Über den Ausgangspunkt der deutschen Ästhetik in der Aufklärung schreibt Ernst Cassirer: "Zum erstenmal stellt sich jetzt die gesamte Problematik des Ästhetischen unter die Leitung und gewissermaßen unter die Obhut der s y s t e m a- t i s c h e n P h i l o s o p h i e" (1); und Karl Otto Conrady gibt in seinem Aufsatz über Gottscheds "Sterbenden Cato" dementsprechend das Leitziel der Interpretation an: "Erst wenn der bei Gottsched bis ins Paradoxe hinein konsequente Folgezusammenhang zwischen philosophischem Weltbild, Literaturtheorie und Einzelwerk sichtbar gemacht wird, rückt auch das Drama vom "Sterbenden Cato" in die richtige Sicht" (2). Diesen Folgezusammenhang suche ich in Gottscheds Mustertragödie hinsichtlich der dramatischen Gestaltung von Tugend und Affekten deutlich zu machen, indem ich zunächst von dem grundlegenden leibniz-wolffschen Denksystem ausgehend zur dem Prinzip der Wirkung verpflichteten und insofern rhetorisch geprägten Poetik Gottscheds weiterschreite, um von dem so erst zu gewinnenden begrifflichen Horizont aus die Gestaltung von Tugend und Affekten im Trauerspiel deutlich machen und einer kritischen Prüfung hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis von Theorie und dramatischer Praxis unterziehen zu können. Auf diese Weise soll deutlich werden, daß schon in der philosophischen Grundlage ein zentraler Bruchpunkt liegt, dessen Ausläufer durch die Poetik, das Drama selbst und alle interpretativen Äußerungen hindurchwirken und auch die Fehlrezeption der antiken Poetik erklären. Dieser Bruchpunkt liegt in der logischen Identifizierung von Natur und Vernunft und dem daraus folgenden Erfolgskriterium des moralischen Handelns. Tragik im antiken oder christlichen Sinne ist vor dem Hintergrunde dieses Verständnisses nicht möglich. Moral als eigenständiger Bereich im Gegensatz zum technischen Handeln ist streng genommen überhaupt nicht existent.
Wegen der heute weitgehend unbekannten und auch in der Sekundärliteratur allzu
oberflächlich abgehandelten Philosophie der Frühaufklärung und ihres fundamentalen
Charakters für eine dem Zeitgeist entsprechende Dramenanalyse wurde die Darstellung der philosophische Grundlage und der Poetik ausführlicher gehalten, als bei einer reinen Dramenanalyse zu erwarten wäre.
Inhaltsverzeichnis
- UNTERSUCHUNGSANSATZ: PHILOSOPHIE UND POETIK ALS GRUNDLAGE DER GESTALTUNG DES DRAMAS
- DIE PHILOSOPHISCH-SYSTEMATISCHE TUGEND- UND AFFEKTENLEHRE GOTTSCHEDS
- Zur historischen Stellung der Philosophie Gottscheds
- Übersicht über die Lehre von Tugend und Affekten im Brennpunkt der philosophischen Systematik
- Nähere Analyse von Tugend und Affekten
- Andere philosophische Lehren: Das rechte Verhalten in Unglücksfällen und der Stoizismus
- DIE ZENTRALE STELLUNG VON TUGEND UND AFFEKTEN IN DER KRITISCHEN POETIK GOTTSCHEDS
- DIE DARSTELLUNG VON TUGEND UND AFFEKTEN IM DRAMA "STERBENDER CATO"
- ZUR METHODIK DER ANALYSE
- PHARNACES ODER DER UNTERGANG DES LASTERS DURCH SELBSTZERSTÖRUNG
- Dargestellte und berichtete Handlung
- Motive und Moralreflexion
- CATO ODER DER UNTERGANG DES TUGENDHAFTEN AUS EIGENSINN UND DURCH FALSCHE VORSTELLUNG
- Die dargestellte und berichtete Handlung
- Die berichteten und geäußerten Motive Catos
- Die theoretischen Reflexionen über Tugend und Affekte
- CÄSAR ODER DIE VERSCHLEIERUNG DES LASTERS DURCH SCHEINBARE TUGEND
