John Locke und die Sklaverei


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

22 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung – Die spanische Spätscholastik

2. Sklaverei in den Two Treatises
2.1. Lockes Naturrecht
2.1.1. Sklaverei per Gesetz
2.1.2. Sklaverei von Natur
2.2. Der Widerspruch zwischen Natur- und Völkerrecht

3. Lockes Bezug zu Amerika
3.1. Der Eigentumsbegriff
3.2. Partizipation am Sklavenhandel

4. Sklaverei infolge des bellum iustum - Lockes Intention
4.1. Rechtfertigung der Sklaverei in Amerika
4.2. Lockes Rassismus

5. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis:

Primärliteratur:

Sekundärliteratur:

1. Einleitung – Die spanische Spätscholastik

Über Jahrtausende hinweg war die Sklaverei eine in allen Kulturkreisen gängige Praxis und ein elementarer Bestandteil der Wirtschaft. Aber während Sklaven im antiken Rom Vermögen erwerben und ihre Freiheit erkaufen konnten, war ihnen dies auf den amerikanischen Kolonien untersagt. Während der westliche Kulturkreis Sklaven vorwiegend für die Plantagenarbeit oder den Bergbau eingesetzt hat, wurden sie in der muslimischen Welt fast ausschließlich im privaten Haushalt eingesetzt und gut behandelt.[1] Ihre Legitimation hatte die Sklaverei nicht nur von den antiken Denkern erfahren, sondern auch von den Philosophen des Christentums. Rechtfertigte Aristoteles die Unfreiheit mit mangelnder Vernunft, berief sich Augustinus auf den Sündenfall. Das Prinzip an sich aber wurde lange Zeit nicht in Frage gestellt – auch von John Locke nicht.

Jener John Locke nämlich, der als Begründer des politischen Liberalismus angesehen wird und ausführlich über die natürliche Freiheit und Gleichheit der Menschen doziert hat, hatte die Sklaverei nicht nur legitimiert, sondern auch aktiv an ihr partizipiert.

In dieser Arbeit soll deutlich werden, dass Locke nicht als Gegner der Sklaverei angesehen werden kann. Vielmehr billigte er die Sklaverei über das Völkerrecht, um den Einsatz von Leibeigenen auf den amerikanischen Kolonien zu rechtfertigen.[2] Lockes Denken war stark auf die Neue Welt ausgerichtet. Er entwickelte einen Eigentumsbegriff, der nicht nur die englische Präsenz in Amerika legitimierte, sondern auch Indianer und Afrikaner als Gefangene eines gerechten Krieges und somit als Leibeigene bestimmt hatte. Seine eigene Involvierung in den Sklavenhandel ist ebenfalls Gegenstand dieser Arbeit.

Lediglich naturrechtlich verwarf Locke die Unfreiheit. Eine lange Zeit bestimmende, naturrechtliche Rechtfertigung der Sklaverei geht auf Aristoteles zurück, der in der „Politik“ argumentierte, dass es eben Menschen gebe, die von Natur aus zu Sklaven bestimmt seien. Menschen, die so wenig Vernunft besäßen, dass es für sie besser sei beherrscht zu werden.[3] Auch im 16. Jahrhundert wurde diese Argumentation noch fortgeführt. Aristoteles eingedenk betrachtete der spanische Hofchronist Juan Gines de Sepúlveda, die amerikanischen Ureinwohner als „von Natur aus servile und barbarische Menschen, den Spaniern unterlegen und zu Sklaven geschaffen.“[4] Entschieden zurückgewiesen wurden diese These von dem Dominikaner-Bischof Bartolomé de Las Casas (1484 – 1566). Er trat für die Rechte der Indianer ein, die unter der Herrschaft der spanischen Konquistadoren zu leiden hatten. Den Besatzern falle nichts anderes ein als „solche Schäflein [Die Indianer] zu erwürgen/ zu zerreissen/ zu ängstigen/ zu plage (sic!)/ zu martern.“[5] Las Casas verurteilte jede Gewaltanwendung – selbst bei Zurückweisung der Missionare. Francisco de Vittoria, der als Begründer des modernen Völkerrechts gilt, wendete sich ebenfalls gegen den Zeitgeist:[6] Die Ungläubigkeit der Indianer aber auch fehlende Vernunft würde deren Versklavung nicht rechtfertigen, denn der Besitz- und Herrschaftsanspruch des Menschen resultiere aus seiner Eigenschaft als Imago Dei.[7]

In Spaniens dunkelstem Zeitalter gelang es den beiden Theologen eine Diskussion anzustoßen, die in den „Leyes Nuevas“ Karls V. und der Bulle „Sublimis Deus“ sogar kurzzeitig Erfolge zeigte.[8] Zuweilen waren die spanischen Spätscholastiker ihrer Zeit weit voraus. 1573 – rund ein Jahrhundert, bevor Locke die „Two Treatises“ verfasste - erschien „Arte des los Contratos“ von Bartolomé Frias de Albornoz: Explizit verdammte der Jurist schon damals die Versklavung von Kriegsgefangenen.[9]

2. Sklaverei in den Two Treatises

Wenn Locke den Begriff Sklaverei verwendet, ist es wichtig darauf zu achten, in welchem Kontext er diesen benutzt. Seine sehr entschiedenen Attacken gegen die Leibeigenschaft, wie sie im First Treatise häufig zu finden sind, wenden sich nicht gegen die Sklaverei im eigentlichen Sinne. Locke hatte die „Two Treatises“ als Parteischrift verfasst und eine wesentliche Zielsetzung von ihm war es, den Absolutismus zu bekämpfen, den Robert S. Filmer in seiner „Patriarcha“ propagiert hatte. Unter dieser Herrschaftsform, so Lockes Gedankengang, wären alle Menschen Sklaven gleich. Eine beispielhafte Passage findet sich gleich zu Beginn seines Werkes: „Die Sklaverei ist ein so verächtlicher, erbärmlicher Zustand des Menschen und dem edlen Charakter und Mut unserer Nation derart entgegengesetzt, dass es schwerfällt zu begreifen, wie ein Engländer (..) sie verteidigen kann.“[10] In diesem Zusammenhang versteht er die Sklaverei lediglich als Antithese zur Freiheit und es wäre eine Fehlinterpretation, Locke aufgrund solcher Aussagen als einen Gegner der Sklaverei zu klassifizieren. Die Sklaverei, wie sie Gegenstand dieser Arbeit ist, definiert Locke wie folgt.

