Die Funktionen des Musterkampfes im Iwein


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einführung

II. Die Auswirkungen der „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“auf die Rechtsthematik
1. Die rechtliche Grundlage des Gerichtskampfes
1.1 Das Gottesurteil (Ordal)
1.2 Die „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ und daraus resultierende rechtliche Moralvorstellungen
1.3 Abaelards Gesinnungsethik und ihr Einfluss auf die Rechtssprechung

III. Die Diskussion um die Gesinnungsethik am Beispiel der Gerichtskampfszene im Iwein
1. Das Motiv des Verstehens und Erkennens
2. Gottesgerichtliche Zweikampfszenen im Iwein
2.1 Der Kampf der Freunde im Diskurs der Rechtsproblematik

IV. Fazit: Die Funktionen des Musterkampfes im Iwein

Literaturverzeichnis

I. Einführung

Der gerichtliche Zweikampf zwischen Iwein und Gawein kann als erster Höhepunkt vor dem Kniefall der Laudine in Hartmanns „Iwein“ angesehen werden. Hartmann hebt die Episode strukturell heraus und verweist mit seiner elaborierten Darstellungsform auf die Wichtigkeit der Szene für den Handlungs- und Deutungszusammenhang.

Der Gerichtskampf schlägt einen Bogen zwischen der Gâchheits-Diskussion und der Intentio -Problematik und eröffnet dem Leser diverse Interpretationsmöglichkeiten im Hinblick auf die Funktion der Episode innerhalb des Romanzusammenhangs. Verfolgt man die Forschungsliteratur zu der Funktion des Iwein-Gawein-Kampfes, so lassen sich zwar unterschiedliche Interpretationsansätze ausmachen, doch ein Konsens findet sich nicht. Der Forschungsdiskurs verdeutlicht einmal mehr, dass es sich bei Hartmann um einen außergewöhnlichen Autor handelt, dem es gelingt, innerhalb eines Werkes nicht nur einen einzigen Normenbereich aufzublenden[1], sondern teilweise differierende Normenkomplexe mit neuen Entwicklungen in Herrschafts- und Rechtspraxis zu vergleichen und in Frage zu stellen.

Ich möchte mit meinen Überlegungen genau an diesem Punkt ansetzen und zunächst erarbeiten, welche Auswirkungen die sog. „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ auf die Rechtspraxis und deren Darstellung im höfischen Roman hatte. Die im 12. Jh. von Peter Abaelard wieder aufgegriffene Gesinnungsethik führt neben Umwälzungen in der Kirchen- und Rechtspolitik zu einem Verbot des Ordals, das u.a. durch den gerichtlichen Zweikampf zu Zwecken der Urteilsfindung abgelöst wird. Hartmann greift im „Iwein“ den vermutlich öffentlich geführten Diskurs zwischen Gottesurteil und Gerichtskampf auf, indem er die Entwicklung der Iwein-Figur in den Zusammenhang zur In tentio -Problematik rückt und gegen Ende des Romans mit Hilfe des Musterkampfes Stellung bezieht. Ob die Darstellung des gerichtlichen Zweikampfes Hartmann dazu dienen soll, Kritik an den Normen des Artushofes oder dem mittelalterlichen Ordal zu üben, ob der Autor hier höfische Normen der Rechtspraxis entgegensetzen möchte, oder ob der Gerichtskampfszene eine noch größere Bedeutung für das Gesamtgefüge des Romans beigemessen werden kann, kann an dieser Stelle noch nicht geklärt werden. Ich möchte aber versuchen, die Notwendigkeit und Zulässigkeit des Zweikampfes in den Romanzusammenhang zu stellen, um die Darstellungsform Hartmanns mit der rechtlichen Ethik und der höfischen Norm zu vergleichen. Dieser Vergleich wird mir helfen, die Funktionen des Gerichtskampfes im „Iwein“ zu erschließen.

