Erziehung und Verhandlung - Zur Anwendbarkeit des Harvard-Konzepts im pädagogischen Kontext


Dossier / Travail de Séminaire, 2007

22 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Verhandlungskompetenzen – angeboren, erlernbar oder käuflich zu erwerben

2. Zur Legitimation des Verhandlungsbegriffs im pädagogischen Kontext

3. Die Harvardschen Prinzipien im pädagogischen Verhandlungssaal

4. Verhandlungsstrategien fürs Kinderzimmer – ein Urteil auf Bewährung

5. Literatur und Internetverweise

1. Verhandlungskompetenzen – angeboren, erlernbar oder käuflich zu erwerben

Im Werbeclip eines renommierten Unternehmens für Haushaltsgeräte antwortet eine junge Frau auf die Frage, was Sie beruflich mache, souverän: >>Ich führe ein erfolgreiches, kleines Familienunternehmen<<, und erzeugt mit diesem Satz ein mehr oder weniger ehrfürchtiges Schweigen ihrer Kontrahentin, die offensichtlich eher mit der simpleren Bezeichnung ‚Hausfrau und Mutter’ gerechnet hatte[1]. Auch wenn es in dieser Werbung primär um die Anpreisung der offerierten Geräte als Lebensführungshilfe geht, liefert der finale Slogan doch auch einen Hinweis auf eine Gemeinsamkeit von Unternehmen und Familie: Um sowohl das eine als auch das andere ‚erfolgreich führen’ zu können, bedarf es offenbar spezifischer Kompetenzen, die zudem gesellschaftlich hoch angesehen zu sein scheinen.

Betrachtet man das Angebot an Literatur, Weiterbildungskursen, Seminaren, Workshops und sonstigen Ratgebern, die allesamt eine Erlangung solcher Kompetenzen versprechen, so könnte man meinen, die menschliche Interaktion wäre eine neue Trendsportart, die verhältnismäßig einfach zu erlernen, deren Hilfsmittel aber recht teuer in der Anschaffung seien. Kommunikationsfähigkeit, Führungs- und vor allem Verhandlungskompetenzen werden zunehmend höher eingeschätzt und erscheinen in unterschiedlichsten Bereichen erforderlicher denn je. Zu den altbekannten Disziplinen, die sich seit Langem mit Verhandlungsprozessen beschäftigen, also beispielsweise die Diplomatie, Rechtswissenschaft, Psychologie, Ethnologie und Ökonomie[2], kann oder muss wohl auch eine weitere hinzugezählt werden: die Erziehungswissenschaft respektive die Pädagogik. Letztere, als Wissenschaft von der Erziehung und der Bildung, ist in diesem Zusammenhang in engem Sinne, nämlich ausschließlich in Bezug auf die (elterliche) Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu sehen.

Erzieherische (Führungs-)Kompetenzen, von denen man ehemals vielleicht annahm, dass Eltern diese praktisch mit der Geburt ihres ersten Kindes ‚automatisch’ erlangen, werden heute als erlernbare und notwendige Güter nicht bloß mit erhobenem Zeigefinger postuliert, sondern auch offeriert und teuer verkauft.

Um ihren unterschiedlichen Aufgaben und Rollen gerecht zu werden, benötigen Pädagogen die „Eignung und Befähigung zur Wahrnehmung ihres pädagogischen Führungsauftrags“[3], wie es beispielsweise im Grundsatzprogramm des hessischen Verbandes für Bildung und Erziehung heißt, und, wie so oft in solchen Programmen, Verordnungen und Satzungen, wird leider keine nähere Definition der prägnanten Schlagworte gespendet. Was genau beinhaltet also ein solcher Auftrag zur pädagogischen Führung?

Liebe, Achtung, Kooperation, klare Strukturen und Förderung sind nach Sigrid Tschöpe-Scheffler die Eckpfeiler für eine ‚gute Erziehung’[4], wobei sie in allen Bereichen die Notwendigkeit von Grenzen und Verhandlungsspielräumen im Erziehungsverhältnis betont:

Was ist mir so wichtig, dass darüber nicht mehr diskutiert wird? Das ist rot. Und das heißt nein. Punkt. Worüber können wir noch miteinander verhandeln? Das ist die Gelbzone. Dann gibt es Grünbereiche. Das heißt, es ist mir nicht so wichtig.[5]

Eltern müssen sich also vorab im Klaren darüber sein, was ihnen sehr wichtig, weniger wichtig und was für sie eher vernachlässigbar ist, wenn sie ihre Kinder entweder ‚führen’ oder mit ihnen in Verhandlung treten wollen. Der Ampelvergleich erscheint hier besonders gelungen, wenn man bedenkt, dass Kindern in möglichen Verhandlungssituationen ein klares Bild von den Rahmenbedingungen vermittelt werden muss – und wie in der Situation zur Straßenüberquerung bedeutet Rot eben ‚Stopp’, Gelb zeigt an, dass weitere Phasen folgen (können), und Grün besagt, dass (verbale) Bewegungsfreiheit oder auch Handlungsfreiheit gegeben ist.

Pädagogische (Ver-)Handlungen sind an bestimmte Rahmenbedingungen und vor allem an Grenzen gebunden – unter dieser Annahme ist es das Ziel der folgenden Ausführungen, sowohl die einen als auch die anderen zu konkretisieren und außerdem die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten aufzuzeigen, die ein solcher Erziehungsansatz bietet.

2. Zur Legitimation des Verhandlungsbegriffs im pädagogischen Kontext

Erziehung als Verhandlung [6] lautet der Titel eines Aufsatzes von Jürgen Oelkers, mit welchem er nach eigener Aussage den Versuch unternimmt, den Grundgedanken Gauthiers, dass nämlich „das pädagogische Verhältnis als Vertragsverhältnis anzusehen sei, dem Verhandlungen zugrunde liegen“[7] auf „pädagogische Verhältnisse anzuwenden und zu modifizieren“[8].

Unter der Annahme, dass Eltern und Kinder „offensichtlich weit mehr als früher verhandeln“[9], nennt Oelkers als Begründung für dieses Phänomen maßgeblich drei Stichwörter: Mythisierung, Kommerzialisierung und Pädagogisierung. Diese Begriffe stehen bei Oelkers kennzeichnend für die pädagogischen Entwicklungen, die sich vornehmlich auf den sozialen und kulturellen Wandel gründen und als Ursachen für die (konstruierte) Notwendigkeit von zunehmenden Verhandlungen innerhalb und bezogen auf die Erziehung gesehen werden müssen. Da er sich bei seinem Vorgehen primär mit den epochalen Veränderungen der Umwelt und deren Einfluss auf die Pädagogik respektive mit dem Vergleich zu gegenwärtigen Konstrukten von Entwicklungs- und Lebenswelten beschäftigt, bleiben seine Ausführungen zumeist ableitender Natur und liefern nur sehr wenige Ergebnisse für den praktischen Akt des pädagogischen Verhandelns.

Wenn man die Erziehung als fortlaufenden day-by-day-Prozess [10] im Sinne Oelkers verstehen möchte, der durch Verhandlungen koordiniert und abgestimmt wird, dann muss zunächst geklärt werden, was in diesem Zusammenhang konkret unter Verhandlung verstanden wird und was genau die verhandelbaren Gegenstände von Erziehung sind.

