Möglichkeiten der Verminderung der Knappheit von Organtransplantaten - ethische, rechtliche und ökonomische Analyse


Magisterarbeit, 2006

87 Seiten, Note: 16 Punkte/sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Literaturverzeichnis

I. Introduktion

II. Medizinische Aspekte der allogenen Organtransplantation
1. Spendereignung und potentielles Spenderaufkommen
2. Lebendspende - das Verfahren der Wahl?
3. Transplantation und Indikation zur Transplantation der einzelnen Organe im Überblick
a. Nierentransplantation
b. Herztransplantation
c. Lebertransplantation
d. Lungentransplantation
e. Transplantation von Bauchspeicheldrüse und Inselzellen
4. Transplantationsmedizin, Transplantatabstoßung und Immunbiologie ein Überblick
5. Ciclosporin, die immunpharmakologische Zeitenwende in der Transplantationsmedizin

III. Rechtliche Aspekte der Organtransplantation
1. Die Lebendspende im Lichte des Strafrechts
a. Grundsätzliche Subsidiarität der Lebendspende
b. Beschränkung des Spenderkreises nach § 8 Abs. 1 S. 2 TPG
aa. Gesetzgeberische Motive und Lebersegmentspende
bb. Empfängerprofil und Überkreuzspende
cc. Strafbarkeit und Ergebnis
2. Das Verbot des Organhandels nach §§ 17 und 18 TPG
a. Tatbestand und Umfang des Verbotes
b. Die Überkreuzspende im Lichte des Organhandelsverbotes
c. Reflexionen, Ergebnis und Kritik
3. Die Verteilung vorhandener Organe im Lichte des Rechts
a. Die Regelungen des Transplantationsgesetzes im Überblick
b. Reflexionen und Kritik
4. Die Regelungen der postmortalen Organentnahme
a. Organentnahme mit Einwilligung des Spenders
b. Organentnahme mit Zustimmung Dritter
c. Fehlende Organe - eine regelinduzierte Knappheit?
aa. Widerspruchslösung
bb. Enge und erweiterte Zustimmungslösung
cc. Informationslösung
dd. Modellvergleich im Hinblick auf deren Fähigkeit zur Generierung einer ausreichenden Versorgung mit Organtransplantaten
ee. Die kontemporäre Ausgestaltung der Widerspruchslösung in Europa - ein „unehrliches“ Modell?

IV. Notwendigkeit einer höheren Organverfügbarkeit

V. Änderungen des Transplantationsgesetzes (TPG) - Voraussetzung für neue Spendermodelle und ein höheres Aufkommen an Organtransplantaten
1. Ausweitung des Spenderkreises und Überkreuzspende
2. Aufhebung des Organhandelsverbotes nach §§ 17, 18 TPG

VI. Möglichkeiten zur Steigerung der Organverfügbarkeit
1. Aufklärungskampagnen
2. Anreizmodelle
a. Reziprozitätslösungen
b. Das Modell der belohnten Lebendspende
c. „Spanisches Modell“, Meldepflicht und Organisation
3. Markt und Organhandel
a. Marktliche Ausgestaltung der Lebendspende
b. Marktliche Ausgestaltung der postmortalen Organspende
aa. Modell von Richard Schwindt und Aden R. Vining
bb. Rabattmodell nach Henry Hansmann
cc. Modell nach Lloyd. R. Cohen
c. Reflexionen, Folgenbeurteilung der Aufhebung und mögliche Rechtfertigung des Verbots der Monetarisierung der Organspende
aa. Kategorischer Argumentationstyp
bb. Gesellschaftspolitischer Argumentationstyp
cc. Negative Externalitäten
dd. Asymmetrische Informationsverteilung

