Persönlichkeitsstörungen aus systemischer Sicht - Ein hilfreicher Blick?


Seminararbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Definitionen und Grundlagen
2.1 Persönlichkeit
2.2 Persönlichkeitsstörung
2.3 Klassifikationssysteme und Diagnostik
2.4 Krankheit aus systemischer Sicht
2.4.1 Das „Problem“ und dessen Chronifizierung

3. Systemische Therapie bei Persönlichkeitsstörungen
3.1. Therapiekonzept
3.2 Wie wirksam ist Systemische Therapie?

4. Resümee

5. Literatur

6. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Innerhalb dieser Arbeit, die ich im Zuge des Mittelseminars „Systemische Beratung“ verfasst habe, beschäftige ich mich mit der systemischen Sichtweise auf Persönlichkeitsstörungen. Dabei soll herausgefunden werden, ob und inwieweit systemische Therapie auch bei schwer persönlichkeitsgestörten Menschen helfen kann, denn für viele psychiatrische Langzeitpatienten ist ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben nicht mehr denkbar. Hierauf basiert aber die systemische Sichtweise im Gegensatz zu „anerkannten“ Therapieverfahren und der medikamentösen Behandlung nach medizinisch-kausalen Krankheitsmodellen. Des Weiteren soll geklärt werden, ob es hilfreich ist, gerade in Bezug auf Persönlichkeitsstörungen, das ganze System sowohl in die Diagnostik als dann auch in die Therapie mit einzubeziehen. Gibt es Zusammenhänge zwischen bestimmten Beziehungskonstellationen innerhalb Familien mit einem persönlichkeitsgestörten Mitglied? Und wie wirkt sich die Zuschreibung „Du hast eine Persönlichkeitsstörung“ auf das Verhalten des Betroffenen und dessen Umwelt aus? All dies sind Fragen, die in den folgenden Ausführungen beantwortet oder zumindest so behandelt werden sollen, dass ein Verstehen von Persönlichkeitsstörungen aus dem systemischen Blickwinkel möglich wird.

Dazu erscheint es zu Beginn sinnvoll, einige grundlegenden Gedanken des Systemischen darzustellen sowie einige Definitionen anzuführen, die den folgenden Ausführungen eine Basis geben. Dabei liegt ein Fokus auf dem Krankheitsverständnis in der systemischen Therapie, welches auch eng im Zusammenhang mit dem dort herrschenden Verständnis des Problembegriffs steht. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass aufgrund des Umfangs der Arbeit eine eingehende Beschäftigung mit konstruktivistischen Ideen und den Kommunikationstheorien, auf die sich die systemische Therapie stützt, nicht möglich ist und deshalb zum größten Teil vorausgesetzt wird.

Darauf folgend soll das spezifische Vorgehen in der systemischen Therapie mit persönlichkeitsgestörten Menschen dargestellt werden. Auch hier kann nur ein genereller Blick ermöglicht werden, der nicht auf die einzelnen Störungen eingeht, sondern sich mehr auf ein generelles Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen und hilfreiche Methoden zur Entstörung richtet.

Abschließend soll die Evaluation in der systemischen Therapie und Beratung thematisiert und einige Befunde dargestellt werden, die zur Beantwortung der zu Beginn gestellten Frage danach, wie sinnvoll systemische Therapie bei Persönlichkeitsstörungen ist, hilfreich sein sollen.

2. Definitionen und Grundlagen

In den folgenden Punkten sollen die für diese Arbeit relevanten Begriffe geklärt werden. Dies sind die Begriffe der „Persönlichkeit“ und der „Persönlichkeitsstörung“. Zusätzlich sollen in diesem Kapitel die Klassifikationssysteme und die Diagnostik sowohl aus rein psychiatrischer wie auch aus systemischer Sicht beleuchtet werden. Ein weiterer Punkt ist die Erläuterung des Krankheitsverständnisses, auf das sich die systemische Therapie gründet sowie die Darstellung der Chronifikation von Problemen.

2.1 Persönlichkeit

In der Literatur lassen sich viele verschiedene Definitionen der Persönlichkeit finden. Gemeinsam ist ihnen jedoch die Konzeption der „Eigenartigkeit und des charakteristischen (konsistenten) Verhaltens“ (Zimbardo 1995, S. 475). Also „bezieht sich [die Persönlichkeit – K.K.] auf die einzigartigen psychologischen Merkmale eines Individuums, die eine Vielzahl von charakteristischen konsistenten Verhaltensmustern (offenen und verdeckten) in verschiedenen Situationen und zu verschiedenen Zeitpunkten beeinflussen“ (ebd). Zur Beschreibung und Erklärung sind Begriffe wie „Temperament“, „Eigenschaft“, „Charakter“ und „Typus“ herangezogen worden. Eine Wertung über das Individuum wird dabei nicht vorgenommen (vgl. ebd).

