In den Kapiteln 4 bis 6 seines Buches „Minima Moralia“ wirft Theodor Adorno die Frage auf, wie und ob man sein Leben leben kann trotz eines allgegenwärtigen Bewusstseins über das „Unerträgliche“ in der Welt – Leid, Unglück, alle Falschheit unserer Existenz. Bietet dieses Bewusstsein überhaupt Perspektiven auf etwas Besseres, das kommen wird? Oder ist die düstere Gegenwartsdiagnose der Kritischen Theorie zugleich eine ebenso düstere Prognose für die Zukunft? Im Folgenden werde ich diese Fragen erörtern und versuchen, Adornos Antworten herauszuarbeiten.
Adorno glaubt, im Charakter einer Person höheren Alters erkennen zu können, auf welche Weise diese Person ihr Leben gelebt hat: „Wenn von einem Menschen vorgeschrittenen Alters gerühmt wird, er sei besonders abgeklärt, so ist anzunehmen, daß sein Leben eine Folge von Schandtaten darstellt“ (Adorno 1976: 20). Wer abgeklärt ist, habe gerade dadurch alles Gefühl, alles Mitleid, alles Gewissensmäßige „erstickt“ und der kalten, eben abgeklärten, sogenannten Vernunft untergeordnet, welche als Ergebnis der Aufklärung bei der Frankfurter Schule bekanntlich sowieso auf heftige Kritik stieß. Das vierte Kapitel von „Minima Moralia“ stellt sich somit nicht zuletzt in eine direkte Verwandtschaft mit der „Dialektik der Aufklärung“ Adornos und Max Horkheimers. Durch die hieraus folgende vermeintlich rationale Härte würde jedes Gespür für mögliche Untaten und Unrecht untergehen, und die aus der Abgeklärtheit folgende Erkenntnis, das Leben bestünde nun einmal aus Bösem, Unrecht und Untaten, bilde gewissermaßen die Legitimation für den Abgeklärten, sich ebenso zu verhalten, um in dieser so gearteten Welt überhaupt bestehen und überleben zu können. Somit sucht man auch nicht mehr nach der konkreten Schuld für das Unrecht, sondern nimmt sie hin als etwas Unabänderliches und Konsistentes, das man zu akzeptieren habe:
Messias oder Höllenfeuer – Wieviel Hoffnung gibt die Kritische Theorie?
ESSAY
In den Kapiteln 4 bis 6 seines Buches „Minima Moralia“ wirft Theodor Adorno die Frage auf, wie und ob man sein Leben leben kann trotz eines allgegenwärtigen Bewusstseins über das „Unerträgliche“ in der Welt – Leid, Unglück, alle Falschheit unserer Existenz. Bietet dieses Bewusstsein überhaupt Perspektiven auf etwas Besseres, das kommen wird? Oder ist die düstere Gegenwartsdiagnose der Kritischen Theorie zugleich eine ebenso düstere Prognose für die Zukunft? Im Folgenden werde ich diese Fragen erörtern und versuchen, Adornos Antworten herauszuarbeiten.
Adorno glaubt, im Charakter einer Person höheren Alters erkennen zu können, auf welche Weise diese Person ihr Leben gelebt hat: „Wenn von einem Menschen vorgeschrittenen Alters gerühmt wird, er sei besonders abgeklärt, so ist anzunehmen, daß sein Leben eine Folge von Schandtaten darstellt“ (Adorno 1976: 20). Wer abgeklärt ist, habe gerade dadurch alles Gefühl, alles Mitleid, alles Gewissensmäßige „erstickt“ und der kalten, eben abgeklärten, sogenannten Vernunft untergeordnet, welche als Ergebnis der Aufklärung bei der Frankfurter Schule bekanntlich sowieso auf heftige Kritik stieß. Das vierte Kapitel von „Minima Moralia“ stellt sich somit nicht zuletzt in eine direkte Verwandtschaft mit der „Dialektik der Aufklärung“ Adornos und Max Horkheimers. Durch die hieraus folgende vermeintlich rationale Härte würde jedes Gespür für mögliche Untaten und Unrecht untergehen, und die aus der Abgeklärtheit folgende Erkenntnis, das Leben bestünde nun einmal aus Bösem, Unrecht und Untaten, bilde gewissermaßen die Legitimation für den Abgeklärten, sich ebenso zu verhalten, um in dieser so gearteten Welt überhaupt bestehen und überleben zu können. Somit sucht man auch nicht mehr nach der konkreten Schuld für das Unrecht, sondern nimmt sie hin als etwas Unabänderliches und Konsistentes, das man zu akzeptieren habe: „In der abstrakten Verantwortung des universalen Unrechts geht jede konkrete Verantwortung unter. Der Schuft wendet sie so, als ob es gerade ihm widerfahren wäre: wenn Sie wüßten, junger Mann, wie das Leben ist“ (ebd.: 20). Folglich stelle die besagte Abgeklärtheit nach Adorno also nur einen Vorwand da, um das eigene unrechtmäßige Handeln vor Kritik zu schützen und den Anschein zu geben, man könne ja gar nicht anders. Demgegenüber stellt er diejenigen, welche ihr Leben „gut“ und mit Liebe gelebt haben, jedoch verzweifeln, weil sie in dieser Eigenschaft relativ alleine stehen und mit der zunehmenden Einsicht über das oben Geschilderte verbittert werden: „Aus Mangel an Objekten weiß er seiner Liebe kaum anders Ausdruck zu verleihen als im Haß gegen die ungeeigneten, durch den er freilich dem Verhaßten sich angleicht“ (ebd.: 20). Der Gute also unterscheide sich oberflächlich kaum vom Bösen, nur die Ursache für die gleich geartete Oberfläche sei eine andere. Der Böse nämlich, so schließt Adorno (hier verächtlich als „Bürger“ bezeichnet), liebe den Menschen, so wie er derzeit ist, nur, weil er den „richtigen Menschen“ (ebd.: 20) hasse.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in Adornos „Minima Moralia“ (Kapitel 4-6)?