VII. Konklusion

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Introduktion

Es fällt nicht schwer, die Gegenwart mit dem Zustand einer „morali­schen Krise“[1] zu umschreiben. Tatsächlich ist es zu beobachten, dass die rasante (medizin)technische Entwicklung des Hier und Jetzt, Fragen aufwirft, die zuweilen mit einer Vielstimmigkeit beantwortet werden, die es allzu oft geradezu unmöglich erscheinen lassen muss, einen Konsens zwischen den konfligierenden Interessen und Vorstellungen der atomisierten Individuen zu erzielen, die so kennzeichnend für eine Gesellschaft der Moderne sind, der es nicht nur an gemeinsamen Grundwerten ermangelt[2], sondern wo selbst ein berufsethischer Konsens nicht mehr erreicht werden kann. Und eine Besserung ist nicht in Sicht[3]. So verweist das amerikanische Institut für Technikfolgenabschätzung darauf, dass auch in Zukunft, Entscheidungen, ungeachtet ihrer intensiven öffentlichen Diskussion, vielfach ohne Konsens getroffen werden müssen[4].

Angeführt wird diese Armada an Problemen dabei von den Schwierigkeiten, die sich durch die Möglichkeiten der modernen Transplantationsmedizin dem Arzt eröffnen und diesen selbst vor die Aufgabe stellen, das Wesen seines eigenen Tuns zu umreißen und zu hinterfragen, ob diese seine Tätigkeit eine Veränderung erfahren hat respektive jemals erfahren darf. Dabei ist die Aufgabe des Arztes, als in der hippokratischen Tradition stehend, eigentlich offenbar und ohne Zweifel, unbedingter Einsatz für das Leben des Patienten wird gefordert[5]. Vergleichsweise unproblematisch gestaltete sich die Umsetzung des ärztlichen Ethos auch noch vor etwa 25 Jahren, als den Medizinern nicht viel mehr als das Organtransplantat selbst und die erforderlichen chirurgischen Techniken für eine erfolgreiche Transplantation, insbesondere aber nicht die bereichsspezifisch wirkenden Immunsuppressiva, hier vor allem Ciclosporin zur Verfügung standen; es wurde getan, was getan werden konnte.

Doch durch den wissenschaftlichen Fortschritt bedingt, hat sich das Spektrum dieses Könnens erheblich erweitert, so dass sich der Arzt heute zunehmend nicht nur in der Rolle des Sachwalters von „Lebenschancen“[6] wieder findet, sondern sich entgegen der hippokratischen Tradition auch zu Eingriffen an eigentlich Gesunden vorzunehmen veranlasst sieht[7]. Gleichwohl wird auch heute getan, was getan werden kann und ist dieser Rollenwechsel diesem alles andere als erwünscht, jedoch durch die Knappheit an Organtransplantaten bedingt und damit der Unumstößlichkeit eines Naturgesetzes gleich erscheinend. So werden diesem mehr und mehr Entscheidungen abverlangt, die Urteilen gleichen, die dieser jedoch überhaupt nicht zu leisten vermag und ganz sicher auch nicht wählte entscheiden zu müssen, die diesem aber dennoch gleichsam abgenötigt werden. „Gerechtigkeit ist kein medizinischer Wert, sondern einer der Moral“[8] eine spezifische Entscheidungskompetenz liegt gerade nicht im Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit. Die prominenteste dieser ist wahrscheinlich die Entscheidung darüber, wer von der medizinischen Indikation unabhängig überhaupt auf die Warteliste für eine Organtransplantation aufgenommen werden soll, genauso wie die Frage, wer ein letztendlich vorhandenes Transplantat empfangen darf. Dass Transplantate dabei entgegen § 12 Abs. 3 TPG nicht allein nach medizinischen Gesichtspunkten alloziiert werden können, ist dabei ohne Zweifel, als dass sich schon die Kriterien der Dringlichkeit und das der Erfolgsaussichten nahezu notwendigerweise ausschließen, eine Entscheidung also auch hier getroffen werden muss.