„Das sind Menschen, die (..) nach dem Recht der Natur unter der absoluten Herrschaft und willkürlichen Gewalt ihrer Herren stehen. Diese Menschen haben, (..) ihr Leben, und damit gleichzeitig ihre Freiheit verwirkt, und sie haben ihren gesamten Besitz verloren.“[11]

2.1. Lockes Naturrecht

In den „Two Treatises“ betont Locke die Freiheit und Gleichheit der Menschen untereinander. Das einzige über der Menschheit stehende Wesen ist Gott, dessen Eigentum wir sind. Die einzige Einschränkung der menschlichen Freiheit stellt das Naturrecht dar, dessen Befolgung durch die gottgegebene Vernunft sichergestellt ist.[12] Locke legt auf die Gleichheit derart viel Wert, um sich deutlich von Filmer abzugrenzen.

Locke „proceeds to two inferences, that we are all free and all equal. (...) Filmer had claimed that there was to be found in Revelation a proof that God hat set some men above other men, fathers above sons and men above women, the older above the youngers and kings above all others that this doctrine was so dangerous and hat to be refuted.”[13]

Gott will, dass sich die Menschen erhalten und vermehren und für den gläubigen Christen John Locke ist der Selbsterhaltungstrieb von zentraler Bedeutung. „Wie ein jeder verpflichtet ist, sich selbst zu erhalten und seinen Platz nicht vorsätzlich zu verlassen, so sollte er aus dem gleichen Grunde (..) auch die übrige Menschheit erhalten.“[14] Das heißt, der Erhalt und Fortbestand der menschlichen Gattung liegt in den Händen aller. Locke akzeptiert aber, dass es im Naturzustand auch Menschen gibt, die das Recht auf Leben anderer gefährden. Ein Versuch Gewalt über einen anderen zu erlangen, bedeutet dessen Selbsterhaltung zu gefährden und sich ihm gegenüber in den Kriegszustand zu versetzen. Ein „Zustand der Feindschaft und Vernichtung“, wie Locke schreibt.[15] Unter dieser Voraussetzung steht es dem Angegriffenen frei, „die Übertreter des Gesetzes in einem Maße zu bestrafen, wie es notwendig ist, um eine erneute Verletzung zu verhindern.“[16] Diese Regelung scheint nur auf den Naturzustand bezogen zu sein, der sich durch die Abwesenheit von Judikative, Legislative und Exekutive auszeichnet. Jeder Mensch ist Richter des Naturrechts. Die Vergeltung muss aber in einem der Schwere der Tat angemessenen Maß erfolgen; bereits für einen Diebstahl ist die Todesstrafe erforderlich.

Der Mensch hat „das Recht einen Dieb zu töten, der ihn nicht im geringsten verletzt hat, noch irgendeine Absicht gegen sein Leben hat verlauten lassen (...) Denn da er ohne jedes Recht Gewalt anwendet, um mich in seine Macht zu bekommen, gleichgültig was er damit beabsichtigt, so habe ich doch allen Grund zu der Annahme, dass er mir, wenn er nur meine Freiheit nimmt, auch alles übrige nehmen würde, hätte er mich nur in seiner Gewalt.“[17]

Obwohl Locke die Pflicht zur Verhältnismäßigkeit betont, hält er den Tod bereits für einen Diebstahl als angemessen. Demnach können Verbrechen, die nicht die Todesstrafe rechtfertigen würden, nur noch wahre Bagatelldelikte sein. Euchner erklärt:

„Die harte Bestrafung von Eigentumsdelikten erklärt sich daraus, dass bei Locke Freiheit und Privateigentum als Voraussetzung von Selbsterhaltung und Freiheit verstanden wird.“[18] Der Eigentumsbegriff ist an dieser Stelle aber gar nicht das Entscheidende, wichtig ist vielmehr, dass die Schwere und Art des Deliktes nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Denn ausnahmslos jede Anmaßung willkürlicher Gewalt wird von Locke als das Nichtvorhandensein der gottgegebenen Vernunft verstanden. Locke unterscheidet zwischen Menschen mit und ohne Vernunft, wobei er letztere, welche die Selbsterhaltung anderer gefährden, auf die Stufe von Tieren stellt. Wer nicht im Besitz der Vernunft ist, dem traut Locke jedes Verbrechen dazu. Weil von ihm keine Besserung erwartet werden kann, muss der Aggressor getötet oder versklavt werden. Das Gebot zur überlegten, maßvollen Strafe wird damit bedeutungslos. Aber es ist denkbar, dass er die Verhältnismäßigkeit vor allem betont, weil ihm an einer deutlichen Abgrenzung zu dem völlig unkontrollierten Naturzustand bei Thomas Hobbes gelegen war.

Für Locke ist die Vernunft das gemeinsame Band, welches „das Menschenge­schlecht zu einer einzigen Gemeinschaft und Gesellschaft“ vereinigt.[19] Die Vernunft erst macht den Menschen aus und Rechtsbrecher, die nicht ihrem Besitz sind, stehen außerhalb der menschlichen Gattung. Locke wählt äußerst scharfe Formulierungen, um seine Position zum Ausdruck zu bringen. Ein Rechtsbrecher hat sein eigenes Leben verwirkt, „weil er genau wie die Tiere die rohe Gewalt zu seiner Rechtsgrundlage erhebt.“[20] Durch das „Verbrechen (..) des Abweichens vom rechten Wege der Vernunft“ entartet der Mensch zu einem schädlichem Geschöpf, die Prinzipien der menschlichen Natur verleugnend.[21] Wie zentral die Vernunft für Locke ist, sieht man auch daran, dass die einzig legitime Ungleichheit jene zwischen den Kindern und ihren Eltern ist. Die Gleichstellung erfolgt erst dann, wenn die Kinder mit zunehmenden Alter die Vernunft erworben haben.[22]

Festzuhalten ist, dass die erste Ursache jeder Verletzung des Naturrechts im Fehlen der Vernunft liegt. Bedenkt man nun, dass Aristoteles die Sklaverei qua Geburt über einen Mangel an Vernunft legitimierte, wird deutlich, dass Locke von dieser Sichtweise nicht allzu weit entfernt ist.

