Extrait
I. Titelblatt
II. Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Skalierung des Lernbegriffs
3. Konstruktivismus - von der Epistemologie zur Lerntheorie
4. Einfluss vorangegangener Lerntheorien
5. Grundsteinlegung Jean Piagets
6. Perspektivische Ausdifferenzierung innerhalb des Konstruktivismus
7. Konsequenzen für den Lehrenden
8. Resümee
III. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Noch bevor es möglich ist, sich mit dem Begriff und den Prinzipien des Lernens bewusst auseinanderzusetzen, wird man permanent damit konfrontiert und ist untrennbarer Teil dieses Prozes- ses.Lernen ist viel mehr als die gezielte Aneignung von Sachwissen, wie es jeder Schüler kennt. Im Gengenteil ist ebenjenes, durch Schulen linear gestaltetes, Lernen, welches darauf abzielt Wissen auf direktem Weg auf viele Schüler zu übertragen, eine Reduktion des Lernprozesses (Vollmers 1997, S.83). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Einblick in konstruktivistische Lerntheorien und eine Alternative zu einseitiger Wissensvermittlung zu geben. Im Anschluss an diese Einleitung wird auf die Komplexität des Lernbegriffs Bezug genommen und dieser thematisch skaliert.
Es wird dargelegt, inwieweit didaktische Grundparadigmen revolutioniert und erkenntnistheoretisch neu interpretiert wurden. Bezugnehmend auf die Konzeptionen von Jean Piagets genetischer Epistemologie und dessen ausschlaggebenden Einfluss für eine erkenntnistheoretische Neubewertung werden die daraus resultierenden Konsequenzen für Lehr - Lern - Situationen beispielhaft erläutert und der Blickwinkel des Subjektbezuges verdeutlicht. Darüber hinaus wird eine Einbettung in den historischen und gesellschaftlichen Kontext vorgenommen und auf die Ausdifferenzierung verschiedener Interpretationen und Perspektiven innerhalb des Konstruktivismus eingegangen.In diesem Zusammenhang werden vorrangingdie Ausdifferenzierungen durch Konzeptionen des radikalen Konstruktivismus nach Ernst von Glaserfeld sowie des sozial Internationalistischem Konstruktivismus nach Kersten Reich vorgestellt.
2. Skalierung des Lernbegriffs
Bevor im Folgenden auf den Konstruktivismus als Lerntheorie eingegangen werden kann, sei ein Verweis, auf die Komplexität des Lernbegriffs und die besondere Herausforderung eben diesen universell greifbar zu machen, vorangestellt. Der Lernbegriff als solcher setzt sich aus manigfal- tigen Dimensionen zusammen, deren Grenzen sich nach der Perspektive richten, aus welcher der Terminus betrachtet wird (Schaller, 2011 S. 102). Beispielsweise sind unter Dimensionen naturwissenschaftlich- sowie neurobiologische Phänomene, institutionell geformte Wissensvermittlung innerhalb gesellschaftlicher Bildungssysteme oder pädagogisch-didaktische Konzeptionen zu verstehen. Exemplarisch bedeutet Lernen im neurowissenschaftlichen Kontext: "Modifikation synaptischer Übertragungsstärke" oder "langfristige Änderung kortikaler Repräsentationen" (Schaller 2011, S. 162). Auch die zeitliche Determination des Lernens steht in direkter Korrelation zur dimensionalen Einbettung, sofern Lernen als ein permanenter Handlungsprozess verstanden wird (Schaller 2011, S. 104). Nebst dem hohen Maß an Vielschichtigkeit, kommt Schaller zu dem Konsens, dass die Basisstrukturen des Lernens aus Erfahrung und Veränderung bestehen (Schaller 2011, S. 103). Sofern ebenjene Strukturen dem Lernprozess zugrunde liegen, offenbart sich eine subjektbezogene individuelle Adaption von Lerninhalten (Schaller 2011, S. 103). Diese auf Veränderung basierende Anpassung des lernenden Subjekts erfordert ein gewisses Maß an Nachhaltigkeit, d.h. eine fortdauernde Änderung der bestehenden Erfahrungsschemata. „Neues Wissen wird dann nachhaltig angeeignet, wenn es "situiert", d.h. in lebensweltliche Kontexte eingebettet ist.“ (Siebert 2000). Je nach spezifischer Perspektive und situativem Rahmen kann sich Nachhaltigkeit im Lernkontext in Form wiederholt gezeigter Verhaltensweisen, Replikation von Sachwissen, Übernahme soziokultureller Gebote oder ähnlichem wiederspiegeln. Es wird bereits bei dem Versuch "Lernen" zu definieren deutlich, dass der Begriff innerhalb einer Theorie holistisch schwer fassbar ist. Daraus lässt sich ableiten, dass die einbezogenen Variablen für Lerntheorien maßgebend sind (Schaller 2011, S. 107).
