Die Einwanderungs- und Asylpolitik der Europäischen Union - Von Maastricht bis Tampere


Mémoire de Maîtrise, 2001

118 Pages, Note: sehr gut


Extrait


Inhaltsverzeichnis

0.1 Gliederung

1 Einleitung

2 Theoretischer Teil
2.1 Klassische Integrationstheorie I: liberaler Intergouvernementalismus
2.1.1 Vorhersagen und Erwartungen des liberalen Intergouvernementalismus bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU
2.2 Klassische Integrationstheorie II: Neofunktionalismus
2.2.1 Vorhersagen und Erwartungen des Neofunktionalismus bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU
2.3 Ein konstruktivistisches Integrationsmodell als neuer Ansatz
2.3.1 Vorhersagen und Erwartungen des konstruktivistischen Modells bezüglich der Ein­wanderungs- und Asylpolitik der EU
2.4 Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Hypothesen der Theorien
2.4.1 Hypothesen
2.4.2 Tabellarische Gegenüberstellung

3 Empirischer Teil
3.1 Definitionen und Erläuterungen
3.2 Historischer Überblick zur Einwanderungs- und Asylpolitik der EU - Vor­läufer, Entwicklung, Beschlüsse, Ergebnisse
3.2.1 Vor Maastricht
3.2.2 Maastricht und Ergebnisse
3.2.3 Zwischen Maastricht und Amsterdam
3.2.4 Amsterdam und Ergebnisse
3.2.5 Zwischen Amsterdam und Tampere
3.2.6 Tampere und Ergebnisse
3.3 Probleme des liberalen Intergouvernementalismus: Was kann dieser nicht erklären bei der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU?
3.4 Probleme des Neofunktionalismus: Was kann dieser nicht erklären bei der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU?
3.5 Das konstruktivistische Modell als Erklärung der Unzulänglichkeiten vom liberalen Intergouvernementalismus und Neofunktionalismus
3.5.1 Der Vertrag von Maastricht: Intergouvernementaler Einbezug der Einwanderungs- und Asylpolitik in die EU
3.5.2 Der Vertrag von Amsterdam: Weitgehende, aber schrittweise und vorsichtige Ver­ge­meinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik in der EU
3.5.3 Das Gipfeltreffen in Tampere: Verselbständigung der Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik der EU sowie deren Internalisierung
3.5.4 Prognosen des konstruktivistischen Modells bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik in der politischen Ordnung der EU

4 Zusammenfassung, Problematisierung und Schlussbetrachtung
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse des empirischen Teils
4.2 Problematisierung: Was ist eine gute Theorie? Was soll eine Theorie leisten?
4.3 Schlussbetrachtung

5 Anhang
5.1 zeitliche Übersicht über relevante Ereignisse bezüglich der Einwanderungs­- und Asylpolitik der EU
5.2 Geltendes Gemeinschaftsrecht und vorbereitende gemeinschaftliche Rechts­akte bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU
5.2.1 Geltendes Gemeinschaftsrecht
5.2.2 Vorbereitende gemeinschaftliche Rechtsakte
5.3 verwendete Abkürzungen

6 Literaturverzeichnis

0.2 Abbildungsverzeichnis

Abb. 1\\ Der liberale, intergouvernementalistische Analyserahmen nach Andrew Moravcsik 15

Abb. 2\\ Neofunktionalistische Entwicklungsmöglichkeiten einer regionalen Organisation nach Philippe C. Schmitter 19

Abb. 3\\ Das konstruktivistische Integrationsmodell von Marcussen u.a. [1999] 25

Abb. 4\\ Theoriefunktionen nach Meyers 89

1 Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Einwanderungs- und Asylpolitik der Europäischen Union (EU). Dieses Politikfeld ist für die EU selbst noch recht neu: Während in der Ein­heitlichen Europäischen Akte (EEA) die Vergemeinschaftung oder eine gemeinsame, in­tergouvernementale Bear­beitung dieses Politikfeldes noch abgelehnt wurde [Brübach 1997: 18f; Gehring 1998: 50f; Zott 1999: 30], änderte sich dies drastisch durch die beiden Vertragsrevisionen von Maastricht und Amsterdam. In Maastricht wurde dieses Politikfeld intergouvernemental in die Union aufgenommen [Gimbal 1994b: 73; Müller-Graff 1996b: 14], in Amsterdam sogar weitgehend vergemeinschaftet[1] [vgl. Gimbal 1998: 124; Gimbal 1998: 146-149].

Das Politikfeld der Einwanderungs- und Asylpolitik umfasst im Rahmen der EU drei Unterbereiche:

Diese sind Visapolitik, Einwanderungspolitik im engeren Sinne (i.e.S.) und Asylpolitik.

Die Visapolitik betrifft kurzfristige, d.h. maximal drei Monate andauernde Auf­enthalte von Dritt­staatsangehörigen in einem Mitglied­staat der EU, ohne dass eine Erwerbs­tätigkeit auf­genommen wird [Nanz 1996: 64].

Die Einwanderungspolitik im engeren Sinne bezieht sich auf langfristige, d.h. drei Monate überschreitende Aufenthalte von Drittstaatsangehörigen in einem Mitglied­staat der EU [Müller-Graff/Kainer 1998: 125].

Nanz weist darauf hin, dass diese Unterscheidung zwischen Visapolitik und Ein­wanderungs­politik i.e.S. "wahrscheinlich auf den ersten Blick etwas willkürlich" erscheint [1996: 64]. Allerdings hat sich dieser Sprachgebrauch im Rahmen der EU inzwischen etabliert[2] [Nanz 1996: 64]. Dies ist auch der Grund, warum das gesamte Politikfeld mit Einwanderungs- und Asylpolitik bezeichnet wird: Einwanderungspolitik ist hier weiter de­finiert und umfasst sowohl die Einwanderungs­politik i.e.S. als auch die Visa­politik. Zur besseren Unterscheidung wird daher in dieser Arbeit bei Zweifelsfällen von der Ein­wande­rungs­­politik im weiteren Sinne (i.w.S.) oder im engeren Sinne (i.e.S.) gesprochen werden.

Die Asylpolitik bezieht sich auf den Bereich der formalen und materiellen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit einem Flüchtling in einem Staat Asyl gewährt wird [vgl. Brübach 1997: 54].

Die Politik der Europäischen Gemeinschaft (EG) bzw. der Europäischen Union (EU) in den Bereichen Asyl und Einwanderung i.w.S. soll in dieser Arbeit näher betrachtet und er­klärt werden. Sie ist damit die abhängige Variable[3]. Die unabhängigen Variablen zur Erklärung der Politik der EG/EU in diesem Bereich sind abhängig von der Theorie, mit der die Erklärung erfolgt.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit drei Theorien, die sehr unterschiedliche Heran­gehens­weisen und Annahmen haben:

Der liberale Intergouvernementalismus von Moravcsik [1993] sieht in den Interessen und daraus folgenden Politiken der rational handelnden Mitgliedstaaten die entscheidenden un­abhängigen Variablen [Wolf 1999: 61; Riegraf 2000: 15; vgl. Moravcsik 1993: 496].

Der Neofunktionalismus von Haas, Schmitter und Lindberg [vgl. Wolf 1999: 17] nimmt als unabhängige Variable die für die Akteure "gegebenen Strukturen, Funktions­not­wendig­keiten und Problemlösungszwänge" an [Wolf 1999: 39].

Diese beiden Theorien sind auch die klassischen Integrationstheorien, die schon seit den 70er Jahren in verschiedensten Varianten miteinander konkurrieren. In den 90er Jahren er­lebte die Debatte außerdem wieder einen entscheidenden Höhepunkt, so dass gerade bei den hier gewählten Theorien Tradition und Aktualität eng miteinander verbunden sind. [vgl. insbes. Wolf 1999: 19-22; vgl. Moravcsik 1991: 24]

Die dritte Theorie, nämlich der Konstruktivismus, wurde in den späten 90er Jahren in die Theorie­debatte in den Internationalen Beziehungen einbezogen: Es geht bei dieser noch nicht beendeten Diskussion um rationalistische und reflexive Theorien [Wolf 1999: 22; Schaber/Ulbert 1994: 139f; vgl. Christiansen u.a. 1999: 536].

Das konstruktivistische Modell von Marcussen u.a. [1999] identifiziert als wichtige unab­hängige Variablen Ideen und die Wahrnehmung kritischer Zeitpunkte, an denen neue Ideen in die politische Ordnung aufgenommen werden können [1999: 614f, 616f, 631]. Außer­dem nimmt dieses Modell in einem zweiten Schritt auch die Interessen der Mitglied­staaten und beteiligten Akteure als unabhängige Variable an [Marcussen u.a. 1999: 615, 617, 631].

Durch den Vergleich dieser drei Theorien in Bezug auf die Politik der EG/EU im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik werden einerseits Erklärungsprobleme und -unzulänglichkeiten der beiden klassischen Integrationstheorien aufgezeigt, die dann mit dem konstruktivistischen Modell erklärt bzw. genauer betrachtet werden, und zum anderen wird die Entwicklung der EG/EU-Politik in diesem Politikfeld ausführlich dargestellt[4].

Im letzten Kapitel der Arbeit erfolgt eine Zusammenfassung des Theorienvergleichs. Außerdem wird hier der Konstruktivismus als Theorie genauer betrachtet und kritisch beur­teilt. Grund hierfür ist, dass eine kritische Betrachtung des Konstruktivismus nicht im em­pirischen Teil erfolgen kann, da der Konstruktivismus vor allem aus theoretischer Sicht einige deutliche Schwierigkeiten und Nachteile im Gegensatz zu den anderen Theorien aufweist bzw. hier die Kriterien entscheidend sind, mit denen eine gute Theorie identifi­ziert wird [vgl. Meyers 1998: 393-395, 398, 408].

2 Theoretischer Teil

In diesem Teil werden zunächst die beiden klassischen Integrationstheorien - Inter­gouvernementalismus und Funktionalismus - in jeweils einer Variante dargestellt. Ich werde den liberalen Intergouverne­mentalismus von Andrew Moravcsik [1991, 1993] und den Neofunktionalismus von Haas, Lindberg und Schmitter [Haas 1958, 1961, 1966 und Lindberg 1970 sowie Schmitter 1969, 1970a, 1970b] verwenden.

Die beiden klassischen Integrationstheorien erfuhren in den 90er Jahren eine Neuauflage ihrer ursprünglichen Debatte, wobei der Fokus allerdings etwas anders war [vgl. insbes. Wolf 1999: 19-22; vgl. Moravcsik 1991: 24].

Streitpunkte waren die Fragen, ob, in welchem Umfang und in welcher Art supra­nationale Institutionen als eigenständige Akteure Einfluss auf die Politikformulierung nehmen können [Wolf 1999: 20f]. Es ging weiterhin darum, ob Integration stattfindet, weil die staatlichen Akteure dies wollten (intentionaler Erklärungsmodus des Intergouvernemen­ta­lismus) oder weil sich funktionale Erfordernisse aus der bisherigen Kooperation ergeben haben (funktionaler Erklärungsmodus des Neofunktionalismus) [Wolf 1999: 19-22].

Auch wurde später in den 90er Jahren eine neue Theoriedebatte begonnen, die noch nicht beendet ist: Es geht um die Diskussion zwischen rationalistischen und reflexiven Theorien [Wolf 1999: 22; Schaber/Ulbert 1994: 139f].

Rationalistische Theorien gehen von einem "individuell rational handelnde(m) Akteur" aus, der seine "exogen vorgegebenen Interessen und Präferenzen" verfolgt und versucht, seinen Nutzen zu maximieren [Schaber/Ulbert 1994: 141f]. Es handelt sich damit um das Akteurskonzept des homo oeconomicus [Schaber/Ulbert 1994: 141].

Reflexive Ansätze gehen von einem sozialen Akteur aus (homo sociologicus), der in ein "Netz intersub­jektiver Bedeutungsinhalte" eingebunden ist und "der Entscheidungen norm- und regelgeleitet auf dem Hintergrund subjektiver Faktoren, historisch-kultureller Er­fah­rungen und institu­tioneller Einbindung trifft" [Schaber/Ulbert 1994: 142].

Mit der Annahme dieser unterschiedlichen Akteurskonzepten werden gleichzeitig ganz verschiedene verhaltens­determinierende Faktoren festgelegt:

Nach rationalistischen Theorien ist das Verhalten eines Akteurs bestimmt durch seinen Versuch zur Nutzenmaximierung. Dabei ist die optimale Handlungsstrategie eindeutig durch seine exogen und objektiv vorgegeben Präferenzen bestimmt. [Schaber/Ulbert 1994: 141f]

Reflexive Theorien dagegen fragen, "wie spezifische Interessenlagen erzeugt werden". Es geht um die "Relevanz von kognitiven Prozessen und Inhalten und der institutionellen Struktur für die Definition und den Wandel von Interessen". "Demnach sind Interessen ge­rade nicht exogen vorgegeben, sondern entwickeln sich in einem historischen Prozess und in einem institutionellen Kontext". [Schaber/Ulbert 1994: 142]

Der Konstruktivismus befindet sich in dieser Theoriedebatte zwischen den beiden Polen Rationalismus und Reflexivismus [Christiansen u.a. 1999: 536; vgl. Adler 1997]. "While these positions differ among themselves, they take on the task of dealing with contra­dictions between epistemology und ontology once identified as a major challenge for IR[5] scholars" [Christiansen u.a. 1999: 536]. Christiansen u.a. gehen also davon aus, dass der Konstrukti­vismus - in Gestalt von vielen konstruktivistischen Ansätzen, Modellen und Theorien - Widersprüche hinsichtlich der Untersuchungs­gegenstände (Onto­logie) und der Art und Weise der Erkenntnisgewinnung (Epistemologie) bearbeiten kann, indem er eine mittlere Position zwischen den beiden Extremen Rationalismus und Reflexivismus ein­nimmt.

Aus diesem Grund wird nach den beiden klassischen Integrationstheorien ein alternatives, konstruktivistisches Modell dargestellt. Es handelt sich um das Modell von Martin Marcussen u.a. [1999], das zwar die Besonderheiten des Reflexivismus durch eine beson­dere Beachtung von Ideen aufnimmt, aber in einem weiteren Schritt auch die Interessen der Akteure beachtet und so die Elemente des Rationalismus integriert.

Hier im theoretischen Teil werden die Theorien und das Modell mit ihren Annahmen, Er­klärungsansätzen und Schlussfolgerungen auf allgemeiner Ebene dargestellt und Hypo­thesen formuliert in Bezug auf die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU.

Im empirischen Teil werden dann diese Hypothesen genauer betrachtet. Es werden Erklärungsprobleme und -unzulänglichkeiten der klassischen Integrationstheorien in Bezug auf die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU aufgezeigt. Diese werden dann mit dem konstruktivistischen Modell näher betrachtet.

2.1 Klassische Integrationstheorie I: liberaler Intergouvernementalismus

Der Intergouvernementalismus ist eine Theorie, die sich an den Prämissen des Realismus[6] orientiert [Wolf 1999: 60; vgl. Moravcsik 1991: 21]. In seiner klassischen Form wurde der Intergouvernementalis­mus von Stanley Hoffmann formuliert [1964; vgl. Wolf 1999: 18][7]. Im Zuge der Neuauflage der klassischen Debatte zwischen Intergouvernementalismus und Funktionalismus entwickelte Andrew Moravcsik den liberalen Intergouvernementalismus [1991, 1993].

Der liberale Intergouvernementalismus hat drei Kernelemente: "the assumption of rational state behaviour, a liberal theory of national preference formation, and a inter­govern­mentalist analysis of interstate negotiation" [Moravcsik 1993: 480; vgl. auch Wolf 1999: 61].

a) Annahme, dass staatliches Verhalten rational ist

Wie beim Realismus sind Staaten, insbesondere ihre Regierungen, die zentralen Akteure [Wolf 1999: 61; vgl. Moravcsik 1993: 496]. Sie "handeln rational" und sind "einheitlich in ihrem Außenverhalten" [Riegraf 2000: 15]. Rationales staatliches Ver­halten bedeutet konkret, dass die Staaten auf der Grundlage ihrer Nutzenfunktion bzw. ihrer Präferenzen eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen und dann versuchen, ihren (Gesamt-)Nutzen zu maximieren. Im Gegensatz zum klassischen (Neo-)Realismus sind die Nutzen­funktion und die Präferenzen nicht mit den Zielen Wohlstand, Sicher­heit und Macht fest vorgegeben, sondern werden erst durch die spezifischen Be­ziehun­gen zwischen Staat und Gesellschaft gebildet (vgl. b). [Moravcsik 1993: 481; vgl. Riegraf 2000: 15] Staaten sind damit keine black boxes mehr: Die Innenpolitik bestimmt ihre Präferenzen und damit können sich Staatsinteressen verändern [Moravcsik 1991: 27].

"National interests are, therefore, neither invariant nor unimportant, but emerge through domestic political conflict as societal groups compete for political in­fluence, national and transnational coalitions form, and new policy alternatives are recognized by governments." [Moravcsik 1993: 481]

Das Verständnis der Innenpolitik wird damit zur Vorbedingung für die Analyse stra­tegischen Handelns zwischen Staaten [Moravcsik 1993: 481].

b) eine liberale Theorie der nationalen Präferenzbildung

Durch die oben schon beschriebene Annahme, dass staatliche Präferenzen innen­politisch beschränkt und geformt werden können, entstehen bei internationalen Ver­hand­lungen zwei Ebenen:

Der Prozess der innenpolitischen Präferenzbildung identifiziert die möglichen Ge­winne und Verluste einer Kooperation bzw. Integration (Präferenzen, Forderung).

Der zwischenstaatliche Verhand­lungs­prozess definiert dann die möglichen und um­setzbaren Antworten auf diese Forderungen (strategische Möglichkeiten, Unter­stützung). [Moravcsik 1993: 481]

Die Verwendung einer liberalen Theorie der nationalen Präferenzbildung begründet Moravcsik mit der besonderen Beziehung von Staat und Gesellschaft in demo­kratischen und pluralistischen Gesellschaften. Private Individuen und freiwillige Ver­einigungen mit autonomen Interessen, die in der Zivilgesellschaft interagieren, sind - wie auch die liberale Theorie annimmt - die entscheidenden Akteure der Politik. Re­gierungen sind in solchen Gesell­schaften in die nationale und transnationale Gesell­schaft eingebettet und werden von ihr hinsichtlich ihrer Präferenzen und Handlungs­möglichkeiten begrenzt und beein­flusst. Grund hierfür ist, dass die Regierungs­vertreter weiter­hin gewählt werden wollen, um in ihrem Amt bleiben zu können. Sie reagieren also auf die Forderungen, die aus der Gesellschaft - insbesondere durch Interessen­gruppen - an sie herangetragen werden. [Moravcsik 1993: 483; vgl. Wolf 1999: 61] Die Art und die Stärke des Zwangs, den die innenpolitischen Interessengruppen auf die Regierungen ausüben, variieren jedoch mit der Stärke und der Einheit des ausgeübten Drucks [Moravcsik 1993: 484].

c) intergouvernementalistische Analyse zwischenstaatlicher Verhandlungen

Die Regierungen haben aber trotz der oben beschriebenen innenpolitischen Definition ihrer Präferenzen aufgrund ihres Monopols in der Außenvertretung und der pluralisti­schen Konkurrenz der Interessengruppen die Möglichkeit, bei zwischen­staatlichen Verhandlungen diskret ihre eigenen Interessen einfließen zu lassen.[8] So ver­suchen sie z.B., durch internationale Kooperation einen innenpolitischen Kontroll­zuwachs durch­zusetzen (innenpolitische Ebene) oder die Vermeidung negativer Externalitäten[9] oder eine gemeinsamen Nutzung positiver Externalitäten[10] zu erreichen (internationale Ebene). [Moravcsik 1993: 485; Wolf 1999: 61-63]

Ein Problem, das sich bei zwischenstaatlichen Verhandlungen ergibt, ist die Frage, wie Kooperationsgewinne zwischen den einzelnen Staaten verteilt werden [Moravcsik 1993: 486f]. Wie die Gewinne letztlich verteilt werden, ist abhängig von der Verhandlungsmacht der einzelnen Staaten [Moravcsik 1993: 499].

Die gesellschaftlichen Gruppen können ihre Regierungen hier sowohl stärken als auch schwächen: Je einheitlicher und homogener der ausgeübte innenpolitische Druck ist, also je stärker die Intensität der innenpolitischen und damit auch staatlichen Präferen­zen ist, umso stärker ist die Verhandlungsposition der Regierungsvertreter. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Gewinne und Verluste einer möglichen Kooperation klar sind. Gibt es aber Unsicherheiten und Risiken, ist der gesellschaftlich aus­geübte Zwang in der Regel uneinheitlich, heterogen und schwach. In dieser Situation ist die Verhandlungsposition der Regierungsvertreter auch schwach. [Moravcsik 1993: 487f]

Weiterhin nennt Moravcsik drei Hauptfaktoren, die die Verhandlungsmacht der ein­zelnen Staaten und die späteren Politikergebnisse beeinflussen [1993: 499-507; vgl. Wolf 1999: 62]:

Wenn es die Möglichkeit einzelstaatlicher Alternativen gibt, d.h. wenn ein Staat nicht auf die Kooperation angewiesen ist, dann hat er die größte Verhandlungsmacht. Er kann glaubhaft mit Nicht-Kooperation drohen. [Moravcsik 1993: 499] In einem sol­chen Fall sind Verhandlungsergebnisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, aber nicht unbedingt auf dem niedrigsten gemeinsamen Standard zu erwarten [Moravcsik 1993: 502].

Wenn es die Möglichkeit alternativer Kooperation gibt, können einzelne staatliche Akteure in die Kooperation hineingezwungen werden, so dass Kooperation wahr­scheinlicher wird. Hier kann gegenüber einem Staat, der nicht kooperieren möchte, glaubhaft mit dem Ausschluss aus der Kooperation gedroht werden. [Moravcsik 1993: 502f]

Außerdem ergibt sich durch die unterschiedlichen Intensitäten bei den staatlichen Prä­ferenzen in den einzelnen Themenbereichen gegebenenfalls die Möglichkeit, Themen zu verknüpfen und Paketlösungen zu finden. Hauptgrenze dieser Ver­knüp­fungs­strategie ist die innenpolitische Opposition. [Moravcsik 1993: 504f]

Neben diesen drei Hauptfaktoren gibt es noch weitere Faktoren, die das Verhandlungs­ergebnis und die Verhandlungsmacht der einzelnen Staaten beeinflussen können: Informationsasymmetrien und Erhältlichkeit von Information; Ausmaß der Kommuni­kation; Abfolge der Züge; institutioneller Rahmen; Möglichkeit der strategischen Fehl­interpretation von Interessen; Möglichkeit, glaubwürdige Drohungen oder Zuge­ständ­nisse zu machen; Bedeutung der Reputation; Kosteneffektivität von Drohungen und Seiten­zahlungen; relative Präferenzen; Risikoakzeptanz; Erwartungen; Ungeduld; Fähig­keit der Verhandlungsparteien. [Moravcsik 1993: 497f]

Der liberale, intergouvernementalistische Analyserahmen, den Moravcsik entwickelt, ver­bindet eine liberale Theorie nationaler Präferenzbildung mit einer inter­gouverne­men­ta­listi­schen Analyse von zwischenstaatlichem Verhandeln und Institutionenbildung [Moravcsik 1993: 482].

Quelle: Moravcsik 1993: 482

Abb. 1: Der liberale, intergouvernementalistische Analyserahmen nach Andrew Moravcsik

Wenn dieser Analyserahmen zugrunde gelegt wird, dann kann Kooperation bzw. Integra­tion nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden.

Kooperation ist nämlich genau dann wahrscheinlich, wenn die nationalen Interessen kon­vergieren bzw. sich angleichen [Wolf 1999: 62f]. Aus intergouvernementalistischer Sicht sind supranationale Institutionen insoweit akzeptabel für die Regierungen, wie dadurch Vorteile (z.B. Ressourcen- oder Autonomiegewinne) erlangt werden [Moravcsik 1993: 507; vgl. Riegraf 2000: 3]. Die supranationalen Institutionen werden also selbst passiv und nicht autonom sein [Moravcsik 1993: 518; vgl. Wolf 1999: 62].

Der klassische Intergouvernementalismus erwartet, dass eine Kooperation nur in low politics -Bereichen, wie z.B. der Wirtschaft, stattfindet, nicht aber in high politics -Berei­chen, wie z.B. Sicherheit [Hoffmann 1964: 89, 92-94].

Moravcsik kommt zu etwas anderen Ergebnissen hinsichtlich der Kooperations­erwartungen als Hoffmann, insbesondere weil er von einer liberalen Theorie nationaler Prä­ferenz­bildung ausgeht. Er unterteilt die EG-Politikbereiche - etwas detaillierter als Hoffmann - in drei Kategorien: Marktliberalisierung (z.B. Binnenmarkt), Bereitstellung sozio­ökonomischer kollektiver Güter zur Verhinderung von Markt­versagen (z.B. Sozial­politik) und Bereitstellung nicht-sozioökonomischer kollektiver Güter (z.B. Gemein­same Außen- und Sicherheitspolitik; Einwanderungs- und Asylpolitik) [Moravcsik 1993: 488].

In jedem dieser Politikfelder ist die Kooperationswahrscheinlichkeit unterschiedlich, da die möglichen Gewinne und Verluste je nach Politikfeld mehr oder weniger kalkulierbar sind. Während im Bereich des Binnenmarktes die Gewinn-Verlust-Kalkulation noch recht ein­fach ist, gibt es insbesondere beim Politikfeld der Bereitstellung nicht-sozio­öko­nomischer kollektiver Güter Probleme, Gewinne und Verluste genau zu bestimmen. Statt einer ge­nauen Gewinn-Verlust-Rechnung werden hier daher oft ideologische Argumenta­tionen be­nutzt. [Moravcsik 1993: 494f]

Zusammenfassend lässt sich also allgemein sagen, dass beim liberalen Intergouverne­men­ta­lismus die EG bzw. EU als Ergebnis der Strategien nationaler, rational handelnder Regie­rungen auf der Grundlage ihrer Präferenzen, die stark innenpolitisch beeinflusst werden, und ihrer (Verhandlungs-)Macht verstanden werden kann [Moravcsik 1993: 496].

2.1.1 Vorhersagen und Erwartungen des liberalen Intergouvernementalismus bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU

In der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU lassen sich aus Sicht des liberalen Inter­gouverne­mentalismus folgende Erwartungen formulieren.

Alle EU-Staaten haben hinsichtlich ihrer Ausgangslage ähnliche Bedingungen:

Alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Irland haben einen Zustrom von Dritt­staats­angehörigen zu verzeichnen und sind damit zu faktischen Einwanderungsländern ge­worden [Brübach 1997: 138]. Die EU-Mitgliedstaaten betonen aber, dass ihr Staat bzw. Europa als ganzes kein Einwanderungsland ist [Gimbal 1994a: 68]. Diese Diskussion wird auch unter dem Stichwort "Festung Europa" oder "fortress europe" geführt [vgl. z.B. Brochmann 1991: 185f; Hausmann 2000: 2; Nuscheler 1995: 255-258; Leitner 1997: 133]. Weiter­hin haben alle EU-Mitglied­staaten das Problem der knappen Kassen und begrenzten Ressourcen: Das Wirtschaftswachstum stockt in den meisten EU-Staaten, und dennoch steigen aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen (Sozialleistungen u.Ä.) die staatlichen Aus­gaben an [vgl. Riegraf 2000: 14]. Dementsprechend werden Spar­möglichkeiten von allen Staaten gesucht. Eine Möglichkeit der Ausgaben­begrenzung, bei der eine eher geringe Opposition von inner­staatlichen Interessengruppen zu erwarten ist, besteht in einer restrik­tiveren Asylpolitik. Dies wird z.B. unter den Stich­worten "Grenze der Belastbarkeit" und "Unvereinbarkeit zwischen Sozialstaat und 'Sonder­recht auf Asyl' " diskutiert [Nuscheler 1995: 201f; vgl. auch Gehring 1998: 46]. Auch ist die Arbeitslosigkeit in allen EU-Staaten ein mehr oder weniger großes Problem. Zum Schutz des nationalen bzw. in­zwischen europäischen Arbeitsmarktes vor einem vermeid­baren Überangebot an Arbeit wird eine restriktive Einwanderungspolitik i.e.S. gegenüber Drittstaats­angehörigen schon heute praktiziert (faktisch: Einwanderungs­stopp und nur noch Familiennachzug) [vgl. Sassen 1996: 116; Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 13] und ist eine Verschärfung der Zu­gangs­bedingungen für Drittstaatsangehörige auch weiterhin zu erwarten. Aus diesem Grund wird auch die illegale Einwanderung stark bekämpft werden, da sie zu verschärften Problemen der Schwarzarbeit und des Sozialdumpings führen kann [Marie 1997: 87-98]. Daher ist zumindest kurz- und mittelfristig eine Verschärfung der Einwanderungs- und Asyl­politik bei allen EU-Staaten zu erwarten.

Langfristig aber verändert sich dieses Interesse: Auf lange Sicht nimmt die Bevölkerung in allen EU-Staaten durch das Sinken der Geburtenrate ab. Außerdem kommt es zu einer an­teils­­mäßigen und absoluten Zunahme der Altersbevölkerung. [Schmid 1994: 90-93] Um das Rentensystem aufrechtzuerhalten und die Erfordernisse des Arbeitsmarktes weiterhin zu befriedigen, wird eine Einwanderungsregelung unumgänglich sein: Diese Ein­wande­rungs­­regelung wird aber stark nach den nationalen Gegebenheiten und Vorstellungen differieren und vor allem hoch qualifizierte Drittstaatsangehörige betreffen. [Schmid 1994: 114-116, 124; Keller 2000b: 4]

Trotz dieser ähnlichen Bedingungen ist aber noch nicht gesagt, dass auch eine Integration statt­­findet. Der Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik ist ein Bereich, der die Souve­ränität der einzelnen Staaten berührt [Argirakos 1999: 150f; Brochman 1991: 185; Gimbal 1994b: 82; Monar 1996: 59]: Wer Ausländer ist und wer einheimischer Bürger ist, dies bestimmt nämlich, was der Staat ist. In Demokratien bestimmt das Volk, das eben durch diese Definitionen fest­gelegt wird, die Politik durch Wahlen entscheidend mit. Daher ist hier eine Ver­gemein­schaftung aus Sicht des liberalen Intergouvernementalismus sehr un­wahr­scheinlich. Moravcsik verweist auch darauf, dass die Gewinn- und Verlust-Kalkula­tion in einem solchen Politikfeld äußerst schwierig ist und daher eher auf Ideologien zu­rückgegriffen wird [1993: 494f]. Die steigende Zahl von ausländerfeindlichen Äußerungen (z.B. Umfrage­ergebnisse, dass es zu viele Ausländer gibt bzw. dass es Probleme mit Aus­ländern gibt) und auch Gewalt gegen Ausländer [vgl. z.B. Marie 1997: 9; Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 17f; Schmuck 1997: 272] lassen erwarten, dass die National­staaten dieses brisante Thema nicht aus ihrem Kompetenzbereich entfernen lassen werden und auch an ihrer nationalstaatlichen Ideologie festhalten werden [vgl. Nuscheler 1995: 80]. Weiterhin unterscheidet sich die faktische Zuwanderung der ein­zel­nen EU-Staaten sowohl quantitativ als auch qualitativ aufgrund der unterschiedlichen historischen Gegebenheiten [Gimbal 1994a: 69]: So haben Frankreich und Großbritannien z.B. starke Zuwanderung aus ihren ehemaligen Kolonien zu verzeichnen [Gimbal 1994a: 75] sowie Deutschland viele Einwanderer aus dem Osten (sogenannte Aus­siedler, die als Deutschstämmige sogar bis Anfang der 90er Jahre einen Einbürgerungs­anspruch hatten) [Gimbal 1994a: 70]. Italien, das lange Zeit ein Aus­wanderungs­land war, und Griechenland sind nun mit einer Einwanderungs- und Flüchtlings­welle aus dem Osten (z.B. aus Jugoslawien und Albanien) und auch aus dem Mittelmeerraum konfrontiert [Gimbal 1994a: 71, 73]. Für Spanien, Portugal gilt Ähnliches, allerdings kommt der Hauptzustrom hier aus dem Süden, insbesondere über die nur schwer kontrollierbare Straße von Gibraltar [Gimbal 1994a: 72f]. Die einzelnen EU-Staaten sind nicht nur in unter­schiedlicher Weise betroffen, sondern sie besitzen auch unterschiedliche ökonomische Voraussetzungen für Umgang mit Einwanderern, welche wieder zu Interessendivergenzen und -konflikten zwischen den Mitgliedstaaten führen kann [Brochman 1991: 189].

Der liberale Intergouvernementalismus erwartet also, kurz gesagt, in der Einwanderungs- und Asylpolitik aufgrund der unterschied­lichen Zuwanderungsströme und der Brisanz und Sensibilität des Politikfeldes sowie seiner Unkalkulierbarkeit sicherlich keine weit­reichende Integration und keine Abgabe von Souveränitätsrechten an supranationale Insti­tutionen [vgl. Argirakos 1999: 168; Gimbal 1994a: 84]. Eine lose Kooperation, Ad hoc-Initiativen und -Programme sowie Informationsaustauschsysteme sind jedoch durch­­aus denkbar, da dadurch zugunsten aller Staaten die oben beschriebenen gemein­samen Probleme gelöst oder verringert werden können und die ungünstigen Vorbe­dingungen gegebenenfalls verringert werden können, ohne dass die Souveränität der einzelnen Staaten beeinträchtigt wird [vgl. Gimbal 1994b: 85].

Eine kritische Überprüfung dieser Hypothese erfolgt nach der Darstellung der Empirie in Kapitel 3.3 (S. 76), in dem vor allem zentrale Erklärungsschwächen des liberalen Inter­gouvernementalismus aufgezeigt werden.

2.2 Klassische Integrationstheorie II: Neofunktionalismus

Der Neofunktionalismus greift auf das Konzept des Pluralismus und Idealismus[11] zurück [Wolf 1999: 39]. Als klassische Vertreter des Neofunktionalismus gelten Ernst B. Haas, Philippe C. Schmitter und Leon N. Lindberg [Wolf 1999: 17].

Im Gegensatz zum Intergouvernementalismus geht der Neofunktionalismus davon aus, dass die politischen Akteure "durch die gegebenen Strukturen, Funktions­not­wendig­keiten und Problemlösungszwänge" in ihrer Handlungsfähigkeit deutlich beschränkt bzw. sogar voll davon bestimmt [Wolf 1999: 39].

Aus diesem Grund analysieren Neofunktionalisten nicht die Präferenzen- und Interessen­konstellation der beteiligten Staaten wie die Intergouvernementalisten, sondern sie kombi­nieren institutionelle Analysen und Prozessanalysen [Haas 1958: 458]. Kernstück dieser Analysen ist die Idee und die Annahme eines (funktionalen) spill-over -Effekts [Wolf 1999: 40]: "The basic causal imagery of the model is functionalist." [Schmitter 1970a: 839, Hervorhebung im Original]

Haas selbst beschreibt den spill-over -Effekt folgendermaßen:

"(P)olicies made pursuant to an initial task and grant power can be made real only if the task itself is expanded, as reflected in the compromises among the states interested in the task." [Haas 1961: 368]

Schmitter gibt eine noch etwas detailliertere Definition des spill-over -Effekts:

"Spillover refers, then, to the process whereby members of an integration scheme - agreed on some collective goals for a variety of motives but unequally satisfied with their attainment of these goals - attempt to resolve their dissatisfaction either by resorting to collaboration in another, related sector (expanding the scope of the mutual commitment) or by intensifiying their commitment to the original sector (increasing the level of mutual commitment) or both." [Schmitter 1969: 162, Her­vorhebung im Original]

Schmitter zerlegt die Integrationspolitik in zwei analytische Dimensionen: Veränderungen bezüglich der in die regionale Kooperation einbezogenen Politik­bereiche sind eine Verän­derung von scope [1970a: 841]. Die zweite Dimension nennt Schmitter level: Diese betrifft die Intensität und Tiefe der Kooperation, d.h. die Möglichkeiten für die regionalen Institu­tionen selbst Werte zu setzen [1970a: 841].

