Normativ oder deskriptiv? - Johann Christoph Adelung und das "Grammatisch-Kritische Wörterbuch"


Term Paper, 2004

18 Pages


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Johann Christoph Adelung und der Wandel der Lexikographie
2.1. Das germanistische Schaffen des Johann Christoph Adelung
2.2. Die Lexikographie im Wandel

3. Das Grammatisch-Kritische Wörterbuch
3.1. Entstehungsgeschichte
3.2. Aufbau des Wörterbuchs
3.2.1. Titel,Titelseite und Vorreden
3.2.2. Typographie des Wörterbuchs und Alphabetische Anordnung
3.3. Der Wortschatz
3.4. Aufbau der Wortartikel

4. Normativ oder deskriptiv?

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1. Einleitung

Thema der Hausarbeit ist das grammatisch-kritische Wörterbuch von Johann Christoph Adelung. Dabei geht es jedoch weniger um die einzelnen, lexikographischen Artikel, sondern vielmehr um die lexikographische Konzeption, den Aufbau sowie um die Frage, ob es sich um ein normatives Wörterbuch handelt oder nicht.

Zunächst soll ein kurzer Einblick in Adelungs Biographie gegeben werden. Diese erhebt jedoch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern steht einzig und allein in Bezug zum Grammatisch-Kritischen Wörterbuch. Aus diesem Grunde werden vorwiegend Fakten aufgenommen, die das Verständnis der Entwicklung zum Wörterbuch erleichtern.

Im Anschluss daran folgt eine Zusammenfassung lexikographischer Vorläufer und Konzeptionen, wiederum mit Blick auf die spätere Entstehung des Grammatisch-Kritischen Wörterbuchs.

Nach einem kurzen Überblick über das Leben und Schaffen von Adelung und der Lexikographen jener Zeit kann sich nun dem Grammatisch-Kritischen Wörterbuch gewidmet werden.

Das erste Kapitel des Hauptteils beschäftigt sich mit der Frage, wie Adelung zum Verfassen des Grammatisch-Kritischen Wörterbuchs kam. Darauf folgend wird das Wörterbuch äußerlich beschrieben, d.h. Aufmachung, Konzeption und Aufbau der einzelnen Wortartikel. Anschließend wird sich mit dem Wortschatz und den Kriterien, welche zur Aufnahme geführt haben, beschäftigt.

Zuletzt soll dann noch versucht werden, den ewigen Diskussionspunkt, ob es sich beim Grammatisch-Kritischen Wörterbuch um ein deskriptives oder normatives Werk handelt, aufzuklären, bevor in einem Fazit dann noch mal das Wichtigste zusammengefasst wird sowie eventuell offen gebliebene Fragen thematisiert werden.

2. Johann Christoph Adelung und der Wandel der Lexikographie

2.1. Das germanistische Schaffen des Johann Christoph Adelung

Johann Christoph Adelung, geboren am 8. August 1732[1], lebte in Spantekow bei Anklam (Mecklenburg). Auf dem Gymnasium in Klosterbergen erwarb er Kenntnisse in alten und neuen Sprachen, eine Befähigung, die ihm im Laufe seines Lebens häufig von Nutzen war.

Da sein Vater Pfarrer war, verwundert es nicht, dass er sich am 4. Mai 1752 als Theologiestudent an der Universität Halle eintrug. Dort bekam er schnell engen Kontakt mit Siegmund Jacob Baumgarten, der wiederum von Christian Wolff und Christian Thomasius beeinflusst wurde.[2] Auf diese Weise wurde Adelung schon recht früh mit der Aufklärung und der wachsenden Bedeutung der deutschen Sprache konfrontiert. Im gleichen Jahr wurde Adelung bereits Bibliothekar von Baumgarten und führte erste Übersetzungs-Arbeiten aus englischen und französischen Geschichtswerken durch.

Im Juni 1758 wurde er zum Professor am evangelischen Ratsgymnasium in Erfurt ernannt, allerdings ist nicht bekannt, dass er sein Studium in Halle je abgeschlossen hat. Zudem musste sich Adelung sein Gehalt mit dem emeritierten Vorgänger teilen, weshalb es zu finanziellen Engpässen kam. Um diese zu überbrücken, publizierte er Zeitschriften und tätigte weiterhin Übersetzungsarbeiten.[3] 1762 kündigte er aus bislang ungeklärter Ursache seine Anstellung am Erfurter Gymnasium und brach die Übersetzung des „Lehrgebäudes der Diplomatik“ ab.

