Die Wahrnehmungsveränderung charismatischer Führung am Fallbeispiel des deutschen Fußballnationaltrainers Jürgen Klinsmann


Diploma Thesis, 2007

144 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhalt

Summary

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Fragestellung und Zielsetzung
1.3 Methode
1.4 Aufbau der Arbeit

2 Charismatische Führung
2.1 Entstehung und wissenschaftliche Entwicklung des Charismabegriffs
2.1.1 Max Webers Verständnis von Charisma
2.1.2 Entstehung und Zerfall von Charisma
2.1.3 Führungserfolg und charismatische Effekte
2.2 Ausgewählte Konzepte der charismatischen Führung.
2.2.1 Das Konzept von House 1977
2.2.2 Das Konzept von Bass
2.3 Die attributionsbasierte charismatische Führung nach Conger und Kanungo
2.3.1 Das Konzept
2.3.2 Das Drei-Stufen Modell der Führung
2.3.3 Die Conger-Kanungo-Skala
2.4 Führung im Sport und charismatische Führung
2.4.1 Funktionen des Trainers
2.4.2 Erfolg und Verantwortung des Trainers
2.4.3 Vergleich Trainer und Manager
2.5 Zwischenfazit

3 Kommunikationswissenschaft, Medienwirkung und Sport
3.1 Kommunikationswissenschaft
3.1.1 Definition und Einordnung in das Wissenschaftssystem
3.1.2 Publizistik- und Medienwissenschaft
3.2 Massenmedien und Massenkommunikation
3.2.1 Massenmedien
3.2.2 Massenkommunikation
3.3 Medien und Medienrealität
3.4 Sport und Massenmedien.
3.4.1 Sport als Medieninhalt
3.4.2 Merkmale der Sportberichterstattung
3.4.3 Die Berichterstattung einer Fußball-Weltmeisterschaft
3.4.4 Die Studie WM-Monitor 2002
3.5 Zwischenfazit

4 Empirischer Teil
4.1 Methode der Untersuchung
4.1.1 Das Instrument der Inhaltsanalyse
4.1.2 Beschränkungen der Inhaltsanalyse
4.2 Grundlagen der Untersuchung
4.2.1 Das Untersuchungsmaterial – Redaktionsprofile
4.2.2 Zur Person Jürgen Klinsmann
4.3 Operationalisierung Erfolg
4.4 Hypothesen
4.5 Vorgehensweise
4.5.1 Die Auswahleinheit
4.5.2 Analyseeinheit und Codierung
4.5.3 Das Kategoriensystem
4.5.4 Reliabilität und Validität

5 Ergebnisse
5.1 Struktur der Berichterstattung
5.2 Hypothesenüberprüfung
5.2.1 Hypothese 1.1
5.2.2 Hypothese 1.2
5.2.3 Hypothese 1.3
5.2.4 Hypothese 2.1
5.2.4 Hypothese 2.2
5.2.5 Hypothese 2.3
5.2.5 Hypothese 3.1
5.2.6 Hypothese 3.2
5.2.7 Hypothese 3.3
5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

6 Ausblick

7 Anhang
7.1 Codebuch
7.2 Kommentar zum Codebuch

8 Abbildungsverzeichnis

9 Tabellenverzeichnis

10 Literaturverzeichnis

Summary

On the basis of the theory of Conger and Kanungo´s approach of charismatic leadership the following study tries to find out whether the attribution of charisma fluctuates depending on the success of the charismatic leader. The initial point for this research question is Weibler’s (1997, p. 30) thesis that charisma is performance-related. He suggests that every leader, although he is perceived as charismatic, needs to confirm his charisma by success. Using the C-K scale of charismatic leadership in a for this purpose lightly modified version a content analysis of two German newspapers and one sports-magazine was conducted on the basis of the case example of the former coach of the national German soccer team Jürgen Klinsmann. The analysis of the media coverage of Jürgen Klinsmann during its tenure is supposed to show whether and how his perceived charisma can change depending on success, thus after victories and defeats of the German soccer team.

Altogether the results show that the use of charismatic attributes for Jürgen Klinsmann varies depending on its performance. It was demonstrated that charisma is not a constant variable, but that the perception of a person’s charisma varies. However it could not be confirmed by the data that after success the number of charismatic attributes for Klinsmann rises clearly in the follow-up coverage contrary to the preliminary report. The results could only prove that after successes Klinsmann was described with just as many charismatic characteristics as before. According to Weibler’s thesis (1997, P. 30) Klinsmann could only confirm his charismatic perception by success. These results might suggest that charisma does not form a linear function but gets to a certain point of saturation. However, if an as charismatic perceived person is no longer successful the curve inclines to fall.

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Stellt man sich die Frage, womit bedeutende Persönlichkeiten aus der Geschichte, Wirtschaft oder dem gesellschaftlichen Leben ihre Mitmenschen in den Bann ziehen, so lautet häufig Charisma die Antwort. Erfolgsgeschichten über gewinnbringend umstrukturierte oder neu gegründete Unternehmen werden in den Medien meist in Verbindung mit einer charismatischen Persönlichkeit gebracht. So wird beispielsweise Jack Welch, der langjährige CEO von General Electrics, in einem Artikel der Wochenzeitung DIE ZEIT (Huhn 2001, S. 1) „[…] die Energie eines Kernkraftwerkes und das Charisma eines Religionsgründers“ zugesprochen. In seiner 20-jährigen Amtszeit konnte Welch den Umsatz von General Electrics von US $ 27.240 Millionen im Jahre 1981 auf US $ 100.469 Millionen im Jahre 1998 steigern (vgl. Bartlett/Wozny 2004, S. 1). Als weitere Personen aus dem wirtschaftlichen Leben, die häufig als charismatisch beschrieben werden gelten beispielsweise ebenso Anita Roddick, die Gründerin des Body Shops oder Microsoft-Gründer Bill Gates (vgl. Weibler 1997, S. 27). Charisma und Erfolg scheinen somit auf den ersten Blick in enger Verbindung zu stehen.

Auch im Bereich des Sports lässt sich die Verbindung Charisma und Erfolg finden. Kurz nach Klinsmanns Ernennung zum Nationaltrainer bezeichnet ihn beispielsweise sein Trainerkollege Arsène Wenger im Kicker-Sportmagazin (2004, S. 2) wie folgt: „Er hat Charisma und den Willen zu neuen Ideen, er ist intelligent und positiv.“ Die Zeitung Die Welt (Kreitling 2005, S. 1) schreibt kurz vor dem sportlichen Großereignis in Deutschland, der Fußballweltmeisterschaft, über den deutschen Nationaltrainer: „Klinsmann sieht überall das halbvolle Glas. Glück. Chuzpe. Charisma. Seit Franz Beckenbauer 1990 die WM gewann, waren Erfolgseigenschaften nicht mehr so deutlich zu bestaunen“. Schließlich wird jüngst in der Zeitschrift brand eins (Biermann 2006, S. 66) der Betriebswirtschaftler Christian Scholz von der Universität des Saarlandes zitiert, dass Klinsmann ein lebendes Beispiel für „Transformational Leadership“ sei.

Bei derartigen Botschaften ist es nicht verwunderlich, dass die Führungsforschung rund um den Begriff des Charismas seit den 80er Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erfährt. Unterschiedliche Konzepte der charismatischen Führung haben seit dem versucht zu erklären, ob und warum Charisma diesen Nutzen des Führungserfolgs stiften kann. Eine dieser Theorien ist die attributionsbasierte charismatische Führungstheorie von Conger und Kanungo. Ihre Grundaussage besteht darin, dass die Zuschreibung von Charisma an die

Führungsperson durch die Geführten von mehreren Aspekten und Situationen abhängt. Die Autoren (1994. S. 448) kamen in ihren Studien zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit der Zuschreibung von Charisma steigt, wenn die Führungspersonen beispielsweise Visionen schaffen, welche sich vom Status Quo maßgeblich unterscheiden und diese auf ungewöhnliche Art und Weise realisieren möchten. Ebenso erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Attribution, wenn sie dabei selbst zu Opfern bereit sind und persönliches Risiko in Kauf nehmen (vgl. Yukl 1998, S. 322).