Zwar lässt sich nicht behaupten, dass er die biologische Rechtfertigung fortführt, die Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Vernunft führt aber zwangsläufig zu einer Ungleichheit, wie sie in seinem Naturzustand eigentlich nicht existieren dürfte. Macpherson vermutet deshalb, dass bei Locke der Unterschied in der Vernunft den Menschen nicht angeboren ist. „Im Gegenteil er war gesellschaftlich erworben dank unterschiedlicher ökonomischer Bedingungen. Aber er war schon im Naturzustand erworben und darum der bürgerlichen Gesellschaft inhärent.“[23]

2.1.1. Sklaverei per Gesetz

Im Kriegszustand steht dem Geschädigten nun frei, ob er den Aggressor lieber hinrichten oder versklaven möchte.[24] Wenn der Versklavte lieber sterben wolle, schreibt Locke, könne er durch Widerstand gegen seinen Herren immer noch den gewünschten Tod herbeiführen.[25] Die Billigung eines solchen indirekten Suizids ist problematisch, weil Locke in den „Two Treatises“ mehrfach seine Auffassung zum Ausdruck bringt, dass der Mensch keine Gewalt über sein eigenes Leben besitzt. Die Menschen sind Gottes Eigentum „und er hat sie geschaffen, solange zu bestehen, wie es ihm, nicht aber wie es ihnen untereinander gefällt.“[26]

Diese Legitimation der Unfreiheit bezieht sich nur auf die Versklavung in Einzelfallen und rechtfertigt noch keinen systematischen Einsatz von Sklaven, wie auf den amerikanischen Kolonien. Aber Locke geht noch einen Schritt weiter und erkennt die Versklavung von Kriegsgefangenen, was eine unvergleichbar höhere Größenordnung zur Folge hat, als rechtmäßig an.

„Diese Menschen haben, wie ich schon sagte, ihr Leben, und damit gleichzeitig ihre Freiheit verwirkt, und sie haben ihren gesamten Besitz verloren. Da sie sich im Zustand der Sklaverei befinden und zu keinerlei Eigentum fähig sind, so können sie in diesem Zustand auch nicht als Teil der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden, da deren Endzweck die Erhaltung des Eigentums ist.“[27]

Dass Kriegsgefangene versklavt werden dürfen, bedeutet lediglich den Plural der bereits im Naturzustand eingeräumten Ausnahmeregelung. Wenn es legitim ist einen Aggressor zu versklaven, so muss es in der Konsequenz auch billig sein, ein ganzes Herr von Aggressoren zu versklaven. Aber Locke versucht nicht der Sklaverei durch Richtlinien zur Behandlung der Leibeigenen ein humaneres Antlitz zu geben. Für ihn existiert nur der Gegensatz zwischen vollkommener Freiheit und vollkommener Sklaverei, der keine Kompromisse duldet. Im First Treatise schreibt Locke noch, dass niemand seinen „Bruder durch mangelnde Unterstützung“ umkommen lassen dürfe.[28] Eine liberale Bestimmung, aber wie ist sie mit der Rechtfertigung der Sklaverei vereinbar? Wie oben zitiert, stehen für Locke Unfreie „außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft“. In Kapitel 2.1. wurde bereits betont, dass jeder auch für die Selbsterhaltung seiner Mitmenschen Verantwortung trägt. Denkbar ist, dass dieses Gebot bei Sklaven außer Kraft gesetzt ist, weil sie ihr Recht auf Leben verwirkt haben. Locke nimmt an, dass Gott an deren Leben nichts mehr gelegen ist und aus diesem Grund dürfen sie durch Widerstand ihre Ermordung provozieren.

2.1.2. Sklaverei von Natur

Die Sklaverei von Natur aus hat für Locke nicht länger Bestand. Dem Menschen steht es nicht einmal frei, sich selbst in die Sklaverei zu verkaufen. „Denn da der Mensch keine Gewalt über seine eigenes Leben hat, kann er sich weder durch einen Vertrag noch durch eigene Zustimmung zum Sklaven eines anderen machen.“[29] Dass die Sklaverei per Vertrag überhaupt existiert, führt Locke auf eine Fehlinterpretation der Bibel zurück. Denn die Juden hätten sich nur „zu schwerer Arbeit, nicht aber in die Sklaverei“ verkauft.[30] Locke verweist auf das Zweite Buch Mose um zu verdeutlichen, dass die Herren damals keine absolute und willkürliche Gewalt über ihre Knechte besäßen hätten.[31]

Zwar war Locke kein grundsätzlicher Gegner der Sklaverei, naturrechtlich aber kann er sie nicht rechtfertigen, solange er von einer Gleichheit der Menschen ausgeht. Da die Menschen frei und gleich geboren werden, hält es Locke auch für illegitim Kinder von Kriegsgefangenen zu versklaven.[32] Ein weiterer Grund für Lockes Verwurf kann aber auch in seinem ökonomischen Denken zu finden sein. Bis Sklavenkinder alt genug sind, um für die Arbeit eingesetzt werden zu können, verursachen sie lediglich unnötige Kosten. „Birth has been a less important source of slaves than one would imagine: (..) it was often more profitable to buy grown-up slaves than to wait until children reached an age where they could be put to work.”[33]

2.2. Der Widerspruch zwischen Natur- und Völkerrecht

Die Sklaverei gründet sich bei Locke ausschließlich über das Völkerrecht (im Sinne von Recht, das zwischen den Völkern gilt), sein Naturrecht schließt Sklaverei kategorisch aus. Daraus folgt ein eklatanter Widerspruch, denn dem Verwurf der Sklaverei folgt stante pede die Rechtfertigung. „Das Problem war schon im römischen Recht latent. Ius naturale und ius gentium, ius naturale und ius civile konnten schon dort bis zum Widerspruch auseinanderfallen, das Naturrecht etwa Freiheit und Gleichheit fordern, Völkerrecht und bürgerliches Recht die Sklaverei zulassen.“[34] James Farr sieht keinen Widerspruch bei Locke, weil die Sklaverei infolge eines gerechten Krieges das Naturrecht voraussetzt.[35] Erst die Möglichkeit der Bestrafung, gewährleistet die Einhaltung des ius naturale.