Funktionelle Zwänge und inhaltliche Verknüpfungen zwischen verschiedenen Politik­feldern machen also bei der Politikumsetzung ständige Erweiterungen in andere Themen­bereiche und/oder eine Intensivierung der bestehenden Kooperation notwendig, um das ur­sprüng­liche Ziel zu erreichen [siehe auch Haas 1961: 377f].

Der natürliche (funktionale) spill-over -Effekt kann durch bestehende Interdependenz von funktionalen Aufgaben und Themenbereichen und durch kreative Talente der politischen Eliten (Stichworte: Verhandlungskünstler, Paketlösungen) noch verstärkt werden [Schmitter 1969: 162].

Neben diesem funktionalen spill-over gibt es auch einen administrativen bzw. institu­tionel­len spill-over, der dadurch entsteht, dass neue (supranationale) Institutionen ge­schaffen werden, die neue Themenbereiche an sich ziehen [Haas 1961: 369-372, 377]. Diese ständigen Erweiterungen durch die verschiedenen spill-over -Effekte sind nicht unbe­dingt von Staaten beabsichtigt, vorausgesehen oder gewollt [Haas 1966: 324f].

Allerdings sind die Neofunktionalisten (im Gegensatz zu den Funktionalisten) bezüglich des angenommenen Automatismus des spill-over vorsichtiger: Schmitter modelliert die Entwicklungsmöglichkeiten einer regionalen Kooperation allgemein folgendermaßen [Schmitter 1970a: 845f]: (1) spill-over: Ausdehnung von level und scope; (2) spill-around: keine Veränderung von level und Ausdehnung von scope; (3) buildup: Ausdehnung von level, aber keine Veränderung von scope; (4) retrench: Ausdehnung von level, aber Verrin­gerung von scope; (5) muddle-about: Verringerung von level, aber Erweiterung von scope; (6) spill-back: Verringerung von level und scope; (7) encapsulation: keine oder nur gering­­fügige Veränderungen von level und scope, Schmitter bezeichnet dies auch als die Heraus­bildung eines selbsttragenden, stabilen internationalen Subsystems [Schmitter 1970a: 840].

Quelle: Schmitter 1970a: 845

Abb. 2: Neofunktionalistische Entwicklungsmöglichkeiten einer regionalen Organisation nach Philippe C. Schmitter

Welche dieser Entwicklungs­möglich­keiten letztlich für eine bestimmte regionale Koopera­tion zutrifft, ist von bestimmten Bedingungen abhängig. Schmitter nennt hier einige Ein­flussfaktoren, von denen er bestimmte aber von vornherein für die EG bzw. EU aus­schließt. Krieg und seine Folgen sowie irrationale Forderungen von Regierenden sind mögliche, aber keine relevanten Einflussfaktoren für die europäische Integration [Schmitter 1970a: 841f]. Weiterhin nennt Schmitter folgende Einflussfaktoren: relative Macht und Größe der einzelnen Akteure in der Kooperation [Schmitter 1970a: 850]; Transaktions- und Interdependenzrate (Ausmaß der schon bestehenden Abhängigkeiten und Transaktionen zwischen den Kooperationspartnern) [Schmitter 1970a: 850f]; Ausmaß des innenpolitischen Pluralismus der einzelnen Kooperationspartner [Schmitter 1970a: 851]; Erwartungen der an der Kooperation beteiligten Eliten [Schmitter 1970a: 851]; außerregionale Abhängigkeit [Schmitter 1970a: 852]. Schmitter bleibt in seinen allgemeinen Hypothesen offen gegenüber den einzelnen Entwicklungs­möglichkeiten, je nachdem welche Bedingungen zu welchem Zeitpunkt gegeben sind [Schmitter 1970a: 853f, 857-862, 864f, 867f]. Allerdings bleibt Schmitter bei der Grund­annahme, dass Spannungen durch die globale Umwelt oder durch frühere Ent­scheidungen entstandene Widersprüche unerwartete Entwicklungen in der Ver­folgung gemeinsamer Ziele bewirken. So entstehen wahrscheinlich Frustration und/oder Enttäuschung bei den beteiligten Akteuren, die dann nach alternativen Strategien suchen. Nach Schmitter kommt es also zu einer Revision der Kooperation bezüglich level und scope, und letztlich wahr­scheinlich doch zu einem funktionalen spill-over, wie "the basis functionalist proposition, called 'the spillover hypothesis' " annimmt [Schmitter 1970a: 847]. "Automaticity, then, refers to a (theoretically) high probability that spill-over and its complementary processes [...] will occur" [Schmitter 1969: 164].

Während Schmitter nur eine theoretisch große Wahrscheinlichkeit für spill-over -Effekte bei schon bestehenden regionalen Kooperationen, wie z.B. der EG bzw. EU, annimmt [Schmitter 1969: 164], ist Haas sich bezüglich der weiteren Entwicklung der EG bzw. EU sehr sicher:

"[...] (T)he progression from a politically inspired common market to an economic union, and finally to a political union among states is automatic. The inherent logic of the functional process, in a setting such as Western Europe, can push no other way." [Haas 1966: 327]

Wolf fasst die Prämissen und theoretischen Aussagen des (Neo-)Funktionalismus folgen­dermaßen zusammen:

"Pluralität sozioökonomischer und politisch-administrativer Strukturen, die an der Entscheidungs­findung beteiligt sind; zunehmende funktionale Differenzierung, stärkere Interdependenz zwischen den Sektoren, damit steigender Druck zu Ko­operation und gemeinsamer Problemlösung; Ausdifferenzierung unter anderem auch technischer Bereiche, in denen eine Vergemeinschaftung rasch als sinnvoll und politisch unproblematisch angesehen wird; daraus sich entwickelnde Inte­grations­­­dynamik aufgrund von functional spill-over; starke Nationalismen und Ideo­logien können den Prozess jedoch aufhalten beziehungsweise verlangsamen." [Wolf 1999: 42]

2.2.1 Vorhersagen und Erwartungen des Neofunktionalismus bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU

Für die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU macht der Neofunktionalismus folgende Vorhersage:

Durch die Verwirklichung des Binnenmarktes und der damit verbundenen Garantie der vier Grund­freiheiten - freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital innerhalb des Binnenmarktes - wird eine gemeinschaftliche Regelung von Einwanderungs- und Asylpolitik in der EU unumgänglich [IA.16; IA.17; Müller-Graff 1996b: 21f]. Grund hierfür ist die den Unionsbürgern gewährte Freizügigkeit innerhalb der EU [IA.16; IA.17]. Diese umfasst vor allem auch das Überschreiten der Binnengrenzen, ohne kontrolliert zu werden. Damit ergibt sich aber innerhalb der EU eine faktische Freizügigkeit für alle Per­sonen, also auch für Drittstaatsangehörige [Gimbal 1994b: 72; Brochmann 1991: 185; Brübach 1997: 84; Schelter 1996: 21f], da eine Vorunterscheidung zwischen EU-Bürger und Drittstaatsangehöriger ohne eine Personenkontrolle faktisch unmöglich ist [Brübach 1997: 140]. Die faktische Freizügigkeit aber kollidiert mit den Ansprüchen der Mitgliedstaaten an die innere Sicherheit [Gimbal 1994b: 72]. Um die innere Sicherheit, z.B. auch die Verhinderung illegaler Einwanderung [vgl. Nanz 1996: 65], weiterhin effektiv gewährleisten zu können und trotzdem die Freizügigkeit für Unionsbürger aufrecht er­halten zu können, muß es eine engere Kooperation und letztlich eine wirkliche Verge­mein­schaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik geben [Gimbal 1994b: 73; Brübach 1997: 140]. Die Schnittstelle der Einwanderungs- und Asylpolitik zur Politik des Binnen­­­marktes sind also wegen der den Unionsbürgern garantierten Personenfreizügigkeit die staatlichen Zugangspolitiken [Müller-Graff/Kainer 1998: 123]. Diese funktionale Ver­bindung führt zu einem spill-over -Effekt, da die verschiedenen einzelstaatlichen Zugangs­politiken das Binnenmarktziel untergraben würden [Müller-Graff 1997: 272]: Der Neo­funktionalismus erwartet eine rasche Vergemeinschaftung der Einwanderungs- und Asyl­politik. Diese wird auch von verschiedenen Autoren aufgrund der funktionalen Not­wendigkeiten erwartet [Brübach 1997: 140; Green 1999: 16f] oder gefordert bzw. erhofft [Müller-Graff 1996b: 20f; Heimann 1999: 75] oder bereits durch die empirischen Ergeb­nisse als bestätigt angesehen [z.B. Giering/Weidenfeld 1998: 85; Heimann 1999: 73; Müller-Graff 1997: 271-273, 282; Müller-Graff/Kainer 1998: 127]. Weiterhin ist vor allem nach dem Vertrag von Maastricht mit einer schnelleren Vergemeinschaftung zu rechnen, da hier die Visapolitik in einer unangemessenen Weise aufgeteilt wurde: Sie befindet sich teils in der ersten und vollständig vergemeinschafteten Säule der EU und teils in der dritten, noch intergouvernemental verregelten Säule [Brübach 1997: 111; Lobkowicz 1996: 52; Monar 1996: 64; Monar 1997: 245; Nanz 1996: 67]. Hier sind Spannungen und Wider­sprüche unvermeidbar, so dass in der Visapolitik nach Maastricht eine sehr zügige Verge­mein­schaftung zu erwarten ist [Brübach 1997: 136]. Eine kurze Betrachtung und kritische Über­prüfung dieser Erwartungen an der Empirie erfolgt in Kapitel 3.4 (S. 78), in dem vor allem auf Erklärungsunzulänglichkeiten des Neofunktionalismus hingewiesen wird.

2.3 Ein konstruktivistisches Integrationsmodell als neuer Ansatz

Konstruktivismus ist in den Internationalen Beziehungen noch eine recht junge Theorie [vgl. Christiansen u.a. 1999: 528f]. Eine kurze Definition von Konstruktivismus gibt John Gerard Ruggie [zitiert in Christiansen u.a. 1999: 530][12]:

"At bottom, constructivism concerns the issue of human consciousness: the role it plays in international relations, and the implications for the logic and methods of social inquiry of taking it seriously. Constructivists hold the view that the building blocks of international reality are ideational as well as material; that ideational factors have normative as well as instrumental dimensions; that they express not only individual but also collective intentionality; and that the meaning and significance of ideational factors are not independent of time and place."

Der Konstruktivismus geht also davon aus, dass es so etwas wie eine sozial konstruierte Realität gibt. Das menschliche Bewusstsein nimmt, z.B. in Form von Ideen, Normen und Werten, Einfluss auf die wahrgenommene Wirklichkeit. Auch sind Ideen, Normen und Werte in ihrem Gehalt und ihrer Wichtigkeit nicht unabhängig von Raum und Zeit.

Es wird bei der Definition des Konstruktivismus von Ruggie aber auch deutlich, dass der Konstruktivismus - im Gegensatz zu den beiden bisher vorgestellten Theorien - keine spezifische Integrationstheorie ist [Christiansen u.a. 1999: 530].

Allgemein befinden sich konstruktivistische Modelle und Ansätze mit ihren Annahmen zwischen den Polen von rationalistischen und reflexiven Theorien [Christiansen u.a. 1999: 536]. Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Modelle und An­sätze stark darin, wo sie auf dem Kontinuum zwischen Rationalismus und Reflexivismus zu finden sind [Smith 1999: 682f][13].

Das konstruktivistische Modell von Marcussen u.a. [1999] ist ein Ansatz, der versucht, die konstruktivistische Theorie und ihre Implikationen auf den Integrationsprozess zu über­tragen und anzuwenden. Anhand der empirisch orientierten Frage, warum sich die nationa­len Identitäten in Frank­reich, Deutschland und Großbritannien gerade so und nicht anders entwickelt haben, entwerfen Marcussen u.a. ein konstruktivistisches Vier-Stufen-Prozess-Modell [Smith 1999: 686f].

Die vier Stufen lassen sich folgendermaßen beschreiben:

I) Resonanzannahme [Marcussen u.a. 1999: 615, 617, 631]

Die Resonanzannahme besagt, dass neue Ideen mit den Grundelementen alter Ansich­ten übereinstimmen müssen. "(A)ny new idea about political order, in order to be con­sidered legitimate, must resonate with core elements of older visions of the political order" [Marcussen u.a. 1999: 614]. Neue Ideen müssen also einen fruchtbaren Resonanzboden bei den alten Ideen und Konzepten finden, um als legitime Ideen und Konzepte gelten zu können [Marcussen u.a. 1999: 617].

Die Resonanzannahme klärt damit, welche Ideen und Konzepte für die politischen Akteure denkbar und verfügbar hinsichtlich Angemessenheit und Legitimität sind [Marcussen u.a. 1999: 629].

II) Konzept des kritischen Zeitpunktes [Marcussen u.a. 1999: 614, 616, 631]

Da die Resonanzannahme nur klärt, welche Ideen und Konzepte verfügbar sind, nicht aber, wann diese in die politische Diskussion eingebracht werden und wieso dies genau so möglich ist, braucht man das Konzept des kritischen Zeitpunktes [Marcussen u.a. 1999: 614]. Kritische Zeitpunkte zeichnen sich dadurch aus, dass sie die bestehende politische Ordnung und ihre Ideen herausfordern und/oder in Frage stellen. Kurz gesagt kann man einen kritischen Zeitpunkt folgendermaßen definieren: "We define critical junctures as perceived crisis situations occuring from complete policy failures, but also triggered by external events." [Marcussen u.a. 1999: 616, Her­vorhebung im Original] Bei den kritischen Zeitpunkten handelt es sich also um eine wahrgenommene (innere oder äußere) Krise. Kritische Zeitpunkte sind Möglichkeits­fenster, in denen die politischen Eliten auf die Ideen und zugrunde­liegenden Konzepte der politischen Ordnung einwirken können. " '(C)ritical junctures' provide a window of opportunity for party élites to deconstruct, reconstruct and manipulate" [Marcussen u.a. 1999: 629f]. Um wirksam sein zu können, müssen kritische Zeit­punkte als solche wahr­ge­nommen und konstruiert werden [Marcussen u.a. 1999: 630].

III) Interessenannahme [Marcussen u.a. 1999: 615, 617, 631]

Die Resonanzannahme und das Konzept des kritischen Zeitpunkts klären, welche Ideen und Konzepte wann verfügbar sind. Sie klären aber noch nicht, welche neuen Ideen und Konzepte letztlich von den politischen Eliten gewählt werden und damit sich als neue Ideen und Konzepte durchsetzen können. [Marcussen u.a. 1999: 629]

Dies wird von der sogenannten Interessenannahme geklärt: Gewählt werden die neuen Ideen oder Konzepte, die die wahrgenommenen Interessen der politischen Eliten am besten erfüllen [Marcussen u.a. 1999: 631]. Ergibt sich durch einen kritischen Zeit­punkt eine Situation, in der die bestehenden Ideen und Konzepte der alten politischen Ordnung angreifbar sind, werden die politischen Eliten versuchen, von den verfüg­baren und legitimen neuen Ideen (vgl. Resonanzannahme) die durchzusetzen, die zu ihren eigenen Ideen, Vorstellungen und Interessen am besten passen [Marcussen u.a. 1999: 614, 617, vgl. 629, 631].

"(P)olitical élites select in a instru­men­tal fashion from the ideas available to them according to their perceived interests, parti­culary during 'critical junctures' " [Marcussen u.a. 1999: 615, Hervorhebung im Original].

An dieser Stelle unterscheiden Marcussen u.a. noch zwischen offenen und geschlossenen politischen Diskursen: Offene politische Diskurse sind solche, in denen über entscheidende Konstruktionen noch gestritten wird bzw. werden kann. In ge­schlossenen Diskursen gibt es bereits bestimmte, konsensual anerkannte Konstruk­tionen, die nur noch schwer angreifbar sind und damit den Diskurs für bestimmte Themen und Akteure von vornherein verschließen oder schwer zugänglich machen [1999: 630].

IV) Sozialisierungsthese [Marcussen u.a. 1999: 617, 630f]

Die Sozialisierungsthese besagt Folgendes: Sobald eine Konstruktion konsensual ist, tendiert sie dazu, internalisiert zu werden, d.h. die Akteure nehmen diese als ihre eigene Konstruktion wahr. Sie bleibt damit (in der Regel) bis zum nächsten wahrge­nommenen kritischen Zeitpunkt stabil. [Marcussen u.a. 1999: 631] Wenn also Ideen oder Konzepte konsensual konstruiert wurden, dann werden sie höchstwahrscheinlich auch internalisiert und institutionalisiert und damit resistent gegenüber Wandel [vgl. Marcussen u.a. 1999: 615].

"A ' socialization ' argument claims that ideas and identity constructions be­come consensual when actors thoroughly internalize them, perceive them 'as their own', and take them for granted. Once a set of ideas about political order have become consensual, they are likely to be embedded in institutions and in a country's political culture." [Marcussen u.a. 1999: 617, Hervorhebung im Original]

Mit Institutionen sind hier sowohl formale Organisationen, Prozeduren und Regeln ge­meint, als auch gewohnte Handlungsformen und gemeinsame Verständnisse darüber, wie Dinge zu tun sind [Marcussen u.a. 1999: 617][14].

Sind einmal also bestimmte Ideen und Konzepte konsensual, dann neigen sie dazu, zeit­[MB1] lich stabil zu sein durch Internalisierung bei den politischen Akteuren und Institu­tionalisierung in der politischen Ordnung [Marcussen u.a. 1999: 614].

Dieses Vier-Stufen-Prozess-Modell lässt sich folgendermaßen darstellen:

adaptiert nach: Marcussen u.a. 1999

Abb. 3: Das konstruktivistische Integrationsmodell von Marcussen u.a. [1999]

2.3.1 Vorhersagen und Erwartungen des konstruktivistischen Modells bezüglich der Ein­wanderungs- und Asylpolitik der EU

Bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik erwartet dieses konstruktivistische Modell Folgendes:

Anknüpfungspunkte für die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik finden sich in der Idee des Binnenmarktes mit seinen vier Grundfreiheiten [IA.16; IA.17; Müller-Graff 1996b: 21f], die im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 ins Primärrecht der EG aufgenommen wurde [IA.16; Epiney 1995a: 21; Läufer 1995: 107]. So wird Einwanderungs­- und Asylpolitik zunächst nur als "Neben­produkt des Binnenmarktes" verstanden [Riegraf 2000: 4]. Ein weiterer Resonanz­boden für die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik der EU wird zusätzlich durch die Schaffung des Schengen-Regime ab 1985 außerhalb der EG bzw. EU geschaffen [Epiney 1995a: 21f, 24]. Damit die neue Idee aus den 80er Jahren sich dann auch innerhalb der EG bzw. EU durch­setzen kann, braucht man einen kritischen Zeitpunkt: Am Ende der 80er Jahre und Anfang der 90er Jahre gab es mehrere solcher kritischen Zeitpunkte: Einerseits das Ende des Kalten Krieges (Wegfall des Eisernen Vorhangs und Öffnung der Grenzen nach Osten, Zerfall der Sowjetunion), andererseits der Zerfall Jugoslawiens und der nachfolgende Krieg [Ausschuss der Regionen 1999: 1; Brochman 1996: 186; Achermann 1995: 80f]. Dass die Krise als solche wahrgenommen wurde, lag insbesondere daran, dass beide Ereignisse zu starken Migrationsströmen in die EG bzw. EU hinein führten [Ausschuss der Regionen 1999: 1] (z.B. sprunghafte Zunahme der in der EG bzw. EU ge­stellten Asylanträge [IA.18]). Ein weiterer kritischer Zeitpunkt wurde durch die Einführung des Binnenmarktes am 1.1.1993 erzeugt [Brochman 1991: 185; Gimbal 1994a: 51]. Dieser kritische Zeitpunkt wurde aber nicht von allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wahrge­nommen, da einige Mitgliedstaaten - trotz der Verpflichtung des Abbaus der Kontrollen an den Binnengrenzen - diese beibehielten [Gimbal 1994a: 51f; vgl. auch Brübach 1997: 102f]. Insgesamt führen diese kritischen Zeitpunkte dazu, dass die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik in den Rahmen der EG bzw. EU auf­genommen werden wird, da sie auf einen fruchtbaren Boden fällt. In welcher Art und Weise die gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik nun aufgenommen wird, ist von den Interessen der politischen Akteure, hier insbesondere den Mitgliedstaaten und den Organen der EG bzw. EU abhängig (Interessenannahme) [Marcussen u.a. 1999: 631; vgl. zur Interessenlage insbes. Gimbal 1994a: 68-83]. Die Mitgliedstaaten, die insbesondere aus Gründen der Stabilität weiterhin an ihrer eigenen Souveränität interessiert sind, werden eine intergouvernementale und restriktive Verregelung dieser Politikbereiche anstreben [Brochman 1991: 190; Gimbal 1994a: 68-81]. Die Organe der EG bzw. EU sind dagegen daran interessiert, die Vergemeinschaftung voranzutreiben, da dadurch ihr Einfluss und ihre Bedeutung deutlich gesteigert wird [Gimbal 1994a: 81-83]. Dass eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik gefunden wird, erwartet also dieses konstruktivistische Modell. Ob die erste gefundene Regelung in diesen Politikbereichen intergouvernementa­listisch oder supra­national ist, hängt von den bestehenden Interessen der Akteure ab [vgl. Brübach 1997: 140 und Gimbal 1994a: 84-88]. Die Sozialisationsthese geht dann aber da­von aus, dass die neuen Ideen in die bestehende politische Ordnung und institutionellen Rahmen eingepasst werden [Marcussen 1999: 617]. Langfristig, d.h. nachdem die Akteure die neue Idee internalisiert haben, ist also eine Vergemeinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik in der EU zu erwarten, wobei sich die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik auch von ihrem ursprünglichen Anknüpfungspunkt, nämlich dem Binnenmarkt, emanzipieren wird und zu einer eigenen selbständigen Idee werden [vgl. Heimann 1999: 72f und IA.17]. Eine genaue Betrachtung und Über­prüfung dieser Erwartungen an der Empirie erfolgt in Kapitel 3.5 (S. 79), in diesem werden vor allem auch die Erklärungsschwierigkeiten und -unzulänglichkeiten der beiden anderen, klassischen Integrationstheorien beachtet.

2.4 Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Hypothesen der Theorien

2.4.1 Hypothesen

Liberaler Intergouvernementalismus:

In der Einwanderungs- und Asylpolitik wird es aufgrund der unterschiedlichen Zuwande­rungs­ströme und der Brisanz sowie Sensibilität des Politikfeldes sowie seiner Unkal­kulier­barkeit keine weitreichende Integration und keine Abgabe von Souveräntitäts­rechten an supranationale Institutionen geben. Lose Kooperation, Ad hoc-Initiativen und -Programme sowie Informationsaustauschsysteme sind jedoch durchaus denkbar, da dadurch zugunsten aller Staaten die gemeinsamen Probleme besser bearbeitet oder sogar gelöst werden können und die ungünstigen Vorbedingungen gegebenenfalls verringert werden können, ohne dass die Souveränität der einzelnen Staaten beeinträchtigt wird.

Neofunktionalismus:

Die funktionale Verbindung zwischen Binnenmarkt und der Einwanderungs- und Asyl­politik führt zu einem spill-over­ -Effekt. Es wird also eine rasche und weitreichende Ver­gemeinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik geben, womit auch die Abgabe von Souveräntitätsrechten an supranationale Institutionen verbunden ist. Vor allem nach dem Vertrag von Maastricht ist mit einem schnellen spill-over -Effekt zu rechnen, da die Visa­politik als Teilgebiet dieses Politikfeldes schon teilweise vergemeinschaftet worden ist, so dass sich zwangsläufig starke funktionale Notwendigkeiten zur weiteren Vergemein­schaftung ergeben.

Das konstruktivistische Integrationsmodell von Marcussen u.a.:

Für die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik der EU gibt es ent­sprechende Anknüpfungspunkte (Binnenmarkt, Schengen), so dass zu einem kritischen Zeitpunkt (Ende des Kalten Krieges, Zerfall Jugoslawiens) diese Idee in die politische Ordnung aufgenommen werden kann. Ob und wie dies geschieht, hängt von den Interessen der Akteure ab, im Falle der EU also einerseits von den Mitgliedstaaten und andererseits von den EU-Institutionen. Die Staaten werden intergouvernementale Regelungen und die EU-Institutionen supranationale bevorzugen. Zu einem kritischen Zeitpunkt kann die zu­nächst gefundene Regelung also sowohl intergouvernementaler als auch supranationaler Art sein. Nach der Internalisierung der Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asyl­politik der EU bei allen Akteuren ist jedoch - gerade auch im Fall der zunächst nur inter­gouvernementalen Verregelung - mit einer Erhöhung der Bindungswirkung dieser Idee sowie ihrer Emanzipation vom ursprünglichen Anknüpfungspunkt zu rechnen: Es werden also zunehmend supranationale Regelungen bevorzugt und die Integration weiter vertieft.

2.4.2 Tabellarische Gegenüberstellung

Hinweis: Die problematischen Punkte der vorgestellten Theorien sind hier fett gedruckt.[15] [16] [17] [18]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3 Empirischer Teil

Der empirische Teil beginnt mit relevanten und wichtigen Definitionen und Erläuterungen zum Thema Einwanderungs- und Asylpolitik. Diese werden alphabetisch aufgeführt, um sie bei der späteren Lektüre des empirischen Teils besser nutzen zu können.

Danach folgt ein historischer Überblick über die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU: Dieser umfasst vor allem die Zeit von Maastricht bis Tampere. Allerdings wird auch die Zeit vor Maastricht beachtet, da diese entscheidende Auswirkungen auf die Ergebnisse von Maastricht selbst und die ganze Entwicklung der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU hatte.

Der historische Überblick erfolgt theoriegeleitet, d.h. es wird ein selektiver Blick auf die Empirie geworfen und für die Theorien relevante Ereignisse und Geschehnisse darge­stellt[19]: So werden insbesondere jeweils die Zeitpunkte betrachtet, an denen die Integration vertieft wurde, da dies ein Erklärungsproblem des Neofunktionalismus ist (vgl. unten Kapitel 3.4, S. 78), sowie der Frage nachgegangen, warum es überhaupt zu einer verge­mein­schafteten Integration kommen konnte, da dies der liberale Intergouvernementalismus in diesem Politikfeld nicht erwartet (vgl. unten Kapitel 3.3, S. 76).

Anhand dieser strukturierten Beobachtung mit Hilfe der Theorien werden dann die Erklärungs­probleme der beiden klassischen Integrationstheorien, liberaler Intergouverne­men­talismus und Neofunktionalismus, genauer herausgearbeitet. Die Erwartungen und Hypo­thesen der Theorien werden mit der Empirie verglichen. Die dabei entstehenden Probleme und Erklärungs­unzulänglichkeiten werden dann mit dem konstruktivistischen Modell von Marcussen u.a. [1999] geschlossen[20]: Hier werden insbesondere die kritischen Zeit­punkte, an denen Integration und die Annahme neuer Ideen stattfinden kann, sowie die zu diesen Zeitpunkten schon bestehenden Ideen, an die dann angeknüpft werden kann, betrachtet und herausgearbeitet.

3.1 Definitionen und Erläuterungen

In diesem Kapitel sind die für das Thema Einwanderungs- und Asylpolitik wichtigen Erläuterungen und Definitionen alphabetisch und mit Querverweisen, also wie in einem Lexikon, aufgeführt.

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte"[21] wurde am 10.12.1948 von der General­versammlung der Vereinten Nationen verkündet [Randelzhofer 1998: 125]. Sie enthält ein generelles Freizügigkeits- und Niederlassungsrecht für Menschen innerhalb eines Staates, die sich legal in diesem aufhalten, sowie ein Emigrationsrecht (Art. 13 All­ge­meine Erklärung der Menschenrechte) [Seidel 1996: 206]. Weiterhin enthält die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Art. 14 grundsätzlich das Recht für jeden Menschen, "in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen", womit aber kein indi­viduelles, subjektives Recht auf Asyl begründet wird [Seidel 1996: 221].

siehe auch: De-facto-Flüchtlinge, Europäische Menschenrechtskonvention

Asyl

Asyl (von griech. asylon = unverletzlich) bedeutet die "Freistatt". Es handelt sich um einen "Ort, an dem einem Verfolgten Schutz vor dem Zugriff seiner Verfolger gewährt wird" [Schmidt 1995: 70].

Asylberechtigte

Asylberechtigte sind die Flüchtlinge, über deren Asylantrag positiv entschieden wurde, so dass sie als Flüchtlinge anerkannt sind [Nuscheler 1995: 71, 116; vgl. Schmuck 1996: 276]. Wer asylberechtigt ist, wird letztlich durch das nationale Asylrecht der einzelnen Staaten bestimmt [Nuscheler 1995: 79f]. Dieses ist allerdings auch durch starke Unterschiede zwischen den Staaten geprägt [Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 14]. Im euro­päischen Rahmen gibt es neben den nationalen Regelungen auch völkerrechtliche Ver­träge und Übereinkünfte, die zu beachten sind. Einschlägig sind hier die Europäische Menschen­rechtskonvention (EMRK) und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Für die EU-Staaten kommt als weitere wichtige Rechtsquelle der Vertrag über die Europäische Union hinzu. [vgl. Seidel 1996: 219-221] Zu beachten ist aber, dass diese internationalen Regelungen sich vornehmlich darauf beziehen, wie mit Asylbewerbern und Asyl­berechtigten umgegangen werden soll, als darauf, wem letztendlich Asyl gewährt wird [Brübach 1997: 142; Nuscheler 1995: 79f; Seidel 1996: 226]. Dennoch hat die GFK mit ihrer Definition des politischen Flüchtlings bzw. von politischer Verfolgung Mindest­standards für die Asylgewährung festgelegt [Nuscheler 1995: 28; Seidel 1996: 229].

siehe auch: Asyl, Asylbewerber

Asylbewerber

Asylbewerber sind die Flüchtlinge, die einen Antrag auf Asyl gestellt haben und über deren Antrag noch nicht abschließend entschieden wurde [Ausschuss der Regionen 1999: 4; vgl. Schmuck 1996: 276].

siehe auch: Asyl, Asylberechtigte

Asylpolitik

Ziel der Asylpolitik ist der Schutz von Flüchtlingen und Verfolgten [vgl. Achermann 1995: 124]. Asylpolitik bezieht sich auf den Bereich der formalen und mate­riellen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit von einem Staat Asyl gewährt wird [vgl. Brübach 1997: 54]. Diese werden in der Regel in entsprechenden Gesetzen ge­regelt. Weiterhin umfasst Asylpolitik aber auch bürokratische bzw. verwaltungs­technische Ver­fahren und Praktiken beim Asylverfahren und gegebenenfalls bei einer späteren Ab­schiebung [vgl. Nuscheler 1995: 139f]. Die Asylpolitik ist von der Einwanderungspolitik im weiteren Sinne dadurch zu unterscheiden, dass es bei ihr nur einen minimalen Er­messensspielraum gibt. Bei der Asylpolitik ist der Staat an sein nationales Recht und seine Definition eines (meist politischen) Flüchtlings gebunden. Erfüllt ein Asylbewerber die formalen und materiellen Voraussetzungen, dann ist ihm Asyl zu gewähren. [Brübach 1997: 152] Die Asylpolitik soll außerdem durch z.B. handels- und entwicklungs­politische Maßnahmen, um den Zuwanderungsdruck zu verringern, [Achermann 1995: 127f] sowie durch Abkommen mit Drittstaaten (z.B. Rückübernahme­abkommen) [Achermann 1995: 91] flankiert werden[22].

siehe auch: Einwanderungspolitik i.e.S. und i.w.S., Visapolitik

Asylrecht

Das Asylrecht regelt in demokratischen Verfassungsstaaten die "rechtlichen Bedingungen der Gewährung von Zuflucht für Verfolgte" [Schmidt 1995: 71]. Das Asylrecht besteht aus formalen, inhaltlichen und verwaltungstechnischen Regelungen, wann in einem Staat Asyl gewährt wird [vgl. Brübach 1997: 54; Nuscheler 1995: 139f; Zott 1999: 52].

siehe auch: Asyl, Asylpolitik

Asylsuchende

siehe Asylbewerber

Ausländer

Die Definition, wer ein Ausländer ist, ist schwierig und zumeist vom Kontext abhängig. Zwar lässt sich formal ein Ausländer definieren als "jemand, der nicht die inländische Staats­angehörigkeit besitzt", aber dennoch werden Ausländer je nach Situation und Her­kunfts­land in unterschiedliche Kategorien eingeordnet [Keller 2000a: 1][23]. Wer konkret als Inländer und wer als Ausländer gilt, legen die nationalstaatlichen Regelungen fest [Jackson 1996: 75]. Im Kontext der EU ist vor allem die Unterscheidung zwischen EU-Aus­­ländern, die mit einigen Ausnahmen die gleichen Rechte wie Inländer haben, und Dritt­staats­­angehörigen, für die je nach Mitgliedstaat immer noch unterschiedliche Regelungen gelten [Jackson 1996: 75-77; Keller 2000a: 1].

siehe auch: Drittstaatsangehörige, EU-Ausländer

Ausländer aus Drittstaaten

siehe Drittstaatsangehörige

Ausländer aus EU-Staaten

siehe EU-Ausländer

De-facto-Flüchtlinge

Es handelt sich hierbei um Menschen, die ihr Herkunftsland wegen bewaffneter Konflikte, Umweltkatastrophen oder auch aus wirtschaftlicher Not verlassen haben, jedoch nicht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt werden [Brübach 1997: 138, 142; Hillenbrand 1997: 57f; Heimann 1999: 23]. In der Regel haben diese Flüchtlinge keinen Asyl­antrag gestellt oder er wurde abgelehnt. Dennoch erfolgt oft­mals aus rechtlichen, politischen und/oder humanitären Gründen keine Abschiebung in das Heimat­land. Das humanitäre Bleibe­recht bzw. der humanitäre Status dieser De-facto-Flücht­linge stützt sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte[24], die Euro­päische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flücht­lingskonvention. [Schmuck 1996: 276; Kohl 2000: 4]

siehe auch: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Europäische Menschenrechts­konvention, Flüchtlinge, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention, humanitärer Status, Kontingentflüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge

Drittausländer

siehe Drittstaatsangehörige

Drittstaatsangehörige

Drittstaatsangehörige sind grundsätzlich alle Ausländer, die nicht die Unionsbürgerschaft haben, also kein Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaates, sondern eines dritten Landes sind[25] [Gehring 1998: 55; Nanz 1996: 64]. Die Unterscheidung zwischen EU-Bürgern und Drittausländern wurde erst mit der Einführung der Unionsbürgerschaft eingeführt [Green 1999: 15].

siehe auch: Ausländer, EU-Ausländer, Unionsbürger

Einwanderungspolitik im engeren Sinne

Die Einwanderungspolitik im engeren Sinne bezieht sich auf langfristige, d.h. drei Monate überschreitende Aufenthalte von Drittstaatsangehörigen in einem Mitglied­staat der EU [Müller-Graff/Kainer 1998: 125]. Die Einwanderungspolitik im engeren Sinne ist insbe­sondere von der Visapolitik abzugrenzen [Nanz 1996: 64].

siehe auch: Einwanderungspolitik i.w.S., Visapolitik

Einwanderungspolitik im weiteren Sinne

Die Einwanderungspolitik im weiteren Sinne umfasst die Visapolitik und die Ein­wanderungspolitik im engeren Sinne. Die Einwanderungspolitik im weiteren Sinne ist vor allem von der Asylpolitik abzugrenzen: Bei der Einwanderungspolitik i.w.S. trifft der Staat eine Ermessensentscheidung bei der Zulassung von Drittstaatsangehörigen, da diese Migration in der Regel aus wirtschaftlichen, touristischen oder ähnlichen Gründen erfolgt. Es gibt bei der Asylpolitik nur einen minimalen Ermessensspielraum. [Brübach 1997: 148, 152] Allerdings ist durch die restriktive Einwanderungspolitik aller EU-Staaten seit Mitte der 70er Jahre der Trend zu erkennen [Sassen 1996: 116; Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 13], dass einwanderungswillige Ausländer aufgrund der fehlenden legalen Einwanderungsmöglichkeit auf andere Formen des Zugangs zur EU aus­weichen: Einerseits werden Asylanträge gestellt [Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 13], andererseits steigt die illegale Einwanderung [Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 16]. Die Trennung zwischen Ein­wanderungs­politik im weiteren Sinne und Asylpolitik ist also theo­retisch eindeutig, zeigt sich in der Praxis aber als durchaus schwieriges Problem (vgl. auch De-facto-Flüchtlinge) [Brübach 1997: 140f, 152].

