso peinlich sind?

Es konnte wieder auf einer Skala von 1 „Nein, gar nicht peinlich“ über 4 „genauso peinlich“ bis hin zu 7 „noch viel peinlicher“ angekreuzt werden.

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In Frage 9 wird davon ausgegangen, daß das, was bei dem einen Ekel bei seinem gegenüber Peinlichkeitsgefühle hervorruft. Wie stehen sich jedoch diese Gefühle in ihrer Intensität gegenüber? Die Schüler gingen tendenziell davon aus, daß dem Klienten die ekelerregenden Tätigkeiten noch peinlicher sind als es sie selbst ekelt (7 Nennungen). 2 Schüler vertraten die Meinung, daß es dem Klienten eher peinlich ist als es sie ekelt. 3 Schüler waren der Meinung, daß es dem Klienten wenigstens genauso peinlich ist. 2 Schüler meinten auch, daß es dem Klienten überhaupt nichts ausmacht. Demnach vertraten 12 von 14 Schülern die Meinung, daß Ekel wenigstens genauso viel Peinlichkeit beim Gegenüber hervorruft.

Bei den Mitarbeitern gab es zwei Pole. 5x wird angenommen, daß es dem Klienten „genauso peinlich“ ist, ebenfalls 5x wird angenommen, daß es „noch sehr viel peinlicher“ für den Klienten ist. Je 1x wurde angenommen, daß es ihm „etwas peinlicher“ ist und „noch etwas peinlicher“ ist. Je 1 Mitarbeiter glaubte, daß es dem Klienten „gar nicht“ oder „eher weniger peinlich“ ist. Damit waren auch hier 12 von 14 Personen der Meinung, daß es dem Klienten wenigstens genauso peinlich ist.

10.) Inwieweit glauben Sie, wird das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Klienten negativ beeinflußt wird?

Zwischen „gar nicht“ und „erheblich“ konnte wieder auf einer Skala von 1 bis 7 geantwortet werden.

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In Frage 10 wird in erster Linie davon ausgegangen, daß eine ekelbehaftete Situation einen negativen Einfluß auf das Verhältnis zwischen Klient und der Pflegeperson hat. Die Schüler waren klar der Meinung, daß das Verhältnis „gar nicht“ bis „schwach“ negativ beeinflußt wird. Nur 1 Schüler war der Meinung, daß das Verhältnis schon stärker negativ beeinflußt wird. Auf der Skala wurden 4x1, 7x2, 2x3 und 1x die 5 angekreuzt.

Bei den Mitarbeiten verteilten sich die Antworten auf der Skala relativ gleichmäßig. Es wurden 1x die 1, 3x die 2, 3x die 3, 3x die 4, 2x die 5, 1x die 6 und 1x die 7 angekreuzt. Die Schüler sind demnach eher der Meinung, daß das Verhältnis nicht negativ beeinflußt wird. Dem steht das Ergebnis der Mitarbeiter gegenüber, die bei der Beantwortung schon eher eine Tendenz darin sahen, daß das Verhältnis negativ beeinflußt wird.

9. Ergebnis

Das Gesamtergebnis der Befragung spiegelt in etwa das wieder, was auch schon in der Literatur zuvor beschrieben wurde. Die Fragen 2-5 zeigten recht deutlich, daß es sehr schwierig ist über Tabus zu reden. Die Beschreibung der Situationen war in der Regel nur auf das Schildern einer Diagnose beschränkt und die Wahl der Worte drückte wahrscheinlich nur sehr geringfügig das aus, was in den Situationen tatsächlich gefühlt wurde. Das aus Sicht der Pflegenden ein hoher Widerstand gegen solche Tabuthemen vorherrscht erklärte C.Sowinski damit, daß schon in der Ausbildung Defizite in der Behandlung dieser Themen vorhanden seien (GeroCare Newsletter 5/96, Juli 1996). Auch das von anderen Autoren berichtete Phänomen, daß sich die Betroffenen in erster Linie untereinander über die Thematik aussprechen ist mit dem Ergebnis der Frage 5 bewiesen worden. In den Fragen 6 und 7 konnte noch einmal deutlich gemacht werden, daß eine Veränderung des Verhaltens zwar bemerkt wird, eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema wiederum recht schwer fällt. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, daß es viel häufiger als in den Fragebögen angekreuzt vorkommt, daß z.B. die Fäkalworte und Umgangssprache benutzt werden. In den Fragebögen wurde diese Möglichkeit jedoch nur 2x angekreuzt. In der Frage 8 konnte dann wieder ein wenig offener mit dem Thema umgegangen werden, da diese Frage nicht direkt das eigene Ich betraf, sondern ein wenig auf „die anderen Kollegen“ abgelenkt wurde.