Farr übersieht aber, dass die Frage nach der Legitimität von Sklaverei nur Zustimmung oder Ablehnung erlaubt.. Entweder sie wird aus normativen Gründen ganz abgelehnt oder ihr wird aus Interessenkalkül heraus zugestimmt. Dass für Locke ethische Motive keine Rolle gespielt haben, beweist die Rechtfertigung der Unfreiheit über das Völkerrecht. Für ihn ausschlaggebend, waren die Interessen des Empire. Locke wollte die Sklaverei legitimieren und dies konnte nur über das Völkerrecht geschehen. Eine naturrechtliche Rechtfertigung hätte bedeutet, die Prämisse der Gleichheit der Menschen aufzugeben und damit auch die Bekämpfung des Absolutismus.

„Locke, Montesquieu, Voltaire, Diderot, Rousseau (und bald auch Jefferson): Vielleicht haben die Philosophen der Aufklärung den Absolutismus in Europa deshalb so bekämpft, weil sie nur zu genau die Wirklichkeit der Sklaverei in den Kolonien kannten [..]. Und vielleicht war aus dieser Sicht die parallele Entwicklung von Sklaverei und einer Kultur der Freiheit kein Zufall, sondern eine gesellschaftsgeschichtliche Notwendigkeit.“

3. Lockes Bezug zu Amerika

„In the beginning all the World was America.“[36] Insbesondere in den Passagen über das Eigentum bezieht er sich häufig auf den Kontinent, den Locke durch seine Aufenthalte dort kennen gelernt hat. Zudem besaß er Reiseberichte sowie weitere Schriften und galt zur damaligen Zeit als einer der besten Kenner der Kolonien.[37] „Locke`s life was intimaetly tied up with America, the West Indies, and India. And so was his thought.”[38] Locke war sich der ökonomischen Bedeutung Amerikas bewusst. In „Some Considerations“ schreibt er, dass „securing our Navigation and Trade, [is] more the Interest of this Kingdom than War or Conquests on the Continent.”[39] Als die englische Wirtschaft nach dem Ausbruch der Pest 1665 und dem großen Feuer von London 1666. schwer geschwächt war, stellte der Handel mit den Kolonien eine wichtige Stütze dar.[40] Hinzu kommt: Das Land im Überfluss, von dem Locke ausgeht, findet er in England nicht mehr. Boden steht nur noch in den Teilen der Welt zur Verfügung, in denen die Verwendung von Geld als Zahlungsmittel noch unbekannt ist.[41]

Amerika stellte für den Ökonomen Locke den Schlüssel für die englische Wirtschaftskraft dar. Deswegen entwickelte er einen neuen Eigentumsbegriff, der die Kolonialisierung des Kontinents rechtfertigte. Das war notwendig, weil diese Politik im 17. Jahrhundert noch viele Gegner hatte. „The opponents of colonialism either argued that settlements would ruin England or that England had no right to claim land already occupied by another people, namely the Amerindians.“[42]

3.1. Der Eigentumsbegriff

Locke beginnt seine Ausführungen über das Eigentum mit der Feststellung, dass Gott die Erde allen Menschen gemeinsam gegeben hat.[43] Früchte, Tiere, Boden gehören zunächst der Menschheit als Kollektiv.

Wer aber seine Arbeitskraft investiert, um beispielsweise Äpfel zu pflücken, macht diese damit zu seinem Eigentum. Das Gesetz der Vernunft gibt „das Wild demjenigen Indianer zum Eigentum, der es getötet hat.“[44] Eigentum definiert sich demnach ausschließlich über die Arbeit. Aber es gibt brachliegende Bodenflächen, die „sind größer, als die darauf wohnenden Menschen wirklich gebrauchen oder nutzen können, und sind aus diesem Grunde auch jetzt noch Gemeingut.“[45] Daraus folgt, dass die Indianer kein Anrecht auf ihr Land haben nur weil sie dort seit Generationen leben. Ein Besitzanspruch der Indianer ist erst dann gegeben, wenn sie ihr Land kultivieren, also Arbeitskraft investieren. „The originality of Locke`s arguments on property lies in the way English colonization is justified, not just because God or natural law has commanded ist (..), but because each colonist has a natural right within himself, through his labour, to appropiate land.“[46]

Weil die Erde allen Menschen gemeinsam gegeben ist, haben die Engländer denselben Anspruch auf das Land in der Neuen Welt wie ihre Bewohner.[47] Implizit räumt er den Engländern allerdings ein Vorrecht ein. Denn sie könnten denn Boden ertragreicher nutzbar machen als die Indianer im Stande wären.

„Denn ich frage, ob in den wildwachsenden Wäldern oder unbebauten Einöden Amerikas [...], tausend Acres den bedürftigen, armseligen Bewohnern ebenso viele Lebensmittel einbringen wie zehn Acres ebenso fruchtbaren Boden in Devonshire, wo sie richtig bebaut sind?“[48]

Locke ist der Ansicht, dass es gegen Gottes Wille sei die Erde unkultiviert zu belassen.[49] Es ist also nicht nur legitim für die Engländer nach dem amerikanischen Boden zu greifen, es ist geradezu deren Pflicht.

3.2. Partizipation am Sklavenhandel

Locke partizipierte auf zwei Wegen am transatlantischen Sklavenhandel. Er investierte zum einen mehrfach größere Beträge in Sklavenhandelsgesellschaften und bekleidete zum anderen in den amerikanischen Kolonien Posten, die mit diesem in Verbindung standen.