siehe auch: Asylpolitik, Einwanderungspolitik i.e.S., Visapolitik

EU-Ausländer

Die Kategorie der EU-Ausländer entsteht durch die im Art. 17 EGV n.F. verankerte Unions­­bürgerschaft [Green 1999: 15; vgl. Hillenbrand 1995: 388]. Durch die Unions­bürger­schaft findet eine Differenzierung zwischen Drittstaatsangehörigen bzw. Ausländern aus Drittstaaten einerseits und EU-Ausländern andererseits statt [Green 1999: 15]. Art. 17 (1) EGV n.F. definiert die Unionsbürgerschaft folgendermaßen: "Es wird eine Unions­bürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mit­gliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht" [Khan 1998a: 264]. Wer allerdings Staatsangehöriger eines Mit­glied­staats ist, entscheiden die Mitgliedstaaten durch ihr nationales Recht alleine [Jackson 1996: 75]. Es ist mit der Unionsbürgerschaft keine Harmonisierung der nationalen Staats­angehörig­keitsrechte verbunden [Green 1999: 15].

siehe auch: Ausländer, Drittstaatsangehörige, Unionsbürger

Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK

Die (Europäische[26] ) "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" [Randelzhofer 1998: 134] wurde am 4.11.1950 von den Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet [Hillenbrand 1995: 363]. Die Unterzeichnerstaaten, zu denen auch alle EU-Staaten gehören, verpflichten sich dazu, die wichtigsten Grundrechte kollektiv zu schützen [Hillenbrand 1995: 363]. Die EMRK wird oft in Anspruch genommen, wenn es um "Flüchtlingsfragen, Asylbewerber und illegale Einwanderung in Europa geht" [Kohl 2000: 4]. Das Asylrecht selbst wird in der EMRK nicht direkt angesprochen [Kohl 2000: 4], allerdings enthält die EMRK und ihre Zusatzprotokolle Regelungen, die die Ein­wanderung und das Asylrecht betreffen: So wird bei einem rechtmäßigen Aufenthalt im Hoheits­gebiet eines Staates Freizügigkeit garantiert[27] und es gibt das Recht zur Emigra­tion (4. Zusatzprotokoll zur EMRK, Art. 2). Weiterhin wird die Einreise ins Heimat­land garantiert (4. Zusatzprotokoll zur EMRK, Art. 3) [Seidel 1996: 204f] sowie die Über­prüfung des Einzelfalls und Beachtung der rechtsstaatlichen Verfahren bei einer drohenden Abschiebung (7. Zusatzprotokoll zur EMRK, Art. 1 und 4. Zusatzprotokoll zur EMRK, Art. 4). [Seidel 1996: 219, 226f] Die EMRK kennt also keine Pflicht zur Asylgewährung, die Ausgestaltung des Asylrechts soll aber in Übereinstimmung mit den Bestimmungen dieses Abkommens erfolgen [Seidel 1996: 226].

siehe auch: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, De-facto-Flüchtlinge

Familiennachzug

Der Nachzug von Ehegatten und Kinder von in einem EU-Staat arbeitenden Drittaus­ländern ist trotz der Verschärfung der legalen Einwanderungsbedingungen in den EU-Staaten seit Mitte der 70er Jahre weiterhin möglich [Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 13; Sassen 1996: 116; Schmuck 1996: 276]. Grundlage hierfür ist neben den bestehenden nationalstaatlichen Gesetzen vor allem Art. 8 (1) der Europäischen Menschenrechts­konvention: "Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs" [Randelzhofer 1998: 138].

siehe auch: Europäische Menschenrechtskonvention

Familienzusammenführung

siehe Familiennachzug

Fluchtgründe

Es wird hier zwischen Vorflucht- und Nachfluchtgründen unterschieden. Vorfluchtgründe sind solche Gründe, die schon vor der Flucht bestanden und zu ihr führten. Nachflucht­gründe sind solche, die erst nach der Flucht entstanden sind: Hier unterscheidet man einer­seits zwischen Gründen, die sich nachträglich, ohne Zutun des Flüchtlings er­geben haben (z.B. durch Regierungswechsel o.Ä.), und andererseits Gründen, die der Flüchtling durch seine Handlungen geschaffen hat (z.B. durch den Beginn der Tätigkeit in einer Exil­organisation etc.). Bei letzteren Nachfluchtgründen handelt es sich um die sogenannten "provozierten" oder "gewillkürten" Nachfluchtgründe. [Nuscheler 1995: 154] Provozierte, gewillkürte Nachfluchtgründe, soweit diese nicht doch schon vorher ange­legt waren, werden in der Regel nicht mehr als Fluchtgründe beim Asylverfahren anerkannt. Oft werden Asylbewerber aufgrund der nicht berücksichtigten Nachflucht­gründe nicht als Asylberechtigte anerkannt. Sie werden aber auch nicht abge­schoben, da ihnen politische Verfolgung im Heimatland droht. Sie erhalten in der Regel einen humanitären Bleibestatus. [Nuscheler 1995: 155]

siehe auch: Asylbewerber, Asylberechtigte, humanitärer Status, politische Verfolgung

Fluchtursachen

Fluchtbewegungen sind Migrationsvorgänge, die besonders durch Schubfaktoren ausgelöst werden [Nuscheler 1995: 39]. Dazu gehören z.B. Kriege, Verfolgung von Minderheiten, Naturkatastrophen, Massenarmut, Repression und politische Verfolgung [Nuscheler 1995: 40-42].

siehe auch: Migration, Migrationsursachen, Schubfaktoren

Flüchtlinge

Allgemein können "Flüchtlinge" definiert werden als Menschen, die in Notzeiten ihren Wohnort, meist sogar ihr Land verlassen müssen [Sassen 1996: 50].

Bei dem Begriff Flüchtling handelt es sich aber dennoch um einen heterogenen Sammel­begriff, der viele verschiedene Arten von Flüchtlingen beinhaltet. So werden z.B. Asyl­bewerber, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. politische Flücht­linge, De-facto-Flüchtlinge, Flüchtlinge mit humanitärem Status, Binnenflüchtlinge bzw. innerstaatliche Vertriebene[28], illegale Einwanderer und Wirtschaftsflüchtlinge unter­schieden [Ausschuss der Regionen 1999: 4f; Marie 1997: 12; Nuscheler 1995: 28, 40].

siehe auch: Asylbewerber, De-facto-Flüchtlinge, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flücht­lingskonvention (GFK-Flüchtlinge), humanitärer Status, illegale Einwanderer, Kontingent­flüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge

Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, GFK-Flüchtlinge

Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) enthält eine Legaldefinition des Begriffs politi­scher Flüchtling in Art. 1 (A) Nr. 2 [Heimann 1999: 23; Schmuck 1996: 276; Seidel 1996: 220]. Demnach gelten als politische Flüchtlinge Personen, die begründete "Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung" haben [Nuscheler 1995: 72f]. Damit fallen bestimmte Migrationsursachen von den De-facto-Flüchtlingen aus der Flüchtlingsdefinition der GFK heraus: Die GFK erkennt z.B. wirt­schaftliche Not, Umweltkatastrophen, Bürgerkriege und frauenspezifische Verfolgung nicht als Fluchtursachen an [Achermann 1995: 103f; Nuscheler 1995: 74].

siehe auch: De-facto-Flüchtlinge, Flüchtlinge, Genfer Flüchtlingskonvention, Migrations­ursachen

Genfer Flüchtlingskonvention, GFK

Das "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" vom 28.7.1951[29], die soge­nannte Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), ist eine wichtige Grundlage des internationa­len Flüchtlingsrechts [Nuscheler 1995: 71]. Die GFK ist verbindlich für alle EU-Staaten, da sie von allen unterzeichnet und ratifiziert wurde [Brübach 1997: 61]. Sie begründet allerdings kein Recht auf Asyl, sondern regelt den Rechtsstatus derjenigen, die bereits Asyl erhalten haben [Nuscheler 1995: 71].

Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält eine Legaldefinition des politischen Flüchtlings in Art. 1 (A) Nr. 2 [Heimann 1999: 23; Schmuck 1996: 276; Seidel 1996: 220], an der sich die Unterzeichnerstaaten bei der Asylgewährung in der Regel orientieren [vgl. für den deutschen Fall Nuscheler 1995: 150]:

"Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck 'Flüchtling' auf jede Person Anwendung, die [...] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb ihres Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in An­spruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will [...]." [Randelzhofer 1998: 158f; Seidel 1996: 220]

Außerdem findet sich in der GFK die sogenannte non-refoulement -Regel (Nicht-Zurück­weisung-Regel), die verbietet, einen Flüchtling gegen seinen Willen in das Land, aus dem er geflüchtet ist, zurückzuweisen [Nuscheler 1995: 71].

Problematisch ist bei der GFK aber, dass sie mit ihrer rechtlichen Definition von "Flüchtling" die De-facto-Flüchtlinge ausgrenzt [Nuscheler 1995: 76].

siehe auch: De-facto-Flüchtlinge, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

GFK-Flüchtlinge

siehe Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

humanitärer Status, humanitäres Bleiberecht

Es handelt sich hierbei um ein begrenztes Bleiberecht, das Flüchtlingen und Vertriebenen gewährt wird, die nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aner­kannt worden sind, bei denen aber dennoch Gefahr für Leib und Leben besteht, wenn man sie in ihr Heimatland abschieben würde [Ausschuss der Regionen 1999: 4f; Heimann 1999: 23].

siehe auch: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, De-facto-Flüchtlinge, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, Genfer Flüchtlingskonvention

illegale Einwanderer

Es handelt sich hierbei um "Personen, die in keinen offiziellen Statistiken geführt werden und leichte Beute krimineller Organisationen sind" [Ausschuss der Regionen 1999: 5]. Illegale Einwanderer kommen auf vielen verschiedenen Wegen nach Europa: Einer Schätzung zufolge bleibt ein Großteil der abgelehnten Asylbewerber illegal in Westeuropa. Außerdem gibt es Einwanderer, die länger bleiben als ihr ursprüngliches Visum bzw. Sichtvermerk es eigentlich erlaubt. Ein dritter Zugangsweg ist durch schwache Grenz­kontrollen und eine informelle Wirtschaft sowie die geographische Nähe zwischen Nord­afrika und Südeuropa gegeben, das daher ein erster Anlaufpunkt für illegale Einwande­rung ist. [Baldwin-Edwards/Schain 1994b: 4]

ius sanguinis (Recht des Blutes)

Es handelt sich hierbei um das Abstammungsprinzip [Green 1999: 6]. Die Staatsange­hörig­keit einer Person richtet sich nach der Abstammung, also danach, welche Staatsangehörig­keit die Eltern haben [Sassen 1996: 134].

siehe auch: ius soli

ius soli (Recht des Bodens)

Es handelt sich hierbei um das Territorialprinzip [Green 1999: 7]. Die Staatsangehörigkeit richtet sich hier danach, an welchem Ort bzw. in welchem Land die betreffende Person ge­boren wurde [Sassen 1996: 134].

siehe auch: ius sanguinis

kleines Asyl

siehe humanitärer Status, humanitäres Bleiberecht

Kontingentflüchtlinge

Kontingentflüchtlinge sind eine Untergruppe der De-facto-Flüchtlinge mit einem eigenen Rechtsstatus. Es handelt sich hierbei um De-facto-Flüchtlinge, bei denen aus humanitären Gründen eine bestimmte Zahl bzw. ein bestimmtes Kontingent aufgenommen wird. [Schmuck 1996: 276]

siehe auch: De-facto-Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flücht­lingskonvention

Konventionsflüchtlinge

siehe Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

Migration

Der Migrationsbegriff ist sehr recht weit gefasst:

"Der Begriff der Migration umfasst alle Wanderungsbewegungen: die interne Land­flucht, grenzüberschreitende Wanderungen aus verschiedenen Motiven, die frei­willige Auswanderung oder Vertreibung durch Kriege oder Diktatoren, die durch Arbeitsverträge regulierte Arbeitsmigration und die 'wilde' oder illegale Suche nach Arbeit jenseits der Grenzen des eigenen Staates." [Nuscheler 1995: 27]

Migration umfasst damit sowohl Wanderungen im Rahmen der legalen und illegalen Ein­wan­derung als auch alle Flüchtlingsbewegungen und natürlich die damit verbundene Asyl­gewährung.

siehe auch: Asyl, Ausländer, Flüchtlinge, Einwanderungspolitik i.e.S. und i.w.S.

Migrationsursachen

Bei den Migrationsursachen unterscheidet man zwischen sogenannten Sogfaktoren (pull -Faktoren) und sogenannten Schubfaktoren (push -Faktoren), die jedoch häufig nicht trenn­scharf unterschieden werden können bzw. sich gegenseitig beeinflussen und bedingen [Nuscheler 1995: 32].

siehe auch: Fluchtursachen, Schubfaktoren der Migration, Sogfaktoren der Migration

politische Flüchtlinge

siehe Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

politische Verfolgung

Es handelt sich hierbei um Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention: Politi­sche Verfolgung umfasst dabei nur Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zuge­hörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung [Nuscheler 1995: 72f].

siehe auch: Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlings­konvention

refugees in orbit

Es handelt sich hierbei um Flüchtlinge, für die sich kein Land zuständig fühlt. Solche Flüchtlinge erhalten nicht die Möglichkeit, ihren Asylantrag in irgendeinem Land zu stellen und werden zwischen verschiedenen Staaten hin- und hergeschoben [Achermann 1995: 91, 111]. Es wird kritisiert, dass die gefundene Regelungen sichere Herkunftsstaaten und sichere Drittstaaten das Entstehen von refugees in orbit nicht verhindern [Achermann 1995: 91, 108, 111].

siehe auch: sichere Drittstaaten, sichere Herkunftsstaaten

Schubfaktoren der Migration

Nuscheler definiert Schubfaktoren kurz und prägnant:

"Schubfaktoren (push-Faktoren), die Menschen dazu bewegen oder dazu zwingen, ihre Heimat (Dorf/Stadt, Region, Land) zu verlassen, sind Bedingungen am Herkunftsort, die als unerträglich erfahren oder als bedrohlich empfunden werden." [Nuscheler 1995: 32]

Es kann sich hier also z.B. um Naturkatastrophen, Landknappheit, Arbeitslosigkeit (also Armut), soziale Diskriminierung, binnen- oder zwischenstaatliche Kriege, Staatsstreiche oder Revolutionen, politische Verfolgung (direkte Gewalt) oder Zwang der Verhältnisse (strukturelle Gewalt), subjektive Entfremdung oder Frustration handeln [Nuscheler 1995: 32].

siehe auch: Fluchtursachen, Migrationsursachen, Sogfaktoren der Migration

sichere Drittstaaten

Sichere Drittstaaten sind bzw. gelten als verfolgungsfreie Staaten [Brübach 1997: 145]. Das Konzept der sicheren Drittstaaten sieht vor, Flüchtlinge, die aus sogenannten sicheren Drittstaaten einreisen, nicht als Flüchtlinge anzuerkennen, sondern sie stattdessen wieder in dieses sichere Drittland zurückzuschicken [Marie 1997: 13, 51; Neußner 1996: 65], soweit dies aufgrund internationaler Verträge zwischen den beteiligten Staaten möglich ist [Achermann 1995: 108]. Die Einreise über ein sicheres Drittland verhindert damit oft das Recht auf Asyl [Nuscheler 1995: 161].

siehe auch: refugees in orbit, sichere Herkunftsstaaten

sichere Herkunftsstaaten

Sichere Herkunftstaaten sind bzw. gelten als verfolgungsfreie Staaten [Brübach 1997: 145; Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 23]. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten sieht vor, Flüchtlinge, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten einreisen, nicht als Flüchtlinge anzuerkennen, sondern sie stattdessen sofort wieder oder nach einem beschleunigten Asyl­verfahren in dieses sichere Herkunftsland zurückzuschicken [Marie 1997: 13, 51; Neußner 1996: 65; Nuscheler 1995: 161]. Einreisende aus einem sicheren Herkunftsstaat haben damit faktisch kein Recht auf Asyl [Nuscheler 1995: 161].

siehe auch: refugees in orbit, sichere Drittstaaten

Sogfaktoren der Migration

Nuscheler definiert die Sogfaktoren kurz und prägnant:

"Sogfaktoren (pull-Faktoren) entstehen in den Zielländern, indem sie etwas an­bieten (Arbeit, Wohlstand, Freiheit), was auf Angehörige anderer Staaten an­ziehend wirkt." [Nuscheler 1995: 32]

Es kann sich hier also z.B. um saisonale oder dauerhafte Arbeitsmigration handeln [Nuscheler 1995: 32].

siehe auch: Fluchtursachen, Migrationsursachen, Schubfaktoren der Migration

Staatsangehörige dritter Länder

siehe Drittstaatsangehörige

Staatsangehörigkeit

Dies ist die "formale Zugehörigkeit eines Bürgers zu einem Land" [Green 1999: 3 Fussnote 1)].

siehe auch: Staatsbürgerschaft

Staatsbürgerschaft

Dies ist die "inhaltliche Ausfüllung" der "Staatsangehörigkeit durch konkrete Rechte und Pflichten des Bürgers [Green 1999: 3 Fussnote 1)].

siehe auch: Staatsangehörigkeit

Unionsbürger, Unionsbürgerschaft

Art. 17 (1) EGV n.F. definiert die Unionsbürgerschaft und den Unionsbürger folgender­maßen: "Es wird eine Unions­bürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsange­hörig­keit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staats­bürger­schaft, ersetzt sie aber nicht" [Khan 1998a: 264]. Mit der Unions­bürger­schaft sind vor allem die folgenden Rechte verbunden: Freizügigkeit und Nieder­lassungs­freiheit inner­halb der EU sowie aktives und passives Wahlrecht bei Kommunal­- und Europawahlen [Green 1999: 14].

siehe auch: EU-Ausländer

Vertriebene

siehe De-facto-Flüchtlinge

Visapolitik

Die Visapolitik bezieht sich auf kurzfristige, d.h. auf maximal drei Monate andauernde Auf­enthalte von Drittstaatsangehörigen in einem Mitglied­staat der EU, ohne dass eine Er­werbs­tätigkeit aufgenommen wird [Nanz 1996: 64].

siehe auch: Einwanderungspolitik i.e.S.

Wirtschaftsflüchtlinge

Wirtschaftsflüchtlinge fliehen aus wirtschaftlicher Not. Die Kategorie der Wirtschafts­flüchtlinge ist praktisch aber nicht leicht von politischen Flüchtlingen zu trennen: Meist wird der Begriff Wirtschaftsflüchtling auch nur als politischer Kampfbegriff verwendet, um die Privilegien der GFK-Flüchtlinge abzuschaffen [vgl. Marie 1997: 50f, 120]. In den west­europäischen Staaten werden daher Flüchtlinge zunehmend als "getarnte Wirtschafts­immigranten" wahrgenommen [Sassen 1996: 18], und es entsteht der Verdacht, dass viele Flüchtlinge und Asylbewerber Wirtschaftsmigranten seien [Sassen 1996: 142].

siehe auch: Asylbewerber, Flüchtlinge, Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlings­konvention, Genfer Flüchtlingskonvention

3.2 Historischer Überblick zur Einwanderungs- und Asylpolitik der EU - Vor­läufer, Entwicklung, Beschlüsse, Ergebnisse

Der historische Überblick ist anhand der beiden großen Vertragsrevisionen Maastricht und Amsterdam strukturiert [vgl. Khan 1998b: XI] und erfolgt chronologisch. Endpunkt der Betrachtung ist Tampere, eine "Sondertagung über die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union" [Europäischer Rat 1999: Vorwort].

Das Kapitel 3.2.1 "Vor Maastricht" (S. 43) befasst sich mit den Kooperationen und Integrationsversuchen vor Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags, also vor dem 1. November 1993 [Matern/Schultz 1995: 402]. Ausgenommen sind hierbei allerdings das Treffen in Maastricht selbst, das am 9. und 10. Dezember 1991 stattfand [Matern/Schultz 1995: 400] und zur Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags am 7. Februar 1992 führte [Matern/Schultz 1995: 401], sowie seine Ergebnisse, die in einem eigenen Kapitel näher betrachtet werden (Kapitel 3.2.2, S. 50).

Das Kapitel 3.2.3 "Zwischen Maastricht und Amsterdam" (S. 57) beschäftigt sich mit der Zeit ab Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages (1. November 1993) [Matern/Schultz 1995: 402] und endet mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999 [Heimann 1999: 1]. Ausgenommen sind auch hier das Gipfeltreffen in Amsterdam selbst, das vom 16. bis zum 18. Juni 1997 stattfand [Heimann 1999: 1] und zur Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages am 2. Oktober 1997 führte [Heimann 1999: 1; Khan 1998b: XI], sowie die getroffenen Entscheidungen, die im Kapitel 3.2.4 "Amsterdam und Ergebnisse" (S. 63) dargestellt werden. Im Kapitel 3.2.5 "Tampere und Ergebnisse" (S. 74) werden die Ergebnisse der Sondertagung dargestellt, die am 15. und 16. Oktober 1999 im finnischen Tampere stattfand [IA.16; IA.17; Euro­päischer Rat 1999: 1].

3.2.1 Vor Maastricht

Der freie Personenverkehr als Ziel der EG/EU wurde bereits im EWGV von 1957 angelegt, hier aber mit einem stark wirtschaftlichen Zug: Art. 48, 52 und 59 EWGV gewährten Arbeit­­nehmer­freizügigkeit, freies Niederlassungsrecht und freien Dienstleistungsverkehr [Heimann 1999: 2; IA.17].

Daher kam es auf einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungs­chefs der - damals noch neun[30] - Mitgliedstaaten in Paris am 9. und 10. Dezember 1974 auch zu einem "ersten An­stoß für eine Harmonisierung der Ausländergesetzung und die Abschaffung der Pass­kontrollen" [Zott 1999: 29; vgl. Brübach 1997: 5f und Matern/Schultz 1995: 397]: Die Möglich­keiten der Schaffung einer Passunion sollten weitergehend geprüft werden, was jedoch zunächst zu keinen praktischen Ergebnissen führte [Zott 1999: 29]. Die Kommission schlug vor, in zwei Schritten vorzugehen und zunächst Erleichterungen und dann die Aufhebung der Binnengrenzkontrollen vorzunehmen [Epiney 1995a: 23]. Letzt­lich endeten diese Bemühungen der EG jedoch Mitte der 80er Jahre "mit der Einführung des Europa­passes" [Brübach 1997: 6; vgl. Epiney 1995a: 23]. In dieser Zeit, nämlich ab 1984, wurden auch regelmäßige Treffen der Innen- und Justizminister eingerichtet [IA.17; vgl. auch Gimbal 1994a: 54].

Nach­dem die Passunion endgültig gescheitert war, trafen Deutschland und Fran­kreich eine Vereinbarung, die dem Vor­schlag der Kommission entsprach [Epiney 1995a: 23] und schließlich zum "Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch­land und der Regierung der Fran­zö­si­schen Republik über den schrittweisen Abbau der Kon­trollen an der deutsch-französischen Grenze" führte, das am 13. Juli 1984 in Kraft trat [Brübach 1997: 22]. Dieses bilaterale Abkommen hatte vor allem eine wichtige "Signalwirkung": Zwei wichtige Mitgliedstaaten waren nicht mehr dazu gewillt, auf die Um­setzung des gemeinsamen Politikziels innerhalb der EG zu warten, sondern entschieden sich stattdessen dazu, "außerhalb des europäischen Verhandlungssystems bilateral koordi­niert voranzuschreiten" [Gehring 1998: 53]. Der Euro­päische Rat von Fontainebleau am 25. und 26. Juni 1984 entschloss sich auch im Hinblick auf die zwischen Deutschland und Frankreich getroffene Vereinbarung, "das Ziel der Ab­schaffung der inner­gemein­schaft­lichen Grenzen im Personenverkehr erneut zu betonen" [Epiney 1995a: 23f; vgl. Heimann 1999: 3]. Die Kommission legte daraufhin am 23. Januar 1985 einen Richt­linien­entwurf[31] vor, der die Erleichterung der Grenzkontrollen ent­sprechend der deutsch-französischen Initiative innerhalb der ganzen Gemeinschaft vor­sah. Dieser Entwurf scheiterte jedoch insbesondere am Widerstand von Großbritannien, Irland und Dänemark. [Epiney 1995a: 24]

Daraufhin unterzeichneten die Benelux-Staaten[32], die Bundesrepublik Deutschland und Frank­reich am 14. Juni 1985 das "Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen", das sogenannte erste Schengener Überein­kommen bzw. erste Schengener Abkommen oder Schengen I [IA.16; IA.17; Epiney 1995a: 24], das am 2. März 1986 in Kraft trat [Zott 1999: 123]. Dieses Abkommen sah vor, die Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen rasch abzubauen und kompen­sieren­de Maß­nahmen in den Bereichen der Außengrenzkontrollen, des Visa-, Ausländer- und Asylrechts sowie des Waffenrechts vorzunehmen [Brübach 1997: 22; Schütz 1995: 511]. Es bestand aus kurz­fristig durchzuführenden Maßnahmen (Erleichterungen der Grenz­kontrollen) und lang­fristig durchzuführenden Maßnahmen positiver Integration, die aber noch nicht konkretisiert waren und erst später konkretisiert wurden[33] [Epiney 1995a: 24f; Gehring 1998: 54].

Das Schengener Abkommen war von den Unterzeichnerstaaten absichtlich gemeinschafts­kompatibel gehalten [Brübach 1997: 23; Gimbal 1994a: 61f]. So lautet der erste Satz der Präambel:

"In dem Bewusstsein, dass die immer engere Union zwischen den Völkern der Mit­glied­­staaten der Europäischen Union ihren Ausdruck im freien Überschreiten der Binnen­grenzen durch alle Angehörigen der Mitgliedstaaten finden muss, schließen die Staaten dieses Übereinkommen." [zitiert in: Epiney 1995a: 24]

Dies bedeutet, dass "die Schengen-Staaten sich als 'Vorreiter' und Motor einer fort­schreitenden Integration verstehen" [Epiney 1995a: 24], allerdings enthielt das erste Schengener Abkommen noch keinen Vorbehalt zugunsten des Gemeinschaftsrechts [Brübach 1997: 23].

Am 14. Juni 1985 legte die Kommission außerdem das Weißbuch zur Vollendung des Binnen­marktes vor, das sowohl die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen und Aus­gleichs­maßnahmen forderte als auch ein umfassendes Aktionsprogramm zur Ver­wirk­lichung dieser Ziele und zeitliche Vorgaben zur Erfüllung der einzelnen Maßnahmen bein­haltete [Brübach 1997: 15, 17; Matern/Schultz 1995: 399; Zott 1999: 29]. Die EEA aber, die am 17. und 28. Februar 1986 unterzeichnet wurde und am 1. Juli 1987 in Kraft trat [Matern/Schultz 1995: 399], machte deutlich, dass im Rahmen der EG bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik keine Kompetenzen abge­geben werden sollten: Die Souveränität verblieb in diesem Politikfeld eindeutig bei den Mit­glied­staaten [Brübach 1997: 18f; Gehring 1998: 50f; Zott 1999: 30].

Es gab also nur intergouvernementale Regelungen und Gremien, die in diesem Politikfeld zu dieser Zeit tätig wurden:

Zunächst einmal gab es die intergouvernementalen Gremien des Schengen-Regimes, die aber gänzlich außerhalb des institutionellen Rahmens der EG handelten: Es gab hier Arbeits­­gruppen auf Ministerialebene und den Exekutivausschuss mit recht weitreichenden Kompetenzen, in dem jeder Schengen-Staat eine Stimme hatte und das Einstimmigkeits­prinzip galt [Brübach 1997: 24; Epiney 1995a: 29; Gehring 1998: 57; Schütz 1995: 513; vgl. Epiney 1995b: 54f, 65f, 72].

Auf einer informellen Tagung der für Einwanderungsfragen zuständigen Minister der Mit­glied­staaten in London am 20. Oktober 1986 wurde auf Vorschlag Großbritanniens, dem Haupt­gegner einer gemeinschaftlichen Regelung der Einwanderungs- und Asylpolitik, die Ein­setzung einer Ad-hoc-Gruppe "Einwanderung" beschlossen, die allerdings außerhalb des Gemeinschaftsrahmens angesiedelt ist [Brübach 1997: 27; Gimbal 1994a: 77; IA.17; Zott 1999: 33]. Die Ad-hoc-Gruppe Einwanderung besitzt mehrere Arbeits­­gruppen, die sich mit den folgenden Themengebieten befassen: Asyl, Außen­grenzen, gefälschte Doku­mente, Visa und Zulassung bzw. Entfernung von Drittstaats­ange­hörigen [Zott 1999: 34].

Die schon seit 1975 bestehende TREVI[34] -Kooperation, die aus regelmäßigen Treffen der für die innere Sicherheit zuständigen Minister bestand, bildete 1988 eine neue Arbeits­gruppe, TREVI '92, in der Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnengrenz­kontrollen behandelt wurden [Brübach 1997: 9-11; IA.17; Zott 1999: 32].

Der Europäische Rat von Rhodos am 2. und 3. Dezember 1988 setzte schließlich die Gruppe der Koordinatoren Freizügigkeit ein, die sogenannte Rhodos-Gruppe [Zott 1999: 34]. Ihre Auf­gabe war, die Tätigkeiten der zahlreichen verschiedenen Gruppen, die mit der Er­arbeitung von Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnengrenzen be­schäftigt waren, zu koordinieren [Achermann 1995: 85; Zott 1999: 34]. Diese Gruppe tagte beinahe monatlich und legte am 26. und 27. Juni 1989 beim Europäischen Rat in Madrid eine Über­sicht über die er­for­der­lichen Ausgleichsmaßnahmen für die Beseitigung der Personen­kontrollen an den Binnen­grenzen der Gemeinschaft vor (sogenanntes Dokument von Palma[35] ) [Brübach 1997: 34; Zott 1999: 34f].

Ein sehr wichtiges Ergebnis der Arbeit der Ad-hoc-Gruppe Einwanderung und der Tagun­gen der Einwanderungsminister war das "Übereinkommen über die Bestimmung des zu­ständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemein­schaften gestellten Asylantrags" vom 15. Juni 1990, das sogenannte Dubliner Abkommen[36] [Zott 1999: 34]. Dieses Abkommen "steht nur EG-Mitgliedern offen, was sich schon dem Titel des Übereinkommens entnehmen lässt", anderen Staaten wird aber die Möglichkeit zur Schließung von "(Parallel-) Abkommen" mit der EG in Aussicht gestellt [Achermann 1995: 83]. Die Unterzeichnung eines ebenfalls in dieser Zeit von der Ad-hoc-Gruppe Ein­wanderung ausgearbeiteten Abkommens über das Überschreiten der Außen­grenzen scheiterte an dem Streit zwischen Spanien und Großbritannien über den Status von Gibraltar[37] [Achermann 1995: 85f; Brübach 1997: 31; Zott 1999: 34]. Das Dubliner Ab­kommen sah auch die Einrichtung eines sogenannten Dubliner Ausschusses vor, also eines weiteren intergouvernementalen Gremiums, das sich mit Fragen der Einwanderungs- und Asylpolitik beschäftigt [Achermann 1995: 99].

Am 19. Juni 1990 - also etwa zur gleichen Zeit wie das Dubliner Abkommen - wurde das "Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen", das sogenannte Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ) bzw. Schengen II unterzeichnet [Achermann 1995: 82; Zott 1999: 122]. Das Schengen-Regime ist inzwischen auch deut­lich expandiert: Italien unterzeichnete das SDÜ 1990, Spanien und Portugal 1991 sowie Griechenland 1992. Nach der Erweiterung der EU unterzeichneten das SDÜ weiterhin auch Öster­reich 1995 sowie Dänemark, Finnland und Schweden 1996 [IA.18; Zott 1999: 123 Fussnote 460].

Achermann weist aber bezüglich des Verhältnis von Schengen II zum Dubliner Abkommen auf Folgendes hin:

"Die Tatsache des späteren Abschlusses des zweiten Schengener Über­ein­kommens darf allerdings nicht darüber täuschen, dass sich das Übereinkommen der Zwölf wohl eher den Vorgaben der Schengen-Staaten anpassen musste als umge­kehrt." [Achermann 1995: 83]

Das Schengener Durchführungsabkommen war nämlich bereits Ende 1989 fertiggestellt worden und diente mit seinen "innovative(n) Lösungen" als Vorbild und übernahm gleich­zeitig "für den weiteren Entwicklungsprozess Schrittmacherfunktion" [Gehring 1998: 55, 57; vgl. Brübach 1997: 166]. Erst das SDÜ verpflichtete die Schengen-Staaten tatsächlich völkerrechtlich-intergouvernemental zum Abbau der Grenzkontrollen und zu ent­sprechenden Ausgleichsmaßnahmen [Epiney 1995a: 25].

Inhaltlich enthält das SDÜ diese Regelungen zu folgenden Bereichen:

1. Regelungen zur Überwachung und zum Überschreiten der Außengrenzen [Brübach 1997: 165; Epiney 1995a: 27; Gehring 1998: 55]

Diese umfassen Regelungen zur konkreten Durchführung von Kontrollen sowie die Regelung, dass "Angehörige von Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Ge­mein­schaft sind", abgewiesen werden müssen, "wenn sie nicht im Besitz der vorge­schriebenen Papiere sind oder wenn sie von einem der Schengen-Staaten auf die Liste der unerwünschten Personen gesetzt werden" [Gehring 1998: 55]. Es werden hier also auch Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern und Regelungen zu Auf­enthalts­titeln und Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung festgelegt [Brübach 1997: 165].

2. Es wird eine gemeinsame Visapolitik angelegt [Epiney 1995a: 27; Gehring 1998: 55].

Die gemeinsame Visapolitik beinhaltet ein einheitliches Visum für Aufenthalte bis zu drei Monaten für den Schengen-Raum. Inhaber dieses Visums sowie die Angehörigen aller EG-Länder, die kein Visum benötigen, genießen Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raums. Weiterhin umfasst die gemeinsame Visapolitik die Verabschiedung einer sogenannten Negativliste, d.h. einer Liste mit den Drittstaaten, deren Angehörige zur Einreise in den Schengen-Raum ein Visum benötigen. [Gehring 1998: 55] Des­weiteren ist auch noch die Erstellung von zwei, allerdings rechtlich nicht verbindlichen Listen vorgesehen: Einer Positivliste von Drittstaaten, deren Bürger kein Visum zur Einreise benötigen, und einer grauen Liste von Drittstaaten, bei denen die Schengen­staaten unterschiedliche Visapolitik betreiben [Nanz 1996: 66]. Für längerfristige Auf­ent­halte (mehr als drei Monate) im Schengen-Raum gibt es aber keine solche Regelung, so dass Drittstaatsangehörige mit längerfristigen Aufenthaltsgenehmigungen nur be­grenzte Bewegungsfreiheit im Schengen-Raum genießen. [Gehring 1998: 55]

3. Kriterien für die Bestimmung des für einen Asylbewerber zuständigen Staates [Epiney 1995a: 27; Gehring 1998: 55]

Diese Kriterien enthalten keine Harmonisierung des Asylrechts und keine Angleichung der nationalen Asylgesetzgebungen. Die Kriterien sind so gewählt, dass nur genau ein Staat innerhalb der Schengen-Staaten für die Bearbeitung des im Schengen-Raum gestellten Asylantrags zuständig ist[38]. Durch diese Regelung soll die Stellung von Folge­asyl­anträgen in verschiedenen Staaten vermieden werden. Trotz der strengen Zuständigkeitskriterien ist es jedem Staat aber weiterhin möglich, dennoch einen Asyl­antrag zu prüfen, auch wenn dieser Staat nicht zuständig ist nach diesen Kriterien. [Gehring 1998: 55]

4. weitere Regelungen [Epiney 1995a: 27-29; Gehring 1998: 56]

Das SDÜ enthält weiterhin Regelungen zur polizeilichen Kooperation, zur Errichtung eines Schengener Informationssystems (SIS), zum Datenschutz sowie organisatorische Ergänzungen und Schlussbestimmungen [Epiney 1995a: 27-29; Gehring 1998: 56f].