Über die Zeit von 1762-1765 gibt es keine sicheren Angaben über Adelungs Verbleib. Manche vermuten, dass er Bibliothekar in Gotha war, andere schätzen dagegen, dass er bereits in Leipzig privatisierte[4].

Erst ab 1765 jedoch ist seine Existenz in Leipzig wieder nachgewiesen. Da er weder finanzielle Rücklagen noch eine feste Anstellung besaß, milderte er seinen chronischen Geldmangel durch Korrekturen und Übersetzungen bei diversen Verlagen. Des Weiteren publizierte er Übersetzungen aus vielerlei Wissensgebieten. Bedingt durch die rege Zusammenarbeit mit Verlegern machte Adelung Bekanntschaft mit dem Verleger Breitkopf, der nicht unerheblich an der Publikation des „Grammatisch-Kritischen Wörterbuches“ beteiligt sein wird.

Das Interesse am germanistischen Schaffen durch die Arbeit am Wörterbuch geweckt führt im Laufe der Jahre zu zahlreichen weiteren Publikationen auf diesem Gebiet. Finanzielle Engpässe sind ein weiterer Motivationsgrund, der Adelung dazu veranlasst, Werke wie „Über den Ursprung der Sprache und den Bau der Wörter, besonders der Deutschen“, die „Deutsche Sprachlehre“ (1781) sowie das „Magazin für die Deutsche Sprache“ (1782-1784) zu veröffentlichen.

Neben seiner Arbeit am „Grammatisch-Kritischen Wörterbuch“ fand Adelung also noch Zeit für weitere Publikationen, wurde zudem 1787 Oberbibliothekar an der kurfürstlichen Bibliothek in Dresden, wo er zahlreiche Hinzukäufe abwickelte.

Dass Adelung durch seine Publikationen, und dabei nicht zuletzt durch das „Grammatisch-Kritische Wörterbuch“, unter seinen Zeitgenossen mittlerweile kein Unbekannter mehr ist, zeigen der Besuch Goethes im Jahre 1790 und die Anstellung an der Privatbibliothek des Kurfürsten in Dresden 1793[5].

Unermüdlich nach Verbesserung strebend publizierte Adelung zwischen 1793-1806 eine überarbeitete Fassung des „Grammatisch-Kritischen Wörterbuches“ sowie weitere germanistische Arbeiten.

Am 10. September 1806 verstarb Johann Christoph Adelung im Alter von 74 Jahren in Dresden.

2.2. Die Lexikographie im Wandel

Johann Christoph Adelung lebte inmitten einer Zeit, in der sich die Lexikographie im Wandel befand. Während Schilter, Scherz und Wachter weiterhin an der „historisch-etymologischen Wortforschung“[6] festhielten, strebten andere, wie beispielsweise Gottsched und Zedler, nach einem normativen Wörterbuch. So verlangte Zedler bereits 1732 in der Vorrede zu seinem „Universal-Lexicon“ für die Teutschen „[…] Wörterbücher/ und andere Hülfsmittel, [um] ihre Reden in ein vernünftiges und beständiges Geschicke zu setzen/ und was selbige aus Unverstand/ übler Gewohnheit und Uebermuth/ von fremden Sprachen/ ohne Noth/ angenommen und eingemenget / auszumustern“[7].

Johann Leonhard Frisch lieferte in seinem ‚Teutsch-Lateinischen Wörterbuch’ 1741 zwar neue Ansätze was die lexikographische Konzeption betrifft, doch hat er auf Grund des langen Abstands zwischen Konzeption und Realisierung die Veränderungen auf sprachnormativen Bereich außer Acht gelassen, so dass auch nach der Veröffentlichung die Forderung nach „einer allgemein anerkannten sprachlichen Entscheidungsinstanz nach dem Muster des italienischen und des französischen Akademiewörterbuchs“[8] nicht nachließ.

Carl Gotthelf Müller[9] versuchte, mit den Kriterien der ‚Reinigkeit’, ‚Richtigkeit’ und des ‚Reichthums’ dem normativen Charakter gerecht zu werden, doch überwog letztlich der ‚Reichtum’ der Sprache während die ‚Reinigkeit’ vernachlässigt wurde.

Johann Ludwig Anton Rust legte den Schwerpunkt für ein neues Wörterbuch auf die ‚Richtigkeit’. Er forderte ein Wörterbuch, welches „die Rechtschreibung aller und jeder Wörter“[10] bestimmt.

Gegnerische Stimmen waren insbesondere unter den Dichtern zu finden. Sie sahen die Hauptaufgabe eines Wörterbuchs in der Sprachbereicherung, waren der Meinung, dass ein Wörterbuch „ein Register der Wörter seyn muß, welche die Schriftsteller gebraucht haben und wie sie dieselben gebrauchten“[11].

