Mehrgenerationenhäuser. Pädagogische Konzeption. Theoretische Grundlagen und Orientierung


Thèse de Bachelor, 2007

54 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Ausgangslage und Konkretisierung der Fragestellung
1.1 Was sind Mehrgenerationenhäuser im Verständnis des „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“?
1.2 Welche Ziele haben diese Mehrgenerationenhäuser?
1.3 Wie lauten die Förderrichtlinien des Aktionsprogramms?
1.4 Konkretisierung der Fragestellung
1.4.1 Herleitung
1.4.2 Formulierung der Forschungsfragen

2 Theoretische Orientierungen aus der Elementarpädagogik
2.1 Ziele der Elementarpädagogik
2.1.1 Das Sozialgesetzbuch
2.1.2 Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen
2.1.3 Orientierungsplan der Elementarpädagogik des Landes Niedersachsen
2.1.4 Zusammenfassung der häufigsten Ziele der Elementarpädagogik
2.2 Vorstellung vom Kind als aktiv lernendem Konstrukteur
2.3 Ausgewählte elementarpädagogische Ansätze
2.3.1 Freinet-Pädagogik
2.3.2 Reggio-Pädagogik
2.3.3 Der Situationsansatz
2.4 Mögliche Orientierungen aus der Elementarpädagogik für die pädagogische Konzeption der MGs

3 Theoretische Orientierungen aus der Gerontagogik
3.1 Gerontagogik: Definition und Abgrenzung zur Andragogik und Gerontologie
3.2 ‚Erziehung’ und ‚Bildung’ in der Gerontagogik
3.2.1 Erziehung
3.2.2 Bildung
3.3 Ziele der Gerontagogik
3.4 Bericht zur Lage der älteren Bevölkerung in der BRD
3.5 Die wichtigsten Theorien innerhalb der Gerontagogik
3.5.1 Alter(n)sbilder und Stereotypisierungen
3.5.2 Disengagement vs. Aktivitätstheorie
3.5.3 Modernisierungstheoretische Begründung der aktuellen Alter(n)sbilder in der Gerontagogik
3.6 Zusammenfassung der Ziele der Gerontagogik
3.7 Vorherrschende Prinzipien in der Gerontagogik

4 Zentrale Schlüsselbegriffe, -ziele, Konzepte aus beiden pädagogischen Arbeitsfeldern

5 Vorschlag für ein theoretisch hergeleitetes, pädagogisches Konzept für MGs

6 Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wenn in dieser Arbeit von „Mehrgenerationenhäusern“ (im Folgenden auch abgekürzt mit „MGs“) die Rede ist, sind dabei Einrichtungen im Sinne von Tagesstätten für Menschen unterschiedlicher Generationen, insbesondere für Kleinstkinder unter drei Jahren und ältere Menschen, gemeint. Diese Art der MGs wird seit August 2006 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einem bundesweiten Förderprogramm „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ in ihrer Entstehung und Entwicklung gefördert.

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, theoretische pädagogische Grundlagen, An­knüpfungspunkte und Orientierungen aus der erziehungswissenschaftlichen Literatur aufzuspüren und zusammenzufassen, um darauf aufbauend eine pädagogische Konzeption von MGs als Tagesstätten zu entwerfen und zu begründen. Aufgrund des Adressatenkreises der MGs konzentriert sich die Analyse insbesondere auf Publikationen und Dokumenten der Elementarpädagogik, Andragogik bzw. Geron­tagogik.

Mit dem Begriff ‚Mehrgenerationenhäuser’ werden häufig auch generationsübergrei­fende Wohnformen und -anlagen bezeichnet. Diese sind nicht Gegenstand der Arbeit. Generationsübergreifende Wohnprojekte stellen in ihrer Komplexität des „miteinander Wohnens“ m. E. eine andere Ausgangssituation dar, als generations­übergreifende Tages- und Begegnungsstätten: Letztere verfolgen – wie noch zu zeigen sein wird – im bundesweiten Förderprogramm explizit das Ziel der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen und sind somit (im Gegensatz zu Wohnprojekten) als institutionalisierte Bildungseinrichtungen zu deuten. Mit dem Bildungs- und Erziehungsziel ist also ein pädagogischer Auftrag von Mehrgeneratio­nenhäusern – als Tagesstätten – formuliert, der den Hintergrund für die in dieser Arbeit noch näher darzulegende Fragestellung darstellt.

