Was geschieht, wenn der Schleier des Vertrauens zwischen Arzt und Patient zerreißt? Diese tiefgreifende Analyse enthüllt die komplexen Dynamiken einer Beziehung, die seit Jahrhunderten im Wandel ist. Von den antiken Heilkundigen bis zur modernen Apparatemedizin beleuchtet dieses Buch die soziologischen Grundlagen des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Entdecken Sie die einflussreichen Theorien von Talcott Parsons, der die Arztrolle und Krankenrolle im Kontext gesellschaftlicher Subsysteme verortet, und Erving Goffman, dessen symbolischer Interaktionismus die Bedeutung von Rollenverhalten und Statussymbolen hervorhebt. Erfahren Sie, wie sich Erwartungshaltungen, Rechte und Pflichten in dieser besonderen Dyade manifestieren und wie gesellschaftliche Normen dabei partiell außer Kraft gesetzt werden. Die tiefgreifende Betrachtung der Arzt-Patienten-Beziehung zeigt, wie kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Faktoren die Interaktion beeinflussen. Untersucht werden klassische Rollenbilder und moderne Herausforderungen, die sich durch die zunehmende Technisierung und die veränderten Ansprüche der Patienten ergeben. Die Analyse der Interaktionsmuster ermöglicht ein tieferes Verständnis für die Bedeutung von Vertrauen, Respekt und Autonomie im Gesundheitswesen. Das Buch bietet wertvolle Einblicke für Mediziner, Soziologen und alle, die sich für die zwischenmenschlichen Aspekte der Medizin interessieren. Es wirft ein Licht auf die oft unausgesprochenen Erwartungen und unausgeglichenen Machtverhältnisse, die das Verhältnis prägen. Dabei werden neue Wege zu einer partnerschaftlichen und patientenzentrierten Kommunikation aufgezeigt. Es wird hinterfragt, inwieweit traditionelle Rollenbilder noch zeitgemäß sind und wie sie durch neue Modelle der Zusammenarbeit ersetzt werden können. Lassen Sie sich fesseln von einer Reise durch die Welt der medizinischen Soziologie, die Ihnen neue Perspektiven auf eine der wichtigsten Beziehungen unserer Gesellschaft eröffnet. Ergründen Sie die feinen Nuancen der Kommunikation und die subtilen Mechanismen, die das Vertrauen zwischen Arzt und Patient entweder stärken oder untergraben. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind oder sich für die gesellschaftlichen Aspekte von Krankheit und Gesundheit interessieren. Es beleuchtet die Herausforderungen und Chancen einer sich wandelnden Beziehung und plädiert für einen respektvollen und partnerschaftlichen Umgang miteinander. Die Erforschung der Arzt-Patienten-Beziehung ermöglicht ein tieferes Verständnis für die menschlichen Bedürfnisse im Kontext der medizinischen Versorgung und fördert eine empathische und patientenzentrierte Praxis.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Arzt/Ärztinrolle in der soziologischen Theorie nach Talcott Parsons
3 Die Krankenrolle aus medizinsoziologischer Sicht nach Talcott Parsons
4 Das Rollenhandeln im Rahmen sozialer Systeme
5 Das Arzt/Ärztin–Patient/in-Verhältnis nach Erving Goffman
6 Zusammenfassung
7 Quellenverzeichnis
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die seit Jahrhunderten bestehende Beziehung zwischen Arzt/Ärztin und Patient/in ist eine häufig diskutierte Dyade, die stets kulturellen, gesellschaftlichen, religiösen und ökonomischen Schwankungen unterlag und auch zukünftig unterliegen wird.
