Theorieverwendung in der Jugendarbeit am Beispiel der Akzeptierenden Arbeit mit rechten Jugendcliquen


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 1999

24 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Jugend- (?) Problem der Gewalt und seine Ursachen
2.1. Problemwahrnehmung
2.2. Zu den Ursachen rechtsextremer Gewalt in Deutschland

3. Ausgewählte theoretische Erklärungsansätze abweichenden Verhaltens
3.1. Biologisch-anthropogenetische Erklärungsansätze
3.2. Psychoanalytische Theorien
3.3. Soziologische Erklärungsansätze
3.3.1. Die Anomietheorie
3.3.2. Der Labeling Approach (Etikettierungstheorien)
3.3.4. Theorien sozialer Bindungen und Kontrolle

4. Ansatzmöglichkeiten am Beispiel der akzeptierenden Jugendarbeit mit rechtsorientierten Gruppen
4.1. Akzeptierende Jugendarbeit im Spektrum der sozialpädagogischen Maßnahmen
4.2. Das Wesen des Handlungsansatzes

5. Theoretische Überlegungen zum Handlungsansatz

6. Schlussbetrachtungen: Theorieverwendung in der Jugendarbeit – Geht das?

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

”Die praktische Aufgabe von akzeptierender Sozialarbeit ist es, die Jugendlichen dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen, dafür zu sorgen, daß rechtsradikale Jugendliche nicht mehr in der Öffentlichkeit Bier trinken. Deswegen sind diese Projekte auch so unglaublich populär. (...) Die Projekte (die im Rahmen des AgAG-Programms der Bundesregierung gefördert wurden, d. Verf.) wurden in der Regel konzeptionslos aus dem Boden gestampft” (Norddt. Antifagruppen, 1998). Konzept- und Theorielosigkeit werden Ansätzen wie dem der Akzeptierenden Arbeit mit rechten Jugendcliquen (vgl. hierzu KRAFELD, 1993a und 1993b) in antifaschistischen Agitationsmaterialien vorgeworfen. Eigene konzeptionelle Hinweise für eine Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen oder aber die Beleuchtung theoretischer Hintergründe erfolgen dagegen in dieser propagandistischen Darstellung nicht.

Sozialpolitische und -pädagogische Diskurse, die sich mit der Bekämpfung von (rechtsorientierter) Gewaltbereitschaft beschäftigen, sollten hingegen das Ziel verfolgen, Ursachen zu erforschen und geeignete Maßnahmen und Konzepte für die Praxis zu entwickeln bzw. theoretische Erkenntnisse in diese einfließen zu lassen.

Die Frage nach theoretischer Fundierung sozialpädagogischen Handelns bezieht sich m.E. in diesem Zusammenhang vor allem auf die Erklärung kausaler Einflussfaktoren von jugendlicher Gewalt, ebenso aber auf die Formulierung von Handlungsansätzen und (allgemeingültigen) Aussagen zu geeigneten Handlungsstrategien und -grundsätzen. Die Verarbeitung von Praxiserfahrungen bildet hier einen sehr wesentlichen Schwerpunkt.

Die vorliegende Hausarbeit soll zunächst das ”Phänomen Jugend und Gewalt” sowohl im Hinblick auf seine allgemein wahrgenommene Abbildung als auch auf seine Ursachen erörtern. Kapitel 3 soll abweichendes Verhalten aus theoretischem Blickwinkel betrachten. Nach der Darstellung gängiger Reaktionsformen der Jugendhilfe werden Bezüge hergestellt zwischen theoretischer Perspektive und praktischer Umsetzung von Konzepten der Jugendhilfe. Eingegangen wird hier vornehmlich auf den Ansatz der Akzeptierenden Arbeit mit rechten Jugendcliquen.

2. Das Jugend- (?) Problem der Gewalt und seine Ursachen

2.1. Problemwahrnehmung

Das gesellschaftliche Problem (mit) jugendlicher Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit wurde besonders in der Nachwendezeit, Anfang der Neunziger, zum akuten politischen und öffentlichen Thema, ähnlich wie es vorher beispielsweise Drogenmissbrauch und Arbeitslosigkeit waren, oder später, Mitte der 90-er Jahre, der sexuelle Missbrauch von Kindern wurde. Gründe dafür mögen in konkreten Anlässen liegen, wie z.B. in den Ausschreitungen von Schmölln, Rostock oder Hoyerswerda, welche Unruhe und emotionale Reaktionen in der Bevölkerung hervorriefen und die (Sozial-) Politik unter Druck setzten.

