Das Unheimliche am "Schimmelreiter"


Trabajo de Seminario, 2008

23 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Erzählstil
2.1. Der erste Rahmen
2.1.1. Der Wahrheitsanspruch
2.1.2. Der Erzähler entzieht sich der Verantwortung
2.1.3. Weitere Besonderheiten des ersten Rahmens
2.2. Der zweite Rahmen
2.3. Der dritte Rahmen
2.4. Die Binnenerzählung
2.4.1. Die Abweichungen Hauke Haiens von der menschlichen Norm
2.4.1.1. Haukes äußerliche Erscheinung weicht vom Idealbild ab
2.4.1.2. Konzentration auf die geistige zugunsten der körperlichen Arbeit
2.4.1.3. Haukes Ehe mit Elke als Mesalliance
2.4.1.4. Gründung einer eigenen Fortpflanzungsfamilie scheitert
2.4.1.5. Die Absonderung Haukes von den anderen Dorfbewohnern
2.4.2. Der Widerspruch zwischen rationalen und irrationalen Deutungsweisen
2.4.2.1. Die Dämonisierung Haukes
2.4.2.2. Bezüge zur Realität
2.4.2.3. Optische Täuschungen?
2.4.3. Der Schimmelkauf als Teufelspakt
2.4.4. Der Deich als ein teuflisch gefördertes „fressend Werk“
2.4.5. Selbstmord Haukes als nachträgliches Lebendopfer
2.4.6. Der Schluss ohne Auflösung

3. Schluss

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Novelle „Der Schimmelreiter“ wurde im April 1888 veröffentlicht und ist somit das letzte und gleichzeitig umfangreichste Werk des deutschen Schriftstellers Theodor Storm. Storm wurde 1817 in dem an der norddeutschen Küste gelegenen Ort Husum als Sohn des Justizrats Johann Casimir Storm und der Patriziertochter Lucie Woldsen geboren. Er studierte Jura in Kiel und Berlin und eröffnete 1843 eine Anwaltskanzlei in Husum. Daneben beschäftigte er sich jedoch auch mit dem Schreiben und wurde bald zu einem der bedeutendsten Lyriker und Verfasser von Novellen und Prosa des deutschen Realismus. Seine Werke sind durch norddeutsche Einflüsse, bedingt durch Storms Herkunft, gekennzeichnet.1 Diese norddeutsche Prägung lässt sich auch bei der Schimmelreiternovelle wiederfinden, von der Storm in einem Brief an Frau Eckermann, der Frau des schleswig-holsteinischen Landesbaurats, schrieb: „Es ist die, ich glaube, ostfriesische Sage vom ,Schimmelreiter’, die jetzt in mir spukt, die ich in meinem achten oder neunten Jahr, Gott weiß wo, las, und nicht habe wiederfinden können.“2

Nur wenige Monate nach Beendigung des Schimmelreiters, „dem Größten, was [er] bisher schrieb“3 verstarb Theodor Storm im Juli 1888 in Hanerau-Hademarschen an Magenkrebs.

Diese Arbeit soll sich vor allem auf das Unheimliche, Gespenstische im Schimmelreiter beziehen, genauer gesagt, wie es Storm gelang, „einen Deichspuk in eine würdige Novelle zu verwandeln“4 um somit den Kriterien des Realismus gerecht zu werden, und dann wieder umgekehrt, die Novelle in eine Spukgeschichte.

2. Der Erzählstil

Im Gegensatz zu vielen seiner anderen Werke, wie z.B. das Gedicht „Meeresstrand“, stellte Storm das Grausige-Gespenstische in der Schimmelreiternovelle nicht direkt in den Vordergrund. Er war vielmehr darum bemüht, allein den Glauben an das Grausige, die Möglichkeit und Ahnung des Gespenstischen zu nähren. Dies gelang ihm zum Beispiel durch finstere Andeutungen und das Schaffen einer unheimlich düsteren Atmosphäre. Nur so konnte er dem Kunstanspruch, den der Realismus an eine Novelle stellte, gerecht werden.5 Schließlich forderte dieser die rein objektive Betrachtung der fassbaren Welt, wenn nicht sogar die detailgetreue Nachahmung der Wirklichkeit.6 Werke mit Wunderbarem zum Inhalt, demzufolge auch Gespenstergeschichten, zählten daher nicht zu den bevorzugt gelesenen Themen. Beeinflusst bei der Entwicklung dieser unheimlichen Atmosphäre wurde Storm sicherlich von Bildern aus seiner nebelverhangenen, düsteren und stürmischen norddeutschen Heimat, wo die Menschen verschlossen und wortkarg sind. Hier stehen das Christentum und die vom Realismus geprägte Intelligenzschicht dem von den einfachen Menschen getragenen alten Aberglauben an Gespenster und verwunschene Orte gegenüber.7 Dieser Konflikt wurde von Storm selbst mitgetragen und lässt sich auch als Motiv im „Schimmelreiter“, wie wir später sehen werden, immer wieder finden.