Der Mensch gehört nicht zur Gattung der Planarien und auch die regenerativen Eigenschaften eines Ambystoma mexicanum sind ihm fremd. So verwundert es nicht, dass die Rekonstruktion der körperlichen Funktionen einen alten Menschheitstraum darstellt, über den Legenden wie die Legenda aurea des Jacobus de Voragine über die frühchristlichen Ärztebrüder Kosmas und Damian zu berichten wussten, die einem Kranken das Bein eines „heute begrabenen, noch frischen Mohren“ übertragen hätten[9]. Zwar gehörte die Amputation von Extremitäten oder der Ersatz verlorener Gliedmaßen schon seit der Antike zum ärztlichen Alltag[10], doch blieben diese ersten Versuche vornehmlich auf die Rekonstruktion des Körperäußeren beschränkt, obschon eine ärztliche Sage aus dem 6. Jahrhundert vor Christus auch den Austausch der Herzen zweier Menschen durch den Arzt Pien Xiao schilderte[11]. In dieser Rekonstruktion des Körperäußeren erschöpfte sich die Vorstellungskraft des Menschen und damit auch der Traum, in den Körper rekonstruktiv einzugreifen, ein Menschheitstraum war die Organtransplantation also nur bedingt[12]. Geschuldet ist das der Tatsache, dass erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannt wurde, dass Krankheiten auch monofaktorieller Ursache dahingehend sein können, dass diese in der Fehlfunktion eines einzelnen Organs wurzeln; mit dieser Kenntnis wurde 1883 zum ersten Mal eine Schilddrüse transplantiert, dem Leitorgan der damaligen Transplantationsmedizin, der Fokus auf die „notwendige Krankheitsursache“ begann[13]. Während zuvor oftmals multiple Faktoren in den Lebensverhältnissen als Krankheitsursache verdächtigt wurden, konnte nunmehr insbesondere durch Tierversuche bewiesen werden, dass eine Ursache, nämlich die Fehlfunktion des betreffenden Organs, das wirklich entscheidende Ursachenelement darstellt[14]. Der richtungweisende Schritt hierzu war es, die Krankheiten in Tierversuchen im Labor dergestalt an- und abzustellen, dass wie im Falle der Schilddrüse, diese entfernt - das spezifische Symptom also auftrat - und wieder eingefügt wurde, das Krankheitssymptom verschwand, der Beweise für die „notwendige Krankheitsursache“ war erbracht[15].

Bereits um 1900 war das Konzept der Organtransplantation hinreichend bekannt und als ideales Therapieverfahren anerkannt, doch materiell umgesetzt werden konnte dieses bislang nicht[16]. Und dies, obschon der nach Amerika ausgewanderten französische Arzt Carrel schnell die maßgebliche Fragestellung lokalisierte, wonach eine Transplantation zwar dann erfolgreich ist, wenn diese intrakorporal (autolog) durchgeführt wird, das Organ jedoch abstirbt, wenn die Organverpflanzung interkorporal erfolgt[17]. Obwohl dieser Organverlust bereits als Abwehrreaktion des Immunsystems gedeutet werden konnte, sahen sich die Wissenschaftler der verschiedenen mit der Organtransplantation befassten Disziplinen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts doch vor unüberwindbaren Problemen dergestalt, diese Immunabwehrreaktion auch überwinden zu können, so dass die Transplantationsmedizin, obwohl als Therapie der Wahl anerkannt, gleichwohl als nichtdurchführbar aufgegeben werden musste[18]. Erst nach 1945 wurden weitere Schritte unternommen, den nunmehr unbedingten Traum der Rekonstruktion des Körpers, im Fall der Organverpflanzung des Körperinneren, zu verfolgen[19]. Im Dezember 1954 schließlich gelang die erste erfolgreiche Transplantation einer Niere des gesunden eineiigen Zwillingsbruders des Organempfängers, dem Chirurgen Joseph E. Murray wurde 1990 dafür der Nobelpreis verliehen[20]. Unter Verwendung chemischer Immunsuppressiva wurde 1962 die erste Transplantation einer Niere eines nichtverwandten Spenders, ein Jahr später die weltweit erste Lebertransplantation durch Thomas E. Starzl in Denver durchgeführt[21], 1967 schließlich gelang die erste Herztransplantation durch Christian Barnard, wobei der Patient allerdings nur 18 Tage überlebte[22].

