"Political Cultures" - Die politikwissenschaftliche Konzeption der Cultural Theory diskutiert am Beispiel der Gentechnologie-Politik der USA


Trabajo Escrito, 2007

21 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Cultural Theory
2.1 Vorbemerkung
2.2 Das „grid/group“-Modell
2.3 Die „political cultures“-Konzeption

3. Die Gentechnologie-Politik der USA aus kulturtheoretischer Sicht
3.1 Der politische Umgang mit Gentechnik
3.2 Die US-Gentechnologie-Politik aus „political cultures“-Perspektive
3.2.1 Einordnung nach Linnerooth-Bayer
3.2.2 Beurteilung

4. Fazit

5. Quellenverzeichnis

Abstract

Diese Arbeit widmet sich der Diskussion der „Cultural Theory“ und ihrer Verwendung in der Policy-Analyse der Politikwissenschaft. Hierbei sollen sowohl der von Mary Douglas gelegte Grundstein der Theorie, die „grid/group“-Einteilung von Individuen, sowie die Weiterentwicklung des Ansatzes von Michael Thompson zum „political cultures“-Modell näher beleuchtet werden, um diese auf das Beispiel der Gentechnologie-Politik der USA anzuwenden, welche im vorliegenden theoretischen Kontext gerade durch ihre Ambivalenz interessant wird, da sie nicht eins zu eins auf eine bestimmte politische Kultur festlegbar ist.

1. Einleitung

Auf der Basis des von Mary Douglas und Aaron Wildavsky entwickelten „grid/group“-Modells, mit dem sie das Handeln von Individuen zu erklären versuchten, hat Michael Thompson den „political cultures“-Ansatz entwickelt, welcher seinerseits den Versuch unternimmt, das Vorgehen von Douglas und Wildavsky auf die politikwissenschaftliche Policy-Analyse zu übertragen. Dabei macht er vier verschiedene politische Kulturen aus, die als hierarchisch (bürokratisch und utilitaristisch), egalitaristisch (ethisch sowie allgemeinwohlorientiert), individualistisch (marktorientiert) und fatalistisch bezeichnet werden. Thompson und andere, ihm folgende Autoren, wie etwa Joanne Linnerooth-Bayer, ordnen die besagten Kulturen den verschiedenenen Regimen in Europa und Nordamerika zu, um damit Erkenntnisse über die Gründe für Unterschiede im Policy-Output zwischen den betreffenden Staaten zu gewinnen.

Derlei Formen von Typologisierungen bringen immer spezielle Probleme mit sich. So stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, in bestimmten Regimen eine sehr eindeutige oder auch nur eine „maßgeblich prägende“ politische Kultur auszumachen, und ob in vielen Fällen nicht eher eine Mischung aus den drei oben bezeichneten Kulturen am Werke ist, die sich dazu einer exakten Typologisierung entziehen. Je nachdem, zu welchem Ergebnis man bei der Beantwortung dieser wichtigen Fragen gelangt, ergeben sich daraus auch Konsequenzen für den methodischen Wert des Ansatzes. Aus diesem Grunde scheint es wichtig, ihnen einmal näher nachzugehen.

Ein Policy-Feld, das zu solch einem strittigen Regime gehören könnte, ist die Gentechnologie-Regulierung in den USA. Auf den ersten Blick lässt sich bereits erkennen, dass hier zwar „typisch amerikanische“, marktindividualistisch ausgerichtete Kräfte am Werke sind, die zu einer Liberalisierung der Gentechnik tendieren, aber zugleich auch egalitäre, und dies von relativ unerwarteter Seite: Die Republikaner sträuben sich unter Berufung auf christliche Ethik deutlich gegen weitreichendere Stammzellenforschung. Zugleich obliegt es der amerikanischen Politik, hier einen Kompromiss zu finden, was die hierarchische Komponente ins Spiel bringt. Betrachtet man diese Mischung, so wird die Anwendung des „political cultures“-Ansatzes hierauf zu einem spannenden Thema.

Im ersten Teil der Arbeit wird die theoretische Seite näher beschrieben, indem auf die Konzeptionen von Mary Douglas und Michael Thompson eingegangen wird. Im zweiten Teil wird das Modell angewendet auf das Beispiel der Gentechnologie-Politik der USA, um schließlich im dritten und letzten Teil ein Fazit zu ziehen.

2. Cultural Theory

2.1 Vorbemerkung

Bei der Darstellung der kulturtheoretischen Konzeptionen von Risikowahrnehmung und -umgang stößt man auf ein Grundproblem, das den Darstellenden zwingt, sich in seiner Beschreibung zu begrenzen. So variieren die verschiedenen Protagonisten der Cultural Theory in ihren Publikationen zum hier zu diskutierenden Modell mitunter deutlich, fügen ihm vierte oder fünfte „Kulturen“ oder auch „ways of life“ hinzu oder geben ihnen wiederum andere Bezeichnungen. Diese Arbeit wird sich jedoch auf das eher anthropologische „grid/group“-Modell von Mary Douglas (hauptsächlich orientiert an ihrem Aufsatz „Muffled Ears“, vgl. Douglas 1992: 55 ff.) und die eher politikwissenschaftliche „political cultures“-Variante von Michael Thompson et al. (orientiert am Buch „Divided We Stand“, vgl. Schwarz / Thompson 1990: 56 ff.) begrenzen.