Wurde der Beruf anfänglich nur von Männern höheren Standes, die zusätzlich besondere „heilkundliche“ Fähigkeiten besaßen, was teilweise auch für Priester galt, ausgeführt, ist es seit einiger Zeit jedem/r gutem/n Abiturienten/in möglich ein Medizinstudium aufzunehmen, was impliziert, dass auch Frauen der Zugang zur Wissenschaft der Medizin nicht mehr verwehrt bleibt. Diese positive Entwicklung hat viele Jahrhunderte gedauert und ist nach wie vor nicht in allen Nationen und Religionen der Welt eingeführt. So wird noch heute der/die Arzt/Ärztin in vielen Kulturen als der/die „Heilkundige“ von Natur aus oder von Gott gesandt angesehen, was ihm/ihr allein dadurch einen hohen gesellschaftlichen Stand einbringt: Die Patient(inn)en vertrauen ohne kritisches Hinterfragen auf die Kräfte und Fähigkeiten des/der „Heilkundigen“ und zollen ihm/ihr hohen Respekt [Mamlock 1925].
Ganz anders ist die Beziehung in der westlich industrialisierten Welt zu betrachten: Viele Patient(inn)en kennen ihre Rechte ebenso wie ihre Pflichten, haben die Möglichkeit sich medizinisch zu informieren und sind in der Lage, selbst Entscheidungen über ihre Gesundheit zu treffen.
Weitere Faktoren machen zum Einen die voranschreitende Forschung und Wissenschaft sowie die Apparatisierung der Medizin aus, die es zu überblicken gilt. Zum Anderen werden ärztliche Handlungen und Therapien als Dienstleistungen angesehen, die von den Patient(inn)en zu entgelten sind; im Gegensatz zu früheren Zeiten, als „Heilkundige“ durch das Land zogen, um aus Barmherzigkeit oder ärztlicher Pflicht die Menschen zu behandeln.
In Anbetracht dieser Tatsachen hat sich das Verhältnis zwischen Ärzt(inn)en und Patient(inn)en dahingehend verändert, dass sie sich mit mehr oder weniger Respekt, Selbstbewusstsein und Autoritätsverhalten gegenüber stehen. Im vergangenem Jahrhundert beschäftigten sich viele Wissenschaftler/innen mit der „mystischen“ Arzt/Ärztin-Patient/in-Beziehung und entwickelten dazu Theorien aus mehreren Perspektiven. Diese Arbeit konzentriert sich auf die soziologische Ebene und stellt u. a. die Theorie des namhaften Soziologen Talcott Parsons vor.
2 Die Arzt/Ärztinrolle in der soziologischen Theorie nach Talcott Parsons
Der amerikanische Soziologe Talcott Parsons entwickelte eine „strukturell-funktionale Theorie“, auch genannt die „große Gesellschaftstheorie“, die es ermöglichte, verschiedene soziologische Erscheinungsformen sowie gesellschaftliche Abläufe adäquat erklären zu können.
Parsons geht davon aus, dass das System „Gesellschaft“ sich in verschiedene interpenetrierende Subsysteme, wie z. B. das kulturelle oder das ökonomische System, untergliedert. Er versucht somit Sozialisationsmechanismen zu beschreiben, die, um in der Gesellschaft seine Position zu finden, maßgeblich für jedes Individuum sind.
Insbesondere differenziert Parsons dabei drei Subsysteme und ihre jeweiligen Beziehungen zueinander: Der Begriff des „Kulturellen Subsystems“ entspricht dem normativen Rahmen, der positiv sanktionierte Verhaltensmuster in einer Gesellschaft beinhaltet. Durch das „personale Subsystem“ wird jedes Individuum gemäß seiner Sozialisation befähigt, Erwartungshaltungen, die an seine soziale Rolle geknüpft sind, zu erfüllen. Die Einhaltung bestimmter Rollenerwartungen sowie die strukturelle Verfestigung sozialer Positionen werden durch das „soziale Subsystem“ hervorgebracht.
Innerhalb der Subsysteme gibt es seiner Auffassung nach „generalisierte Interaktionsmedien“, die der Vereinfachung der gesellschaftlichen Abläufe dienen. Ein von ihm benanntes Medium ist der „Einfluss“, der die spezielle Bedeutung der Motivation zu einem bestimmten Handeln ohne genaue Begründung und ohne Androhung negativer Folgen innehat.