Organtransplantationen werden in Deutschland seit nunmehr nahezu 40 Jahren vorgenommen, 60.000 der durchbluteten Organe wurden bisher verpflanzt[23], in den letzten 20 Jahren ist die Transformation von einem Verfahren nahezu rein experimentellen Charakters zu einer etablierten Therapieform gelungen, die sowohl ein Überleben des Patienten mit terminalem Organversagen oder organbezogener Dysfunktionen überhaupt zu sichern, wenigstens aber dessen Lebensqualität entscheidend zu verbessern vermag[24].

Und nicht nur der Arzt steht mit diesen medizinischen Fortschritten vor in Gänze neuen Problemen, vielmehr aber die Gesellschaft als solche. Denn auch und gerade durch diese Fortschritte und dem damit einhergehenden Mehr an Möglichkeiten, werden Fragestellungen virulent, die sich schon von jeher als nahezu unbeantwortbar darstellten. So ist das Problem der Knappheit an Organtransplantaten kaum lösbar ohne konstituierende Bereiche der Gesellschaft in ihrer Gänze zu thematisieren, die Rolle des Staates, die des Marktes, das Ausmaß an erträglicher Ungleichheit, das Ausmaß erwünschter Selbstverantwortlichkeit[25].

Organtransplantate sind gleichsam Leistungen der Natur, die Eigenart deren insuffizienten Generierung liegt im Vergleich zu anderen Allokationskonflikten in der Medizin darin, dass diese primär eben gerade nicht durch eine bessere finanzielle Ausstattung gemindert werden könnte, Geld ist nicht der limitierende Faktor in der Transplantationsmedizin[26]. Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine mangelhafte Versorgung innerhalb dieser gleichsam absoluten natürlichen Größe in ihrem Ausmaß nicht beeinflusst werden könnte. Organe sind selten, das ist der Natur geschuldet, Knappheiten und Strategien mit diesen umzugehen, diese hingegen liegen regelmäßig im Verantwortungsbereich des Menschen[27].

II. Medizinische Aspekte der allogenen Organtransplantation

Unter dem Begriff der Transplantation ist die Übertragung von Organen, Geweben oder Zellen innerhalb eines Individuums oder zwischen verschiedenen Individuen als Ersatz für einen terminalen Funktionsverlust oder Dysfunktionen dieser Zellen respektive Zellsysteme zu verstehen[28].

Bei der Organtransplantation selbst lässt sich zwischen der autologen, isogenen und allogenen Transplantation differenzieren, wobei die allogene respektive homologe Transplantation am häufigsten Anwendung findet[29]. Gekennzeichnet ist diese Form der Organverpflanzung dadurch, dass die Übertragung eines Transplantats zwar von einem Spender auf einen Empfänger der gleichen Art erfolgt, Empfänger und Spender jedoch personenverschieden und damit Träger divergenter Erbinformationen sind[30]. Damit unterscheidet sich die Homotrans-plantation maßgeblich von den anderen Transplantationsformen, der autogenen Transplantation, bei der der Spender von Haut-, Knochen- oder Gefäßabschnitten zugleich deren Empfänger ist und eine Transplantation nur innerhalb des Körpers stattfindet, also intrakorporal erfolgt oder der isogenen Organtransplantation, bei der Transplantatspender und Transplantatempfänger zwar personenverschieden, jedoch Träger genetisch identischer Erbinformationen sind[31]. Ferner ist noch die xenogenetische Transplantation oder heterologe Transplantation anzuführen, bei der ein Organ zwischen Individuen unterschiedlicher Art, das heißt zwischen Mensch und Tier übertragen wird[32].

Die allogene Transplantation ist dabei nicht nur die häufigste Form einer Organverpflanzung, sondern ob der genetischen Divergenz zwischen Transplantatspender und Organempfänger und den daraus resultierenden Abstoßungsreaktionen mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet, Unwägbarkeiten, die bei den Formen der autogenen oder isogenen Organtransplantation für gewöhnlich nicht zu beobachten sind[33].