3. Konstruktivismus - von der Epistemologie zur Lerntheorie
Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits dargelegt, basiert Lernen auf subjektiven Erfahrungen und nachhaltig situierten Veränderungen. Ausgelöst werden Veränderungen der bereits vorhanden Erfahrungsschemata oder Deutungsmuster des Subjekts durch widersprüchliche Interaktionen mit und durch die Umwelt (Vollmers 1997, S. 77). Im Zuge des Konstruktivismus findet in diesem Zusammenhang der Terminus der Perturbation1 seine Anwendung. Dies bedeutet, dass infolge der erlebten Unvereinbarkeit des bestehenden Deutungsmusters mit den situativen Faktoren eine Modifikation beziehungsweise Adaption des Musters stattfindet. Im Ergebnis wird der Lernprozess innerhalb des Individuums durch Interaktion mit seiner Umwelt und Konfiguration innerer Deutungsmuster konstruiert (Vollmers 1997, S. 82). Schaller verwendet für diese Deutungsmuster und Erfahrungsschemata die Begriffe "kognitive Schemata" oder "neuronale Repräsentationen". Diese Schemata und Repräsentationen werden im Konstruktivismus zum integralen Bestandteil der Wissensgenerierung und Wirklichkeitskonstruktion (Schaller 2011, S. 156). Dem Konstruktivismus ist ein dominierender Subjektbezug immanent, da sich die Konstruktion der Realität im beobachtenden beziehungsweise lernenden Subjekt oder in diesem Sinne Konstrukteur selbst vollzieht (Schaller 2011, S. 172). Der Konstruktivismus ist paradigmatisch eher in der Epistemologie als mit den Lerntheorien verwurzelt und im speziellen findet er seinen Ursprung als biologisches Phänomen zur viablen2 Anpassung eines Organismus an seine Umwelt (Schaller 2011, S. 173). Infolge der Subjektfokussierung und individualistischen Ausprägung erlernter Deutungsschemata ist eine schier unzählbare Variation an Realitätskonstruktionen und Lernerfahrungen vorstellbar, welche aufgrund der Plastizität der Muster, keinen absoluten Wahrheitsanspruch erheben, sondern ihre Existenz in der Wahrnehmung des Individuums begründen (Glaserfeld 1997, S. 14). Die durch das erfahrende Subjekt individuell generierte kognitive Repräsentation des situativen Umfelds und dessen Einflussfaktoren, führt nicht zu einer gespiegelten Präsentation derselben, sondern verwirklicht sich in einer subjektiven Reproduktion der Erfahrungswelt (Glaserfeld 1997, S. 12). Konstruktivisten gehen davon aus, dass die Erkenntnisse eines menschlichen Individuums aus dem Filtrat der eigenen Wahrnehmungen bestehen und sich dessen vermeintliche Realität erst postfaktisch innerhalb des Subjekts der Erfahrung, durch Inklusion der situativen Wahrnehmung in bereits konzipierte Erfahrungsstrukturen, konstruiert. Die unverkennbare Prägung der menschlichen Wahrnehmung manifestiert sich ihrerseits als subjektiver Erlebnishorizont und fungiert darüber hinaus als unüberwindbare Grenze der eigenen Repräsentation (Glaserfeld 1997, S. 10).
Der Zugang zur Realität und dementsprechend auch zu vermittelten Lerninhalten erschafft sich der Lernende als Beobachter somit selbst. Daraus ergibt sich die Fokussierung auf viable statt auf objektiv wahre Erklärungskonzeptionen des Konstruktivismus (Schaller 2011, S. 173).
