Glück als Grundlage ökonomischen Handelns


Mémoire (de fin d'études), 2006

82 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung
1.1 Context
1.2 Content

2 Vom Glück zum Nutzen
2.1 Das Prinzip des größten Glücks
2.2.1 Benthams biografischer Hintergrund.
2.2.2 Die Elemente des Prinzips
2.2 Die Entwicklung des Nutzenbegriffs
2.1.1 Das „aktuelle“ ökonomische Nutzenkonzept
2.2.2 Einflüsse neben dem Utilitarismus
2.2.3 Einfluss des Utilitarismus über Wohlfahrtsökonomik
2.2.4Gemeinsamkeiten von Utilitarismus und Nutzenbegriff

3 Vom Nutzen zum Wohlbefinden
3.1 Kritik am Nutzenkonzept: Blinde Flecken und Einwände
3.2 Ein Rückgriff, kein Rückweg

4 Das neue Glück in der ökonomischen Theorie
4.1 Annäherung ans Glück
4.1.1 Empirie
4.1.2 Theorie
4.1.3 Praxis
4.2 Determinanten des Glücks
4.2.1 Glücksquellen in der Ökonomie
a) Einkommen
b) Konsum
c) Arbeit
4.2.2Glücksfaktoren unter ökonomischem Einfluss

5 Exkurs: Zur Maximierung von Glück
5.1 Vorbehalte nach Entscheidungsebene
a) Maximierung durch das Individuum
b) Maximierung durch die Regierung
5.2 Das Wesen des Glücks
a) lösbare Widersprüche der Maximierung von Glück.
b) hedonistische Paradoxa
c) Glück aus sozialen Beziehungen und der Begriff „Pflicht“

6 Ökonomie und Glück – ein Perspektivenwechsel
6.1 Zwischenfazit
6.2 Glück und ökonomisches Handeln
6.3 Produktion
6.3.1 Glück und die Produktion der Firma
6.3.2 Seines Glückes Schmied sein – Produktion im Haushalt
6.4 Prozessorientierung
6.5 Wohlfahrt

7 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Cover: Eigene Darstellung angelehnt an den Einband von "Hectors Reise"

(François Lelord: Hectors Reise, Piper, München 2006, ISBN: 9783492248280)

Abb. 1: Elemente des subjektiven Wohlbefindens

Abb. 2: Vom Hedonismus zum Nutzenbegriff zum subjektiven Wohlbefinden.

Abb. 3: Glück auf System- und individueller Ebene

Abb. 4: Einkommen als Quelle des Glücks

Abb. 5: Elemente und Determinanten des Prozessnutzens

Tabelle 1: Begriffskonzeptionen in der Gegenüberstellung

1 Einleitung

Der Mensch, so der zeitgenössische italienische Philosoph GEORGIO AGAMBEN, ist - im Normalzustand - an seine Lebensweise, die „Form“ seines Lebens, gebunden. Nicht nur das biologische Leben selbst, sondern auch die gewählte Art zu Leben, sind vom Men- schen untrennbar.

„[Der Mensch ist] – insofern er also Möglichkeitswesen ist und tun und lassen, Erfolg ha- ben oder scheitern, sich verlieren oder zu sich finden kann – das einzige Wesen, in dessen Leben es immer um die Glückseligkeit geht, dessen Leben unweigerlich und schmerzhaft dem Glück anheimgestellt ist. […] Das Leben im normal gewordenen Ausnahmezustand ist das bloße Leben, das die Lebensformen in allen Bereichen von ihrem Zusammenhalt in einer Lebens-Form scheidet“ (AGAMBEN 2001: 13ff).

Sollte AGAMBENS Analyse zutreffen, so wird in der Politik das menschliche Leben von seinem Glück getrennt und so der Ausnahmezustand hergestellt. Das Glück wäre die Sache des Einzelnen, die körperliche Unversehrtheit im mehr oder weniger weiten Sinne werde als ablösbarer Schutzbereich staatlichen Handelns betrachtet. Auf ungefähr dieser ethi- schen Basis beruht die neoklassische Ökonomie. Diese Ethik ist das Ergebnis einer Ent- wicklung, die ironischerweise ihren Ausgangspunkt gerade im „größten Glück der größten Zahl“ auch Maßgabe staatlichen Handelns hatte. BOHNEN (1992: 329) beschreibt diese Entwicklung als Amputation einer Ethik, die in einer Sackgasse endete (vgl. ebd.: 335). Wie es für Sackgassen üblich ist, führt der Weg hinaus nur zurück. Kann der Normalzu- stand in AGAMBENS Sinne, also die Berücksichtigung der Wirkungen des Wirtschaftens auf die glücksbestimmende Lebensform des Menschen, für die Wirtschaftswissenschaften über eine Rückkehr zu diesem Prinzip erreicht werden?

1.1 Context

Es ist ein doppelter Kampf. Einerseits muss man sich täglich den suggestiven Werbebot- schaften und aggressiven Verkaufspraktiken erwehren, denen der Nutzen des theoretisch souveränen Konsumenten völlig gleichgültig ist. Andererseits muss man für jedes noch so konkrete Bedürfnis aus dem unendlichen Raum der Möglichkeiten unter Aufwendung von Zeit und Mühe ein passendes Mittel zu dessen Befriedigung suchen. Diese Zeitverschwen- dung verdrängt zuweilen die Beschäftigung mit der Frage, was man eigentlich will. Nicht nur, dass dieser doppelte Kampf keinen Spaß macht, auch als praktische Lebenserfahrung stimmt er nicht mit der Kausalkette der Wirtschaftstheorie überein, die bei den Bedürfnis- sen der Menschen beginnt. Zu dieser lebensweltlichen Ferne kommen theoretische Mängelund fragwürdige Implikationen, die ein Unbehagen gegenüber dieser Wissenschaft auslö- sen, dem ich in bisherigen Arbeiten über die Analyse wirtschaftswissenschaftlicher Grund- begriffe nachgegangen bin. Gegenstand dieser Arbeit ist der Nutzenbegriff.