Dazu kann vorab gesagt werden: Um zu verhandeln, bedarf es immer auch eines verhandelbaren Gegenstandes. Reine Kommunikation, der Austausch von Meinungen oder auch erzieherische Unterweisungen unter Einbezug des kindlichen Anliegens sind allgemeingültig keine Verhandlungen. Gleichzeitig kann jedoch ebenfalls behauptet werden, dass Erzieher und zu Erziehende sich ständig in kleineren und größeren Verhandlungssituationen befinden und der ‚benötigte’ Gegenstand sich dabei auf ein Minimum an Gewichtigkeit reduzieren kann. Denn ob der kleine Verhandlungspartner nun zuerst die Zähne putzt und dann den Schlafanzug anzieht oder umgekehrt stellt vielleicht kein weit reichendes Problem dar, kann aber in der jeweiligen Situation durchaus zu einer vergleichsweise zähen ‚Verhandlung’ führen. Wie letztendlich verfahren wird hängt sicherlich auch von dem bevorzugten Erziehungsstil und der situativen Bereitschaft zur Teilnahme an der Auseinandersetzung ab – dennoch kann nicht geleugnet werden, dass gerade durch solche kleineren Konflikte tagtäglich Unmengen von Verhandlungssituationen im Alltags- und Erziehungsleben entstehen.

Die Tatsache, dass Kinder im Mittelpunkt der Erziehung stehen (sollten), ist erst ein Produkt des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als von einer „neuen Erziehung“ gesprochen werden konnte, aus der die Konzepte der Reformpädagogik entstanden.[11] Oelkers begründet mit der Entwicklung zur Zentrierung des Kindes die entstehenden Erwartungskonstruktionen der Eltern, welche mit dem Ideal der ‚ganzheitlichen Kindheit’ verbunden sind und von ihm mit dem Begriff Mythisierung umschrieben werden. Auch gesellschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklungen, die er mit Kommerzialisierung und Pädagogisierung betitelt, verweisen nach Oelkers auf die erzieherischen Erwartungen, Befürchtungen, Illusionen und Wunschbilder, die Eltern auf die Entwicklung ihrer Kinder projizieren und die utopische Überwachungsphantasien bergen, welche weder realisierbar noch erstrebenswert sind[12]. Letztlich ist jede Regel nutzlos, die nicht beachtet wird, und jedes Verbot sinnlos, das unterlaufen werden kann. „Der Modus der Beziehungsgestaltung ist [daher tatsächlich] Verhandlung, vorausgesetzt gegenseitige Verlässlichkeit, nicht einseitige Überwachung“[13], lautet sein Plädoyer für eine wechselseitige Er- und Beziehung innerhalb des Eltern-Kind-Verhältnisses. Die Tatsache, dass Oelkers die Macht des Arguments als kardinales Problem [14] der Verhandlung ansieht, kann im Allgemeinen und im Besonderen für Erziehungsverhältnisse als fragwürdig angesehen werden.[15]

Bereits in seiner Pädagogischen Ethik [16] beschäftigt Oelkers sich ausführlich mit dem Konzept Bruners der Erziehung als Negotiation [17], indem er dieses kritisch diskutiert und – wie auch im erstgenannten Aufsatz – zu dem an dieser Stelle freilich sehr gerafften Schluss kommt, dass Erziehung nie nur Verhandlung ist und sein kann – vor allem, weil es Angelegenheiten und erzieherische Aufgaben gibt, die nicht verhandelbar sind.[18]

Ohne seine Überlegungen an dieser Stelle weiter auszuführen, kann dem insofern zugestimmt werden, dass Verhandlung nicht als alleingültige und allgemeingültige Praktik der Erziehung, wohl aber als beachtenswerte und diskutable Praxis angesehen werden kann, die zudem in ihrer tagtäglichen Existenz nicht negiert werden kann.

Es ist also nicht die Frage, ob sondern wie in Erziehungsverhältnissen verhandelt wird und auf welche Weise dies einen pädagogischen Wert haben kann.

Dass Verhandlungen vermehrt Einzug in den erzieherischen Haushalt bekommen (haben), stellt auch Büchner unter Bezugnahme der gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Veränderungen der letzten Jahrzehnte als eine „Verschiebung vom Befehlshaushalt zum Verhandlungshaushalt“[19] dar und begründet diesen Wandel primär mit den veränderten Lebensverhältnissen und Sozialisationsbedingungen im Vergleich zu früheren Generationen. Vor allem die daraus hervorgehende Dominanz partnerschaftlicher Umgangsformen innerhalb des Erziehungsverhältnisses sieht Büchner als Wurzel für die Verhandlung als Erziehungsmodus, mit dem die individuellen Bedürfnisse zwischen Eltern und Kindern ausgehandelt werden.[20]

Das Prinzip der Verhandlung mit Erziehung in Verbindung zu bringen ist also nichts wirklich Neues[21], und es scheint durchaus legitim, den Verhandlungsbegriff in einen pädagogischen Kontext zu stellen und als Grundlage ‚moderner’ Erziehungskonzepte zu diskutieren.

Um einen sowohl inhaltlich als auch strukturell geeigneten Rahmen für eine solche Diskussion zu schaffen, liegt es nahe, sich an – in anderen (Wissenschafts-)Bereichen – bereits entwickelten Verfahren zu orientieren und anhand dieser die Wege und Sackgassen der Verhandlung als Erziehungsmethode zu untersuchen.

Nachfolgend soll daher ein Standardwerk der Verhandlungstechnik im Kontext von Eltern-Kind-Beziehungen und im Blickwinkel ‚moderner’ Erziehung betrachtet werden.

3. Die Harvardschen Prinzipien im pädagogischen Verhandlungssaal

Inwieweit lassen sich die Strategien und Techniken des Harvard-Konzeptes[22] auf pädagogische Verhältnisse anwenden? Das ist die Fragestellung, auf die sich die folgenden Überlegungen beziehen, welche vorab den Anspruch erheben respektive die Einschränkung verlangen, lediglich tendenzielle und theoretische Antworten und im Idealfall hilfreiche Denk- und Handlungsaufforderungen bieten zu können.

Das theoretisches Experiment beinhaltet daher nicht die These, dass, sondern vielmehr die Fragestellung, ob die Harvardschen Verhandlungsstrategien und -prinzipien insofern modifiziert werden können, dass diese gleichzeitig den pädagogischen, moralischen und ethischen Grundsätzen der kindgerechten und kindzentrierten Erziehung gerecht werden.

Bereits die Betrachtung des ersten Prinzips zeigt, dass das Harvardsche Modell für den hier zu behandelnden Kontext einiger Modifikationen bedarf. Sinngemäß wiedergegeben heißt es dort: Unterscheide zwischen dem Verhandlungsgegenstand einerseits und der Beziehung zwischen den Verhandlungspartnern andererseits.[23]

Dahinter steht die Aufforderung, die zwischenmenschliche Beziehung auf Vertrauen, Akzeptanz, funktionierende Kommunikation etc. zu überprüfen, etwaige Beziehungsprobleme zu erkennen und anschließend zu beseitigen, bevor man eine sachbezogene Verhandlung eingeht. Obwohl diese Empfehlungen bei sich gegenüberstehenden Vertragspartnern durchaus nobel tönen, zeugen sie von einer gewissen Naivität bezüglich der Relevanz von Differenzen, Ambivalenzen oder Disharmonien auf der Beziehungsebene. Die Betrachtung der erbitterten Schlammschlachten beispielsweise, in die sich Scheidungspaare bei der Verhandlung um die Aufteilung der Güter und Rechte immer wieder begeben, kann verdeutlichen, dass Beziehungsprobleme eine Verhandlung massivst stören oder gar unmöglich machen können.