Die Organspende von einem lebenden Menschen nennt man Lebendspende, die von einem verstorbenen Spender Leichenspende oder postmortale Spende[34], wobei bei dieser im Vergleich zu jener der Kreis der donorfähigen Organe der Natur der Sache nach, die in der Notwendigkeit dieser Organe für das eigene Überleben des Spenders liegt, größer ist. Während eine Lebendspende neben der Spende von Knochenmark nur hinsichtlich einer der paarweise angelegten Nieren und Segmenten der Leber, der Lunge, des Dünndarms und der Bauchspeicheldrüse möglich ist[35], sind einer postmortalen Spende nicht nur die kompletten Organe der bei der Lebendspende nur als Lebendsegmentspende genannten Organe, sondern auch das Herz sowie andere Zellen respektive Zellsysteme zugänglich.

1. Spendereignung und potentielles Spenderaufkommen

Um als postmortaler Organspender überhaupt in Betracht zu kommen, ist es Voraussetzung, dass der Tod des potentiellen Donors infolge einer durch eine zerebrale Hämorrhagie oder einer durch eine schwere Kopfverletzung[36] verursachten mangelnden Durchblutung des Gehirns eintritt[37]. Synchron zum Todeseintritt muss der Versterbende einer intensivstationären Behandlung zur Aufrechterhaltung seines Körperkreislaufes unterzogen werden, als dessen Organe nur dann als Transplantate Verwendung finden können[38]

Zwar ist der Anteil der Verstorbenen, deren Todesursache traumatisch bedingt ist und die als Spender in dem Sinne geeignet sind, dass diese obige Kriterien erfüllen, infolge verbesserter Schutzsysteme, insbesondere in Kraftfahrzeugen, weiter rückläufig[39], so versterben weniger als 1 % eines solchen Hirntodes und kommen damit als postmortale Organspender in Betracht, doch könnte diese Anzahl der theoretisch geeigneten Spender immer noch nahezu den doppelten jährlichen Organbedarf der Bundesrepublik decken[40].

2. Lebendspende - das Verfahren der Wahl?

Therapeutisch und damit zugunsten des Transplantatempfängers ist die Verpflanzung eines zu Lebzeiten gespendeten Organs der Verwendung postmortal gewonnener Organe deutlich überlegen. So ist eine zeitliche Planung der Transplantation möglich, Spender und Empfänger befinden sich regelmäßig im nämlichen Transplantationszentrum, wodurch sich die Zeitspanne zwischen der Explantation des Organs beim Spender und der Implantation beim Organempfänger verkürzt und das Transplantat infolge der sodurch kürzeren kalten Ischämiezeit eine insofern insgesamt bessere Qualität aufweist[41]. Des Weiteren kann der Organempfänger schon präoperativ eine immunbio-logische Konditionierung erfahren, aber auch ein sparsamerer Einsatz der post-operativ verwendeten Immunsuppressiva und hierdurch eine Verminderung der mit diesen verbundenen Nachteilen (vgl. unten) ist möglich, wenn, wie dies regelmäßig für den Fall der Lebendspende gilt[42], eine gute Gewebeverträglichkeit zwischen Organspender und Organempfänger besteht[43]. Auch befindet sich der Organempfänger bei einer in Bezug auf den Verlauf der Grunderkrankung frühen Transplantation regelmäßig in einem besseren Gesundheitszustand[44], was nicht nur dadurch geschuldet ist, dass die Erkrankungen, die eine Organverpflanzung indizieren, zumeist progredient verlaufen, sondern auch dadurch, dass beispielsweise die Dialyse selbst, mit erheblichen Beschwernissen verbunden ist (vgl. unten)[45].

Diese Vorteile der Lebendspende im Vergleich zu der Verwendung postmortal gewonnener Organe schlagen sich regelmäßig in einer insgesamt besseren Überlebensrate der Patienten nieder, so dass fünf Jahre nach einer Verpflanzung noch 98 % der Empfänger einer durch Lebendspende gewonnenen Niere lebten, dies jedoch nur für 84 % der Organempfänger hirntoter Spender zutraf[46].

Eine Lebendorganspende ist somit das für den Organempfänger deutlich vorteilhaftere Verfahren, doch sollen in einem zweiten Schritt die Auswirkungen auf den Organspender betrachtet werden, insbesondere als die Explantation für diesen keinen Heileingriff darstellt, wobei zwischen den operativen und perioperativen Risiken auf der einen Seite und möglichen Langzeitrisiken zu differenzieren ist[47].