II. Die Auswirkungen der „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ auf die Rechtsthematik

1. Die rechtliche Grundlage des Gerichtskampfes

1.1 Das Gottesurteil (Ordal)

Eidesunfähigen Personen (Frauen oder unfreien Hintersassen) stand als prozessuales Beweismittel das noch aus der vorkarolingischen Zeit stammende Gottesurteil zur Verfügung, das etwa vom 9. Jh. an mit christlichen Ritualen verbunden wurde. Die Beklagten konnten ihre Unschuld beweisen, indem sie durch göttliche Hilfe eine Probe bestanden (Abwehrordal) oder sie galten bei Nichtbestehen als überführt (Ermittlungsordal). Am häufigsten vertreten waren „Elementordale“ (Feuerprobe, Wasserprobe, Bahr- oder Blutprobe, Rasengang, Bissenprobe, Giftprobe, Kerzenprobe, Kreuzprobe).

Eidesfähige Personen konnten sich auch einem Reinigungsschwur (purgatio canonica) unterwerfen, der auf heilskräftige Gegenstände abgelegt wurde. Man vertraute darauf, dass im Falle eines Meineids Gott selbst oder ein missbräuchlich angerufener Heiliger den Schwörenden vernichten würde. Im frühen Mittelalter hatte die Kirche dem Ordal noch durch reinigende Riten (Fasten, Gebete, Messe, Kommunion) assistiert. Doch sprachen sich schon im 9. Jh. Kirchenobere gegen das Gottesurteil aus. Agobard, Bischof von Lyon 816-840, äußerte sich in dem „Liber (...) contra damnabilem opinionem putantium, divini judicii veritatem igne vel aquis vel conflictu armorum patefieri“[2] für eine Abschaffung des Ordals aus.

Nachdem auf dem 4. Laterankonzil (1215) unter Innozenz III. die Kirche offiziell gegen das Gottesurteil Stellung bezogen hatte, kam es allmählich aus dem Gebrauch und wurde durch die Folter und durch rationale Beweisverfahren verdrängt. Im Hexenprozess blieben allerdings ähnliche Praktiken noch bis ins 16. Jh. gebräuchlich.

Der gerichtliche Zweikampf zur Streitentscheidung stand Waffenfähigen, aber auch Frauen seit dem frühen Mittelalter zur Verfügung. Auch diese Form prozessualer Urteilsfindung wurde den Gottesurteilen zugerechnet.

Es muss in diesem Zusammenhang noch einmal betont werden, dass das Gottesurteil ausschließlich den Beweis oder die Widerlegung eines Schuldanwurfs bezweckte und nicht, wie das Gottesgericht, das Abstrafen Schuldiger vorsah.

Das traditionelle Recht durfte Zweikämpfe und Gottesurteile zur Grundlage des gerichtlichen Urteils machen. Befanden sich zwei Personen im Rechtsstreit, so konnte der Richter durch einen Zweikampf auf Leben und Tot eine als Gottesurteil verstandene Entscheidung herbeiführen. Diese Rechtsgrundlage findet sich auch im „Iwein“. Iwein und Gawein werden jeweils von den Schwestern vom Schwarzen Dorn gebeten, sie in einem Zweikampf um Erbstreitigkeiten zu vertreten, was in dem Gerichtskampf am Ende des Romans endet.

Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich das Gerichtsverfahren zum Inquisitions-prozess, in dem das Gericht den der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt erforschen musste. Wichtigstes Beweismittel war das Geständnis des Angeklagten.