Es gab jedoch nicht nur Veränderungen, was Sinn und Zweck von Wörterbüchern anbelangt. Auch auf organisatorischer Ebene machte man sich Gedanken.

Während in Frankreich beispielsweise die Herstellung des ‚Dictionnaire’ von Ludwig XIV. finanziert wurde, waren die Lexikographen in Deutschland auf sich alleine gestellt. Da die Position des Kaisers in Deutschland jedoch geschwächt und die politische Macht aufgeteilt war, fand sich lange Zeit kein Mäzen für ein Wörterbuch. Auch das Interesse des deutschen Adels an einem normativen Wörterbuch war gering, da Französisch zu jener Zeit Konversationssprache war. Lediglich das Bürgertum zeigte Interesse an einem Wörterbuch.[12] Die Sprachwissenschaftler waren deswegen gezwungen, die ohnehin bereits gigantische Arbeit am Wörterbuch neben einer geregelten Arbeit auszuführen, was viel Zeit in Anspruch nahm und viele abschreckte. Um die Arbeit am Wörterbuch zu bewerkstelligen, entschied man sich deshalb, die Arbeit innerhalb von Sprachgesellschaften bzw. einzelnen Mitgliedern aufzuteilen. Die Aufteilung scheiterte jedoch an der „zugrunde zu legenden Sprachnorm“[13]. Weder das italienische Modell der kultiviertesten Regionalsprache noch das französische Modell einer überregionalen Sprachgesellschaft fanden Zustimmung.[14]

Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass Adelung sich bei der Umsetzung seines Wörterbuches an Vorläufern und Vordenkern orientiert hat. Dill[15] erwähnt in diesem Rahmen besonders Frisch, Steinbach sowie Gottsched, betont jedoch gleichzeitig, dass Adelung insbesondere in Absicht, Zweck sowie der Lemmata-Anordnung von ihnen Abstand nimmt. In der Vorrede zur 1. Auflage führt auch Adelung Gottsched als unmittelbaren Anstoß an.

3. Das Grammatisch-Kritische Wörterbuch

3.1. Entstehungsgeschichte

Wie bereits erwähnt, hat der Verleger Breitkopf nicht unerheblich zur Entstehung des Wörterbuches beigetragen. Dieser hatte nämlich den Wunsch, ein deutsches Wörterbuch zu publizieren. Als zu Beginn der 60er Jahre die Gewinnchancen für ein solches Unternehmen gesichert schienen, wandte sich Breitkopf an Gottsched, um mit ihm zusammen ein Wörterbuch zu veröffentlichen. Leider verstarb Gottsched 1766, vom Traum eines eigenen Wörterbuchs blieben lediglich ein paar Entwürfe über.

Breitkopf bat seinen Korrektor Adelung um Meinung über die Entwürfe. Der befand sie jedoch als „unbrauchbar“[16]. Um sich den Traum vom eigenen Wörterbuch dennoch erfüllen zu können, bot Breitkopf Adelung an, ein solches zu verfassen. Dieser willigte ein, allerdings erst nach Zusicherung eines Vorschusses. Nichts desto trotz zwang sein chronischer Geldmangel Adelung dazu, sich auch noch anderen Projekten zu widmen[17]. Umso erstaunlicher ist es, dass bereits zur Michaelismesse 1773 der erste Band des „Grammatisch-Kritischen Wörterbuchs“ erschien[18]. Die Tatsache, dass sich die Publikation der weiteren Bände immer weiter verzögerte, belegt, wie sehr Adelung überarbeitet war. Während der 2. und 3. Band jeweils nach zwei Jahren erschienen, benötigte er für die Fertigstellung des fünften Bandes ganze sechs Jahre, weil er zeitgleich eine Vielzahl anderer Arbeiten annehmen muss. Dass er die Motivation trotz der langwierigen und recht eintönigen Arbeit nicht völlig verloren hatte, zeigt die bereits 1787 begonnene zweite, überarbeitete Auflage.[19]

In etwas mehr als 20 Jahren hat Adelung ein komplettes Wörterbuch der deutschen Sprache in 5 Bänden erstellt, in noch kürzerer Zeit eine überarbeitete Auflage publiziert. Welch große Leistung Adelung hier vollbracht hat, lässt sich ohnehin kaum nachvollziehen, doch „bei dieser mühseligen Lebensart, und unter so wenig günstigen Umständen“[20] ist es umso erstaunlicher.

