Der gerichtliche Zweikampf zwischen Iwein und Gawein kann als erster Höhepunkt vor
dem Kniefall der Laudine in Hartmanns „Iwein“ angesehen werden. Hartmann hebt die
Episode strukturell heraus und verweist mit seiner elaborierten Darstellungsform auf die
Wichtigkeit der Szene für den Handlungs- und Deutungszusammenhang.
Der Gerichtskampf schlägt einen Bogen zwischen der Gâchheits-Diskussion und der
Intentio-Problematik und eröffnet dem Leser diverse Interpretationsmöglichkeiten im
Hinblick auf die Funktion der Episode innerhalb des Romanzusammenhangs. Verfolgt
man die Forschungsliteratur zu der Funktion des Iwein-Gawein-Kampfes, so lassen sich
zwar unterschiedliche Interpretationsansätze ausmachen, doch ein Konsens findet sich
nicht. Der Forschungsdiskurs verdeutlicht einmal mehr, dass es sich bei Hartmann um
einen außergewöhnlichen Autor handelt, dem es gelingt, innerhalb eines Werkes nicht
nur einen einzigen Normenbereich aufzublenden1, sondern teilweise differierende
Normenkomplexe mit neuen Entwicklungen in Herrschafts- und Rechtspraxis zu
vergleichen und in Frage zu stellen.
Ich möchte mit meinen Überlegungen genau an diesem Punkt ansetzen und zunächst
erarbeiten, welche Auswirkungen die sog. „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ auf die
Rechtspraxis und deren Darstellung im höfischen Roman hatte. Die im 12. Jh. von Peter
Abaelard wieder aufgegriffene Gesinnungsethik führt neben Umwälzungen in der
Kirchen- und Rechtspolitik zu einem Verbot des Ordals, das u.a. durch den
gerichtlichen Zweikampf zu Zwecken der Urteilsfindung abgelöst wird. Hartmann greift
im „Iwein“ den vermutlich öffentlich geführten Diskurs zwischen Gottesurteil und
Gerichtskampf auf, indem er die Entwicklung der Iwein-Figur in den Zusammenhang
zur Intentio-Problematik rückt und gegen Ende des Romans mit Hilfe des
Musterkampfes Stellung bezieht. Ob die Darstellung des gerichtlichen Zweikampfes
Hartmann dazu dienen soll, Kritik an den Normen des Artushofes oder dem
mittelalterlichen Ordal zu üben, ob der Autor hier höfische Normen der Rechtspraxis
entgegensetzen möchte, oder ob der Gerichtskampfszene eine noch größere Bedeutung
für das Gesamtgefüge des Romans beigemessen werden kann, kann an dieser Stelle
noch nicht geklärt werden. Ich möchte aber versuchen, die Notwendigkeit und
Zulässigkeit des Zweikampfes in den Romanzusammenhang zu stellen, um die
Darstellungsform Hartmanns mit der rechtlichen Ethik und der höfischen Norm zu vergleichen. [...]
1 Vgl. dazu Hartmanns „Erec“
Inhaltsverzeichnis
- I. Einführung
- II. Die Auswirkungen der „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ auf die Rechtsthematik
- 1. Die rechtliche Grundlage des Gerichtskampfes
- 1.1 Das Gottesurteil (Ordal)
- 1.2 Die „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ und daraus resultierende rechtliche Moralvorstellungen
- 1.3 Abaelards Gesinnungsethik und ihr Einfluss auf die Rechtssprechung
- 1. Die rechtliche Grundlage des Gerichtskampfes
- III. Die Diskussion um die Gesinnungsethik am Beispiel der Gerichtskampfszene im Iwein
- 1. Das Motiv des Verstehens und Erkennens
- 2. Gottesgerichtliche Zweikampfszenen im Iwein
- 2.1 Der Kampf der Freunde im Diskurs der Rechtsproblematik
- IV. Fazit: Die Funktionen des Musterkampfes im Iwein
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit der Funktion des Musterkampfes im "Iwein" von Hartmann von Aue. Im Mittelpunkt steht die Analyse des gerichtlichen Zweikampfes zwischen Iwein und Gawein im Kontext der sog. „Aufklärung des 12. Jahrhunderts" und den damit verbundenen Veränderungen in der Rechtsprechung.
- Der Einfluss der „Aufklärung des 12. Jahrhunderts“ auf die Rechtspraxis und deren Darstellung im höfischen Roman
- Die Ablösung des Gottesurteils (Ordal) durch den Gerichtskampf und die damit verbundene Gesinnungsethik
- Die Bedeutung des Motivs des Verstehens und Erkennens im "Iwein"
- Die Funktion des Gerichtskampfes in der "Iwein"-Handlung und seine Bedeutung für die Intentio-Problematik
- Der Vergleich der Darstellungsform Hartmanns mit der rechtlichen Ethik und der höfischen Norm
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Thema und stellt den gerichtlichen Zweikampf zwischen Iwein und Gawein als zentralen Punkt der Untersuchung vor. Im zweiten Kapitel werden die Auswirkungen der "Aufklärung des 12. Jahrhunderts" auf die Rechtsthematik, insbesondere auf die Ablösung des Gottesurteils durch den Gerichtskampf, untersucht. Die Autorin beleuchtet dabei die Bedeutung der Gesinnungsethik in diesem Kontext und ihren Einfluss auf die Rechtssprechung.
Kapitel III beleuchtet die Diskussion um die Gesinnungsethik anhand der Gerichtskampfszene im "Iwein". Die Autorin analysiert das Motiv des Verstehens und Erkennens sowie die Gottesgerichtlichen Zweikampfszenen im Roman, wobei sie den Kampf der Freunde im Diskurs der Rechtsproblematik untersucht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen "Iwein", Hartmann von Aue, Gerichtskampf, Gottesurteil, "Aufklärung des 12. Jahrhunderts", Gesinnungsethik, Recht, Rechtssprechung, höfischer Roman, Intentio-Problematik, Motiv des Verstehens und Erkennens.
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- Kerstin Gabauer (Autor), 2002, Die Funktionen des Musterkampfes im Iwein, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11244