Die „Company of Royal Adventures trading into Africa“ übernahm 1663 die Organisation des englischen Sklavenhandels in der Karibik. Die Insel Barbados fungierte aufgrund ihrer geographischen Lage als Drehscheibe für den Handel mit Menschen, Gold und Elfenbein. Einer der Aktionäre der Gesellschaft war John Locke. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde sie 1672 von der „Royal African Company“ abgelöst, der ein tausendjähriges Monopol auf den Sklavenhandel zugesprochen wurde. Locke investierte 600 Pfund in das Unternehmen, das zwischen 1672 und 1689 rund 90000 Menschen verschiffte.[50] Diese Investition tätigte er zusammen mit dem Earl of Shaftesbury, seinem Protege und Mentor, der durch einen Einsatz von 2000 Pfund drittgrößter Investor wurde.[51] Dennoch ging das Unternehmen nach wenigen Jahren Konkurs, aber Locke, verkaufte seinen Anteil frühzeitig „for a reasonable profit“.[52] Mit 200 Pfund beteiligte sich Locke 1672 – wieder in Zusammenarbeit mit Shaftesbury - am Sklavenhandel auf den Bahamas; abermals gelang es ihm, seine Anteile mit Profit zu verkaufen.

Locke war auch auf administrativem Wege in den Sklavenhandel involviert. Nachdem Shaftesbury 1663 Miteigentümer von Carolina geworden war, agierte Locke als „secretary to the Lord Proprietors of Carolina“. Er bekam den Status eines „landgrave“ sowie Grund und Boden zugesprochen. 1673 wurde er zum „Secretary to the Council of Trade ans Plantations“ ernannt. Dabei kümmerte er sich vornehmlich um den Handel von Zucker sowie Menschen und versuchte Konflikte zwischen verschiedenen Sklavenhandelsgesellschaften zu schlichten. Ein Posten also, der eng mit dem Sklavenhandel in Verbindung stand. 1696 stieg Locke weiter auf und wurde „Comissioner of the new Board of Trade.” Er wurde zum „active policy-maker“ und hatte von allen bedeutsamen Vorgängen auf den Kolonien Kenntnis.[53]

Am befremdlichsten aber sind die „Fundamental Constitutions of Carolina“, die entstanden, als Locke Staatssekretär der Carolina-Eigentümer war. In Artikel 110 heißt es: „Every freeman of Carolina shall have absolute power and authority over his negro slaves, of what opinion or religion soever.“[54]

Es ist nicht mit endgültiger Sicherheit geklärt, ob Locke tatsächlich der Urheber dieser Bestimmungen war. Allerdings geht die Wissenschaft überwiegend davon aus, dass Locke und der Earl of Shaftesbury die Carolina-Verfassung gemeinsam verfasst haben.[55] Wenn Locke Autor oder Co-Autor war, hieße das: Er partizipierte nicht nur an der Sklaverei, weil sie bereits üblich war, sondern bemühte sich auch noch aktiv um deren Fortbestand. „Locke seems satisified that the slave-raiding forays of the Royal Africa Company were just wars of this sort, and that the negroes captured hat committed such acts.”[56] Zwar schreibt Locke nicht explizit, dass er dieser Auffassung ist, die Carolina-Verfassung lässt aber deutlich werden, dass er an der Rechtmäßigkeit der Sklaverei in Amerika nicht zweifelte.

4. Sklaverei infolge des bellum iustum - Lockes Intention

4.1. Rechtfertigung der Sklaverei in Amerika

Locke zufolge ist der Einsatz von Sklaven nur dann gerechtfertigt, wenn diese Gefangene eines gerechten Krieges sind. Der bellum iustum aber ist ein Verteidigungskrieg, indem ich mich und meine Besitztümer verteidigen muss und von den schwarzen Sklaven, seien sie nun aus Afrika oder Amerika, wurde England nicht bedroht, geschweige denn angegriffen. Von einem gerechten Krieg in klassischer Denkweise kann Locke also nicht ausgegangen sein. Sicherlich ist Verteidigung für ihn ein legitimer Grund zum Krieg. In diesem Zusammenhang aber leitet sich der bellum iustum aus seinem Eigentumsbegriff ab.

Die Erde ist allen Menschen gemeinsam gegeben und brachliegendes Land darf jeder in Besitz nehmen.[57] Daraus lässt sich folgern: Würden die Ureinwohner gegen die Besitznahme des unkultivierten Landes durch Kolonisten Widerstand leisten, würden sie sich diesen gegenüber in den Kriegszustand versetzen. Dass Locke von Widerstand der Indianer ausgeht, der die Anwendung von Gewalt rechtfertigen würde, zeigt eine Passage im First Treatise.

„Ein Pflanzer in Westindien hat mehr Leute. Er könnte sie, wenn er wollte (wer zweifelt daran?) zusammenziehen und gegen die Indianer führen, um für einen erlittenen Schaden Wiedergutmachung zu suchen (..).“[58]

Es kommt einer Aggression gleich, sein Land unkultiviert zu belassen. Deshalb sind die Indianer Gefangene eines gerechten Krieges und in der Konsequenz Sklaven.[59] Auffallend ist, dass Locke in seiner Argumentation sehr stark der Sichtweise von Thomas Morus ähnelt. In der „Utopia“ heißt es:

„Denn sie halten es für einen sehr gerechten Grund zum Kriege, wenn irgendein Volk ein Stück Boden selber nicht nutzt, sondern gleichsam zwecklos und leer besetzt hält, sich aber doch weigert, die Nutzung und den Besitz anderen zu überlassen (..).“[60]

Ob Locke wirklich von Morus beeinflusst worden war, muss offen gelassen werden. Gesichert ist lediglich, dass er ein Exemplar der „Utopia“ besessen hatte. Die Bezugnahme auf Morus in Lockes Werken beschränkt sich auf die Erwähnung des Wortes „Utopie“ im First Treatise.[61]