Im ersten Teil der Arbeit wird eine Definition von MGs im Verständnis des Bundes­förderprogramms vorgestellt, welche Ziele mit dem Programm verfolgt und welche Förderrichtlinien formuliert werden. Darauf aufbauend wird die Fragestellung der vorliegenden Arbeit konkretisiert.

Im zweiten Teil wird das Arbeitsfeld der Elementarpädagogik mit ihren Zielen und einigen pädagogischen Ansätzen beleuchtet. Es wird hieraus eine Essenz möglicher, geeigneter Orientierungen für die pädagogische Konzeption von MGs herausgearbeitet.

Der dritte Teil widmet sich der näheren Betrachtung des Arbeitsfeldes der Erwachsenenpädagogik, hier insbesondere der Gerontagogik in ihren Zielen, Begründungen, Befunden und vorherrschenden Arbeitsprinzipien. Auch hier werden mögliche Orientierungen für die Verwendung in pädagogischen Konzeptionen von MGs zusammengefasst.

Der abschließende Teil der Arbeit führt die Ergebnisse der vorgenannten Kapitel zusammen, um eine theoretisch begründete pädagogische Konzeption für MGs her­zuleiten und anschließend weitere Forschungsfragen zu formulieren.

1 Ausgangslage und Konkretisierung der Fragestellung

Mehrgenerationenhäuser im Sinne von Tagesstätten sind eine institutionalisierte Form von generationsübergreifenden Initiativen und Projekten, welche zunächst ab Mitte der 70er Jahre und verstärkt seit etwa Mitte der 90er Jahre des 20. Jahr­hunderts entstehen (Miedaner 2001, S. 17). Die im Jahre 1994 durch das Bundes­ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angestoßene „Initiative zur Verbesserung des Dialogs zwischen den Generationen“ hat diese Entwicklung im Zusammenspiel mit weiteren Initiativen und Aktionen (z. B. Wettbewerbe wie „Solidarität der Generationen“ (1994/1995 und 1996/1997)) maßgeblich gefördert.[1] Entwicklungen zur Förderung des Dialogs zwischen den Generationen finden nicht nur in Deutschland statt, sondern sind europaweit anzutreffen, oft im Kontext mit dem Thema ‚lebenslanges Lernen’[2] ‚ alltägliches bzw. informelles[3] oder auch ‚intergenerationelles’ bzw. ‚intergeneratives Lernen’ (s. a. Fußnote 8), zunehmend auch im Kontext des ‚bürgerschaftlichen Engagements’[4] (vgl. Klercq 1997; Braun 1997; Ministère de la Famille de la Solidarité sociale et de la Jeunesse & Bundesminis­terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2003; Franz 2006). Beispiele hierfür sind die Initiativen „Mentoring-Europe“ oder das Netzwerk zum Erfahrungs­austausch mentorieller generationsübergreifender Mentorenprojekte „Europäisches Netzwerk für Aktivpatenschaften“ (engl.: ENCYMO – European Network of Children and Youth Mentoring Organisations).

Diese Initiativen sind Reaktionen auf das übergreifende Phänomen des ‚demographischen Wandels’. Statistische Hochrechnungen zur Bevölkerungsent­wicklung z. B. in Deutschland prognostizieren, dass im Jahre 2050 der prozentuale Anteil der älteren Generation (ab 65 Jahren) an der Gesamtbevölkerung in Deutsch­land bei 47,8 % liegt und der der Menschen mittleren Alters (zwischen 20 bis 64 Jahren) bei 51,7 %.[5]. Zum Vergleich: Im Jahre 2005 betrug der Anteil der älteren Ge­neration an der Gesamtbevölkerung 23,6 % und der der Menschen mittleren Alters 60,8 %[6]. D. h., der Anteil der älteren Generation wird sich etwa verdoppeln, während sich der Anteil der mittleren Generation um etwa 16 % reduzieren wird. Auf einen äl­teren Menschen kommen heute noch 2,5 Menschen im Alter zwischen 20 bis 64 Jahren. Im Jahr 2050 wird das Verhältnis nur noch 0,92 betragen, statistisch also weniger als eine Person. Dies hat weit reichende Auswirkungen auf alle gesellschaft­lichen Bereiche, insbesondere auf die sozialen Sicherungssysteme und die Bedarfsstruktur öffentlicher Einrichtungen wie z. B. Kinderbetreuungseinrich­tungen, Schulen, Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen. Aktuell wird versucht, u. a. durch verschiedene familienpolitische Maßnahmen die Bereitschaft zur Familien­gründung und damit die Geburtenrate zu erhöhen, um dieser Entwicklung entgegen­zuwirken (z. B. Steuerpolitik: Stichwort Familiensplitting, Erziehungsgeld, Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf u. v. a).