Im SDÜ ist im Gegensatz zu Schengen I die Notwendigkeit der Kompatibilität mit dem Gemeinschaftsrecht nun auch ver­traglich festgelegt [Brübach 1997: 25]. So enthält das SDÜ eine Konfliktregelung[39], was passiert, wenn Schengen-Recht und Gemeinschaftsrecht sich widersprechen: "Nach Art. 142 Abs. 1 werden 'die Bestimmungen, die zu den Be­stimmungen der zwischen den Mitgliedstaaten der EG geschlossenen Übereinkommen in Widerspruch stehen, [...] auf jeden Fall angepasst" [Achermann 1995: 84]. Weiterhin legt das SDÜ auch vertraglich fest, dass ein Beitritt nur für EG/EU-Mitglieder, nicht aber für andere Drittstaaten möglich ist[40] [Epiney 1995a: 30; Gehring 1998: 57]. Außerdem ent­hält das SDÜ explizit die Definition des "Drittausländer" als "Nicht­-EU-Bürger" [Epiney 1995a: 30, 1995b: 53].

Die völkerrechtlichen Abkommen Schengen und Dublin dienen beide dazu, verfahrens­rechtliche Rege­lungen zum Asylrecht anzugleichen [Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 21]. Es handelt sich dabei also nur um eine Angleichung des formellen Asylrechts. Es gibt keine nennenswerten Regelungen im materiellen Asylrecht, da hier die Souveränitätsvorbehalte doch noch zu stark sind. [Müller-Graff/Kainer 1998: 123] Das Dubliner Abkommen ent­hält hinsichtlich der gemeinsamen Kriterien für die Bestimmung des für einen Asylbewerber zuständigen Staates nahezu analoge Regelungen [Achermann 1995: 79f, 83f Fuss­note 19 (bestehende Differenzen)]. Kritisiert wird an den Regelungen des SDÜ und des Dubliner Abkommens vor allem, dass negative Asylentscheidungen der anderen Staaten problemlos anerkannt werden, während die gegenseitige Anerkennung positiver Asylentscheide fehlt, was zu Problemen führen kann [Achermann 1995: 107f]. Haupt­ursache für die engere Zusammenarbeit im Bereich Asylpolitik war ein dramatischer An­stieg der Asylgesuchszahlen in Europa seit Mitte der 80er Jahre, der sowohl durch den Zu­sammenbruch des kommunistischen Systems und die damit verbundene Öffnung der Grenzen nach Osten hin als auch durch den Krieg in Ex-Jugoslawien ausgelöst wurde [Achermann 1995: 80f; Monar 1999: 155f].

Ende 1991 gab es dann das Gipfeltreffen in Maastricht, auf dem die Mitgliedstaaten sich auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV) einigten, der dann Anfang 1992 unter­zeichnet wurde [Matern/Schultz 1995: 400f]. Die genauen Ergebnisse dieses Treffens und der EUV werden genauer im nächsten Kapitel betrachtet.

Am 30. November und 1. Dezember 1992 trafen sich die für Einwanderung zuständigen Minister der EG/EU-Staaten in London [Achermann 1995: 86f]. Ergebnis waren die soge­nannten Londoner Beschlüsse, die vor allem auf der Grundlage des Dubliner Abkommens, aber auch schon in Antizipation des EUV getroffen wurden [Brübach 1997: 55; IA.16]:

Wichtig sind hier vor allem die folgenden Ergebnisse, die alle nur völkerrechtlich-inter­gouvernemental verbindlich sind, aber dennoch faktisch sehr wirksam sind [Neußner 1996: 65]:

Die "Resolution betreffend Harmonisierung des Begriffs der offensichtlich unbegründeten Asylbegehren" legt unter anderem "die Kriterien eines offensichtlich unbegründeten Asyl­gesuches" fest und "verlangt, dass ein solches Gesuch beschleunigt behandelt werden muss" [Achermann 1995: 86; Braun 1996: 80; Brübach 1997: 55; Neußner 1996: 65].

Die "Resolution zu einem einheitlichen Konzept betreffend Drittaufnahmestaaten" formu­liert das Prinzip der sicheren Drittstaaten [Achermann 1995: 86; Braun 1996: 80; Brübach 1997: 55].

Die "Entschließung betreffen Länder, in denen Sicherheit vor Verfolgung herrscht" legt die Kriterien für sichere Herkunftsstaaten fest [Achermann 1995: 87; Braun 1996: 81; Brübach 1997: 55].

Problematisch ist bei diesen Beschlüssen, dass das Problem der refugees in orbit nicht zu­friedenstellend geklärt wird und außerdem Rückabschiebungsketten bis ins garantiert nicht mehr verfolgungssichere Heimatland eines Flüchtlings zu befürchten sind [Achermann 1995 : 108, 110]. Eine Ausweisung in sogenannte sichere Drittstaaten aus der EG/EU ist nämlich dann möglich, wenn entsprechende internationale Verträge bestehen (Rück­übernahme­abkommen, Rückschiebungsabkommen) [Achermann 1995: 108]. Diese Dritt­staatenregelung ist außerdem "im Kontext eines immer dichter werdenden Netzes von Rück­schiebungsabkommen [41] zu sehen" [Achermann 1995: 110, Hervorhebung im Original]. Faktisch führt diese Regelung dazu, dass das Dubliner Übereinkommen nur dann über­­haupt zur Anwendung kommt, wenn kein sicherer Drittaufnahmestaat ausfindig ge­macht werden kann, in den der Flüchtling abgeschoben werden kann [Achermann 1995: 109; Neußner 1996: 66]. Neußner weist mit Recht darauf hin, "dass [...] mit der Dubliner Konvention die Durchführung eines Asylverfahrens innerhalb der EU nicht garantiert ist [1996: 66]. Und wenn das Dubliner Übereinkommen angewandt wird, soll ein Flüchtling nur in genau einem Mitgliedstaat die Möglichkeit haben, sein Asyl­gesuch zu stellen [Achermann 1995: 110].

Achermann fasst die damit bezüglich der Asylpolitik herrschende Situation zu diesem Zeitpunkt treffend zusammen:

"In Zukunft werden wir zwei Kreise vorfinden, einen inneren der Vertragsstaaten der beiden Übereinkommen [MB: Schengen und Dublin], die zwar eine Verpflich­tung zur Asylgesuchsprüfung anerkennen, aber keine Asylverfahren durchführen, weil sie Asylsuchende in Drittaufnahmestaaten zurückweisen, und eine äußeren Kreis der Nichtvertragsstaaten des Dubliner Übereinkommens, die zwar Asyl­suchende zurücknehmen, aber selbst nicht verpflichtet sind, Asylverfahren durch­zuführen, und die wiederum versuchen werden, die betroffenen Personen in einen weiteren Staat zurückzuweisen." [Achermann 1995: 111, erklärende Ergänzung durch Autorin]

Schon bei den Londoner Beschlüssen zeigte sich also die Bedeutung des Maastrichter Ver­trages, der im nächsten Kapitel genauer betrachtet wird. Zu erwähnen ist hier noch, dass am 1. Januar 1993 der Binnenmarkt in Kraft trat, allerdings ohne dass bis zu diesem Zeit­punkt eine Einigung über die genaue Ausgestaltung der Personenfreizügigkeit erreicht worden war [Schelter 1996: 20]. Nach Art. 7a EGV a.F., der schon vor dem Vertrag von Maastricht durch die EEA einge­fügt wurde [vgl. Läufer 1995: 108], wurde der freie Personen­verkehr und der Raum ohne Binnengrenzen nur gemäß den Ver­trags­bestimmun­gen gewährleistet und war damit in seiner Anwendung auf EG/EU-Bürger be­schränkt. Grenzkontrollen konnten weiterhin aufrecht erhalten werden, um eine Trennung zwischen EU- und Drittausländern zu gewährleisten. [Epiney 1995a: 33]

3.2.2 Maastricht und Ergebnisse

Auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Maastricht am 9. und 10. Dezember 1991 einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV a.F.) [Matern/Schultz 1995: 400]. Dieser wurde am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet und trat am 1. November 1993 in Kraft [Matern/Schultz 1995: 401f].

Die wesentlichen Bestandteile des Unionsvertrages sind folgende: gemeinsame Be­stimmungen, Änderungen des EWG-Vertrages (insbesondere Wirtschafts- und Währungs­union sowie Unionsbürgerschaft), gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI), Schluss­bestimmungen und Protokolle [Diedrichs/Wessels 1995: 174f]. Zur besseren Übersicht­lichkeit wird die Konstruktion des Vertragswerks von Maastricht mit einem antiken Tempel mit drei Säulen verglichen: Die erste Säule besteht aus der EG, die zweite ist die GASP und die dritte ist die ZBJI [Diedrichs/Wessels 1995: 174]. Nur die erste Säule ist ver­ge­meinschaftet, die zweite und dritte Säule sind intergouvernemental verregelt [Gimbal 1994a: 62f; Monar 1996: 59; Müller-Graff 1996b: 27; Nanz 1996: 67].

Interessant für den Politikbereich der Einwanderungs- und Asylpolitik ist vor allem die dritte Säule. Der Vertrag enthält den Titel VI: Bestimmungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres [vgl. Khan 1998a: 10]. Dieser enthält die Artikel­gruppe K, in der auch die Einwanderungs- und Asylpolitik als "Angelegenheiten von ge­mein­samem Interesse" bezeichnet werden [Gimbal 1994b: 73; Müller-Graff 1996b: 14]. Da die dritte Säule aber intergouvernemental verregelt ist, haben die Kommission, das Euro­päische Parlament (EP) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) deutlich geringere Be­fugnisse als in der ersten Säule: Die Kommission wird zwar an der Arbeit beteiligt, besitzt aber nur ein eingeschränktes und mit den Mitgliedstaaten geteiltes Initiativrecht. Das EP besitzt nur sehr beschränkte Befugnisse: Es muss unterrichtet und gehört werden. Der EuGH besitzt fast keine Jurisdiktionsbefugnisse: Nur die Auslegung der völkerrechtlichen Verträge auf Grundlage von Art. K.3 EUV a.F. kann ihm von den Mitgliedstaaten anver­traut werden. [Heimann 1999: 11; Zott 1999: 196]

Art. K.1 EUV a.F. lautet folgendermaßen:

"Zur Verwirklichung der Ziele der Union, insbesondere der Freizügigkeit, betrach­ten die Mitgliedstaaten unbeschadet der Zuständigkeiten der Europäischen Ge­mein­schaften folgende Bereiche als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse:

1. die Asylpolitik;

2. die Vorschriften über das Überschreiten der Außengrenzen der Mitglied­staaten durch Personen und die Ausübung der entsprechenden Kontrollen;

3. die Einwanderungspolitik und die Politik gegenüber Staatsangehörigen dritter Länder:
a) die Voraussetzungen für die Einreise und den Verkehr von Staats­ange­hörigen dritter Länder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;
b) die Voraussetzungen für den Aufenthalt von Staatsangehörigen dritter Länder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, einschließlich der Familien­zusammenführung und des Zugangs zur Beschäftigung;
c) die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, des illegalen Aufenthalts und der illegalen Arbeit von Staatsangehörigen dritter Länder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;

[...]" [Khan 1998a: 10]

Die Artikelgruppe K umfasst damit Politikbereiche, in denen die Mitgliedstaaten mit einem ständig steigenden Handlungsbedarf konfrontiert sind (Wahlkampfthemen, Schlüssel­diskussions­themen) [Monar 1996: 60]. Kein Mitgliedstaat kann hier alleine wirksam auf die neuen Herausforderungen reagieren [Monar 1996: 61].

Art. K.2 EUV a.F. bestimmt, dass die Angelegenheiten vom gemeinsamem Interesse nur unter Beachtung der EMRK und der GFK zu behandeln sind [Brübach 1997: 60f; Gimbal 1994b: 76f; vgl. Khan 1998a: 10].

Art. K.3 EUV a.F. enthält die Instrumente, die im dritten Pfeiler angewandt werden können. Diese können im Fall der Einwanderungs- und Asylpolitik sowohl von der Kommission als auch von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen werden [Monar 1996: 63; Monar 1997: 244; vgl. Khan 1998a: 11]. Im dritten Pfeiler hat die Kommission also ein nicht-exklusives Initiativrecht im Gegensatz zur ersten Säule, wo sie ein Initiativmonopol besitzt [Monar 1996: 63; Monar 1997: 244; Zott 1999: 196]. Die Instrumente des dritten Pfeilers sind erstens förmliche, völkerrechtliche Übereinkommen, zweitens gemein­same Standpunkte, wobei aber auch gleichzeitig das Problem besteht, dass hier eine klare Definition dieses Handlungsinstrumentes fehlt und damit seine Bindungswirkung unklar ist, drittens gemein­same Maßnahmen, die aber hinsichtlich der Definition und Bindungs­wirkung genauso un­klar sind wie die gemeinsamen Standpunkte, und viertens rechtlich un­verbindliche Instrumente, wie z.B. Entschließungen, Erklärungen und Schlussfolgerungen [Monar 1996: 63f; Monar 1997: 244; Brübach 1997: 64-67; IA.17; vgl. Khan 1998a: 11]. Des­weiteren bestimmt Art. K.3 EUV a.F., dass die Mitgliedstaaten sich gegenseitig unter­richten und konsultieren, um ihr Vorgehen in den Bereichen des Art. K.1 zu koordinieren [Brübach 1997: 64; vgl. Khan 1998a: 11]. Damit zusammen hängt auch Art. K.5 EUV a.F., der vorsieht, dass gemeinsame Standpunkte auf internationalen Konferenzen gemeinsam ver­treten werden [Brübach 1997: 68; vgl. Khan 1998a: 11]. Art. K.7 EUV a.F. erlaubt den einzelnen Mit­gliedstaaten auch eine engere Zu­sammen­arbeit, an der nicht alle teilnehmen, "soweit sie der nach diesem Titel vorge­sehenen Zusammen­arbeit nicht zuwiderläuft und diese nicht behindert" [Khan 1998a: 12]. Damit wird nachträglich die Kooperation einiger Mitgliedstaaten im Schengen-Regime explizit als gemeinschaftsverträglich und zulässig erklärt [Gimbal 1994b: 82].

Art. K.4 EUV a.F. bestimmt, dass ein Ausschuss aus hohen Beamten gebildet wird, der so­genannte K.4-Ausschuss [Brübach 1997: 71; vgl. Khan 1998a: 11]. Desweiteren regelt Art. K.4 EUV A.F., dass der Rat, von Ausnahmen abgesehen, einstimmig entscheidet und dass die Kommission "in vollem Umfang an den Arbeiten in den in diesem Titel genannten Bereichen beteiligt" wird [Khan 1998a: 11f]. Das Europäische Parlament soll nach Art. K.6 EUV a.F. "regelmäßig über die in den Bereichen dieses Titels durchgeführten Maßnahmen" von Kommission und dem Vorsitz des Europäischen Rates unterrichtet werden [Khan 1998a: 12].

Art. K.8 EUV a.F. regelt, welche Ausgaben zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts gehen und welche die Mitgliedstaaten nach einem gegebenenfalls noch festzulegenden Schlüssel tragen müssen[42] [Khan 1998a: 12; Gimbal 1994b: 79].

Art. K.9 EUV a.F. enthält die sogenannte Passerelle oder Evolutivklausel: Demnach kann vom Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission oder eines Mitgliedstaates beschlossen werden, dass die Bereiche der Einwanderungs- und Asylpolitik vergemeinschaftet werden. Aller­dings beinhaltet dieses Verfahren auch, dass dieser Beschluss innenpolitisch in jedem Mitgliedstaat ratifiziert werden muss. Es handelt sich also um ein zweistufiges Verfahren, das sehr nahe an ein Vertrags­änderungs­verfahren heranreicht[43]. [Brübach 1997: 80; Gimbal 1994b: 83; Zott 1999: 256f]

Durch den EUV erhalten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das formale und materielle Asylrecht intergouvernemental zu verregeln [Zott 1999: 52]. Das vorher geschlossene Dubliner Übereinkommen und die damit verbundenen Londoner Beschlüsse erhalten damit noch nachträglich eine Rechtsgrundlage, der sie im Rahmen der EU zugeordnet werden können [Brübach 1997: 50, 54f]. Weiterhin erhalten die Mitgliedstaaten durch die Artikelgruppe K intergouvernementale Regelungskompetenzen in den Bereichen der formellen und materiellen Einreisebedingungen für alle Personen, der Einreise- und Aufenthaltsbedingungen von Drittstaatsangehörigen sowie im Bereich der Bekämpfung il­legaler Einwanderung, illegalen Aufenthalts und illegaler Arbeit [Brübach 1997: 56; Zott 1999: 53].

Neben diesen Regelungen im EUV a.F. enthält auch der EGV a.F. bzw. die erste Säule der EU ver­schiedene Regelungen zur Freizügigkeit[44] [Brübach 1997: 82-127; Zott 1999: 79-119]. Ein­schlägig ist hier für den Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik insbesondere der Art. 100c EGV a.F., der Regelungen zur Visa­politik enthält, weil er der Gemeinschaft klare Kompetenzen in diesem Bereich zuweist [Müller-Graff 1996b: 15]:

"(1) Der Rat bestimmt auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig die dritten Länder, deren Staatsange­hörige beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein müssen.
(2) Bei einer Notlage in einem dritten Land, die zu einem plötzlichen Zustrom von Staatsangehörigen dieses Landes in die Gemeinschaft zu führen droht, kann der Rat jedoch auf Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehr­heit für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten den Visumzwang für Staatsangehörige des betreffenden Landes einführen. Der nach diesem Absatz eingeführte Visumzwang kann nach dem Verfahren des Absatzes 1 verlängert werden.
(3) Vom 1. Januar 1996 an trifft der Rat Entscheidungen im Sinne des Absatzes 1 mit qualifizierter Mehrheit. Vor diesem Zeitpunkt erlässt der Rat mit qualifi­zierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Maßnahmen zur einheitlichen Visagestaltung.
(4) In den in diesem Artikel genannten Bereichen hat die Kommission jeden von einem Mitgliedstaat gestellten Antrag zu prüfen, in dem sie ersucht wird, dem Rat einen Vorschlag zu unterbreiten.
(5) Dieser Artikel lässt die Ausübung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt.
(6) Dieser Artikel gilt für weitere Bereiche, falls ein entsprechender Beschluss nach Artikel K.9 der die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres betreffenden Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union gefasst wird; dies gilt vorbehaltlich des gleichzeitig festgelegten Abstimmungs­verfahrens.
(7) Die Bestimmungen der zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen, die durch diesen Artikel erfasste Sachbereiche regeln, bleiben in Kraft, so­lange sie nicht durch Richtlinien oder Maßnahmen aufgrund dieses Artikels inhaltlich ersetzt worden sind." [Khan 1998a: 103f]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die EG nach dem Vertrag von Maastricht im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik folgende Kompetenzen hat:

Zwar beinhalten Art. 3 lit. c) sowie der Titel III (Art. 48-73h ) des EGV a.F. Regelungen zur Freizügigkeit und zum Binnenmarkt, aber damit ist faktisch und rechtlich keine gene­relle Abschaf­fung jeglicher Personenkontrollen an den Binnengrenzen verbunden. Diese Artikel des EGV a.F. sind auch keine rechtliche Grundlage für eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik. [Brübach 1997: 103; Zott 1999: 86-89] Nach Art. 118 EGV a.F. soll die Kommission eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mit­glied­staaten in sozialen Fragen fördern. Daraus ergibt sich aber nur eine "Koordinierungskompetenz" der Gemeinschaft im Bereich der Einwanderungs- und Asyl­politik, eine Vergemeinschaftung ist hier nicht angelegt. [Brübach 1997: 103f; Zott 1999: 89-92] Nach Art. 100 EGV a.F. besitzt die EG eine "Kompetenz zur Rechts­angleichung, soweit eine unmittelbare Auswirkung auf den Gemeinsamen Markt gegeben ist" [Brübach 1997: 105; vgl. Zott 1999: 104-106]. Potentielle Maßnahmen der EG können "hinsichtlich der Ab­schaffung der Grenzkontrollen oder gemein­samen Asyl- und Einwanderungsregelungen letztlich das Ziel 'Gemeinsamer Markt' berühren" [Brübach 1997: 105]. Diese Regelung des Art. 100 EGV a.F. wird unterschiedlich inter­pretiert, die überwiegend vertretende Interpretation geht davon aus, dass es "einen kon­kreten Bezug zu dem Gedanken der Verwirklichung der Personenfreizügigkeit im Binnen­markt" geben muss [Brübach 1997: 106, Hervorhebung im Original]. Diese Interpretation wird auch von Art. 235 EGV a.F. gestützt: Dieser Artikel ist ein Auffang­tatbestand und enthält die Regelung, dass "eine Kompetenz der Gemeinschaft zur Verabschiedung von Maßnahmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnen­marktes stehen, besteht" [Brübach 1997: 107, Hervorhebung im Original; vgl. Zott 1999: 108f]. Aber auch hier fehlt eine konkrete Kompetenz zur Vergemeinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik [Brübach 1997: 107].

Eine solche ergibt sich daher für die EG nur aus Art. 100c EGV a.F., der die Visapolitik betrifft [Brübach 1997: 111-120; Zott 1999: 79-86]:

In der Visapolitik hat die Gemeinschaft laut Art. 100c EGV a.F. das Recht, eine sogenannte "Negativliste" zu erstellen, d.i. eine Liste der Länder, deren Staatsangehörige beim Über­schreiten der Außengrenzen der EU im Besitz eines Visums sein müssen [Brübach 1997: 111; Gimbal 1994b: 76; Zott 1999: 57]. Problematisch ist hierbei aus Sicht der Gemeinschaft, dass vertraglich keine "Positivliste" der Drittländer vorgesehen ist, deren Staatsangehörige kein Visum brauchen, um die Außengrenzen der Gemeinschaft zu über­schreiten. Faktisch kann es so trotz der Negativliste zu sehr unterschiedlichen nationalen Visapolitiken kommen. [Brübach 1997: 111] Auch die Kommission weist auf diese Problematik in ihrem am 10. Dezember 1993 vorgelegten "Vorschlag für eine Verordnung auf Grundlage von Artikel 100c EGV zur Bestimmung der Drittländer, deren Staatsange­hörige beim Über­schreiten im Besitz eines Visums sein müssen" hin: Die Kommission möchte die Frage der Visa­erteilung über Art. 100c EGV a.F. abschließend regeln, d.h. es muss eine Negativliste und eine Positivliste sowie - soweit eben nötig - eine möglichst kurze sogenannte graue Liste der Drittländer, bei denen die Mitgliedstaaten unterschied­liche nationale Visapolitiken vertreten [Brübach 1997: 113; Nanz 1996: 65f]. Desweiteren ermächtigt Art. 100c EGV a.F. die Gemeinschaft dazu, eine einheitliche Visagestaltung vorzunehmen [Brübach 1997: 111, 116]: Problematisch war hier die Frage, ob es nur eine einheitliche und fälschungssichere Visamarke geben sollte oder ob auch geregelt werden soll, was die Visamarke enthalten soll. Da faktisch diese beiden Probleme eng zusammen hängen, findet hier eine weite Auslegung statt, so dass "Regelungen über Art und Umfang der in den Auf­klebern enthaltenen Informationen sowie Spezifikationen, die das einheitlich gestaltete Visum fälschungssicher machen", darin enthalten sind [Zott 1999: 84]. Aller­dings werden mit Art. 100c EGV a.F. nur zwei eher formelle und technische Fragen der Visapolitik geregelt [Brübach 1997: 119f; Zott 1999: 79f]. Die materielle Visapolitik be­findet sich in der intergouvernemental verregelten dritten Säule der EU [Brübach 1997: 111; vgl. Nanz 1996: 67]. Damit ergeben sich auch schwierige Abgren­zungsprobleme zwischen der ersten und der dritten Säule in der Visapolitik: Wie schon an­schaulich beim einheitlichen Visa-Aufkleber die Gestaltung und der Inhalt eng zusammen­hängen, denn man kann keine ein­heitliche Gestaltung vornehmen ohne festzulegen, was konkret inhaltlich auf der Visa­marke stehen soll, so ist auch die restliche Visapolitik nicht einfach in formelle und materielle Aspekte zu teilen [Brübach 1997: 111; Zott 1999: 57, 80, 84].

Wichtig ist hier auch, darauf hinzuweisen, dass die EG im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik, trotz der Ermächtigungsgrundlagen im EGV a.F., faktisch keine aus­schließ­liche, sondern nur eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz besitzt[45]. Dies bedeutet, dass dieser Politikbereich intergouvernemental geregelt werden kann, solange die Gemein­schaft hier nicht tätig wird. [Zott 1999: 85]

Ein weiterer problematischer Punkt ist, dass die durch die Artikelgruppe K EUV a.F. eine Vielzahl intergouvernementaler Gruppen im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik vorgesehen ist: Insgesamt gibt es fünf Arbeitsebenen [Zott 1999: 142f]. An jeder Ent­scheidung sind "eine Arbeitsgruppe, eine Lenkungsgruppe, der K.4-Ausschuss, der AStV [MB: Ausschuss der Ständigen Vertreter] und der Rat beteiligt" [Zott 1999: 142, erklären­de Ergänzung durch Autorin; vgl. Monar 1996: 62; Monar 1997: 243]. Der Europäische Rat, das wichtigste Entscheidungsgremium der EU, kann auch im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik tätig werden [Brübach 1997: 69]. Allerdings wird hier in der Regel der Rat "Justiz und Inneres" tätig, der die Entscheidungen in diesem Bereich in der Regel einstimmig trifft [Brübach 1997: 70f; Monar 1996: 62; Monar 1997: 243]. Un­terstützt wird der Rat durch den K.4-Ausschuss, der monatlich tagt [Brübach 1997: 71f]. Seine Aufgaben sind Koordination, Ausarbeiten von Stellungnahmen und die Vorbereitung der Arbeit des Rates [Zott 1999: 141]. Zum K.4-Ausschuss gehören drei Lenkungsgruppen, wovon die Lenkungsgruppe I sich mit dem Themengebiet "Asyl und Einwanderung" be­schäftigt [Brübach 1997: 72; Zott 1999: 141]. Die Lenkungsgruppen werden von Arbeits­gruppen unterstützt. Im Fall der Lenkungsgruppe I " Asyl und Einwanderung" handelt es sich um folgende Arbeitsgruppen: Migration/Einwanderung (Zulassung und Ausweisung), Asyl, Visa, Außengrenzen, gefälschte Dokumente, CIREA und CIREFI (Informationsaustausch zum Zwecke der Harmonisierung) [Brübach 1997: 72; Zott 1999: 141]. Mit der Lenkungsgruppe I wurde der Unterbau der Ad-hoc-Gruppe Ein­wanderung weitgehend übernommen [Zott 1999: 141]. Neben dem K.4-Ausschuss gibt es den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV)[46], dem eine Koordinierungsfunktion insbe­sondere bei institutionellen und technischen Fragen zukommt [Brübach 1997: 73f; Zott 1999: 142]. Es kommt hier zu einer Konkurrenz zwischen K.4-Ausschuss und dem AStV, da nicht explizit geklärt ist, welcher Ausschuss letztlich Vorrang hat [Gimbal 1994b: 81f; Monar 1996: 62; Zott 1999: 142]. Vieles spricht aber dafür, dass formal der AStV Vorrang hat [Monar 1996: 61; Monar 1997: 243; Zott 1999: 142]. Aber dennoch ist der K.4-Ausschuss das zentrale Koordinationsgremium [Monar 1996: 61; Monar 1997: 243]. Diese Arbeitsebenen zu koordinieren und außerdem die notwendige Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung zu erreichen ist extrem schwierig [Zott 1999: 143]. Neben diesen intergouvernementalen EU-Arbeitsgruppen bleiben die vormals installierten intergouvernementalen Gruppen (vgl. Kapitel 3.2.1), z.B. die Organe des Schengen-Regimes, weitgehend erhalten, aber oftmals handelt es sich um die gleichen Gruppen die innerhalb und außerhalb der EU tätig werden. Es kommt damit insgesamt zu einer Vervielfachung der intergouvernementalen Gruppen, die nun teilweise innerhalb, teilweise außerhalb der Union angesiedelt sind. [Gimbal 1994b: 84f; Monar 1997: 249]

Positiv ist dennoch trotz allem beim Maastrichter Vertrag der gemeinsame institutionelle Rahmen bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik zu werten [Monar 1996: 61], der einerseits EG-Institutionen in die EU einbindet und andererseits auch mit gegenseitige Informations- und Konsultationsrechten bzw. -pflichten verbunden ist [Brübach 1997: 135; Gimbal 1994b: 86; Lobkowicz 1996: 45].

3.2.3 Zwischen Maastricht und Amsterdam

Nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages am 1. November 1993 [Matern/Schultz 1995: 402] wurden aufgrund der Rechtsgrundlagen sowohl des EGV a.F., als auch des EUV a.F. verschiedene Rechtsakte erlassen. Dies geschah, obwohl der dritte Pfeiler mit einigen Problem zu kämpfen hatte [Lobkowicz 1996: 49]: Der Rat bevorzugte im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik eher rechtlich nicht bindende Instrumente. Des­weiteren gab es aufgrund der fehlenden Klarheit über die Bindungswirkung auch er­hebliches Misstrauen gegenüber den neuen Instrumentarien des dritten Pfeilers. Und zwei weitere Probleme, die im vorigen Kapitel auch schon angesprochen wurden, sind die komplizierte Arbeitsstruktur in der dritten Säule sowie die Abgrenzungsprobleme zur ersten Säule. [Lobkowicz 1996: 50-52]

Außerdem muss hier natürlich neben den Fortschritten in der EU bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik auch die Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Regimes beachtet werden: Am 26. März 1995 trat nämlich das SDÜ in den Benelux-Staaten, Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland in Kraft [Brübach 1997: 26f; Schelter 1996: 20; Werle 2000a: 5].

Innerhalb der EG wurden zwei wichtige Verordnungen bezüglich der Visapolitik erlassen:

Dies ist zunächst einmal die "Verordnung (EG) Nr. 1683/95 des Rates vom 29. Mai 1995 über eine einheitliche Visagestaltung" [Brübach 1997: 60; IA.3; Zott 1999: 336]. Diese Verordnung übernahm die schon vorher bestehende Visamarke des Schengen-Regimes, die mit Absicht "euro-kompatibel" gehalten worden war [Nanz 1996: 69]. Problematisch ist hier aber, dass eine gemeinsame Visamarke trotz der einheitlichen Gestaltung ohne eine einheitliche Visapolitik nur wie ein national erteiltes Visum gültig ist [Nanz 1996: 69].

Zur etwa gleichen Zeit - nämlich am 25. September 1995 [Brübach 1997: 160] - wurde bereits auch schon eine Verordnung erlassen, die die Auf­stellung einer "Negativliste von Drittstaaten" beinhaltete, "deren Bürger in allen Mitglied­staaten eines Visums bedürfen" [Müller-Graff/Kainer 1998: 126][47]. Allerdings wurde diese Verordnung vom EuGH am 10. Juni 1997 "wegen Verstoßes gegen Verfahrens­recht" für nichtig erklärt: Der Rat hatte das Europäische Parlament (EP) nicht im erforderlichen Umfang an dieser Verordnung beteiligt. Daher beschloss der Rat am 6. Oktober 1997, das EP im Wesentlichen "auf der Grundlage des Wortlautes der für nichtig erklärten Verordnung erneut zu hören und somit die Verordnung neu zu erlassen" [Müller-Graff/Kainer 1998: 126]. So kam es, dass die "Verordnung (EG) Nr. 574/1999 des Rates vom 12. März 1999 zur Bestimmung der Dritt­länder, deren Staatsangehörige beim Über­schreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen" trotz der frühen Bemühungen erst 1999 erlassen werden konnte [IA.3; Zott 1999: 336]. Die Maßnahme des einheitlich gestalteten Visums wird weiterhin dadurch geschwächt, dass ein zugleich von der Kommission vorgelegtes Abkommen für ein Außengrenzübereinkommen bis heute nicht vom Rat angenommen wurde, da die Durchführung der Außengrenzkontrollen in Gibraltar strittig ist [Nanz 1996: 69]. Anders war es im Rahmen des SDÜ: Hier wurde auch klar festgelegt, wie das Überschreiten der Außen­grenzen auszusehen hatte (vgl. Ausführungen zu den inhaltlichen Regelungen des SDÜ, S. 47).

In der Visapolitik wurden weiterhin folgende Maßnahmen im Rahmen der inter­gouverne­mentalen Zusammenarbeit im dritten Pfeiler erlassen:

Schon recht früh, nämlich am 30. November 1994, verabschiedete der Rat eine gemein­same Maßnahme über Reiseerleichterungen für Schüler von Drittstaaten mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat [Zott 1999: 56, 234, 330]. Diese Maßnahme besagt, dass für Durch­reise oder Kurzaufenthalt kein Visum benötigt wird, wenn dies im Rahmen eines Schulaus­flugs geschieht und es sich um ein Mitglied einer Schülergruppe mit Lehrer handelt [Brübach 1997: 156; Lobkowicz 1996: 49]. Ziel dieser Maßnahme, die kaum die innere Sicherheit oder Souveränität eines Staates bedrohen kann, war vor allem, Probleme der zu­sätzlichen Formalitäten (Visa etc.) abzubauen, damit kein un­erfreuliches Bild der Diskri­minierung bei den Jugendlichen entsteht [IA.18].

Am 4. März 1996 verabschiedete der Rat eine gemeinsame Maßnahme betreffend den Transit auf Flughäfen [IA.2; Zott 1999: 30, 234]. Diese besagt, dass für den Transit auf Flughäfen teilweise ein Visum von den Mitgliedstaaten verlangt werden kann [Brübach 1997: 159]. Die Kommission versuchte erfolglos, mit einer Nichtig­keits­klage gegen diese gemeinsame Maß­nahme vorzugehen, da diese eine Kompetenz der Gemein­schaft (Visapolitik) betrifft [Zott 1999: 82-84, 86].

Desweiteren formulierte der Rat am 4. März 1996 eine Empfehlung betreffend der Zu­sammenarbeit der konsularischen Vertretungen vor Ort in Fragen der Visumerteilung [IA.3; Zott 1999: 334].

Im Rahmen des Schengen-Regimes wurde in der Visapolitik deutlich mehr erreicht:

Der Schengen-Raum besitzt ein einheitliches Visum, d.h. es ist sowohl formal (Visamarke) als auch materiell (Einreisebedingungen) für den ganzen Schengen-Raum gültig [Gehring 1998: 55]. Das Schengen-Visum ersetzt damit vollständig das nationale Visum [Nanz 1996: 66f]. Im Rahmen des Schengen-Regimes wurde auch eine Negativliste ver­ab­schiedet[48] [Gehring 1998: 55; Müller-Graff/Kainer 1998: 126; Schütz 1995: 512][49]. Außerdem gibt es im Schengen-Regime auch zwei rechtlich unverbindliche Listen: Eine Positiv­liste der Drittstaaten, deren Angehörige kein Visum benötigen, und eine graue Liste von Drittstaaten, bei denen die Visapolitik von den einzelnen Schengen-Staaten unter­schiedlich gehandhabt wird [Nanz 1996: 66].[50]

In der Einwanderungspolitik i.e.S. einigten sich die Mitgliedstaaten "auf Beschränkungen für die Einreise von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer Beschäftigung, die Defini­tion von Ein­reisebedingungen für Studenten und Selbständige, die Möglichkeit der Ein­führung von Rückführungsklauseln in Abkommen mit Drittstaaten" und deren Umsetzung [Monar 1996: 66f][51]. Weiterhin wurde auch der Aufenthalt auf Dauer durch die An­er­kennung langjähriger Einwanderer in der EU geregelt[52] [Brübach 1997: 158] sowie eine ein­­heitliche Gestaltung der Aufenthaltstitel beschlossen[53] [IA.7; Zott 1999: 332].