Das perioperative Risiko einer Lebendnierenspende ist im Vergleich zu chirurgischen Eingriffen vergleichbarer Größe als ähnlich zu bewerten, so dass in 5 % aller Fälle mit kleineren Komplikationen wie Wundheilungsstörungen oder Hämatomen zu rechnen ist[48]. In jeweils 1 % der Explantationen ist eine Narbenhernie oder Lungenentzündung zu erwarten[49], die Spendermortalität liegt bei 0,03 %[50].

Die perioperativen Gefahren sind sonach als gering zu bewerten, doch muss die Lebendorganspende auch und gerade im Hinblick auf mögliche Langzeitrisiken für den Transplantatspender untersucht werden, weist ein Spender mit nur einer Niere dem Schwer-behindertengesetz zufolge doch immerhin einen Grad der Behinderung von 25 % auf[51]. Dabei ist festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Nierenlebendspender 0,04 % beträgt, selbst dialysepflichtig zu werden, wodurch diese Wahrscheinlichkeit um 0,01 % gegenüber Nichtspendern erhöht ist, jedoch hätten die allermeisten dieser Fälle durch eine bessere Nachsorge vermieden werden können[52]. Zudem ist als Ergebnis der Auswertung diesbezüglicher Studien festzustellen, dass 99 % aller Lebendspender eine solche wieder vorgenommen hätten und diese insofern nicht bereuen[53].

Im Vergleich zu der Nierenlebendspende ist die Lebersegmentspende für den Donor regelmäßig mit höheren Risiken behaftet, jedoch im Vergleich zu jener für den Empfänger zumeist auch unmittelbar lebensrettend[54]. So wird die Mortalitätsrate bei der Lebersegment-spende auf mindestens 0,2 % geschätzt, die Wahrscheinlichkeit größerer Komplikationen wird für Europa mit 17,8 % angegeben[55].

3. Transplantation und Indikation zur Transplantation der einzelnen Organe im Überblick

a. Nierentransplantation

Die Niere ist mit 2.111 Transplantationen allein im Jahr 2003 in Deutschland[56] das Leitorgan der Transplantationsmedizin.

Geschuldet ist das der Tatsache, dass diese (operations)technisch von gerade zu idealer Beschaffenheit ist, durch vergleichsweise große Einzelgefäße versorgt wird, die sich dadurch gut zusammennähen lassen[57], doppelt angelegt ist und bei einseitigem Wegfall eine potentielle Funktionskompensation der Gegenseite zu leisten vermag, so dass auch Lebendspenden vorgenommen werden können[58]. Zudem sind Nierenkranke oftmalig jung und in ansonsten guter Verfassung und auch die Dialyse als artifizielles Lebenserhaltungsverfahren ist nicht nur vorhanden, sondern eine etablierte Anwendung, die grundsätzlich auch längerfristig die Zeit bis zu einer Organverpflanzung zu überbrücken vermag[59].

Einer Nierentransplantation zugänglich sind Patienten vor allem dann, wenn diese ein endgültiges Funktionsversagen ihres Organs erleiden und somit bereits hämo- oder peritonealdialysepflichtig[60] sind[61]. Zu den Ursachen eines Nierenversagens zählen neben der Autoimmunkrankheit der Glomerulonephritis, die schmerzfrei und symptomarm verläuft und deshalb oft erst sehr spät erkannt wird, wiederholte bakterielle Infekte der Harnwege sowie Organveränderungen infolge von Diabetes mellitus[62] oder einer arteriellen Hypertonie[63]. Diabetes mellitus stellt dabei bereits die häufigste Grunderkrankung für eine chronische Niereninsuffizienz dar, doch ist mit einer weiteren geradezu epidemieartigen Zunahme dieser Erkrankung zu rechnen[64], als diese ihre Ursache in unvorteilhaften Lebensgewohnheiten wie fettreicher Ernährung und mangelnder Bewegung findet[65]. Ein weiterer Grund für die Zunahme der Diabetes mellitus induzierten Niereninsuffizienz ist die Tatsache, dass für viele Patienten der Zeitpunkt einer manifesten Insuffizienz ihres Organs erst gegenwärtig aufgrund der allgemein höheren Lebenserwartung „erlebt“ werden kann, als Diabetes mellitus bei 36 % der über 60-jährigen die Ursache für eine chronische Niereninsuffizienz ist und 45 % der

Patienten, die mit einer Dialysebehandlung beginnen älter als 70 Jahre, 11 % älter als 80 Jahre sind[66].