2.2 Das „grid/group“-Modell

Man geht zunächst von der Grundthese aus, dass Risikowahrnehmung, von welchen Risiken auch immer, auf kollektiven Konstrukten beruht, die vom sozialen Kontext der jeweiligen Akteure – gehen wir erst einmal von Individuen aus – geprägt werden. Der kulturtheoretische Ansatz will nun die Frage beantworten, welcher soziale Kontext auf welche Weise einwirkt und welche Form der kollektiven Konstruktion von Risiko bewirkt, oder anders gesagt, „how particular kinds of danger come to be selected for attention“ (Douglas / Wildavsky 1982: 8). Das, was oben als Risikowahrnehmung bezeichnet wurde, ist also vor allem eine Form des Ausschlusses und daher der Selektion von Risiken. Der Filter, der diese Selektion ausführt, wird von Douglas und Wildavsky als „cultural bias“ (vgl. ebd.: 9) bezeichnet. Basierend auf diesen „biases“ wird ein „way of life“ kreiert, der den Umgang mit den ausgewählten und für sich in Blick genommenenen Risiken gestalten soll. Im kulturtheoretischen Verständnis muss nun vor allem eine Klärung über die Frage der sozialen Einflüsse auf die besagten „biases“ erfolgen: „There cannot be a serious study of [risk] perception that does not recognize social concerns that influence selective attention“ (Douglas 1985: 39).

Das Modell von Douglas unternimmt nun den Versuch, bestimmte „ways of life“ als Formen der sozialen Organisation zum Umgang mit Risiken zu klassifizieren und stellt dabei zunächst die beiden Dimensionen von „grid“ und „group“ auf, die skalenartig („high“ vs. „low“) den sozialen Kontext erfassen sollen. Die „group“-Dimension bezeichnet hier den Grad der Integration in eine soziale Gruppe und damit zugleich auch den Grad der Abschottung von anderen Gruppen oder Individuen außerhalb der Gruppe: „ Group means the outside boundary that people have erected between themselves and the outside world“ (Douglas / Wildavsky 1982: 138). Wer stärker in eine Gruppe integriert ist, dessen allgemeiner Handlungsspielraum wird durch die Regeln der Gruppe auch stärker begrenzt, was zugleich zu einer stärkeren Abgrenzung von anderen Gruppen führt. Um ein Beispiel aus dem politischen Alltag zu nennen: Wer Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wird, wird mit Irritation seiner Parteigenossen rechnen müssen, wenn er beginnt, sich für konservative oder liberale politische Ideen einzusetzen. Je nachdem, wie hoch der „group“-Grad im entsprechenden Parteibezirk nun ist, desto deutlicher wird diese Irritation ausfallen. Die Inklusion in eine Gruppe exkludiert von anderen, gleich gearteten Gruppen. Das Ausmaß dieses Vorganges wird von der „group“-Dimension versucht zu erfassen.

Die „grid“-Komponente bezeichnet alle anderen den Handlungsspielraum des Akteurs beeinflussenden sozialen Faktoren: „ Grid means all the other social distinctions and delegations of authority that they use to limit how people behave to one another“ (ebd.: 138). Hierunter fallen etwa allgemein geltende Verhaltensregeln oder Folgen, die sich aus der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ergeben. Nicht zuletzt individuelle Eigenschaften wie Alter, Bildung, Geschlecht oder sexuelle Ausrichtung prägen also den „grid“-Grad des jeweiligen Individuums entscheidend mit. So wird beispielsweise jemand, der auf Grund seines Alters und seines Bildungsniveaus keine Arbeit mehr findet, mit einem relativ hohen „grid“-Grad konfrontiert, der seine soziale Rolle wiederum nachhaltig prägt und ihn in einen bestimmten „way of life“ drängt.

Dies führt zur Beschreibung der von Douglas herausgestellten „ways of life“. Sie nennt hier die drei Kulturen des Marktes („market“), der Bürokratie („bureaucracy“) und des freiwilligen Engagements („voluntary commitment“) (vgl. Douglas 1992: 71 ff.). Die Kultur des „market“ weist einen eher geringen „group“-Grad und einen ebenso geringen „grid“-Grad auf. Wer diesem „way of life“ folgt, begibt sich kaum unter die Oberhoheit einer für ihn bestimmenden Gruppe, wird alles tun, um sich geltenden Verhaltensregeln nicht allzu verbindlich zu unterwerfen und zugleich durch persönliche Gewinnmaximierung immer in einer selbstbestimmten Position bleiben zu können: „In diesem sozialen Kontext sind alle Grenzen vorläufig und verhandelbar“ (Plapp 2003: 36). Hier lässt sich also ein marktindividualistischer „way of life“ wiedererkennen, der in Sachen Entscheidungsfindung den Weg der Risikooptimierung beschreitet, weitestgehend unabhängig von äußeren Vorgaben und Einflüssen, nur reguliert durch den Wettbewerb mit anderen. In der auf individualistischen Werten und Freiheiten basierenden westlichen Welt befindet sich die Kultur des „market“ im Zentrum der Gesellschaft, sie prägt diese nachhaltig.