Einen Hinweis auf die Arbeitsbelastung durch Ekel und somit auch ein Beweis der bisher geführten Studien (C.Sowinski, Pflege, 10/1991 und G. Knoben/Wolff, 1994) wird mit der Beantwortung der Frage 10 geliefert. Die Mitarbeiter empfinden in der Mehrzahl das Verhältnis zum Klienten negativ beeinflußt. Dies resultiert nach der Fragestellung aus der Tatsache, daß es dem Klienten peinlicher ist, je mehr Ekel vom Personal empfunden wird. Da es sich aber hierbei um eine Einschätzung des Pflegepersonals über das Empfinden des Klienten handelt und dies in diesem Moment nicht bewiesen werden kann, muß davon ausgegangen werden, daß das Empfinden der Peinlichkeit aus der eigenen Sicht über ekelbehaftete Situationen entstanden ist. Somit spiegelt sich im Prinzip die Belastung der Pflegenden in Frage 10 wieder.

10. Zusammenhang zwischen dem Thema und der Arbeit als Praxisanleiter

Anfangs verwies ich schon auf die Problematik des derzeitig bestehenden Krakenpflegegesetzes. Da die Professionalisierung der Pflege sicher nicht auf ein neues Gesetz warten wird, sondern es im Gegenteil einfordern wird, so wird es auch zu einer Weiterentwicklung in der Spezialisierung unseres Berufsstandes kommen. Der Praxisanleiter als ein Teil der „Spezialisten“ wird in der Zukunft eine immer wichtigere Rolle in der Vermittlung von Wissen bekommen und damit als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis stehen.

Die Themen Ekel, Scham, und Peinlichkeit sind fast in jeder pflegerischen Tätigkeit gegenwärtig. Pflege bedeutet immer eine intime, grenzüberschreitende Dienstleistung. Das Intimleben und den Intimbereich setze ich in Zusammenhang mit dem Begriff der Privatsphäre und Selbstbestimmung. Während man im Privatleben normalerweise die Toilette alleine aufsucht, bedeutet dies in der täglichen Pflege von Pflegebedürftigen sofort einen Eingriff in das Intimleben eines Menschen. Selbst das Waschen des Gesichtes, das Reinigen von Nase, Ohren und Mund bedeutet auf der Seite des Pflegebedürftigen eine Verletzung seiner Privatsphäre und letztendlich auch seines Intimbereiches. Was bei diesen Tätigkeiten im wahrsten Sinne mitunter zu Tage gefördert wird, ist aber gerade für die Berufsanfänger und Krankenpflegeschüler eine enorme Belastung. Der Umgang mit so einer Situation, sowie die Tätigkeit selber, will gelernt sein. Die Konfrontation mit Ekel in einer unvorbereiteten Situation kann sonst schnell das Ende aller Berufsträume bedeuten. Aber auch diejenigen, die schon länger im Beruf sind, brauchen Unterstützung. In den Jahren meiner Beschäftigung in der Pflege ist mir häufiger klargeworden, wie schwer es für uns als Pflegende ist, immer tragen, mittragen, ertragen, stützen zu müssen, ohne auch nur einen Hauch der Möglichkeit zu haben in den betreffenden Situationen oder jemals danach den innerlich aufgestauten Druck los zu werden oder zu verarbeiten.

Der Praxisanleiter hat während seiner pädagogischen Ausbildung unter anderem Kenntnisse über Kommunikation und psychologische Gesprächsführung erlangt. Ihm kann es also durchaus möglich sein, Probleme im Umgang mit Ekelsituationen aufzufangen. Dadurch ist er ein Instrument der Qualitätssicherung, in dem es ihm im günstigsten Falle gelingt, eine Berufsfluktuation zu vermeiden, oder wenigstens das verbleiben im Beruf zu verlängern.

Der Praxisanleiter kann zwar die Situationen nicht verhindern, doch kann er gerade bei den schlimmsten Erfahrungen mit Ekel eine Stütze sein, wie im Beispiel einer Altenpflegerin die sich nach der Säuberung des Mundbereiches nach der Verunreinigung mit Kot wie folgt äußerte: „ Wenn das passiert, könnte ich mich auf den Boden legen und weinen. Das kann man doch keinem erzählen, was man da manchmal auf der Arbeit machen muß. Danach ist der Tag für mich gelaufen“.