Für das Erziehungsverhältnis ergibt sich nun das Problem, dass die Eltern-Kind-Beziehung sich in einigen wesentlichen Aspekten von anderen zwischenmenschlichen Verbindungen unterscheidet. Wenn Reichenbach die Gedanken Benners zur Grundstruktur des pädagogischen Denkens und Handelns folgendermaßen zusammenfasst:

Mit der Geburt treten die Menschenkinder in ein Generationenverhältnis ein. Dieses Faktum ist eine anthropologische Konstante und zugleich der Grund, warum Erziehen als eine menschliche Grundpraxis betrachtet werden kann.[24], dann spricht er hier einen Punkt an, der wohl die essenziellste Ummodellierung der Harvardschen Verhandlungsstrategien erfordert, wenn man diese auf erzieherische Verhältnisse transformieren möchte. So heißt es weiter bei Reichenbach:

Unhabhängig von jedem denkbaren Kulturwandel und damit verbundenen Idealen der Kommunikation besteht die Asymmetrie im erzieherischen Verhältnis – nebst der Schutzbedürftigkeit des Kindes – zu allererst darin, dass die eine Seite mit der Welt der Menschen und ihrer raumzeitspezifischen Kultur vertraut ist und die andere (noch) nicht.[25]

Eltern-Kind-Beziehungen werden immer (auch) von natur- und anlagebedingten Aspekten getragen und geleitet. Abgesehen davon, dass diese Verhältnisse unkündbar und immer hierarchischer Struktur sind, zeichnen sie sich ebenfalls durch eine hohe emotionale, physiologische und psychologische Bindung aus. Obwohl es natürlich dennoch – oder sogar besonders im Hinblick darauf – zu Differenzen und Disputen auf der Beziehungsebene kommen kann, sind diese Verhältnisse nicht mit jenen zu vergleichen, die beispielsweise auf einem geschäftlichen, freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Plateau ablaufen. Es ist davon auszugehen, dass die Beziehungsebene einer ‚gesunden’[26] Eltern-Kind-Beziehung nicht derartig gestört sein kann, dass keinerlei Möglichkeiten zu etwaigen Verhandlungen gegeben sind. Die Aussage, dass eine störungsfreie Beziehung Voraussetzung für eine effiziente Bearbeitung von Sachproblemen[27] ist, mag daher zwar stimmen, ist aber für erzieherische Verhältnisse weitgehend unrelevant.

Das Idealbild einer symmetrischen Kommunikation, welches letztendlich auch hinter den Erfolgsversprechungen des Harvard-Konzeptes steckt, kann innerhalb eines Erziehungsverhältnisses schon aus evolutionsbedingten Gründen nicht gegeben sein und, wenn überhaupt, dann erst mit dem Eintritt der Kinder in postadoleszente Entwicklungsphasen entstehen. Dies bedeutet nicht, dass Kinder und Jugendliche bei der Aushandlung von Konventionen beispielsweise zur Uhrzeit des ‚Zu-Bett-Gehens’ generell untergeordnet sind, aber es bedeutet, dass sie den Eltern in vielen Situationen und aus Gründen der entwicklungsbedingten Fertigkeiten kognitiv unterlegen sind. Denn Eltern (sollten) wissen, dass es bei einer solchen Debatte – die sicherlich oftmals einen Verhandlungsspielraum bietet – neben der scheinbaren Müdigkeitsresistenz des Kindes und der ungeheuren Wichtigkeit dieses einen Films – seitens der Kinder immer auch um das Austesten von Grenzen geht. Die Kinder wissen aber nicht respektive sie haben (noch) kein Verständnis dafür, dass Menschen eine gewisse Anzahl von Schlafstunden benötigen, und interpretieren die Interessen der Eltern in ihrem kindlichen Glauben vielleicht als Ungerechtigkeit. Die Macht, die Kinder etwa durch einfache Entziehung von verbaler Kommunikation oder durch nonverbales Agieren erlangen können, mag ihnen eine situative Überlegenheit spenden, welche jedoch, in den Metakontext gestellt, eher zu kurzfristigem Erfolg und letztlich zum Aufschub des ‚finalen’ Prozesses führt. Auch wenn die so genannte Verhandlungspower situationsbedingt nicht generalisierend zugewiesen werden kann – da diese beispielsweise vom jeweilig bevorzugten Erziehungsstil, vom Verhandlungsniveau (beiderseits) oder auch vom gegenständlichen Hintergrund abhängt –, steht dennoch außer Frage, dass die Eltern einen altersbedingten Erfahrungsvorsprung haben, auch wenn dieser ihnen nicht grundsätzlich auch einen Verhandlungsvorteil, situativ sogar ‚Machtlosigkeit’ beschafft. Reichenbachs Formulierung der Asymmetrie des erzieherischen Verhältnisses macht deutlich, dass Verhandlungen in pädagogischen Kontexten keineswegs immer zwischen gleichgestellten oder gleichberechtigten Partnern stattfinden (können) und vielleicht auch gar nicht müssen, was im Folgenden durch Bezugnahme auf das Entwicklungsmodell interpersoneller Verhandlungen nach Selman[28] untermauert werden soll. Es bietet sich an, an dieser Stelle auch das zweite Prinzip des Harvard-Konzeptes zu berücksichtigen, da es – wie sich zeigen wird – ähnliche Probleme bei der Anwendung auf Erziehungsverhältnisse birgt.

Selman unterscheidet in seinem Stufenmodell vier hierarchisch angeordnete Niveaus von interpersonellen Verhandlungsstrategien: Niveau 0 (impulsiv/egozentrisch), Niveau 1 (unilateral/subjektiv), Niveau 2 (selbstreflexiv/reziprok), und Niveau 3 (wechselseitig/kollaborativ).[29]

Die Attribute der jeweiligen Niveaus geben dabei die entwicklungstheoretisch erwartbaren sozialkognitiven Handlungsweisen an. Allen Niveaus werden entsprechende Entwicklungsstufen zugeordnet, die sich zwar nicht allgemeingültig datieren lassen, aber zumindest eine tendenzielle Altersspanne angeben können, die sich bei den Niveaus 0 – 3 etwa zwischen dritten und fünfzehnten Lebensjahr bewegt.

In Bezug auf die hier behandelte Fragestellung lässt sich nun anhand des von Selman beschriebenen Modells erklären, warum eine Übernahme des ersten und zweiten Harvardschen Prinzips nur unter Berücksichtigung eben dieser individuellen Entwicklungsstufen möglich ist. So ist es völlig irreal anzunehmen, dass ein – bedingt durch seine persönliche Ontogenese – auf dem Niveau 0 handelndes Kind zwischen der Sachlage und der Person differenzieren kann, selbst wenn man davon ausgehen würde, dass es in einer derartigen Konstellation ‚Beziehungsprobleme’ gäbe.

Gleichzeitig ist es aus Sicht der ErzieherInnen utopisch zu glauben, dass der eigene Verhandlungsversuch beispielsweise auf Grundlagen der dritten Stufe Anerkennung bekommen würde oder gar Erfolg hätte, wenn das sozialkognitive Verstehen und Handeln des Kindes auf dem ersten Niveau basiert. Wenn also der Vater den Verzehr eines weiteren Löffelchens Brei durch kollaboratives Handeln - indem er sich zunächst beispielsweise selbst eine Portion der Köstlichkeit in den Mund schiebt – auszuhandeln versucht, kann diese Verhandlung durch frugalste Verweigerung des Kinds scheitern. Und dabei spielt die Beziehung zwischen Kind und Vater sicher keinerlei Rolle.

Um von ‚erfolgreicher’ Verhandlung sprechen zu können, müssen die Parteien also entweder auf einem zumindest annähernd gleichen Niveau agieren oder aber eine der Parteien muss sich auf die Stufe der anderen einlassen respektive diese berücksichtigen.