1.2 Die „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ und daraus resultierende rechtliche Moralvorstellungen

Das Gottesurteil wurde, wie oben bereits erwähnt, ab dem 11. Jh. von Theologen, aber auch Rechtsgelehrten und den nach politisch-rechtlicher Unabhängigkeit strebenden Ministerialen kritisiert. Das Zurückdrängen des Ordals lässt sich zum einen mit dem veränderten, nun reflektierten Gottesbild erklären, welches den Menschen das Erkennen der Absichten Gottes absprach und damit folglich untersagte, von Gott eine Entscheidung zu verlangen. Die Zentralisierung und Hierarchisierung der Kirche im 13. Jh. ermöglichte, dass nun auch Vorbehalte in die Rechtspraxis umgesetzt werden konnten. Als weitere Gründe kann man die seit dem Ende des 12. Jh.s aufblühende Rechtwissenschaft nennen, die sich auf der allgemeinen Tendenz zu rationalem Denken und Handeln begründet und einher geht mit der Herausbildung der Wissenschaften Recht, Naturwissenschaft und Theologie. Die Umsetzung des Ratio-Gedankens findet sich ebenso in der kirchlichen, feudalen und städtischen Friedensbewegung. Es galt, die Gewalt in den Städten durch vermehrte verbale Auseinandersetzungen einzuschränken. Unter Berücksichtigung aller Faktoren würde ich das Verbot des Gottesurteils an den primär geistlichen Gerichten schwerpunktmäßig der wachsenden Durchsetzungskraft der zentralisierten Kirche, sowie dem gesteigerten Einfluss des kanonischen Rechts zuschreiben.

Peter Abaelard (1079-1142) nahm mit seinen in der Ethica veröffentlichten moraltheologischen Erklärungsansätzen einen bahnbrechenden Einfluss auf das Schuld- und Sündenverständnis des Mittelalters. Leider kann ich im Hinblick auf die Länge dieser Arbeit nur auf die wesentlichen Grundlagen seines Konzeptes eingehen, dennoch kann ich Abaelard nicht unberücksichtigt lassen, weil seine Theorie meiner Meinung nach ein wichtiges Versatzstück für die Klärung meiner Arbeitshypothese bietet.

1.3 Abaelards Gesinnungsethik und ihr Einfluss auf die Rechtssprechung

Aufgrund verschiedener religions- und sozialgeschichtlicher Ereignisse war das beginnende 12. Jh. von einem großen Sünden- und Bußbewusstsein geprägt. Das von der Kirche und den sich neu formierenden Staatsgebilden in der Treuga Dei und in den Landfrieden angestrebte Gewaltmonopol konnte im Laufe der Zeit immer besser durchgesetzt werden. Eine wichtige Rolle als Ventil für soziale Spannungen fiel dabei dem ersten Kreuzzug am Ende des 11. Jh.s zu: unerfüllte Bußbedürfnisse konnten befriedigt werden, galt doch die Teilnahme an der Eroberung Jerusalems als Bußwerk. Sünden- und Bußbewusstsein schufen aber gleichsam automatisch ein Klima, in dem die Reflexion über das Innere des Menschen, das heißt auch die inneren, intentionalen Seiten der Handlung, immer wichtiger wurde und eine zunehmend differenziertere Beurteilung der menschlichen Handlung zuließ. Peter Abaelards „Ethica seu scito te ipsum“, die den Leitgedanken „Scito te ipsum“ (Erkenne dich selbst.) formuliert, kann als erste Anleitung für moralisch-differenziertes Handeln bezeichnet werden. Bei Abaelard finden wir zwei grundsätzliche Handlungstypen, bei denen entweder die intentio oder der consensus im Zentrum des Handelns stehen. Peter Abaelard benutzt die Begriffe teilweise synonym, differenziert an anderer Stelle jedoch zwischen intentio und consensus. Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich aber nicht genauer auf die Unterschiede eingehen und die Schlagwörter der Handlungsethik im intentio -Begriff zusammenfassen.

[...]


[1] Vgl. dazu Hartmanns „Erec“

[2] „Das Buch gegen die verdammungswürdige Meinung derer, die meinen, dass die Wahrheit des Gottesurteils durch Feuer, Wasser oder Zweikampf offenbar wird.“

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Funktionen des Musterkampfes im Iwein
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Iwein
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V11244
ISBN (eBook)
9783638174534
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Rechts- und intentio-Problematik und deren Einfluß auf die Textinterpretation in Hartmanns Iwein.
Schlagworte
Funktionen, Musterkampfes, Iwein
Arbeit zitieren
Kerstin Gabauer (Autor:in), 2002, Die Funktionen des Musterkampfes im Iwein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11244

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