3.2. Aufbau des Wörterbuchs

3.2.1. Titel,Titelseite und Vorreden

Die genaue Bezeichnung der 1. Ausgabe des Wörterbuchs heißt „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen“.

Typographischer Schwerpunkt bilden die Begriffe ‚Hochdeutsche Mundart’ sowie ‚Wörterbuch’. Es handelt sich also um ein Wörterbuch, das sich vorwiegend der hochdeutschen Mundart angenommen hat, wobei die Frage, was Adelung als ‚Hochdeutsch’ bezeichnet, zunächst noch offen bleibt. Die graphisch günstige Positionierung der beiden Leitbegriffe hat vorwiegend verkaufsstrategische Gründe, sie soll das Interesse potentieller Käufer wecken.

Um negativer Kritik vorzubeugen, bezeichnet Adelung sein Werk als ‚Versuch’. In seiner Vorrede erläutert er die Bedeutung dieses Ausdruckes: „allein, da es der erste vollständige und kritische Versuch dieser Art ist, so ist es unmöglich, theils daß nicht die Sammlung der Bedeutungen und deren Erklärungen noch bey vielen Wörtern mangelhaft und unvollständig seyn sollte; […]“[21]. Durch Hervorhebung seiner „Pioniertat“[22] und des großen Arbeitspensums, das es zu bewältigen galt, möchte Adelung zum Ausdruck bringen, dass Fehler und Unvollständigkeiten unumgänglich waren. Zudem wird die programmatisch angekündigte Vollständigkeit des Wörter-buchs relativiert, ein weiterer werbetechnischer Kunstgriff macht sich bemerkbar. Die starke Verkaufsorientierung des Wörterbuchs macht sich des Weiteren dadurch bemerkbar, dass Adelung auf dem Titelblatt der ersten Auflage nicht genannt wird. Zu jener Zeit war Adelung noch keine bekannte Persönlichkeit, so dass sein Name werbetechnisch keine Bedeutung hatte.

Die kombinierte Bezeichnung ‚grammatisch-kritisch’ ist in der deutschen Lexikographie neu, in der französischen[23] jedoch bereits vorhanden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich der sprachkundige Adelung an der französischen Lexikographie orientiert hat. ‚Grammatisch’ kündigt an, dass der grammatische Aspekt des Wortschatzes, d.h. Aussprache, Orthographie, Biegung und Syntax besondere Berücksichtigung finden. Das Adjektiv „kritisch“ kündigt zudem eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem aufzunehmenden sowie dem aufgenommenen Wortschatz an. Adelung selbst erwähnt also bereits im Titel seine normativen Absichten, doch inwieweit ihm die Umsetzung gelungen ist, wird noch analysiert werden müssen. In der 2. Auflage reduziert Adelung den Begriff „kritisch“ auf die semantische Ebene, so dass er „vornehmlich den bestimmten Begriff eines Wortes und seiner verschiedenen Bedeutungen“[24] damit anspricht.

Der zentrale Teil des Titels, das ‚Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart’, wurde in der Forschung lange Zeit diskutiert.[25] Für Adelung verdeutlicht die Titelinformation, dass „alle veraltete, alle provinzielle und alle niedrige, bloß dem Volke eigene Wörter und Ausdrücke der Regel nach von selbst“[26] wegfallen. Widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang dann jedoch die darauf folgende Ankündigung ‚mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen’. Obwohl er durch die Akzentuierung des Hochdeutschen die Provinzialismen eigentlich ausgeschlossen hat, betont Adelung, dass es unmöglich ist, „jene gründlich zu beurtheilen, ohne beständig ein Auge auf diese zu haben“[27]. Aus diesem Grunde hat er versucht, „bey jedem hochdeutschen Worte dessen Synonyma aus den übrigen Mundarten beyzufügen […]“[28].

Unterhalb des Titels folgte die Angabe des Bandes sowie der darin behandelten Buchstaben, gefolgt von der Vignette des Breitkopf-Verlages sowie der expliziten Nennung von Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn.

Auf der nächsten Seite beginnt die Vorrede, die im 1.Band 16 Seiten umfasst. In ihr verrät Adelung die Vorgeschichte des Wörterbuchs, erklärt seine Definition von Hochdeutsch und bespricht methodische Grundsätze sowie Zweck und Einrichtung seines Wörterbuchs.