Wie im Themenkreis ‚Dialog der Generationen’ entsteht auch im Themenkreis des ‚demographischen Wandels’ initiiert von unterschiedlichen Trägern sowohl national als auch europaweit eine Fülle von Initiativen und Projekten in allen erdenklichen gesellschaftlichen Bereichen. Die während der Recherchen identifizierte Literatur zum Themenbereich ‚Dialog der Generationen’ weist schwerpunktmäßig soziolo­gische bzw. sozialpolitische Akzente auf oder hat deskriptiven Charakter, indem sie vorhandene generationenübergreifende Projekte und Initiativen in kurzen Eckdaten – bestenfalls – Zielsetzungen beschreibt. Eine für die vorliegende Fragestellung speziell theoretisch pädagogische Akzentuierung findet sich in der Literatur erst seit etwa 2004/2005 in Publikationen (vgl. Jacobs 2006; Franz 2006), die vermehrt Analysen und Reflexionen mit zunehmender Systematisierung der bestehenden generationen­übergreifenden Projekte unter unterschiedlichen Perspektiven vornehmen. (vgl. Suck & Tinzmann 2005; Meese 2005; Diller 2006; Fuchs, Röbke et al 2004; Peucker & Riedel 2004).

Der demographischen Wandel bildet auch den Ausgangspunkt für das bundesweite Förderprogramm „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ des Bundesminis­teriums für Familie Senioren, Frauen und Jugend (im Folgenden abgekürzt als BMFSFJ). Es wird argumentiert, dass in Folge des demographischen Wandels verwandt­schaftliche bzw. familiäre Strukturen und Hilfsnetzwerke zerfallen.

„Viele Kinder haben kaum noch direkte Verwandte, sie erleben Familie nicht mehr als Zusammenleben verschiedener Generationen. Die Familie ist längst zu klein geworden für die immer größer werdenden Aufgaben. Väter und Mütter müssen zu viel allein stemmen und weil Kinder, Eltern und Großeltern oft nicht an einem Ort leben, fehlt es an familiärem Zusammenhalt und Unterstützung. […] Die Gefahr dabei ist eine Isolation der einzelnen Generationen bis hin zu den viel beschworenen Szenarien eines Generationenkriegs.“(BMFSFJ 2006a, S. 3)

1.1 Was sind Mehrgenerationenhäuser im Verständnis des „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“?

Die im „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ definierten Einrichtungen verstehen sich als ein innovatives Modell, um private und freiwillige Initiativen als Antwort auf die o. g. Herausforderungen des demographischen Wandels insbeson­dere in seinen Auswirkungen auf den Zerfall familiärer und verwandtschaftlicher Strukturen miteinander zu verbinden.

„Mehrgenerationenhäuser sind Orte, an denen das Prinzip der Großfamilie in moderner Form gelebt werden kann, wo sich Menschen aller Generationen ganz selbstverständlich im Alltag begegnen, voneinander lernen und Unterstützung erfahren.“ (BMFSFJ 2006a, S. 3)

„[…] Mehrgenerationenhäuser sollen Orte sein, in denen Kinder, Jugendliche, Er­wachsene, Ältere und sehr Alte sich im Alltag häufig und selbstverständlich begegnen, sich helfen und voneinander lernen. Alle Menschen aus dem Stadtteil oder der Gemeinde sollen sich hier auf viele Arten beteiligen können – oder auch einfach zum Kaffee trinken vorbeischauen. Mehrgenerationenhäuser sind Orte, in denen