100% ige Hilfe kann von einem Praxisanleiter in so einer extremen Situation sicher nicht geleistet werden, doch kann er erste Hilfe leisten, die richtigen Schritte einleiten und kann beratend zur Seite stehen. Er kann verdeutlichen, daß diese Belastung zugelassen werden darf, statt zu verdrängen.

Darüber hinaus bedeutet das Verdeutlichen von Tabus auch ein Schutz für alle in der Pflege Tätigen. Man muß sich darüber klar werden, das es sich bei einem Tabu nicht allein um einen rein physiologischen Schutzmechanismus handelt, der eine erhöhte Durchblutung des Kopfes, vermehrte Speichelproduktion und Würgereiz auslöst, sondern auch um einen Mechanismus der die Arbeitskraft und Arbeitsqualität negativ beeinflußt. Typischerweise passiert immer folgendes: Zuerst leiden die Pflegenden, dann lassen sie leiden, und schließlich leiden sie, weil sie leiden lassen (Vgl. Erich Schützendorf, GeroCare Newsletter 5/96, Juli 1996). Dementsprechend bin ich der Meinung, daß ein Handlungsbedarf hinsichtlich der Enttabusierung dringend besteht.

11. Fazit

Während ich diese Arbeit schrieb, bemerkte ich nach und nach was es bedeutet, sich mit einem Tabuthema auseinanderzusetzen. Egal wo ich mich mit Menschen darüber unterhielt, alle fanden das Thema erst einmal interessant, wie sie sagten, doch war es auch häufig das einzige was sie dazu sagten. Auch Unverständnis und Vorsicht wurden mir zu Teil, genauso wie ich belächelt wurde und man hinter vorgehaltener Hand sich fragte: Warum schreibt er den über so ein Thema und nicht über etwas „Vernünftiges“?

Für mich persönlich war es jedesmal ein kleiner Erfolg, wenn ich solche Reaktionen bemerkte, denn ich bin der Meinung, daß die Pflegenden in diesem Moment nur einen Spiegel vorgehalten bekamen und der Großteil von ihnen wußte, daß es sich hierbei um nichts anderes handelte als um die eigenen Gefühle. Um genau diese Gefühle, Empfindungen und Phantasien geht es nämlich auch, wenn man Tabus brechen möchte. Die direkte Konfrontation ist zwar dabei wie der berühmte Elefant im Pozellanladen aber es bleibt nicht nur ein Scherbenhaufen zurück. Das Ergebnis ist für die Betroffenen mitunter sehr befreiend, doch kommt es allzu häufig zu Blockaden und Abwehr. Deswegen favorisiere ich eher eine etwas sanftere Methode, die auf der Kooperationsbereitschaft der Pflegenden basiert. Dazu muß allerdings im Leitungsbereich einer Klinik erkannt werden, daß es sich beim Umgang mit Tabus um eine nicht zu unterschätzende Arbeitsbelastung handelt, die bis hin zur Arbeitsunfähigkeit und Burn out reicht. Supervisionen und sogenannte Interpretationswerkstätten, wie sie E.Schützendorf (Vgl.Schützendorf, GeroCare Newsletter 5/1996, Juli 1996) beschreibt, könnten im Bereich der Fort und Weiterbildung angeboten werden. Durch Fort- und Weiterbildung wird eine Verbesserung der Selbstreflexion erreicht und somit der Umgang mit Tabus erleichtert. Darüber hinaus ist es sicher notwendig, sich über die Aufnahme von affektiven Lernzielen in die Lehrbücher Gedanken zu machen. Genauso muß der Druck an anderer Stelle wachsen um eine Überarbeitung oder Neufassung des Krankenpflegesetzes in dem diese Ziele ebenfalls fehlen, zu erreichen.

In aller erster Linie aber gilt es, sich selbst immer wieder dazu zu bringen, sich über die eigenen Gefühle und Empfindungen in Tabusituationen klar zu werden. Hierzu gehört aber auch das Verständnis dafür, das man sich ekeln darf, sich besser Schutzkittel , Mundschutz und Handschuhe oder auch eine Kollegin zum Selbstschutz zu Hilfe holt anstatt die Gefühle „zu schlucken“.

Ein Verständnis für Tabus und das Erkennen der eigenen Gefühle in Tabusituation wäre in Zukunft wünschenswert, damit eine Tendenz zur Enttabuisierung und ein entschärfen der damit verbundenen Probleme zu erkennen ist.