Formal handelt es sich bei der Novelle „Der Schimmelreiter“ um eine Rahmenerzählung, oder Schachtelnovelle, da vier verschiedene Erzählebenen ineinander verschachtelt sind. So erhöht Storm die Distanz zum Stoff, wodurch die Überlieferung glaubhafter erscheint. Die Glaubwürdigkeit verstärkt sich noch zusätzlich dadurch, dass Storm seine Hauptfiguren auf historisch belegte Personen bezog und zusätzlich immer wieder authentische Fakten mit einbaute.8 Überdies wird die Verfolgung des Gespenstermotivs durch die wechselnde Erzählperspektive erschwert, besonders da nicht jedem der drei Erzähler das selbe Maß an Glaubhaftigkeit zugebilligt werden kann. So ergibt sich eine Palette an rationalen und irrationalen Deutungsweisen, wodurch eine letztendliche Deutung unmöglich wird.9

Auf jeden der angesprochenen Punkte soll nun im Speziellen durch die Untersuchung der einzelnen Rahmen eingegangen und dabei einerseits typische Methoden und Motive von Gespenstergeschichten, andererseits auch auf Besonderheiten in der Gespenstermotivik beim Schimmelreiter aufgedeckt werden. Neben dem Unheimlichen sollen auch Widersprüchlichkeiten, sowie reale Bezüge und Einflüsse von Storms Herkunft im Werk herausgearbeitet werden.

Darstellung der einzelnen Erzählebenen:10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1. Der erste Rahmen

„Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebunden Zeitschriftenheftes beschäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den „Leipziger“ oder von „Pappes Hamburger Lesefrüchten“.“ (Reclam 1977, S. 3)

Dies sind die ersten Sätze der Novelle „Der Schimmelreiter“, erzählt von einem namentlich nicht genannten Ich-Erzähler, der jedoch anhand der wenigen biographischen Angaben mit Storm gleichzusetzen ist. Die Erzählung beginnt mit der für Gespenstergeschichten typischen Hervorhebung des Wahrheitsanspruches.

2.1.1. Der Wahrheitsanspruch

Elsabe Feddersen, die zwischen 1741 und 1829 ebenfalls in Husum lebte, war nämlich tatsächlich Storms Urgroßmutter mütterlicherseits.11 Doch nicht nur der Ort, sondern auch die Quellen, aus denen der Erzähler seine Informationen erhielt, existierten wirklich, wodurch Storm ein hohes Maß an Beglaubigung erreicht. Denn tatsächlich wurde im „Danziger Dampfboot“, einer zwischen 1811 und 1842 vom Hamburger Schriftstellers Johann Joseph Christian Pappe aufgelegten Zeitschrift, eine Weichselsage mit dem Titel „Der gespenstige Reiter. Ein Reiseabenteuer“ abgedruckt.12 Der namenlose Erzähler versucht somit durch genaue Namens- , Zeit- und Ortsangaben (im Haus der Urgroßmutter; die alte Frau Senator Feddersen; vor über fünfzig Jahren) den Wahrheitsanspruch seiner Erzählung zu unterstreichen. Des weiteren führt er real existierende Quellen an: eine blau eingebundene Zeitschrift. Und gerade weil sich der Erzähler nicht wirklich sicher ist, ob es sich um die „Leipziger“ oder um „Pappes Hamburger Lesefrüchte“ handelte, wirkt dieses Erinnerungsmotiv so authentisch.

2.1.2. Der Erzähler entzieht sich der Verantwortung

Durch die genaue Quellenangabe gelingt es dem Erzähler jedoch auch, sich völlig der Verantwortung für das Erzählte zu entziehen; eine ebenfalls typische Vorgehensweise bei Gespenstergeschichten.13 Dies beteuert er auch direkt im Text:

„[...]; vergebens auch habe ich seitdem jenen Blättern nachgeforscht, und ich kann daher um so weniger weder die Wahrheit der Tatsachen verbürgen als, wenn jemand sie bestreiten wollte, dafür aufstehen; [...].“ (Reclam 1977, S. 3)

Es wird nun wirklich deutlich, dass es sich um eine Erinnerung des Erzählers handelt, die schon sehr lange zurück liegt und daher auch fehlerhaft sein kann.