- Eltern Hilfe finden
- Kinder von anderen Menschen lernen und Zuwendung und Aufmerksamkeit erfahren
- Ältere Menschen ihre vielfältigen Kompetenzen[7] und ihre Erfahrungen einbringen und eine sinnvolle Aufgabe finden können
- Junge Menschen sich über die Grenzen der Familie hinweg in einem verlässlichen Rahmen begegnen können
- […]
- Ehrenamtliche und Profis zusammen an gemeinsamen Aufgaben arbeiten und voneinander lernen
- […]
- Mehrgenerationenhäuser sind auf Gemeinschaft der Generationen, der Nach­barschaft und der lokalen Gesellschaft hin angelegt, denn nur im Miteinander der Generationen kann soziales Wachstum entstehen. Im Zusammentreffen und Zusammenwirken von Jung und Alt kann sich eine lebendige Nachbarschaft entwickeln, durch die es auch möglich sein wird, soziale Probleme auf neue Arten anzupacken. […]“ (a. a. O., S. 4f.).

Betont wird in der Definition von MGs die Modernisierung des Prinzips der Großfamilie, die alltägliche Begegnung zwischen Menschen unterschiedlichster Generationen, um voneinander und miteinander zu lernen und zu helfen. Kinder sollen lernen, ältere Menschen sollen „ihre vielfältigen Kompetenzen und ihre Erfah­rungen einbringen und eine sinnvolle Aufgabe finden können“ (BMFSFJ 2006a, S. 4) . Als weitere Grundprinzipien sind genannt „…Gemeinschaft der Generationen, der Nachbarschaft und der lokalen Gesellschaft.“ (ebd.)

1.2 Welche Ziele haben diese Mehrgenerationenhäuser?

Die Ziele der MGs sind primär sozial- und gesellschaftspolitischer Natur:

„In den Mehrgenerationenhäusern soll die Aufspaltung in Leistungs- und Sozialwesen überwunden werden. Mehrgenerationenhäuser sollen nicht nur gesellschaftliche Kompetenzen stärken, sondern auch einen wirtschaftlichen Nutzen stiften, indem sie zur Vermittlungsplattform für unterschiedliche Dienst­leistungen werden.“ (B MFSFJ 2006a, S. 5.)

Konkret werden einige Aktivitätsbereiche genannt, die hier auszugsweise aufgeführt werden (BMFSFJ 2006a, S. 5f.):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dass Erziehung und Bildung von Kindern auf der Seite der wirtschaftlichen Nutzenförderung der MGs aufgeführt wird und nicht unter den gesellschaftlichen Kompetenzen überrascht zunächst, spricht aber für die Feststellung Liegles (2001), dass es im historischen Rückblick betrachtet häufig Argumente wirtschaftlicher, gesellschaftspolitischer oder allgemein politischer Herkunft waren, die zur Einrichtung pädagogischer Institutionen, z. B. von Kindergärten führten und selten pädagogische Argumente.

„Was den Ausbau von Tageseinrichtungen für Kinder im Verlauf der Geschichte vorangebracht hat, war nicht die Überzeugungskraft von pädagogischen, schon gar nicht von kindbezogenen pädagogischen Argumenten im Sinne Fröbels; vielmehr waren es [...] Argumente der Katastrophenprävention, der Kampf von Erwachsenen um ihre Rechte und der Wettstreit von Staaten um Exzellenz. […] Die pädagogischen Argumente, die dafür sprechen, dass Kinder eine familienergänzende Erziehung in Tageseinrichtungen brauchen [...] sind, realistisch betrachtet, eine wichtige, aber nicht sehr wirksame Begleitmusik zu den Melodien, die von den Erwachsenen angestimmt und von ökonomischen und politischen Interessen beherrscht werden.“(Liegle 2001, S. 353)

Folgende Punkte bilden die Grundlage für die Entwicklung der konkreteren Fragestellung der vorliegenden Arbeit:

- Generationsübergreifende „Interaktion zwischen den vier Lebensaltern […]“(BMFSFJ 2006a, S. 5)
- „frühe Förderung von Kindern und Jugendlichen“ (ebd.)
- „Zentraler Bestandteil ist die Erziehung und Bildung von Kindern“ (ebd.)
- „Aktivierung der Potenziale älterer Menschen“ (ebd.)