Selman geht von der Grundannahme aus, dass die invariante Abfolge der Stufen des interpersonellen Verstehens in unmittelbarer Verbindung mit der Differenzierung und Koordination sozialer Perspektiven steht.[30] Die daraus resultierende Ansicht, dass Kinder die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ebenfalls mit zunehmendem Alter und entsprechenden Erfahrungen erlangen, eignet sich an dieser Stelle zur Verdeutlichung der sich ergebenden Schwierigkeiten bei der Transformation der Verhandlungsprinzipien in pädagogische Vorgehensweisen. Wenn es nämlich im zweiten Prinzip des Harvard-Konzeptes heißt: Die Konzentration sollte nicht auf die Positionen, sondern auf das dahinter liegende Interesse fokussiert werden [31] und damit die Notwendigkeit der Einbeziehung fremder Perspektiven angesprochen wird, ist dies im Rahmen von Erziehungsverhältnissen eine Anforderung, die aus Sicht des Kindes schlicht und einfach nicht zu leisten ist. Zumindest unter der Voraussetzung, dass ein Kind sich auf den ersten drei Stufen des Modells zur Perspektivenübernahme bewegt – ohne ausführlicher als folgend auf die prägnanten Merkmale der einzelnen Stufen einzugehen –, kann anhand des oben beschriebenen Beispiels der Verhandlung über die Uhrzeit des ‚Zu-Bett-Gehens’ veranschaulicht werden, welche Schwierigkeiten und Grenzen sich in pädagogischen (Verhandlungs-)Umgebungen zeigen können. Das fiktive Kind kann zwar gezeigte oder benannte Gefühle erkennen (sonst müsste es nicht in Diskussion treten), erfasst jedoch keinen kausalen Zusammenhang zwischen den Handlungen und -gründen der ‚Gegenpartei’ (Stufe 1 – egozentrische Perspektive). Denkbar wäre auch, dass dieses Kind zwar unterschiedliche Perspektiven erfasst, diese jedoch nur einseitig, separat wahrnehmen und nicht koordinieren kann (Stufe 2 – sozial-informationsbezogene Perspektivenübernahme). Oder aber die individuellen Sichtweisen können gleichzeitig, parallel zueinander koordiniert, jedoch nicht abgewogen und in wechselseitige Beziehung gesetzt werden (Stufe 3 – selbstreflexive Perspektivenübernahme).[32]

Für das angeführte Beispiel bedeutet dies, dass das Kind im ‚besten’ Falle einsieht, dass unterschiedliche Perspektiven existieren, diese miteinander korrelieren und somit die Ursache des Konfliktes darstellen, es wird aber – wie bereits beschrieben – weder die kausalen Hintergründe nachvollziehen noch das zugrunde liegende Interesse der Eltern ergründen können.

Die sich daraus ergebende Schlussfolgerung lautet: Ein bestimmtes Niveau des interpersonalen Verstehens und der sozialen Perspektivenübernahme ist in jedem Fall Voraussetzung für die Anwendung und Anerkennung entsprechender Verhandlungsstrategien.

Damit dürfte einleuchtend sein, dass sowohl die prinzipielle Forderung einer intellektuellen Trennung von Mensch und Problem (Prinzip 1) als auch der Anspruch einer Perspektivenübernahme (Prinzip 2) eine erhebliche Bildungsleistung verlangt, die in pädagogischen Verhandlungssituationen zumindest auf der Kinderseite häufig (noch) nicht erbracht werden kann.

Sowohl beim dritten als auch beim vierten Harvardschen Prinzip ergeben sich nun aber durchaus attraktive Modifikationsmöglichkeiten, die, unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse (und vielleicht eher als die vorangegangenen Prinzipien), eine Transformation auf Erziehungsverhältnisse erlauben. So postuliert das dritte Prinzip die Heranziehung objektiver Kriterien zur Lösung des Interessenkonflikts [33] und setzt damit offenbar auch eine generelle Existenz beziehungsweise Gültigkeit solcher Objektivitäten voraus. Fisher et al. nennen als faire Kriterien beispielsweise Marktwert, Gutachten, Kosten, Tradition, Moral und Gegenseitigkeit und sind der Meinung, dass man „üblicherweise mehr als ein objektives Kriterium finden wird, das sich als Basis für eine Übereinkunft eignet“.[34] Was das Auffinden angeht, so kann dem sicherlich zugestimmt werden. Schwieriger wird es allerdings, wenn man bedenkt, dass diese objektiven Kriterien anschließend auch subjektiv anerkannt werden müssen. Bereits mit einem kurzen Rückblick auf die bisherigen Ergebnisse kann eine kindliche Akzeptanz der Kriterien Marktwert, Gutachten und Kosten ausgeschlossen werden, denn ein auf den ersten drei Stufen des Selmanschen Modells agierendes Kind wird gewiss nicht verstehen, dass das geliebte alte Dreirad verkauft werden soll, bevor der Marktwert noch weiter sinkt.

Wiederum ausgehend vom Stufenmodell scheint das Kriterium der Gegenseitigkeit im pädagogischen Kontext schon eher geeignet, denn Kinder agieren – zumindest ab Stufe 2 – unter Berücksichtigung der Interessen anderer, wenn auch meist zum Selbstzweck. Unter dem Modus der Veränderung des anderen „versucht das Kind einzuwirken oder [mit ihm] zu kooperieren, allerdings primär durch Verfolgung der eigenen Interessen“.[35] Eine Modifikation des Prinzips könnte nun darin bestehen, den Interessenkonflikt zur Verdeutlichung des Kriteriums zu nutzen, indem auf die Möglichkeit der Befriedigung durch Korrelation hingewiesen wird. Durch Verhandlung kann das Kind lernen, die Wünsche und Grenzen des Gegenübers anzuerkennen und gleichzeitig die eigenen Interessen zurück zu stellen. Das Aushandeln der gegensätzlichen Interessen kann mit einem Basar verglichen werden, bei dem die Einigung auf ‚anbieten und anerkennen’‚ nehmen und geben’, ‚bekommen’ oder eben ‚nicht bekommen’ beruht, wobei besonders Letzteres für das Kind ebenso schwierig wie wichtig für den Lernprozess erscheint. Die Erlangung der Fähigkeit, die Reichenbach als Dissenstauglichkeit [36] beschreibt, kann vielleicht nicht in und durch einzelne Situationen annektiert, aber dennoch durch fortwährende Verhandlungen sukzessive aufgebaut werden.

Verhandlungen in pädagogischen Kontexten können und dürfen nicht das primäre Ziel der Einigung verfolgen, sondern müssen vielmehr einen Spielraum geben, in dem sowohl Erfolge als auch Misserfolge erfahren werden können. Sie stellen somit eine Plattform für Auseinandersetzungen dar, deren kurzfristige Ergebnisse erst langfristig gesehen ihre wirkliche Relevanz erlangen.

Unter ähnlichen Aspekten wie das Kriterium der Gegenseitigkeit müssen auch die Moral und Tradition gesehen werden. Ohne diese nun näher zu beleuchten, kann festgehalten werden, dass alle objektiven Kriterien, deren Anerkennung mit autonomen, geistigen Fähigkeiten verbunden ist, in pädagogischen Verhandlungen nicht als Bedingung gelten können, sondern als Chance für die Erziehenden verstanden werden müssen, günstige Sozialisations- und Entwicklungsbedingungen zu offerieren, um den kindlichen Individualisationsprozess zu fördern.[37]

Mit der Forderung nach einer „offenen […] Konfrontation mit sozialen Problemen und Konflikten“[38] sei exemplarisch nur eine Bedingung angeführt, die Wolfgang Lempert (nach Reichenbach) als eine, die individuelle, sozial-kognitive Entwicklung begünstigende ansieht.[39]

Moralische Werte beispielsweise sind nach Kohlberg, auf dessen Überlegungen zur Moralentwicklung im Übrigen auch das Selmansche Modell (partiell) aufbaut, nicht das Ergebnis von Internalisierungsprozessen, sondern „in erster Linie als Resultat der Interaktion des Kindes mit anderen zu verstehen“[40]. Auseinandersetzungen sind Voraussetzung für die Anerkennung von Werten und Grenzen, welche ihrerseits die Basis für eigenständiges Denken und Handeln und die Bereitschaft zum Tragen von Konsequenzen darstellen – Autonomie wiederum ist ein Ziel der Erziehung.[41]

In Anbetracht der bisherigen Bilanzen kann das vierte Prinzip nach Harvard, namentlich die Forderung zur Entwicklung möglichst vieler Optionen vor einer Entscheidung [42], ebenfalls als Avance für pädagogisches Handeln interpretiert werden.