Ebenfalls dem Zentrum der Gesellschaft zugehörig ist die Kultur der „bureaucracy“. Dadurch dass in der modernen Welt fast jeder über die Mitgliedschaft in Organisationen in Formen von Hierarchien eingebunden ist (sei es nun ein Unternehmen, eine Universität, eine Kirche oder eine Behörde), wird der „way of life“ der „bureaucracy“ zu einer gesellschaftlich-zentralen Komponente, ohne die die Gesellschaft und insbesondere der Staat nicht funktionsfähig wäre. Diese Kultur zielt auf Risikobegrenzung in der effektivsten Weise ab, was durch die Expertise von Spezialisten gewährleistet wird. An dieser Stelle kann man die klassische Definition von Max Weber zitieren, der in der Bürokratie die Aufgabe sieht, „rational geordnetes Gesellschaftshandeln ins Leben zu rufen und planvoll zu leiten“ (Weber 1972: 548). Wer sich solch einer „planvollen Leitung“ unterstellt, der agiert damit auch unter einem hohen „grid“-Grad: So hat das Abgeben der eher typisch individualistischen Eigenverantwortung an eine bis zu einem gewissen Maße für ihn entscheidende Organisation bzw. Bürokratie die Folge, dass er auch eventuellen anderweitigen Einflüssen stärker unterworfen ist. Wer beispielsweise auf ein Arbeitsleben auf selbstständiger Ebene verzichtet und sich lieber in ein Arbeitsverhältnis bei einem größeren Unternehmen begibt, der unterliegt auch eher der Gefahr, von plötzlicher Kündigung und den dadurch entstehenden sozialen Folgen überrascht zu werden. Gleichzeitig ist durch eine verbindlich geregelte Mitgliedschaft, etwa einen Arbeitsvertrag oder eine Verbeamtung, die Integration in die Gruppe natürlich sehr stark, was auch den „group“-Grad sehr hoch setzt.

Die dritte Kultur lässt sich als „voluntary commitment“ bezeichnen und ist an der gesellschaftlichen Peripherie anzusiedeln. Dieser „way of life“, auch als „clan“ oder „sectarian“ bezeichnet, umfasst nicht selten Protestgruppen, soziale Bewegungen oder Sekten, die außerhalb der Machtkonzentration von „bureaucracy“ und „market“ stehen und sich dann herausbilden, wenn Unzufriedenheit mit den beiden zentralen Kulturen aufkommt, vor allem „in response to failure of bureaucratic organization“ (Douglas 1992: 72). Diese Unzufriedenheit ist zugleich ihre Überlebensbedingung: „Sectarians need the future to be different and worse to turn their criticism into warnings and so make them politically more weighty“ (Douglas / Wildavsky 1982: 122). Der “grid”-Grad dieser Kultur ist als niedrig anzusehen, da generell verbindlich gesetzte Regeln eher selten anzutreffen sind und auch die Möglichkeiten zur Sanktionierung von Verstößen – im Gegensatz zu denen, über die die Bürokratie verfügt – begrenzt sind. Gleichwohl ist der „group“-Grad hier hoch, da die Integration in derartige Gruppen, insbesondere natürlich in religiösen Sekten, für gewöhnlich äußerst stark ist; ebenso die Abgrenzung nach außen.

Eine vierte Kultur, die jedoch nur in einigen Publikationen der Kulturtheoretiker Erwähnung findet, ist die des Fatalismus. Die Fatalisten zeichnen sich durch eine generelle Gleichgültigkeit aus, was sich auf ihre soziale Rolle in extremer Weise niederschlägt: „Allein, apathisch und unfähig zur Partizipation fristen sie ihr Leben“ (Plapp 2003: 36). Ein klassisches Beispiel für den typischen Fatalisten dürfte der drogensüchtige Obdachlose sein, für den der einzige Zweck des Lebens, sofern es diesen für ihn überhaupt gibt, in dem Konsum von Drogen besteht. Da der Fatalist durch seine sozial nachteilige Rolle und seine Isolation nicht in Gruppen organisiert ist (allenfalls in losen Interaktionssystemen mit anderen Fatalisten; dies fällt jedoch nicht unter die kulturtheoretische Definition einer „Gruppe“), ist der „group“-Grad dieses „way of life“ logischerweise überaus niedrig. Demgegenüber fällt der „grid“-Grad hoch aus, weil man durch die Inaktivität und die Unfähigkeit zur Partizipation – etwa in einer Gewerkschaft oder einer Bürgerinitiative – anderen Gegebenheiten und Regeln stark ausgesetzt ist. So wird etwa ein Obdachloser ungewöhnlich oft mit Polizisten oder Vertretern des Ordnungsamtes zu tun haben und durch seine Lebensumstände zugleich unfähig sein, dies zu ändern.

2.3 Die „Political Cultures“-Konzeption

Der Ansatz von Michael Thompson, zu dem auch andere Autoren wie Aaron Wildavsky und Michiel Schwarz beitrugen, verlagert das „grid/group“-Modell von einer eher individuellen Akteursebene und der Ebene von Organisationen hin zu einer politischen Ebene. Hier wird versucht, die in Abschnitt 2.2 benannten Kulturen (die allerdings z.T. andere Bezeichnungen erhalten) in politischen Regimen wieder zu entdecken, was sich nach Thompson in der politikwissenschaftlichen Policy-Analyse bezahlt mache.