1.3 Wie lauten die Förderrichtlinien des Aktionsprogramms?

Im „Förderleitfaden des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser“ vom 02. Okto­ber 2006 heißt es: „Gefördert werden können Maßnahmen zur Implementierung und zum Betrieb von Mehrgenerationenhäusern“ (BMFSFJ 2006b, S. 1). Unter den Zu­wendungsvoraussetzungen wird neben weiteren Kriterien erklärt:

„Mittel für den Betrieb eines MGs können Träger beantragen, die entlang der Kriterien der aufgeführten Prototypen auf der Grundlage der beschriebenen Merkmale die Erreichung der beschriebenen Ziele – vor allem die nachhaltige Angebotssicherung – projektieren.“(BMFSFJ 2006b, S. 2)

Im Konzept des „Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser“ werden folgende Prototypen genannt:

„ Eltern-Kind-Zentrum […]

Kita plus […]

Familien- und Mütterzentrum plus […]

Familienbildung plus […]

Schule- / Sport - / Kultur plus […]

Seniorenbildung - / Seniorentreff plus […]

Kirchengemeinde- / Bürgertreff plus […]“ (BMFSFJ 2006a, S. 11ff.)

Allen dort vorgestellten Prototypen ist gemeinsam, dass sie sich über ihre traditionel­le Zielgruppe hinaus für Besucher und Interessenten aller Generationen z. B. mittels der Einrichtungen eines ganztägig geöffneten Cafés oder inhaltlicher Angebote der intergenerativen Begegnung öffnen sollen.

Inhaltlich werden weitere Konkretisierungen gemacht, so z. B. das Bekenntnis zur Koedukation, der Internationalität und Interkulturalität, die Förderung des Prinzips der Gegenseitigkeit und die Bereitstellung moderner Kommunikationsmittel von Computern und Internet. Explizit pädagogische Prinzipien werden in den Förderkriterien nicht erkennbar aufgeführt. Es heißt lediglich: „[…] Sie arbeiten mit dem Ressourcenansatz […]“ (BMFSFJ 2006a, S. 9), wobei nicht deutlich wird, ob dies auf einen spezifisch theoretisch pädagogischen Ansatz verweist oder aber auf einen Ansatz von z. B. ökonomischen Theorien.

1.4 Konkretisierung der Fragestellung

1.4.1 Herleitung

Schon der Titel des Konzeptpapiers zum Förderprogramm „Alle(s) unter einem Dach. Das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ zeigt, dass in der Konzep­tion der MGs ein ausgesprochen weites Handlungsfeld abgesteckt und unter „einem Dach“ zu vereinen versucht wird. Sowohl Menschen unterschiedlicher Generationen und Altersgruppen sollen in diesen Tages- und Begegnungsstätten ihren Bedürf­nissen entsprechend Angebote finden, es sollen aber auch gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Ziele erreicht werden. Folgende Vorüberlegungen führten zur Themenwahl für die vorliegende Arbeit und zu den eigentlichen Forschungsfragen im nächsten Kapitel.

1. Zwei der o. g. genannten Ziele sind „Frühe Förderung von Kindern und Jugendlichen“ und „Erziehung und Bildung von Kindern“. Dies sind Ziele mit genuin pädagogischer Aufgabenstellung. Weiterhin werden als Ziele genannt:

- „Interaktion zwischen den vier Lebensaltern […]“
- „Aktivierung der Potenziale älterer Menschen“ und
- „ältere Menschen [sollen] ihre vielfältigen Kompetenzen und ihre Erfahrung einbringen und eine sinnvolle Aufgabe finden können“

(BMFSFJ 2006a, S. 4).