Bezüglich der Arzt/Ärztin-Patient/in-Beziehung nimmt der/die Patient/in den Rat des/der Arztes/Ärztin an, ohne eine detaillierte medizinische Erklärung zu erhalten. Aufgrund der Überzeugung, dass der/die Arzt/Ärztin die beste Therapie zur Verbesserung des Gesundheitszustandes vorschlägt, geht der/die Patient/in weiterhin davon aus, dass sich keine negativen Folgen für ihn/sie ergeben werden.
Voraussetzung in dieser Beziehung ist das Vertrauensverhältnis des/der Patienten/in in die soziale und fachliche Kompetenz des/der Arztes/Ärztin. Hier wird die enge Verflechtung des „kulturellen Subsystems“ mit dem „sozialen Subsystem“ deutlich: In vielen Gesellschaften werden die Ärzte/innen erst durch akademische Titel oder Veröffentlichungen hinsichtlich ihrer Fachkompetenz anerkannt, obwohl dies zur Ausübung des Berufes nicht notwendig ist. Des Weiteren ist das Einhalten eines bestimmten Rollenverhaltens des/der Arztes/Ärztin dem/der Patienten/in gegenüber für das Vertrauensverhältnis unabdingbar. Erst diese Verzahnung der Subsysteme schafft die Basis für ein solches Vertrauensverhältnis, in dem der/die Patient/in sich freiwillig dem Einfluss des/der Arztes/Ärztin unterstellt [Rausch 1999].
Da die Arzt/Ärztinrolle und die Patienten/inrolle gegenseitig komplementär sind, bedingen sie Erwartungshaltungen, die die Interaktionspartner aneinander knüpfen. Die Arzt/Ärztinrolle steht hauptsächlich in der professionellen Verpflichtung und zeichnet sich durch affektive Neutralität, kollektive und universalistische Orientierung sowie einer funktionalen und spezifischen medizinischen Handlungsweise aus. Parsons benannte dies als „Pattern Variables“, wodurch jede denkbare Interaktionssituation anhand zehn schematisch vorgegebener Eigenschaften analysiert werden kann und wählte o. g. Variablen nach seiner Vorstellung des Rollenbildes des Arzt/Ärztinberufes aus [Koschnick 1984].
3 Die Krankenrolle aus medizinsoziologischer Sicht nach Talcott Parsons
Auf der rein biologischen Betrachtungsebene wird Krankheit als eine Abweichung bezüglich des idealtypisch optimal bestimmten Gesundheitszustandes oder eines statistischen Durchschnittswertes bezeichnet.
Parsons sieht Krankheit in seiner strukturfunktionalistischen Theorie zusätzlich als gesellschaftlich unerwünscht und charakteristisch dysfunktional an. Die Krankenrolle ist durch folgende Recht-Pflicht-Paare gekennzeichnet:
1. Der/die Arzt/Ärztin erklärt dem/der Patienten/in für seine/ihre Krankheit als nicht verantwortlich, indem sie als medizinischer Tatbestand diagnostiziert wird, der nicht durch das individuelle Vermögen des/der Kranken allein vollständig durchschaut und überwunden werden kann.
2. Gerade weil der/die Patient/in seine/ihre Krankheit nicht angemessen zu beurteilen in der Lage ist, hat er/sie die Verpflichtung, von dem/der Arzt/Ärztin kompetente Hilfe in Anspruch zu nehmen und mit ihm/ihr zu kooperieren.
3. Der/die Patient/in wird von dem/der Arzt/Ärztin dazu legitimiert, seine/ihre Aufgaben in Familie und Beruf sowie die übrigen Rollenverpflichtungen vorübergehend nicht wahrzunehmen.
4. Die krankheitsbedingte Rollenbefreiung enthält für den/die Patienten/in gleichzeitig die Verpflichtung zur schnellstmöglichen Genesung, d. h. insbesondere, das Aufbringen des Willens zum Gesundwerden.