3.2.2. Typographie des Wörterbuchs und Alphabetische Anordnung

Die Seiten wurden in zwei übersichtliche Kolumnen aufgeteilt, wobei jede Kolumne mit einem Titel versehen wurde. Die aus den ersten drei Buchstaben der dort behandelten Lemmata bestehende Überschrift soll die Orientierung innerhalb des Wörterbuches erleichtern. Des Weiteren wurden die Lemmata etwas von den Kolumnen versetzt und mit einer größeren Schrift versehen, was die Übersichtlichkeit zusätzlich steigerte. Ein Novum führte Adelung ein, indem er deutschsprachige Zitate sowie sekundärsprachlichen Gebrauch durch fettere und breitere Schrift hervorhob.[29]

Auch was die Trennung der Schreibweise von I und J betrifft, scheint Adelung eine Pionierrolle übernommen zu haben. In der ersten Auflage benutzt er zwar noch für beide Buchstaben das Zeichen ‚J’, doch trennt er bereits die zugehörigen Lemmata und erklärt unter dem Artikel J die Unterscheidung zwischen I und J.

Um die Suche bei den Wörtern mit Umlaut zu erleichtern entschied Adelung sich des Weiteren für die neuere Schreibweise ä, ö,üstatt ae, oe, ue.[30]

Insgesamt hat Adelung sein Wörterbuch streng alphabetisch angeordnet, was ebenfalls eine Neuheit auf dem Gebiet der deutschsprachigen Lexikographie darstellte, obwohl es auf Grund des etymologischen Anordnungsprinzips bereits Tendenzen zur alphabetischen Anordnung gab. Dennoch war bis zu diesem Zeitpunkt das Prinzip der Stammwortlemmatisierung weiterhin entscheidend. Die moderne Anordnung der Lemmata erleichtert dem Nutzer heute das Nachschlagen im Wörterbuch, lediglich die orthographischen Besonderheiten jener Zeit, wie beispielsweise th statt t oder b statt p, bereiten Schwierigkeiten.

Die Loslösung vom Stammwort führt zu einer Betonung des Einzelwortes. Nicht mehr die Wortfamilie steht im Mittelpunkt, sondern die „semasiologische“[31] Bedeutung des Lemmas. Die zentrale Stellung der semantischen Ebene führt bei Adelung jedoch häufig zu einer „übertriebenen Bedeutungsdifferenzierung“[32].

Eine streng alphabetische Anordnung macht allerdings auch eine einheitliche Rechtschreibung zwingend notwendig, denn nur so lässt sich schnell ein Wort nachschlagen. Insofern kann man Adelung eine nicht geringe Rolle bei der Vereinheitlichung der Orthographie zuweisen.

3.3. Der Wortschatz

Die 1. Auflage des ‚Grammatisch-Kritischen Wörterbuchs’ besteht aus ca. 52.469 Lemmata, der integrierte ‚Wortbestand’, d.h. Wörter, die innerhalb der Wortartikel angeführt und erläutert werden, nicht mitgezählt. Zum Wortbestand zählen unter anderem eine ganze Reihe an Fremdwörtern, die bei den etymologischen Erläuterungen erklärt werden, aber auch viele Wörter, die Adelungs normativen Kriterien widersprachen, wie Provinzialismen, Vulgarismen, Archaismen und Neologismen. Um sie trotzdem im Wörterbuch integrieren zu können, hat er sie innerhalb anderer Lemmata behandelt, oder aber durch Kreuze und ähnliche Signaturen negativ gekennzeichnet.

Adelung selbst wollte sich bei der Konzeption seines Wörterbuches allerdings vorwiegend auf die ‚Hochdeutsche Mundart’ konzentrieren. In der Vorrede 1773 definiert er die ‚Hochdeutsche Mundart’ als Sprache, „welche seit zweyen Jahrhunderten an einigen deutschen Höfen, vornehmlich aber in den Schriften, durch einen bloßen Zufall die herrschende geworden ist., […] im engeren und gewöhnlichsten Verstande bezeichnet dieses Wort die meißnische oder obersächsische Mundart […]“[33]. Adelungs Wörterbuch widmet sich dieser Definition nach der deutschen Sprache, und dabei insbesondere der obersächsischen Mundart. Er hat seinen Vorgängern vorgeworfen, sich „nur auf die Büchersprache ihrer Zeit eingeschränket“[34] zu haben, band sich selbst dagegen „an eine definierbare, einheitliche und vorwiegend gesprochene Regionalsprache“[35]. Da Adelung, wie Dill[36] behauptet, der Obersächsischen Mundart mächtig war, konnte er bei der Auswahl des Wortschatzes von seinem eigenen ausgehen, und war nicht, wie beispielsweise Harsdörffer, streng gebunden an literarische Quellen.