Betrachtet man nun oben erwähnte Beispiele charismatischer Führung, fällt auf, dass insbesondere erfolgreichen Persönlichkeiten Charisma zugeschrieben wird. Folglich drängt sich die Frage nach der Kausalität von Charisma und Erfolg bei näherer Betrachtung geradezu auf. Kann Charisma nun wirklich als ein entscheidendes Kriterium für Erfolg gelten? Oder bedeutet dies nun, dass nur unter Erfolg Personen auch Charisma zugestanden wird? Oder verändert sich möglicherweise die Wahrnehmung von Charisma je nach Situation? In der Literatur der Führungsforschung hat sich Weibler (1997) in seiner Formulierung der sieben Thesen über bislang vernachlässigte Aspekte der charismatischen Führung mit dieser Fragestellung beschäftigt. So formulierte der Autor (1997, S. 30) die These, dass Charisma erfolgsabhängig sei und betont dabei zugleich, dass hierbei in der Empirie noch einige Forschungslücken zu füllen bleiben.

Die Politik bietet dafür ein weiteres anschauliches Beispiel für den möglichen Zusammenhang zwischen Charisma und Erfolg. An Angela Merkels Führungsqualitäten wurde zu Beginn der großen Regierungskoalition in Deutschland im Herbst 2005 unter anderem aus einem Grund gezweifelt: Ihr angeblich fehlendes Charisma. Die deutsche Medienwelt stellte Frau Merkels Regierungsfähigkeit anhand des direkten Vergleichs ihres Führungsstils mit dem charismatischen Führungsstil ihres Vorgängers Gerhard Schröder fest. Die Wochenzeitung DIE ZEIT (Hofmann 2005, S. 1) resümierte am Jahresende 2005 hierzu: „Gerhard Schröder ist von vielen bescheinigt worden, er habe Charisma: ein political animal, charmierend, manchmal gnadenlos, aber auch mit ein paar Tränen der Rührung in den Augen, während Angela Merkel eher etwas Studienrätliches offeriert und

»Schweigen als Stärke« proklamiert. Image kann man hinbiegen und herbei beschwören, Charisma nicht.“

Die Internetseite www.charismakurve.de hat sich während des Wahlkampfes 2005 die Aufgabe zu Eigen gemacht, Merkel und Schröder über direktes Abstimmen der

Internetbesucher Rückmeldung über ihre Ausstrahlung und Öffentlichkeitskompetenz zu geben (vgl. Sollmann 2006, S. 1). In Kalenderwoche 32 zeigt die Charismakurve für Schröder 7,25 von 10 möglichen Punkten und für Merkel 2,3 von 10 Punkten an. In Kalenderwoche 37 ist das Charisma von Schröder jedoch auf 6,62 gesunken, das von Merkel auf 4,22 gestiegen. Bereits in dieser nicht repräsentativen Umfrage wird ersichtlich, dass sich die Wahrnehmung charismatischer Eigenschaften bei Personen von Zeit zu Zeit verändern kann.

1.2 Fragestellung und Zielsetzung

Die Fragestellung dieser Arbeit lautet auf den Punkt gebracht, ob sich die wahrgenommene Zuschreibung von Charisma auf Führungspersonen mit der Veränderung des Erfolgs wandelt.

Mit Hilfe des Modells der Attribution charismatischer Eigenschaften von Conger und Kanungo soll dabei anhand eines Fallbeispiels gezeigt werden, dass sich bei Erfolg die Zuschreibung charismatischer Eigenschaften im Vergleich zu Misserfolgen verändert. Nach dem Konzept der Autoren wird Charisma den Führungspersönlichkeiten durch ihr Verhalten zugeschrieben. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch vermutet, dass die Attribution von Charisma auch in Abhängigkeit ihres Erfolges variieren kann. Somit würde der Erfolg der Führungskraft erst die Zuweisung charismatischer Fähigkeiten bedingen. Weiblers These, dass Charisma erfolgsabhängig sei, wird daher versucht in das Modell aufzunehmen.

Insgesamt wird in der Literatur das Konzept von Conger und Kanungo als ein Modell betrachtet, welches wichtige Variablen charismatischer Führung integriert (vgl. Hauser 2000, S. 70). Dennoch hebt Hauser (2000, S. 70) kritisch hervor, dass die Kausalitäten der Attribution nicht beachtet werden. Als Beispiel führt er an, dass ein hohes Machtmotiv auch eine starke Einflussnahme des Führenden bewirken und dies zu höherer Attribution von Charisma führen kann. Ebenso kritisiert Steyrer (1995, S. 110), dass eine Reihe von Faktoren, unter anderem die Situation von Geführten und Führenden, jedoch nicht mit einbezogen werden. Daher lässt sich durch das Modell nicht vorhersagen, unter welcher Situation einem Führenden Charisma zugeschrieben wird, oder ob dies erst durch die Situation selbst, beispielsweise den Erfolg seines Führungsverhaltens, geschieht.

Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, ob sich die Zuordnung charismatischer Qualitäten bei Veränderung der Situation, je nach mehr oder weniger erfolgreichen Perioden, verändern. Lässt sich eine Schwankung in der Wahrnehmung des Charismas im Zusammenhang mit Erfolg erkennen, so müsste man Charisma nicht als eine Konstante, sondern eine variable Größe betrachten.

1.3 Methode

Um das oben formulierte Ziel zu erreichen, wird anhand eines Fallbeispiels die Veränderung der Zuschreibung charismatischer Eigenschaften einer Führungspersönlichkeit im Laufe ihrer Amtszeit analysiert.

Dies soll anhand des Beispiels des ehemaligen deutschen Fußballnationaltrainers Jürgen Klinsmann diskutiert werden. Der Grund für die Wahl auf Jürgen Klinsmann liegt darin, dass er bereits bei seinem Amtsantritt im Sommer 2004 ankündigte, Neuerungen vorzunehmen und visionäre Ziele zu setzen. So berichtete der Südkurier (o.V. 2004a) am 30.07.2004: „Das „Team 2006“ will er abschaffen und als Bundestrainer ein eigenes Profil entwickeln und nicht Franz Beckenbauer oder Berti Vogts kopieren [...].“ Ebenso wird im selben Artikel Jürgen Klinsmann zitiert: „Die Fans haben den Wunsch und die große Hoffnung, dass wir 2006 im eigenen Land Weltmeister werden. Dies ist auch meine Zielsetzung.“ Am 13.08.2004 zitiert der Südkurier (o.V. 2004b) Jürgen Klinsmann wie folgt: „Wir wollen ein Gespür entwickeln für die gesamte Mannschaft, wollen ein persönliches Verhältnis zu den Spielern aufbauen, ihre Gedanken lesen können.“

Diese drei Artikelausschnitte sollen belegen, was als typisch für charismatische Führung nach Conger und Kanungo gilt. So gehört nach den Autoren (1994, S. 448 f) unter anderem die Artikulation einer Vision, das Einfühlvermögen für die Organisationsmitglieder und das Bestreben den Status Quo zu verändern zu den typischen Merkmalen charismatischer Führung. Jürgen Klinsmanns Zitate aus der Presse weisen von Beginn an charismatische Eigenschaften nach der Definition von Conger und Kanungo auf. Daher eignet sich die Analyse der Berichterstattung über Jürgen Klinsmann während seiner Laufbahn gut, um festzustellen, ob und wie sich sein wahrgenommenes Charisma je nach Erfolg, also nach Siegen und Niederlagen verändern kann.

Mit Hilfe einer Inhaltsanalyse wird im Rahmen dieser Arbeit die Berichterstattung dreier unterschiedlicher Printmedien – das Kicker-Sportmagazin, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Südkurier – über den deutschen Fußballnationaltrainer Jürgen Klinsmann von Beginn seiner Amtsübernahme 2004 bis zum Ende seiner Bundestrainerlaufbahn nach der FIFA1 Weltmeisterschaft 2006 untersucht und bewertet.

Die Analyseeinheiten bilden dabei jeweils alle Artikel, die Aussagen über den Führungsstil und Trainerfähigkeiten Klinsmanns liefern. Nach Analyse der Zeitungsartikel soll folgende Leithyphothese getestet werden:

Die Zuschreibung und Wahrnehmung charismatischer Eigenschaften verändert sich mit dem Erfolg, beziehungsweise Misserfolg der Führungsperson.