Auch in diesen Zielen eröffnen sich pädagogische Aufgaben: Die „Aktivierung der Potenziale älterer Menschen“ und „ältere Menschen sollen […] eine sinnvolle Auf­gabe finden können“ umfasst zentrale Aufgaben aus dem Arbeitsfeld der Gerontagogik. Bei dem Ziel, „ältere Menschen sollen ihre vielfältigen Kompetenzen und ihre Erfahrung einbringen“ (ebd.) geht es darum, Strukturen und Gelegenheiten zu schaffen, die es älteren Menschen ermöglicht, ihre Kompetenzen und ihr Erfahrungswissen an andere Generationen weiter­zugeben, bzw. welche es jüngeren Generationen ermöglichen soll, dieses Erfahrungswissen anzunehmen. Das hiermit angesprochene generationen­übergreifende Handlungsfeld wird in der pädagogischen Literatur unter dem Begriff des ‚intergenerativen Lernens’[8] diskutiert. Mit den Zielen des Förderprogramms sind also mehrere pädagogische Handlungsfelder berührt, weshalb es notwendig und sinnvoll erscheint, das Aktionsprogramm in einer erziehungswissenschaftlichen Arbeit unter pädagogischer Perspektive zu beleuchten.

2. Das Arbeitsfeld des intergenerativen Lernens, v. a. im Kontext des Themenfeldes ‚Dialog der Generationen’, ist vorrangig in der Praxis entstanden. Theoretische Anschlüsse und Reflexionen wurden bisher wenig durchgeführt und sind schwer zu finden (vgl. Jacobs 2006, S. IX und S. 88). Die Behandlung dieses Themas in einer erziehungswissenschaftlichen Arbeit ist also auch durch das – v.a. in der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik vieldiskutierte – ‚Theorie-Praxis-Verhältnis’ der Erziehungswissenschaft motiviert, nach der die Erziehungswissenschaft im Sinne des von Wilhelm Flitners geprägten Ausdrucks der „réflexion engagée“ (Blankertz 1982, S. 269) eine theoretische Reflexion der Praxis zu erbringen hat, die in die Praxis zurückwirkt: Deshalb wird im Folgenden nach theoretischen Orientierungen gesucht, die die pädagogische Begründung von Konzeptionen von MGs erleichtern können.

3. Obwohl frühkindliche Förderung, Förderung von Jugendlichen und die Erziehung und Bildung von Kindern als zentrale Ziele der MGs im „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ genannt werden, ist auffällig, dass keinerlei pädagogi­sche Leitorientierungen oder Grundvorstellungen Erwähnung finden. Einerseits dürfte dies daran liegen, dass die Formulierung von Bildungs- und Erziehungs­richtlinien nicht im Kompetenzbereich des Bundes, sondern in dem der Kultus­ministerien auf Ebene der Bundesländer liegt. Dies kann positiv gedeutet werden, da hierdurch den einzelnen Institutionen weitgehende Handlungsspiel­räume und Entwicklungsfreiheiten entsprechend der lokal vorzufindenden Gegebenheiten bleiben. Es ist aber m. E. eher im Sinne Liegles (s. Kapitel 1.2) davon auszugehen, dass pädagogische Intentionen bei der Gründung des Aktionsprogrammes Mehrgenerationenhäuser nicht im Vordergrund standen, sondern gesellschafts- und sozialpolitische Handlungsnotwendigkeiten Auslöser für ein derartiges Förderprogramm waren. Deshalb erscheint es aus erziehungs­wissenschaftlicher Perspektive sinnvoll, die pädagogischen Implikationen der Gründung solcher Institutionen zu beleuchten.