Wenn für das Individuum die weitestgehende Befriedigung seiner unersättlichen Bedürf- nisse Maßstab allen Handelns ist, welchen Maßstab hat dann die Gesellschaft als konkreter Träger der Volkswirtschaft? Unglücklicherweise eignet sich der Nutzenbegriff nicht, ge- sellschaftliche Zustände zu erfassen. Zudem gibt es keinen Raum für Kritik, denn alles ist per Annahme (in Marktgesellschaften bzw. idealen ökonomischen Systemen) wie die Menschen es wollen. Ich habe aber Zweifel, dass die Menschen diesen ewigen Kampf wirklich wollen.

In einem Zeitungsartikel über „Wahren Reichtum“ (MÜLLER 2004) stieß ich erstmal auf eine Alternative, der ich in RICHARD LAYARDS Buch zur „glücklichen Gesellschaft“ Ende 2005 wieder begegnet bin. Sie gibt dem Wirtschaften einen nachprüfbaren Sinn, der Kritik einen Halt und ermöglicht eine Verortung der Ökonomie in ihrer gesellschaftlichen Um- welt. Diese Alternative verwendet das Glück der Menschen als Kriterium für eine gute Gesellschaft, die als Gemeinschaft am glücklichsten ist.

1.2 Content

Zuerst soll der geistige Vater der Idee des größten Glücks, JEREMY BENTHAM (1748-1832), vorgestellt und die Hintergründe der Entstehung dieser Idee beleuchtet werden. Die Idee wird dabei in ihren Elementen dargestellt und der Bezug zum aristotelischen Verständnis von Glück hergestellt. Dem wird der neoklassische Nutzenbegriff gegenübergestellt, um daraufhin Verbindungslinien zu BENTHAM zu suchen und konzeptionelle Gemeinsamkeiten aufzudecken.

Die anschließende Darstellung der Kritik am Nutzenbegriff soll die Notwendigkeit der Suche nach einer Alternative im dritten Kapitel begründen. Der dargestellte Weg vom Glück zum Nutzen wurde von den Ökonomen gewählt, um Schwierigkeiten zu bewältigen, die aber aus heutiger Sicht neu zu bewerten sind. Daher ist es durchaus viel versprechend auf den Glücksbegriff mit neuen Hilfsmitteln und vor neuen Hintergründen zurückzugrei- fen. Wie dieser Rückgriff aussieht, wird im vierten Kapitel dargestellt. Zum einen wird, um die facettenreiche Beschäftigung mit dem neuen Ansatz zu strukturieren und methodi- sche Anmerkungen einzubringen, eine mehr oder weniger künstliche Trennung in Empirie, Theorie und Praxis vorgenommen. Zum anderen wird die inhaltliche Befüllung des Glücksbegriffs auf ihre Relevanz für ökonomische Größen untersucht und die Rückwir- kungen der Ökonomie auf andere Quellen des Glücks dargestellt.

Das fünfte Kapitel ist ein für diese Arbeit unerlässlicher Exkurs über das Maximierungs- postulat. Da der Nutzenbegriff seine Bedeutung auch über die Vorstellung entfaltet, der Nutzen sei zu maximieren bzw. werde maximiert, wird geprüft, inwieweit sich der Glücks- begriff für solcherlei Heuristik eignet, bzw. wie glaubhaft die Maximierung von Glück als Beschreibung menschlichen Handelns ist. Nachdem dies nicht oder nur mit schweren Ein- schränkungen positiv beschieden werden kann, muss – zusammen mit der Erkenntnis, dass nur eine geringe Teilmenge aller glücksstiftenden Dinge marktfähig sind – gefragt werden, was von der Ökonomie auf Basis des Glücks übrig bleibt. Im sechsten Kapitel werden ein erweiterter Produktionsbegriff, ein neuer Fokus auf Prozesse und eine Reformulierung von Wohlfahrt als Lösungsmenge vorgeschlagen und erläutert. Abschließend werden die Er- gebnisse zusammengefasst.

2 Vom Glück zum Nutzen

Dass der Nutzenbegriff Utility aus dem klassischen Utilitarismus hervorging, wird durch den gemeinsamen Wortstamm nahe gelegt. „The concept of »utility« is generally associ- ated with Jeremy Bentham’s moral philosophy“ bestätigt MOSSELMANS (2006: 699) diese Vermutung. Zudem ist die Verbindung in der Forderung, vom Modell individueller Nut- zenmaximierung zu BENTHAM zurückzukehren (vgl. LAYARD 2005a: 143), enthalten. Wenn man zu BENTHAM zurück soll, dann müsste man ja dort her kommen. Im Folgenden soll der (vermeintliche) Ausgangspunkt dargestellt, wesentliche Einmündungen und Ab- zweigungen entlang des Weges beschrieben und der Ort der Ankunft kritisch hinterfragt werden. Was ist der klassische Utilitarismus? Welche Verbindungen zum Nutzenbegriff neoklassischer Prägung gibt es? Wie hat der Utilitarismus Eingang in die Wirtschaftstheo- rie gefunden und was ist auf den verschlungenen Pfaden verloren gegangen?

2.1 Das Prinzip des größten Glücks

Der klassische Utilitarismus erhielt seinen Namen durch JEREMY BENTHAMS Principle of Utility, dass er 17801 in seiner Arbeit „An Introduction to the Principles of Morals and Le-

gislation“ formulierte. Nach mehreren Überarbeitungen gab der britische Rechtsphilosoph dem Prinzip als dem des größten Glücks2 (The Greatest Happiness Principle) die Form, auf die sich meistens bezogen wurde und wird. Den Begriff Utility hatte BENTHAM von den Philosophen HUME und HELVETICUS übernommen. Dort war der Begriff aber „not well manifestly connected with the notion of maximizing happiness or pleasure“ (DINWIDDY 1989: 26), so dass BENTHAMS Utilitarismus wahrscheinlich treffender als Hedonismus3 benthamscher Prägung beschrieben wäre. Die Weiterentwicklung erfolgte im Wesentlichen durch JOHN STUART MILL und HENRY SIDGWICK. Während MILL (1976) über die Kritik an BENTHAMS Version, die als Schweinephilosophie4 diffamiert wurde, arbeitete, konnte SIDGWICK (2006) durch analytische und sprachliche Genauigkeit die „bei weitem an- spruchsvollste und differenzierteste Variante der utilitaristischen Ethik im neunzehnten Jahrhundert“ (GÄHDE/SCHRADER 1992: 8) vorlegen.