1.4 Aufbau der Arbeit

Nach Schilderung der Ziele dieser Arbeit und des Vorgehens in der Einleitung wird im folgenden zweiten Kapitel auf die charismatische Führungsforschung eingegangen. Dazu wird zunächst eine knappe Übersicht der charismatischen Führungstheorie gegeben. Anschließend wird die attributionsbasierte charismatische Führung von Conger und Kanungo näher erläutert, welche die theoretische Grundlage für die empirische Untersuchung bildet.

Ein kurzer Überblick über die Kommunikationswissenschaft bietet das dritte Kapitel. Hierbei soll ihre Bedeutung für das Instrument der Inhaltsanalyse im Vordergrund stehen. Daran anknüpfend wird im vierten Kapitel die empirische Fallstudie über die Wahrnehmungsveränderung der attributionsbasierten charismatischen Führung vorgestellt. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse der Studie, sowie ihre wesentlichen Aussagen zusammengefasst. Abschließend wird die theoretische und praktische Bedeutung dieser Arbeit kritisch beleuchtet und ein Ausblick für weitere Forschungsmöglichkeiten gegeben.

2 Charismatische Führung

In diesem Kapitel soll zunächst kurz der Begriff Charisma, beziehungsweise die charismatische Führung mit Hilfe des Modells von Max Weber vorgestellt und erläutert werden. Sein Gedankengang wurde als Grundgerüst für das Verständnis von Charisma in dieser Arbeit gewählt, weil Weber als einer der ersten Wissenschaftler gilt, der sich intensiv mit diesem Thema auseinander gesetzt und daher auch einen nachhaltigen Einfluss auf seine Weiterentwicklung ausgeübt hat. Darauf aufbauend werden ausgewählte Konzepte der charismatischen Führung vorgestellt. Insbesondere wird hierbei auf das Konzept der attributionsbasierten charismatischen Führung nach Conger und Kanungo eingegangen, da diese die Grundlage der vorliegenden Arbeit liefert.

2.1 Entstehung und wissenschaftliche Entwicklung des Charismabegriffsr

Der Begriff des Charismas hat seit den 80er Jahren in der Führungsforschung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Eine mögliche Ursache liegt zum einen darin, dass erhöhte Wettbewerbsdruck eine erhöhte Anpassungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit der Unternehmen fordert (vgl. Gebert 2002, S. 203). Charismatische Führung kann diesem Bedarf gerecht werden, indem sie alte Sichtweisen aufbricht, Visionen bereit stellt und den Status Quo zu verändern sucht.

Eine weitere Ursache für die gestiegene Aufmerksamkeit auf den Charismabegriff ist die zunehmende Verwissenschaftlichung des Führungsprozesses in Unternehmen (vgl. Gebert/von Rosenstiel 2002, S. 219). In der Praxis bedeutet dies, dass Führung bis Anfang der 80er Jahre weitgehend als abstraktes und entpersonalisiertes Phänomen aufgefasst wurde. Persönliche Beziehungen und Interdependenzen zwischen Führungskraft und

Geführten wurden weitgehend ausgeblendet2. Eine zusätzliche Konsequenz der

Verwissenschaftlichung der Führung ist die Konzentration auf Formalziele wie Kostensenkung oder Produktionssteigerung. Die Führungsforscher Gebert und von Rosenstiel (2002, S. 220) folgern daher, dass insbesondere die charismatische Führung dazu beitragen kann, jene möglichen Sinn-Defizite in der heutigen Leistungsgesellschaft zu füllen.

Etymologisch betrachtet ist Charisma ein aus dem Altgriechischen entlehntes Wort und bedeutet frei übersetzt „Gnadengabe“ (vgl. Sullivan 1984, S. 17; zit. in Steyrer 1995, S. 21). „Charis ist mit Gnade zu übersetzen. Das Suffix ma, das der Wortwurzel hinzugefügt wird, formt einen Begriff, dessen ursprünglicher Sinn Geschenk der Gnade oder Gnadengabe ist“ (Sullivan 1984, S. 17; zit. in Steyrer 1995, S. 21). Aus wissenschaftlicher Sicht wurde der Begriff Charisma zunächst in den Religionswissenschaften verwendet. Der Soziologe Max Weber hat erst später diesen Begriff aus der Theologie übernommen und ist durch ihn erstmals für die Soziologie relevant geworden (vgl. Sistenreich 1993, S. 7). Im Laufe der Jahre haben sich ausgehend von Max Webers Überlegungen hauptsächlich auch Politologen, Individual- und Organisationspsychologen neben den Sozialwissenschaftlern mit dem Phänomen des Charismas auseinandergesetzt (vgl. Hauser 2000, S. 31).

Insgesamt werden in der Literatur die unterschiedlichen Modelle charismatischer Führung nach ihrem Schwerpunktansatz unterschieden. Hauser (2000) hat dies in seiner Arbeit über charismatische Führung strukturiert herausgearbeitet und soll im Folgenden als Orientierung dienen. Hauser unterteilt darin charismatische Führung in soziologische, organisationspsychologische und psychoanalytische Modelle. Soziologische Modelle, wie beispielsweise das von Weber, verstehen Charisma als eine soziale Kraft, welche eine bestehende Ordnung revolutioniert und ist daher stark an den sozialen Kontext und Interaktion gebunden (vgl. Hauser 2000, S. 31). Psychoanalytische Modelle hingegen, auf die im Weiteren nicht weiter eingegangen werden soll, legen ihren Fokus auf individuelle Prozesse der charismatischen Führung, sowohl aus Sicht der Geführten als auch aus Sicht des Führenden. Als Basis dient hierbei meist das Struktur- und Prozessmodell von Freud (vgl. Hauser 2000, S. 41).

Modelle der Organizational Behavior-Forschung hingegen versuchen das Phänomen charismatischer Führung auf relationaler Ebene zu erklären. Hierbei stehen die persönlichen Attribute des Führenden, seine Verhaltensweisen sowie die Bedürfnisse, Werte und Wahrnehmungen in bestimmten Kontexten im Vordergrund. Darunter fallen die für diese Arbeit relevante Attributionstheorie der charismatischen Führung nach Conger und Kanungo (vgl. Hauser 2000, S. 46).

2.1.1 Max Webers Verständnis von Charisma

Wenn auch nicht im Detail erläutert, soll kurz das soziologische Modell von Max Weber Beachtung finden. Eine wichtige Begründung dafür liefern Conger und Kanungo (1998, S. 12) selbst, indem sie feststellen, dass jede Diskussion um charismatische Führung mit

Weber beginnen müsse, da er als erstes den Ausdruck Charisma auf weltliche Führungspersonen übertragen hat.

Weber (2002) erläutert sein Verständnis von Charisma in seinem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“. Hierbei beschäftigt er sich unter anderem mit dem Thema Herrschaftsformen in Gesellschaft und Organisationen. Unter Herrschaft versteht Weber grundsätzlich ein Mittel zur Herstellung von sozialer Ordnung (vgl. Hauser 2000, S. 32; Weber 2002, S. 541). Abhängig vom Ursprung der Macht unterscheidet er zwischen drei Formen der Herrschaft. Die traditionelle Herrschaft basiert auf der Herkunft des Führenden, während die bürokratische sich durch das von ihm bekleidete Amt legitimiert. Beide Formen der Herrschaft gelten für ihn „[…] zur Deckung des stets wiederkehrenden, normalen Alltagsbedarfs“ (Weber 2002, S. 654). Demgegenüber stellt Weber die charismatische Führung, welche die Bedürfnisse von Gemeinschaften abdeckt, die über das normale Maß hinausgehen (vgl. Hauser 2000, S. 32). Sie begründet sich auf die außerordentlichen Fähigkeiten der charismatischen Führungsperson. Webers Definition von Charisma steht unter stark beziehungsorientierten Aspekten, weshalb dieser Ansatz – wie oben bereits erwähnt – zu den soziologischen Modellen zu zählen ist:

„Charisma soll eine außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um deretwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften (begabt) oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als Führer gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus objektiv richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den Anhängern bewertet wird kommt es an“ (Weber 2002, S. 140).