Keinen unwesentlichen Einfluss hatten dabei die Inszenierungen der Massenmedien, die die Schauplätze und Orte der Auffälligkeit gewinnbringend über Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen regelrecht vermarkteten. Integriert in die öffentliche Meinungsbildung wurden beispielsweise Täter- und Opferrollen sehr schnell vergeben und gefestigt. Gewalt soll an dieser Stelle keineswegs verharmlost werden; auch stimmt es, dass ihre Erscheinungsformen in diesen Jahren tatsächlich eine akute Gefährdung von Menschen und Sachwerten darstellten. Doch die Problemfixierung lenkt zum einen von anderen gesellschaftlichen Defiziten ab, zum anderen wirkt sie auch blickverengend und beeinflusst die Wahrnehmung des Gegenstandes und seiner Ursachen erheblich.

Vernachlässigt wurde zweifelsohne – auch von der Gewalt-Komission der ehemaligen Bundesregierung – die begriffliche Dimension, denn mit Gewalt wird gemeinhin zunächst physische Gewalt verbunden, auf strukturelle Gewalt geht man kaum ein. Über Möglichkeiten der Ausübung von struktureller Gewalt, z.B. durch Normsetzung und -durchsetzung, verfügen betroffene Jugendliche in der Regel jedoch nicht.

Weiterhin wird rechtsorientierte Gewalt immer noch als ein Jugendproblem angesehen, obwohl sie es gar nicht ausschließlich ist. Man bedenke, dass gerade Jugendliche und junge Erwachsene besonders bereit sind, ihrem Denken, ihrer Kritik- oder Abwehrhaltung ggf. tätlichen Ausdruck zu verleihen, während sich Erwachsene als erfahrenere Mitglieder der Gesellschaft eher konform und sozialverträglicher verhalten, da dies längerfristig erfolgversprechener und effektiver erscheint. Gewalt entsteht auch, wenn keine anderen Mittel und Formen des Ausdrucks für die jungen Menschen erreichbar oder nutzbar sind (vgl. Anomietheorie, Abschnitt 3.3.1.).

Zählt man zum Problem auch seine Ursachen, kann sich das Problem der Gewalt nicht nur auf diejenigen beziehen, die sie anwenden. Spricht man von rassistischer Gewalt, ist evident, dass breite Schichten der Bevölkerung Meinungen und Ansichten der jugendlichen Täter, der ”Vollstrecker des allgemeinen Volkswillens” (JÄGER 1993, S. 86) teilen.

2.2. Zu den Ursachen rechtsextremer Gewalt in Deutschland

Die Bedeutung der Ursachen von Gewaltfaszination, -bereitschaft oder -tätigkeit liegt vornehmlich darin, das Problem erklären zu können, um daraus geeignete sozialpädagogische Maßnahmen abzuleiten, die – auch theoretisch – begründbar sind.

Der angeregten und multiperspektivisch geführten Diskussion entstammen zahlreiche Erklärungsmuster, die sich auf die Entstehung von Gewalterscheinungen und ganz allgemein von sozialer Abweichung (vgl. Kapitel 3) beziehen. Auf einige gesellschaftswissenschaftlich orientierte Darstellungen soll im folgenden eingegangen werden.

Interaktionistisch und identitätstheoretisch ausgerichtet sind SCHERRs Überlegungen, der davon ausgeht, ”dass insbesondere Jugendliche regelmäßig nicht über ein in sich geschlossenes Weltbild verfügen” (1993, S. 327). Damit verbunden hängt die Umsetzung latenter widersprüchlicher Bewusstseinselemete sehr eng mit situationsspezifischen Komponenten zusammen. SCHERR führt weiter aus, dass gerade hier die Zuschreibung rechtsextremistischer Attribute im Sinne des Labeling Approach, auf welchen im nächsten Kapitel noch eingegangen wird, auf fruchtbaren Boden stößt. ”Vereindeutigung der eigenen Widersprüche” (ebd) wird erreicht und die Zuschreibung ”rechtsextrem” geht über in eine vom Jugendlichen akzeptierte Persönlichkeitseigenschaft.