- Dargestellte und berichtete Handlung
- Motive Cäsars
- Theoretische Reflexionen
- GOTTSCHEDS INTERPRETATION DES DRAMAS UND DES HISTORISCHEN CATO HINSICHTLICH TUGEND UND AFFEKTEN
- Die Vorrede zum "Sterbenden Cato" (in der Erstausgabe)
- Die "Bescheidene Antwort" auf die erfahrene Kritik (1733 erschienen)
- Die Catorede (1736 gedruckt)
- DAS VERHÄLTNIS VON DRAMATISCHER GESTALTUNG, THEORIE UND EIGENINTERPRETATION
- ZUSAMMENFASSUNG
- ANMERKUNGEN
- LITERATURVERZEICHNIS UND ABKÜRZUNGEN
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert Gottscheds Trauerspiel "Sterbender Cato" unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen und poetologischen Grundlagen. Ziel ist es, den Zusammenhang zwischen Gottscheds philosophischer Systematik, seiner Poetik und der dramatischen Gestaltung von Tugend und Affekten im Drama aufzuzeigen. Die Arbeit untersucht, wie Gottsched die philosophischen Prinzipien der Aufklärung in seiner Mustertragödie umsetzt und welche Rolle Tugend und Affekte in der Gestaltung des Dramas spielen.
- Die philosophische Grundlage der Tugend- und Affektenlehre Gottscheds im Kontext der deutschen Aufklärung
- Die Rolle von Tugend und Affekten in Gottscheds kritischer Poetik
- Die Darstellung von Tugend und Affekten in den Figuren des "Sterbenden Cato"
- Das Verhältnis von Theorie und dramatischer Praxis in Gottscheds Werk
- Die Interpretation des Dramas und des historischen Cato hinsichtlich Tugend und Affekten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Analyse des philosophischen und poetologischen Hintergrunds von Gottscheds "Sterbenden Cato". Sie beleuchtet die philosophische Systematik der deutschen Aufklärung, insbesondere die Lehren von Leibniz und Wolff, und zeigt auf, wie Gottsched diese in seine eigene Philosophie integriert. Die Arbeit untersucht die Bedeutung von Tugend und Affekten in Gottscheds philosophischer Systematik und wie diese Konzepte in seiner Poetik Anwendung finden.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die Darstellung von Tugend und Affekten im Drama "Sterbender Cato" analysiert. Die Arbeit untersucht die Figuren Pharnaces, Cato und Cäsar und analysiert ihre Handlungen, Motive und die damit verbundenen moralischen Reflexionen. Sie beleuchtet die theoretischen Reflexionen über Tugend und Affekte im Drama und setzt diese in Beziehung zu Gottscheds philosophischer und poetologischer Theorie.
Die Arbeit schließt mit einer Analyse von Gottscheds Interpretation des Dramas und des historischen Cato hinsichtlich Tugend und Affekten. Sie untersucht die Vorrede zum "Sterbenden Cato", die "Bescheidene Antwort" auf die erfahrene Kritik und die Catorede. Die Arbeit beleuchtet das Verhältnis von dramatischer Gestaltung, Theorie und Eigeninterpretation in Gottscheds Werk.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die deutsche Aufklärung, Gottsched, "Sterbender Cato", Tugend, Affekte, Philosophie, Poetik, Drama, Dramenanalyse, Moral, Rationalismus, Systematik, Leibniz, Wolff, Tradition, Interpretation, Theorie und Praxis.
- Arbeit zitieren
- Martin Gabel (Autor:in), 1993, Tugend und Affekte in Gottscheds Trauerspiel "Sterbender Cato" unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen und poetologischen Grundlagen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110726