Da hier aber nicht der klassische Utilitarismus als Ethik selbst, sondern dessen Einfluss auf den Nutzenbegriff neoklassischer Prägung untersucht werden soll, wird auf die Weiterent- wicklungen nur insofern eingegangen, als es dieser Fragestellung dient. Festzuhalten ist, dass es sich bei BENTHAMs Utilitarismus um ein offensichtlich unausgereiftes ethisches Konzept handelt, an dem harsche Kritik geübt wurde. Dennoch wurde und wird sich in den Wirtschaftswissenschaften gerade auf dieses Konzept bezogen. Allerdings haben die Wirt- schaftswissenschaftler mit ihrer Methode und unter den besonderen Umständen ihres Fachgebietes eigene Konsequenzen aus den benthamschen Unzulänglichkeiten gezogen. Die Ursache für die Bezugnahme ist genauso Gegenstand der folgenden Ausführungen wie der Umgang mit den Unzulänglichkeiten.

2.1.1 Benthams biografischer Hintergrund

Der 1748 geborene und als hochbegabt geltende BENTHAM schrieb in verschiedenen Funk- tionen und aus unterschiedlichen Motivationen heraus.5 Rechtsphilosoph wurde er, weil er einen Rahmen für die Gesetzgebung suchte. Deren praktische Interpretation gab er auf, weil er die Rechtsordnung seiner Zeit in England als inkonsistent ansah. Konsistenz glaub- te er in einem grundlegenden Prinzip finden zu können, an dem sich alle Gesetze messen lassen sollten. Seine Arbeiten waren Kommentare, Fragmente und mehr oder minder aus- gearbeitete Gedankenskizzen, die Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts auch nur wenig Beachtung fanden. Aus der wissenschaftlichen Arbeit flüch- tete er in die Umsetzung eines als „Panoptikum“ bekannten Gefängnisbauprojektes. Als dieses an Interessenkonflikten mit Grundbesitzern scheiterte, obwohl es das Parlament bereits befürwortet hatte, wurde er sich seiner Herkunft und lebenslangen Verhaftung der Mittelschicht bewusst, als dessen Interessenvertreter er immer auftrat und in dessen Kon- text seine theoretische Arbeit zu verstehen ist.6 „Der Utilitarismus stellt [deshalb] weniger eine spekulative Universitätsphilosophie, als eine auf konkrete politische Verhältnisse […] gerichtete Rechts- und Gesellschaftskritik dar“ (HÖFFE 1992: 121). Fortan widmete er sich Verfassungsentwürfen für entstehende bzw. sich wandelnde Nationen – mit ebenfalls be- scheidenem Erfolg. Inzwischen konnte er jedoch als Theoretiker einige Anerkennung ge- winnen und seinen Lebensabend verbrachte er in Gesellschaft von JAMES STUART MILL, seinem größten Bewunderer und gleichzeitig größtem Kritiker, jüngeren Anhängern und einem stetem Strom an Besuchern - unter dem sich auch die Ökonomen DAVID RICARDO und JEAN-BAPTISTE SAY befanden. BENTHAM starb, als kauzig und eitel geltend, 18327.

2.1.2 Die Elemente des Prinzips

Das Prinzip des größten Glücks enthält eine positive und eine normative Komponente, die BENTHAM (1781: 14) zu Beginn seiner „Introduction“ nebeneinander stellt:

„Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine what

we shall do. On the one hand the standard of right and wrong, on the other the chain of causes and effects, are fastened to their throne”.

Menschliches Handeln ließe sich zum einen als Versuch beschreiben, pain zu vermeiden und pleasure 8 zu erlangen, andererseits sei jedes Verhalten moralisch richtig, das genau dies tun würde. Pleasure ist das, was man lieber fühlt als es nicht zu fühlen und pain ent- sprechend „every sensation that a man had rather feel none than feel“ (BENTHAM, zitiert nach DINWIDDY 1989: 22).

Wie genau die benthamschen Glückskategorien unser Verhalten beeinflussen, wird in ei- nem nicht ganz trennscharfen Mechanismus von Motiven und Interessen einerseits und Sanktionen andererseits beschrieben: BENTHAM erstellt eine Liste an Dingen, die als posi- tiv wahrgenommen und deshalb angestrebt werden (BENTHAM 1781: 35f). Aus dieser Liste leitet er drei übergeordnete Motive bzw. Interessen ab, die menschlichem Handeln zu Grunde liegen. Neben den als eher schwach betrachtetensozialen und unsozialen Motiven9 spielen selbstbezogene Motive die Hauptrolle. Diesen Interessen stehen einschränkend Sympathie (die Anerkennung des Anderen), politische, religiöse und moralische Institutio- nen (die kollektive Meinung zu bestimmten Handlungsweisen) sowie physische Anforde- rungen der Natur als Sanktionen gegenüber.