Zugleich äußert sich Weber auch zur Funktion charismatischer Führung. Indem er der charismatischen Führung außeralltägliche Eigenschaften zuschreibt, stellt er sie auch außerhalb aller gesellschaftlichen, beziehungsweise organisationalen Normen. Somit ist nur ein Charismatiker, im Gegensatz zum bürokratischen oder traditionalen Führer in der Lage, in Zeiten der Not außergewöhnliche Lösungen zu finden (vgl. Hauser 2000, S. 33; Weber 2002, S. 654). Durch sein Handeln und seine Dynamik kann er den Status Quo erschüttern und alte Strukturen aufbrechen.

Hauser (2000, S. 37) hält jedoch auch wichtige Kritikpunkte an Webers Arbeit fest. So wird Webers Begriffsdefinition für Charisma schwer fassbar, da er es mit Worten wie magisch und göttlich in Verbindung setzt. Darüber hinaus kann Weber keine direkte Erklärung für die Beziehung zwischen Führenden und Geführten bieten, sondern beschreibt lediglich die Wirkung von Charisma. Eben diese Kritikpunkte werden versucht von neueren Ansätzen und Modellen aufzugreifen und zu lösen.

2.1.2 Entstehung und Zerfall von Charisma

Folgt man dem Ansatz von Weber, so stellt der Beginn der charismatischen Führung immer eine Notlage oder Dysfunktion des Status Quo dar (vgl. Weber 2002, S. 654; Steyrer 1995, S. 26; Hauser 2000, S. 35; Kets de Vries 1990, S. 28). In Zeiten der Unsicherheit und Not scheinen insbesondere Führungspersonen mit charismatischen Eigenschaften für die Mitmenschen eine außergewöhnliche Anziehungskraft zu besitzen. Indem sie Visionen formulieren, persönliches Verständnis für die Lage der Menschen ausdrücken und bereit sind persönliche Opfer zur Zielerreichung zu bringen, erreichen Charismatiker ihre Umwelt auf emotionaler Ebene und werden zum Vorbild der Geführten (vgl. Gebert/von Rosenstiel, 2002, S. 222). Die beiden Führungsforscher Gebert und von Rosenstiel (2002, S. 222) sprechen dabei von einer „Verschränkung der beiden Mechanismen der Identifikation und Projektion.“ Indem die Geführten den charismatisch Führenden idealisieren, erheben sie seine Person über sich selbst. Die Führungsperson wird der Empfänger der Wünsche und Zukunftsträumen der Organisationsmitglieder (vgl. Kets de Vries 1990, S. 28). Durch diese Projektion können sie sich in ihm wieder finden. Gleichzeitig identifizieren sie sich auch mit seinen Wertevorstellungen, Überzeugungen und Motiven. Steyrer (1995, S. 27) spricht hierbei sogar von einer „emotionale[n] Vergemeinschaftung.“ Daher wird besonders in Krisensituationen eine charismatische Person als Hoffnungsträger und Erlösbringer empfunden (vgl. Kets de Vries 1990, S. 28). Gleichzeitig wird hierbei deutlich, dass die Legitimität charismatischer Führung nicht aus der bestehenden Ordnung oder Tradition heraus abgeleitet wird, sondern aus der Erscheinung und der Qualifikationen der Person selbst (vgl. Steyrer 1995, S. 27).

Geht man nun von Webers Ursprungskonzept charismatischer Führung aus, so endet die Existenz einer charismatischen Herrschaft mit Linderung dieser Not (vgl. Weber 1980, S. 662; zit. in Hauser 2000, S. 34). Für Weber ist diese Form der Herrschaft daher eine stets labile, die ausschließlich an das Vorhandensein einer Krise gebunden ist. Eine Interaktion zwischen Führungsperson und Geführten wird, wie oben bereits angesprochen, ausgeklammert (vgl. Hauser 2000, S. 37). Kets de Vries (1990, S. 21) nennt Webers Analyse sogar als eine „beschreibende Ebene, mit dem Begriff Charisma als nachträglichen Einfall.“ Für neuere Konzepte der Führungsforschung ist das Vorliegen einer Notsituation allerdings nicht mehr eine notwendige Bedingung für die Entstehung charismatischer Führung. So sehen insbesondere Conger und Kanungo in ihrem Konzept die Verhaltenskomponenten von Führungspersonen in Abhängigkeit ihrer Intensität und Anzahl als Ursache für die Wahrnehmung von Charisma, wobei eine Krise allenfalls als begünstigende Variable Einfluss nehmen kann (vgl. Conger/Kanungo 1987, S. 645; Hauser 2000, S. 66 f)3.

Weibler kritisierte in seinem Aufsatz über charismatische Führungspersönlichkeiten ebenso Webers Ansatz und formulierte sieben Thesen über die vernachlässigten Implikationen im Weberischen Modell (vgl. Weibler 1997, S. 29 f). Insbesondere die erste und die fünfte These sind für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung:

„These 1: Man ist kein Charismatiker, sondern man wird zu einem gemacht“ und

„These 5: Charisma ist erfolgsabhängig“ (Weibler 1997, S. 30).

Weibler betont dabei nochmals, dass entgegen Webers Vorstellungen Charisma keine reine Persönlichkeitseigenschaft ist, sondern die Geführten durch ihre Wahrnehmung bestimmen, wer als ein charismatisch Führender empfunden wird. Gleichzeitig bezieht er sich auf die Labilität charismatischer Führung, wie sie in Webers Konzept vorzufinden ist. Er geht dabei davon aus, dass Charisma eine Bewährung bedarf in dem die Geführten entweder einen materiellen oder immateriellen Erfolg verspüren oder zumindest von negativen Entwicklungen verschont werden (Weibler 1997, S. 30 f). Sobald dieser Erfolg ausbleibt, löst sich für Weibler (1997, S. 31) auch die charismatische Verbindung zwischen Führungspersonen und Geführten auf.

Genau dies liefert die Basis für die vorliegende Arbeit, in der nun untersucht werden soll, ob der Erfolg der Führungsperson eine entscheidende Rolle bei der Attribution von charismatischen Eigenschaften spielt. In den Konzepten der charismatischen Führung ist häufig unklar, welche Erfahrungen die Geführten dazu veranlassen, einer Führungsperson charismatische Eigenschaften zuzuschreiben (vgl. Steyrer 1995, S. 216). Weiblers erste These liefert die Fundierung dafür, die attributionsbasierte Theorie nach Conger und Kanungo für diese Arbeit zu wählen. Die fünfte These rechtfertigt die empirische Prüfung der Annahme, ob wahrgenommenes Charisma bei Erfolg steigt und bei Ausbleiben des Erfolges entsprechend sinkt. In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass sich mit der dichotomen Variable Erfolg/Misserfolg die Wahrnehmung der Anzahl der Verhaltenskomponenten nach dem Konzept von Conger und Kanungo erhöht beziehungsweise sinkt und damit einen entscheidenden Erfahrungswert für die Zuschreibung von Charisma beitragen kann.

2.1.3 Führungserfolg und charismatische Effekte

Um die unterschiedliche Wahrnehmung von Charisma unter Erfolg und Misserfolg bestimmen zu können, muss erst geklärt werden, was in der Literatur unter Führungserfolg verstanden wird und wie dies mit Charisma zusammen hängen kann. Als Endprodukt von Führung stellt der Erfolg die wesentliche Komponente dar, an der sich jedes Führungskonzept messen lassen muss. Schließlich wird in den meisten Definitionen von Führung davon ausgegangen, dass der Zweck von Führung eine zielgerichtete Einflussnahme auf die Geführten hin zu einem gewünschten Ergebnis ist (vgl. Neuberger 2002, S. 434; Neuberger 1995, S. 147). Dennoch hat nach dem Führungsforscher Neuberger (2002, S. 434; 1995, S. 147) der Führungserfolg in der Literatur bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt bekommen. Ein Grund könnte dafür sein, dass es sich hierbei um ein komplexes Konstrukt handelt, das sowohl abstrakte als auch konkrete Komponenten aufweisen kann (vgl. Lehner 1995, S. 556). Ebenso kann man unterscheiden, ob es sich um den persönlichen Erfolg der Führungsperson oder um den Beitrag zum Erfolg der Organisation handelt.