Obwohl sich die Kommission in einer Mitteilung von 1994 für einen umfassenden Ansatz in der Einwanderungspolitik i.e.S. aussprach, der z.B. auch die Ursachenbekämpfung in den Herkunftsländern umfasst, unternahm die EU weitgehend nur Kontroll- und Restriktions­maßnahmen in diesem Bereich [Monar 1996: 67]. So gibt es z.B. zwei Emp­fehlungen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung[54] [Brübach 1997: 158] sowie eine Entschließung zur Bekämpfung von Scheinehen[55] [IA.7].

In der Asylpolitik gibt es seit dem Vertrag von Maastricht "vereinzelte pragmatische Fort­schritte, wie z.B. die Einigung auf ein einheitliches Formular zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Staates, die Annahme eines Textes über die Beweismittel im Rahmen des Dubliner Übereinkommens zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Staates, die Einigung auf ein passähnliches Formular für die Überstellung von Asylbewerbern zwischen den Mitgliedstaaten und die Definition einiger einheitlicher Kriterien zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus[56] " [Monar 1996: 66][57]. Außerdem verabschiedete der Rat am 20. Juni 1995 eine Ent­schließung über Mindestgarantien im Asylverfahren [Braun 1996: 82; IA.5; Zott 1999: 333] und am 27. September 1996 auf der Grundlage von Artikel K.3 EUV a.F. ein Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren, das jedoch noch in den einzelnen Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss [IA.5; Zott 1999: 172, 329]. Dass aller­dings gerade im Bereich der Asylpolitik auch für die Mitgliedstaaten eine Vergemein­schaftung schon sehr früh nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages denkbar war, zeigt die Schlussfolgerung des Rates vom 20. Juni 1994 über die eventuelle Anwendung des Artikels K.9 des Vertrages über die Europäische Union auf die Asylpolitik (Passerelle, Evolutiv­klausel) [Brübach 1997: 80; Gimbal 1994b: 83; IA.5; Zott 1999: 335]. Die Prüfung einer möglichen Vergemeinschaftung der Asylpolitik wurde dann auch mehrmals vor­ge­sehen, aber immer wieder hinausgeschoben [Zott 1999: 256].

Seit dem Inkrafttreten des SDÜ (26.03.1995) galten auch die Kriterien für die Bestimmung des für einen Asylbewerber zuständigen Staates, die fast identisch im Dubliner Abkommen ge­regelt worden waren[58] [Brübach 1997: 26f; Schelter 1996: 20; Achermann 1995: 79f].

Das Dubliner Übereinkommen, das zumindest dann formal die entsprechenden Regelungen des SDÜ in der Asylpolitik ersetzte [Achermann 1995: 84; Brübach 1997: 25], trat auf­grund langwieriger Probleme bei der Ratifizierung - z.B. gemeinsame Flüchtlings­definition, Aufnahmebedingungen für Asylsuchende und Frage der Lastenverteilung [Monar 1996: 66] - erst am 1. September 1997 in Kraft [IA.16]. Die Frage der Lasten­ver­teilung blieb zwar als Ganzes ungeklärt, dennoch wurde durch die vom Rat am 25. September 1995 angenommene Entschließung zur Lastenverteilung hinsichtlich der Auf­nahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Vertriebenen doch die Bereitschaft gezeigt, dass im Krisenfall eine solidarische Lastenverteilung vorgenommen werden kann und wird [Brübach 1997: 144; IA.5; Zott 1999: 333]. In diesem Zusammenhang ist auch der Beschluss des Rates vom 4. März 1996 über ein Warn- und ein Dringlichkeitsverfahren zur Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Ver­triebenen zu sehen [IA.6; Zott 1999: 335].

Im Bereich der Asylpolitik gibt es auch viele schon beschlossene Rechtsakte[59] sowie Vor­schläge[60] zur Finanzierung verschiedenster allgemeiner und sehr konkreter Maßnahmen im Zusammen­hang mit der Aufnahme, freiwilligen Rückführung von Flüchtlingen sowie der gezielten Finanzierung von Projekten in Zusammenhang mit Flüchtlingen und Asyl­bewerbern [vgl. Zott 1999: 329-336 und IA.1 bis IA.7].

Insgesamt zeigen sich bei der Asylpolitik, die faktisch nicht leicht von der Einwanderungs­politik i.e.S. zu trennen ist [Brübach 1997: 140f, 152], deutliche Restriktionstendenzen: Die Konzepte sichere Herkunftsstaaten und sichere Drittstaaten sowie bi- und multilaterale Rück­führungsabkommen zwischen EU-Staaten und Drittstaaten in Verbindung mit den Zu­ständigkeits­regelungen des Dubliner Übereinkommens schränken die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen und in das Gebiet der EU einzureisen deutlich ein [Brübach 1997: 145-147].

Neben diesen inhaltlichen und technischen Regelungen im Bereich des Politikfeldes Visa, Ein­wanderung und Asyl gibt es noch eine Vielzahl von Regelungen, die sich auf die Informations­beschaffung, den Informationsaustausch, die Veröffentlichung von Rechtsakten sowie deren Beobachtung, Überwachung und Evaluation beziehen [vgl. Zott 1999: 329-336 und IA.1 bis IA.7][61].

In Antizipation des am 2. Oktober 1997 unterzeichneten Amsterdamer Vertrages wurden Rat und Kommission schon tätig und verabschiedeten am 3. Dezember 1998 - also schon vor dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages - ein Aktionsprogramm, das einen Zeit­plan für die Verabschiedung der erforderlichen Maßnahmen vorsieht, um die Ziele des EUV n.F. bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik bis 2004 verwirklichen zu können [IA.16]. Dieses enthielt auch innovative Elemente in dem Sinne, dass es nicht mehr nur um Restriktionen, sondern auch um den Kampf gegen die Ursachen der Migration, die in den Dritte-Welt-Ländern liegen, gehen soll [Monar 1999: 156]. Im gleichen Rahmen ist auch die Einsetzung der Hochrangigen Gruppe "Asyl und Migration" am 7. Dezember 1998 durch den Rat zu sehen, deren Aufgabe es ist, eine um­fassende Strategie für den Komplex Migration zu erarbeiten [IA.16]. Ebenso antizipierte auch der Europäische Rat von Wien mit seinen Themen schon das Inkrafttreten des Amster­damer Vertrages: Es wurde die Festlegung einer umfassenden Strategie im Hin­blick auf Wanderungsbewegungen, Asyl­politik und die Aufnahme von Flüchtlingen ge­fordert und die Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in die EU diskutiert [IA.17]. Die genauen Regelungen des Amsterdamer Vertrages werden im nächsten Kapitel erläutert.

3.2.4 Amsterdam und Ergebnisse

Schon im Maastrichter Vertrag war eine erneute Vertragsrevision vorgesehen [Giering/Weidenfeld 1998: 22f]. So wurde bereits kurz nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages durch den Europäischen Rat von Korfu am 24. und 25. Juni 1994 eine Reflexionsgruppe eingesetzt, die die Vorbereitung einer erneuten Vertrags­revision über­nehmen sollte [Brübach 1997: 204]. Diese Gruppe war mit je einem Vertreter der Mit­glied­staaten, dem Kommissionspräsidenten und zwei Vertretern des EP besetzt [Brübach 1997: 204]. Schon beim Europäischen Rat von Madrid am 15. und 16. Dezember 1995 legte die Reflexionsgruppe ihren Schluss­bericht vor [Brübach 1997: 205]. Dieser enthielt Vorschläge zur Vergemeinschaftung der Themen­komplexe Ausländerrecht, Einwanderungspolitik, Asyl sowie gemeinsame Regeln für die Kontrollen der Außengrenzen [Brübach 1997: 207]. Allerdings wurden diese weit­reichen­den Vergemeinschaftungsvorschläge durch den Zusatz relativiert, dass bestimmte, eng mit der staatlichen Souveränität verknüpfte Fragen und Bereiche weiterhin inter­gouverne­mental verregelt werden sollten [Brübach 1997: 207].

Das Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Amsterdam fand vom 16. bis zum 18. Juni 1997 statt [Heimann 1999: 1] und wurde mit der Unterzeichnung des Amster­damer Vertrages am 2. Oktober 1997 zum Abschluss gebracht [Heimann 1999: 1; Khan 1998b: XI]. Durch den Vertrag von Amsterdam wurden überarbeitete und bereinigte Versionen des EGV und EUV durch eine komplett neue Durchnummerierung geschaffen[62] [Giering/Weidenfeld 1998: 63].

Der Amsterdamer Vertrag verändert den EGV und den EUV in entscheidender Weise [Monar 1998: 128; Gimbal 1998: 124]. Es wird damit auch eine neue Zielsetzung der EU formuliert: Nach Art. 2 EUV n.F. soll ein "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" geschaffen, erhalten und weiterentwickelt werden [Khan 1998a: 238; Monar 1998: 129; Zott 1999: 70, 272].

Der EGV n.F. enthält einen neuen Titel: "Titel IV. Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr" [Khan 1998a: 276]. Dieser Titel ersetzt einmal den Art. 100c EGV a.F., der zwei Fragen der Visapolitik regelte, und andererseits den Teil des EUV a.F. bzw. der dritten Säule, der sich mit Visa, Einwanderung und Asyl be­schäftigte [Gimbal 1998: 124]. Durch die Einfügung dieses neuen Titels in den EGV wird die Einwanderungs- und Asylpolitik - zumindest formal - in die erste Säule überführt und damit vergemeinschaftet [Gimbal 1998: 124]. Allerdings handelt es sich hierbei nur um konkurrierende Gemeinschaftskompetenzen: Solange die Gemeinschaft nicht tätig wird, sind die Mitgliedstaaten zuständig, und es gilt das Subsidiaritätsprinzip [Heimann 1999: 16f; vgl. auch Zott 1999: 306]. Durch den Titel IV EGV n.F. fallen "Maß­nahmen zur Gewährleistung des freien Personenverkehrs nach Art. 14 EGV-A[63] [MB: EGV n.F.] in Verbindung mit unmittelbar damit zusammenhängenden flankierenden Maß­nahmen in zentralen Bereichen der Innenpolitik", wie z.B. Außengrenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, nunmehr in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft [Gimbal 1998: 125, erklärende Ergänzung durch Autorin; vgl. Zott 1999: 289f].

Dieser neue Titel des EGV n.F. umfasst zahlreiche, detaillierte und enumerierte Maß­nahmen in fünf Bereichen mit Verweisen auf unterschiedliche Verfahrensregeln [Monar 1998: 130].

Diese fünf Bereiche sind (vgl. Art. 61 EGV n.F.): Erstens Maßnahmen zur Gewährleistung des freien Personen­verkehrs nach Art. 14 EGV n.F. und flankierende Maßnahmen (Außen­grenz­kontrollen, Asyl, Einwanderung u.a.), zweitens Maßnahmen betreffend Asyl, Ein­wan­derung und Schutz der Rechte von Staats­angehörigen dritter Länder, drittens justitielle Zu­sammenarbeit in Zivilsachen, viertens Verstärkung der Zusammenarbeit der Ver­wal­tungen und fünftens polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (im Rahmen von Titel VI EUV n.F.) [Heimann 1999: 15f; Monar 1998: 131]. Für das Politikfeld der Einwanderungs- und Asylpolitik sind jedoch nur die ersten beiden Bereiche von großer Bedeutung. Diese werden insbesondere in den Artikeln 62 und 63 EGV n.F. geregelt.

Art. 62 EGV n.F. befasst sich mit dem Wegfall der Personengrenzkontrollen an den Binnengrenzen und entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen an den Außengrenzen sowie mit der Visapolitik:

"Art. 62 [Wegfall der Personenkontrollen; Kontrolle der Außengrenzen; einheit­liche Visapolitik]

Der Rat beschließt nach dem Verfahren des Artikels 67 innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam

1. Maßnahmen, die nach Artikel 14 sicherstellen, dass Personen, seien es Bürger der Union oder Staatsangehörige dritter Länder, beim Überschreiten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden;

2. Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen der Mitglied­staaten, mit denen Folgendes festgelegt wird:

a) Normen und Verfahren, die von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Personenkontrollen an diesen Grenzen einzuhalten sind;

b) Vorschriften über Visa für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten einschließlich

i) der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz einen Visums sein müssen, sowie der Dritt­länder, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind;
ii) der Verfahren und Voraussetzungen für die Visumserteilung durch die Mitgliedstaaten;
iii) der einheitlichen Visumgestaltung;
iv) der Vorschriften für ein einheitliches Visum.

3. Maßnahmen zur Festlegung der Bedingungen, unter denen Staatsangehörige dritter Länder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten während eines Aufenthalts von höchstens drei Monaten Reisefreiheit genießen." [Khan 1998a: 276f]

Fragen der Außengrenzkontrollen und Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnen­grenzen sowie die gesamte Visapolitik werden damit ausdrücklich dem Zuständigkeits­bereich der Gemein­schaft zugeordnet [Gimbal 1998: 126]. Auch bekommt die EG eine explizite Ermächtigungsgrundlage zum Abbau aller Personenkontrollen an den Binnen­grenzen [Heimann 1991: 1, 14, 18]. Innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Inkraft­treten des Amsterdamer Vertrages muss der Rat geeignete Maßnahmen in diesen Bereichen be­schließen [Gimbal 1998: 126f]. Da weder EU- noch Drittstaaten­angehörige an den gemein­samen Binnengrenzen kontrolliert werden sollen, muss der Rat Normen und Ver­fahren zur Überschreitung der Außengrenzen sowie Visum- und Aufenthalts­vorschriften für Drittstaatsausländer in den EU-Staaten bis zu drei Monaten fest­legen [Gimbal 1998: 127]. Die durch den Maastrichter Vertrag schon verge­meinschafteten Be­reiche - einheitliche Gestaltung der Visamarke und Negativliste - bleiben in gleicher Weise auch weiterhin voll vergemeinschaftet (qualifizierter Mehrheitsbeschluss im Rat, An­hörung des EP) [Gimbal 1998: 131; Heimann 1999: 48]. Desweiteren ist explizit die Er­stellung einer Liste von Drittstaaten, deren Staatsangehörige nicht der Visumspflicht unter­liegen, vorge­sehen [Heimann 1999: 21]. Und der Art. 62 EGV n.F. enthält die Neuerung, dass die Gemein­schaft die Kompetenz hat, ein einheitliches Visum zu erlassen, das dann das nationale Visum ersetzt [Heimann 1999: 22].

"Bei Vorschriften über das Ver­fahren und die Voraussetzungen für die Visumerteilung durch die Mitgliedstaaten sowie über ein einheitliches Visum" beschließt der Rat nach der Über­gangsfrist von fünf Jahren "auto­matisch gemäß dem Mitentscheidungsverfahren" [Gimbal 1998: 131f]. In der Visa­politik erfolgt also nach der Übergangsfrist automatisch, ohne einen zusätzlichen Beschluss des Rates, die Vergemeinschaftung [Gimbal 1998: 132; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22; Müller-Graff 1997: 278].

Der Art. 63 EGV n.F. befasst sich mit Fragen betreffend Asyl, Einwanderung i.e.S. und Schutz der Rechte von Staats­angehörigen dritter Länder:

"Art. 63 [Asyl; Einwanderung]

Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 67 innerhalb eines Zeit­raums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam

1. in Übereinstimmung mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie ein­schlägigen anderen Verträgen Asylmaßnahmen in den folgenden Bereichen:

a) Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat;
b) Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitglied­staaten;
c) Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge;
d) Mindestnormen für die Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft;

2. Maßnahmen in bezug auf Flüchtlinge und vertriebene Personen in folgenden Bereichen:

a) Mindestnormen für den vorübergehenden Schutz von vertriebenen Personen aus dritten Ländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, und von Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen;
b) Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten;

3. einwanderungspolitische Maßnahmen in folgenden Bereichen:

a) Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen sowie Normen für die Verfahren zur Erteilung von Visa für einen langfristigen Aufenthalt und Aufenthalts­titeln, einschließlich solcher zur Familienzusammenführung, durch die Mit­glied­staaten;
b) illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rück­führung solcher Personen, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten;

4. Maßnahmen zur Festlegung der Rechte und der Bedingungen, aufgrund derer sich Staatsangehörige dritter Länder, die sich rechtmäßig in einem Mit­glied­staat aufhalten, in anderen Mitgliedstaaten aufhalten dürfen.

Maßnahmen, die vom Rat nach den Nummern 3 und 4 beschlossen worden sind, hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, in den betreffenden Bereichen inner­staat­liche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, die mit diesem Vertrag und mit internationalen Übereinkünften vereinbar sind.

Der vorgenannte Fünfjahreszeitraum gilt nicht für die Nummer 2 Buchstabe b, Nummer 3 Buchstabe a und Nummer 4 zu beschließende Maßnahmen." [Europäische Kommission 1997: 64; vgl. Khan 1998a: 277f]

Die Maßnahmen betreffend Asyl, Einwanderung und Schutz der Rechte von Staats­ange­hörigen dritter Länder sind nicht ausdrücklich auf das Ziel der Personenfreizügigkeit be­zogen, sondern auf das Ziel der Errichtung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem ein zentrales Element die Personenfreizügigkeit ist [Monar 1998: 131f]. Es gilt auch hier eine so genannte Übergangsfrist von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Amster­damer Vertrages, in der sowohl zahlreiche verfahrenstechnische Ausnahme­regelungen vor­gesehen sind, als auch viele Entscheidungen und Regelungen getroffen werden müssen[64] [Monar 1998: 132]. Konkret handelt es sich um Regelungen bezüglich der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zu­ständigen Staates, Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern und deren An­er­kennung als Flüchtlinge, Mindestnormen für die Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zu- oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, Mindestnormen für den vorüber­gehenden Schutz von De-facto-Flüchtlingen sowie restriktive einwanderungspolitische Maß­nahmen, die illegale Einwanderung und illegalen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen verhindern sollen [Gimbal 1998: 128; Monar 1998: 132; Khan 1998a: 277f]. Hier im Art. 63 EGV n.F. wird das Prinzip der Mindestharmonisierung deutlich: Jeder Mitgliedstaat kann höhere Standards für sich selbst wählen [Heimann 1999: 31f]. Desweiteren kann der Rat nach Art. 63 EGV n.F. Vorschriften über eine ausgewogene Ver­teilung der Belastungen[65], Rege­lungen zu den Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen von Drittstaatsangehörigen sowie Regelungen zu den Rechten legaler Einwanderer aus Drittstaaten auf Grundlage von Art. 63 EGV n.F. beschließen, wobei er jedoch an keine Frist gebunden ist [Heimann 1999: 33; Khan 1998a: 277f].

Mit diesem umfang­reichen Katalog sind zwar große Gebiete der Asyl- und Einwanderungs­politik i.e.S. detailliert ab­gedeckt worden, aber es handelt sich dennoch nur um Teil­elemente des Politikfeldes, so dass der Amster­damer Vertrag zwangsläufig eine sehr lücken­hafte Grund­lage für eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik i.e.S. ist [Monar 1998: 132], auch wenn formale und materielle Aspekte abgedeckt sind [vgl. Heimmann 1999: 23-25].

Während die dritte Säule des Maastrichter Vertrages die gesamte Einwanderungs- und Asyl­politik abdeckte, beinhaltet der Amsterdamer Vertrag in der ersten Säule nun nur große Teile des Politikfeldes und in der dritten Säule wurden die Bereiche Einwanderung und Asyl ganz gestrichen, so dass bestimmte Fragen in diesem Politik­feld - zumindest formal gesehen - nun nicht mehr im Rahmen der EG oder EU bear­beitet werden können [Zott 1999: 291f; vgl. Zott 1999: 128f, 271f]. Trotz dieses Nach­teils sind durch den Vertrag von Amsterdam aber auch Abgrenzungsprobleme zwischen erster und dritter Säule beseitigt worden, insbesondere die sinnwidrige Auf­spaltung der Visa­politik wurde beseitigt, die nun ganz in Art. 62 EGV n.F. geregelt ist [Gimbal 1998: 156; Monar 1998: 135]. Weiterhin wird auch mit dem Amsterdamer Ver­trag die Problematik von De-facto-Flüchtlingen explizit angesprochen und als wichtiger Bereich identifiziert, der durch die EG geregelt werden kann bzw. muss [Heimann 1999: 23]. Außerdem werden in den jetzt vergemeinschafteten Bereichen die be­währten Gemeinschafts­instrumente des Sekundär­rechts (Verordnungen, Richtlinien, Ent­scheidungen) angewandt und damit Rechtssicherheit und -einheit garantiert [Monar 1998: 136; Müller-Graff 1997: 278]. Das sekundäre Gemein­schaftsrecht "genießt Vor­rang vor innerstaatlichem Recht" (Suprematie) und "gilt unmittelbar im inner­staat­lichen Rechtsbereich" (direkte Wirkung) [Zott 1999: 290]. Des­weiteren wird die schwer­fällige Arbeits­struktur des dritten Pfeilers abgeschafft: Der Titel IV EGV n.F. wendet die institutionellen Strukturen der ersten Säule bzw. der EG an, womit eine Verein­fachung und Beschleunigung der Verfahren verbunden ist [Monar 1998: 140].

Trotz dieser recht ausführlichen Bestimmungen ist die Vergemeinschaftung der Asylpolitik und Einwanderungspolitik i.e.S. nicht vollständig: Es werden mit Titel IV EGV n.F. zahl­reiche intergouvernementale Elemente in die erste Säule übernommen [Monar 1998: 153]. Außer­dem gibt es Ausnahme- und Sonderbestimmungen für diesen Bereich, der z.B. durch die Formulierungen Flexibilisierung und ­ opt-out -Möglichkeiten beschrieben wird [Gimbal 1998: 126; Monar 1998: 154]. Müller-Graff kommt daher zu folgendem Schluss:

"Insgesamt ist aber ein bedeutender Teil von Sachgegenständen aus dem Bereich Justiz und Inneres nunmehr auf Grund sachspezifischer Ermächtigungen zweifels­frei der Politik der Europäischen Gemeinschaft zugänglich und den Verfahren der dritten Säule entzogen. Allerdings besteht der Preis dieser Errungenschaft in der Schaffung neuer Differenzierungselemente [...]". [Müller-Graff 1997: 275]

Die wichtige Sonderbestimmung ist die Festlegung einer fünfjährigen Übergangsfrist nach In­krafttreten des Amsterdamer Vertrages, mit der sehr stark intergouvernementale Elemen­te in die erste Säule übernommen werden [Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 23]: In dieser Zeit muss die Beschlussfassung im Rat einstimmig[66] nach Anhörung des EP erfolgen und die Mitgliedstaaten haben neben der Kommission ein Initiativrecht [Gimbal 1998: 130; Heimann 1999: 17; Monar 1998: 140]. Nach Ablauf der Frist entfällt das Ko-Initiativrecht der Mitgliedstaaten und das Mitentscheidungsverfahren, das eine recht weitgehende Be­teiligung des EP be­deutet, kann durchgeführt werden, wenn der Rat dies nach Anhörung des EP einstimmig[67] be­schließt[68] (Ausnahme: Visapolitik, vgl. oben) [Brübach 1997: 220; Gimbal 1998: 131; Heimann 1999: 49, 73; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22; Oldag 1999a: 12]. Die Kommission erhält damit nach Ablauf der Übergangsfrist ihre "typische Rolle als 'Motor der Integration' " in diesem Bereich [Zott 1999: 155]. Allerdings wird die Kommission trotz ihres Initiativmonopols vertraglich dazu "verpflichtet, jeden von einem Mitgliedstaat gestellten Antrag zu prüfen, in dem sie ersucht wird, dem Rat einen Vorschlag zu unterbreiten" [Zott 1999: 155].

Diese mit der Übergangsfrist verbundenen Regelungen bergen aber ein Problem, auf das Giering und Weidenfeld explizit hinweisen:

"Diese Regelungen bedeuten aber, dass in den ersten fünf Jahren nach Inkraft­treten des Amsterdamer Vertrages die Regierungen der Mitgliedstaaten Rechts­akte mit unmittelbarer Geltung in der gesamten Union er­lassen können, ohne dass ein Parla­ment nach dem Prinzip der Gewaltenteilung dabei mitzu­bestimmen oder der Gerichts­­hof entsprechende Jurisdiktionsgewalt hätte" [Giering/Weidenfeld 1998: 36f]

Insgesamt wurde bezüglich der Asyl- und Einwanderungspolitik i.e.S. eine vereinfachte institutionelle Struktur geschaffen und die Rolle der Kommission leicht gestärkt. In der Über­­gangszeit (und wahrscheinlich auch noch danach) ist allerdings nur in sehr be­grenz­tem Maße ein Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in der Asyl- und Einwanderungs­politik i.e.S. zu erwarten [Monar 1998: 142f]. So kann z.B. bezüglich der Be­teiligung des EP nach Ablauf der Übergangfrist die Anwendung des Mitentscheidungs­ver­fahrens vom Rat einstimmig beschlossen werden; dies muss aber nicht geschehen [Gimbal 1998: 131; Monar 1998: 143; Müller-Graff 1997: 278]. Der EuGH erfährt in diesem Bereich zwar eine Ausweitung seiner Kontrollrechte, diese sind aber immer noch nicht so weitreichend, wie dies im alten EG-Bereich der Fall ist [Monar 1998: 147; Müller-Graff 1997: 280; Zott 1999: 180]. Dieses Defizit soll nach Ablauf der Über­gangs­frist beseitigt werden: Der Rat soll dann einen einstimmigen Beschluss fassen, "wonach die Bestimmungen über die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes weiter an die sonst im Gemeinschaftsrecht üblichen Regelungen angepasst werden sollen" [Gimbal 1998: 133].

Weiterhin beinhaltet der Vertrag von Amsterdam auch die Einbeziehung bzw. teilweise Ver­ge­meinschaftung des Schengen-Besitzstandes[69]: Dieser wird in die EU durch das soge­nannte Schengen-Protokoll[70] integriert, indem die einzelnen Regelungen der ersten oder dritten Säule zugeordnet werden [Gimbal 1998: 147f; Heimann 1999: 61; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22; Riegraf 2000: 13]. Dazu müssen jedoch die einzelnen Schengen-Regelungen durch ein­stimmigen Rats­­beschluss auf die Rechtsgrundlagen des EGV n.F. und EUV n.F. aufgeteilt werden. Solange eine Regelung nicht durch Beschluss einer Rechtsgrundlage zugeordnet worden ist, verbleibt die Rege­lung in der dritten Säule. [Gimbal 1998: 148; Monar 1999: 165; Müller-Graff 1997: 276] Heimann weist darauf hin, dass "diese nachträgliche Verteilung gültiger Normen auf höherrangiges Recht" ohne Vorbild ist [1999: 63]. Die Aufteilung auf EGV n.F. und EUV n.F. ist sehr entscheidend, da dadurch entschieden wird, ob es sich um eine vergemeinschaftete oder inter­gouverne­mentale Regelung handelt [Monar 1999: 165; vgl. Problematisierung von Gimbal 1998: 152]. Der EuGH hat hier die Möglichkeit, gegebenenfalls die Zuordnung des Besitz­standes auf die Rechtsgrundlagen zu überprüfen [Heimann 1999: 65; Zott 1999: 316]. Dennoch besteht die Gefahr, dass "Politiken nominell in die erste Säule über­führt wurden, aber de facto in der dritten Säule behandelt werden", da sie bisher oder sogar dauerhaft keiner Rechtsgrundlage explizit zugeordnet wurden [Giering/Weidenfeld 1998: 81]. Auch im Rahmen des Schengen-Besitzstandes ist der EuGH in seinen Kompetenzen stark eingeschränkt im Vergleich zum EG-Bereich. Diese Einschränkung wird auch nicht automatisch aufgehoben, sondern muss sogar durch eine Vertragsänderung erfolgen. [Heimann 1999: 65] Eine weitere Besonderheit der Ein­be­ziehung des Schengen-Protokolls besteht in der Assoziierung von Island und Norwegen. Diese beiden Staaten gehören neben Dänemark und den skandinavischen EU-Staaten zur nordischen Passunion, die deren Mitglieder verständlicherweise nicht aufgeben wollten. So wird er­reicht, dass hinsichtlich des Schengen-Besitzstandes und seiner Weiterentwicklung auch Island und Norwegen daran teilnehmen und die gesamte nordische Passunion erhalten bleibt. [Gehring 1998: 48; Heimann 1999: 70; Zott 1999: 317f]

Technisch erfolgt die Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den institutionellen und rechtlichen Rahmen der EU dadurch, dass die Schengen-Institutionen aufgelöst bzw. in den EU-Rahmen integriert werden (z.B. ersetzt der Rat den Schengener Exekutivausschuss, und das Schengen-Sekretariat wird in das Generalsekretariat eingegliedert) [Gimbal 1998: 147; Heimann 1999: 62]. Die Ein­gliederung des Schengen-Besitzstandes funktionierte relativ einfach, da Schengen schon als Vor­­läufer für künftige Zusammen­arbeit in der EU angelegt wurde[71] [Gimbal 1998: 147]. Die Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes stellt auch die "erste Form der 'Flexibilität' in den Bereichen Justiz und Inneres" dar, da für einige Mitgliedstaaten hier Sonderregelungen gelten [Monar 1998: 148].

Sonderregelungen gelten im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik für Groß­britannien, Irland und Dänemark sowohl bezüglich der Anwendung des Titels IV EGV n.F. als auch der Anwendung des Schengen-Protokolls [Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22; Heimann 1999: 15, 17].

Für Großbritannien und Irland gilt etwas Besonderes aus geopolitischen und geo­graphi­schen Gründen [Heimann 1999: 58]: Diese beiden Staaten haben schon seit langem ein einheitliches Reisegebiet (common travel area) ohne Grenzkontrollen [Monar 1998: 150; Gimbal 1998: 34]. Desweiteren besitzt Großbritannien besondere Be­ziehungen zu den Ländern des Commonwealth. Außerdem profitieren sowohl Irland als auch Großbritannien von ihrer Insellage: Es gibt nur eine einzige Landgrenze und an dieser werden schon seit langem keine Grenzkontrollen mehr durchgeführt aufgrund des einheit­lichen Reiseraum [Gimbal 1994a: 77; Zott 1999: 45, 124, 300]. Die Sonderregelungen sind im "Protokoll über die Position des Vereinigten König­reiches und Irland" festgelegt [Kahn 1998a: 198-200]. Hier bekommen diese Mitgliedstaaten die ausdrückliche Er­laub­nis, ihren eigenen einheitlichen Reise­raum auch weiterhin aufrecht zu erhalten [Monar 1998: 149]. Sie sind daher nicht durch den Schengen-Besitzstand gebunden, können aber beantragen, diesen ganz oder teil­weise zu übernehmen [Gimbal 1998: 149; Heimann 1999: 67; Zott 1999: 316f]. Über den An­trag ent­scheidet der Rat mit einem ein­stimmigen Beschluss[72] [Monar 1998: 149]. Weiter­hin "wird beiden Mitglied­staaten ein voll­ständiger ' Opt-out ' aus Titel IV EGV [...] ge­währt, gleich­zeitig aber auch die Möglich­keit eines späteren Einstiegs eröffnet", der sofort oder nachträglich erfolgen kann[73] [Monar 1998: 150, Hervorhebung von der Autorin; Heimann 1999: 17, 59]. Wichtig ist hier, dass mit dieser Ausnahme ein Rückzug von Großbritannien und Irland aus der bisher schon erreichten Vergemeinschaftung einhergeht: Für diese gelten die bisherigen Verge­meinschaftungen aus Art. 100c EGV a.F. (zwei Aspekte der Visapolitik) nicht mehr [Heimann 1999: 58-60; vgl. Brübach 1997: 119f; Zott 1999: 79f]. Das opt-out dieser beiden Staaten aus dem Titel IV EGV n.F. bedeutet, dass sie sich weder an den Maß­nahmen nach Titel IV EGV n.F. noch an den dadurch entstehenden Kosten[74] beteiligen[75] [Heimann 1999: 58]. Aus diesem Grund werden die Stimmen dieser beiden Länder auch nicht für die einstimmige Beschlussfassung des Rates in diesem Bereich benötigt [Heimann 1999: 58]. Erfolgt von einem der beiden Staaten ein opt-in, dann unterliegt dieser voll den gemeinschaftlichen Regelungen, z.B. hinsichtlich Kosten­verteilung und Juris­diktion des EuGH, außerdem wird der Entscheidungsmodus[76] im Rat dem opt-in ent­sprechend angepasst [Heimann 1999: 59; Zott 1999: 297f]. Da Irland dieses Protokoll weit­gehend aus dem Grund unterschrieben hat, um mit England den common travel area auf­recht erhalten zu können, ansonsten aber stark an der Teilnahme der Vergemein­schaftung von Einwanderungs- und Asylpolitik durch Titel IV EGV n.F. interessiert ist [Zott 1999: 298f], besteht für Irland die Möglichkeit, vollständig aus diesem Protokoll aus­zu­steigen und an allen Maßnahmen und Beschlüssen aufgrund von Titel IV EGV n.F. teil­zunehmen (opt-out vom opt-out) [Heimann 1999: 60; Monar 1998: 150; Zott 1999: 298].

Die Sonderregelungen für Dänemark sind im "Protokoll über die Position Dänemarks" fest­gelegt [Khan 1998: 200f]. Für Dänemark gilt eine Sonderrolle wegen einer komplizierten verfassungsrechtlichen und innenpolitischen Lage [Heimann 1999: 60]. Der bisherige Schengen-Besitzstand bleibt für Dänemark weiterhin völkerrechtlich verbindlich [Gimbal 1998: 149; Heimann 1999: 66; Zott 1999: 318]. Dennoch beteiligt sich Dänemark grundsätzlich nicht an der An­nahme von Maßnahmen nach Titel IV EGV n.F.[77] oder zur Er­gänzung des Schengen-Besitzstandes[78], so dass hier zu einer einstimmigen Rats­entscheidung Dänemarks Stimme auch nicht gebraucht wird [Gimbal 1998: 149; Heimann 1999: 17, 61; Monar 1998: 150f; Zott 1999: 300]. Die bisherigen Ergebnisse der Ver­gemeinschaftung bleiben erhalten: "Das dänische opt-out" gilt "nicht für die bereits in Art. 100c EGV a.F. enthaltenen Bereiche der Visumpolitik"[79] [Heimann 1999: 60; vgl. Zott 1999: 301]. Es besteht bezüglich der Erweiterung des Schengen-Besitz­standes für Däne­mark die Möglich­keit, innerhalb von einer Frist von sechs Monaten, nach­dem ein Vor­schlag oder eine Initiative hierzu im Rat beschlossen wurde, "darüber zu ent­scheiden, ob es diesen Beschluss in einzelstaatliches Recht umsetzt" [Monar 1998: 151; Heimann 1999: 17, 68f]. Damit besteht für Dänemark die Möglich­keit, am weiteren Aus­bau des Schengen-Besitzstandes teilzunehmen [Monar 1998: 151; Heimann 1999: 17]. Problematisch ist hier aber, dass die so getroffenen Regelungen und Maßnahmen nur völker­rechtlich verbindlich sind [Heimann 1999: 17]. Es handelt sich um eine dem EG-Recht fremde völkerrechtliche Verpflichtungsbeziehung zwischen den EG-Mitgliedstaaten [Monar 1998: 151]. Für Dänemark besteht die Möglichkeit, "seine Sonderrolle im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften jederzeit teilweise oder insgesamt aufzu­geben"[80] [Heimann 1999: 61].