Bei der Erforschung der Persönlichkeit gibt es keine einheitliche Theorie der Persönlichkeit, sondern zwei gegensätzliche Strategien, die Persönlichkeit wissenschaftlich zu erfassen: den idiographischen und den nomothetischen Ansatz. Beim idiographischen Ansatz steht die Einzigartigkeit einer bestimmten Person im Vordergrund. Die Charakteristika wirken bei diesem Ansatz bei jedem Individuum unterschiedlich und lassen weder Gruppenbildung noch Korrelation zu. Der nomothetischen Ansatz geht dagegen davon aus, dass alle Menschen in unterschiedlichem Maß über bestimmte Eigenschaften verfügen, die die Grundstruktur der Persönlichkeit bilden. Individuen unterscheiden sich demnach nur durch die Ausprägung der charakteristischen Eigenschaften. Mit Hilfe der korrelativen Methode wird versucht „eine universelle, gesetzmäßige Beziehung zwischen verschiedenen Aspekten der Persönlichkeit, etwa der Eigenschaften“ herzustellen (vgl. Zimbardo 1995, S. 475f). Innerhalb der Persönlichkeitsforschung gibt es verschiedene Typologien und Eigenschaftstheorien, welche hier näher zu beschreiben den Rahmen der Arbeit sprengen würden. Aus der hier bedeutenden systemischen „Sicht ist die Persönlichkeit ein Konstrukt, das nur im sozialen Umfeld Sinn macht“ (Ruf 2005, S.259) und soll so im Folgenden auch verstanden werden.

2.2 Persönlichkeitsstörung

Unter Persönlichkeitsstörung versteht die Psychologie abweichendes Verhalten eines Individuums. Es umfasst unflexible und schlecht eingegliederte Verhaltensmuster, die in so deutlicher Schwere auftreten, dass sie das subjektive Empfinden oder die soziale Anpassung beeinträchtigen (vgl. Zimbardo 1995, S. 611). Hierzu ist die systemische Sichtweise sehr ähnlich, denn dort werden Persönlichkeitsstörungen

„über soziale Merkmale definiert und werden diagnostiziert, wenn sich tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster als starre Reaktionen in unterschiedlichen Lebenslagen zeigen und erhebliche subjektive Beschwerden des Betroffenen oder ein nachteiliger Einfluss auf die soziale Umwelt resultieren“ (Ruf 2005, S.259).

Welche Formen Persönlichkeitsstörungen annehmen können und wie sie von der Umwelt wahrgenommen und kategorisiert werden, soll Thema des Kapitels 2.3 sein. Gerade der Begriff „Persönlichkeitsstörung“, wie er in diesen Ausführungen zum Tragen kommt, ist aus systemischer Sicht oft selbst „das Problem, welches zu lösen diese Diagnose eher erschwert als erleichtert“ (Schweitzer/von Schlippe 2007b, S.137). Im Folgenden wird also zwar der Begriff weiterhin übernommen, soll aber aus systemischer Sicht verstanden werden.

2.3 Klassifikationssysteme und Diagnostik

Die verschiedenen Versuche, psychische Störungen zu klassifizieren, sind zum einen sehr komplex zum anderen oft umstritten. Denn selbst wenn die Diagnose auf anerkannten Klassifikationssystemen beruht, ist doch das menschliche Urteil das ausschlaggebende. Und dort kann es zu Fehlern und Verzerrungen kommen, die einen Mensch das ganze Leben lang stigmatisieren. Zusätzlich stellt keines dieser Kriterien notwendigerweise eine Bedingung für eine Persönlichkeitsstörung und kann keine ausreichende Abgrenzung zu „normalem“ Verhalten festlegen (vgl. Zimbardo 1995, S. 607ff). Trotzdem sollen diese psychiatrischen Diagnosekriterien, hier zur Bestimmung von Persönlichkeitsstörungen, in diesem Kapitel erläutert werden, da sie rechtsgültige Klassifikationssysteme darstellen. Des Weiteren wird untersucht, ob und inwieweit systemische Diagnostik daran anschließen kann bzw. welche wesentlichen Unterschiede bestehen.