Für die Inhaber/innen einer Krankenrolle heißt dies im soziologischen Sinne der Verlust oder die Beeinträchtigung der Fähigkeiten zur normativen Rollenausübung, sowie die unterschiedlich ausgeprägte Einschränkung der Leistungskapazität. Des Weiteren beinhaltet die Legitimation des Krankenstatus eine strukturelle Koppelung an die Definitions- und Expertenmacht des/der Arztes/Ärztin und die Motivation des/der Kranken zur Beendigung dieser Rolle, was Parsons als „psychologisch motivationale Komponente“ im Krankheitsverlauf benennt.
Die Krankenrolle erfüllt durch die bedingte Legitimation additional eine substanzielle gesellschaftliche Funktion, da die Devianz des/der Kranken einer gesellschaftlichen Kontrolle bedarf, die die Wiederherstellung des normativen Rollenverhaltens des/der Erkrankten zum Ziel hat [Ebert 2003].
4 Das Rollenhandeln im Rahmen sozialer Systeme
Parsons geht davon aus, dass Arzt/Ärztin und Patient/in eine komplementäre wechselseitige Erwartungsstruktur als soziales System verbindet, d. h., dass die Rechte und Pflichten beiderseits aufeinander abgestimmt sind und das gemeinsame Ziel der baldigen Gesundheit durch die bestmögliche Behandlung verfolgen.
Wie bereits erwähnt haben Ärzte/innen den Umständen entsprechend das Recht, vertraulichste Informationen aus dem Privatleben der Patient(inn)en zu erfahren. Die Patient(inn)en haben eine erhöhte Mitteilungsbereitschaft, da sie für ihren Krankheitszustand nicht verantwortlich gemacht werden. Durch die affektive Neutralität sowie die funktionale Spezifität des/der Arztes/Ärztin ist es den Patient(inn)en sogar möglich, über tiefergehende intime Auskünfte zu reden, denn ethische, moralische oder emotionale Reaktionen sind im ärztlichen Rollenhandeln nicht vorgesehen.
Ein Weiteres gesellschaftlich zugeteiltes „Exklusivrecht“ für Ärzte/innen besteht darin, dass sie das Recht auf kontrollierte Körperverletzung haben. Dies kann von der sachgerechten Behandlung bis zum nicht sanktionierbaren Tod der Patient(inn)en durch den medizinischen Eingriff führen. Der ärztliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit kann jedoch Gefühle von Angst und Verletzbarkeit auslösen, wodurch die emotionalen Anpassungsprobleme an dieses Recht des/der Arztes/Ärztin nicht behoben werden können.
Ein drittes Recht der Ärzte/innen bezieht sich auf die Tatsache, dass sie die Behandlung der Patient(inn)en monopolisieren können, was bedeutet, dass sie während des Zeitraumes eines zu behandelnden Krankheitsfalles die Konkurrenzsituation innerhalb der Ärzteschaft außer Kraft setzen können. Nur sie selbst entscheiden über anstehende Therapiemaßnahmen oder das Hinzuziehen eines/r weiteren Arztes/Ärztin, was in der Regel per Überweisung geschieht. Von dem/der Patienten/in wird seitens der Ärzteschaft erwartet, dass er/sie während der Behandlung den/die Arzt/Ärztin nicht wechselt, falls dies doch eigenaktiv eintritt, hat der/die hinzugezogene Kollege/in das Recht auf Erhalt aller Informationen über den/die Patienten/in.
Insgesamt wird deutlich, dass in der Arzt/Ärztin-Patient/in-Beziehung zentrale Alltagsnormen partiell außer Kraft gesetzt werden. Als vorteilhaft daraus ergibt sich, dass beide Parteien sich Vertrauen entgegenbringen und durch das kollektive Beschreiten des Gesundungsprozesses das Ziel der Genesung forciert und erreicht werden kann [Ebert 2003].