Die Grundthese des Ansatzes bleibt natürlich die gleiche wie schon beim Ursprungsmodell, lediglich übertragen auf die politische Regulierung. Wie Risiken wahrgenommen werden und ob sie überhaupt als solche wahrgenommen werden, wird durch den „cultural bias“ – hier müsste man sagen: „political bias“ – herausgefiltert: „The central message (...) is that all is bias. Our knowing is biased, our acting is biased, our justifying of our actions is biased“ (Schwarz / Thompson 1990: 61). Ein sehr simples Beispiel dazu aus dem politischen Alltag: Die Partei der Grünen sieht Atomkraftwerke als Risiko an, die CDU nicht. Begründet liegt dies in unterschiedlichen Parteiprogrammen, diese wiederum oftmals in unterschiedlichen politischen Schwerpunkten und Prioritäten (umweltpolitische versus wirtschaftspolitische Erwägungen). Diese Prioritäten stellt in diesem Fall der „political bias“ da, der die Risikoselektion der politischen Akteure gestaltet, was dann zu unterschiedlichen Risikowahrnehmungen führt. Diese Unterschiede in den „biases“ wiederum sind prägend für die verschiedenen politischen Kulturen: „Our ideals of fairness, our views of resources, our awareness of needs, our engineering aesthetics, our ways of learning, (…) and many, many more of the factors that make for conflicting assessments of what is possible and of what is desirable vary dramatically across the political cultures” (ebd.: 61 f.).

Wie auch bei der Vorstellung der Risikoselektion durch „bias“ muss man bei der Beschreibung der vier Kulturen nun die Perspektive wechseln und das, was bereits zu den „ways of life“ im „grid/group“-Modell gesagt wurde, auf die politische Ebene übertragen.

Was im letzten Abschnitt als „market“ bezeichnet wurde, ist die in diesem Fall politische Kultur des (Markt-)Individualismus. Schwarz und Thompson bezeichnen ihren „cultural bias“ als pragmatischen Materialismus (vgl. ebd.: 75). Hier wird sich der Befürworter des politischen Neoliberalismus wiederfinden: Wirtschaftlich vertraut man auf die Selbstheilungskräfte des Marktes sowie Fortschritt durch Wettbewerb, und versucht, staatliche Regulierung bis auf ein notwendiges Minimum zurückzufahren. Der Umgang mit Risiko entspricht der Trial & Error-Methode, welche, durch die Möglichkeit des „error“, zur Kritik und zur möglichen Entstehung gesellschaftlicher Gegenbewegungen führen kann, wie auch die Prämisse individualistischer Politkultur gerade den hier noch zu behandelnden Egalitaristen missfallen dürfte: „What is good for the individual citizen, as that person judges and reveals his or her preferences, is good for the society“ (Linnerooth-Bayer 1995: 51).

Die in Abschnitt 2.2 aufgeführte Kultur der Bürokratie wird von Schwarz und Thompson als Hierarchie bezeichnet. Ihr wird der „cultural bias“ des Ritualismus und der Aufopferung zugeordnet (vgl. Schwarz / Thompson 1990: 75), was sich politisch im Konservativismus vorfinden lässt. Der hierarchische Akteur geht auf Nummer sicher und lehnt politische Experimente ab: „Keeping things in their places, transactions in their proper channels, and parts subservient to the whole are the actions that must be fostered if stability is to be achieved“ (ebd.: 75). Sein Umgang mit Risiken wird von Schwarz und Thompson als antizipatorisch beschrieben, man erwartet also bewusst das, was eintreten kann, und versucht mittels Expertise herauszufinden, wie das Risiko so gut wie möglich zu begrenzen ist. Die hierauf fußenden Entscheidungen werden auf utilitaristischer Basis beschlossen: „Appeals to utilitarian ideals, for instance, to minimize the overall burden or risk on society, have traditionally justified government actions in western democracies“ (Linnerooth-Bayer 1995: 53). In der konservativen Energiepolitik wäre hierfür ein Beispiel etwa die Entscheidung, anstatt der Kosten für die Entwicklung neuer Formen der Energiegewinnung und des Risikos des Energiemangels lieber die Risiken der Kernenergie in Kauf zu nehmen. Unfälle wie der von Tschernobyl können von gesellschaftlichen Gruppen dadurch als Versagen des hierarchischen Weges gewertet werden, was uns zur nächsten „political culture“ führt.

Was Douglas und Wildavsky als „voluntary commitment“ oder „sectarians“ sehen, ist in dem hier behandelten Ansatz der Egalitarismus. Der „cultural bias“ dieser Kultur ist im Fundamentalismus und im Millenarianismus vorzufinden (vgl. Schwarz / Thompson 1990: 75 f.). Der Egalitarismus ist somit auch ein klassischer Idealismus, der seine Vorstellungen von einer „besseren Welt“ unabrückbar verfolgt; pragmatische Kompromisse sind auf Grund der Gefahr der „Verwässerung“ der Grundsätze unmöglich. Diese politische Kultur entdecken wir vor allem bei sozialen Bewegungen wieder, als Beispiele sind hier die 68er-Studentenbewegung oder die rot-grüne Friedens- und Anti-AKW-Bewegung der 80er Jahre zu nennen. Grob verortet ist der Egalitarismus also politisch im linken und / oder grün-alternativen Spektrum anzusiedeln, wo die politische Entscheidungsfindung nicht nach pragmatischen oder utilitaristischen Maßstäben erfolgt: „Egalitarians are moved by morality and equity issues“ (Linnerooth-Bayer 1995: 52). Man verfolgt so zugleich auf fundamentale Weise die Vermeidung eines jeden Risikos, was z.B. die Konsequenz hat, dass Atomkraftwerke generell und absolut abgelehnt werden (und nicht etwa ein Kompromiss über die Abschaltung nur einiger AKWs in Erwägung gezogen wird). Egalitarismus heißt Nullrisiko, oder, wie Schwarz und Thompson es ausdrücken, „trial without error“ (vgl. Schwarz / Thompson 1990: 66).