Der Ansatz von Witte (zit. in Gebert 2002, S. 31) unterscheidet beispielsweise unterschiedliche Arten der Effizienz von Führungspersonen die sowohl personen- wie auch unternehmensbezogen sind. Unter einer ökonomischen Effizienz versteht Witte Kriterien wie Gewinn, Umsatz oder Marktanteile des Unternehmens. Leistungsprozess-Effizienz beinhaltet für ihn beispielsweise die Einhaltung von Zeit- und Kostenbudgets, aber auch abstrakte Kriterien, wie Problemlösequalität und die innerbetriebliche Akzeptanz. Schließlich fasst Witte unter personenbezogenen Effizienzkriterien die Flexibilität, das Arbeitsklima oder die Abwesenheitsrate zusammen (vgl. Witte 1995, S. 265; zit. in Gebert 2002, S. 31).

In der Empirie konnte beispielsweise die Metaanalyse von Lowe und Fuller (1996, zit. in Gebert/von Rosenstiel 2002, S. 226) zeigen, dass Charisma systematisch positiv mit Leistung korreliert. Dabei korreliert Charisma bezogen auf objektive Leistungsdaten der Führungsperson mit r = .35 und auf subjektive Leistungsdaten mit r = .71. Diese

Ergebnisse zeigen bereits, dass die Wirkung von Charisma mit den Zielkriterien zusammenhängt. Da Studien über die Beziehung zwischen Personenmerkmalen und Führungserfolg nur dann sinnvoll interpretierbar sind, wenn das Kriterium des Führungserfolges auch inhaltlich ausreichend definiert ist, wird im Kapitel vier das Erfolgskriterium für die vorliegende Studie genau operationalisiert.

2.2 Ausgewählte Konzepte der charismatischen Führung

In der Literatur der Führungsforschung kann auch innerhalb des Modells der Organizational Behavior-Forschung zwischen verschiedenen Konzepten charismatischer Führung unterschieden werden (vgl. House 1977; Conger/Kanungo 1987; Shamir/House/Arthur 1993; Hauser 2000). So stellt House in seinem Konzept die tiefen und ungewöhnlichen Effekte charismatischer Führer auf ihre Geführten in den Mittelpunkt (vgl. Yukl 1998, S. 318). Von Bass (vgl. Yukl 1998, S. 325 ff) hingegen wurden die Begriffe transaktionale und transformationale Führung geprägt. Charisma stellt dabei für ihn nur einer von mehreren Faktoren der transformationalen Führung dar. Im wesentlichen versucht sein Ansatz zwischen den Eigenschaften transformationaler und transaktionaler Führungspersonen zu unterscheiden. Conger und Kanungo betrachten Charisma indessen als ein Attributionsphänomen. Führungsverhalten wird vom Standpunkt des wahrgenommenen Führungsverhaltens betrachtet (vgl. Conger/Kanungo 1994, S. 442). Im Folgenden sollen nun die oben erwähnten Konzepte kurz vorgestellt und erläutert werden. Dem Konzept von House soll deshalb Beachtung geschenkt werden, weil es als eines der umfassendsten Konzepte zur Erfassung charismatischer Führung gilt. Insbesondere die Studie von House, Spangler und Woycke verdient hierbei Erwähnung, da ähnlich wie in der vorliegenden Arbeit versucht wird, charismatische Führung durch Inhaltsanalysen zu messen. Das Konzept von Bass soll deshalb knapp erläutert, weil es erstmals eine operationalisierte Skala zur Messung transformationaler und transaktionaler Führung liefert und damit für die Entwicklung der Skala von Conger und Kanungo eine wesentliche Bedeutung spielt (vgl. Hauser 2000, S. 61). Auf das Konzept von Conger und Kanungo wird, als theoretische Basis für das Messinstrument dieser Arbeit, im darauf folgenden Abschnitt ausführlicher eingegangen.

2.2.1 Das Konzept von House 1977

Das Konzept von House gilt als eines der ersten umfassenden Darstellung der charismatischen Führung aus Sicht der Organizational Behavior-Forschung (vgl. Hauser 2000, S. 48). In seinem Aufsatz „A 1976 Theory of Charismatic Leadership“ (1976) gliederte er Situations-, Eigenschafts-, Verhaltens- und Wirkungsvariablen in die bisherigen Führungstheorien zu einem einheitlichen Konzept. House identifiziert darin, wie sich charismatische Führer verhalten, wie sie sich von nicht-charismatischen Personen unterscheiden und unter welchen Bedingungen diese Eigenschaften am ehesten zu tragen kommen (vgl. Yukl 1998, S. 299). Seine Definition charismatischer Führung leitet er von den Effekten ab, die sich bei den Geführten ergeben. Die Effekte wiederum kommen aus der Interaktion von Persönlichkeitsmerkmalen des Führenden und der Geführten, den Verhaltensweisen der Führenden und den Situationsvariablen zustande (vgl. House 1977, S. 192 f; Hauser 2000, S. 49).

Abbildung 2-1: Das Konzept von House 1977

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an House 1977, zit. in Hauser 2000, S. 49 f

House weist in seinem Konzept ebenso darauf hin, dass bestimmte soziale Voraussetzungen, wie stressgeladene Situationen förderlich für die Wirkung charismatischer Effekte sein können. Gleichzeitig muss es dem Führenden möglich sein, seine ideologische Botschaft zu kommunizieren (vgl. Hauser 2000, S. 52).

Aus einer Reihe von empirischen Forschungsergebnissen, welche das Konzept von House bestätigen, ist insbesondere die Studie von House, Spangler und Woycke aus dem Jahre 1991 zu erwähnen. In dieser Arbeit wurden Historiker gebeten, 31 ehemalige Präsidenten der USA, die länger als zwei Jahre im Amt waren als charismatisch oder nicht- charismatisch einzustufen. Anschließend wurden Inhaltsanalysen der Antrittsreden der Präsidenten durchgeführt, um ihre Leistungsmotivation und ihr Machtbedürfnis zu erfassen. Ebenso wurden Bibliographien von mindestens zwei Kabinettsmitgliedern analysiert um die Wirkung der Präsidenten auf die Kabinettsmitglieder zu erfassen (vgl. Yukl 1998, S. 301; Bass/Stodgdill 1990, S. 205). Ergebnis der Untersuchung war, dass sich die Kabinettsmitglieder charismatisch eingestufter Präsidenten positiver zu ihrem Präsidenten hingezogen fühlten, als die Kabinettsmitglieder der als nicht-charismatisch eingestufter Präsidenten. Ebenso konnte die Studie charismatischen Präsidenten ein größeres Streben nach Erfolg und Macht nachweisen. Insgesamt belegten House, Spangler und Woycke mit ihrer Studie, dass charismatische Führer mit größerer Wahrscheinlichkeit als großartig und effektiv gesehen werden als nicht-charismatische Führer (vgl. Bass/Stodgdill 1990, S. 205). Eine kausale Richtung zwischen Charisma und Erfolg konnte daher bereits empirisch belegt werden.

2.2.2 Das Konzept von Bass

Auf eine ähnliche Weise versucht Bass in seinem Konzept zwischen Charismatikern und nicht-charismatischen Personen zu unterscheiden. In seiner Arbeit differenziert er, aufbauend auf einer Arbeit von Burns (1978), zwei von einander unabhängige gegensätzliche Dimensionen von Führungstypen: die transaktionale und die transformationale Führung (vgl. Yukl 1998, S. 325; Hauser 2000, S. 54). Die charismatischen Eigenschaften treten dabei durch den transformational Führenden zu Tage.