Das Problem bei dieser Interpretation ist, dass Locke – im Gegensatz zu Morus - nie explizit einen Zusammenhang zwischen der Sklaverei infolge eines gerechten Krieges und den amerikanischen Kolonien herstellt. Auch aus diesem Grund ist James Farr der Ansicht, dass Locke nicht an einer Rechtfertigung der Sklaverei in den amerikanischen Kolonien gelegen war.[62] Zum einen seien die afrikanischen Sklaven, die in den Kolonien hauptsächlich eingesetzt worden waren, oft wegen Schulden in die Sklaverei verkauft worden. Zum anderen habe Locke gewusst, dass auch Kinder – als Sklaven geboren - auf den Plantagen eingesetzt wurden. Farrs Argumente sind zwar stichhaltig, werfen aber zwei Fragen auf. Wenn Locke die Praxis in Amerika nicht legitimieren wollte, warum rechtfertigte er dann die Sklaverei infolge eines gerechten Krieges? Und zum zweiten entsteht ein eklatanter Widerspruch zwischen seiner Theorie und seinem Handeln. Farr argumentiert deswegen, dass Locke angesichts seiner Involvierung in den Sklavenhandel schlichtweg die Augen vor diesem Widerspruch verschlossen habe. Die „Two Treatises“ habe Locke ausschließlich mit Blick auf England geschrieben. „Locke used his just-war theory of slavery to turn the tables on advocates of royal absolutism.”[63] Das mag zwar mit ein Grund gewesen sein, was Farr aber völlig ignoriert, ist die Tatsache, dass Lockes Denken einen starken Bezug zu Amerika aufweist.

Es existiert kein Widerspruch zwischen Lockes Handeln und seiner Theorie – denn sein Kapitel über die Sklaverei rechtfertigt erst sein Vorgehen. Was Locke aber übersah (oder schlichtweg ignorierte) war die Tatsache, dass seine Rechtfertigung der Sklaverei nur eingeschränkt auf die amerikanischen Kolonien zutraf. Erst wenn man Locke mit Blick auf die Kolonien in der Neuen Welt liest, ergibt seine Legitimation der Sklaverei einen Sinn. .

4.2. Lockes Rassismus

In Amerika ist die Sklaverei also legitim und Lockes Theorie schließt sie auch in Europa keineswegs aus. Doch er scheint nicht der Ansicht zu sein, dass auch die Gefangenen europäischer Kriege versklavt werden sollten.[64] Diese Annahme nährt sich auch durch eine Passage, in der Locke über die Verwendung des Geldes schreibt. Brachliegende Bodenflächen fänden sich nur, wenn sich „die Bewohner nicht der Übereinkunft der übrigen Menschheit über den Gebrauch des Geldes angeschlossen haben.“[65] Da die Europäer Geld als Zahlungsmittel verwenden, gibt es kein Land im Überfluss mehr und somit fällt auch die erste Ursache der Sklaverei weg. Seliger vermutet:

„Since on Locke’s terms captives in a just war become slaves, the same fate may lie in store for any nation that does not use Europe`s `silvermoney´. (..) But he certainly did not mean that prisoners taken in European Wars became, or ought to have become slaves, although he did not say so.”[66]

Liegt Rassismus vor, wenn Locke die Sklaverei nur für bestimmte Teile der Menschheit für legitim erachtet?[67] Locke selbst erwähnt an keiner Stelle, dass er Afrikaner und Indianer als minderwertig betrachten würde. Er war kein Rassist im strengen Sinn und ging nicht von einer natürlichen Unterlegenheit anderer Kulturen aus, denn das wäre mit der naturrechtlichen Gleichheit der Menschen nicht vereinbar. Locke scheint aber mit Geringschätzung auf die Indianer geblickt zu haben, weil sie im Gegensatz zu den Europäern ihr Land ungenutzt ließen. Die Bedeutung der Vernunft wurde bereits angesprochen und kommt auch hier wieder um Tragen. Denn im Besitz der ganzen Vernunft ist nur die besitzende Klasse. Da die Amerikaner ihren Boden nie angemessen kultiviert haben, zählt er sie zu den weniger Vernünftigen. „Jene, die nach der Inbesitznahme allen Bodens ohne Eigentum geblieben waren, konnten nicht als vollkommen vernünftig gelten.“[68] Lockes Geringschätzung der Indianer hat denselben Grund wie seine Verachtung für Arbeitslose: Durch moralische Verkommenheit haben jene ihre Lage selbst zu verantworten.[69]

Locke ging von einem Führungsanspruch Europas – und vor allem des Empires – aus, der es undenkbar erschienen ließ, dass Briten versklavt werden könnten. Eine Einstellung, die bei Locke keine Besonderheit darstellte, sondern vielmehr dem herrschenden Zeitgeist entsprang.[70]

5. Schlussbemerkung

Locke ist vor allem als Liberaler in die Geschichte eingegangen, der mit dem Widerstandsrecht, den Bezug auf das Individuum, die Regierungsgewalt durch Zustimmung jene liberale Elemente begründete, die dem Liberalismus und letztlich auch der Demokratie den Weg ebneten.[71] Aber war Locke nicht auch der „spokesman of a rising class, the middle class, the capitalists, the bourgeoisie?“, wie Laslett fragt.[72] Ein Merkantilist, dessen Interesse dem Wachstum von Handel und Gewerbe galt? Ein Kapitalist, der ökonomischen Notwendigkeiten höchste Priorität zuschrieb?

Nicht Locke, der Liberale, sondern Locke, der Ökonom, hat die Sklaverei gerechtfertigt. Die „Two Treatises“ sind mehr als nur eine Parteischrift für die Whigs, sie sind auch eine Verteidigung zweier tragender Säulen des britischen Empire: Kolonialismus und Sklaverei. Sein Staat ist „letztlich eine Kapitalgesellschaft, deren Aktionäre alle Menschen mit Eigentum sind.“[73] Anteilseigner aber wollen Dividende und weil die amerikanischen Kolonien viel Ertrag versprechen, entwickelt er einen Eigentumsbegriff, der den Anspruch der Engländer rechtfertigt. Und weil die Plantagen mit Leibeigenen billiger arbeiten, rechtfertigt er auch die Sklaverei. Artikel 110 der Carolina-Verfassung, aber auch sein eigenes Handeln lassen deutlich erkennen, dass er an deren Rechtmäßigkeit keine Zweifel hegte. Die Unvereinbarkeit mit dem Naturrecht hat er entweder übersehen oder in Kauf genommen.