Interessant ist, dass Adelung, obwohl er die ‚Hochdeutsche Mundart’ als Kriterium bei der Auswahl des Wortschatzes angibt, dennoch eine ganze Reihe an Mängeln an ihr feststellt. So ist sie in gewisser Weise „irregulär, weil die beyden Hauptdialecte in ihr zusammen fließen“[37]. Des Weiteren ist es noch eine recht junge Sprache, weswegen sie zudem „arm an Wörtern, arm an Bedeutungen der vorhandenen Wörter, arm an Wortfügungen, Beugungen und Verbindungen“[38] ist. Seine Lobrede an die ‚Oberdeutsche Mundart’[39] dagegen führte innerhalb der Forschung zu Diskussionen und der Frage, ob nicht die Oberdeutsche Mundart Kriterium für die Auswahl des Wortschatzes war.

3.4. Aufbau der Wortartikel

Im Vergleich zu seinen Vorläufern hat Adelung die Wortartikel sehr übersichtlich gestaltet. Das Lemma wird durch eine fettere Schrift gekennzeichnet und durch Herausrücken an den linken Spaltenrand hervorgehoben. Gleich dahinter folgen grammatische Angaben, selbst das Diminutivum wird mit angegeben. Anschließend folgt der semantische Teil, der bei Adelung sehr ausführlich ist. Bei mehreren Bedeutungen des gleichen Wortes wird durchgängig nummeriert, so dass der Überblick bewahrt wird. Bei Homonymie oder Homographie werden die Lemmata ebenfalls fortlaufend nummeriert. Die etymologische Auseinandersetzung mit dem Lemma hat bei den Zeitgenossen Adelungs großen Respekt ausgelöst, zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam jedoch vermehrt Kritik auf, da viele Angaben aus Fremdsprachen in der Form nicht existierten bzw. falsch nachvollzogen wurden.[40]

Am Ende vieler Wortartikel folgte ein Teil mit Hinweisen zur Aussprache des Lemmas.

4. Normativ oder deskriptiv?

Johann Christoph Adelung, soviel sollte bislang deutlich geworden sein, beabsichtigte, mit dem ‚Grammatisch-Kritischen Wörterbuch’ ein normatives, lexikographisches Werk geschaffen zu haben. Die Titelformulierung sowie die Vorrede zur 1. Auflage lassen darauf schließen.

Doch verrät Adelung in der Vorrede genauso, dass er sich die Mühe machte „die Wörter aus tausend Schriften allerley Art, aus den verschiedenen Lebensarten und dem täglichen Umgange selbst aufzusuchen, um den Reichthum unserer Sprache auf eine vollständigere Art darzustellen, als bisher geschehen ist“. Die breit gefächerte Korpusbildung verrät Adelungs Intention, die Sprache in ihrer ganzen Vielfalt darzustellen, was in der Forschung oft als Widerspruch zur Normung gesehen wird. Einerseits behauptet er, sich auf die Hochdeutsche Sprache zu konzentrieren, andererseits versucht er den Wortschatz in der größtmöglichen Vollständigkeit darzustellen und nimmt zahlreiche Provinzialismen, Neologismen, Archaismen und Vulgarismen mit auf.

Ulrich Püschel[41] hat diesbezüglich die Funktion der Aufnahme mundartlicher Wörter ins ‚Grammatisch-Kritische Wörterbuch’ genauer untersucht. Während Adelung behauptete, die Mundarten vorwiegend zur Abgrenzung anzuführen, hat Püschel acht verschiedene Funktionen herausgearbeitet. Dazu zählen die Bereicherung der ‚Hochdeutschen Mundart’, die Abgrenzung und die Erklärungsbedürftigkeit. Aus diesen Gründen entschied sich Adelung trotz normativen Absichten für die Aufnahme negativ konnotierter Wörter.