12. Literaturverzeichnis

Büssing,Andre und Perrar,Klaus-M., Pflegezeitschrift 3/1994, Beilage Pflegeforschung, S.20, Die Messung von Burnout

Duden, 1978, Das große Deutsch Wörterbuch

Duden , 1981, Das große Deutsche Wörterbuch

Hochschild,A.R. (1990): Das gekaufte Herz, Zur Kommerzialisierung der Gefühle; Frankfurt/Main, New York: Campus

Izard,C.E. (1981): Die Emotionen des Menschen, Einen Einführung in die Emotionspsychologie; Weinheim, Basel: Beltz

Juchli,L. (1987): Krankenpflege, Thieme Verlag; Stuttgart

Knoben Gerti /Wolff, Pflegezeitschrift 3/1994, Beilage Pflegeforschung, S.15, Burnout bei Schülern/-innen einer Krankenpflegeschule

Lexikon der Psychologie, 1988

Schützendorf,E. (1996) Enttabuisierung der Pflege, GeroCare Newsletter 5/96, Juli 1996; Internet: http://www.kda.de/gerocare/gc5-d.htm

Sowinski,Christine, (1991):, Stellenwert der Ekelgefühle im Erleben des Pflegepersonals, Pflege Heft 3, Jahrgang 1991

Sowinski,C. (1996) Pflege, eine intime grenzüberschreitende Dienstleistung, GeroCare Newsletter 5/96, Juli 1996; Internet: http://www.kda.de/gerocare/gc5-d.htm

Overlander, G. (1996): Die Last des Mitfühlens, Aspekte der Gefühsregulierung in sozialen Berufen am Beispiel der Krankenpflege, Mabuse Verlag; Frankfurt/Main

13. Anlage

13.1. Der nachfolgende Fragebogen wurde auf der Station verteilt. Der Fragebogen für die Auszubildenden war weitestgehend identisch, nur daß die Einleitung („Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,...) entfallen ist und das in Frage 5 die Bezeichnung „Stationsleitung“ mit der Bezeichnung „Unterrichtsschwester“ getauscht wurde.

13.2. Erklärung

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Wie ihr sicher alle wißt, bin ich seit September letzten Jahres dabei eine Weiterbildung zum Praxisanleiter zu besuchen.

Während dieser Ausbildung werden nicht nur pädagogische, sondern auch psychologische und soziologische Inhalte vermittelt. Einen besonderen Stellenwert bezieht hierbei das Thema Arbeitsbelastung im speziellen das Thema Burn out.

Im Rahmen der Weiterbildung wird weiterhin eine schriftliche Hausarbeit verlangt, die sich auf ein praxisnahes Thema beziehen soll und mit einer der Tätigkeiten des Praxisanleiters in Verbindung steht.

In meiner Hausarbeit befasse ich mich mit Ekel, Scham- und Peinlichkeitssituationen. Mit einem Fragebogen möchte ich die eventuell vorhandenen Arbeitsbelastungen von Auszubildenden in der Krankenpflege mit denen gegenüberstellen mit denen von langjährig Beschäftigten Krankenpflegepersonal. Hieraus soll sich dann ein Tätigwerden des Praxisanleiters beim Arbeiten mit Auszubildenden ableiten lassen.

Die Fragebögen sollten dabei so ehrlich wie möglich beantwortet werden. Einige von Euch werden sicher eine Hemmschwelle bemerken die aber völlig normal ist, da es sich schließlich um ein sehr intimes Thema handelt und bisher immer mit einem Tabu belegt war.

Nun hoffe ich noch, daß so viele von Euch wie möglich einen Fragebogen ausfüllen und ihn mir zurückgeben, damit ich eine gute Auswertung durchführen kann. Über die Ergebnisse werde ich Euch natürlich informieren.

Vielen Dank für´s Mitmachen und viel Spaß beim Ausfüllen

Bis bald, Klaus

Fragebogen

Ekel in der Krankenpflege – (K)ein Thema

Berufsbelastungen sind in der Krankenpflege in den letzten Jahren schon vielfach untersucht worden, Tabuthemen wurden dabei meist nur am Rande erwähnt. Die bisher am häufigsten untersuchten Tabuthemen sind in erster Linie die Bereiche Sexualität, Tod und Sterben. Ekel und Peinlichkeitssituationen fanden jedoch in den meisten Untersuchungen über Arbeitsbelastungen die wenigste Aufmerksamkeit. Das Krankenpflegepersonal wurde mit diesen Themen bisher immer alleine gelassen. Die Antworten sollen versuchen darzulegen, in wie weit eine Arbeitsbelastung durch Ekel- und Peinlichkeitssituationen vorliegt.