5 Das Arzt/Ärztin–Patient/in-Verhältnis nach Erving Goffman
Goffman entwickelte die soziologische Theorie des „Symbolischen Interaktionismus“, die besagt, dass Menschen in einer symbolisch vermittelten Umwelt interagieren.
Individuelles Verhalten, Handeln und Bewusstsein sind Erwiderungen auf mitgeteilte, mit bestimmten Bedeutungen verbundene Symbole, wie z. B. Wörter und Gesten, die innerhalb eines Kulturkreises definiert und allgemeinverständlich verwendet werden.
Das Handeln eines Individuums kann eine Erwiderung eines anderen Individuums hervorrufen und diese Reaktion zur Kontrolle seines eigenen Verhaltens und zur erneuten Aktion einsetzen. Dadurch wird die Definition sowie die Redefinition sozialer Situationen und Interaktionen ermöglicht. Hierbei vollzieht sich der Prozess des Lernens von Symbolen und Rollen, der zur Sozialisation des Individuums zu einer sozial handlungsfähigen und interaktiv kompetenten Persönlichkeit hauptsächlich beiträgt.
Die interaktionistische Rollentheorie ist der Prozess, in dem die Beteiligten ihre Rollen in einer sozialen Situation vorläufig anordnen, um sie dann im gemeinsamen Handeln festzulegen. Nach Ansicht Goffmans ist eine Rolle die Tätigkeit, die ein Individuum in einer bestimmten Position ausführt; inklusive der Erfüllung der normativen Anforderungen, die diese Funktion mit sich bringt. Sie ist vom tatsächlichen Verhalten des Individuums, also des Rollenverhaltens, zu unterscheiden, was bedeutet, dass eine Rolle nur gespielt werden kann.
In der sozialen Situation äußert sich das Rollenverhalten eines Individuums durch die Interaktion mit relevanten Bezugspersonen (Rollenpartner(inne)n) und unterliegt somit verschiedenen Rollenbeziehungen, die wiederum in Unterrollen aufgeteilt werden: Ein/e Arzt/Ärztin geht verschiedene Rollenbeziehungen mit unterschiedlichen Rollenpartner(inne)n ein, die jeweils durch bestimmte Symbole, Rechte, Pflichten und Assoziationen gekennzeichnet sind. Diese einzeln gespielten Rollen sind Ausschnitte, die unabhängig voneinander eine Vereinigung von Tätigkeiten zur Rollenanalyse bilden.
Um als Arzt/Ärztin tätig werden zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, wie z. B. Abitur, Studium, Approbation und Promotion zur gesellschaftlichen Anerkennung. Keiner besonderen Qualifikation oder Bildung bedarf es im Gegensatz dazu der Patient(inn)en-Rolle: Um die Position des/der Patienten/in einnehmen zu können, ist eine physische oder psychische Unregelmäßigkeit ausreichend. Anhand dieser unterschiedlichen Anforderungen an bestimmte Rollen lässt sich erkennen, wie verschieden die Maßstäbe bezüglich des Bildungsniveaus, Titels, Status etc. sein können.
Durch entsprechende Statussymbole, wie beispielsweise das Tragen des weißen Kittels in Kombination mit einem Stethoskop von Ärzt(inn)en, können Individuen in soziale Klassen eingeordnet werden; zudem wird in jedem Fall ein bestimmter sozialer Maßstab an eine Position angelegt, der dem/der Inhaber/in ein hohes oder geringes Maß an sozialem Prestige einbringen kann [Rausch 1999].