Margrit Strohbach unterstellt Adelung, dass er sich in der Theorie auf die meißnische Mundart „versteift“[42] hat, bekennt aber gleich darauf, dass er sich in der Praxis – aus ihrer Sicht – zum Positiven hin gelöst hat. „Das Korpus ist, was die Gegenwartssprache anbelangt, nicht eingeschränkt, sondern gibt die Sprachwirklichkeit des gesamten deutschsprachigen Gebietes wieder“.[43] Ihrer Meinung nach ist die Vielfalt jedoch kein Argument für den deskriptiven Charakter des Wörterbuchs, sondern gerade der breite Korpus stellt den wichtigsten normbildenden Faktor. Nur durch das Darstellen und Vergleichen unterschiedlicher Sprachebenen kann die ‚richtige’ Sprache erkannt und verdeutlicht werden. Aus diesem Grunde hat Adelung sich für eine Unterteilung des Sprachwortschatzes in 5 Klassen entschieden. Die erste Gruppe vereint die ‚höhere und erhabene Schreibart’, und stellt das Optimum dar. Die zweite Klasse ist die der ‚edlen Schreibart’, gefolgt von der Sprechart des ‚gemeinen Lebens und vertraulichen Umgangs’. Zumindest dieses Niveau sollte von der breiten Masse angestrebt werden. Die Wörter der vierten und fünften Klasse sind speziell gekennzeichnet. Des Weiteren verdeutlichte Adelung innerhalb dieser Wortartikel, dass das Lemma der ‚niedrigen Sprechart’ oder der ‚ganz pöbelhaften Sprechart’ angehört und zeigte Alternativen auf.

Doch lässt sich die Klassifizierung auf zweierlei Weise interpretieren.

Einerseits kann es sich, bedingt durch das Kennzeichnen als niedere Sprache und bedingt durch das Aufzeigen von Alternativen, um normative Absichten handeln. Auf diese Weise kann der Wörterbuchnutzer jedes beliebige Wort nachschlagen und erfährt dann, ob er es benutzen darf oder nicht.

Andererseits kann die Klassifizierung jedoch auch als einfacher Akt der Beschreibung interpretiert werden. Adelung hat versucht, den gesamten deutschen Wortschatz aufzunehmen und zu klassifizieren, allerdings mit deskriptiven statt normativen Absichten. Selbst wenn Adelung bei pöbelhaften Wörtern intensiv vor dem Gebrauch warnt, so hat er sie dennoch ins Wörterbuch aufgenommen, was die Möglichkeit in Vergessenheit zu geraten und somit aus dem Sprachgebrauch gelöscht zu werden, geringer werden lässt.

5. Zusammenfassung

Johann Christoph Adelung hat durch die Formulierung ‚Grammatisch-Kritisch’ sowie die Einschränkung auf die ‚Hochdeutsche Mundart’ die normativen Absichten angekündigt und durch die Vorrede zur 1. Auflage verstärkt. Gleichzeitig hat er jedoch Gegenargumente geliefert und sich in widersprüchlichen Aussagen verstrickt, so dass es nicht möglich ist, im Rahmen dieser Hausarbeit die Frage zu klären, ob es sich um ein normatives oder deskriptives Wörterbuch handelt.

Um eine Antwort zu finden, müssten die Schriften und Aussagen Adelungs genauer in ihrem Zusammenhang analysiert und diskutiert werden. Des Weiteren wäre es sinnvoll, Lemmata, Quellen u.ä. aus dem ‚Grammatisch-Kritischen Wörterbuch’ näher zu untersuchen, sowie Text-Beispiele vorzuführen – ein Umfang, der im Rahmen dieser Hausarbeit nicht zu bewältigen war.

Nichtsdestotrotz sollte deutlich geworden sein, dass Johann Christoph Adelung mit Umfang, Konzeption und Aufbau des Wörterbuchs eine enorme Leistung vollbracht hat. Er hat viele lexikographische Neuerungen eingeführt, von denen wir heute – wenn auch häufig unbewusst – noch Gebrauch machen. Dazu zählen die alphabetische Anordnung der Lemmata sowie die Durchnummerierung der semantischen Erklärungen. Schon allein auf Grund dieser Leistung beim Wörterbuch sollte Adelung unsere Anerkennung bekommen – egal ob normativ oder deskriptiv.

Allerdings hat Adelung meiner Meinung nach normative Absichten gehabt und die nach seinem Konzept versucht, umzusetzen. Hätte er jedoch ‚nur’ die Meißnische Mundart in sein Wörterbuch aufgenommen, hätte dies den potentiellen Käuferkreis massiv eingeschränkt. Da das ‚Grammatisch-Kritische Wörterbuch’ jedoch überwiegend mit marktstrategischen Absichten konzipiert wurde – wie im Verlaufe der Hausarbeit mehrfach erwähnt – hat sich Adelung für einen Mittelweg entschieden. Er hat den gesamten deutschen Wortschatz aufgenommen und die Wörter, die nicht in sein Konzept passten, negativ markiert.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. 1. Auflage, Leipzig 1773. Vorrede, zitiert nach Dill 1992.

Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 2. Auflage, Leipzig 1793.

Sekundärliteratur

Dill, Gerhard: Johann Christoph Adelungs Wörterbuch der ‚Hochdeutschen Mundart’. Frankfurt am Main 1992.