Die Grunderkrankung des Organempfängers kann häufig Auskunft über die Erfolgsaussichten der Transplantation, so sind Glomerulonephritispatienten dem Risiko ausgesetzt, dass sich diese im Transplantat fortsetzt, sowie Auskunft über mögliche Komplikationen geben[67].

[...]


[1] Bayertz, Moralischer Konsens, S. 12.

[2] ebenda, S. 15.

[3] ebenda, S. 12.

[4] ebenda, S. 15.

[5] Overdick-Gulden, Unbehindert und schön wie Apoll, S. 180.

[6] Gutmann/Fateh-Moghadam, Grundlagen Organverteilung, S. 39.

[7] Im hippokratischen Eid waren es noch ausschließlich die Kranken, denen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Arztes zuteil wurde: „Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken [...] Ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht, vgl. Schlosser, Zu Nutz und Frommen der Kranken?, S. 21.

[8] Schmidt, Grundlagen Organverteilung, S. 28.

[9] Höfer, Medizinische Ethik, S. 6.

[10] Brath, Auf dem Weg zum Ersatzteil-Körper, in MMW-Fortschr. Med. Nr. 24/2004 S. 60

[11] Höfer, Medizinische Ethik, S. 6.

[12] Schlich, Geschichte-Medizin-Ethik, S. 11.

[13] ebenda, S. 11-13.

[14] ebenda, S. 12.

[15] ebenda, S. 13.

[16] ebenda, S. 14.

[17] ebenda, S. 14.

[18] ebenda, S. 15.

[19] ebenda, S. 15.

[20] ebenda, S. 16.

[21] Schmitto, Herztransplantation in Deutschland, S. 23.

[22] Breyer, Konstanzer Universitätsreden, S. 18.

[23] Molzahn/Tuffs/Vollmann, Gesundheitsbericht, S. 7.

[24] Löw-Friedrich, Transplantation, S. VII.

[25] Gutmann/Schneewind/Schroth, Grundlagen Organverteilung, S. 1.

[26] ebenda, Grundlagen Organverteilung, S. 1.

[27] Cohen, The virtues of an options market, S. I.

[28] Kühn, Motivationslösung, S. 18.

[29] ebenda, S. 19.

[30] Schreiber, Lebendspende in der Bundesrepublik, S. 20.

[31] Kühn, Motivationslösung, S. 19.

[32] Schreiber, Lebendspende in der Bundesrepublik, S. 20.

[33] Kühn, Motivationslösung, S. 19.

[34] Schreiber, Lebendspende in der Bundesrepublik, S. 20.

[35] Schutzeichel, Geschenk oder Ware?, S. 65.

[36] Cohen, The virtues of an options market, S. 2.

[37] Reich, Organspendeverträge, S. 42.

[38] Cohen, The virtues of an options market, S. 2.

[39] ebenda, S. 7.

[40] Reich, Organspendeverträge, S. 43; So ergaben Untersuchungen im US-Bundesstaat Kentucky, dass mit einem medizinisch geeigneten Spenderpool von 50,8 pmp (Spenden pro Million Einwohner pro Jahr) zu rechnen ist, vgl. BZgA, Organspendeprozess, S. 15.

[41] Schutzeichel, Geschenk oder Ware?, S. 66.

[42] Dabei ist zu beobachten, dass die Lebendspende für den Transplantatempfänger auch dann die besseren Ergebnisse zeitigt, wenn keine relevante Gewebeübereinstimmung zwischen Organspender und Organempfänger vorliegt, vgl. Gutmann/Schroth, Organlebendspende, S. 25.

[43] Höfer, Medizinische Ethik, S. 107-108.

[44] Schutzeichel, Geschenk oder Ware?, S. 66.