2.1.3. Weitere Besonderheiten des ersten Rahmens

Der Erzähler des ersten Rahmens ist gleichzeitig auch derjenige, der die gesamte Erzählung zur Schrift bringt. Er ist der Endverschrifter. Wir erfahren kaum etwas über ihn, außer von dem weit in der Vergangenheit zurückliegendem Zeitpunkt seines Lebens, an den er sich erinnert.14 Der erste, äußere Rahmen kann somit auch als einleitendes Vorwort angesehen werden. Auffällig ist, dass der Ich-Erzähler des ersten Rahmens jedoch kein Schlusswort erhält, somit der erste Rahmen eigentlich gleichzeitig mit dem zweiten Rahmen abschließt.15

2.2. Der zweite Rahmen

Ab dem zweiten Rahmen gibt der Endverschrifter den damals gelesenen Inhalt wieder und zwar aus der Perspektive des ebenfalls völlig unbekannten, namentlich nicht erwähnten Reisenden. Dieser ist somit der Verfasser des Zeitschriftenartikels, der folgendermaßen beginnt:

„Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem Oktobernachmittag –so begann der damalige Erzähler -, als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischem Deich entlangritt.“ (Reclam 1977, S. 3)

Es kommt zu einer unheimlichen Begegnung zwischen dem Reisenden und einer gespenstischen Gestalt aus Reiter und Pferd, welche sich ihm völlig lautlos genähert und sich den Deich hinabgestürzt hatte. In einem Wirtshaus schutzsuchend erfährt er von einem Schulmeister die Lebensgeschichte von Hauke Haien.

Natürlich versucht auch der Reisende, der von Hoffmann als Journalverschrifter bezeichnet wird16, seine Begegnung mit dem Schimmelreiter so glaubhaft wie möglich zu erzählen. Auch er bedient sich den typischen Beglaubigungsmethoden und führt genaue Orts- und Zeitangaben an (1830er; an einem Oktobernachmittag; auf einem Deich in Nordfriesland).

Außerdem wird der Wahrheitsanspruch der Erzählung dadurch gestärkt, dass es sich bei diesem Reisenden um einen völlig unvoreingenommen Außenstehenden handelt, der noch kein Vorwissen bezüglich der Spukfigur besitzt. Dies wird besonders in der Szene deutlich, als der Reisende im Wirtshaus auf den Deichgrafen trifft und diesem von der unheimlichen Begegnung berichtet:

„Er [der Deichgraf] wurde aufmerksam, und ich bemerkte plötzlich, daß alles Gespräch umher verstummt war. ,Der Schimmelreiter!’ rief einer aus der Gesellschaft, und eine Bewegung des Erschreckens ging durch die übrigen.“ (Reclam 1977, S. 7)

Es wird deutlich, dass der Reisende die einzige Person im Wirtshaus ist, dem der Begriff „Schimmelreiter“ völlig unbekannt ist und der nicht weiß, was es mit diesem auf sich hat. Er kann somit als neutraler, objektiver Beobachter gewertet werden.17

[...]


1 http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Storm

2 Laage, Karl Ernst: Der „Schimmelreiter“ im „Danziger Dampfboot“. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 20, S.72-75. In: Wagener, Hans (Hrsg.): Erläuterungen und Dokumente: Theodor Storm. Der Schimmelreiter. 1976, S.40

3 Heyse-Storm-Briefwechsel, S. 200. In: Wagener, Hans (Hrsg.): Erläuterungen und Dokumente: Theodor Storm. Der Schimmelreiter. S. 45

4 Goldammer, Peter (Hrsg.): Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Bd.4. Berlin, 1956, S. 636

In: Wagener, Hans (Hrsg.): Erläuterungen und Dokumente: Theodor Storm. Der Schimmelreiter. S. 41

5 Wilpert, Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte. Kröner, Stuttgart, 1994. S. 312

6 http://de.wikipedia.org/wiki/Realismus_%28Literatur%29

7 Wilpert, Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte, S. 309-311

8 http://www.janvonbroeckel.de/literatur/schimmelreiterframeset.htm

9 Wilpert, Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte, S. 313

10 http://www.janvonbroeckel.de/literatur/schimmelreiterframeset.htm

11 Wagener, Hans (Hrsg.): Erläuterungen und Dokumente: Theodor Storm. Der Schimmelreiter. S.5

12 Ebd. S. 5/S. 61

13 Wilpert, Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte. Kröner, Stuttgart, 1994. S. 316

14 Hoffmann, Volker: Theodor Storm: Der Schimmelreiter. Eine Teufelspaktgeschichte als realistische Lebensgeschichte. In: Interpretationen, Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Bd.2, Reclam, Stuttgart, 2003. S.335

15 http://www.janvonbroeckel.de/literatur/schimmelreiterframeset.htm

16 Hoffmann, Volker: Theodor Storm: Der Schimmelreiter. Eine Teufelspaktgeschichte als realistische Lebensgeschichte. S. 335

17 Wilpert, Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte. S.327

Final del extracto de 23 páginas

Detalles

Título
Das Unheimliche am "Schimmelreiter"
Universidad
University of Salzburg
Calificación
2
Autor
Año
2008
Páginas
23
No. de catálogo
V112214
ISBN (Ebook)
9783640104277
ISBN (Libro)
9783640102006
Tamaño de fichero
544 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Unheimliche, Schimmelreiter
Citar trabajo
Sophia Schroll (Autor), 2008, Das Unheimliche am "Schimmelreiter", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112214

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