Abbildung 2-2: Merkmale transaktionaler und transformationaler Führung nach Bass

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Gebert/von Rosenstiel (2002), S. 221 f

Charisma zählt bei Bass nur als eine unter mehreren Variablen transformationaler Führung. Um nun die Wirksamkeit transformationaler und transaktionaler Führung zu erforschen entwickelten Bass und Avolio den Multifactor Leadership Questionnaire, MLQ, der die Geführten zu ihren Vorgesetzten befragt. Durch eine Faktorenanalyse konnten sie für die transformationale Führung drei hochpositiv interkorrelierte Subskalen identifizieren: Charisma, inspirierende Motivation und intellektuelle Stimulierung. Für die transaktionale Führung konnten ebenso zwei hochpositiv interkorrelierte Subskalen, die individuelle Wertschätzung und bedingte Belohnung, bestätigt werden (vgl. Gebert/von Rosenstiel 2002. S. 225 f). Die Empirie konnte zeigen, dass die drei Subskalen der transformationalen Führung im faktoranalytischen Sinne einen gemeinsamen Grundfaktor widerspiegeln. Der MLQ gilt daher als das mit Abstand am häufigsten eingesetzte Instrument zur Erfassung transformationaler Führung (vgl. Gebert 2002, S. 205).

Da sich das Modell von Bass hauptsächlich mit der Wirkung und dem Erfolg von transformationaler und transaktionaler Führung auf die Geführten auseinandersetzt, erfasst der MLQ zusätzlich den Führungserfolg aus Sicht der Geführten. Die Metaanalysen von Fuller und Lowe, die als Erfolgskriterium unter anderem objektive Leistungsdaten heranziehen, konnten belegen, dass insbesondere die Faktoren der transformationalen Führung mit Erfolg signifikant positiv korrelieren (vgl. Lowe et al.1996, S. 410, zit. in Gebert 2002, S. 206). Die Teildimension Charisma korrelierte beispielsweise in der Studie von Lowe mit r = .35 am höchsten, die Subskala „bedingte Belohung“ der transaktionalen Führung mit r = .08 am niedrigsten (Gebert/von Rosenstiel 2002, S. 226). Hierdurch lässt sich belegen, dass die charismatischer Führung den größten Beitrag zum Führungserfolg leisten (vgl. Conger/Kanungo 1994, S. 441).

2.3 Die attributionsbasierte charismatische Führung nach Conger und Kanungo

2.3.1 Das Konzept

Für die vorliegende Arbeit wird die attributionsbasierte Theorie charismatischer Führung von Conger und Kanungo (1988) zugrunde gelegt. Sie beruht auf der Annahme, dass Charisma ein Phänomen der Zuschreibung durch die Geführten ist. Die Wahrnehmung von Charisma wird durch das Verhalten und die Fähigkeiten der Führungskraft und die Situation beeinflusst (vgl. Yukl 1998, S. 321). Da nicht in jeder Kultur und Situation die Eigenschaften einer charismatischen Person die gleichen sind, gehen die Autoren im Gegensatz zu Webers Modell davon aus, dass erst durch den Verlauf einer Interaktion zwischen den Geführten und dem Führenden die außergewöhnliche Rolle der Führungsperson anerkannt wird (vgl. Conger 1998, S. 23; Hauser 2000, S. 65).

Ausgangsbasis für die Entwicklung des Modells von Conger und Kanungo war eine vergleichende Feldstudie über leitende Angestellte von Conger aus dem Jahre 1985. Hierbei konnte Conger feststellen, dass charismatische Führungspersonen sich von nicht- charismatischen Führungspersonen in bezug auf spezifische Eigenschaften unterscheiden ließen (vgl. Conger 1988, S. 28 f). Weiterhin konnte Conger feststellen, dass diese Attribute untereinander in Beziehung stehen. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter einen Führenden als charismatisch einstufen, je höher die Anzahl bestimmter Verhaltensweisen ist, die er in gegebener Situation zeigt, und je stärker sich die Eigenschaften in ihrer Intensität ausdrücken. Unter charismatischen Attributen versteht Conger in seiner Studie die Zusammensetzung aus strategischen Visionen, unkonventionelle oder der Unternehmenskultur gegenläufige Managementpraktiken, die auch ein gewisses Maß an persönlichem Risiko beinhalten, Artikulationsfähigkeit und Führungsfähigkeiten, sowie inspirierende Managementmethoden (vgl. Conger 1988, S. 28 f; Conger/Kanungo 1994, S. 442; Hauser 2000, S. 67). Die folgende Tabelle fasst in Anlehnung an die Autoren die Verhaltensweisen zusammen, welche den Unterschied zwischen als charismatisch und als nicht-charismatisch wahrgenommene Führungspersonen ausmachen.

Abbildung 2-3: Verhaltenskomponenten charismatisch und nicht-charismatisch Führender

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Conger/Kanungo (1987), S. 641 modifiziert

Auf dieser Grundlage haben Conger und Kanungo ihr Modell der charismatischen Führung entwickelt. Aus ihrer Sicht soll charismatische Führung als eine weitere Führungsdimension neben der aufgabenbezogenen, sozialen und partizipativen Dimension betrachtet werden (vgl. Conger 1988, S. 29). Während konsensorientierte oder direktive

Führungspersonen sich auf ihre Positionsmacht berufen, beziehen nach den Autoren charismatische Führer ihre Macht hauptsächlich aus ihren oben genannten Eigenschaften und damit aus ihrer Person selbst (vgl. Conger 1988, S. 29). Ihr Verständnis von Führung beruht dabei auf der Annahme, dass Führung ein Nebenprodukt der Interaktion zwischen Mitgliedern einer Gruppe ist, wobei das Gruppenmitglied mit der größten Einflussnahme über die Gruppe als Führungsperson wahrgenommen wird. Führungsqualitäten werden nach den Autoren folglich dann einer Person zugeschrieben, wenn die Gruppenmitglieder diese akzeptieren und sich ihrem Einfluss unterwerfen (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 79). Daher gilt für Conger und Kanungo, dass auch Charisma als eine Attribution durch die Führenden gesehen werden muss:

„According to the model, charismatic leadership is an attribution based on follower perceptions of their leader’s behavior. The observed behaviour of the leader is interpreted by followers as expressions of charisma in the same sense as the leader’s behaviors reflect that individual’s participative, people, and task orientations” (Conger/Kanungo/Menon 2000, S. 748; Conger/Kanungo 1994, S. 442; Conger/Kanungo 1988, S. 79; Conger/Kanungo 1987, S. 639).

Im Gegensatz zum Modell von Bass legen Conger und Kanungo ihr Hauptaugenmerk nicht auf die Wirkung charismatischer Führung auf die Geführten, sondern auf die Wahrnehmung spezifischer Eigenschaften, welche die Führungsperson als charismatisch erscheinen lässt. Das beobachtete Verhalten kann durch die Geführten als Ausdruck charismatischer Qualitäten gesehen werden (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 79). Die Autoren postulieren damit, dass die Messung charismatischer Führung auf der Wahrnehmung spezifischer Verhaltensweisen der Führungsperson durch die Geführten basieren muss (vgl. Conger et al. 2000, S. 748). In ihrem Modell unterscheiden sie zwischen unterschiedlichen Verhaltenskomponenten, die sich in drei Stufen des Führungsprozesses bemerkbar machen. Diese drei Stufen sollen nun im Folgenden näher erläutert werden.

2.3.2 Das Drei-Stufen Modell der Führung

Conger und Kanungo gehen davon aus, dass Führung einen Prozess beschreibt, in dem Organisationsmitglieder von einem Status Quo hin zu einem künftigen wünschenswertem Ziel gebracht werden sollen (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 80). Auf diese Weise sollen für die Organisation Langzeitziele erreicht werden können. Hierbei soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass es sich beim Status Quo nicht notwendigerweise um eine Krisensituation handeln muss (vgl. Hauser 2000, S. 68).

Conger und Kanungo beschreiben in ihrem Modell drei spezifische Stufen, um diese Langzeitziele zu erreichen. In der Anfangsphase muss dafür die Führungsperson den Status Quo analysieren. Gleichzeitig werden die Bedürfnisse der Geführten bestimmt und das Niveau an dem diese befriedigt werden können. Erst wenn auch geklärt ist welche Ressourcen zur Verfügung stehen und welche Hemmnisse die Zielerreichung behindern könnten, werden in der zweiten Stufe die konkreten Ziele und ihre Förderung formuliert. In der dritten und letzten Stufe zeigt die Führungsperson, auf welchem Wege die Organisationsziele erreicht werden können (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 80; Conger/Kanungo 1998, S. 49).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Conger/Kanungo (1998), S. 50; Conger/Kanungo (1988), S. 81; modifiziert

Die obige Abbildung verdeutlicht nochmals, dass Conger und Kanungo in ihrem Modell die Kausalitätsrichtung eindeutig vorgegeben haben. Erst durch die drei Stufen des Führungsprozesses, in denen die Führungsperson ihre Qualitäten an den Tag gelegt hat, kommen die organisationalen Ergebnisse zu tragen. Damit besagt das Modell von Conger und Kanungo implizit, dass bestimmte Führungseigenschaften zu Führungserfolg, also zum Erreichen der Organisationsziele führt. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch untersucht, ob nicht erst der Erfolg der Organisation dazu führt, dass die charismatischen Führungsqualitäten auch als solche wahrgenommen werden.