Da in einer Demokratie auch die wahlberechtigte Bevölkerung ein politischer Akteur ist, muss auch der Fatalismus als politische Kultur gezählt werden. Der „cultural bias“ des Fatalismus wird als inkonsistenter Eklektizismus bezeichnet. Die Kultur des Fatalismus wird also geprägt durch eine unkoordinierte Auswahl bestimmter Erfahrungen, die jedoch nicht genauer beschreibbar sind, da sie im Einzelfall variieren. Da im Fatalismus eigentlich alles gesellschaftliche Geschehen egal geworden ist, erfolgt Risikoselektion allerhöchstens durch den Faktor „Glück“: Man versucht also erst gar nicht, in irgendeiner Form auf das – als solches betrachtete – Schicksal einzuwirken, sondern nimmt einfach passiv hin, was kommt. Im vorigen Abschnitt dieser Arbeit wurde hierzu das Beispiel des Obdachlosen genannt, im politischen Kontext wäre hierunter in Ansätzen aber auch schon der politikverdrossene Nichtwähler zu verstehen, der seine politische Inaktivität damit begründet, dass „die da oben ja doch alle machen, was sie wollen“.

3. Die Gentechnologie-Politik der USA aus kulturtheoretischer Sicht

3.1 Der politische Umgang mit Gentechnik

Im Allgemeinen sind für die Regulierung der Gentechnologie in den USA fünf Regierungsbehörden zuständig (die Umweltbehörde EPA, die Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA, die Gesundheitsbehörde NIH, das US-Landwirtschaftsministerium USDA sowie die Behörde für Arbeitssicherheit OSHA). Einzelne Bundesstaaten wie Kalifornien oder Wisconsin haben z.T. eigene Regulierungskompetenzen, in einigen Fällen auch einzelne Orte wie Berkeley (vgl. Hohmeyer / Hüsing / Maßfeller / Reiß 1994: 50 f.). Ein allumfassendes Gentechnikgesetz existiert nicht, die Regulierungspolitik gestaltete und entwickelte sich weiter über einzelne Verordnungen und Empfehlungen.

Um ein Beispiel zu nennen: Gill et al. berichten, wie 1979 – nachdem eine Kommission 3 Jahre zuvor erste Richtlinien zur Gentechnikregulierung festgelegt hatte – in den USA die erste experimentelle Gentherapie beantragt und von der Ethik-Kommission abgelehnt wurde, woraufhin die Forscher ihre Versuche in Israel und Italien durchführten, wo die rechtliche Basis gegeben war. In der darauf folgenden breiten öffentlichen Debatte wurden genaue Voraussetzungen für die Durchführung gentherapeutischer Versuche an Menschen geschaffen: „Alle von öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen geplanten Versuche müssen seither vier Gremien durchlaufen, bevor mit den Versuchen begonnen werden darf“ (Gill / Bizer / Roller 1998: 276). Hierbei handelt es sich zum einen um Ethik-Kommissionen, zum anderen um nationale Behörden (NIH sowie FDA). Das hier vorgegebene Verfahren ist zugleich stark öffentlichkeitsorientiert. So müssen die Forschungsvorschläge samt Hintergrundmaterialien vollständig veröffentlicht werden und jeder Bürger kann Einwendungen erheben (vgl. ebd.: 277). Allerdings sind im Laufe der Zeit wegen des erhöhten Antragsaufkommens immer weitere Verfahrenserleichterungen installiert worden und die therapeutische Anwendung der Gentechnik wird sehr offensiv vertreten.

Hohmeyer et al. machen, basierend auf solchen Fallbeispielen, gewisse Regelmäßigkeiten in der Regulierungspraxis der USA aus, indem sie feststellen, dass bei geringen Erfahrungswerten über die Risiken einer Innovation zunächst zwar sehr restriktiv und mit allerlei Auflagen vorgegangen wird : „Stellt sich aber aufgrund angeordneter umfangreicher Begleituntersuchungen zu ersten derartigen technischen gentechnischen Arbeiten mit der Zeit heraus, daß ein zunächst nicht genau zu spezifizierendes Risiko überschätzt worden ist, so werden Auflagen nach und nach gelockert“ (Hohmeyer / Hüsing / Maßfeller / Reiß 1994: 52).