Wir können John Locke nicht auf der Seite der Gegner der Sklaverei einordnen und so dauert es bis ins 18. Jahrhundert hinein, bis die Stimme nach deren Abschaffung wieder hörbar wird. Aber auch im Zeitalter von Vernunft und Aufklärung wird das Thema nur schleppend aufgegriffen. „Man interessierte sich für den freien Indianer. Nicht für den Schwarzen in Ketten.“[74] Im „De l’esprit des lois“ verurteilt Montesquieu nur die schlechte Behandlung der Sklaven, nicht die Sklaverei als solche.[75] Auch Jean-Jacques Rousseau, der im „Du contract social“ die Nichtigkeit der Sklaverei feststellt, scheint sich nur auf die Untertanen einer absolutistischen Monarchie zu beziehen, nicht aber auf die schwarzen Sklaven Amerikas.[76] Der erste grundlegende Verwurf der Sklaverei stammt von Maurice Chevalier du Jaucourt, der für der Encyclopaedie Diderots und d’Alemberts die meisten Artikel verfasste, so auch jenen über den „Traite des Nègres“.

„Die Neger [sic!], so sagt ein moderner englischer Autor voll Einsicht und Menschlichkeit, sind keinesfalls durch das Kriegsrecht zu Sklaven geworden; (...) Jeder weiß, dass man sie ihren Fürsten abkauft, die behaupten, sie hätten das Recht über ihre Freiheit zu verfügen. Der Neger gibt sein Naturrecht nicht auf und kann es auch niemals aufgeben; er behält es immer und überall und kann daher überall fordern, dass man es ihn genießen lässt.“[77]

Jaucourt versucht weiter zu beweisen, dass die Abschaffung des Menschenhandels auch ökonomisch sinnvoll wäre. „Man lasse die Neger frei, und in wenigen Generationen wird dieses riesige fruchtbare Land unzählige Bewohner haben.“ Es würden fleißige Menschen in Freiheit werden, die „tausend verschiedene Mittel, sich Reichtümer zu verschaffen,“ finden werden. Doch sein Argument ist nicht neu. In einem Brief an Ferdinand II. von Spanien argumentiert Bartolomé de Las Casas auf die gleiche Weise.[78]

Letztlich waren es auch nicht normative Beweggründe, die die Sklaverei verschwinden ließen. Adam Smith, David Hume und Benjamin Franklin gelangten bereits im 18. Jahrhundert zur Ansicht, dass die Lohnarbeit eine günstigere und weniger aufwendigere Alternative sei.

„Ob man nun will oder nicht, die Sklaverei und der Sklavenhandel wurde letztlich nicht allein (und nicht einmal hauptsächlich) aus moralischen, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen abgeschafft.“[79] Dennoch gibt es Ausnahmen. Die in der Einleitung bereits erwähnten „Neuen Gesetze“ Karls V. stellen eine Besonderheit dar, weil sie – für die Politik ungewöhnlich - aus rein ethischen Beweggründen erlassen worden sind: Ein „Sieg des christlichen Gewissens.“[80]

Literaturverzeichnis:

Primärliteratur:

Farr, James: “So vile and miserable an Estate. The problem of slavery in Locke`s political thought” in Political Theory, Band 14/ Heft 2 (1986), S. 263 - 290

Glausser, Wayne: „Three approaches to Locke and the slave trade“, in Journal of the History of Ideas, Band 51/ Heft 2 (1990), S. 199 – 216

Laslett, Peter (Hrsg.): „Locke`s Two Treatises of Government“, Cambridge University Press 1960

Locke, John: “Zwei Abhandlungen über die Regierung”, mit einer Einleitung. von Walter Euchner, Suhrkamp Frankfurt/Main, 1. Auflage 1977

Seliger, M.: “The Liberal Politics of John Locke”, George Allen & Unwin Ltd London 1968

Sekundärliteratur:

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Delacmpagne, Christian: “Die Geschichte der Sklaverei”, Artemis & Winkler 2004

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Höffner, Joseph: „Kolonialismus und Evangelium“, Paulinus-Verlag Trier, 3. Auflage 1972

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Macpherson, C.B.: „Die politische Theorie des Besitzindividualismus“, Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1980

Meier, Johannes/Langenhorst, Annegret: „Bartolomé de Las Casas. Der Mann – Das Werk – Die Dichtung », Verlag Josef Knecht, Frankfurt/Main 1992,

Morus, Thomas: „Utopia“, Reclam Stuttgart 1964

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Reclam Verlag Leipzig: “Diderots Enzyklopädie. Eine Auswahl”, 1. Auflage 2001

Rousseau, Jean-Jacques: „Vom Gesellschaftsvertrag“, Reclam Stuttgart 2003

Runde, Ingo: „Francisco de Vittoria und der Disput um die Rechtstitel der Conquista in der Neuen Welt“, Essay online abrufbar unter http://www.uni-duisburg.de/FB1/GESCHICHTE/Vitoria.htm [Stand: 05. September 2005]

[...]


[1] vgl. Encyclopaedia Britannica, Slavery, Serfdom an Forced Labour, S. 859

[2] Die These stammt von M.Seliger, The Liberal Politics of John Locke, S. S. 114-123

[3] Aristoteles, Politik, S. 52-55

[4] Meier/Langenhorst, Bartolomé de Las Casas, S.101

[5] Las Casas de, Bartolomé, Warhaftiger und gründtlicher Bericht (..), S. 3; de las Casas Bericht schildert sehr ausführlich welche Greueltaten die spanischen Konquistadoren verübt haben; Schätzungen zufolge sind bis Ende des 16. Jahrhunderts zwischen dreißig und achtzig Millionen Indianer der spanischen Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen. Die Zahl stammt aus Delcacampagne, Christian, Die Geschichte der Sklaverei, S.152

[6] vgl. Gründer, Horst, Conquista und Mission, S. 14

[7] vgl. Runde, Ingo, Francisco de Vittoria und der Disput um die Rechtstitel in der Neuen Welt, S.9; die Rechtmäßigkeit der Versklavung schuldiger Kriegsgefangener zieht Vittoria indes nicht in Zweifel.