Die Kapitel 4 bis 6 von Theodor Adornos Buch „Minima Moralia“ thematisieren die Frage, wie und ob ein sinnvolles Leben möglich ist angesichts des allgegenwärtigen Leids und der Falschheit in der Welt. Adorno untersucht, ob dieses Bewusstsein Perspektiven auf eine bessere Zukunft eröffnet oder ob die pessimistische Diagnose der Kritischen Theorie auch eine düstere Zukunftsprognose impliziert.
Welche Kritik übt Adorno an älteren Menschen, die „abgeklärt“ sind?
Adorno kritisiert, dass Abgeklärtheit oft ein Zeichen dafür ist, dass Menschen ihr Gefühl, ihr Mitleid und ihr Gewissen unterdrückt und einer kalten Vernunft untergeordnet haben. Diese Vernunft kritisiert Adorno als Produkt der Aufklärung. Er sieht in der Abgeklärtheit einen Vorwand, um eigenes unrechtmäßiges Handeln zu rechtfertigen und sich der Verantwortung zu entziehen.
Wie beschreibt Adorno den Gegensatz zwischen "guten" und "bösen" Menschen?
Adorno beschreibt, dass Menschen, die ihr Leben "gut" und mit Liebe gelebt haben, oft verzweifeln und verbittert werden, da sie sich in ihrer Haltung isoliert fühlen. Oberflächlich betrachtet ähneln sie den "bösen" Menschen, doch die Ursache für ihr Verhalten ist unterschiedlich. Der "Böse" (als "Bürger" bezeichnet) liebt den Menschen, wie er ist, weil er den "richtigen Menschen" hasst.
Welche Kritik übt Adorno an Unbefangenheit und Leichtigkeit?
Adorno kritisiert Unbefangenheit und das Genießen "kleiner Freuden" als Ignoranz gegenüber Negativität und Leid. Er argumentiert, dass wer solche Freuden unreflektiert genießt, das große Unglück vergisst und ausblendet. Er misstraut solchen Verhaltensweisen, einschließlich oberflächlicher Kommunikation wie Small Talk.
Was versteht Adorno unter "Teilhabe am Unrecht"?
Adorno sieht konfliktvermeidende Umgänglichkeit und Zustimmung zu oberflächlichen Gesprächen als "Teilhabe am Unrecht", da diese über den wahren Zustand der Welt täuschen und somit zur Aufrechterhaltung ungerechter Verhältnisse beitragen.
Welche Rolle sieht Adorno für den "Intellektuellen"?
Adorno sieht den "Intellektuellen" als jemanden, der die Fassade durchblickt und durch Einsamkeit und Askese Distanz zum Schlechten und Ablehnung des "Unmenschlichen" ausdrückt und lebt. Der kleinste Schritt zu den Freuden der anderen Menschen sei ein Schritt zur Verhärtung des Leidens.
Welche Frage stellt sich bezüglich Adornos Maximen und einer möglichen Vision der Hoffnung?
Die Frage ist, inwieweit Adornos Maximen eine mögliche Vision der Hoffnung beinhalten oder ob sie lediglich eine pessimistische Diagnose der Gegenwart darstellen.
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- Florian Sander (Author), 2008, Messias oder Höllenfeuer - Wieviel Hoffnung gibt die Kritische Theorie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112815