Gleichwohl sind gerade gentechnische Innovationen auch heutzutage in den USA nicht unumstritten und werden teils sogar zum Wahlkampfthema, wie das Beispiel der Stammzellenforschung im Präsidentschaftswahlkampf 2004 illustriert.. Bush, der sonst in seiner Amtszeit eher als Förderer von Forschung und Wissenschaft aufgetreten war, vertrat hier eine ablehnende Haltung, da das Klonen menschlicher Embryonen den christlichen Grundsätzen widerspräche, nach denen das Leben heilig sei und nicht für anderes Leben geopfert werden dürfe. Der Präsident griff hier also die Ansichten des christlich-religiösen Flügels seiner Partei auf, während der Demokrat Kerry auf den potenziellen Nutzen solcher Forschung für die Behandlung schwerer Krankheiten und Verletzungen abstellte und somit eher pragmatisch argumentierte.

Abseits dieser sehr von moralischen und ethischen Argumenten geprägten Debatte um ein zugegeben auch sehr brisantes Feld der Gentechnik jedoch „fällt auf, daß die Diskussion um die Regulierung der Gentechnik in den USA bis auf wenige Ausnahmen sehr pragmatisch und sachorientiert geführt wird“ (ebd.: 80) [Hervorhebungen vom Autor entfernt]. Mögliche Risiken würden ernst genommen und angemessen berücksichtigt und dennoch keine Scheuklappen angelegt, und dies bei umfangreicher Information der Öffentlichkeit. Hohmeyer et al. bemerken dazu ein besonderes Augenmerk der amerikanischen Industrie darauf, „daß ein hinreichend gründliches Genehmigungsverfahren keine Zweifel der Öffentlichkeit an der Zuverlässigkeit der genehmigenden Behörden sowie der genehmigten Produkte und Produktionsprozesse aufkommen läßt“ (ebd.: 81) [Hervorhebungen vom Autor entfernt]. Scheinbar sei es sogar ein Anliegen der Industrie, die Genehmigungsverfahren restriktiver zu gestalten, um jedoch dafür auch die Haftungsansprüche begrenzen zu können.

3.2 Die US-Gentechnologie-Politik aus „political cultures“-Perspektive

3.2.1 Einordnung nach Linnerooth-Bayer

Linnerooth-Bayer hat im Umgang mit Biotechnologie den USA eine Mischung aus individualistischer und hierarchischer politischer Kultur attestiert (vgl. Linnerooth-Bayer 1995: 55 ff.). So wird die indivualistische Seite insbesondere daran sichtbar, dass man beim Umgang mit Risiken in der Gen- bzw. Biotechnologie nicht anders vorgehe als bei anderen eventuell risikobehafteten Innovationen auch: „The risks of biotechnology are not in any sense special or unique and, therefore, products of biotechnology should not be treated differently than products created by traditional biological or chemical processes“ (ebd.: 55). Ganz getreu dem „trial and error“-Prinzip geht man also davon aus, dass Risiken sich erst erweisen müsen, bevor man sie definitiv einkalkuliert. Diese Politik wurde nicht zuletzt vom Weißen Haus vorangetrieben, welches ein Interesse an der Position der USA im internationalen Wettbewerb der Biotechnologie-Industrie hatte.

Die hierarchische Seite erkennt Linnerooth-Bayer nun gerade darin, dass diese individualistische Kultur verwirklicht wird. So sei es gerade das Grundideal amerikanischer Politik, „that the citizens, themselves, and not their political representatives, determine what is in their best interests” (ebd.: 57). Dies legitimiere die amerikanische Politik in ihrem Handeln und damit gleichzeitig hierarchische Prozesse (wie etwa das Genehmigungsverfahren für Gentherapie, wie im Beispiel in Abschnitt 3.1 beschrieben), die jedoch immer auf der Basis einer individualistischen Kosten-Nutzen-Analyse stattfänden.

Egalitaristische Elemente macht Linnerooth-Bayer nicht aus; Erwägungen, die in Richtung Tierschutz gingen oder Kritik an einer über-technisierten Gesellschaften hegten, spielten in der politischen Debatte kaum eine Rolle. Zwar seien ethische Diskussionen in der amerikanischen Politik durchaus üblich, aber Belange der öffentlichen Moral hätten das Feld der Umweltpolitik noch nicht erreicht, was sich aber ändern werde, wenn der Bereich der Humangenetik mehr ins Licht der Öffentlichkeit rückt (vgl. ebd.: 57 f.).

3.2.2 Beurteilung

Die marktindividualistische Kultur ist in den USA durchaus deutlich wiederzufinden, was nicht zuletzt der Grund dafür ist, dass der amerikanische Standort für europäische Genforscher so attraktiv ist, was ja nach Linnerooth-Bayer auch in der Intention des Weißen Hauses lag. Die Lockerung von Auflagen, die Hohmeyer et al. bei zunehmender Gewissheit über Art und Anzahl von Risiken festgestellt haben, lässt sich im individualistischen Kontext erklären; wenig strikte Genehmigungsverfahren mit einem strengen Haftungsrecht sind ein typisch liberales Element: Verantwortung wird vom Staat abgegeben an die Unternehmen, die dafür aber auch mit allen Konsequenzen umgehen müssen. Auch die umfangreiche Information der Öffentlichkeit und die Einspruchsmöglichkeiten für einzelne Bürger in die Genehmigungsverfahren stellen eine ausgeprägte individualistische Komponente dar:

Jedes Individuum zählt und muss partizipieren können; und was gut für den Einzelnen ist, ist gut für die Gesellschaft.