Zahlreiche Aspekte lassen sich in diesem Zusammenhang diskutieren, die letztlich alle in der Notwendigkeit der Bereitschaft zur Öffnung erzieherischer Strukturen auf Seiten der Eltern und Chancen zur Bildung durch (Be-)Achtung, Partizipation und Integration auf Seiten der Kinder zusammenlaufen. So ist es denkbar, sich auf die Idee einer Gerechten Gemeinschaft [43] nach Oser & Althoff zu beziehen, deren Ausführungen die Möglichkeiten und Grenzen von Partizipation innerhalb von so genannten ‚Just Community – Schulen“ untersuchen.[44] Auch wenn der Aufsatz sich letztlich mit einem anderen pädagogischen Umfeld beschäftigt, kann beispielsweise die Bestimmung unterschiedlicher Partizipationsniveaus[45] durchaus auch ein hilfreicher Anhaltspunkt für den erreichbaren Grad kindlicher Partizipation in Erziehungsverhältnissen sein.

Zunächst erscheint es ‚pädagogisch wertvoll’, das Postulat des vierten Harvardschen Prinzips dahingehend zu modifizieren, dass den Kindern die Möglichkeit gegeben wird, ihr Kreativitätspotenzial auszuschöpfen und so möglichst viele Lösungsoptionen zu erdenken – zumal auf diese Weise auch die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen und die Versuche, diese zu koordinieren, gefördert wird. Um in der Konsequenz aber von ‚wirklicher’ Partizipation sprechen zu können, müssen die kindlichen Vorschläge allerdings anschließend auch anerkannt und in die Entscheidung mit einbezogen werden, was zugleich die Grenzen dieses Vorgehens aufzeigt. Oser & Althoff geben Bedingungen von Partizipationskriterien (Gleichberechtigung, Informationsfluss, Verantwortung, Initiative, Kompetenzen etc) an, von denen einige sich auch auf das Eltern-Kind-Verhältnis zwar anwenden, allerdings nicht erfüllen lassen. Und wenn es dort weiter heißt: „Was unterhalb dieser Taxonomie liegt, sind dann Pseudopartizipationen, die keine wirkliche Freiheit mehr implizieren, gegebenenfalls sogar im Gegenteil der Verschleierung von Unfreiheit dienen“[46], dann muss dies anerkannt werden – ebenso wie die Tatsache, dass wenn in Eltern-Kind-Beziehungen von Partizipation gesprochen wird, diese fast (Ausnahmen bestätigen die Regel) immer ‚pseudo’ sind.

Dieses Eingeständnis bedeutet jedoch nicht, dass aufgrund des Fehlens wirklicher Partizipationsmöglichkeiten Verhandlungen unter dem Aspekt des vierten Prinzips nicht möglich oder unfruchtbar wären. Abgesehen davon, dass eine Teilpartizipation im Sinne von Oser & Althoff durchaus möglich und sinnvoll scheint, kann bereits die Anteilnahme und Beschäftigung mit dem Konfliktgegenstand und das Diskutieren verschiedener Lösungsoptionen, oder auch die Erfahrung der Inkompatibilität der Interessen für den kindlichen Verhandlungssinn, als Lernerfolg angesehen werden. Im Gegenzug bedeutet dies für die Erziehenden, dass ein hohes Maß an Verständnis, Anerkennung, Wertschätzung (bspw. für Initiative und kognitive Leistungen) und vor allem auch die Bereitschaft zur Akzeptanz (vertretbarer) Lösungsvarianten gefordert wird, um den Entwicklungsprozess durch Verhandlung zu fördern.

4. Verhandlungsstrategien fürs Kinderzimmer – ein Urteil auf Bewährung

Die erneute Anführung der Notwendigkeit kontextgebundener Modifikationen bei dem Versuch, die Prinzipien des Harvard-Konzeptes auf pädagogische Kontexte anzuwenden, scheint trivial – sei aber dennoch mit dem Zweck der Betonung auf die praktikablen Spielarten niedergeschrieben. Es hat sich gezeigt, dass die Forderungen der ersten beiden Prinzipien Bildungsleistungen voraussetzen, die aufgrund von entwicklungsbedingten ‚Defiziten’ von Kindern (noch) nicht erbracht werden können. Die Axiome beider Prinzipien können retrospektiv höchstens als Appell an die ErzieherInnen dienen, dass es in (manchen) Verhandlungssituationen hilfreich sein kann, Konflikte differenziert zu reflektieren, sich auf die Sinnebene der anderen Partei zu begeben und beide Sichtweisen zu überdenken, wenn kompatible Interessen gefunden werden sollen.

Das dritte und vierte Prinzip hingegen können dahingehend interpretiert werden, dass die inhaltlichen Aussagen zu Gegenständen der Erziehung werden. Eine kleine Umwandlung der Überschrift Oelkers, nämlich ‚Erziehung durch Verhandlung’, tönt zunächst wie ein pedantisches Wortspiel, mag aber plausibel machen, dass eine Anwendung der Harvardschen Prinzipien nicht als Strategie zur Lösungsfindung, sondern eher als kleine Didaktik der elterlichen Verhandlungsführung zu sehen ist. Konflikte und deren Lösungsmechanismen in Erziehungsverhältnissen unterscheiden sich von denen zwischen andersartigen Verbindungen in grundlegenden Merkmalen, und dementsprechend gestalten sich auch die Verhandlungen in pädagogischen Kontexten ein wenig anders, als dies durch Fisher, Ury und Patton ‚erwünscht’ wird.

Erstens erscheint die Asymmetrie der Beziehungspositionen bedingt durch das anthropologische Generationsverhältnis als unüberwindbare Behinderung für Verhandlungen mit gleichberechtigten Partnern. Wenn Giesecke vor mittlerweile 22 Jahren von einer spätestens in der Mitte dieses Jahrhunderts beginnenden Auflösung des Generationsverhältnisses spricht, stellt er dem daraus resultierenden Schwinden der Erwachsenenmacht mit dem Begriff der pädagogischen Verantwortung einen Ethos entgegen[47], der sowohl gesellschaftlichen und sonstige Wandel, als auch pädagogische Reformen und Re-Reformen überlebt zu haben scheint. Nicht zuletzt führt eben diese Verantwortung dazu, dass beispielsweise Eltern sich selbst zuschreiben, über Recht und Unrecht urteilen zu dürfen, und dies mit Entwicklungs- und Erfahrungsvorsprung rechtfertigen (müssen). Auch wenn sie aus Kindersicht vielleicht dennoch als Besserwisser und Paragraphenreiter erscheinen oder der Rechthaberei und Intoleranz bezichtigt werden, in entscheidenden Momenten liegt die Verhandlungspower eindeutig auf Seiten der Eltern.[48] Eine bedeutende Divergenz liegt also darin, dass das Harvard-Konzept von symmetrischen Parteien ausgeht, die primär auf Sachebene voneinander abhängig sind, bzw. sein sollen – Elter-Kind-Beziehungen aber asymmetrische Parteien aufweisen, deren wechselseitige Abhängigkeit sich zudem auf der Beziehungsebene abspielt.