Krause, Johann Gottlieb: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen. Leipzig 1771. No XV. S.118f.

Müller, Carl Gotthelf: Entwurf eines brauchbaren teutschen WörterBuchs. In: Schriften der Teutschen Gesellschaft. Hrsg. Müller C.G., Jena 1954. S.341-345.

Nicolai, Friedrich: Wörterbuchplan in einer Anmerkung Nicolais zu einem Brief von ihm an Lessing. In: Gotthold Ephraim Lessings Sämtliche Schriften. Hrsg. Nicolai. Berlin 1794. S.228ff.

Püschel, Ulrich: Die Berücksichtigung mundartlicher Lexik in Johann Christoph Adelungs „Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Hrsg. Joachim Göschel. Heft 1, Wiesbaden 1982. S.28-51.

Rust, Johann Ludwig Anton: Fünfte und letzte Fortsetzung der Abhandlung von den Ursachen der Verschiedenheit, Ungewißheit und der Mängel in der Deutschen Rechtschreibung. In: Schriften der fürstlichen Anhaltischen Deutschen Gesellschaft, II.Band, Magdeburg 1769.

Salow, Werner: Die deutsche Sprachwissenschaft in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek“. Greifswald 1926.

Sickel, Karl-Ernst: Johann Christoph Adelung. Seine Persönlichkeit und seine Geschichtsauffassung. Leipzig 1933.

Soltau, Dietrich Wilhelm: Beiträge zur Berichtigung des Adelungschen grammatisch-kritischen Wörterbuches. Leipzig 1806.

Stötzel, Georg: Das Abbild des Wortschatzes. Zur lexikographischen Methode in Deutschland von 1617-1967. In: Poetica 4, 1970. S.1-23.

Strohbach, Margrit: Johann Christoph Adelung. Berlin 1984.

Zedler, Johann Heinrich: Zedlers Universal-Lexicon. Vorrede. Leipzig 1732.

[...]


[1] Salow 1926, S.11.

[2] Strohbach 1984, S.3.

[3] Sickel 1933, S.8ff.

[4] Ebd, S. 13f.

[5] Strohbach 1984, S.6.

[6] Dill 1992, S.1.

[7] Zedler 1732, S.4.

[8] Dill 1992, S.2.

[9] Vgl. Müller 1754, S. 345.

[10] Rust 1769, S.251.

[11] Nicolai 1794, S.230.

[12] Vgl. Dill 1992, S.7f.

[13] Dill 1992, S.5.

[14] Vgl. Ebd, S.6.

[15] Vgl. Ebd, S.26f.

[16] Nicolai 1811, S.115.

[17] Vgl. Sickel 1933, S.16.

[18] Vgl. Dill 1992, S.16.

[19] Vgl. Ebd, S. 18ff.

[20] Nicolai 1811, S.116.

[21] Adelung 1775, Vorrede S.IV.

[22] Dill 1992, S.41.

[23] Vgl. Krause 1771, S. 118.

[24] Adelung 1793, Vorrede S. VI.

[25] Vgl. Henne 1968, S.109-129.

[26] Adelung 1793, Vorrede S.III.

[27] Adelung 1773, Vorrede, S.XIII.

[28] Ebd, S.XIX.

[29] Vgl. Dill 1992, S. 48.

[30] Vgl. Ebd, S. 50-52.

[31] Stötzel 1970, S.8.

[32] Vgl. Dill 1992 ,S.55.

[33] Adelung 1773, Vorrede S.VI.

[34] Ebd, S.V.

[35] Dill 1992, S.71.

[36] Vgl. ebd., S.71.

[37] Adelung 1773, S.X.

[38] Adelung 1773, S.X.

[39] Ebd, S.XI.

[40] Soltau 1806, S.1f.

[41] Vgl. Püschel 1982, S.28-51.

[42] Strohbach 1984, S.218.

[43] Ebd., S.218.

Excerpt out of 18 pages

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Title
Normativ oder deskriptiv? - Johann Christoph Adelung und das "Grammatisch-Kritische Wörterbuch"
College
University of Trier
Author
Year
2004
Pages
18
Catalog Number
V109772
ISBN (eBook)
9783640079506
File size
377 KB
Language
German
Keywords
Normativ, Johann, Christoph, Adelung, Grammatisch-Kritische, Wörterbuch
Quote paper
Jean-Claude Eichenseher (Author), 2004, Normativ oder deskriptiv? - Johann Christoph Adelung und das "Grammatisch-Kritische Wörterbuch", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109772

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