Die Sonderregelungen für Großbritannien, Irland und Dänemark führen dazu, dass der Begriff der Außengrenze etwas problematisch wird:

Es stellt sich die Frage, ob die Grenzen zu Großbritannien, Irland und Dänemark als Außengrenzen gelten können. Dies ist möglich, da diese EU-Staaten nicht vollständig an Titel IV EGV n.F. teilnehmen. [Heimann 1999: 19] Die Grenzen zu Großbritannien und Irland sind faktisch Außengrenzen für übrige Mitglieder, da Personenkontrollen durchge­führt werden und diese Staaten weder an der gemeinsamen Einreisepolitik noch an der gemeinsamen Visapolitik teilnehmen [Heimann 1999: 20; vgl. Zott 1999: 299f]. Dänemark dagegen hat die Schengener Übereinkommen unterzeichnet, so dass eine ge­meinsame Einreise- und Visapolitik gesichert ist. Die Personenkontrollen werden an den Grenzen zu Dänemark abgeschafft, so dass die Grenzen der übrigen EU-Staaten zu Dänemark als Binnengrenzen gelten. [Heimann 1999: 20]

Ein wichtiger Punkt bei der Vergemeinschaftung weiter Teile der dritten Säule und des Schengen-Besitzstandes ist auch, dass es neben den jetzt schon bestehenden primärrecht­lichen Ausnahmen für Großbritannien, Irland und Dänemark keine weiteren Ausnahmen geben wird [Giering/Weidenfeld 1998: 82; Gimbal 1998: 149]. Neue EU-Mitglieder müssen die Vergemeinschaftung in den Bereichen Einwanderungs- und Asylpolitik voll­ständig übernehmen, wobei vereinzelte Übergangsregelungen allerdings möglich sind [Heimann 1999: 70; Zott 1999: 319].

Weiterhin erlaubt Titel IV EGV n.F. auch explizit, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind[81], "untereinander eine engere Zusammenarbeit zu vereinbaren" [Gimbal 1998: 134]. Die wichtigste Bedingung ist, dass die engere Zusammenarbeit den grundlegenden Zielen der Union dienlich ist und nicht den einheitlichen institutionellen Rahmen oder die bisher er­reichte Vergemeinschaftung gefährdet [Gimbal 1998: 145; Giering/Weidenfeld 1998: 59]. Beispiele für die Nutzung des institutionellen und recht­lichen Rahmens der EU für eine engere Zusammen­arbeit eines Teils der Mitgliedstaaten sind Titel IV EGV n.F. und das Schengen-Protokoll, die wahrscheinlich auch weiterhin der Hauptanwendungsfall für eine engere Zusammenarbeit bleiben werden [Zott 1999: 322].

Insgesamt wurde im Amsterdamer Vertrag eine weitreichende Vergemeinschaftung der Asyl- und Einwanderungspolitik i.w.S. erreicht [vgl. z.B. Gimbal 1998: 124; Monar 1998: 130; Oldag 1999a: 12; Oldag 1999b: 1; Zott 1999: 270, 321, 326f]. Nachteilig für die Integration ist aber, dass dies nur erreicht werden konnte durch Inkaufnahme von Übergangs- und Ausnahmeregelungen [vgl. z.B. Brübach 1997: 220f; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22f; Prantl 1999: 12; Zott 1999: 322, 326f].

3.2.5 Zwischen Amsterdam und Tampere

Der Amsterdamer Vertrag trat am 1. Mai 1999 in Kraft, jedoch wurden in der Zeit bis Tampere keine Rechtsakte hinsichtlich der Einwanderungs- und Asylpolitik beschlossen [Heimann 1999: 1]. Dies ist aber jedoch aufgrund der kurzen Zeit, nämlich nur etwa fünf Monate, zwischen dem Inkrafttreten vom Amsterdamer Vertrag und dem Treffen in Tampere, das am 15. und 16. Oktober 1999 stattfand, nicht verwunderlich [Europäischer Rat 1999: 1]. Das Treffen im finnischen Tampere, mit dem sich das nächste Kapitel beschäftigt, ist vielmehr als Ausgangspunkt und erster Schritt für die Umsetzung des Amsterdamer Ver­trages bezüglich der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicher­heit und des Rechts zu sehen [Europäischer Rat 1999: 1].

3.2.6 Tampere und Ergebnisse

Am 15. und 16. Oktober fand im finnischen Tampere ein informelles Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU statt, auf dem diese sich insbesondere mit dem Thema "Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" befassten [IA.16; IA.17; Europäischer Rat 1999: 1; Stabenow 1999: 2][82]. Konkrete Beschlüsse wurden auf dem informellen Treffen in Tampere nicht getroffen [Stabenow 1999: 2], aber bezüglich der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik der EU wurden folgende Elemente als wichtig identifiziert [Europäischer Rat 1999: 3]: ein umfassendes Migrations­konzept ("Partnerschaft mit den Herkunftsländern")[83], ein "Gemeinsames Europäisches Asyl­system" auf Grundlage der GFK[84] [Europäischer Rat 1999: 3; Oldag 1999b: 1; Winter 1999b: 1][85], eine gerechte Behandlung von Dritt­staatsangehörigen[86] [Europäischer Rat 1999: 5] und die "Steuerung der Migrations­ströme"[87] [Europäischer Rat 1999: 6]. Negativ ist jedoch, dass ein Hauptstreitpunkt, nämlich die Lastenteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden, nicht einmal in der Schlußerklärung von Tampere erwähnt wurde[88] [Oldag 1999c: 2]. Es wurde ein umfangreiches Arbeitsprogramm zur Schaffung eines europäischen Rechtsraums gebilligt[89]. Bezüglich der Umsetzung des Amster­damer Vertrages wurde die Kommission damit beauftragt, eine "Checkliste" für die An­gleichung der Einwanderungs- und Asyl­politik vorzulegen, wobei aber jeder Mitglied­staat gegen jeden Punkt auf dieser Liste sein Veto einlegen kann [Oldag 1999c: 2]. Be­züglich der Asylpolitik gibt es zahlreiche kritische Stimmen - vor allem von Nicht-Regierungs­organisationen[90], insbesondere Flüchtlings- und Menschenrechts­organisationen. Diese befürchten, ein "euro­päisches System der Unverantwortlichkeit", den Ausbau der "Festung Europa" und die Aushebelung der Geltung der GFK, und beziehen sich dabei vor allem auf die sichere Drittstaaten- und sichere Herkunfts­staatenklauseln sowie auf das ge­meinsame Handeln zur Abwehr von Flüchtlingen und illegalen Einwanderern [Prantl 1999: 12; Stabenow 1999: 2]. Bemerkenswert war jedoch, dass Deutschland, Groß­britannien und Frankreich ein gemeinsames Papier mit einigen Prinzipien, auf die sie sich geeinigt haben, vorlegten [Winter 1999a: 2]. Dieses enthält z.B. eine klare Unterscheidung von Einwanderung, Flucht und Asyl, die Klarstellung, dass die GFK weiterhin gilt, Ansätze zu einer gemeinsamen Integrationspolitik bei dauerhaften Einwanderern und eine mögliche Regelung der Lastenteilung, die aber stark verklausuliert und nicht eindeutig formuliert ist[91] [Winter 1999a: 2].

Insgesamt zeichnet sich bei den Mitgliedstaaten aber die Bereitschaft ab, die Vergemein­schaftung in den Bereichen Einwanderungs- und Asylpolitik schnell voranzutreiben, wobei jedoch noch teilweise Vorbehalte wegen der nationalen Souveränität bestehen [Oldag 1999a: 12; Oldag 1999c: 2; Winter 1999a: 2; vgl. Winter 1999b: 1].

3.3 Probleme des liberalen Intergouvernementalismus: Was kann dieser nicht erklären bei der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU?

Hauptproblem des liberalen Intergouvernementalismus ist, dass er die jetzt erreichte Ver­gemeinschaftung im Politikfeld Einwanderungs- und Asylpolitik nicht ausreichend erklären kann [vgl. Argirakos 1999: 150f; Brochman 1991: 185; Gimbal 1994b: 82; Monar 1996: 59; Moravcsik 1993: 494f]. Er erwartet in der Einwanderungs- und Asyl­politik nämlich keine weit­­reichende Integration und keine Abgabe von Souveränitäts­rechten, da die Interessen der Mitgliedstaaten aufgrund der unterschiedlichen Migrations­ströme verschieden sind und da außerdem dieses Politikfeld sensible Bereiche der Souve­ränität berührt sowie unkalkulierbar ist [vgl. Argirakos 1999: 168; Gimbal 1994a: 84]. Inter­gouverne­mentale Regelungen, so z.B. die Entstehung des Schengen-Regimes und die Ein­beziehung dieses Politikfeldes in die intergouvernementale dritte Säule der EU, kann der Intergouverne­menta­lismus gut erklären[92] [vgl. Gehring 1998: 43]. Es ist auch kein Problem für den liberalen Intergouvernementalismus, die zahlreichen Sonderregelungen beim Amsterdamer Vertrag für Großbritannien, Irland und Dänemark mit ihrer Interessen­lage zu erklären [vgl. Gehring 1998: 66f]: Großbritannien will seine traditionelle Insellage weiter­hin behalten und ist von Flüchtlingen daher auch nur wenig betroffen [Gimbal 1994a: 77; Zott 1999: 45, 124, 300], Irland will den einheitlichen Reiseraum mit Groß­britannien nicht aufgeben und ist von Einwanderung bzw. Flüchtlingen nicht betroffen [Brübach 1997: 138; Zott 1999: 298f], und Dänemark muss aufgrund seiner ver­fassungs­rechtlichen und innenpolitischen Lage darauf achten, dass es nicht überstimmt werden kann, was bei einer Vergemeinschaftung später durchaus denkbar ist [Heimann 1999: 60].

Aber der liberale Intergouvernementalismus kann nicht die Vergemein­schaftung erklären, die im Amster­damer Vertrag vorgenommen wurde, da da­durch die Souveränitätsrechte der Mit­gliedstaaten in entscheidender Weise verändert wurden [vgl. Gimbal 1998: 124; Gimbal 1998: 146-149]. Außer­dem müsste ja weiterhin zwischen Maastricht und Amster­dam eine starke Ver­änderung der Inter­essen der Mit­glied­staaten entstanden sein, die eine Ver­gemein­­schaftung z.B. wegen Kosten­aspekten oder Auto­nomie­gewinnen sinnvoll er­scheinen lassen [vgl. Argirakos 1999: 168; Gimbal 1994a: 84f]. Dies ist aber nicht zu er­kennen [vgl. Heimann 1999: 75; Müller-Graff/Kainer 1998: 126f][93]. Ein weiteres Problem, das sich bei genauerer Betrachtung der Asyl­politik zeigt, wird von Riegraf identifiziert [2000]: Nimmt man die Zahl der gestellten Asyl­anträge als Indikator[94] dafür, welche Politikoption ein Mit­glied­staat bevorzugt, dann er­geben sich deutliche Differenzen zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Positionen der Mit­glied­staaten [Riegraf 2000: 24f]. Riegraf selbst weist auf die Problematik dieser einfachen Operationa­lisierung hin:

"Ein Problem dieser Operationalisierung besteht darin, dass diese Zahlen noch nichts über die Haltung der Gesellschaft und wichtiger gesellschaftlicher Gruppen gegen­­über Einwanderern und Asylbewerbern aussagen, ob diese also in rationa­listischer Terminologie gesprochen als gesellschaftliche 'Kosten' oder als gesell­schaftlicher 'Nutzen' wahrgenommen werden." [Riegraf 2000: 21]

Riegraf kommt aufgrund ihrer ersten Analyse, die große Differenzen zwischen Theorie­erwartung und Empirie aufzeigt, zu dem Schluss, dass ein zweiter Analyseschritt vorge­nommen werden müsste, der entweder rationalistischer oder konstruktivistischer Art sein kann[95] [Riegraf 2000: 26].

Die Erklärungsunzulänglichkeit des liberalen Intergouvernementalismus, nämlich wie im Amsterdamer Ver­trag die Ver­ge­mein­schaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik in dieser Form möglich geworden ist, werde ich mit dem konstruktivistischen Modell von Marcussen u.a. [1999] im Kapitel 3.5 (S. 79) näher betrachten sowie nachvollziehbar und verständlich erklären.

3.4 Probleme des Neofunktionalismus: Was kann dieser nicht erklären bei der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU?

Der Neofunktionalismus kann die Haupttendenz, nämlich Vergemeinschaftung des Politik­feldes Einwanderungs- und Asylpolitik, vorhersagen. Die funktionale Verbindung des Politikfeldes Einwanderungs- und Asylpolitik zum Binnenmarkt führt zu einem spill-over -Effekt, der zur Vergemeinschaftung dieses Politikfeldes führt [vgl. Brübach 1997: 140; Green 1999: 16f]. Aber die Theorie gibt keinerlei konkrete Anhaltspunkte dazu, wann dies geschieht (vgl. Kapitel 2.2.1, S. 20) [vgl. Moravcsik 1993: 475f][96]. Verbunden ist dieses Problem natürlich auch mit der Frage, ob not­wendigerweise spill-over -Effekte bei allen Politik­feldern stattfinden müssen[97] [vgl. Hoffmann 1964: 88, 94]. Zwar gehen die Neo­funktionalisten davon aus, dass spill-over -Effekte nicht automatisch statt­finden, für den Fall der europäischen Integration sind sie aber sicher, dass spill-over -Effekte stattfinden werden [Haas 1966: 327; Schmitter 1969: 164; Schmitter 1970a: 847]. Weiterhin hat der Neo­funktionalismus Probleme, jegliche intergouvernementale Arrangements zu erklären, wie z.B. das Schengen-Regime, das zudem noch außerhalb des institutionellen Rahmens der EG/EU entstanden ist, oder die in der dritten Säule des Maastrichter Vertrages ge­troffenen Regelungen bezüglich der Einwanderungs- und Asyl­­politik [vgl. IA.16; IA.17; Epiney 1995a: 24; Gimbal 1994a: 62f; Monar 1996: 59; Müller-Graff 1996b: 27; Nanz 1996: 67]. Auch scheitert der Neo­funk­tiona­lismus an der Erklärung, warum im Amsterdamer Vertrag Ausnahme­regelungen für Großbritannien, Irland und Däne­mark zu­gelassen wurden [vgl. Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22; Heimann 1999: 15, 17].

Die Erklärungsprobleme des Neofunktionalismus, nämlich wann die Vergemeinschaftung konkret in den Politikfeld der Einwanderungs- und Asylpolitik stattfindet und warum es zunächst intergouvernementale Ausnahmeregelungen und später Ausnahmeregelungen für bestimmte Staaten gab, werde ich im folgenden Kapitel mit dem konstruktivistischen Modell von Marcussen u.a. [1999] näher betrachten sowie nachvollziehbar und verständ­lich erklären.

3.5 Das konstruktivistische Modell als Erklärung der Unzulänglichkeiten vom liberalen Intergouvernementalismus und Neofunktionalismus

Mit dem Modell von Marcussen u.a. [1999] wird in diesem Kapitel die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU genauer betrachtet und erklärt. Vor allem werden dabei die Erklärungsprobleme der beiden klassischen Integrationstheorien beachtet und die Unzu­länglichkeiten dieser Theorien durch das konstruktivistische Modell beseitigt bzw. ver­ständlich gemacht.

3.5.1 Der Vertrag von Maastricht: Intergouvernementaler Einbezug der Einwanderungs- und Asylpolitik in die EU

Für eine intergouvernemental koordinierte Einwanderungs- und Asylpolitik gab es vor dem Maastrichter Vertrag einige Anknüpfungspunkte [vgl. Marcussen u.a. 1999: 615, 617, 631]:

Wichtigster Resonanzboden für diese Idee war der gemeinsame Binnenmarkt, der das Element der Personenfreizügigkeit beinhaltete [IA.16; IA.17; Müller-Graff 1996b: 21f]. Ein weiterer wichtiger Anknüpfungspunkt war das Schengen-Regime[98] und die mit diesem Regime gesammelten Erfahrungen[99] [Epiney 1995a: 21f, 24]. Das Schengen-Regime ent­hielt schon zu dieser Zeit intergouvernementale Regelungen aus diesem Politikfeld [Brübach 1997: 22; Schütz 1995: 511]. Jedoch befand es sich einer­seits außerhalb des EG/EU-Rahmens, war aber auch andererseits gemeinschafts­kompatibel gehalten [Brübach 1997: 23; Epiney 1995a: 21f, 24; Gimbal 1994a: 61f]. Ein weiterer, jedoch weniger wichtiger Anknüpfungspunkt, war das Dubliner Abkommen, das selbst aber stark an Schengen orientiert war und somit nicht direkt als neuer Anknüpfungspunkt gelten kann [Achermann 1995: 83; Gehring 1998: 55, 57; Zott 1999: 34]. Dennoch ist Dublin auch nicht zu vernachlässigen, da dieses Abkommen zum ersten Mal im Bereich der Asylpolitik von allen EG-Staaten unterschrieben wurde, auch wenn dies nicht im Rahmen der EG/EU erfolgte [Müller-Graff/Kainer 1998: 125; vgl. Achermann u.a. 1995: 243].

Damit eine koordinierte Einwanderungs- und Asylpolitik überhaupt in die politische Ord­nung der EG/EU aufgenommen werden konnte, musste es einen kritischen Zeitpunkt geben [vgl. Marcussen u.a. 1999: 614, 616, 631]. Im Fall des Maastrichter Vertrages kamen mehrere außenpolitische Ereignisse zusammen, die dann innenpolitisch bei den Mitglied­staaten zur Wahrnehmung einer Krise führten. Zu nennen sind hier der Zerfall der Sowjet­union mit den daraus folgenden Unruhen und Wanderungen sowie der Zerfall von Jugoslawien mit dem daraus folgenden Bürgerkrieg [Ausschuss der Regionen 1999: 1; Brochman 1996: 186; Achermann 1995: 80f]. Innenpolitisch führten diese Ereignisse in den meisten EG-Staaten vor allem zu einem Anstieg der Asylbewerber­zahlen [Achermann 1995: 80f; Monar 1999: 155f]. Außerdem nahm die Zahl rechtsradikaler und ausländerfeindlicher Äußerungen und Handlungen zu, so erlebten in diesem Zusammen­hang auch rechtsradikale und ausländerfeindliche Parteien einen Aufschwung, so dass alle Mitgliedstaaten, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, sich vom Problem der Einwanderung betroffen fühlten [vgl. z.B. IA.18; Marie 1997: 9f, 101; Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 17f; Schmuck 1997: 272]. Wichtig ist hier allerdings auch, dass dies ein Wahrnehmungsproblem war bzw. ist: Die Zahl der ausländerfeindlichen Äußerungen und Handlungen sowie Zahlen aus Umfragen zum Ausländeranteil stehen in keinem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Ausmaß des Ausländeranteils an der Bevöl­kerung[100] [IA.18]. Das Politikfeld der Einwanderungs- und Asylpolitik wurde und wird immer noch überwiegend als sensibler Bereich gesehen, der die Souveränität der Staaten betrifft [Argirakos 1999: 150f; Brochman 1991: 185; Gimbal 1994b: 82; Monar 1996: 59]. Daher war hier mit intergouvernementalen Regelungen zu rechnen, da ja diese Idee des sensiblen, souveränitätsbetreffenden Politikfeldes nicht einfach missachtet werden konnte [vgl. Argirakos 1999: 168; Gimbal 1994a: 84]. Die Vergemeinschaftung von zwei Aspek­ten der Visapolitik erscheint in diesem Zusammenhang auch verständlich und mit dieser Idee vereinbar: Diese tangiert den Souveränitätsbereich der Mitglieder nur sehr wenig, da es sich um rein formale Regelungen handelt und inhaltlich die Mitglied­staaten weiterhin keine Kompetenzen abgeben[101] [vgl. Brübach 1997: 119f; Nanz 1996: 69; Zott 1999: 79f].

Dass intergouvernementale Regelungen getroffen wurden, ist weiterhin auf das Interesse von Großbritannien zurückzuführen: Dieser Mitgliedstaat war daran interessiert, keine Souveränitätsrechte abzugeben, vor allem da aus seiner Sicht europäische Politik nicht mehr leisten kann als nationale Politik[102] [Gimbal 1994a: 80f]. Großbritannien wollte einer­seits weiterhin Personenkontrollen an seinen Grenzen durch­führen können und anderer­seits nicht die Ausweispflicht im eigenen Land einführen [Gimbal 1994a: 51f, 59, 77]. Daher lehnte es jegliche Vergemeinschaftung ab [Gimbal 1994a: 77f]. Andererseits wollte es aber auch nicht vollkommen aus dem System ausge­schlossen werden, wie dies eben durch das Schengen-Regime der Fall war[103] [vgl. Gehring 1998: 61-64]. Irland ist aufgrund des einheitlichen Reisegebiets von Groß­britannien abhängig: Um dieses aufrecht zu erhalten, muss Irland die Interessen von Groß­britannien mittragen [Monar 1998: 150; Gimbal 1998: 34; Zott 1999: 298f]. Deutschland war vor allem an einer gemeinsamen Asylpolitik interessiert, da hier die Asylbewerber­zahlen absolut am höchsten waren und ein relativ großer Asylbewerberzustrom zu ver­zeichnen war[104] [Gimbal 1994a: 69-71; Hillenbrand/Weidenfeld 1994: 14f]. Auch die Niederlande, Italien und Belgien waren von dem zunehmenden Asylbewerberzustrom be­troffen [Gimbal 1994a: 69]. Die Mitglied­staaten am Mittelmeer - Italien, Spanien, Portugal, Griechenland - waren inzwischen vom Emigrations- zum Einwanderungsland geworden und hatten vor allem mit der zunehmenden illegalen Einwanderung zu kämpfen: Daher waren auch sie an einer gemeinsamen Regelung des Politikfeldes Einwanderungs- und Asylpolitik interessiert [Gimbal 1994a: 71-73]. In Frankreich sanken zwar die Asyl­bewerberzahlen [Gimbal 1994a: 69], absolut gesehen aber hatte Frankreich die zweit­höchste Zahl von Asylbewerbern unter den Mitgliedstaaten [Gimbal 1994a: 76]. aber die Ein­wanderung (vor allem aus den ehemaligen Kolonien) wurde zunehmend als Problem ange­­sehen [Gimbal 1994a: 75f; Werbke 2000: 16]. Insgesamt lässt sich also sagen, dass außer Großbritannien und dem davon wegen des einheitlichen Reiseraums abhängigen Irland alle anderen Mitgliedstaaten, wenn auch aus unterschiedlichen Motivationen und Ausgangslagen[105] heraus, an einer intergouvernemental koordinierten Einwanderungs- und Asylpolitik interessiert waren [Gimbal 1994a: 68-80].

Die Möglichkeit zu intergouvernementalen Regelungen in der Einwanderungs- und Asyl­politik im Rahmen der EU verringert die Transaktionskosten und erhöht die Effektivität nationalstaatlicher, meist zunehmend restriktiverer Politiken [vgl. Brochman 1991: 190; Brübach 1997: 140; Gimbal 1994a: 68-81; Gimbal 1994b: 73; Moravcsik 1993: 497f; Nuscheler 1995: 255-257]. Schengen bleibt auch zunächst als Parallelsystem und Vorbild erhalten, verliert jedoch seine Rolle als Konkurrenzsystem, da im SDÜ festgelegt wird, dass im Falle der Kollision von Schengen-Recht und Gemeinschaftsrecht das letztere Vor­rang hat [Bieber 1995: 179, 182; Gehring 1998: 62; Gimbal 1994b: 81f; Monar 1996: 62; Zott 1999: 142]. Es wird also innerhalb des EU-Rahmens eine neue, weitere Ver­handlungsmöglichkeit und Rechtsgrundlage zur intergouvernementalen Verregelung des Politikfeldes Einwanderungs- und Asylpolitik geschaffen [Epiney 1995a: 47]. Hier zeigt sich, dass der koordinierte Alleingang der Schengen-Staaten, von dem Gehring spricht, durchaus erfolgreich war [1998: 44, 65, 73]. Der Maastrichter Vertrag nimmt also die Idee einer intergouvernemental koordinierten Einwanderungs- und Asylpolitik in die politische Ordnung der EG/EU auf [vgl. Gimbal 1994b: 73; Monar 1996: 61; Müller-Graff 1996b: 14]. Allerdings ist diese Idee noch nicht selbständig, sondern orientiert sich noch sehr stark am Binnenmarkt und am Ziel der Personenfreizügigkeit, wie die Formulie­rung von Art. K.1 EUV a.F. zeigt: "Zur Verwirklichung der Ziele der Union, insbesondere der Freizügigkeit, betrachten die Mitgliedstaaten [...] folgende Bereiche als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse" [Khan 1998a: 10, Hervorhebung von der Autorin; vgl. Brübach 1997: 51f].

Das nächste Kapitel betrachtet den Vertrag von Amsterdam und die Weiterentwicklung dieser neuen Idee.

3.5.2 Der Vertrag von Amsterdam: Weitgehende, aber schrittweise und vorsichtige Ver­ge­meinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik in der EU

Vorläuferideen und Anknüpfungspunkte für den Amsterdamer Vertrag waren zunächst einmal die intergouvernementale Zusammenarbeit in der dritten Säule, die trotz einiger institutioneller[106] und inhaltlicher Schwierigkeiten[107] dennoch zu recht ansehnlichen Er­gebnissen führte (vgl. Kapitel 3.2.3, S. 57). Im Amsterdamer Vertrag ist auch nun deutlich die Verselbständigung der Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik zu er­kennen: Diese wird nicht mehr auf den Binnenmarkt bezogen, sondern ist Teil eines eigenständigen Konzepts bzw. Ziels der Gemeinschaft: Es soll ein "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" geschaffen, erhalten und weiterentwickelt werden [Khan 1998a: 238; Monar 1998: 129; Zott 1999: 70, 272]. Wichtig ist, das dieses Ziel nun gleichberechtigt neben dem Ziel der Vollendung des Binnenmarktes steht [Khan 1998a: 238; Monar 1998: 129, 131f; Zott 1999: 70, 272].

Der kritische Zeitpunkt, zu dem die Idee einer vergemeinschafteten Einwanderungs- und Asylpolitik in die politische Ordnung der EG/EU aufgenommen werden konnte, war ein vom EU-System selbst­induzierter bzw. selbsterzeugter: Durch die im Maastrichter Vertrag vorhergesehene Vertragsrevision mussten zu diesem Zeitpunkt die bisherigen Ergebnisse und Politiken aufgrund des Maastrichter Vertrages zusammengefasst und bewertet werden[108] [Giering/Weidenfeld 1998: 22f]. Dies führte dazu, dass die institutionellen und inhaltlichen Schwächen des Maastrichter Vertrages offensichtlich wurden und diese Unzu­länglichkeiten behoben werden mussten [vgl. Brübach 1997: 204-212].

Dieser selbsterzeugte kritische Zeitpunkt öffnete außerdem für die Mitgliedstaaten ein "Fenster", so dass sie versuchen konnten, ihre Interessen durchzusetzen [vgl. Marcussen u.a. 1999: 629f]. So konnte Großbritannien für sich zweierlei erreichen: Einer­seits ließ es eine weitergehende, vergemeinschaftete Zusammenarbeit und die Integration des Schengen-Regimes zu, da es ja das Parallelsystem Schengen sowieso nicht mehr verhindern konnte [Heimann 1999: 19; vgl. Gehring 1998: 61-67]. Faktisch hielt es sich aber die Möglichkeit offen, an vergemeinschafteten Maßnahmen teilzunehmen [Monar 1998: 150; Heimann 1999: 17, 24, 59, 66f]. Durch diese Möglichkeit des fakultativen opt-in verhinderte Groß­britannien, dass es ausgeschlossen wird aus Maßnahmen, an denen es gegebenenfalls doch teilnehmen will [vgl. Heimann 1999: 17, 59]. Andererseits erreichte Großbritannien aber auch, und zwar relativ unbemerkt, dass es nicht mehr an den schon bereits vergemeinschafteten Maßnahmen der Visapolitik in Zukunft teilnehmen wird [vgl. Heimann 1999: 58-60]. Zu erklären ist dieses Verhalten von Großbritannien mit seiner traditionellen skeptischen Haltung gegenüber Europa und gegenüber supranationalen Regelungen [Marcussen u.a. 1999: 625-628]. Großbritannien hängt immer noch an seiner Idee, dass es ein vom Kontinentaleuropa getrennter Inselstaat ist: Diese Idee würde gefähr­det werden, wenn sich Großbritannien zu stark in die vergemeinschaftete Einwanderungs- und Asylpolitik einbinden lassen würde [vgl. Gimbal 1994a: 77f, Marcussen u.a. 1999: 625f; Werbke 2000: 16]. Irland selbst hat zwar großes Interesse an einer Vergemeinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik, ist aber durch den einheit­lichen Reiseraum mit Großbritannien so stark gebunden und davon abhängig, dass es seine Interessen - zum Zeitpunkt des Amsterdamer Vertrages zumindest - nicht durchsetzen konnte und sich voll der Position Großbritanniens anschloss [Monar 1998: 150; Gimbal 1998: 34; Zott 1999: 298f]. Allerdings setzte Irland durch, dass es auch später noch voll an der vergemeinschafteten Einwanderungs- und Asylpolitik teil­nehmen kann, sofern es das will [Heimann 1999: 60; Monar 1998: 150; Zott 1999: 298]. Dänemark war und ist innenpolitisch und verfassungsrechtlich so gebunden, dass es eine volle Vergemeinschaftung der Einwanderungs- und Asylpolitik nicht mittragen kann [Heimann 1999: 60]. Daher bleibt auch das, was vor Amsterdam erreicht wurde, weiterhin für Dänemark verbindlich: Die zwei Aspekte der Visapolitik gelten auch in Zukunft supra­national für Dänemark und der bisherige Schengen-Besitzstand bleibt völkerrechtlich ver­bindlich, da diese Errungenschaften ja schon innenpolitisch durchgesetzt wurden [Gimbal 1998: 149; Heimann 1999: 66; Zott 1999: 318]. Die komplizierte Ausnahme, die Dänemark weiterhin erlaubt, auf völkerrechtlicher Basis an der Fortentwicklung des Schengen-Besitzstandes teilzunehmen, zeigt die starke Rückbindung der Regierung Däne­marks an ihre Wählerschaft [Heimann 1999: 17, 68f; Monar 1998: 151]. Dass die Regierung selbst gerne weiter in Richtung Verge­meinschaftung gegangen wäre, zeigt die Regelung, dass Dänemark jederzeit seine Sonder­rolle aufgeben kann, soweit dies innen­politisch und verfassungsrechtlich möglich ist [Heimann 1999: 61]. Mit dem Amsterdamer Vertrag wurde Deutschland vor ein ähnliches, innenpolitisches Problem wie Dänemark gestellt, nur wurde hier eine andere Lösung gewählt, da Deutschland seine traditionelle pro-europäische Haltung auch weiterhin behalten will: Deutschland beharrte bei der ge­meinsamen Asylpolitik auf Einstimmigkeit, da hier eine mögliche Berührung von Länderinteressen gegeben sein könnte [Heimann 1999: 49f; Marcussen u.a. 1999: 622-625; Monar 1998: 140].

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Ergebnisse des Amsterdamer Vertrages die Sozialisierungsthese von Marcussen u.a. bestätigen [vgl. Marcussen u.a. 1999: 617, 630f]:

Es wurde eine Vergemeinschaftung vorgenommen und die Bindungswirkung der Regelun­gen einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik verstärkt[109] [vgl. Brübach 1997: 207]. Die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik ver­selbständigte sich im Rahmen der Idee eines "Raum(s) der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" [vgl. Khan 1998a: 238; Monar 1998: 129; Zott 1999: 70, 272]. Dass dennoch Übergangs­regelungen und vor allem das Einstimmigkeitserfordernis hier noch stark wirken, liegt an der Idee, dass dieses Politikfeld sensible Bereiche und die staatliche Souveränität betreffen, die sich auch wahrscheinlich noch recht lange als stabil erweisen wird [Gimbal 1998: 130; Heimann 1999: 17; Monar 1998: 140; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 23].

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den Ergebnissen des Gipfeltreffens in Tampere.

3.5.3 Das Gipfeltreffen in Tampere: Verselbständigung der Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik der EU sowie deren Internalisierung

Tampere verdeutlicht noch einmal, dass die Idee eines "Raum(s) der Freiheit, der Sicher­heit und des Rechts" nun selbständig ist [vgl. IA.16; IA.17; Stabenow 1999: 2]: Diese Sondertagung war einzig und allein dem Thema der "Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union" gewidmet [Europäischer Rat 1999: Vorwort, 1].

Das verabschiedete Arbeitsprogramm und die Schlussfolgerungen zeigen, dass die Mit­gliedstaaten die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik zunehmend internalisieren [vgl. Europäischer Rat 1999: 3-6; Oldag 1999c: 2]. Besonders wichtig ist hier das gemeinsame Papier von Deutschland, Frankreich und Großbritannien[110], also den drei großen Mitgliedstaaten, die sich darin auf gemein­same inhaltliche Grundlinien ge­einigt und festlegt haben [Winter 1999a: 2]. Dieses gemeinsame Papier kann in Zukunft als Resonanzboden für die volle Vergemeinschaftung dieses Politikfeldes fungieren [vgl. Marcussen u.a. 1999: 615, 617, 631; Winter 1999a: 2].

Tampere bestätigt also die Sozialisierungsthese von Marcussen u.a. [1999: 617, 630f]: Die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik verselbständigt sich und wird von den Mitgliedstaaten zunehmend internalisiert [vgl. Khan 1998a: 238; Marcussen u.a. 1999: 631; Monar 1998: 129; Zott 1999: 70, 272].

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den weiteren Prognosen des konstruktivistischen Modells von Marcussen u.a. [1999] bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik.

3.5.4 Prognosen des konstruktivistischen Modells bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik in der politischen Ordnung der EU

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass zu einem weiteren kritischen Zeit­punkt[111] die letzten intergouvernementalen Elemente[112] von den an der Verge­mein­schaftung teilnehmenden Staaten fallen gelassen werden, da diese die Idee zu­nehmend internalisieren und damit auch mit der Idee der staatlichen Souveränität vereinbar machen und verbinden werden (vgl. Sozialisierungsthese) [Marcussen u.a. 1999: 617, 630f].

Wie sich die Situation bei den Staaten mit Ausnahmeregelungen weiterentwickelt, ist schwieriger vorauszusagen:

In Großbritannien ist die Idee der traditionell skeptischen Haltung gegenüber Kontinental­europa vorherrschend [Marcussen u.a. 1999: 625f]. Und diese Idee ist, zumindest in der jetzigen Situation, unvereinbar mit der Idee eines "Raum(s) der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", welche die Idee einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik be­inhaltet [vgl. Marcussen u.a. 1999: 625f; Monar 1998: 131f]. Eine Veränderung dieser Situation ist nur aufgrund einer Krise denkbar, die also solche besonders stark von Groß­britannien wahrgenommen wird [vgl. Marcussen u.a. 1999: 616, 630]. Dass eine solche Krise aber entsteht wird dadurch unwahrscheinlich, dass Großbritannien durch sein optionales opt-in bei Bedarf die Vorteile der Vergemeinschaftung nutzen kann und so eine möglichen Krise im Vorfeld verhindern kann. Auf diese Weise kann das Vereinigte König­reich diese beiden, widersprüchlichen Ideen miteinander verbinden und für sich nutzbar machen. [vgl. Heimann 1999: 17, 59; Marcussen u.a. 1999: 629f]

Irland wird sich weiterhin an Großbritannien orientieren, Dass Irland von Großbritannien in Zukunft weniger abhängig sein wird, ist unwahrscheinlich, zumindest solange der einheit­liche Reiseraum zwischen diesen beiden Staaten aufrecht erhalten bleibt [vgl. Monar 1998: 150; Gimbal 1998: 34; Zott 1999: 298f]. Hier könnte ein kritischer Zeitpunkt, eine größere Krise in Irland[113], dazu führen, dass Irland sich von Großbritannien löst und sich stattdessen in Richtung Kontinentaleuropa orientiert [vgl. Marcussen u.a. 1999: 616, 631].