Auch das hierarchische Element ist deutlich erkennbar. Einerseits, wie von Linnerooth-Bayer beschrieben, immer legitimiert durch die ur-amerikamische individualistische Grundidee, andererseits aber auch durchaus noch geprägt von einer gewissen Vorsicht, wie Hohmeyer et al. zeigen, wenn sie den Genehmigungsverfahren für gentechnische Innovationen eine anfangs recht restriktive Natur bescheinigen. Hier wird also noch sehr stark auf Risikobegrenzung gesetzt, was erst durch die Expertise von Wissenschaftlern – Natur- wie auch Geisteswissenschaftlern – gelockert werden kann. Es wird klar, dass die Gentechnologie auch in den USA nicht uneingeschränkt den Gesetzen des Marktes unterworfen ist, sondern auch viele bürokratische Hürden überwinden muss, was teilweise auch schon die Involvierung der oben genannten Behörden belegt. Ein interessanter Aspekt, der in diesem Kontext Erwähnung finden sollte, ist die Rollenverschiebung, die hier bei den relevanten politischen Akteuren stattfand: So tendieren die Biotechnologie-Unternehmen, denen man ja traditionell eher eine Marktorientierung unterstellen würde, überraschenderweise nicht zu einem individualistisch gestalteten Genehmigungsverfahren, sondern zu einem Verfahren mit mehr hierarchischen Elementen, um nicht in so umfangreichen Maße für eventuelle Risiken haften zu müssen. Ein bemerkenswerter Fall, in dem normalerweise „typische“ Individualisten Verantwortung abgeben und in hierarchische Hände legen wollen, um sich selbst nicht zu gefährden. Dies zeigt das Risikobewusstsein, das bei allen Akteuren in diesem Bereich fest verankert ist.

Ein letzter Blick soll der egalitaristischen Kultur gelten, die Linnerooth-Bayer in diesem Politikfeld in den USA nicht ausfindig gemacht, sie jedoch für die Zukunft mit größerer Fokussierung auf die Humangenetik nicht ausgeschlossen hat, was sich als prophetisch erwiesen hat. Zum Zeitpunkt der Publikation ihres Essays mag die Stammzellenforschung tatsächlich nicht derart präsent gewesen sein in der öffentlichen Debatte, dies hat sich jedoch, wie am Beispiel des Präsidentschaftswahlkampfs 2004 beschrieben, inzwischen geändert. George W. Bush hat sich zwar nicht auf Naturschutz oder andere, „typisch egalitaristische“ Ziele bezogen, jedoch war die Grundlage seiner Argumentation nicht etwa eine Forderung nach strikteren oder vorsichtigeren Genehmigungsverfahren (wie sie eine „typisch hierarchische“ Haltung impliziert, die man Bush auf den ersten „politischen“ Blick ja eigentlich eher attestieren würde), sondern eine totale Ablehnung jeglicher Stammzellenforschung basierend auf der christlichen Ethik von der Heiligkeit des Lebens. Bezug zu Ethik und öffentlicher Moral ist, wie in Abschnitt 2.3 beschrieben, ein Element egalitaristischer „political culture“ (vgl. Linnerooth-Bayer 1995: 52). Das zeigt, wie erneut mit der Umstrittenheit individualistisch-hierarchischer Politik und der in ihr mit einbegriffenen Kosten-Nutzen-Erwägungen eine in diesem Politikfeld bisher unbekannte egalitaristische Komponente installiert wurde, basierend insbesondere auf der evangelikalen Bewegung in den USA, die Bush in nicht geringem Maße repräsentiert. Dieses Aufkommen großen religiösen Einflusses auf die Politik demokratischer Staaten scheint auch für die Cultural Theory ein Novum darzustellen, denn von ihrer Seite wurde erklärt: „Remember that science is supposed to have replaced God as the source of explanations and threats“ (Douglas / Wildavsky 1982: 123). Ein Egalitarismus, wie Bush ihn hier repräsentierte (wenn man diese „political culture“ hier überhaupt noch so bezeichnen kann), basiert hingegen auf anderen Parametern und sieht tatsächlich Gott als die Quelle für Erklärungen und mögliche Bedrohungen an.

Letztlich finden wir also im heutigen Umgang mit gentechnologischen Fragen in den USA, von denen die Humangenetik derzeit die brisanteste und daher „politischste“ ist, eine Mixtur aus drei verschiedenen politischen Kulturen vor. Hier steht die der Gentechnik offen gegenüberstehende Allianz aus hierarchisch-individualistischen Kulturen, wie sie von Unternehmen, Demokraten, liberalen Republikanern und dem Großteil der Bevölkerung präferiert werden, gegen einen recht neuartigen, christlich-ethisch fundierten Egalitarismus, den konservative Republikaner und Evangelikale vertreten und der gentechnologischen Eingriffen in die Natur – sprich: in Gottes Schöpfung – skeptisch bis radikal ablehnend gegenüber steht, was sich in religiösen Gruppen wie den Amish People drastisch zuspitzt.