[45] Eine präemptive Nierentransplantation (Transplantation noch vor Dialysepflichtigkeit) führte in einer Studie von Meier-Kriesche zu einem Transplantatüberlebenszeit von 80 % nach 10 Jahren, während nach einer mehr als 2 Jahre währenden Nierenersatztherapie nur noch eine Funktionsfähigkeit des Organs in 50 % der Fälle zu beobachten war, vgl. Stangl, Ethik Lebendorganspende, S. 28.

[46] Schutzeichel, Geschenk oder Ware?, S. 66.

[47] Stangl, Ethik Lebendorganspende, S. 28.

[48] ebenda, S. 29.

[49] ebenda, S. 29.

[50] Schutzeichel, Geschenk oder Ware?, S. 68

[51] ebenda, S. 67.

[52] Stangl, Ethik Lebendorganspende, S. 30.

[53] ebenda, S. 31.

[54] Gutmann/Schroth, Organlebendspende, S. 92.

[55] ebenda, S. 92.

[56] Illner/Hoffmann/Hillebrand/Jauch, Warteliste, in: MMW-Fortschr. Med. Nr. 24/2004, S. 28.

[57] Schlich, Geschichte-Medizin-Ethik, S. 15.

[58] Schmitto, Herztransplantation in Deutschland, S. 23.

[59] ebenda, S. 23.

[60] Im Unterschied zur (extrakorporalen) Hämodialyse dient bei der Pertitonealdialyse das körpereigene Bauchfell selbst als Membran, über die der Stoffaustausch erfolgt, vgl. Samtleben/Blumenstein in Der Internist 1-99, S. 4-6.

[61] Löw-Friedrich, Transplantation, S. 74.

[62] ebenda, S. 74.

[63] Jehle, Niereninsuffizienz und Folgeerkrankungen, S. 47.

[64] So leiden kontemporär ungefähr 150 Millionen Menschen weltweit an Typ-2-Diabetes, bereits für das Jahr 2010 wird mit einer Anzahl von 220 Millionen ausgegangen, eine Veränderung von der „milden Alterserkrankung“ zum künftigen „Killer Nummer 1“, vgl. Lenzen-Schulte, Zucker ist Gift für die Gefäße, in: FAZ v. 26. April 2006, S. 40.

[65] ebenda, S. 8.

[66] Illner/Hoffmann/Hillebrand/Jauch, Warteliste, in: MMW-Fortschr. Med. Nr. 24/2004, S. 30.

[67] Löw-Friedrich, Transplantation, S. 74-75.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten der Verminderung der Knappheit von Organtransplantaten - ethische, rechtliche und ökonomische Analyse
Hochschule
Universität Hamburg
Note
16 Punkte/sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
87
Katalognummer
V112624
ISBN (eBook)
9783640131884
ISBN (Buch)
9783640134427
Dateigröße
831 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde mit 16 Punkten bewertet (sehr gut) und ist als Teilleistung (50 %)zum Erwerb des Magister Juris (meine Endpunktzahl 15,9 = sehr gut) zu sehen. Damit gehört meine Abschlusspunktzahl zu den besten 3 % seit Einführung des Magister Juris an der Universität Hamburg. Deckblatt, Gliederung und Literaturverzeichnis füge ich in separaten Dateien an.Die Arbeit wurde mit 16 Punkten bewertet (sehr gut) und ist als Teilleistung (50 %)zum Erwerb des Magister Juris (meine Endpunktzahl 15,9 = sehr gut) zu sehen. Damit gehört meine Abschlusspunktzahl zu den besten 3 % seit Einführung des Magister Juris an der Universität Hamburg. Deckblatt, Gliederung und Literaturverzeichnis füge ich in separaten Dateien an.
Schlagworte
Möglichkeiten, Verminderung, Knappheit, Organtransplantaten, Analyse
Arbeit zitieren
stud. med. Dr. cand. jur. Mag. Jur. Sebastian Podsada (Autor:in), 2006, Möglichkeiten der Verminderung der Knappheit von Organtransplantaten - ethische, rechtliche und ökonomische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112624

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