6 Zusammenfassung
„Das Leben ist kurz, die Kunst lang, der rechte Augenblick flüchtig, der Versuch trügerisch, die Entscheidung schwierig.“1
Dieser zweieinhalbtausend Jahre alter hippokratische Aphorismus berührt nach wie vor entscheidende Aspekte der Medizin: Die ärztliche Kunst bezieht sich auf die Kürze des Lebens neben nicht endender Forschung, sie hängt oftmals vom richtigen Augenblick ab, basiert auf Versuchen und besteht grundsätzlich aus schwierigen Entscheidungen. Ärztliche Kunst schließt jedoch auch immer die Mitarbeit der Patient(inn)en ein, wie es im Aphorismus weiterhin lautet: „Nicht allein der Arzt muß in seinem Tun diese Bedingung einsehen, auch der Patient, seine Angehörigen und die Umwelt müssen sich an diese Wahrheit halten.“2
Das ärztliche Handeln war und ist stets Ausdruck der Kultur und der Gesellschaft und unterliegt somit den Veränderungen der allgemeinen Vorstellungen über Gesundheit, Krankheit, Sterben, Ethik, Religion, Beziehung und Gespräch [Engelhardt v. 2001].
Die ärztliche Rolle hingegen ist seit den frühesten Kulturepochen bis heute weitestgehend stabil: Der Arzt/die Ärztin nimmt eine hervorragende Stellung ein, da er/sie durch besondere Fähigkeiten oder spezielle Ausbildung eine in hohem Maße geeignete Person zur Beratung und Heilung bei Krankheit und Gesundheit ist und somit privilegiert, in die Intimität eines jeden Individuums eindringen zu dürfen. Doch diese von den Patient(inn)en an ihn/sie herangetragenen hohen Erwartungen in seiner Rolle bedeuten auch, dass er/sie eine schwere Last auf den Schultern zu tragen hat, denn ein ihm/ihr unterlaufender Fehler in seinem/ihrem ärztlichen Handeln kann ein rasches Schwinden der Autorität und des Status bedeuten [Saynisch 1997].
In der Praxis wird von einem/r Arzt/Ärztin aktives Handeln bezüglich der Krankheit erwartet, aber ein zu frühes Handeln ohne auf den/die Patienten/in einzugehen birgt die Gefahr, etwas zu übersehen, denn jedes Individuum muss in seiner Gesamtheit gesehen werden.
Gerade in der heutigen „Apparatemedizin“ steht der/die Arzt/Ärztin nicht nur der Krankheit gegenüber, sondern dem/der Patienten/in als Mensch mit all seinen/ihren individuellen Besonderheiten, die von der Krankheit nicht zu trennen sind. So wird in vielen Foren und Fachzeitschriften gefordert, dass der/die Arzt/Ärztin neben der rein medizinischen Tätigkeit auch psychologisch geschult werden sollte, um den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit wahrnehmen zu können und die Beziehung zu den Patient(inn)en mit menschlicher Nähe auszufüllen.
7 Quellenverzeichnis
8 Literaturverzeichnis
1. Ebert, M.: Talcott Parsons - Seine theoretischen Instrumente in der Medizinsoziologischen Analyse der Arzt-Patienten-Beziehung.; Shaker; Aachen; (2003)
2. Engelhardt v., D.: Das Bild des Arztes aus medizinhistorischer Sicht. In: Huth, K. (Hrsg.): Arzt-Patient: Zur Geschichte und Bedeutung einer Beziehung.; Attempto; Tübingen; (2001) 31-48
3. Koschnick, W.-J.: Standardwörterbuch für die Sozialwissenschaften.; K-G-Saur Verlag KG; München, New York, London, Paris; (1984)
4. Mamlock, G.: Arzt und Patient.; Kullmann & Marcus-Willenberg GmbH; Berlin; (1925)
5. Rausch, S.: Forschungsstand. Eine Untersuchung zur Arzt-Rolle unter besonderer Berücksichtigung des Arzt/Patienten-Verhältnisses und der professionellen Situation der Ärzteschaft in Ost- und Westdeutschland: Ähnlichkeit trotz vormaligen Systemunterschieds?; Verlag für Wissenschaft und Forschung; Berlin; (1999) 39-50
6. Saynisch, D.: Arzt und Patient: Die bedrohte Beziehung: Ein ärztlicher Befund.; agenda; Münster; (1997)
[...]
1 Engelhardt v., D.: Das Bild des Arztes in medizinhistorischer Sicht. In: Arzt – Patient: Zur Geschichte und Bedeutung einer Beziehung.; Huth, K. (Hrsg.); Tübingen; Attempto; (2001); S. 31
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Fokus dieser Arbeit?