Entlang dieser drei Stufen lassen sich nach Conger und Kanungo genau die Verhaltenskomponenten identifizieren, die eine charismatische Führungsperson ausmachen und wie sie sich von nicht-charismatischen Führungspersonen unterscheidet (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 80 f). So lassen sich in Stufe eins charismatische Führer daran erkennen, dass sie eine besondere Sensibilität für äußere Umwelteinflüsse und die Bedürfnisse der Geführten zeigen. Sie erkennen daher schnell die Defizite, welche der Status Quo birgt und dadurch zu Unzufriedenheit führt (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 82; Conger/Kanungo 1998, S. 49). Die Stufe zwei dient, wie oben beschrieben der Formulierung der Organisationsziele. Charismatische Führer unterscheiden sich dabei von Nicht-Charismatikern durch die Art ihrer Ziele und wie sie diese artikulieren (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 84 f). Je utopischer oder idealisierter ein Ziel scheint, desto größer wird auch die Diskrepanz zum Status Quo. Folglich wird es wahrscheinlicher, dass die Ziele als eine außergewöhnliche Vision und nicht als etwas gewöhnliches wahrgenommen werden. Die Autoren weisen jedoch auch darauf hin, dass die neu formulierte Vision trotz ihrer Radikalität dennoch innerhalb der Akzeptanzgrenzen der Geführten liegen muss (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 85). Die Führungsperson wird genau dann als charismatisch angesehen, wenn sie es schafft, die Ansichten der Organisationsmitglieder zu verändern und dass sie die neue Vision zu akzeptieren:

„We argue that leaders are charismatic when their vision represents an embodiment of a perspective shared by followers in an idealized form“ (Conger/Kanungo 1988, S. 85).

Eben jene Vision lässt die Führungsperson als bewundernswert gelten, was dazu führt, dass sie von Organisationsmitgliedern als Identifikationsfigur wahrgenommen wird (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 86).

Damit die Vision ihre Wirkung entfalten kann, verwendet ein charismatischer Führer nach Conger und Kanungo (1998, S. 55) bestimmte Kommunikationsmittel. In seiner Rhetorik wählt er insbesondere Worte, die sein Selbstbewusstsein, Bestimmtheit, Expertise und Sorge für die Organisationsmitglieder ausdrücken, und unterstreicht dies mit Körpersprache und Kleidungsstil. Sein Ziel ist es, die Sympathien der Organisationsmitglieder zu gewinnen. Der Status Quo wird betont als inakzeptabel und nicht länger tolerierbar beschrieben, die neuen Zukunftsziele hingegen als die Erfüllung lang ersehnter Wünsche und Bedürfnisse der Geführten (vgl. Conger/Kanungo 1988, S. 86).

Die dritte Stufe des Führungsprozesses hat nach Conger und Kanungo (1998, S. 55) das Ziel, das Vertrauen der Geführten zu gewinnen. Charismatiker greifen dabei im Gegensatz zu nicht-charismatisch Führenden auf der Norm abweichende und innovative Managementmittel zurück, um ihre Vision zu realisieren. Sie selbst dienen damit den Geführten als Beispiel, persönliches Risiko einzugehen. Ihr Expertenwissen, Selbstlosigkeit und die vollkommene Hingabe die Vision zu verwirklichen unterstützen dabei, die Vertrauensbasis zu schaffen. Charismatische Führungspersonen demonstrieren damit, dass ihnen mehr an den Bedürfnissen der Organisationsmitglieder liegt, als an ihren eigenen (vgl. Conger/Kanungo 1998, S. 56).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass charismatisch Führende eine Strategie der Einflussnahme verfolgen, die nicht auf Positionsmacht, sondern auf ihrer Macht der Person und Persönlichkeit beruht. Während nicht-charismatisch Führende über Belohnungssysteme oder gewöhnliche Managementtools versuchen ihre Ziele zu erreichen, genießen Charismatiker die absolute Bewunderung und Heroisierung ihrer Person, die es ermöglicht eine Vision zu realisieren. Die folgende Tabelle stellt die einzelnen Stufen des Führungsprozesses nach Conger und Kanungo im Vergleich zwischen Charismatikern und nicht-charismatisch Führenden dar.

Abbildung 2-5: Vergleich charismatisch Führender und nicht-charismatisch Führender im Führungsprozess nach Conger und Kanungo

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Conger/Kanungo (1998), S. 51; modifiziert

Insgesamt wird in der Literatur das Konzept von Conger und Kanungo als ein Modell betrachtet, das wichtige Variablen der charismatischen Führung integriert (vgl. Hauser

1998, S. 70). Die Autoren weisen in ihrem Modell darauf hin, dass Charisma stark von der Formulierung und Definition des Status Quo abhängt. Je überzeugender und glaubwürdiger die Ziele vermittelt werden und je mehr der Führende zeigt, dass er bereit ist auch persönliches Risiko zu tragen, desto stärker wirkt die Kommunikation der Vision auf die Geführten (vgl. Hauser 2000, S. 68; Conger/Kanungo 1988, S. 89).

Dennoch hebt Hauser (2000, S. 70) kritisch hervor, dass die Kausalitäten der Attribution nicht beachtet werden. Als Beispiel führt er an, dass ein hohes Machtmotiv auch eine starke Einflussnahme des Führenden bewirken und dies zu höherer Attribution von Charisma führen kann. Ebenso kritisiert Steyrer (1995, S. 110), dass eine Reihe von Faktoren, unter anderem die Situation von Geführten und Führenden, jedoch nicht mit einbezogen werden.

Das Drei-Stufenmodell der Führung verdeutlicht nochmals, dass Conger und Kanungo in ihrem Konzept die Kausalitätsrichtung eindeutig vorgegeben haben. Erst durch die drei Stufen des Führungsprozesses, in denen die Führungsperson ihre Qualitäten an den Tag gelegt hat, kommen die organisationalen Ergebnisse zu tragen. Damit besagt das Modell von Conger und Kanungo implizit, dass bestimmte wahrgenommene Führungseigenschaften zum Führungserfolg, also des Erreichens der Organisationsziele führen. Deshalb lässt sich durch das Modell nicht vorhersagen, unter welcher Situation einem Führenden Charisma attribuiert wird, oder ob dies erst durch die Situation selbst, beispielsweise den Erfolg seines Führungsverhaltens, geschieht. In der vorliegenden Arbeit soll daher untersucht werden, ob nicht erst der Erfolg der Organisation dazu beiträgt, dass die beobachteten Führungsqualitäten auch als charismatisch wahrgenommen werden.

2.3.3 Die Conger-Kanungo-Skala

Um ihr Konzept der attributionsbasierten charismatischen Führung auch empirisch stützen zu können, entwickelten Conger und Kanungo einen Fragebogen, der die wahrgenommenen Verhaltensweisen charismatischer Führung messen soll. Ihr Ziel war es, damit ein Pendant zur Bass-Skala zur Erfassung charismatischer Führung zu entwickeln. Während Bass das Ergebnis charismatischer Führung auf die Geführten zu messen versucht4, sollen über die sogenannte C-K Skala die Verhaltensattribute der

Führungsperson erfasst werden (vgl. Conger/Kanungo 1998, S. 82). Da die Autoren mit Hilfe einer weiteren Studie (vgl. Conger/Kanungo 1998, S. 81 f) nachweisen konnten, dass ihre Items sowohl ein reliables als auch valides Messinstrument darstellen, soll diese Skala auch für die vorliegende Arbeit genutzt werden, um das wahrgenommene Charisma von Jürgen Klinsmann zu messen.