U.a. bedingt durch erstens darf zweitens eine pädagogische Verhandlung nicht mit dem Anspruch an vollkommene Partizipation im Sinne von Oser & Althoff[49] missverstanden werden und ebenso wenig ist mit dem Modus der Verhandlung eine demokratische Erziehung möglich. Die Eltern sind für Kinder sozusagen der „soziale Heimathafen […], eine soziale Organisation, zu der sie unbedingt gehören und aus der ihnen keine Entfernung oder Entlassung droht […]“[50]. Im Umkehrschluss besteht in diesem Hafen aber ebenfalls eine Pflicht zur Kommunität [51] – Kinder haben keine Wahl zur Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit in der Familiengemeinschaft. Durch diese Konstellation und aufgrund der, allenfalls von Pädagogen obligatorisch als ‚bedingt’ definierten Partizipation (wie beispielsweise die ‚Teilpartizipation’), sind in pädagogischen Kontexten grundlegende Kriterien einer demokratischen Verhandlung nicht gegeben. Die Verdeutlichung der Unmöglichkeit einer (rein) demokratischen Erziehung durch Verhandlung scheint deswegen bedeutsam, weil alle Prinzipien des Harvard-Konzeptes auf den Grundgedanken demokratischen Handelns aufbauen. Drittens strebt das Harvard-Konzept in Verhandlungen eine Win-Win-Situation mit möglichst fairer Einigung an[52], wohingegen die Pädagogik eher eine Lehr-Lern-Situation begehrt[53], die bestenfalls die individuelle Entwicklung der Zöglinge fördert. Zu betonen ist dabei, dass es bei Verhandlungen zwischen ErzieherInnen und zu Erziehenden – in Divergenz zu den Harvardschen Prinzipien – nicht so sehr auf die schlussendliche Einigung, sondern vielmehr auf den Verhandlungsprozess an sich ankommt. Denn gerade (auch) die Erfahrung von Misserfolgen, die Wahrnehmung von Meinungsverschiedenheiten und das Erleben und ‚Ertragen können’ von Disharmonien sind die mitunter wichtigsten Entwicklungsleistungen, die durch Verhandlungen im pädagogischen Kontext gefördert werden können. Der Vorschlag Reichenbachs, „[…] Dissenserfahrungen als Basis für die Entwicklung wechselseitiger Achtung [zu] interpretieren“[54], kann in diesem Zusammenhang unterstreichen, dass es in erzieherischen Verhandlungen primär um die Erlangung individueller und sozialer Kompetenzen und weniger um die Durchsetzung wohlüberlegter Ziele geht. Prozess und Ergebnis pädagogischer Verhandlungen stehen in einer zeitlich bedingten Relevanz zueinander, können kurzfristig zwar ein scheinbar geschlossenes Kontinuum bilden, aber erst langfristig den resultierenden ‚Entwicklungseffekt’ zeigen.

Abschließend kann gesagt werden, dass die Prinzipien des Harvard-Konzepts (zumindest das dritte und vierte) insoweit auf pädagogische Kontexte angewendet werden können, dass die ihnen inhärenten Leitgedanken als Reflexionshilfen für Erziehende dienen können, indem diese ihre eigenen ‚Verhandlungsstrategien’ oder Erziehungsstile kritisch hinterfragen – denn für Qualität und Quantität der Verhandlungen sind mitunter eben diese verantwortlich. Ganz egal, ob nun konsequent autoritär oder doch eher ‚laisser-faire’ verfahren wird: Wenn zwischen Eltern und Kindern keine Konflikte aufkommen (dürfen), entstehen auch keine Verhandlungsräume und somit keine Möglichkeiten des Lernerfolgs.

Mit zunehmendem Alter der zu Erziehenden, steigt die Relevanz vom Modus der Verhandlung für Erziehung und zugleich werden auch (partielle) Aspekte der Harvardschen Prinzipien immer relevanter. Ohne Frage kann Erziehung nie nur Verhandlung sein und ebenso unzweifelhaft ist auch nicht jede Auseinandersetzung verhandelbar, doch gewiss kann Verhandlung stets (fortdauernde) Erziehung sein. Fraglich muss und darf bleiben, ob jede Erziehung nach Harvard ausgerichtet sein sollte.[55]

5. Literatur und Internetverweise

- Benner, Dietrich: Allgemeine Pädagogik. Eine Systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim und München: Juventa 2001.
- Büchner, Peter: Vom Befehlen und Gehorchen zum Verhandeln. Entwicklungstendenzen von Verhaltensstandards und Umgangsformen seit 1945. In: Preuss-Lausitz, Ulf et al.: Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder. Zur Sozialgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. Weinheim und Basel: Beltz 1995. S. 196-212.
- Fisher, Roger; Ury, William und Bruce Patton: Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln. Frankfurt am Main: Campus 1981.
- Flammer, August: Entwicklungstheorien – Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. Bern: Hans Huber 1996.
- Gauthier, David: Moral Dealing. Contract, Ethics, and Reason. Ithaca/London: Cornell University Press 1990.
- Giesecke, Hermann: Das Ende der Erziehung. Neue Chancen für Familie und Schule. Stuttgart: Klett-Cotta 1985.
- Kohlberg, Lawrence; Levine, Charles und Alexandra Hewer: Moralische Entwicklung. In: Kohlberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002.
- Kohlberg, Lawrence: Zur kognitiven Entwicklung des Kindes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974.
- Lempert, Wolfgang: Moralisches Denken, Handeln und Lernen in der betrieblichen Arbeit. In: Lind, Georg; Pollit-Gerlach, G. (Hrsg.): Moral in unmoralischer Zeit. Zu einer partnerschaftlichen Ethik in Erziehung und Gesellschaft. Heidelberg: Asanger 1989. S. 153-169.
- Reichenbach, Roland: Das Verhandelbare, das Mediierbare und die Grenzen der partizipativen Führung. Bern: Eidgenössisches Personalamt EPA 2001.
- Reichenbach, Roland: Demokratisches Selbst und dilettantisches Subjekt. Demokratische Bildung und Erziehung in der Spätmoderne. Münster [u.a.]: Waxmann 2001. S. 392. Einzusehen auch unter folgender URL: http://egora.uni-muenster.de/ew/persoenlich/reichenbach-medien/DEMOKRATISCHES_SELBST_UND_DILETTANTISCHES_SUBJEKT.pdf [10.01.2007].
- Reichenbach, Roland: „Es gibt Dinge, über die man sich einigen kann, und wichtige Dinge“ – Zur pädagogischen Bedeutung des Dissens. Erschienen in Zeitschrift für Pädagogik. Jahrgang 46, Heft 6. Weinheim: Beltz 2000, S. 795-808. Ebenfalls einzusehen unter folgender/ URL: http:/egora.uni-muenster.de/ew/persoenlich/reichenbach/dissens.pdf [15.01.2007]

Die angegebenen Seitenzahlen entsprechen der Onlinepublikation.

- Selman, Robert L.: Interpersonale Verhandlungen. Eine entwicklungstheoretische Analyse. In: Edelstein, Wolfgang; Habermas, Jürgen (Hrsg.): Soziale Interaktion und soziales Verstehen. Beiträge zur Entwicklung der Interaktionskompetenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984
- Oelkers, Jürgen: Einige historische Erfahrungen im Verhältnis von Psychologie und Pädagogik. In: Reichenbach, Roland; Oser, Fritz: Die Psychologisierung der Pädagogik. Übel, Notwendigkeit oder Fehldiagnose. Weinheim und München: Juventa 2002. S. 12-28.
- Oelkers, Jürgen: Pädagogische Ethik. Eine Einführung in die Probleme, Paradoxien und Perspektiven. Weinheim und München: Juventa 1992.
- Oelkers, Jürgen: Erziehung als Verhandlung. Der Aufsatz entspricht einem Vortrag, anlässlich der Weiterbildung 2002 des Kinderheims Schoren am 6. März 2002 in Langenthal gehalten wurde, und ist unter folgender URL einzusehen: http://www.paed.unizh.ch/ap/home/vortraege.html [1.1.2007].
- Oser, Fritz; Althoff Wolfgang: Moralerziehung durch gerechte Gemeinschaft und Demokratisierung oder Schule nach innen: Eine praktische Theorie der Bildung. In: Oser, Fritz; Althoff Wolfgang: Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich. Stuttgart: Klett-Cotta 2001. S. 337-458.
- Oser, Fritz; Althoff, Wolfgang: Partizipation und Schulen vom Typ „Gerechte Gemeinschaft“. Der Aufsatz ist als Online-Publikation unter folgender URL einzusehen: http://www.erz.uni-hannover.de/~horster/texte/justcommunity.pdf, [10.01.2007].
- Das Grundsatzprogramm des VBE-Hessen (V erband B ildung und E rziehung), unter: http://www.vbe-he.de/Programm.html. [20.12.2006].
- Ein Werbefilm der Firma Vorwerk, einzusehen unter: http://www.kleinhans-media.de/458.html [10.01.2207].