Das Verfahren ist anonym, persönliche Daten beziehen sich nur auf Alter und Geschlecht und Dauer der Beschäftigung in der Pflege.

Nun zu den Fragen :

1.) Nennen sie bitte Ihr Alter, Geschlecht und die Dauer Ihrer Beschäftigung in der Pflege in Jahren und / oder Monaten?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.) In der Zeit Ihrer Beschäftigung sind Sie irgendwann das erste Mal mit einer sehr ekelerregenden Situation konfrontiert worden. Wie sehr haftet Ihnen noch der Eindruck im Gedächtnis?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.) Um was für eine Situation handelte es sich? Bitte schildern Sie in Stichworten.

4.) Fühlen sich in Zeiten, wo Sie vermehrt mit Ekelgefühlen konfrontiert werden (z.B. Die ganze Station führt ab) vermehrt belastet?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.) Haben Sie Gelegenheit gehabt über diese Art von Gefühlen reden?

a) Ja:__ Manchmal:__ Nein:__ Nein, ich möchte nicht darüber mit niemandem reden:__

b) Wer sind diese Personen?

(Mehrfachnennungen sind möglich)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

6.) Haben Sie im Laufe der Zeit eine Veränderung Ihres Verhaltens bemerkt, wenn Sie mit ekelerregenden Tätigkeiten zu tun hatten?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

7.) Haben Sie einige der folgenden Verhaltensweisen an sich selbst schon einmal beobachtet?

Bitte ankreuzen!

a.) Ich bin zornig und unterdrücke Aggressionen
b.) Ich rede nur noch knappe Worte mit dem Klienten
c.) Ich zeige das es mir unangenehm ist in dem ich es anspreche
d.) Ich schütze mich mit Hilfsmitteln (Handschuhe , Mundschutz, Haube, Kittel, o.ä.)
e.) Ich bin wütend
f.) Ich unterziehe mich einer ausgiebigen Reinigung nach dem Dienst
g.) Ich arbeite noch schneller als sonst
h.) Ich lästere häufiger über den Klienten
i.) Beim Klingeln warte ich einen Moment länger, ob nicht jemand anderes geht
j.) Ich rede gar nicht mehr mit dem Klienten
k.) Es werden vermehrt Fäkalworte und rauhe Umgangssprache anstelle von Fachbegriffen benutzt.(Wasser lassen vs. Pissen; Stuhlgang vs. Scheißen)
l.) Ich äußere mich abfällig über den Klienten in Gegenwart meiner Kollegen
m.) Ich benutze vermehrt Desinfektionsmittel oder Deosprays
n.) Nein, keine der genannten

8.) Gibt es andere Verhaltensweisen die Sie bei sich selbst oder bei Kollegen erlebt haben? Wenn ja, schildern Sie in kurzen Worten!

9.) Glauben Sie, daß diese für Sie ekelerregenden Tätigkeiten für den Klienten im gewissen Maße genauso peinlich sind?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

10.) Inwieweit glauben Sie, wird das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Klienten negativ beeinflußt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erklärung

Hiermit erkläre ich,

Klaus-Peter Dützmann

Carl-Neuberg-str.2c

30625 Hannover

diese vorliegende Hausarbeit ohne fremde Hilfe und außer der im Literaturverzeichnis enthaltenen Literatur geschrieben zu haben.

Hannover, den 19.05.1998

Unterschrift: ..

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Ekel in der Krankenpflege - Kein Thema
Veranstaltung
Weiterbildung Praxisanleiter
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
25
Katalognummer
V109435
ISBN (eBook)
9783640076161
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Hinweise: Die Weiterbildung umfasste nach Empfehlung des Niedersächsischen Sozialministerium 480h Theorie, diese Arbeit wurde schon einmal im Internet auf www.pflegenet.com veröffentlicht, der Server ist aber seit einiger zeit abgeschaltet. Weiterführende Literatur zum Thema wurde erst nach Erstellung der HA veröffentlicht! Der Anhang ist aus darstellungstechnischen Gründen nur über die Druckversion verfügbar!
Schlagworte
Ekel, Krankenpflege, Kein, Thema, Weiterbildung, Praxisanleiter
Arbeit zitieren
Klaus-Peter Dützmann (Autor:in), 1998, Ekel in der Krankenpflege - Kein Thema, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109435

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