Zur Erfassung der Eigenschaften charismatischer Führungspersonen arbeiteten Conger und Kanungo 49 Items heraus, die sie aus vorangegangenen Studien und Literaturrecherchen gezogen haben und von Geführten als charismatische Führungseigenschaften eingestuft wurden (vgl. Conger/Kanungo 1998, S. 82; Conger/Kanungo 1994, S. 443). In einer Vorstudie wurden diese 49 Items 120 Mitarbeitern vorgelegt, anhand derer sie eine für sie charismatisch wirkende Führungsperson bewerten sollten. Aufgrund dieser Ergebnisse konnten 24 Items mangels Diskriminanz und Doppeldeutigkeit aussortiert werden. Die übrigen 25 Items fassten Conger und Kanungo zur C-K Skala der charismatischen Führung zusammen. Die Skala beinhaltet dabei sechs Dimensionen, welche die Wahrnehmung von charismatischen Eigenschaften an einer Führungsperson erfassen sollen. Die Dimensionen reflektieren dabei gleichzeitig die drei Stufen des Führungsprozesses, wie er in Kapitel

2.3.1 beschrieben wurde. Die erste Stufe wird über die Dimensionen zur Erfassung der Wahrnehmung der Umweltsensibilität, der Wahrnehmung der Bedürfnisse der Organisationsmitglieder und der Bezug zum Status Quo der Führungsperson repräsentiert. Die zweite Stufe findet sich in den Dimensionen wieder, welche die Formulierung einer Vision und ihrer Artikulation erfassen sollen. Die beiden Dimensionen zur Messung von unkonventionellem Verhalten und Eingehen persönlichen Risikos bilden die dritte Stufe des Führungsprozesses (vgl. Conger/Kanungo 1998, S. 84 f; Conger/Kanungo 1994, S. 443 f). Die folgende Tabelle zeigt eine Auflistung der Faktoren und zugehörigen Variablen der C-K Skala in Originalsprache. In Klammern werden die für die Studie vorgenommenen Modifizierungen deutlich gemacht. Die Faktoren wurden dabei mit einem F und einer laufenden Nummer gekennzeichnet. Jedes Item aus der Originalskala mit einem I und einer laufenden Nummer vermerkt. Wurden Items aus der ursprünglichen C-K Skala für den Zweck der Studie zusammengefasst, so wurden sie mit einem V und der jeweiligen laufenden Nummer der Items gekennzeichnet. Eine genaue Erläuterung des methodischen Vorgehens wird in Kapitel 4.5.3 beschrieben.

Abbildung 2-6: Faktoren und Items der C-K Skala

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Conger/Kanungo (1998), S. 86 f; modifiziert

Um nun die Reliabilität und Validität testen zu können, haben die Autoren einen weiteren Fragebogen konstruiert, der neben den 25 Items der C-K Skala auch die Items der Charisma-Skala von Bass5 und drei weitere Maße zur Erfassung von Führungsverhalten beinhalten (vgl. Conger/Kanungo 1998, S. 82 f; Conger/Kanungo 1994, S. 443). Ergebnis dieser Untersuchung an N = 488 Manager aus vier Unternehmen in Kanada und den USA ist, dass die C-K Skala ein reliables Messinstrument mit konvergenten und diskriminanten Validitätskoeffizienten darstellt (vgl. Conger/Kanungo 1994, S. 450). So korreliert die C-K Skala insgesamt mit r = .69 am höchsten mit der Bass-Skala und am niedrigsten mit den Maßen zur Erfassung der Aufgabenorientierung (r = .29) (vgl. Conger/Kanungo 1994, S. 447). Um die Beziehung der C-K Skala mit anderen Führungsmaßen zu schätzen, haben die Autoren eine LISREL6 Analyse durchgeführt. Dadurch konnte gezeigt werden, dass vier der Dimensionen der C-K Skala eine positive Beziehung mit der Bass-Skala aufweisen („Vision und Artikulation“, „Umweltsensibilität“, „persönliches Risiko“ und „Sensibilität für die Bedürfnisse der Organisationsmitglieder“). Damit steht für die Autoren fest, dass die beiden Dimensionen „unkonventionelles Verhalten“ und „Nicht-Aufrechterhaltung des Status Quo“ einzigartige Eigenschaften der C-K Skala darstellen und diese zu einem umfassenderen Messinstrument der charismatischen Führung machen:

„In addition, the scale expands the number of leader behavior dimensions associated with the phenomenon and therefore brings us one step closer to a more comprehensive descriptor of charismatic leadership in organizations“ (Conger/Kanungo 1994, S. 449 f).

Zusammenfassend betonen Conger und Kanungo jedoch, dass empirisch der Zusammenhang zwischen individuellen Verhaltensdimensionen und den Ergebnissen auf die Geführten zu untersuchen bleibt. So wurde von den Autoren noch nicht untersucht, wie der Zusammenhang zwischen charismatischer Führung und der Aufgabenerfüllung der Geführten beschrieben werden kann (vgl. Conger/Kanungo 1994, S. 451). Die vorliegende Arbeit versucht daher mittels der C-K Skala zumindest anhand einer Fallstudie festzustellen, ob die Wahrnehmung charismatischer Führung bei Führungspersonen, gemessen an Jürgen Klinsmann, in Abhängigkeit von seinem Führungserfolg, gemessen an dem Erfolg der deutschen Nationalmannschaft, variieren kann.

2.4 Führung im Sport und charismatische Führung

Da die folgende Studie sich mit der charismatischen Wahrnehmung von Jürgen Klinsmann und damit einer Führungspersönlichkeit aus dem Sport befasst, ist es unerlässlich auch kurz auf die Beziehung zwischen Führung und Sport einzugehen. Mit der Professionalisierung des Sports, insbesondere des Leistungssports, lassen sich immer mehr Parallelen zum Management in der Wirtschaft ziehen. Dies soll nun im Folgenden kurz erläutert werden und als Rechtfertigung dienen, warum das Modell charismatischer Führung von Conger und Kanungo auch auf eine Führungsfigur im Sport problemlos angewandt werden kann.

[...]


1 Fédération Internationale de Football Association, Weltfußballverband mit Sitz in Zürich. Der Verband organisiert verschiedene Wettbewerbe, darunter die Herren- und Frauen-Fußballweltmeisterschaft (vgl. www.fifa.com, Stand 07.08.2006).

2 Als Beispiel sei hier der eher technokratische Führungsbaum-Ansatz von Vroom und Yetton (1964) genannt (vgl. Gebert/von Rosenstiel 2002, S. 220)

3 vgl. Kapitel 2.3.1

4 Vgl. Kapitel 2.3.2

5 Conger und Kanungo verwendeten hierfür sechs Items mit der höchsten Faktorladung auf den Faktor Charisma aus der Studie von Bass 1985: „is a model form to follow“, „makes me proud to consider“, „I have complete faith in him/her“, „encourages understanding of points of view of other members“ und „has a sense of mission which he/she transmits to me“ (vgl. Conger/Kanungo 1994, S. 443)

6 LISREL steht für „Linear Structural Relationships“ und ist ein Computerprogramm, mit dem beurteilt werden kann, ob die beobachteten Zusammenhänge zwischen den Variablen einer Untersuchung hinreichend genau wiedergegeben werden (vgl. Schnell et al. 1999, S. 158).

Excerpt out of 144 pages

Details

Title
Die Wahrnehmungsveränderung charismatischer Führung am Fallbeispiel des deutschen Fußballnationaltrainers Jürgen Klinsmann
College
University of Constance  (Verwaltungswissenschaften)
Grade
1,7
Author
Year
2007
Pages
144
Catalog Number
V112024
ISBN (eBook)
9783640107285
File size
1048 KB
Language
German
Keywords
Wahrnehmungsveränderung, Führung, Fallbeispiel, Fußballnationaltrainers, Jürgen, Klinsmann
Quote paper
Carolin Kinder (Author), 2007, Die Wahrnehmungsveränderung charismatischer Führung am Fallbeispiel des deutschen Fußballnationaltrainers Jürgen Klinsmann, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112024

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