Der Autor bezieht sich hier auf die Bestimmung von Persönlichkeitsstörungen nach der ICD-10, da dort das Prinzip der Komorbidität gilt, d.h., dass so viele Diagnosen vergeben werden können, wie sie zur genauen Beschreibung des Zustandsbildes erforderlich sind (vgl. Rahn/Mahnkopf 2005, S.483). Zusätzlich ist es aus systemischer Sicht sinnvoll und stellt einen großen Fortschritt dar, dass dort an die Stelle des Krankheitsbegriffs der der Störung gesetzt wurde. Zusätzlich impliziert die Logik der ICD-10 eine Beziehungskomponente oder auch einer Beschreibungskomponente, denn: „Jemand ‚stört’ und jemand fühlt sich ‚gestört’“ (Schweitzer/von Schlippe 2007, S.24). Die folgende Tabelle soll einen Überblick über das hier bereits angesprochene Klassifikationssystem ICD-10, in Bezug auf die Persönlichkeitsstörungen, geben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Schweitzer/von Schlippe 2007b, S.139

Das all diese Störungen sehr unterschiedlich in Erscheinung treten, steht wohl außer Frage. Mit Blick auf die standardisierten Klassifikationssysteme der ICD (und auch des DSM) lässt sich zwar feststellen, dass auch dort mittlerweile versucht wird, die diagnostischen Kriterien von „unüberprüften und unüberprüfbaren Vorannahmen – und so auch von den Vorahnungen einer psychoanalytischen Neurosenlehre – zu reinigen“ (Stierlin 2001, S.261), dies jedoch mit Schwierigkeiten verbunden ist. Denn eine solch standardisierte und operationalisierte Diagnostik setzt immer einen „von allen Benutzern der Leitfäden geteilten Kontext der Beobachtungen und der Beschreibung“ (ebd.) voraus, welcher aber nicht gegeben sein kann. Aber die bereits erstellten Klassifikationssysteme können auch für die systemische Therapie hilfreich und nützlich sein, denn dort sind jahrelang gesammelte Erfahrungen und Beobachtungen gesammelt, die sicher mit einbezogen werden können. Deshalb ist eine strikte Abkopplung der systemischen Therapie von den klassischen medizinischen Diagnosemodellen psychischer Störungen nicht sinnvoll (vgl. Stierlin 2001, S.263f). Doch vor allem durch die Entwicklung der Systemwissenschaften und der Kybernetik zeigen sich die Grenzen der medizinisch-kausalen Diagnostik. Diese Wissenschaften setzen an die Stelle linearer Ursache-Wirkungs-Modelle „Modelle für Beschreibungen komplexer Rückkopplungs- und Selbstorganisationsprozesse“ (Stierlin 2001, S.258). Dadurch wird in einigen Fällen die Diagnostik komplexer und komplizierter und gerade in Bezug auf psychische Störungen ist es aus systemischer Sicht wenig sinnvoll, an den medizinisch-orientierten Modellen der Diagnostik festzuhalten (doch auch nicht diese vollkommen abzulehnen, wie oben ausgeführt). Vordenker in der systemischen Therapie war der Amerikaner Harry Stuck Sullivan, der psychische Störungen auch als Ausdruck und Folge bestimmter Beziehungsmuster sah. Damit fallen in die Diagnostik in der systemischen Therapie nicht nur die Bereiche des Organismus und der Psyche, sondern auch die des sozialen Systems. Es waren in den Anfängen der systemischen Therapie vor allem die Arbeiten Gregory Batesons, die den Blick vom Individuum ablösten und auf die komplette Familie (deren Mitglieder psychische Störungen hatten) mit ihren Mustern innerhalb ihrer Konflikte, ihrer Beziehungen und ihrer Kommunikation lenkten (vgl. Stierlin 2001, S.258ff).

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Persönlichkeitsstörungen aus systemischer Sicht - Ein hilfreicher Blick?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Pädagogisches Institut)
Veranstaltung
Systemische Beratung
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V112313
ISBN (eBook)
9783640115037
ISBN (Buch)
9783640116096
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Persönlichkeitsstörungen, Sicht, Blick, Systemische, Beratung
Arbeit zitieren
Katharina Kurzmann (Autor:in), 2008, Persönlichkeitsstörungen aus systemischer Sicht - Ein hilfreicher Blick?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112313

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