4. Einfluss vorangegangener Lerntheorien
Der Konstruktivismus als Lerntheorie ist nicht von seinen Vorgängertheorien losgelöst zu betrachten, sondern inkludiert oder besser formuliert vereint Aspekte aus bereits anerkannten erkenntnis- und lerntheoretischen Konzepten und ergänzt diese, wie zuvor erwähnt, um subjektfokussierte autopoietische Konstruktionen (Terhart & Ewald 1999, S. 630). Laut Terhart & Ewald ist "konstruktivistische Didaktik" in deutschsprachiger Literatur erstmals ab 1994 und den darauffolgenden Jahren in fachspezifischen Publikationen von Erich von Glaserfeld und Kersten Reich präsent (Terhart & Ewald 1999, S. 631). Wie im vorangehenden Kapitel bereits dargelegt, findet der Konstruktivismus seinen Ursprung in Form genetischer Epistemologie jedoch bereits in den 1950er Jahren durch den schweizer Biologen Jean Piaget (Vollmers 1997, S. 73). Die Bedeutung Piagets im Hinblick auf Grundsteinlegung konstruktivistischer Aspekte wird im folgenden Kapitel detaillierter erörtert. Maßgeblich für den Paradigmenwechsel vom Behaviorismus, welcher kognitive Verarbeitungsprozesse eines Individuums sowie introspektiver Verfahrensweisen tabuisiert dementierte, zum Kognitivismus war die Kognitive Wende der 1960er Jahre. In diesem Zusammenhang fand unter Einbezug kognitiver Bewertungsprozesse in Verbindung mit sensorischer Informationsverarbeitung ein Wandel des damaligen Menschenbildes statt (Schaller 2011, S. 121). Die Revision dominierender Reiz-Reaktions-Theorien innerhalb der Psychologie in Form von klassischen und operanten Konditionierungsprozessen ist im gesellschaftlichen Kontext in Anlehnung der prozessualen Informationsverarbeitung des Computers zu sehen (Schaller 2011, S. 121f.). Die im Hinblick auf lerntheoretische Kernaspekte simplifizierte Anschauung der Stimulus - Response - Theorien wurde insbesondere in Bezug der Praktikabilität vermehrt kritisiert. Da dem lernenden Subjekt reflexive und antizipatorische Fähigkeiten abgesprochen worden sind (Schaller 2011, S. 117). Fundamental für die Kritik an klassischen Reiz - Reaktions - Theorien war die Isolation intentionaler Entscheidungsfähigkeit des Lernenden. Volition ist jedoch für lern - motivatorische Zielerreichung und damit verbundene Initiierung lern - intentionaler Handlungsprozesse unabdingbar (Schaller 2011, S. 118). Die beschriebenen Prozesse wurden im Zuge der kognitiven Wende für die Lerntheorie des Kognitivismus, welcher als Vorreiter des Konstruktivismus zu sehen ist, essentiell. Die Lerntheorien des Behaviorismus und Kognitivismus fungierten ihrerseits gewissermaßen als Antagonisten, da sie die Medaille des Lernens lediglich von ihrer jeweiligen Seite betrachteten (Schaller 2011, S. 121).
[...]
1 Der Begriff der Perturbation ist ein, von Humberto Maturana entwickeltes, neurobiologisches Konzept, welches eine Störung eines systemisch geschlossenem Deutungsmusters eines wahrnehmenden Subjektes durch eine wahrgenommene Information beschreibt und in dessen Folge eine Adaption des spezifischen Deutungsmusters bewirkt. (Kaindl 2005, 53 f.)
2 Ernst von Glaserfeld prägte den Begriff der Viabilität im Kontext des Anpassungsvermögens eines Organismus an seine Umwelt. Der Terminus als solcher wurde aus der Evolutionstheorie entlehnt und beschreibt die Überlebensfähigkeit ebenjener Organismen unter Einwirkung und Interaktion ihrer bestehenden Umwelteinflüsse (Glaserfeld 2015, S. 391).
- Citation du texte
- Martin Wolff (Auteur), 2020, Konstruktivismus als Lerntheorie. Eine Alternative zu einseitiger Wissensvermittlung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1118763
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