4. Aufgrund dessen, dass vier Lebensalter in den MGs miteinander in Kontakt kom­men sollen, ergeben sich die vielfältigsten generationsübergreifenden Berührungspunkte mit jeweils eigenen Besonderheiten. Die Begegnung zwi­schen Erwachsenen mittleren Alters und älterer Menschen dürfte von anderen Interaktionsmustern und -spezifika geprägt sein, als die zwischen Kleinkindern und älteren Menschen oder gar sehr alten Menschen. Die vorliegende Arbeit wird sich auf die Personenkreise der Kleinkinder und älteren Menschen konzentrieren. Eine weitere Differenzierung in der Betrachtung der pädago­gischen Gestaltung des Miteinanders zwischen Teilnehmer/-innen weiterer Grup­pen von Lebensaltern dürfte so komplex werden, dass sie im hier verfügbaren Rahmen leider nicht geleistet werden kann. Es konnte in einer internationalen Synopse außerdem festgestellt werden, dass sich intergenerative Projekte überwiegend auf eine Verbindung zwischen der ältesten und der jüngsten Generation konzentrieren, da diese offenbar „am leichtesten zu verwirklichen“ seien. (Klercq 1997, S. 90). Kritisch fügt er hinzu, dass dabei andere Möglich­keiten und Potenziale älterer Menschen zum intergenerativen Austausch mit Nutzen für weitere Generationen übersehen würden. Ich gehe davon aus, dass intergenerative Begegnung zwischen älteren Menschen und Kindern/Jugend­lichen im Schulalter bzw. Ausbildungsalter in den MGs durch Herangehens­weisen des sog. ‚Mentoring’, z. B. in Form von Angeboten der Schülerhilfe/Nach­hilfe, Bewerbungstrainings u. v. a praktizierbar sind[9]. Andererseits konkurrieren Mehrgenerationenhäuser mit den verstärkt auftretenden intergenerativen Initia­tiven an Schulen um freiwillige Teilnehmer/-innen der älteren Generation (vgl. Jacobs 2006, S. 131ff.).

1.4.2 Formulierung der Forschungsfragen

Wenn aufgrund der sozialpolitischen Zielvorstellungen für die Entwicklung der MGs sowohl pädagogische Aufgaben insbesondere im Handlungsfeld für Kinder (mit besonderem Fokus der Elementarpädagogik) als auch im Handlungsfeld für ältere Menschen (Gerontagogik) sowie des intergenerativen Lernens entstehen, konzeptionelle Leit­vorstellungen in pädagogischer Hinsicht in den politischen Förderkonzepten jedoch nicht weiter konkretisiert werden, stellen sich aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive folgende Fragen:

1. Gibt es in der theoretischen Literatur der erwähnten erziehungswissenschaftli­chen Arbeitsfelder Ansatzpunkte für die pädagogische Gestaltung des „inter­generativen Lernens“, insbesondere von Kindern und älteren Menschen, die zur Orientierung der pädagogischen Konzeption von Mehrgenerationenhäusern die­nen können?

2. Welche Orientierungen bzw. theoretischen Ansätze lassen sich aus den Arbeits­feldern der Elementarpädagogik und der Gerontagogik finden, um in der Tages- und Begegnungsgestaltung
a. sowohl der Förderung und Entwicklung der Kinder gerecht zu werden
b. als auch der Förderung und Entwicklung der Älteren gerecht zu werden und
c. gemeinsame Aktivitäten im Sinne des Austauschs und des Miteinanders pädagogisch fundiert zu entwickeln?

2 Theoretische Orientierungen aus der Elementar-pädagogik

Im folgenden Kapitel wird versucht, die aktuell vorrangig zu findenden Auffassungen zu Förderung, Bildung und Erziehung sowie der Aufgaben von Elementarpädagogik anhand aktueller Primärquellen und der Darstellung theoretischer Ansätze aus der Erziehungswissenschaft, insbesondere elementarpädagogischer Ansätze, darzustel­len und zu analysieren. Am Ende des Kapitels werden aus beiden Perspektiven die zentralen Aussagen für den Elementarbereich zusammengefasst, um anschließend mögliche theoretisch pädagogische Orientierungen für die Konzeptionierung von MGs aus Sicht der konsensuellen Prinzipien der Elementarpädagogik abzuleiten.

2.1 Ziele der Elementarpädagogik

Im Folgenden werden einige aktuelle, bildungspolitisch relevante Dokumente für den Elementarbereich in Hinblick auf in ihnen aufzufindende Zielformulierungen für die Elementarpädagogik betrachtet.

2.1.1 Das Sozialgesetzbuch

Das Sozialgesetzbuch befasst sich im achten Buch mit der Kinder- und Jugendhilfe (8. Buch, SGB VIII) und ist maßgeblich u. a. für Aktivitäten im Bereich der Elemen­tarpädagogik. Im ersten Kapitel „Allgemeine Vorschriften“, § 1 Absatz 1 wird das Recht eines jeden jungen Menschen auf „Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ formuliert (SGB VIII § 1 (1)). Insbesondere seien

„… die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewußten Handeln sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien zu berücksichtigen.“ (SGB VIII § 9 (2))

Im Dritten Abschnitt des SGB VIII folgen „Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege“. Dieser Passus ist für die Ausgestaltung der Kinderbetreuung in MGs besonders relevant:

„[…] (2) Die Aufgabe umfaßt die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren. […]“ (SGB VIII § 22 (2))

[...]