Dänemark wird weiterhin an der Internalisierung der Idee einer voll vergemeinschafteten Einwanderungs- und Asylpolitik gehindert sein, solange die innenpolitisch und vor allem verfassungsrechtlich vorherrschenden Ideen bezüglich Volksherrschaft und Abstimmungs­regeln gleich bleiben [vgl. Heimann 1999: 60]. Verändern könnte dies nur eine sehr starke innenpolitische Krise, die das Vertrauen in die Wähler als Politikgestalter stark schwächt[114] [vgl. Marcussen u.a. 1999: 616, 631]. Eine Krise bezüglich der Einwanderungs- und Asyl­politik ist hingegen nicht zu erwarten, da Dänemark ja völkerrechtlich verbindlich an der Fortentwicklung des Schengen-Besitzstandes teilnehmen kann [Monar 1998: 151; Heimann 1999: 17, 68f]. Eine Veränderung wäre hier aber auch dadurch denkbar, dass das fremde Element der völkerrechtlichen Verbindlichkeit innerhalb des EG-Systems zu großen Problemen und Spannungen führt, so dass das ganze System in Gefahr kommen könnte und Dänemark zum Handeln bzw. zur Aufgabe seiner Sonderposition gezwungen wird [vgl. Monar 1998: 151].

Dieses Kapitel zeigt auch deutlich die Schwächen des Konstruktivismus bzw. von kon­struktivistischen Modellen, auf die ich im Kapitel 4.2 (S. 89) noch einmal näher eingehen werde.

Das folgende Kapitel 4.1 fasst die Ergebnisse des empirischen Teils zusammen insbe­sondere mit Blick darauf, was welche Theorie erklären kann und was nicht.

4 Zusammenfassung, Problematisierung und Schlussbetrachtung

Hier im letzten Kapitel der Arbeit werden die Ergebnisse des empirischen Teils kurz zu­sammengefasst. Außerdem erfolgt eine Problematisierung des Konstruktivismus als Theorie, auf dem das in dieser Arbeit favorisierte Modell von Marcussen u.a. [1999] basiert.

4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse des empirischen Teils

Die Prüfung der Hypothesen der zwei klassischen Integrationstheorien machen die Schwächen dieser Theorien deutlich:

Der liberale Intergouvernementalismus von Andrew Moravcsik [1993] macht eine recht klare und sehr gut überprüfbare theoretische Vorhersage für die Einwanderungs- und Asyl­politik der EU: Es wird in diesem Politikfeld aufgrund seiner spezifischen Beschaffenheit keine supranationale Integration, keine Abgabe von Souveränitätsrechten geben (vgl. Kapitel 2.4.1, S. 27). Problematisch und nicht zu erklären ist aber, dass im Vertrag von Amster­dam dennoch eine weitreichende Vergemeinschaftung angelegt worden ist (vgl. Kapitel 3.2.4, S. 63 und Kapitel 3.3, S. 76).

Der Neofunktionalismus von Haas, Schmitter und Lindberg [vgl. Wolf 1999: 17] macht eine überprüfbare theoretische Vorhersage. Es wird in der EU zu einem spill-over -Effekt kommen: Die funktionale Verbindung zwischen Binnenmarkt einerseits und Einwanderungs- und Asylpolitik andererseits wird dazu führen, dass auch diese verge­mein­schaftet werden, also Souveränitätsrechte langfristig an supranationale Institutionen abge­geben werden (vgl. Kapitel 2.4.1, S. 27). Trotz dieser recht eindeutigen Vorhersage, die sich auch an der Empirie mit einigen Einschränkungen[115] bestätigen lässt, hat der Neo­funktionalismus das Problem, dass er keinerlei Aussage über den Zeitpunkt macht, zu dem spill-over -Effekte stattfinden, also wann die supranationale Integration voranschreitet (vgl. Kapitel 3.4, S. 78)[116]. Dies führt zu dem Problem, dass die theoretische Vorhersage nur eindeutig bestätigt, nicht aber eindeutig widerlegt werden kann, da die vorhergesagte Integration durch den spill-over -Effekt ja in der Zukunft noch stattfinden könnte.

Das konstruktivistische Modell von Marcussen u.a. [1999] kann die Unzulänglichkeiten, die bei den beiden klassischen Integrationstheorien bleiben, gut erklären. Die Aufnahme von kompatiblen, supranationalen Ideen in die politische Ordnung der EU findet zu kriti­schen Zeitpunkten statt, an denen auch die Akteure versuchen, ihre Interessen durchzu­setzen; wenn neue Ideen und Interessen angenommen wurden, werden diese in der Regel von den Akteuren internalisiert (vgl. Kapitel 2.3, S. 22). Die von diesem konstruktivisti­schen Modell gemachten Vorhersagen lassen sich auch an der Empirie völlig bestätigen (vgl. Kapitel 2.4.1, S. 27 und Kapitel 3.5, S. 79). Die Probleme des konstruktivistischen Modells werden aber in Kapitel 3.5.4 (S. 85) deutlich: Das Modell alleine gibt keine klaren Anhalts­punkte dafür, wann ein kritischer Zeitpunkt von den entscheidenden Akteuren wahr­genommen bzw. konstruiert werden wird. Ein weiterer Problempunkt ist, dass die Ideen, die von den Akteuren als kompatibel zur politischen Ordnung gesehen oder besser konstruiert werden, auch nicht a priori eindeutig und abschließend identifiziert werden können. Moravcsik mahnt hier z.B. an, dass konkrete Kausalmechanismen fehlen: Welche Ideen und Dis­kurse welche Politiken unter welchen Umständen beeinflussen, bleibt unklar beim Konstruktivismus [Moravcsik 1999: 671]. Moravcsik kommt daher zu folgendem Urteil bezüglich des Konstruktivismus: "Absent a more precise specification, any observed outcome [...] is 'explained' by this theory" [1999: 672, Hervorhebung im Original]. Bezüg­lich des konstruktivistischen Modells von Marcussen u.a. [1999] kritisiert Moravcsik ex­plizit das Konzept des kritischen Zeitpunktes: "(T)he claim is unspecified to the point of near-tautology" [Moravcsik 1999: 674]. Dies ist ein schwerer Vorwurf an den Konstruk­tivismus und das hier verwandte konstruktivistische Modell: Denn damit, dass das Modell alles erklären kann, erklärt es eigentlich nichts [vgl. Foerster 2000: 47]. Dennoch ist diese negative Bewertung des Konstruktivismus nur aus einer ganz bestimmten theoretischen Sichtweise nachvollziehbar: Nämlich aus einem positivistischen Theorie­ver­ständnis und einer ganz bestimmten, etwas verkürzenden Rezeption des Konstruktivismus heraus. Daher wird an dieser Stelle eine wissenschaftstheoretische Betrachtung notwendig: Es müssen onto­logische und vor allem epistemologische Unterschiede zwischen den unter­schiedlichen Theorie­ansätzen betrachtet werden. Ontologische Unterschiede sind solche, die sich auf den Untersuchungs­gegenstand und den Inhalt der jeweiligen Theorien beziehen[117]. Die ontologischen Unterschiede werden auch schon im theoretischen Teil deutlich (Kapitel 2, S. 9) und müssen hier daher nicht mehr detailliert ausgeführt werden[118]. Epistemologische Unterschiede beziehen sich dagegen "auf die Verfahren der Gewinnung von Aussagen über den Gegen­stand und den Geltungs­anspruch, der diesen Aussagen jeweils zukommt"[119]. [Meyers 1990: 55] Um die Frage nach den ontologischen und epistemo­logischen Unter­schieden der hier verwandten Theorien zu beantworten, wird genauer betrachtet, welche Funktionen Theorien erfüllen sollen und ob diese von den verschiedenen Theorien auch er­füllt werden [vgl. Meyers 1998: 393-395 und 1990: 52f].

Die jetzt notwendige wissenschaftstheoretische Thematisierung erfolgt im nächsten Kapitel.

4.2 Problematisierung: Was ist eine gute Theorie? Was soll eine Theorie leisten?

Meyers nennt folgende idealtypische Funktionen einer Theorie [1998: 393-395, 1990: 52f]:

Allgemein ist die Aufgabe von Theorien, "die verwirrende Mannigfaltigkeit der viel­schichtigen und kom­plexen Phänomene, die in ihrer Gesamtheit den Gegenstand des Faches ausmachen, für den wissenschaftlichen Erkenntniszugriff zu ordnen und zu er­schließen" [Meyers 1998: 393]. Damit kommt den Theorien eine "Interpretationsfunktion"[120] und eine "Orientierungsfunktion"[121] zu. An Theorien wird hier das Kriterium der Einfachheit gestellt: Sie sollen die Phänomene erschließen. [Meyers 1998: 394, 1990: 58; vgl. Welz/Engel 1993: 129-132] Theorien haben desweiteren eine epistemologische Funktion: Sie geben eine "Anleitung für die Formulierung wissen­schaftlicher Aussagen über den von der Großtheorie konstituierten Realitätsausschnitt" und bestimmen "Kriterien für deren Geltung" [Meyers 1998: 395]. Viele Theorien enthalten außerdem implizit oder explizit neben diesen ontologischen und epistemologischen Funk­tionen für den Erkenntnisprozess vielfach auch einen konkreten Bezug zur gesellschaftlichen Praxis: Ihnen kommen dann noch eine "Zielbeschreibungsfunktion"[122] und eine "Handlungslegitimationsfunktion"[123] zu [Meyers 1998: 394].

Meyers fasst diese Theoriefunktionen in einer Abbildung zusammen:

Quelle: Meyers 1990: 52, 1998: 394

Abb. 4: Theoriefunktionen nach Meyers

Überprüft man nun, welche dieser Theoriefunktionen von den hier angewandten Theorien und dem Modell wie erfüllt werden, so stellt man Folgendes fest:

Alle Theorien erfüllen die Interpretations- und Orientierungsfunktion, jedoch in unter­schiedlichem Ausmaß. Vor allem differieren sie hinsichtlich ihrer Prognosefähigkeit und der Möglichkeit, die Prognosen dann auch an der Empirie zu überprüfen [vgl. Welz/Engel 1993: 132]. Dass die Prognosefähigkeit und die Falsifizierbarkeit von Hypo­thesen ein sehr wichtiges und sogar das entscheidende Theorieelement ist, wird vor allem von Karl Popper vertreten. So verlangt Popper, dass alle Hypothesen "endgültig entscheid­bar sein müssen: Sie müssen eine solche Form haben, dass sowohl ihre Verifikation als auch ihre Falsifikation logisch möglich ist" [1989: 14, Hervorhebung im Original]. "Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können" [Popper 1989: 14, Hervorhebung im Original].

Die klassischen Integrationstheorien sind recht einfach. Es gibt wenige unabhängige Variablen und man kann recht klare Vorhersagen machen.

Der liberale Inter­gouverne­mentalismus erfüllt die Orientierungsfunktion am besten, da er bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU eine einfache, klare und gut überprüfbare Prognose macht [vgl. Meyers 1998: 394]. Das Problem dieser Theorie ist aber, dass ihre Vorhersage von der Empirie widerlegt wird (vgl. Kapitel 3.3, S. 76)[124].

Der Neofunktionalismus macht eine relativ klare Vorhersage, deren Überprüfbarkeit aber leider nicht einfach erfolgen kann: Aufgrund der fehlenden Zeitdimension wird die Falsi­fizierung der Vorhersage faktisch un­möglich (vgl. auch Kapitel 2.2.1, S. 20) [vgl. Moravcsik 1993: 475f].

Das kon­struk­ti­vistische Modell von Marcussen u.a. ist im Vergleich zu den klassischen Integrations­theorien sehr kompliziert: Es besitzt mehrere Stufen und damit verbunden auch mehrere, wenn auch unterschiedlich wichtige, unabhängige Variablen (vgl. auch Kapitel 2.3, S. 22). Dieses Modell besitzt eine starke a posteriori -Plausibilität, da es im Vergleich zu den beiden klassischen Integrationstheorien alle beobachteten Phänomene erklären kann. Aber die Vor­hersagen des Modells sind nur recht vage. Problematisch sind z.B. schon die Fragen, wann über­haupt ein kritischer Zeitpunkt wahrgenommen werden wird oder wann eine Idee mit der bestehenden politischen Ordnung kompatibel ist [vgl. Moravcsik 1999: 671].

Bezüglich der epistemologischen Funktion sind die zwei klassischen Integrationstheorien und das konstruktivistische Modell von Marcussen u.a. aber nicht so stark voneinander ent­fernt, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint oder wie es Moravcsik in seiner Kritik am Konstruktivismus allgemein vermuten lässt [vgl. Moravcsik 1999: 670-679]:

Der Konstruktivismus ist zwischen den Polen von Rationalismus und Reflexivismus an­zu­siedeln [Adler 1997: 319, 321-323, 330-337; Christiansen u.a. 1999: 536]. Des­weiteren gibt es viele konstruktivistische Theorien, Modelle und Ansätze, die sich selbst stark hin­sichtlich ihrer epistemologischen Funktion unterscheiden [vgl. Adler 1997: 335f; Christiansen u.a. 1999: 536; Smith 1999: 689f]. Dies wird in dem Aufsatz von Smith[125] [1999] deutlich: Seine These lautet, dass der Sozialkonstruktivismus, im Gegensatz zu einigen anderen Konstruktivismusvarianten, nahe beim Rationalismus anzusiedeln ist [Smith 1999: 683f]. Sozial­konstruktivisten verneinen nämlich weder die Wissenschaft und ihren empirischen Bezug[126] noch das Bestehen von Kausalerklärungen[127]. Es handelt sich hier also nicht um einen epistemologischen, sondern um einen ontologischen Streit[128]. [Smith 1999: 684; vgl. Adler 1997: 322f] Auch Sozialkonstruktivisten sind wie Rationalisten daran interessiert, die Welt zu erklären [Wendt 1995: 74]. Das Modell von Marcussen u.a. bezieht sich außerdem eindeutig auf die Empirie und lässt auch Prognosen zu. Dass diese Prognosen nicht so deutlich und klar sind wie bei den anderen Theorien, lässt sich vor allem auf die höhere Komplexität (Vier-Stufen-Prozess-Modell) zurück­führen. [vgl. Smith 1999: 686f] An dieser Stelle wird auch deutlich, dass Moravcsik eine stark pauschalisierte Kritik am Konstruktivismus vornimmt: "We see a striking unwillingness to set forth distinctive mid-range hypotheses and test them against the most plausible alternatives in a rigorous and objective way" [Moravcsik 1999: 678]. Für Moravcsik bemühen sich die Konstruktivisten nicht um einen angemessenen empirischen Bezug und die Überprüfung bestehender, alternativer Theorien. Damit bezieht sich Moravcsik aber nur auf einen Teil des Konstruktivismus und gerade nicht auf den Sozial­konstruktivismus, der dem Modell von Marcussen u.a. [1999] zugrunde liegt [vgl. Smith 1999: 686f]. Dennoch ist Moravcsiks Kritik an der fehlenden Spezifizierung der Hypothesen des Konstruktivismus, auch beim konstruktivistischen Modell von Marcussen u.a. [1999] berechtigt: "Absent a more precise specification, any observed outcome [...] is 'explained' by this theory" [Moravcsik 1999: 672, Hervorhebung im Original; vgl. Moravcsik 1999: 674].

Die Zielbeschreibungsfunktion und Handlungslegitimationsfunktion werden von den klassischen Integrationstheorien implizit erfüllt: Beim liberalen Intergouvernementalismus bleiben die Staaten immer die entscheidenden Akteure, die rational handeln und souverän sind[129] [vgl. Moravcsik 1993: 496; Wolf 1999: 61], und beim Neofunktionalismus ist das Ziel die politische Union[130] (siehe Abb. 2, S. 19) [vgl. 1970a: 845].

Das konstruktivistische Modell von Marcussen u.a. [1999] hat keinen solchen Bezugs­punkt. Es ist radikal offen, so dass hier diese radikale Offenheit der zukünftigen Ent­wicklung als Anleitung für das praktische Handeln verstanden werden kann [vgl. Adler 1997: 337-341]. Aber auch wenn das konstruktivistische Modell eine starke Offenheit beinhaltet, so bedeutet dies noch nicht, dass alles möglich ist: Das Handeln der Individuen wird dadurch beschränkt, was "als 'sinnvoll' oder 'angemessen' unter den Systemmitgliedern" gilt[131] [Hejl 2000: 138].

Welche der drei hier verwandten Theorien zu bevorzugen ist, hängt davon ab, wie man die hier beschriebenen Theoriefunktionen bewertet bzw. welche man erfüllt haben will und welche Theorieelemente (z.B. Einfachheit, Prognosefähigkeit, empirische Validierung) man unbedingt beibehalten will. Damit beschäftige ich mich kurz im letzten Kapitel dieser Arbeit.

4.3 Schlussbetrachtung

Der Konstruktivismus bzw. das hier verwandte konstruktivistische Modell hat meiner Meinung nach gegenüber den klassischen Integrationstheorien den entscheidenden Vorteil, dass die in der Einwanderungs- und Asylpolitik beobachteten Phänomene erklärt und nachvollzogen werden können. Der Wert des Konstruktivismus entsteht gerade dadurch, dass er die empirischen Rätsel der klassi­schen Integrationstheorien verständlich macht. Die Vorteile der klassischen Integrations­theorien gegen­über dem konstruktivistischen Modell, Einfachheit und stärkere Prognose­fähigkeit, werden nämlich vor allem dadurch deutlich beeinträchtigt, dass ihre theoreti­schen Hypothesen zum Teil an der Empirie widerlegt werden können.

Die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU kann von den klassischen Integrationstheorien recht gut erfasst werden: Das Ergebnis des Maastrichter Vertrages lässt sich sehr gut mit dem liberalen Intergouvernementalismus und das Ergebnis des Amsterdamer Vertrages mit dem Neofunktionalismus erklären (vgl. Kapitel 3.3, S. 76 und Kapitel 3.4, S. 78). Sicher­lich sind die beiden klassischen Integrationstheorien ein erster guter Zugriff, aber es bleiben Erklärungsunzulänglichkeiten und -probleme bestehen. Hier kann das kon­struk­ti­vistische Modell von Marcussen u.a. als zusätzlicher Ansatz sehr gut verwendet werden. Aufgrund seiner hohen Komplexität und recht schwachen Prognose­fähigkeit ist dieses Modell aber für einen ersten Zugriff auf die hier betrachteten, empirischen Phänomene eher ungeeignet.

Das konstruktivisti­sche Modell von Marcussen u.a. bedarf daher noch einiger theoretischer Ver­­feinerungen - oder sogar Vereinfachungen, soweit dies möglich ist - und vor allem einer besseren Operationalisierung. Es müssen z.B. genaue Anhaltspunkte oder Merkmale für die Wahr­nehmung eines kritischen Zeitpunktes spezifiziert werden [vgl. Moravcsik 1999: 671]. Denkbar sind hier z.B. enttäuschte Erwartungen oder unerfüllte Interessen bei den Akteuren. Desweiteren müssen Regeln oder Kausalmechanismen ausge­arbeitet werden, die genau bestimmen, welche Ideen und Dis­kurse welche Politiken unter welchen Umständen beeinflussen und welche Ideen miteinander kompatibel sind [vgl. Moravcsik 1999: 671]. Denkbar wäre hier z.B. eine Typologie von Ideen und Diskursen, die in verschiedenen Weisen auf die Politiken einwirken.

Das Modell von Marcussen u.a. hat also noch einen deutlichen Entwicklungs- und Kon­kretisierungsbedarf. Allerdings ist dies auch nicht verwunderlich, da es sich bei der kon­struktivistischen Integrationsforschung um ein recht neues Feld in den Internationalen Be­ziehungen handelt: Diese Theorierichtung entstand erst in den 90er Jahren, und das Modell von Marcussen u.a. stammt von 1999. Die klassischen Integrationstheorien haben ihren Ur­sprung dagegen in den 60er Jahren und haben seitdem auch einige Über­arbeitungen und Fortentwicklungen erfahren, denn keine der hier angewandten Theorievarianten entspricht voll dem Original aus der Anfangszeit.

5 Anhang

5.1 zeitliche Übersicht über relevante Ereignisse bezüglich der Einwanderungs­- und Asylpolitik der EU

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[132]

5.2 Geltendes Gemeinschaftsrecht und vorbereitende gemeinschaftliche Rechts­akte bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU

5.2.1 Geltendes Gemeinschaftsrecht

Verordnungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Übereinkommen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gemeinsame Standpunkte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gemeinsame Maßnahmen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Entschließungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beschlüsse

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Empfehlungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schlussfolgerungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sonstige Rechtsakte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[133]

5.2.2 Vorbereitende gemeinschaftliche Rechtsakte

Vorschläge für Verordnungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorschläge für Richtlinien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorschläge für Entscheidungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorschläge für Gemeinsame Maßnahmen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorschläge für Beschlüsse

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorschläge für sonstige Rechtsakte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.3 verwendete Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[134]

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[...]


[1] Allerdings gibt es hier (noch) Übergangs- und Sonderregelungen [Gimbal 1998: 126; Monar 1998: 154; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 23; Müller-Graff 1997: 275].

[2] Diese Unterscheidung wurde zuerst im Rahmen des Schengen-Regimes getroffen, das zunächst außerhalb der EG/EU angesiedelt war und erst durch den Amsterdamer Vertrag in den Unionsrahmen integriert wurde [Nanz 1996: 64; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22].

[3] Die Politiken der Mitgliedstaaten sind - je nach Theorie - eine wichtige oder eher unwichtige unabhängige Variable. Sie wirkt mehr oder weniger auf die Politik der EG/EU ein, hängt aber selbst von verschiedenen Faktoren ab, auf die hier in der Arbeit vor allem im Zusammenhang mit dem liberalen Intergouvernementalismus ausführlicher eingegangen werden wird, da dieser in den Interessen und darüber auch vermittelt in der Politik der Mitgliedstaaten die entscheidenden Einflussfaktoren auf die EG/EU-Politik sieht [vgl. Moravcsik 1993; Wolf 1999: 61; Riegraf 2000: 15].

[4] Zwar handelt es sich dabei um eine selektive Darstellung der Empirie, die sich an den Theorien und deren Hypothesen orientiert. Dennoch ist die empirische Darstellung ausführlich und sehr umfassend, da ja drei sehr unterschiedliche Theorien gegenübergestellt werden.

[5] IR ist die englische Abkürzung für international relations [Christiansen u.a. 1999: 528], also für die politik­wissenschaftliche Disziplin Internationale Beziehungen, die ähnlich auch im Deutschen oft mit IB ab­ge­kürzt wird.

[6] Für eine kurze und prägnante Darstellung der Theorien der Internationalen Beziehungen eignet sich Meyers 1994a und 1994b. Eine ausführlichere Darstellung findet man bei List u.a. 1995: 31-46 sowie Meyers 1997. Für den Realismus sind insbesondere einige Abbildungen [Meyers 1994b: 232f und 1997: 330, 375, 379f, 385 sowie List u.a. 1995: 34] und die kurze Zusammenfassung in List u.a. [1995: 36-38] sehr aussagekräftig.

[7] Wolf weist darauf hin, dass eigentlich immer ein anderer Aufsatz von Hoffmann als klassische Formulierung des Inter­gouverne­men­ta­lis­mus zitiert wird. Die Thesen dieser Theorie und Hoffmanns Kritik am Funktionalismus werden aber wesentlich klarer in dem hier zitierten Aufsatz genannt. [Wolf 1999: 61 (Fußnote 91)] Als klassische Formulierung des Intergouvernementalismus gilt folgender Aufsatz: Hoffmann, Stanley (1966): Obstinate or Obsolete? The Fate of the Nation-State and the Case of Western Europe. in: Daedalus 95:3 (1966), S. 862-915 [Wolf 1999: 61 (Fußnote 91), 308]

[8] Moravcsik hat diesen Ansatz in folgenden Texten weiter ausgeführt: Moravcsik, Andrew (1997): Warum die Europäische Union die Exekutive stärkt: Innenpolitik und internationale Kooperation. in: Wolf, Klaus Dieter (Hrsg.) (1997): Projekt Europa im Übergang?. Probleme, Modelle und Strategien des Regierens in der Europäischen Union. Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft, S. 211-269. Weiterhin hat sich auch Klaus Dieter Wolf mit diesem Ansatz unter dem Aspekt der Entdemokratisierung durch freiwillige Selbstbindung näher befasst: Wolf, Klaus Dieter (1997): Entdemokratisierung durch Selbstbindung in der Europäischen Union. in: ders. (Hrsg.): Projekt Europa im Übergang?. Probleme, Modelle und Strategien des Regierens in der Europäischen Union. Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft, S. 271-294 und Wolf, Klaus Dieter (1999): Die Neue Staatsräson als Demokratieproblem in der Weltgesellschaft. in: Greven, Michael Th./Schmalz-Bruns, Rainer (Hrsg.) (1999): Politische Theorie - heute. Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft, S. 303-330 sowie Wolf, Klaus Dieter (2000): Die Neue Staatsräson. Zwischenstaatliche Kooperation als Demokratie­problem in der Weltgesellschaft. Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft

[9] Negative Externalitäten entstehen, wenn das Verhalten einer Regierung Kosten für politisch entscheidende Gruppen außerhalb der Reichweite der eigenen Gesetzgebung bzw. des eigenen Hoheitsgebietes erzeugt. [Moravcsik 1993: 485]

[10] Positive Externalitäten entstehen, wenn das Verhalten einer Regierung Gewinne für politisch ent­scheidende Gruppen außerhalb der Reichweite der eigenen Gesetzgebung bzw. des eigenen Hoheits­gebietes erzeugt.

[11] Für Literaturhinweise bezüglich der Theorien Internationaler Beziehungen siehe die Fußnote zum Realismus auf Seite 11. Für den Pluralismus bzw. Idealismus sind insbesondere einige Abbildungen [Meyers 1994b: 232f und 1997: 330, 417] und die kurze Zusammenfassung in List u.a. [1995: 34-36] sehr aussagekräftig.

[12] Ruggie, John Gerard (1998): Constructing the World Polity: Essays on International Institutionalization. New York: Routledge, S. 33

[13] Smith vergleicht in diesem Artikel [1999: 684-688] zusammenfassend die unterschiedlichen konstruktivistischen Ansätze und Modelle, die sich in der Themenausgabe des Journal of Euro­pean Public Policy zur gesellschaftlichen Konstruktion Europas befinden [Journal of European Public Policy 6: 4, Special Issue 1999: The Social Construction of Europe]. Mit seinem Beitrag, der in dieser Themenausgabe am Schluss steht, kritisiert Smith auch die konstruktivistischen Ansätze aus Sicht reflexiver Theorien [siehe insbesondere 1999: 682-684, 689-691].

[14] Marcussen u.a. beziehen sich mit dieser Definition von Institution auf die von March und Olson. Sie verweisen auf folgende Literatur: March, James G./Olson, Johan P. (1989): Rediscovering Institutions: The Organizational Basis of Politics. New York: The Free Press March, James G./Olson, Johan P. (1998): The Institutional Dynamics of International Political Orders. in: International Organization 52, S. 943-959

[15] Diese Vorhersage gilt nur unter der Bedingung, dass keine weiteren kritischen Zeitpunkte eintreten und von den Akteuren wahrgenommen werden. Solche neuen kritischen Zeitpunkte können diese langfristige Vorhersage beeinflussen: Durch diese kritischen Zeitpunkte können die langfristigen Folgen der Ideen, die in früheren kritischen Zeitpunkten aufgenommenen wurden, verändert oder sogar zunichte gemacht werden.

[16] Es besteht theoretisch eine sehr kleine Möglichkeit, dass durch eine umfassende Veränderung der innenpolitischen Interessen und einer damit einhergehenden Angleichung der staatlichen Interessen doch entsprechende Kooperationsanreize geschaffen werden, die eine supranationale Integration denkbar und gewinnbringend für die Staaten machen (z.B. durch Autonomiegewinne gegenüber der Gesellschaft). Dies ist aber aufgrund der zur Zeit bestehenden Interessenlage und Unsicherheiten im Politikfeld Einwanderungs- und Asylpolitik nahezu undenkbar.

[17] Es handelt sich hierbei um eine fast automatische supranationale Integration. Allerdings wird mit dieser etwas abgeschwächten Formulierung den Bedenken des Neofunktionalismus, die der Funktionalismus in dieser Form noch nicht hatte, Rechnung getragen.

[18] Diese Vorhersage gilt nur unter der Bedingung, dass keine weiteren kritischen Zeitpunkte eintreten und von den Akteuren wahrgenommen werden. Solche neuen kritischen Zeitpunkte können diese langfristige Vorhersage beeinflussen: Durch diese kritischen Zeitpunkte können die langfristigen Folgen der Ideen, die in früheren kritischen Zeitpunkten aufgenommenen wurden, verändert oder sogar zunichte gemacht werden.

[19] Meyers betont dies bei seiner Darstellung der IB-(Groß-)Theorien auch explizit: "Erkenntnis ist grundsätzlich theoriegebunden. Fakten sind grundsätzlich theorie­geladen." [1990: 52; vgl. 1998: 393]

[20] Eine Problematisierung des Konstruktivismus und seiner Probleme erfolgt im Kapitel 4.2, nicht aber im empirischen Teil. Die Einwände gegen den Konstruktivismus sind nämlich eher auf der theoretischen als auf der empirischen Ebene anzusiedeln.

[21] Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist abgedruckt in Randelzhofer 1998: 125-130.

[22] Diese Forderung wird explizit in der Mitteilung der Kommission vom 23.2.1994 über Einwanderungs- und Asylpolitik genannt [Achermann 1995: 127; Brübach 1997: 150f, 160].

[23] Keller nennt unter anderem folgende Beispiele und Kategorisierungen: Privatrechtlich werden Ausländer z.B. wie Inländer behandelt. Strafrechtlich werden sie auch wie Inländer behandelt, können aber ausgewiesen werden. Es werden z.B. dauerhafte Einwanderer und Einwanderer, die nach einiger Zeit wieder in ihr Heimatland zurückkehren wollen, unterschieden. Weiterhin werden Einwanderer und Asylsuchende unterschieden. Es wird auch zwischen legalen bzw. erwünschten und illegalen bzw. unerwünschten Einwanderern unterschieden. [Keller 2000a: 1]

[24] Diese ist abgedruckt in Randelzhofer 1998: 125-130.

[25] Eine Ausnahme von der Definition der Drittstaatsangehörigen sind die Bürger des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR). Durch einen gesonderten Vertrag zwischen der EU und den EWR-Staaten, dem sogenannten EWR-Vertrag, haben die Bürger des EWR inzwischen nahezu die gleichen Rechte wie Unionsbürger und fallen daher nicht mehr unter die Bezeichnung "Drittstaatsangehörige". [Nanz 1996: 64]

[26] Das Wort "Europäische" findet sich nicht im Originalwortlaut des Titels [Randelzhofer 1998: 134 (Fussnote1)].

[27] Es wird auch die Möglichkeit zu gesetzlichen Einschränkungen unter demokratischen Gesichtspunkten gegeben [Seidel 1996: 204].

[28] Binnenflüchtlinge bzw. innerstaatlich Vertriebene sind Flüchtlinge in ihrem eigenen Land. Dies kommt in den Mitgliedstaaten aber kaum vor. [Ausschuss der Regionen 1999: 5; Nuscheler 1995: 28]

[29] Die GFK mit Protokoll ist abgedruckt in Randelzhofer 1998: 158-174

[30] Es handelte sich hierbei um Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande (Gründungsstaaten) sowie Dänemark, Großbritannien und Irland (Beitritt 01.01.1973) [vgl. Matern/Schultz 1995: 393, 396f].

[31] ABl. 1985 C 47, S. 5

[32] Die Benelux-Staaten befanden sich schon seit 1960 in einer Passunion, so dass zwischen diesen Staaten ohnehin bereits keine Grenzkontrollen mehr vorgenommen wurden. Von den Benelux-Staaten ging auch die Initative zur Bildung des Schengen-Regimes aus. [Gehring 1998: 53f]

[33] Dies erfolgte im Schengener Durchführungsübereinkommen [Epiney 1995a: 25].

[34] TREVI bedeutet "terrorisme, radicalisme, extrémisme, violence internationale" [IA.17; Zott 1999: 32].

[35] Das Palma-Dokument wurde auf dem Treffen der Ad-hoc-Gruppe Einwanderung in Palma de Mallorca vom 4. bis 6. Juni 1989 erstellt und hat daher seinen Namen [Brübach 1997: 34].

[36] Das Dubliner Übereinkommen ist abgedruckt in Achermann u.a. 1995: 243-252 .

[37] Spanien wollte, dass der Felsen von Gibraltar aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen wird, da es der Auffassung war, Gibraltar gehörte nicht gänzlich zur Europäischen Gemeinschaft. Großbritannien dagegen lehnte diese Haltung strikt ab. [Brübach 1997: 31f]

[38] Eine genaue Darstellung der Kriterien und der damit verbundenen Pflichten für den zuständigen Staat findet sich bei Achermann [1995: 93-96].

[39] Achermann verweist hier aber auch auf die praktischen Probleme bei der Umsetzung dieser zunächst so einfach klingenden Regelung [1995: 84]; und Epiney problematisiert diese ausführlich [1995a: 42-44].

[40] Allerdings gibt es die Möglichkeit, parallele Assoziierungsabkommen zu schließen: So wurden beim Beitritt von Dänemark, Schweden und Finnland am 19.12.1996 gleichzeitig auch Norwegen und Island dem Schengen-Regime assoziiert, so dass die gesamte nordische Passunion, die vorher aus Schweden, Finnland, Island und Norwegen bestand, faktisch in das Schengen-Regime integriert wurde [Heimann 1999: 70; IA.18; Zott 1999: 124; vgl. Gehring 1998: 59].

[41] Achermann erwähnt hier das multilaterale Polen-Schengen-Übereinkommen, das Signalwirkung und Vor­bildfunktion hatte. Weiterhin weist er auch darauf hin, dass das Konzept der sicheren Drittstaaten nicht ohne eine Vielzahl solcher Rückübernahmeabkommen funktionieren könnte. [Achermann 1995: 110]

[42] Die Finanzierung der ZBJI erfolgt nach den folgenden Regeln: Verwaltungsausgaben gehen stets zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts. Bei operativen Ausgaben muss entweder ein einstimmiger Ratsbeschluss gefasst werden, dass diese der Gemeinschaftshaushalt trägt, oder es muss durch einen einstimmigen Ratsbeschluss ein Schlüssel festgelegt werden, der angibt, welcher Mitgliedstaaten welchen Kostenanteil trägt. [Argirakos 1999: 165f]

[43] Dies ist auch der Grund, weswegen der Rat und vor allem die Kommission, obwohl das EP sie dazu auf­forderte, von ihrem Initiativrecht hier keinen Gebrauch machten [Monar 1996: 65]. Die Kommission sprach sich explizit in einem Bericht im November 1995 dafür aus, die Vergemeinschaftung des dritten Pfeilers ohne polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit vorzunehmen. Aber dies sollte besser im Rahmen einer Regierungskonferenz als über Art. K.9 EUV a.F. geschehen, da dieser prozedural schwerfällig und sowieso recht nah an einer Vertragsänderung herankam. Eine grundlegende Revision des dritten Pfeilers war nach Meinung der Kommission nur im Rahmen einer Regierungs­konferenz möglich. [Monar 1996: 65; Zott 1999: 256]

[44] Eine genaue Aufstellung und Kommentierung der einschlägigen Artikel im EGV a.F. bezüglich der dritten Säule findet sich bei Brübach und Zott. Brübach weist auf mögliche Anknüpfungspunkte und Überschneidungen hin und diskutiert ausführlich die Rolle der einzelnen Organe der EU [Brübach 1997: 82-127]. Zott setzt den Schwerpunkt auf die Gemeinschaftskompetenzen und Kooperationspflichten [Zott 1999: 79-119].

[45] Rechtlich ist dieses Problem nicht abschließend geklärt: Die Kommission beharrt auf einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz, akzeptiert aber pragmatisch die intergouvernementale Zusammenarbeit in diesem Bereich [Zott 1999: 72f, 76f]. Die Verpflichtung zur Nutzung des Gemeinschaftsrechts ist hier also strittig [Brübach 1997: 129].

[46] Der AStV ist ein Ausschuss, der auf Art. 151 Abs. 1 EGV a.F. beruht [Zott 1999: 142] und gemäß Art. K.8 Abs. 1 EUV a.F. auch Anwendung findet in der dritten Säule [Brübach 1997: 73]. Zusammengesetzt ist der AStV aus "Ständigen Vertretern jedes Mitgliedstaates im Botschafterrang" [Brübach 1997: 73].