Die Liste, die BENTHAM aufstellt enthält Dinge, die sowohl positiv als auch negativ wirken können. Man kann sie nicht als Anleitung zum Glück verstehen oder als empirische Erhe- bung zur dominanten Wirkung verschiedener Ereignisse (sensations). Sie enthält lediglich wichtige Aspekte des Lebens, die in ihrer Vielfalt beachtenswert sind und ist eher intuitiv und auf Vermutungen gestützt.10 Diese Herangehensweise wirft die Frage nach der richti- gen Methode zur Erstellung einer Liste von Dingen, die glücklich machen, auf. Dabei ist fraglich, ob solche Listen sowieso nur den kleinsten gemeinsame Nenner enthalten oder unangemessen verallgemeinern. Sind die Wirkungen bestimmter Ereignisse auf unser„Three innate needs“ ab: „atonomy, competence and reatedness“ (Vgl. Abschnitt 6.4); BECKER (1993: 4) sieht „Gesundheit, Prestige, Sinnenfreude, Wohlwollen oder Neid“ als wesentliche Aspekte des Lebens (Vgl. Abschnitt 6.2) und MARTHA NUSSBAUM (1993) formuliert zehn Fähigkeiten, die Gesellschaften ihren Bür- gern ermöglichen sollten, als essentielle Elemente eines menschlichen Daseins.

Glück den Ereignissen oder uns eingeprägt? Lassen sich die Ereignisse und Wirkungen in ihrer Vielfalt überhaupt auf eine Größe herunter brechen?

Wenn unser Handeln durch den Wunsch gelenkt ist, pleasure zu erlangen und pain zu vermeiden, wie funktioniert diese Lenkung dann? Wie können Wohlstand, ein guter Ruf, Freundschaft und Erinnerungen (um einige Beispiel aus BENTHAMS Liste zu nennen) ver- glichen und eine Entscheidung getroffen werden? Wenn man nicht von einem inneren un- bewussten natürlichen Mechanismus ausgeht, der unser Handeln zu instinktivem Verhalten

reduzieren würde, dann ist es schon schwierig die Kommensurabilität11 von Ereignissen zu

erklären, die genau ein spezifisches Interesse bedienen, geschweige denn der Ereignisse, die verschiedene Motive beeinflussen. BENTHAM (1781: 31ff) bietet unter anderem die Dauer, die Intensität, die Nähe und die Sicherheit als Indikatoren an. Wie diese Indikatoren zu einem Instrument des Vergleichs zusammen gefügt werden können, bleibt offen. Nicht der Aspekt der Auswahl zwischen Alternativen steht im Vordergrund seiner Betrachtun- gen, sondern die Wirkungstendenz eines Ereignisses: „The general tendency of an act is more or less pernicious, according to the sum total of its consequences: that is, according to the difference between the sum of such as are good, and the sum of such as are evil” (BENTHAM 1781: 62).

Die normative Aussage „Gut ist, was glücklich macht“ enthält nicht, wessen Glück ge- meint ist und wer sich in seinen Handlungen dieser Richtschnur stellen muss. Bentham sieht „the greatest happiness of the members of the community“ als zu betrachtende Ein- heit und als „a matter of necessity, to make a sacrifice of a portion of happiness of a few, to the greater happiness of the rest” (BENTHAM in DINWIDDY 1989: 26). Gemeinwohl und Umverteilung sind demnach wesentliche Aspekte in BENTHAMS Denken. Dies zu organi- sieren sei das einzig richtige und angemessene Ziel einer Regierung. Allerdings könne jeder selbst am besten beurteilen, wie er sein Glück sehe und erreiche. Deshalb sei „the most important mechanism whereby happiness in the aggregate could be maximized was the basic drive of each individual to maximize his own happiness” (DINWIDDY 1989: 28).12

Das Wohl einer Gemeinschaft besteht aus der Summe des Glücks seiner Mitglieder (vgl. BENTHAM 1781: 15). Diese Mitglieder sollen ihr Glück selbst definieren und verfolgen. Wenn also das Glück der Menschen von ihnen selbst bestimmt wird und deren Verfolgung ihnen selbst übertragen wird, worin besteht dann der Anspruch an den Staat? BENTHAM hat hier einerseits offenbar ein ausgeprägtes Gefühl für die Auswirkung der Handlungen des einen auf das Glück der anderen. Zum anderen traut er dem Individuum nicht ganz. Des- halb wird der Regierung ein dreistufiges Programm zu Lenkung individuellen Verhaltens auf das Wohl der Gemeinschaft hin nah gelegt. Dies beinhaltet erstens die Lenkung durch Bestrafung, zweitens durch Propaganda und öffentlichen Druck und drittens durch eine private deontology – einem Lehrer, dessen Aufgabe es ist, „to instruct the individual how to maximize his own happiness“ (DINWIDDY 1989: 31). Könnte Rücksichtnahme als mora- lischer Standard nicht effektiver sein, um die Wirkungen meines Handelns auf andere zu beachten? BENTHAM sieht an dieser Stelle das Problem, diesen Standard zu vermitteln – dies ist offensichtlich die Grenze der Steuerungsfähigkeit, die er der Regierung zugesteht.

BENTHAMS Utilitarismus wird oft der Aristotelischen Ethik gegenübergestellt.13 Bei SCHAAF (1991) und LATOUCHE (2004) fließen die Philosophien aus Fernost, Afrika und dem Mittelmeerraum in den Vergleich ein. Bei ARISTOTELES14 entstammt das Glück einer aktiven Tätigkeit, die an eigenen Maßstäben (oder denen der Gesellschaft) gemessen gut ausgeführt wird und gewöhnlich mit pleasure einhergeht: „Pleasure perfects the activity“ (ARISTOTELES zitiert nach ROZIN 1999: 112). Es gibt aber auch solche Aktivitäten, die glücklich machen, ohne vergnüglich zu sein. BENTHAMS Glück hingegen kommt aus sen- sations über die Menschen, aus einem inhärenten Mechanismus, der Ereignisse evaluiert. In eine ähnliche Richtung zielt die Unterscheidung, die SCITOVSKY (1989) macht. Man müsse zwischen Wohlbehagen und Spannung 15 unterscheiden, die beide Quellen des Wohlbefindens sind und untereinander in umgekehrter U-Form funktional verknüpft sind. Zuviel Behaglichkeit, so die These, schmälert die Spannung als wesentliches Element des Glücks. KAHNEMAN (2000a: 682 ) sieht in einen zweidimensionalen „affective space“ aus pleasure und arousal die einfachste Darstellung von Wohlbefinden.