[...]


[1] Der angesprochene Werbefilm stammt von der Firma Vorwerk und ist einzusehen unter folgender URL: http://www.kleinhans-media.de/458.html [10.01.2207].

[2] Vgl. Reichenbach, Roland: Das Verhandelbare, das Mediierbare und die Grenzen der partzipativen Führung. Bern: Eidgenössisches Personalamt EPA 2001, S. 6.

[3] VBE-Hessen: Grundsatzprogramm des Verbandes für Bildung und Erziehung. Einzusehen unter:

http://www.vbe-he.de/Programm.html. [20.12.2006].

[4] Sigrid Tschöpe-Scheffler ist Professorin an der Fachhochschule Köln und Direktorin des Instituts für Kindheit, Jugend und Familie. Die Aussage stammt aus einen Interview, abgedruckt im Stern 04/2005.

[5] Ebd.

[6] Oelkers, Jürgen: Erziehung als Verhandlung. Der Aufsatz entspricht einem Vortrag, der anlässlich der Weiterbildung 2002 des Kinderheims Schoren am 6. März 2002 in Langenthal gehalten wurde und ist beispielsweise unter folgender URL einzusehen: http://www.paed.unizh.ch/ap/home/vortraege.html [1.1.2007].

[7] Gauthier, David: Moral Dealing. Contract, Ethics, and Reason. Ithaca/London: Cornell University Press 1990, S. 99f. (Zitiert nach Oelkers 2002, a.a.O. S. 1.)

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Vgl. ebd. S. 13. Oelkers betont, dass die Erziehung in der Praxis auf immer wiederkehrenden Aushandlungs- und Anpassungsprozessen beruht und demnach Tag für Tag neue Verhandlungen geführt werden müssen, wobei die Wechselseitigkeit der Normenbefolgung die zentrale Größe ist. Vgl. auch Oelkers, Jürgen: Einige historische Erfahrungen im Verhältnis von Psychologie und Pädagogik. In: Reichenbach, Roland; Oser, Fritz: Die Psychologisierung der Pädagogik. Übel, Notwendigkeit oder Fehldiagnose. Weinheim und München: Juventa 2002. S. 27.

[11] Vgl. Oelkers 2002, a.a.O., S. 3.

[12] Vgl. Ebd. S. 11f.

[13] Ebd.

[14] Ebd. S. 6.

[15] So begründet beispielsweise Reichenbach die pädagogische Bedeutungslosigkeit von Argumentationsfähigkeit in Verhandlungsprozessen durch die Feststellung, dass diese eher exklusiven als diskursiven Charakter besitzt und daher das Ziel eines diskursiven Arrangements untergräbt. (Vgl. Reichenbach, Roland: „Es gibt Dinge, über die man sich einigen kann, und wichtige Dinge“ – Zur pädagogischen Bedeutung des Dissens. Erschienen in Zeitschrift für Pädagogik. Jahrgang 46, Heft 6. Weinheim: Beltz 2000, S. 795-808. Ebenfalls einzusehen unter folgender URL: http://egora.uni-muenster.de/ew/persoenlich/reichenbach/dissens.pdf [15.01.2007], hier S. 5.

[16] Oelkers, Jürgen: Pädagogische Ethik. Eine Einführung in die Probleme, Paradoxien und Perspektiven. Weinheim und München: Juventa 1992.

[17] Vgl. ebd. Kapitel 3.3.

[18] Vgl. ebd. S. 132. Oelkers ist der Ansicht, dass das Medium der Erziehung die Moral ist, dass Moral nicht verhandelbar sondern lernbar ist und vom Erziehenden als eben solche angeboten und vorgelebt werden muss. Sein zentraler Begriff dafür ist die „moralische Kommunikation“.

[19] Büchner, Peter: Vom Befehlen und Gehorchen zum Verhandeln. Entwicklungstendenzen von Verhaltensstandards und Umgangsformen seit 1945. In: Preuss-Lausitz, Ulf et al.: Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder. Zur Sozialgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. Weinheim und Basel: Beltz 1995. S.196f.

[20] Vgl. ebd. S. 200.

[21] Es ließen sich noch zahlreiche weitere Namen und Publikationen nennen, die sich zumindest marginal mit dem Zusammenhang von Erziehung und Verhandlungsstrukturen beschäftigen. Die hier erwähnten stehen exemplarisch für pädagogische, psychologische und sozialtheoretische Diskurse, welche weit über das hier zu behandelnde Thema hinausgehen. Sie dienen lediglich der Einführung und Legitimation anschließender Ausführungen.

[22] Das Harvard-Konzept ist eine Methode, um Verhandlungen möglichst sachbezogen zu führen, was im Kontext von Erziehungsverhältnissen zugegebenermaßen recht utopisch klingt. Dennoch halte ich eine Untersuchung auf der Grundlage dieser Bezugsgröße zumindest dahingehend für legitim, a) als die Studien und Ergebnisse dieses Forschungsprojekts sich neben Verhandlungen im politischen und wirtschaftlichen Bereich eben auch auf Alltagskonflikte im familiären Bereich beziehen, und b) weil es – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Modellen – ein weltweit und interdisziplinär – anerkanntes Modell ist. Es sei dennoch darauf hingewiesen, dass die Wahl dieses Konzeptes als Basis für eventuell mögliche Modifizierungen nicht auf einer positiven oder negativen Bewertung des Konzeptes selbst beruht.

[23] Vgl. Fisher, Roger; Ury, William und Bruce Patton: Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln. Frankfurt am Main: Campus 1981. S. 40ff. Im Folgenden gekennzeichnet als „[Harvard-Konzept]“.

[24] Reichenbach, Roland: „Es gibt Dinge, über die man sich einigen kann, und wichtige Dinge“ – Zur pädagogischen Bedeutung des Dissens. Erschienen in Zeitschrift für Pädagogik. Jahrgang 46, Heft 6. Weinheim: Beltz 2000, S. 795-808. Ebenfalls einzusehen unter folgender URL: http://egora.uni-muenster.de/ew/persoenlich/reichenbach/dissens.pdf [15.01.2007], hier S. 2. Reichenbach verweist an dieser Stelle auf die Ausführungen von Dietrich Benner, der die Existenz einer solchen Grundpraxis als erste Voraussetzung für den Versuch ansieht, die „systematische Entwicklung eines pädagogischen Grundgedankens auf eine in der menschlichen Praxis selbst gegebene Notwendigkeit pädagogischen Denkens und Handelns zu gründen“. Vgl. auch Benner, Dietrich: Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim und München: Juventa 2001. S. 19ff.

[25] Reichenbach 2000, a.a.O., S. 2.

[26] Mit dem Ausdruck einer ‚gesunden’ Beziehung sollen hier Eltern-Kind-Verhältnisse ausgeschlossen werden, die nicht anthropologischen, natürlichen und sozialen Konstanten der westlichen Kultur entsprechen oder als pathologisch zu bezeichnen sind.