Diese Arbeit konzentriert sich auf die soziologische Ebene der Arzt/Ärztin-Patient/in-Beziehung und stellt u. a. die Theorie des Soziologen Talcott Parsons vor.
Was ist die „strukturell-funktionale Theorie“ nach Talcott Parsons?
Es ist eine Theorie, die es ermöglicht, verschiedene soziologische Erscheinungsformen sowie gesellschaftliche Abläufe adäquat erklären zu können. Parsons geht davon aus, dass das System „Gesellschaft“ sich in verschiedene interpenetrierende Subsysteme untergliedert.
Welche Subsysteme differenziert Parsons?
Parsons differenziert drei Subsysteme: das „Kulturelle Subsystem“ (normativer Rahmen), das „personale Subsystem“ (Sozialisation des Individuums) und das „soziale Subsystem“ (Verfestigung sozialer Positionen).
Was versteht Parsons unter "generalisierte Interaktionsmedien"?
Innerhalb der Subsysteme gibt es seiner Auffassung nach „generalisierte Interaktionsmedien“, die der Vereinfachung der gesellschaftlichen Abläufe dienen. Ein von ihm benanntes Medium ist der „Einfluss“, der die spezielle Bedeutung der Motivation zu einem bestimmten Handeln ohne genaue Begründung innehat.
Was sind die "Pattern Variables" in Bezug auf die Arzt/Ärztinrolle nach Parsons?
Die Arzt/Ärztinrolle zeichnet sich durch affektive Neutralität, kollektive und universalistische Orientierung sowie einer funktionalen und spezifischen medizinischen Handlungsweise aus. Parsons benannte dies als „Pattern Variables“.
Wie definiert Parsons Krankheit aus soziologischer Sicht?
Parsons sieht Krankheit als gesellschaftlich unerwünscht und charakteristisch dysfunktional an. Die Krankenrolle ist durch bestimmte Rechte und Pflichten gekennzeichnet.
Welche Rechte und Pflichten sind mit der Krankenrolle nach Parsons verbunden?
Der/die Patient/in wird nicht für seine/ihre Krankheit verantwortlich gemacht, hat die Verpflichtung, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und zu kooperieren, wird von Aufgaben entbunden und hat gleichzeitig die Verpflichtung zur schnellstmöglichen Genesung.
Wie verbindet Parsons Arzt/Ärztin und Patient/in in einem sozialen System?
Parsons sieht Arzt/Ärztin und Patient/in durch eine komplementäre wechselseitige Erwartungsstruktur verbunden, wobei die Rechte und Pflichten beiderseits aufeinander abgestimmt sind und das gemeinsame Ziel der baldigen Gesundheit verfolgt wird.
Was ist die Theorie des „Symbolischen Interaktionismus“ nach Erving Goffman?
Sie besagt, dass Menschen in einer symbolisch vermittelten Umwelt interagieren. Individuelles Verhalten, Handeln und Bewusstsein sind Erwiderungen auf mitgeteilte Symbole wie Wörter und Gesten.
Wie definiert Goffman die Rolle?
Nach Ansicht Goffmans ist eine Rolle die Tätigkeit, die ein Individuum in einer bestimmten Position ausführt; inklusive der Erfüllung der normativen Anforderungen, die diese Funktion mit sich bringt. Sie ist vom tatsächlichen Verhalten des Individuums, also des Rollenverhaltens, zu unterscheiden.
Welche Statussymbole können nach Goffman Individuen in soziale Klassen einordnen?
Durch entsprechende Statussymbole, wie beispielsweise das Tragen des weißen Kittels in Kombination mit einem Stethoskop von Ärzt(inn)en, können Individuen in soziale Klassen eingeordnet werden.
- Quote paper
- Dipl.-Pflegewirtin (FH) Anike Bäslack (Author), 2004, Arztrolle-Krankenrolle: Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110264