Für die konkrete Verortung von pleasure kommen das Objekt selbst, die Kommunikation mit dem Objekt oder die Erfahrung der Kommunikation mit dem Objekt in Frage. Aus dieser Unterscheidung von KARL DUNCKER (1941) leitet ROZIN (1999: 112) „three types of pleasure: sensory, aestethic, and accomplishment pleasures“ ab. ARISTOTELES zielt auf letzteres ab, BENTHAM auf ersteres: „He [Bentham] holds that physical pleasure may oper- ate independent of other pleasures (moral, political, and religious) and must be included in each of the other three. In short, he holds for the primacy of sensory (physical) pleasure“ (ROZIN 1999: 112). BENTHAMS Begriffe ist demnach eher einfach. Viele Ereignisse verur- sachen sowohl pleasure als auch pain und die Art und Weise, wie sie dies tun und wie das Ereignis insgesamt für sich evaluiert und mit anderen verglichen wird, bleibt offen. Jede Übersetzung der Begriffe könnte bestimmte Antworten implizieren. Deshalb ist es schwie- rig vorbehaltlos Vergnügen, Freude oder etwas anderes einzusetzen. Am ehesten ist die Übersetzung in positive und negative Affekte zutreffend, deren Saldo das Maß menschli- chen Glücks ist.

2.2 Die Entwicklung des Nutzenbegriffs

SCHUMPETER (1965: 510) sieht im Utilitarismus eine Lebensphilosophie, „die an Flachheit nicht zu überbieten war“ und für die Wirtschaftswissenschaften „zwar überflüssig, aber nicht schädlich“ (ebd.: 512) sei. Hingegen beschreibt CAILLÉ (2006: 698) in seinem Lexik- onartikel, dass „economic theory can be seen as the crystallization of the positive dimen- sion of utilitarianism”. Ebenso urteilen BRUNI/PORTA (2004: 2): „Utilitarianism too as- signed a central place to happiness, although it was precisely Bentham’s theory that happi- ness came to be reduced to utility (or rather utility was defined in terms of happiness) and that is one case of reductionism”. Ist das Prinzip der Nutzenmaximierung das von allen normativen Komponenten befreite Destillat des Prinzips des größten Glücks oder kommt es ganz ohne BENTHAM aus?

2.2.1 Das „aktuelle“ ökonomische Nutzenkonzept

Der in der heutigen Form in den Wirtschaftswissenschaften verwendete Nutzenbegriff hat seine Geburtsstunde in der marginalistischen Revolution, also der Verschiebung des Fo- kus’ auf die Erträge zusätzlicher Mengen. Diese Revolution sei aber eher als „really a slow and gradual process“ (MOSSELMANS 2006: 699) zu verstehen. WILLIAM STANLY JEVONS, LÉON WALRAS und CARL MENGER gelten als die drei Hauptfiguren dieser Revolution. WALRAS (1972) mühte sich um eine Darstellung der Wirtschaft als Gleichungssystem und JEVONS „would like to measure utility indirectly by taking its quantitative effects into ac-

count (selling, buying, lending, labouring, etc.). […] Jevons turned Bentham upside down“ (MOSSELMANS 2006: 699). MENGER verfocht die subjektive Wertlehre, die die Arbeits- wertlehre ablösen sollte, worauf im nächsten Abschnitt eingegangen wird.

Nützlichkeit und Nutzen, unterscheiden sich insofern, dass ersteres die möglichen Effekte des Gebrauchs / Konsums / Besitzes, letzteres die vom Nutzer antizipierten Effekte des tatsächlichen Gebrauchs / Konsums / Besitzes beschreibt. Der Nutzen einer Sache oder Tätigkeit ist deren Fähigkeit, die Bedürfnisse eines Menschen zu befriedigen. Dinge oder Aktivitäten, die dies besser können, versprechen einen größeren Nutzen und werden somit anderen vorgezogen bzw. präferiert. Handlungsalternativen lassen sich im Idealfalle in eine Ordnung hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Bedürfnisbefriedigung bringen, die als Präferenz- ordnung bezeichnet wird. Diese Ordnung wird mit Hilfe einer Funktion abgebildet, die als Nutzenfunktion bezeichnet wird. Der sich aus verschiedenen Alternativen ergebende Nut- zen ist ein abstrakter Wert, dessen Höhe allein (Nominal- oder Kardinalskala) keine Aus- sage zulässt. Seine Fähigkeit besteht vielmehr darin, die Alternativen hinsichtlich ihres Beitrags zur Bedürfnisbefriedigung in eine Reihenfolge zu bringen (Ordinalskala). Da eine solche Ordnung nur unter bestimmten Bedingungen überhaupt denkbar ist, werden Axiome aufgestellt (vgl. SCHÖLER 1999: 5), die dann eine bestimmte Gruppe von Nutzenfunktionen implizieren. Darin enthalten sind ein Prinzip der Unersättlichkeit, auch wenn die Befriedi- gung von Bedürfnissen mit der Menge der verfügbaren Güter abnimmt, das Prinzip der unvollständigen Substituierbarkeit von Gütern in Hinblick auf die Bedürfnisbefriedigung und damit die generelle Kommensurabilität aller alternativen Handlungen.