[1] Ministère de la Famille de la Solidarité sociale et de la Jeunesse & Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Dialog der Generationen, Luxembourg, 2003; S. 17

[2] Lebenslanges Lernen wird im 5. Bericht zur Lage der älteren Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland u.a. definiert als „die Gesamtheit allen formalen, non-formalen und informellen Lernens über den gesamten Lebenszyklus eines Menschen hinweg“. (BMFSFJ 2005, S. 129)

[3] Informelles Lernen. Dieses Konzept geht auf Günther Dohmen zurück. Informelles Lernen vollzieht sich als Lernprozess „in Alltagssituationen außerhalb von klassischen Bildungsinstitutionen in allen Lebensbereichen“ (BMFSFJ 2005, S. 125 f).

[4] Die Enquete - Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages definiert bürgerschaftliches Engagement als „eine freiwillige, nicht auf das Erzielen eines persönlichen materiellen Gewinns gerichtete, auf das Gemeinwohl hin orien­tierte, kooperative Tätigkeit. Sie entfaltet sich in der Regel in Organisationen und Institutionen im öffentlichen Raum der Bürgergesellschaft. Selbstorganisation, Selbstermächtigung und Bürgerrechte sind die Fundamente einer Teilhabe und Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen“ (Deutscher Bundestag 2002: Bericht der Enquete-Kommission, S. 40)

[5] Statistisches Bundesamt Deutschland: 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, abrufbar unter: http://www.destatis.de/laenderpyramiden/index.html (Stand: 02. Juni 2007)

[6] ebd.

[7] Kompetenzen werden „als verhaltensregulierende persönliche Potentiale und Dispositionen verstanden, die sich vorwiegend aus der reflektierten Verarbeitung praktischer Erfahrungen entwickeln und jeweils zur Bewältigung verschiedener Anforderungssituationen mobilisiert und aktualisiert werden können“ (Dohmen 2001, S. 42)

[8] Jacobs, Timo (2006) begründet ethymologisch, sozialisationstheoretisch in Anlehnung an Erik Eriksons Begriff der „Generativität“ und unter Rückgriff auf Lore Miedaners Definition von „intergenerativer sozialpädagogischer Arbeit“, warum der Begriff „intergeneratives Lernen“ in diesem Zusammenhang treffender ist als der in der Literatur oft auch zu findende Begriff „intergenerationelles Lernen“.
„Unter intergenerativer Arbeit ist eine initiierte und individuell intendierte Begegnung zwischen angehörigen verschiedener Generationen in außerfamiliären Zusammenhängen zu verstehen. Die Begegnung hat zum Ziel, die Solidarität zwischen den Generationen zu fördern. […] Es ist nochmals zu unterstreichen, dass „intergenerativ“ eine Form des Austauschs impliziert.“(Jacobs 2006, S. 91)

[9] s. a. Franz 2006, S. 8 in der gedruckten Fassung (09. März 2007) oder auch Jacobs 2006, S. 91-94

Fin de l'extrait de 54 pages

Résumé des informations

Titre
Mehrgenerationenhäuser. Pädagogische Konzeption. Theoretische Grundlagen und Orientierung
Université
University of Hagen  (Lehrgebiet Bildungstechnologie, Teilgebiet Schulpädagogik, Fakultät der Kultur- und Sozialwissenschaften)
Note
1,0
Auteur
Année
2007
Pages
54
N° de catalogue
V111738
ISBN (ebook)
9783640158225
ISBN (Livre)
9783640176700
Taille d'un fichier
634 KB
Langue
allemand
Mots clés
Theoretische, Orientierungen, Konzeption, Mehrgenerationenhäusern
Citation du texte
Ute Brigitta Schmidt (Auteur), 2007, Mehrgenerationenhäuser. Pädagogische Konzeption. Theoretische Grundlagen und Orientierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111738

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