[47] Die Verabschiedung dieser Negativliste geschah nicht ohne deutliche Probleme: Der Vorschlag von der Kommission, einfach die Schengen-Liste hier zu übernehmen, scheiterte vor allem am Widerstand von Großbritannien, das aufgrund seiner Verbindung zu den ehemaligen Commonwealth-Staaten deutlich weniger Staaten auf der Negativliste haben wollte. Desweiteren gab es Streitigkeiten um die Frage der Erstellung einer Positivliste, mit der das Visarecht abschließend und vollständig hätte harmonisiert werden können. [Nanz 1996: 68]

[48] Diese Liste wird aber bisher vertraulich behandelt und ist nicht veröffentlicht [Müller-Graff/Kainer 1998: 126, 128 Anmerkung 20].

[49] Eine genaue Darstellung der entsprechenden Visavorschriften gibt Epiney [1995b: 60-63, 65].

[50] Vergleiche zu diesen Ausführungen auch die Darstellung der inhaltlichen Regelungen des SDÜ (Seite 47).

[51] Dies sind folgende Rechtsakte (Reihenfolge wie oben zitiert, siehe auch Kapitel 5.2.1, Seite 98): 20.06.1994: Entschließung des Rates über die Be­schränkungen für die Einreise von Staatsangehörigen dritter Länder in die Mitgliedstaaten zur Ausübung einer Beschäf­tigung [IA.7; Zott 1999: 333]; 30.11.1994: Entschließung des Rates be­treffend die Zulassung von Staatsangehörigen dritter Länder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zur Auf­nahme eines Studiums [IA.7; Zott 1999: 333]; 30.11.1994: Entschließung des Rates in Bezug auf die Beschränkungen für die Zulassung von Staatsange­hörigen dritter Länder in das Hoheitsgebiet der Mitglied­staaten zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit [IA.7; Zott 1999: 333]; 30.11.1994: Empfehlung des Rates bezüglich der Einführung eines Standardreisedokuments für die Rück­führung von Staatsangehörigen dritter Länder [IA.7; Zott 1999: 334]; 30.11.1994: Empfehlung des Rates betreffend den Musterentwurf eines bilateralen Rückübernahme­abkommens zwischen einem Mitgliedstaat und einem Dritt­staat [IA.7; Zott 1999: 334]; 22.12.1995: Empfehlung des Rates betreffend die Abstimmung und Zusammenarbeit bei Rückführungsmaßnahmen [IA.7] 24.07.1995: Empfehlung des Rates betreffend Leitsätze für die Ausarbeitung von Protokollen zur Durchführung von Rückübernahmeabkommen [IA.7; Zott 1999: 334]

[52] 04.03.1996: Entschließung des Rates über die Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf Dauer aufhältig sind [IA.7; Zott 1999: 333]

[53] Dies beruht vor allem auf der Gemeinsamen Maßnahme vom 16. Dezember 1996 - vom Rat aufgrund Artikel K.3 des Vertrag über die Europäische Union angenommen - zur einheitlichen Gestaltung der Auf­enthaltstitel [IA.7; Zott 1999: 332]. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch zwei weitere Beschlüsse: 19.03.1998: Beschluss des Rates über die Aufteilung der Kosten für die Herstellung der Druckvorlagen für die einheitlich gestalteten Aufenthaltstitel [IA.4]; 03.12.1998: Beschluss des Rates vom über gemein­same Normen für die Eintragungen in den einheitlichen Aufenthaltstiteln [IA.2]

[54] Diese sind folgende (vgl. auch Kapitel 5.2.1, Seite 98): 20.12.1995: Empfehlung des Rates zur Harmonisierung der Mittel zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der illegalen Beschäftigung sowie zur Verbesserung der einschlägigen Kontrollverfahren [IA.7; Zott 1999: 334]; 27.09.1996: Empfehlung des Rates zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen [IA.7; IA.16; Zott 1999: 334]

[55] Entschließung des Rates von 4. Dezember 1997 über Maß­nahmen zur Bekämpfung von Scheinehen [IA.7]

[56] Allerdings beinhalten diese einheitlichen Kriterien zur Flüchtlingsdefinition nur die Elemente der Flüchtlingsdefinition der GFK. Damit werden De-facto-Flüchtlinge ausgeschlossen und es wird auch kein höheres Schutzniveau erreicht, da schon alle EU-Staaten die GFK unterzeichnet und ratifiziert hatten. [Brübach 1997: 61, 144f]

[57] Zu nennen sind hier vor allem folgende Rechtsakte (siehe auch Kapitel 5.2.1, Seite 98): 20.06.1994: Einheitliches Formular zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Staates [Zott 1999: 335]; 20.06.1994: Laissez-passer-Formular für die Überstellung eines Asylbewerbers von einem Mitgliedstaat in den anderen [Zott 1999: 335]; 04.03.1996: Gemeinsamer Standpunkt - vom Rat auf­grund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festge­legt - betreffend die harmonisierte Anwendung der Defini­tion des Begriffs "Flüchtling" in Artikel 1 des Genfer Ab­kommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [IA.6; Zott 1999: 333]

[58] Vergleiche hierzu die Ausführungen zu den inhaltlichen Regelungen des SDÜ (Seite 48).

[59] Zu nennen sind hier vor allem folgende Rechtsakte (siehe auch Kapitel 5.2.1, Seite 98): 22.07.1997: Gemeinsame Maßnahme im Hinblick auf die Finanzierung gezielter Projekte zugunsten von vertriebenen Personen, die vorübergehenden Schutz in den Mitgliedstaaten gefunden haben, und von Asylbewerbern [Zott 1999: 332]; 22.07.1997: Gemeinsame Maßnahme im Hinblick auf die Finanzierung gezielter Projekte zugunsten von Asylbewerbern und Flüchtlingen [Zott 1999: 332]; 26.04.1999: Gemeinsame Maßnahme - vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen - betreffend Projekte und Maßnahmen zur konkreten Unterstützung der Aufnahme und der frei­willigen Rückführung von Flüchtlingen, Vertriebenen und Asylbewerbern einschließlich Soforthilfemaßnahmen für Personen, die infolge jüngster Ereignisse im Kosovo ge­flüchtet sind [IA.6]

[60] Zu nennen sind hier folgende Vorschläge (siehe auch Kapitel 5.2.2, Seite 104): Vorschlag für eine Entscheidung über die Errichtung eines Europäischen Flüchtlingsfonds [IA.13]; Geänderter Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Errichtung eines Euro­päischen Flüchtlingsfonds (gemäß Artikel 250 Absatz 2 des EG-Vertrages von der Kommission vorgelegt) [IA.13]; Vorschlag für einen Beschluss des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung der Integration von Flüchtlingen [IA.13; Europäische Kommission 1998]; Vorschlag für einen Beschluss des Rates über eine gemeinsame Maßnahme - vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen - be­treffend Maßnahmen zur konkreten Unterstützung der freiwilligen Rückführung und der Aufnahme von Flüchtlingen, Vertriebenen und Asylbewerbern [IA.13]; Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Rates über eine gemeinsame Maßnahme - vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union ange­nommen - betreffend Maßnahmen zur konkreten Unterstützung der Aufnahme und frei­willigen Rückführung von Flüchtlingen, Vertriebenen und Asylbewerbern, einschließlich Notfallhilfe für Personen, die wegen der jüngsten Ereignisse im Kosovo geflohen sind [IA.13]

[61] Hier sind folgende Rechtsakte zu nennen (vgl. Kapitel 5.2.1, Seite 104): 20.06.1994: Leitlinien für die Ausarbeitung der gemeinsamen Berichte über Drittstaaten [Zott 1999: 335]; 20.6.1994: Zweiter Bericht über die Tätigkeit des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen (CIREA) [Zott 1999: 334]; 30.11.1994: Schlussfolgerungen des Rates über die Ausgestaltung des Informations-, Reflexions- und Aus­tausch­zentrums für Fragen im Zusammenhang mit dem Überschreiten der Außengrenzen und der Ein­wanderung (CIREFI) [IA.3; Zott 1999: 335]; 23.11.1995: Beschluss des Rates über die Ver­öffentlichung der vom Rat in den Bereichen Asyl und Ein­wanderung verab­schiedeten Rechtsakte und sonstigen Schrift­stücke im Amtsblatt der Europäischen Gemein­schaften [IA.4; Zott 1999: 335]; 22.12.1995: Beschluss des Rates zur Beobach­tung der Durchführung der im Bereich der Zulassung von Staatsangehörigen dritter Länder bereits angenommenen Rechts­akte [IA.4; Zott 1999: 335]; 16.12.1996: Beschluss des Rates zur Beobach­tung der Durchführung der vom Rat erlassenen Rechtsakte im Bereich der illegalen Einwanderung, der Rücküber­nahme, der illegalen Beschäftigung von Staatsangehörigen dritter Länder und der Zusammenarbeit bei der Voll­streckung von Ausweisungsanordnungen [IA.7; Zott 1999: 336]; 26.05.1997: Bericht über die Tätigkeit des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen (CIREA) im Jahr 1996 (vom Rat am 26. Mai 1997 gebilligter Text) [IA.5]; 26.05.1997: Beschluss des Rates über den Informa­tionsaustausch betreffend die Hilfen für die frei­willige Rückkehr von Drittstaatsangehörigen [IA.7; Zott 1999: 336]; 26.06.1997: Beschluss des Rates zur Beobachtung der Durchführung der Rechtsakte im Asylbereich [IA.5; Zott 1999: 336]

[62] Aus diesem Grund ist auch die Unterscheidung zwischen der Maastrichter Fassung (a.F.) und der Amsterdamer Fassung (n.F.) der Verträge sehr entscheidend.

[63] EGV-A benutzt Gimbal als Abkürzung für den EGV in der Amsterdamer Fassung [1998: 122, Fuss­note 3].

[64] Dies relativiert sich dadurch, dass nicht explizit geregelt ist, was passiert, wenn innerhalb der vorge­schriebenen Frist nicht die geforderten Regelungen erlassen werden [Gimbal 1998: 125]. Allerdings ist hier durchaus denkbar, dass eine Untätigkeitsklage nach Art. 232 EGV n.F. eingereicht wird, so dass hier gegenüber dem Rat ein mögliches Druckmittel besteht [Heimann 1999: 16].

[65] Die Lösung der schwierigen Frage der Lastenverteilung wird damit erleichtert, aber keinesfalls endgültig gelöst [Heimann 1999: 29f; Monar 1998: 132].

[66] Die Einstimmigkeit ist hier in der Einwanderungs- und Asylpolitik aber etwas differenziert: Groß­britannien, Irland und Dänemark nehmen aufgrund von Sonderregelungen nicht an den Maßnahmen des Titels IV EGV n.F. teil, so dass ihre Stimme auch zur einstimmigen Beschlussfassung in diesem Bereich nicht erforderlich ist [Heimann 1999: 48f]. Das bedeutet, "dass die neuen Flexibilitätsregelungen die praktischen Auswirkungen des Einstimmigkeitsprinzips beeinflussen werden" [Zott 1999: 148].

[67] Auch nach dem Ablauf der Übergangsfrist sind die Stimmen von Großbritannien, Irland und Dänemark nicht für eine einstimmige Beschlussfassung im Rat notwendig [Heimann 1999: 48f].

[68] Der automatische Übergang zum Mitentscheidungsverfahren wurde durch Deutsch­land auf Druck der Bundesländer verhindert, die "eine Benachteiligung Deutschlands in Fragen der Flüchtlings-, Vertriebenen- und Einwanderungspolitik" befürchteten [Heimann 1999: 49f]. Ein weiterer Grund war, dass hier eine "mögliche Berührung von Länderkompetenzen durch Entscheidungen auf EU-Ebene" möglich und denkbar gewesen wäre [Monar 1998: 140]. Deutschland setzte sich also damit durch, dass in den vergemeinschafteten Bereichen, die aus der dritten Säule übernommen wurden, auch weiterhin die Einstimmigkeit als Abstimmungsregel gilt. [Monar 1998: 140].

[69] Der Schengen-Besitzstand besteht konkret aus den beiden Schengener Übereinkommen, allen Betritts­protokollen und Beitrittsübereinkommen mit den dazugehörigen Schlussakten und Erklärungen plus Be­schlüssen und Erklärungen des Exekutivausschusses gemäß dem Durchführungsüber­einkommen und Rechtsakten zur Durchführung des Übereinkommens, die von den Organen erlassen worden sind, denen der Exekutivausschuss Entscheidungsbefugnisse übertragen hat [Zott 1999: 314].

[70] Ganz genau handelt es sich um das "Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union" [abgedruckt in Khan 1998a: 193-197].

[71] Schengen wird daher manchmal auch als "funktionelles Nebenrecht zum Unionsvertrag" charakterisiert [vgl. DiFabio, Udo (1997): Die "Dritte Säule" der Union - Rechtsgrundlagen und Perspektiven der euro­päischen Polizei- und Justizzusammenarbeit. in: Die öffentliche Verwaltung 1997, S. 89, 92. zitiert in Gimbal 1998: 147 Fussnote 73 und Heimann 1999: 75].

[72] Durch die Notwendigkeit des einstimmigen Beschlusses im Rat erhält jeder einzelne Schengen-Staaten gegenüber den Nicht-Schengen-Staaten ein gewaltiges Druckmittel. "Die 'integrative' Innenseite des inkorporierten Schengen-Systems hat somit auch eine mögliche 'exklusive' Außenseite." [Monar 1998: 149]

[73] Das genaue Verfahren eines sofortigen oder nachträglichen opt-ins wird von Zott genauer beschrieben [1999: 297f].

[74] Verwaltungskosten der Organe für den Titel IV EGV n.F. werden aus praktischen Gründen von allen Mitgliedstaaten getragen: Da die Gemeinschaftsorgane im gesamten EU-Bereich tätig sind, ist eine Ab­grenzung der Kosten, die hier konkret durch den Titel IV EGV n.F. entstehen, praktisch nicht möglich [Zott 1999: 298].

[75] Heimann weist hier berechtigterweise darauf hin, dass damit für diese beiden Länder ein Rückschritt in der Integration verbunden ist: Nach Art. 100c EGV a.F. wurden Negativliste und einheitliche Visum­gestaltung voll vergemeinschaftet. Dies gilt nun aber nicht mehr für diese beiden Staaten, da Titel IV EGV n.F. nicht mehr anzuwenden ist. [Heimann 1999: 58f]

[76] Allerdings können Großbritannien und Irland ihre opt-in -Möglichkeit nicht zur Blockade ver­wenden, da auch ohne ihre Beteiligung trotz eines erfolgten opt-ins eine Maßnahme nach einer bestimmten Zeit angenommen werden kann [Zott 1999: 298].

[77] Im Gegensatz zu Irland und Großbritannien besteht für Dänemark auch nicht die Möglichkeit eines nach­träglichen Einstiegs in die Vergemeinschaftung bei der Anwendung von Titel IV EGV n.F.: "Dänemark nimmt keinesfalls an Maß­nahmen nach Titel IV EGV teil" [Heimann 1999: 17].

[78] Die Finanzierungsregelung ist analog der Regelung von Großbritannien und Irland: Dänemark beteiligt sich nur an den Verwaltungskosten der Orange [Zott 1999: 300].

[79] Anders sieht es bei Großbritannien und Irland aus: Für diese gelten die bisherigen Vergemeinschaftungen aus Art. 100c EGV a.F. nicht mehr [Heimann 1999: 58-60].

[80] Für Irland besteht dagegen nur die Möglichkeit, sich Titel IV EGV n.F. in seiner Gesamtheit zu unterwerfen [Heimann 1999: 61].

[81] Diese Bedingungen werden von Zott ausführlich dargestellt [1999: 304-314]. Eine etwas über­sicht­lichere Zusammenfassung findet man bei Giering und Weidenfeld [1998: 59-61].

[82] siehe auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Oktober 1999, S. 6

[83] Elemente sind hier z.B. Bekämpfung der Armut, Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Herkunftsländern und Sicherstellung der Achtung der Menschenrechte [Europäischer Rat 1999: 3].

[84] Elemente sind hier Regelungen, wie sie schon im Dubliner Abkommen intergouvernemental bestehen [vgl. Europäischer Rat 1999: 3f]. Allerdings fehlt eine weitere Ausgestaltung noch völlig [Winter 1999b: 1].

[85] vgl. auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Oktober 1999, S. 2

[86] Hierzu gehören z.B. eine "energischere Integrationspolitik" und "Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit [Europäischer Rat 1999: 5]. Außerdem soll die Rechtsstellung legaler Drittstaatsangehöriger an die von Unions­bürgern angenähert werden [Europäischer Rat 1999: 5]. Explizit wird auch das Recht auf Einbürgerung für dauerhafte, legale Einwanderer befürwortet [Europäischer Rat 1999: 5; Winter 1999b: 1]. Damit wird das ius sanguinis (Abstammungsprinzip) und mit Regelungen gemäß des ius soli (Territorialprinzip) ergänzt. Green weist darauf hin, dass sich langsam ein europäisches Einbürgerungsmodell heraus­kristallisiert: Das ius sanguinis gilt bei allen Mitgliedstaaten; weiterhin findet sich eine Abwandlung des ius soli oder besondere Einbürgerungsmöglichkeiten für aus­ländische Minderjährige; desweiteren gibt es Ermessenseinbürgerung meist ab fünf Jahren Aufenthalt (bei Ehegatten sogar früher) [1999: 6f].

[87] Elemente sind hier z.B. Informationskampagnen zur legalen Einwanderung und zur Verhinderung der illegalen Einwanderung, die Bekämpfung der illegalen Einwanderung (Rückführungsabkommen) und eine engere Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung bei den Außengrenzkontrollen [Europäischer Rat 1999: 6f].

[88] vgl. auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Oktober 1999, S. 2

[89] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Oktober 1999, S. 1

[90] Diese waren zu einem Parallelgipfel nach Tampere gekommen, der vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und Vertriebene (Ecre) veranstaltet wurde [Stabenow 1999: 2; vgl. auch Frankfurter Allge­meine Zeitung, 16. Oktober 1999, S. 2].

[91] "Verklausuliert heißt es, 'Einreise- und Aufnahmebedingungen' müssten so beschaffen sein, 'dass sie die besonderen geographischen und historischen Situationen jedes Mitgliedsstaates berücksichtigen'." [Winter 1999a: 2]

[92] Gehring sieht das Schengen-Regime als koordinierten Alleingang interessierter Staaten, der dann dazu führte, dass eine lange Pattsituation deutlich verändert wurde, indem die Interessenkonstellation der Staaten untereinander verändert wurde [1998: 43, 52]. Durch die Schaffung des Schengen-Regimes wurde ein "Clubgut", nämlich der integrierte Reiseraum geschaffen, das nur den Schengen-Mitgliedern zu­teil wird und andere Staaten ausschließt. Dadurch entsteht eine Anreizstruktur im Schengen-Regime, die auf Expansion gerichtet ist. [Gehring 1998: 60] Durch das Schengen-Regime verlieren die Blockade­staaten ihre Vetoposition, wodurch bei diesen Angst vor politischer Isolation und dem Verlust der Einfluss­nahme entsteht [Gehring 1998: 61]. Koordinierte Alleingänge wirken also wie ein Integrations­motor [Gehring 1998: 43]. Bei den intergouvernementalen Verhandlungen innerhalb der EG 1989 dienten die Schengen-Bestimmungen als Orientierungspunkt [Gehring 1998: 63]. Mit dem Maastrichter Ver­trag wurde der Politikbereich Einwanderungs- und Asylpolitik zwar an die Union angebunden, aber eben nicht vergemeinschaftet [Gehring 1998: 64]. Gehring geht zwar noch kurz auf die Entwicklungen durch den Amsterdamer Vertrag ein, er lässt die Frage aber unbeantwortet, warum es zu einer Verge­mein­schaftung kommt, und verweist stattdessen auf die vielen Sonder- und Ausnahmeregelungen, die stark intergouvernementaler Art sind [1998: 66f]. Gehring kommt zu dem Schluss, dass koordinierte Allein­gänge erfolgreich sind, wenn die "interessierten Akteure ausreichend handlungsfähig sind und durch Alleingänge dynamische Prozesse auszulösen vermögen" [Gehring 1998: 72].

[93] Es wird immer nur wieder darauf hingewiesen, dass durch die Vergemeinschaftung ein effizienteres Handeln möglich ist. Die damit verbundene Einschränkung der Souveränität und wie diese erklärbar ist, wird aber nicht explizit behandelt. [Heimann 1999: 75; Müller-Graff/Kainer 1998: 126f]

[94] Riegraf bezeichnet dies als Indikator für die "Interdependenz" bzw. "Interdependenz-Verwundbarkeit", die hier eine wichtige Variable ist [2000: 20].

[95] Riegraf entscheidet sich, den zweiten Analyseschritt mit einer rationalistischen Erklärung zu versuchen, führt dies aber in ihrem Text nicht weiter aus [2000: 26f]. Ich dagegen werde gleich zu einem konstruktivistischen Erklärungsmodell übergehen.

[96] Moravcsik schreibt dazu: "[...] (N)eo-functionalism appears to mispredict both the trajectory and the process of EC evolution" [1993: 475f]. Er kritisiert, dass es sich bei der europäischen Integration nicht um einen kontinuierlichen, auto­matischen Integrationsprozess, sondern um eine Abfolge mehrerer inter­gouverne­­men­taler Verhandlungen gehandelt habe [Moravcsik 1993: 476]. Moravcsik geht in seiner Kritik sogar noch weiter und bezeichnet den Neofunktionalismus als Ad-hoc-Ansatz, der als solcher jegliche Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Nutzung als Theorie verliere und nur noch ein Idealtyp sei [Moravcsik 1993: 477f].

[97] Hoffmann selbst ist Intergouvernementalist und grenzt sich auch überaus deutlich von den (Neo-)Funktionalisten ab: "Unification is not automatic, and one can't trust 'spill-overs' that may never occur: all still depend on wills and they may be missing or diverge." [Hoffmann 1964: 100]

[98] Wichtig ist hier zu erwähnen, dass auch das Schengen-Regime an bestimmte, schon vorher bestehende Ideen anknüpfte: Schon das Schengen-Regime hatte den Binnenmarkt und das Ziel der Freizügigkeit als Ideenvorläufer [vgl. Epiney 1995a: 23; IA.16; IA.17; Müller-Graff 1996b: 21f]. Darüber hinaus konnte Schengen sich auf ältere und vergleichbar strukturierte Systeme beziehen, wie z.B. das vorher geschlossene bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich, Benelux und die Nordische Passunion [vgl. Brübach 1997: 22; Schelter 1996: 20]. Kritischer Zeitpunkt für die Entstehung des Schengen-Regimes war einer, der nur von einigen Mitgliedstaaten, nämlich den Gründerstaaten von Schengen (Deutschland, Frankreich und Benelux), wahrgenommen wurde [vgl. Brübach 1997: 22; Epiney 1995a: 24; Gehring 1998: 53; IA.16; IA.17]. Konkret handelte es sich hier um das endgültige Scheitern der Passunion im Rahmen der EG [Epiney 1995a: 23]. Während sich außerhalb des EG-Rahmens damit der Ansatz zur Umsetzung der Personenfreizügigkeit abzeichnet [vgl. Gehring 1998: 53; Epiney 1995a: 21f, 24], dominieren innerhalb des EG-Systems die Gegner der allgemeinen Personenfreizügigkeit als Blockadestaaten (vor allem Großbritannien), wie die Regelungen in der EEA verdeutlichen [Brübach 1997: 18f; Gehring 1998: 50f; Zott 1999: 30].

[99] Schengen wird oft auch als Vorläufer, Vorbild oder Laboratorium für die europäische Integration bezeichnet [Brübach 1997: 166; Gehring 1998: 55, 57; Gimbal 1998: 147; Leitner 1997: 129].

[100] Wenn sich hier überhaupt ein Trend abzeichnet, dann eher in der folgenden Weise: Je größer der Ausländeranteil an der Bevölkerung ist, umso geringer sind die ausländerfeindlichen und rechtsradikalen Äußerungen [vgl. Marie 1997: 10, 106]. Hauptbeispiel hierfür ist Luxemburg, in dem der Ausländeranteil in einigen Gemeinden sogar über 50% liegt [Werle 2000b: 14].

[101] Allerdings sieht man hier auch, dass der fast automatische spill-over, den der Neofunktionalismus bei der europäischen Integration annimmt [Haas 1966: 327; Schmitter 1969: 164; Schmitter 1970a: 847], nicht sofort greift: Eine weitere Vergemeinschaftung war erst nach einem weiteren kritischen Zeitpunkt möglich (vgl. Ausführungen zum kritischen Zeitpunkt in Kapitel 3.5.2, S. 82).

[102] Und für Großbritannien stimmt diese Aussage auch [Gimbal 1994a: 80].

[103] Vergleiche hierzu z.B. auch die Einsetzung der Ad-hoc-Gruppe Einwanderung kurz nachdem das Schengen-Regime geschlossen wurde [Brübach 1997: 27; Gimbal 1994a: 77; IA.17; Zott 1999: 33].

[104] Anzumerken ist hier aber auch, dass dies in Deutschland recht schnell zu einer deutlich restriktiveren Asylpolitik führte, in dem das Asylrecht auf dem Verwaltungs- und Verfahrensweg eingeschränkt wurde [Nuscheler 1995: 139f].

[105] Zu nennen sind hier unterschiedliche quantitative und qualitative Betroffenheit von Migrationsströme, unterschiedliche Asyl-, Einwanderungs-, Ausländer- und Einbürgerungspolitiken [Brochman 1991: 189; Gimbal 1994a: 69].

[106] Zu nennen sind hier z.B. die komplexe Arbeitsstruktur in der dritten Säule sowie ihre Schwerfälligkeit durch das Einstimmigkeitserfordernis [Lobkowicz 1996: 50, 52].

[107] Zu nennen sind hier z.B. die Frage der gerechten Lastenverteilung bei der Asylpolitik und die Frage der Außen­grenzen (vgl. nicht unterschriebenes Außengrenzabkommen) [Achermann 1995: 85f; Brübach 1997: 31, 144; IA.5; Zott 1999: 34, 333].

[108] Vergleiche hierzu auch die Arbeit der Reflexionsgruppe [Brübach 1997: 204f, 207].

[109] Zu nennen ist hier der Katalog mit konkreten Maßnahmen, die in der Übergangsfrist beschlossen werden müssen und die Regelung, dass zukünftige EG/EU-Mitglieder den im Politikfeld Einwanderungs- und Asyl­politik erreichten Besitz voll übernehmen müssen [Giering/Weidenfeld 1998: 82; Gimbal 1998: 149; Monar 1998: 130].

[110] Interessant ist dies auch, weil sich auch Großbritannien hier an der Weiterentwicklung der gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik aktiv beteiligt, obwohl es primärrechtlich einen opt-out mit fakultativem opt-in von den anderen Mitgliedstaaten zugestanden bekommen hat [vgl. Monar 1998: 150; Heimann 1999: 17, 59].

[111] Dies können Beitrittsverhandlungen mit neuen Mitgliedern, eine anstehende Vertragsrevision, eine Untätigkeitsklage gegen den Rat vor dem EuGH oder starke außenpolitische Veränderungen sein [vgl. Giering/Weidenfeld 1998: 22f; Heimann 1999: 16].

[112] Dies sind z.B. noch das Einstimmigkeitserfordernis, die begrenzte Zuständigkeit des EuGH und die im Vergleich zum übrigen EG-Rahmen deutlich schlechtere Beteiligung des EP [Monar 1998: 132, 147; Müller-Brandeck-Bocquet 1997: 22; Müller-Graff 1997: 280; Zott 1999: 180].

[113] Auch wenn dies für Irland recht unwahrscheinlich ist, da es zur Zeit noch ein Emigrationsland ist und keine Probleme mit der Einwanderung hat, so könnte doch in Zukunft ein plötzlicher und starker Zustrom von Asylbewerbern oder Einwanderern diese Situation ändern [vgl. Brübach 1997: 138; Gimbal 1994a: 76].

[114] Dies ist heute allerdings nicht mehr denkbar. Es müsste sich z.B. eine Situation ergeben, die der Situation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gleicht.

[115] Gemeint sind hier die Ausnahmen beim Verfahren und beim Teilnehmerkreis der Vergemeinschaftung bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik (vgl. Kapitel 3.2.4, Seite 63).

[116] Das gleiche Problem beim Neofunktionalismus wird auch von anderen Autoren bei anderen Themen­komplexen identifiziert (Beispiele): Wolfgang Wessels identifiziert die fehlende Erklärung solcher "time lags" durch den Neofunktionalismus bei der Integration der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik [Wessels, Wolfgang : Von der EPZ zur GASP - Theorien­pluralismus mit begrenzter Aussagekraft. in: Regelsberger, Elfriede (Hrsg.) (1993): Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Profilsuche mit Hindernissen. Bonn: Europa Union Verlag, S. 9-29; hier insbesondere S. 24] Auch Lars-Erik Cederman und Gerald Schneider verweisen auf "stop-and-go pattern of high-level interaction" in der EG. Ohne sich explizit auf eine der beiden klassischen Integrationstheorien zu beziehen, stellen sie allgemein Folgendes fest: "EC integration proceedings have oscillated between short-lived euphoria and agonizingly protracted stalemates. Institutional development has thus been rather unpredictable". In ihrem Artikel findet sich auch eine Tabelle mit entscheidenden stop-and-go -Ereignissen in der Geschichte der EG. [Cederman, Lars-Erik/Schneider, Gerald (1994): The Chance of Tide in Political Cooperation: A Limited Information Model of European Integration. in: International Organization 48/4, S. 633-662, hier insbesondere S. 633, 636, 638]

[117] Es wird folgende Frage gestellt: "Welche Vorstellungen, welches Weltbild erzeugt eine Theorie von der 'Sache', vom Gegenstand"? [Meyers 1998: 393]

[118] Ontologische Unterschiede zeigen sich z.B. in der unterschiedlichen Beantwortungen der folgenden Fragen durch die verschiedenen Theorien bzw. das konstruktivistische Modell: "Wer sind Hauptakteure"?; "Welches sind die Kernfragen"?; "Welches sind die Hauptprozesse"?; "Was sind die hauptsächlichen Ergebnisse"? [Meyers 1998: 413]

[119] Es wird hier folgende Frage gestellt: "Wie begründet und legitimiert eine Theorie ihre Aussagen über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht?" [Meyers 1998: 393]

[120] Meyers definiert die Interpretationsfunktion so: "Strukturierung von Teilbereichen der (erfahrbaren) Realität" [Meyers 1998: 394].

[121] Meyers definiert die Orientierungsfunktion folgendermaßen: "Reduktion komplexer Sachverhalte auf vermeintlich einfache bzw. idealtypische Einsichten" [Meyers 1998: 394].

[122] Meyers definiert die Zielbeschreibungsfunktion so: "Anleitung zum praktischen Handeln in der 'Realität' " [Meyers 1998: 394].

[123] Meyers definiert die Handlungslegitimation folgendermaßen: "Legitimierung praktischen Handelns in der 'Realität' " [Meyers 1998: 394].

[124] Moravcsik wehrt sich jedoch allgemein dagegen, dass seine Theorie widerlegt werden könnte. Er weist darauf hin, dass offensichtliche Anomalien zwischen Erwartungen und Beobachtungen ziemlich konsistent sind, wenn die Präferenzen der Staaten nur richtig spezifiziert werden [1993: 502]. Interpretiert man diese Aussage nicht nur als Abwehrreaktion gegenüber Kritikern des liberalen Intergouvernementalismus, sondern auch als integralen Bestandteil der Theorie, dann bekommt der liberale Intergouvernementalismus schon fast konstruktivistische Züge: Hier müsste dann genauer betrachtet werden, wie sich Interessen und Präferenzen konkret bilden. In einem Politikfeld wie der Einwanderungs- und Asylpolitik ist dies eben gerade nicht anhand von klaren Kosten-Nutzen-Rechnungen möglich. Stattdessen werden hier ideologische Argumentationen benutzt (siehe auch Kapitel 2.1, S. 11) [vgl. Moravcsik 1993: 494f]. Dies bedeutet aber gleichzeitig auch, dass die Präferenzen hier nicht objektiv vorgegeben sind, sondern sozial konstruiert werden [vgl. Hejl 2000: 110, 144]. Versteht man Moravcsik in dieser Weise, was jedoch aufgrund seiner Einstellung zum Konstruktivismus kaum denkbar ist [vgl. Moravcsik 1999], dann nimmt der liberale Intergouvernementalismus viele konstruktivistische Elemente in sich auf und hat damit dann aber auch ähnliche theoretische Probleme wie der Konstruktivismus.

[125] Es handelt sich bei diesem Artikel um eine Kritik am Konstruktivismus aus Sicht des Reflexivismus.

[126] Adler definiert den Konstruktivismus, bzw. das was er darunter versteht, folgendermaßen: "Constructivism is the view that the manner in which the material world shapes and is shaped by human action and interaction depends on dynamic normative and epistemic interpretations of the material world." [1997: 322] Der Konstruktivismus geht also davon aus, dass die Art und Weise, in der die materielle Welt menschliches Verhalten und menschliche Interaktion beeinflusst und davon beeinflusst wird, von veränderlichen nor­mativen und epistemischen Interpretationen der materiellen Welt abhängig sind [Adler 1997: 322]. Adler nennt auch ein konkretes Beispiel: Die materiellen Ressourcen erhalten erst in der sozialen Praxis ihre Bedeutung (z.B. Geld, eigentlich nur ein Stück Papier, das aber dann zum Zahlungsmittel in der sozialen Praxis wird) [Adler 1997: 328; vgl. Wendt 1995: 73]. Wendt begründet die Bedeutung von Ideen an anderer Stelle so: "Ideas always matter, since power and interest do not have effects apart from the shared knowledge that constitutes them as such." [1995: 74]

[127] Smith vermutet eine neue Debatte in den Internationalen Beziehungen zwischen Rationalisten und den Konstruktivisten, die das Bestehen von Kausalverkettungen in Frage stellen [1999: 690]. Diese von Smith ver­mutete Debatte schließt sich an die schon lange bestehende Kontroverse zwischen dem "Wissen­schafts­ideal der modernen Naturwissenschaften" und dem "Wissenschaftsideal einer historisch orientierten Geistes­wissenschaft" an, die auch oft mit dem "Gegensatz von Verstehen und Erklären" umschrieben wird [Meyers 1998: 398, Hervorhebung im Original].

[128] Hauptstreitpunkt ist, ob Ideen als wichtige unabhängige Variable gelten können oder nicht [vgl. Moravcsik 1999: 674f]. Moravcsik bestreitet z.B. entschieden, dass Ideen zentral für kausale Zusammenhänge sind [1999: 675].

[129] Das Schlagwort hier ist rationale Logik.

[130] Das Stichwort ist hier funktionale Logik.

[131] Das Schlagwort lautet hier Logik der Angemessenheit.

[132] Hauptquellen: Zott 1999: 329-336; IA.1 bis IA.7

[133] Hauptquellen: IA.8 bis IA.14

[134] Die Literaturhinweise werden im Text bei mehr als zwei Autoren durch die Nennung des ersten Autors und den Zusatz "u.a." angegeben. Im Literaturverzeichnis werden aus Gründen der Vollständigkeit jedoch alle Autoren genannt.

[135] Die hier angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Seitenzahlen, die im pdf-Dokument auf den Seiten angegeben sind. Sie entstehen dadurch, dass dieses Dokument der Vorläufer einer Textsammlung ist, die konsolidierte Fassungen der Verträge von Amsterdam (EUV n.F. und EGV n.F.) enthält, welche bisher aber noch nicht erschienen ist.

Fin de l'extrait de 118 pages

Résumé des informations

Titre
Die Einwanderungs- und Asylpolitik der Europäischen Union - Von Maastricht bis Tampere
Université
Technical University of Darmstadt  (Insitut für Politikwissenschaft)
Note
sehr gut
Auteur
Année
2001
Pages
118
N° de catalogue
V111313
ISBN (ebook)
9783640093939
Taille d'un fichier
1062 KB
Langue
allemand
Mots clés
Einwanderungs-, Asylpolitik, Europäischen, Union, Maastricht, Tampere
Citation du texte
Monika Bösche (Auteur), 2001, Die Einwanderungs- und Asylpolitik der Europäischen Union - Von Maastricht bis Tampere, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111313

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