MÖLLER sieht in den Ursachen von Gewalt vor allem gesellschaftliche Zusammenhänge, insbesondere die ”rapiden ökonomischen, ökologischen und technologischen Wandlungsprozesse der letzten Jahre” (1993, S. 336).

Die dadurch erzeugten strukturellen Umgestaltungen der Lebensführung bewirken, so der Autor, schwerwiegende Verarbeitungsprobleme beim Einzelnen.

Erkennbar werden diese Probleme durch die ausbleibende politische Partizipation, durch den Verlust traditioneller Lernmöglichkeiten aufgrund der ”Schnell-Lebigkeit der Zeit”, aber auch durch die Destabilisierung räumlich bedingter Sozialbeziehungen im Zuge von Mobilitätszuwachs und Globalisierung. Hinzu kommt die Erhöhung der Bedeutung des Materiellen für den Aufbau von persönlicher Identität und, in sozialer Hinsicht, der Verlust oder die Bedrohung von sozialen Netzwerken und klassischer Sozialisationsinstanzen als Ergebnis der Individualisierung und Pluralisierung in unserer modernen Gesellschaft.

Derartige ”Individualisierungszumutungen” können auch nach SCHERR (1993, S. 329) Ursache sein für Ausländerfeindlichkeit, Gewaltäußerungen und rechte Gruppenbildung.

KUNSTREICH spricht sogar von einer ”Atomisierung” als bestimmenden Prozess, nicht von Individualisierung als Wesensmerkmal der modernen Gesellschaft. Der Zerfall existenzieller Sicherheiten gerade in den Neuen Bundesländern, verbunden mit einem verbreiteten Unterworfenheitsgefühl der Ostdeutschen bedingt eine Orientierungssuche, die in die ”subkulturelle Aneignung traditioneller Kulturformen und Inhalte” (1993, S. 290 f.) mündet. In rechtsorientierten Gleichaltrigengruppen werden dann Möglichkeiten der Abwehr gegen äußere Bedrohung gefunden sowie ”Geschlossenheit, Konformität und zunehmend auch Führerorientierung sich entfalten” (ebd.).

KUNSTREICH und MÖLLER (vgl. oben) beziehen sich sehr wesentlich auf Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung und stellen die Entstehung von Gewalt als Ergebnis, und jugendliche Gewalttäter auch als Verlierer des Modernisierungsprozesses dar.

SCHERR verweist zusätzlich auf zwei weitere Erklärungsmuster für die Herausbildung von jugendlicher Gewalt: erstens auf den sogenannten ”Wohlstandschauvinismus”, die Verteidigung des deutschen Wohlstandes ”gegenüber potentiellen Konkurrenten” (1993, S. 330).

Zweitens bezieht er sich auf den ”Sozialparasitendiskurs”, die Abwehr von ausländischen ”Trittbrettfahrern des Sozialstaates”, z.B. Sozialhilfeempfängern. Einge- schlossen wird dabei jedoch auch eine generelle Vorurteilsbereitschaft gegenüber ausländischen Mitbürgern.

Neben den bisher genannten Deutungsmustern für extremistische Gewalt existieren viele andere mehr, die beispielsweise behavioristischen, systemischen oder psychoanalytischen Ansätzen entlehnt sind, die hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden sollen.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Theorieverwendung in der Jugendarbeit am Beispiel der Akzeptierenden Arbeit mit rechten Jugendcliquen
Université
Erfurt University of Applied Sciences
Note
1,0
Auteur
Année
1999
Pages
24
N° de catalogue
V111210
ISBN (ebook)
9783640092970
Taille d'un fichier
418 KB
Langue
allemand
Mots clés
Theorieverwendung, Jugendarbeit, Beispiel, Akzeptierenden, Arbeit, Jugendcliquen
Citation du texte
Marc Hesse (Auteur), 1999, Theorieverwendung in der Jugendarbeit am Beispiel der Akzeptierenden Arbeit mit rechten Jugendcliquen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111210

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