4. Fazit

Am Beispiel des Feldes der US-Biopolitik lässt sich die politikwissenschaftliche Kulturtheorie bzw. der „political cultures“-Ansatz auf seinen methodischen Wert testen. So bietet das Modell zunächst eine nützliche „Brille“, um politische Debatten hinsichtlich ihrer Wurzeln zu erklären. Es wird plastisch, welche Elemente von welchen gesellschaftlichen und politischen Strömungen die Politik der USA prägen, welche ineinander greifen oder sich gar verbünden (hier das Beispiel der „hierarchisch-individualistischen Allianz“) und welche sich im Konflikt gegenüber stehen (die Allianz versus Bushs religiöser Egalitarismus). Zugleich bietet das Modell durchaus Flexibilität, indem es nicht per se einen Staat auf eine bestimmte politische Kultur fixiert, sondern innerhalb eines Landes verschiedene politische Kulturen ausmacht, deren Ouput die Policy des Landes gestaltet: „However, much of the political sciences embraces the idea that it makes sense to talk in the singular about the national (...) political culture. But, increasingly, the reality of political conflicts shows us how different policy actors can have competing perceptions of the situation, and indicates that this simple singular assumption cannot be upheld“ (Schwarz / Thompson 1990: 65). In diesem Kontext ist es auch möglich, dass ein und derselbe politische Akteur je nach Policy-Feld verschiedene politische Kulturen repräsentiert: So wird Bush sicher nicht in vielen Feldern als egalitaristisch gelten können, sondern müsste sonst eher als wirtschafts- und sozialpolitischer Individualist und in dem Bereich der Inneren Sicherheit als Hierarchiker angesehen werden. In dieser hoch flexiblen Prämisse liegt eine der großen Stärken des Ansatzes, die eine präzisere Policy-Analyse gestattet als viele unterkomplexe Methoden der sogenannten Vergleichenden Politikwissenschaft (Regierungslehre).

Gleichwohl leidet der Ansatz aber auch daran, dass er im Laufe der Zeit politisch hätte aktualisiert werden müssen, was jedoch so nicht geschah. So ist es angesichts des ja nicht nur auf dem Feld der amerikanischen Biopolitik, sondern auch etwa dem der US-Außenpolitik großen Einflusses der evangelikalen Bewegung problematisch, dies in die Kultur des Egalitarismus einordnen zu müssen, die ja in der Beschreibung durch die kulturtheoretischen Akteure eher ein „linksalternatives“ als ein christlich-konservatives Naturell hat, was auch schon ihre Bezeichnung suggeriert – die Evangelikalen in den USA aber sind keine „linke Protestkultur“, sondern eine nicht zu unterschätzende Rennaissance der Religiösität in einer Zeit wachsender Unsicherheit. Zugleich kann man sie aber erst recht nicht der „konservativen“ hierarchischen Kultur zuordnen, da diese sicherlich keine totale Ablehnung der Stammzellenforschung, sondern lediglich ein utilitaristisch basiertes striktes Genehmigungsverfahren gefordert hätte. In dieser Unfähigkeit, eine politische Kultur begrifflich richtig zu erfassen, findet sich ein deutlicher Schwachpunkt, der einher geht mit der Schwäche der inkonsistenten Begriffsverwendung. Da heißt der Egalitarismus mal „voluntary commitment“, mal „clan“ und mal „sectarian“, und keiner dieser Begriffe ist, wenn man ihn mal versucht auf Beispiele zu übertragen, präzise. Es werden teilweise politische Kulturen hinzugefügt, wie der doch recht kuriose „way of life“ des Eremiten (vgl. Plapp 2003: 34) oder eben auch die längst nicht überall erwähnte Kultur des Fatalismus, was zusätzliche Verwirrung und Zersplitterung verursacht und daher eine eindeutige Anwendung der Cultural Theory auf politikwissenschaftliche Fragen wieder verhindert.

Dies ist bedauerlich, denn, wie oben festgestellt, bietet die Kulturtheorie in ihrer ursprünglichen Konzeption einen nicht geringen methodischen Wert. Gelänge es, gerade den für die Policy-Forschung zuständigen „political cultures“-Ansatz als Theoriegebäude stärker zu präzisieren – klare, verbindliche Begrifflichkeiten zu schaffen, klarer umrissene politische Kulturen herauszuarbeiten sowie ihn auf aktuelle politische Szenarien anzupassen – so hätte er das Potenzial, zu einer politologisch profitablen Theorie ausgebaut werden zu können.

5. Quellenverzeichnis

Douglas, Mary / Wildavsky, Aaron (1982): Risk and Culture – An Essay on the Selection of Technical and Environmental Dangers. University of California Press, Berkeley / Los Angeles / London

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Douglas, Mary (1992): Risk and Blame – Essays in Cultural Theory. Routledge, London / New York

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Detalles

Título
"Political Cultures" - Die politikwissenschaftliche Konzeption der Cultural Theory diskutiert am Beispiel der Gentechnologie-Politik der USA
Universidad
Bielefeld University  (Fakultät für Soziologie)
Curso
"Risikoregime"
Calificación
1,3
Autor
Año
2007
Páginas
21
No. de catálogo
V111139
ISBN (Ebook)
9783640092345
ISBN (Libro)
9783640114658
Tamaño de fichero
410 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Political, Cultures, Konzeption, Cultural, Theory, Beispiel, Gentechnologie-Politik, Risikoregime
Citar trabajo
Florian Sander (Autor), 2007, "Political Cultures" - Die politikwissenschaftliche Konzeption der Cultural Theory diskutiert am Beispiel der Gentechnologie-Politik der USA, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111139

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