[27] Vgl. [Harvard-Konzept], S. 45ff.

[28] Selman, Robert L.: Interpersonale Verhandlungen. Eine entwicklungstheoretische Analyse. In: Edelstein, Wolfgang; Habermas, Jürgen (Hrsg.): Soziale Interaktion und soziales Verstehen. Beiträge zur Entwicklung der Interaktionskompetenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 113-166.

[29] Selman nennt außerdem das Niveau 4, das er mit den Attributen ‚tiefenpsychologisch/determiniert’ versieht. Im Zusammenhang mit sozial-kognitiver Entwicklung kann diese Ebene wohl als angestrebtes Ziel verstanden werden. Im Kontext der präadoleszenten Entwicklungsstufen, um die es hier primär geht, spielt das vierte Niveau eher eine untergeordnete Rolle.

[30] Selman 1984, a.a.O., S. 118.

[31] Vgl. [Harvard-Konzept], S. 68ff.

[32] Selman 1984, a.a.O., S. 151ff.

[33] Vgl. [Harvard-Konzept], S. 121ff.

[34] Vgl. ebd. S. 126f.

[35] Selman 1984, a.a.O., S. 127.

[36] Vgl. Reichenbach 2000, a.a.O., S. 7f.

[37] Die Stufen der Moralentwicklung bilden, so nimmt Kohlberg – im Rückgriff auf Piaget - an, eine invariante Abfolge in der Entwicklung des Individuums. Demnach können soziale bzw. kulturelle Faktoren diese Entwicklung nur beschleunigen, verlangsamen oder anhalten. Siehe Kohlberg, Lawrence: Zur kognitiven Entwicklung des Kindes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974. S. 60ff. Auch wenn u.a. die Invarianz und auch die dialogische Konstruktion als „harter Kern“ dieses Modells aufgefasst werden (vgl. exemplarisch Flammer, August: Entwicklungstheorien – Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. Bern: Hans Huber 1996. S. 139ff.), gibt es dennoch fundierte Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte soziale und interaktive Bedingungen die individuelle, moralisch-kognitive Entwicklung positiv beeinflussen. Vgl. hierzu folgende Anmerkung 38.

[38] Lempert, Wolfgang: Moralisches Denken, Handeln und Lernen in der betrieblichen Arbeit. In: Lind, Georg; Pollit-Gerlach, G. (Hrsg.): Moral in unmoralischer Zeit. Zu einer partnerschaftlichen Ethik in Erziehung und Gesellschaft. Heidelberg: Asanger 1989. S. 155. (Zitiert nach Reichenbach 2000, a.a.O., S. 6.)

[39] Vgl. ebd. In Anlehnung an Reichenbach werden die bei Lempert aufgeführten Bedingungen im „Sinne eines diskursiven Erziehungsmilieus“ interpretiert.

[40] Kohlberg, Lawrence; Levine, Charles und Alexandra Hewer: Moralische Entwicklung. In: Kohlberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002. S. 31.

[41] Zugegebenermaßen ist die Verwendung des Autonomiebegriffs im Sinne Kants hier recht pathetisch und vielleicht auch naiv eingesetzt, tatsächlich ist das gerne verwendete Postulat der Ermöglichung von Autonomieerlangung durch Erziehung reichlich undifferenziert und schwammig. Es sei daher angemerkt, dass hier nicht behauptet wird, dass Verhandlungen in pädagogischen Kontexten und unter Berücksichtigung der genannten Offerten zwangsläufig mit der Erlangung von Autonomie einhergehen, sondern allenfalls den individuellen Entwicklungsprozess beeinflussen können.

[42] [Harvard-Konzept], S. 89ff.

[43] Oser & Althoff übernehmen den Begriff in Anlehnung an das Konzept der „Just Community-Schools“ nach Kohlberg, der sowohl „Schöpfer“ dieses Ansatzes als auch erster Initiator bei der Durchführung der Theorie in die Praxis an amerikanischen Schulen war.

[44] Vgl. Oser, Fritz; Althoff, Wolfgang: Partizipation und Schulen vom Typ „Gerechte Gemeinschaft“. Der Aufsatz ist als Online-Publikation unter folgender URL einzusehen:

http://www.erz.uni-hannover.de/~horster/texte/justcommunity.pdf, [10.01.2007].

Hingewiesen sei auf folgende ausführliche Publikation zur Theorie, dem Projekt und der Evaluation. Oser, Fritz; Althoff Wolfgang: Moralerziehung durch gerechte Gemeinschaft und Demokratisierung oder Schule nach innen: Eine praktische Theorie der Bildung. In: Oser, Fritz; Althoff Wolfgang: Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich. Stuttgart: Klett-Cotta 2001. S. 337-458.

[45] Vgl. ebd. S. 2. Oser und Althoff unterscheiden: 1. vollkommene Partizipation (vollständig geteilte Verantwortung), 2. bereichsspezifische Partizipation (Partizipationsinseln), 3. Teilpartizipation (eingebundene Verantwortung), 4. Indirekte Partizipation I (Auftragsverantwortung), 5. Indirekte Partizipation II (Freundschaftsverantwortung).

[46] Ebd.

[47] Giesecke, Hermann: Das Ende der Erziehung. Neue Chancen für Familie und Schule. Stuttgart: Klett-Cotta 1985. S.64f.

[48] Es soll keineswegs bestritten werden, dass die Verhandlungspower situativ auch bei den Kindern liegen kann. Derartige Konstellationen ergeben sich aber wohl vornehmlich in Situationen, in denen Konflikte eher kurzfristig gelöst werden müssen – beispielsweise, wenn das Kind an der Supermarktkasse den Schokoriegel bereits in Händen hält. Kommt es anschließend zu einer Verhandlung um die längerfristige Lösung bezüglich des Zuckerkonsums, verliert das Kind seine temporäre Macht mit großer Wahrscheinlichkeit wieder an die Eltern.

[49] Vgl. Oser & Althoff, a.a.O., S. 2.

[50] Giesecke, a.a.O. S. 88.

[51] Reichenbach, Roland: Demokratisches Selbst und dilettantisches Subjekt. Demokratische Bildung und Erziehung in der Spätmoderne. Münster [u.a.]: Waxmann 2001. S. 392. Einzusehen auch unter folgender URL: http://egora.uni-muenster.de/ew/persoenlich/reichenbach-medien/DEMOKRATISCHES_SELBST_UND_DILETTANTISCHES_SUBJEKT.pdf [10.01.2007].

[52] Vgl. [Harvard-Konzept], S. 171f.

[53] Allein um zu verdeutlichen, was Verhandlungen aus pädagogischer Sicht leisten können, wird an dieser Stelle theoretisch von einer ‚Idealsituation’ ausgegangen. Im erzieherischen Alltag ist dies sicherlich nicht die ‚Normalsituation’.

[54] Reichenbach 2000, a.a.O., S. 1.

[55] Mit dieser freilich doppeldeutigen Aussage soll angemerkt sein, dass natürlich auch das Harvard-Konzept, wenn auch renommiert und populär, nicht kritikfrei bleiben muss – was hier allerdings zurückstehen musste, da nicht die Gültigkeit, sondern die Anwendbarkeit untersucht werden sollte.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Erziehung und Verhandlung - Zur Anwendbarkeit des Harvard-Konzepts im pädagogischen Kontext
Université
University of Münster
Note
1,0
Auteur
Année
2007
Pages
22
N° de catalogue
V111243
ISBN (ebook)
9783640093274
Taille d'un fichier
403 KB
Langue
allemand
Mots clés
Erziehung, Verhandlung, Anwendbarkeit, Harvard-Konzepts, Kontext
Citation du texte
Dany Picker (Auteur), 2007, Erziehung und Verhandlung - Zur Anwendbarkeit des Harvard-Konzepts im pädagogischen Kontext , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111243

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