Die Aggregation ist aber schwierig, da ja die genaue Höhe des Nutzens aus einer Alterna- tive nicht bekannt ist. Für die Aggregation innerhalb von Personen wird angenommen, sie lösen das Problem schon irgendwie – schließlich treffen sie ja eine Entscheidung, die ihren höchsten Gesamtnutzen repräsentiert, der aus einer Kombination von Einzelnutzen resul- tiert. Auch der Konstruktion der Nutzenfunktion liegt keine Theorie der inneren Evaluation von Alternativen zugrunde sondern eher die Anforderungen mathematischer Axiome, die Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit gewährleisten. Für die Aggregation über Personen, also zur Bestimmung eines kollektiven Nutzens bzw. einer kollektiven Präferenzordnung, bleibt nur die Annahme identischer Nutzenfunktionen oder andere massive Einschränkun- gen.16

In der positiven Komponente stimmen Utilitarismus und Nutzentheorie überein. Menschli- ches Handeln wird in beiden Fällen als Versuch umschrieben, aus den Möglichkeiten das Beste für sich zu machen, auch wenn BENTHAM von dieser Fähigkeit der Individuen nicht vollständig überzeugt war. Hinsichtlich dessen, was genau das Beste ist (Differenz aus pain und pleasure vs. die Befriedigung persönlich empfundener Mangelzustände) und hin- sichtlich des Umfangs der Wahl (etwas zu tun oder nicht bei BENTHAM vs. aus allen er- denklichen Alternativen die Beste auszuwählen) bestehen jedoch konzeptionelle Unter- schiede.

Inwieweit ist aber die normative Komponente eliminiert? Eine solche Komponente ent- springt dem Problem des interpersonellen Vergleichs. Dort werden, um Handlungsempfeh- lungen abzugeben, Kosten-Nutzen-Analysen mit hypothetischen Ausgleichzahlungen ge- macht, die von Zahlungsbereitschaften ausgehen und damit von den systematischen, histo- rischen und persönlichen Umständen der Entstehung der Zahlungsfähigkeit abstrahieren. Diese Abstraktion ist ein Auswuchs dessen, was als „Ideologie zur Abschaffung der Ideo- logien“ (ROBINSON zitiert nach REUTER 1999: 90) bezeichnet wird.

Die an SMITH’ unsichtbare Hand erinnernde These BENTHAMS, jeder solle nur sein Glück maximieren, denn das wäre der beste Weg, das Gesamtglück zu optimieren, setzt einen normativen Standard auf individueller Ebene. In der Nutzentheorie wurde diese These in eine deskriptive umgewandelt. Jeder ist Maximierer seines Nutzens. Diese Hypothese über menschliches Verhalten will die Normalität beschreiben, ohne dies beweisen zu können. Wenn aber die Menschen an die Richtigkeit der Hypothese glauben, dann gilt davon ab- weichendes Verhalten als anormal und die Hypothese ist zur Norm geworden. Das postu- lierte Verhalten ist effizient und rational – mithin klug und sparsam. Wer will aber schon als dumm und verschwenderisch gelten? Die Normativität ist zumindest implizit, auch des- halb, weil Knappheit und Mangel die dialektischen Bezugspunkte sind, auf die sich alles Handeln bezieht. Wie will man sein rationales Verhalten zeigen? Indem man augenschein- lich alle Mängel überwunden hat, vor allem die bezüglich allgemein anerkannter Bedürf- nisse und Ziele. Der inzwischen möglicherweise tatsächlich deskriptiven Theorie haftet das Label einer sich selbst erfüllt habenden Prophezeiung an.17

Auch das Verhalten auf Märkten ist kein Beliebiges. Es kann zwar versucht werden, den Verzicht auf Betrug und Zwang durch Reputation und spieltheoretische Ansätze bei Markt- transaktionen als rational zu erklären, GRANNOVETTER (2001: 56) bezweifelt dies aber:

„[A]tomized actors in competetive markets so thoroughly internalize these normative stan- dards of behavior as to garantee orderly transactions“. Der Nutzenbegriff ist also nicht vollständig von normativen Elementen befreit und damit näher am Utilitarismus als auf den ersten Blick ersichtlich.

2.2.2 Einflüsse neben dem Utilitarismus

Bentham glaubte erkannt zu haben, dass sich Happiness erreichen ließe, indem jeder ver- suche, Ereignisse mit positiver Wirkung zu suchen und solche mit negativer zu vermeiden. Die Eigenschaften lägen zwar in den Dingen und er glaubte auch benennen zu können, welche Ereignisse besonders reichhaltig davon wären. Da die Bemessung der Quantität der empfundenen pleasure den Erlebenden selbst obliegt, hält BENTHAM aber „den Glücksbeg- riff für die bunte Vielfalt menschlicher Interessen offen“ (HÖFFE 1992: 125).

Als die alten Nationalökonomen erklären wollten, was ein Preis für ein Gut auf einem in- ternationalen Markt wäre, kamen sie zu dem Ergebnis, dass dieser mit der für die Erstel- lung des Gutes verwendeten Arbeit zu erklären sei. Das Gut hätte einen objektiv zu mes- senden Wert. Gegen diese Vorstellung wurde u.a. von CARL MENGER 1871 die Idee des subjektiven Werts ins Spiel gebracht: „Der Güterwert ist in der Beziehung der Güter zu unseren Bedürfnissen begründet, nicht in den Gütern selbst“ (MENGER 1999: 49). Ohne auf BENTHAM oder den Utilitarismus Bezug zu nehmen wurde in Abgrenzung zur Arbeitswert- theorie ein Nutzenbegriff geschaffen, der einige Überschneidungen mit BENTHAMS Glücksbegriff hat.18 Am wichtigsten ist die Übereinstimmung darin, die Bewertung des

Wertes / des Nutzens in die Hände des Individuums zu legen. In der Umschreibung des abnehmenden Grenznutzens, den MENGER noch nicht so nennt, sind BENTHAMS Katego- rien von pain und pleasure zumindest in ihrer bedeutungsgemäßen Übersetzung unter an- derem enthalten. Mit der Masse des Konsums bzw. der Tätigkeit sichere sich der Mensch

zuerst das Leben und die Gesundheit, dann ermögliche er sich den Genuss bis ihm weitere Mengen gleichgültig sind und weitere dann unangenehm werden.