[8] Die „Neuen Gesetze“, erlassen 1542, untersagten die Versklavung von Indianern. Allerdings wurden die Bestimmungen in Amerika nie umgesetzt und mussten nur drei Jahre später widerrufen werden. In „Sublimis Deus“ erkannte Papst Paul III 1537 die Indianer zum ersten Mal als Menschen an; zunehmenden Druck ausgesetzt musste der Pontifex die Bulle allerdings rasch abmildern. vgl. dazu Höffner, Joseph, Kolonialismus und Evangelium, S.203-206 u. Gründer, Conquista und Mission, S. 14f.

[9] vgl. Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 198

[10] Locke, John, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 66

[11] ibid, S. 252

[12] vgl. ibid, S. 136

[13] Laslett, Peter (Hrsg.), Locke`s Two Treatises of Government, S. 92

[14] Laslett, Two Treatises, S. 203

[15] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 209

[16] ibid, S. 203

[17] ibid, S. 210f.

[18] Euchner, Walter, John Locke zur Einführung, S. 83

[19] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 309

[20] ibid, S. 309

[21] Laslett, Two Treatises, S. 205; vgl. auch Euchner, W., Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 69

[22] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 223

[23] Macpherson, C.B., Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 277

[24] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 214

[25] vgl. ibid, S. 214

[26] ibid, S. 203; Locke legt großen Wert auf diese Feststellung und bringt seine Auffassung in den „Two Treatises“ mehrfach zum Ausdruck; vlg. auch ibid, S. 284 u. S. 210

[27] ibid, S. 252

[28] ibid, S. 99

[29] ibid S. 214f.

[30] ibid, S. 215; Locke verweist auf Exodus 21, 26-27; demnach mussten die hebräischen Sklaven freigelassen werden, wenn ihr Besitzer ihnen Verletzungen zugefügt hat.

[31] vgl. Exodus 21

[32] vgl. ibid, S. 320

[33] Encyclopaedia Britannica, Slavery, Serfdom and Forced Labour, S. 854

[34] Ottmann, Henning, Die Gri echen. Von Platon bis zum Hellenismus, S.215f.

[35] vgl. Farr, J., The Problem of Slavery in Lockes Political Thought, S. 271

[36] Laslett, Two Treatises, S. 319

[37] Lebovics, Herman, The Uses of America in Lockes Second Treatise of Government, S.575

[38] ibid, S. 567

[39] Locke, Some Considerations, S. 29

[40] vgl. Arneil, Barbara, Trade, Plantations ans Property, S. 593

[41] vgl. Locke, Zwei Abhandlungen, S. 222; vgl. auch Macpherson, Besitzindividualismus, S. 229

[42] Arneil, The Wild Indian`s Vension, S.60

[43] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 215

[44] ibid, S. 218

[45] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 228

[46] Arneil, The Wild Indian`s Vension, S. 74

[47] vgl. dazu Arneil, The Wild Indian`s Vension, S..62

[48] Locke, Zwei Abhandlungen, S.223

[49] vgl. ibid, S. 220

[50] Delacampagne, Die Geschichte der Sklaverei, S. 169ff.

[51] Glausser, W., Three approaches to Locke and the slave trade, S. 200f.

[52] ibid, S. 201

[53] vgl. ibid, S. 204

[54] Constitution of Carolina, Art. 110

[55] vgl. Glausser, Three approaches to Locke and the slave trade, S. 203; Glausser schließt in diesem Zusammenhang auch aus, das Locke den Art. 110 zwar mitverfasst, aber abgelehnt habe.

[56] Laslett, Two Treatises, S. 303 (Fußnote)

[57] ibid, S. 318

[58] Locke, Zwei Abhandlungen, S.171

[59] Diese Interpretation wird diskutiert bei Seliger, Liberal Politics, S. 114-118; vgl. auch Glausser, Three appro aches to Locke and the Slave Trade, S. 206-210

[60] Morus, T., Utopia, S. 77

[61] vgl. Laslett, Two Treatises, S . 267 (Fußnote); Das Wort Utopie findet sich bei Locke, Zwei Abhandlungen, S. 184

[62] vgl. Farr, The Problem of Slavery, S. 273-277

[63] Farr, The Problem of Slavery, S. 281-283

[64] Seliger, Liberal Politics, S. 119

[65] Locke, Zwei Abhandlungen, S. 228

[66] Seliger, Liberal Politics, S.115

[67] zu dieser Frage vgl. Farr, The Problem of Slavery, S.277 - 281

[68] vgl. Macpherson, Besitzindividualismus, S.268

[69] ibid, S. 251

[70] vgl. Farr, The Problem of Slavery, S. 269

[71] vgl. Macpherson, Besitzindividualismus, S. 219

[72] Laslett, Two Treatises, S. 42

[73] Macpherson, Besitzindividualismus, S.220

[74] Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S.199f.

[75] ibid, S. 201

[76] Rousseau, Jean-Jacques, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 10 - 15

[77] Jaucourt, M., Sklavenhandel, in Diderots Enzyclopaedie. Eine Auswahl, S. 310-312; vgl. auch Delacampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 203

[78] vgl. Casas de Las, Wahrhaftiger und gründtlicher Bericht, S. 136

[79] Delcampagne, Geschichte der Sklaverei, S. 209

[80] Höffner, Kolonialismus und Evangelium, S. 203

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
John Locke und die Sklaverei
Université
LMU Munich
Cours
Hauptseminar John Locke
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
22
N° de catalogue
V110775
ISBN (ebook)
9783640089352
Taille d'un fichier
499 KB
Langue
allemand
Mots clés
John, Locke, Sklaverei, Hauptseminar, John, Locke
Citation du texte
Matthias Glötzner (Auteur), 2005, John Locke und die Sklaverei, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110775

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