Ein anderer Aspekt, der in den Wirtschaftswissenschaften bis zu den 70er Jahren des letz- ten Jahrhunderts eine große Bedeutung hatte, war ein hoher Grad an formaler Darstellungs- fähigkeit und mathematischer Eleganz. Ein Nutzenbegriff, der von der Theorie her nicht mit Inhalt zu füllen war, weil dieser frei durch die Individuen bestimmt wurde, und damit verbunden, eine Trennung von analytischer (Wie wird Nutzen maximiert?) und empiri- scher (Was stiftet wem welchen Nutzen?) Arbeit, kam diesem Trend zupass. Der Nutzen- begriff war so konstruiert, dass alle Handlungsmotive auf diesen Nutzen reduzierbar wa- ren, was der mathematischen Darstellung entgegen kam: „Economists, who require maxi- mizing for their systems, will be unhappy with plural criterial goods“ (LANE 1999: 110). Als Ausgangspunkt gilt der erwähnte walrasianische Ansatz und als Höhepunkt der Beweis eines möglichen Gleichgewichts auf Märkten in der Arbeit von DEBREU (1959). Ebenfalls ausschlaggebend waren die Bemühungen dieser Zeit, die verschiedenen Pfade der Wirt-schaftswissenschaften zu einem homogenen Programm zusammenzuführen.19 Hier ist wie-der ein weitestgehend frei zu befüllender Begriff hier von Vorteil. Der Nutzenbegriff, der aus dieser neoklassischen Synthese 20 hervorging, hat Übereinstimmungen mit BENTHAMs Glücksbegriff, ohne direkt aus diesem abgeleitet worden zu sein.

GÄHDE (1992) weist auf eine wissenschaftstheoretische Funktion des Nutzenbegriffs hin. In Anlehnung an LAKTATOS (1974) werden deskriptive empirische Theorien in einen har- ten Kern und eine weiche Hülle aufgeteilt, die durch theoretische Terme verbunden sind. Der Kern enthält eine Hypothese, in der Begriffe (die theoretischen Terme) verwendet werden, die aber in der Hülle definiert sind. Erfolgt Kritik an der Kernhypothese (hier an der Ableitung des Gemeinwohls aus der individuellen Nutzenmaximierung) kann dieser Angriff abgewehrt werden, in dem die Definition des Begriffs in der Hülle verändert wird. Diese Strategie wurde für den klassischen Utilitarismus bis SIDGWICK nachgewiesen, wo- bei der Begriff der Happiness den theoretischen Term darstellt. Sie kam vermutlich auch in den Wirtschaftswissenschaften mit dem Nutzenbegriff zum Tragen. Festzuhalten ist, dass Fragen methodischer Natur für die Etablierung des Nutzenbegriffs von großer Bedeutung waren.

Weitere Gründe für die Etablierung des Nutzenbegriffs sind in der Entstehungszeit zu su- chen, denn aus dem ahistorischen Anspruch der Neoklassik entspringt erstens nicht auto- matisch eine überhistorische Gültigkeit und zweitens sind auch gesellschaftspolitische As- pekte für die Akzeptanz dieser Theorien entscheidend. Die Wahrnehmung der erstarkenden sozialistischen Systeme und die (zum Teil überdeutliche) Darstellung der in ihnen verwen- deten Praktiken nach dem zweiten Weltkrieg verursachten einen starken Pessimismus ge- genüber Regierungseliten, wie ihn auch BENTHAM hatte. BENTHAMS Skepzis gegenüber der Fähigkeit der Menschen, ihr Glück selbst zu optimieren und gegenüber dem Mecha- nismus, der daraus ein wie immer bestimmtes Gemeinwohl befördern sollte, fand in diesen Theorieströmungen aber keinen Widerhall. Die Macht der Kapitaleigner hingegen war in dem annahmegemäß atomistischen Marktmodell der Neoklassik zwar nicht zentral, wenn auch vertreten.

2.2.3 Einfluss des Utilitarismus über Wohlfahrtsökonomik

Während in dieser Arbeit bisher mit der subjektiven Werttheorie und dem wissenschaftli- chen Kontext Felder benannt wurden, die die heutige Vorstellung des individuellen Nut- zenkalküls befördert haben, ohne Bezug auf den Utilitarismus zu nehmen, ist in der Wohl- fahrtsökonomik ein Pfad zu finden, in dem der individuelle Nutzenbegriff über die explizi- te Abgrenzung von an BENTHAM anschließende Arbeiten entwickelt wurde. BOHNEN (1992: 319ff) beschreibt die Entwicklung der Wohlfahrtsökonomik, dem wirtschaftswis- senschaftlichen Versuch der Bildung eines gemeinschaftlichen Nutzenbegriffs, als Ausei- nandersetzung mit BENTHAMS Begriff vom Gemeinwohl, das nicht „über den Einzelinte- ressen steht, was von weltlichen oder überweltlichen Autoritäten auferlegt ist, sondern et- was, was allein durch das jeweilige Insgesamt der Wohlfahrtszustände der einzelnen Ge- sellschaftsmitglieder bestimmt wird“ (BOHNEN 1992: 321). Man muss aber im Hinterkopf behalten, das BENTHAM der Meinung war, der Staat könne dem Einzelnen bestimmte Zu- stände „schmackhaft“ machen.

[...]


1 Vgl. BENTHAM (1781: 14); 1781 soll der Druck, der 1780 in Auftrag gegeben wurde (vgl. DINWIDDY 1989:3) fertig gestellt worden sein, weshalb dieses Jahr auf der Umschlagseite des Buches angegeben wird. Die Veröffentlichung erfolgte erst 1789. Zitiert wird hier aus einer Internetausgabe.

2 An der Übersetzung von Happiness mit Glück stört sich POLLARD (1992: 10): „Wie soll »happiness« über- setzt werden, da es ja, nach Bentham, zu maximieren gilt? Als »Glück« ganz bestimmt nicht: vielleicht als Glücksseligkeitsdrang“. Da mit Glück verschiedene Vorstellungen verbunden sein können, die noch ausgear- beitet werden, verwende ich es trotzdem als Übersetzung, auch wenn es immer als Glück im benthamschen Sinne gedacht werden muss.

3 „Eine Auffassung, die F[reude] zum höchsten Prinzip erklärt, heißt Hedonismus“ (HÖFFE 1997: 80). Dabei wird in verschiedene Ausprägungen unterschieden, wobei „der von der christlichen Tradition beeinflusste utilitaristische Hedonismus das Glück für möglichst viele sucht“ (ebd.).

4 Der „pig-philosophy“ Vorwurf entspringt der Vorstellung, dass es höheres Glück und niederes Glück gebe. Das Kegelspiel des Proletariats sei mit dem Genuss klassischer Musik nicht zu vergleichen. Auch wenn diese Vorstellung mit der Legitimation des guten Geschmacks als Machtmittel (BOURDIEU 1982: 388f) zu erklären und zu entkräften ist, kommen Utilitaristen nicht umhin, einige Freuden wie Sadismus, Missgunst, Neid, Tücke (HARSANYI 1982: 56) als niedere, antisoziale oder unakzeptable Freuden zu disqualifizieren.

5 Die biografischen Daten entstammen soweit nicht anders angegeben DINWIDDY (1989: 1-19).

6 Vgl. POLLARD (1992: 16ff); so beinhalten seine Ausarbeitungen scharfe Angriffe auf die als korrupt gelten- de Oberschicht und zeigen auch die Geringschätzung der Unterschicht, denen er nicht zubilligt, ihr Glück und den Weg dahin zu kennen.

7 Das Sterbejahr entstammt der ansonsten dünnen Biografie des Bentham Project’s des University Colleges London (UCL 2006).

8 Die genaue Bedeutung dieser Begriffe und die damit verbundenen Probleme werden noch behandelt. Um dem nicht vorzugreifen wird bis dahin von einer Übersetzung abgesehen.

9 Zu dieser Kategorie gehören Antipathie und Missgunst. Vgl. DINWIDDY (1989: 24).

10 Dies trifft auch für andere Listen dieser Art zu: BENZ (2005: 6) leitet aus der psychologischen Literatur

11 Die Möglichkeit der Rückführung verschiedener Zustände auf eine vergleichbare Einheit.

12 Auch hier ist nicht von einer absoluten, hergeleiteten Aussage auszugehen. BENTHAM vermutet vielmehr die Tendenz, dass das Ergebnis von Gesellschaften, in denen selbstbezogenes Handeln vorherrscht, gegen- über Gesellschaften „in which each person concerned himself principally with the happiness of others“ (DINWIDDY 1989: 28) besser ausfällt. Hier werden die extremen Pole einer Skala verglichen, zwischen denenes deutlich bessere Ergebnisse geben kann als an den Enden.

13 Vgl. NUSSBAUM (2004), SCHAAF (1991: 45), FREY (2002a: 24) und BRUNI/PORTA (2004).

14 ARISTOTELES (2006) entwickelt diese Idee in der Nikomachischen Ethik. Für eine Wirtschaftstheorie auf Basis des Aristotelischen Glücksbegriffs siehe RICHERT (1996).

15 SCITOVSKY verwendet synonym Lust und Erregung, was aber auch synonym mit Freude als oberstem hedonistischem Prinzip verwendet wird. Inwieweit Freude oder Lust für die Übersetzung von pleasure ge-geeignet ist wurde diskutiert

16 Vgl. für die „einschränkenden Annahmen“ der Herleitung eines Wohlfahrtsmaximums SCHÖLER (1999: 156). MIRRLEES (1982: 66) versucht den interpersonellen Vergleich für der Summation einzelner Nutzen zur Gesamtwohlfahrt durch ein Gedankenexperiment zu ermöglichen, dass die Idee enthält, „to assign utility to the consumption of alternative selves in different states”.

17 Da die These des nutzenmaximierenden Verhaltens weder begründbar noch widerlegbar ist haben die Ein- wände gegen den Positivismus den gleichen unsicheren Status wie der Positivismus selbst.

18 Lediglich JEVONS (1871: Kapitel 2 und 3) geht explizit von BENTHAM aus und verwendet dessen Begriffe pleasure, pain und happiness. Da für die Verbreitung der subjektiven Wertlehre weniger die Herkunft des Begriffs als vielmehr dessen Wirkung entscheidend ist, geht JEVONS’ Herleitung der subjektiven Wertlehre aus BENTHAMS Hedonismus gegenüber der abgrenzenden Herleitung aus der Arbeitswertlehre unter. Andere Gründe waren die thematische Ausrichtung des Briten und seine im vergleich zu den Österreichern relativ schlechte Einbindung in ökonomische Zirkel. Vgl. dazu HESSE (2003: 171).

19 BACKHOUSE (2006: 212f) überschreibt die Phase zwischen 1930 und 1960 wirtschaftshistorisch mit „From pluralism to orthodoxy“.

20 Der Begriff stammt von SAMUELSON. Vgl. dazu BACKHOUSE (2006: 213).

Fin de l'extrait de 82 pages

Résumé des informations

Titre
Glück als Grundlage ökonomischen Handelns
Université
University of Potsdam
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
82
N° de catalogue
V110853
ISBN (ebook)
9783640193097
ISBN (Livre)
9783640337279
Taille d'un fichier
1164 KB
Langue
allemand
Annotations
Wenn es in den Wirtschaftswissenschaften einen Ansatzpunkt für die Bewertung und damit für den Vergleich von Zuständen gibt, dann ist dies der Nutzenbegriff. Von der sozialwissenschaftlichen Kritik dieses Begriffes wird die Entwicklung eines alternativen Bewertungsmaßstabes nachgezeichnet. Glück, oder subjektives Wohlbefinden, erhält das Individuum als Träger der Bewertung, bietet aber Ansätze zur Messung, während sich das Nutzenkonzept in einer Tautologie verliert.
Mots clés
Glück, Grundlage, Handelns
Citation du texte
Sven Sygnecka (Auteur), 2006, Glück als Grundlage ökonomischen Handelns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110853

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