Leistungsmessung in der Schule. Entwicklung, Anforderungen und Bewertung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

18 Seiten, Note: 1,5

Christian Mucare (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Leistungsbegriff
2.1 Definition aus pädagogischer und psychologischer Sicht
2.2 Historische Entwicklung in Deutschland

III. Das Leistungsprinzip in der Schule
3.1 Warum Leistung erheben?
3.2 Leistungsbeurteilung: Normen und Perspektiven

IV. Leistungsmessung
4.1 Anforderungen: "Die fünffache Verantwortung der Lehrkraft"
4.2 Schulische Leistungsmessung
4.2.1 Verfahren und Formen der Pädagogischen Diagnostik
4.2.2 Funktionen von Prüfungen und Zensuren
4.3 Probleme und Kritik

V. Fazit

VI. Bibliographie

I. Einleitung

Das Leistungsprinzip ist in der heutigen Gesellschaft ein wichtiges Thema, denn kaum vergeht ein Tag, an dem in den Medien nichts von PISA-Tests, Vergleichsarbeiten, dem schnelleren G8-Abitur oder dem Bachelor-Master-System die Rede ist. Unsere Gesellschaft fordert Leistung in allen Bereichen. Doch was ist Leistung überhaupt? Wie kann man diese messen und seit wann wird in der Wissenschaft von Leistung gesprochen? Und worin zeigen sich Leistungen in der Schule? Diesen und anderen Fragen soll in der folgenden Seminararbeit nachgegangen werden.

Zunächst wird der Begriff Leistung aus pädagogischer und psychologischer Sicht definiert und diese in seiner historischen Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert näher beleuchtet werden. Anschließend erfolgt die Analyse der Anforderungen an den Leistungsbegriff und die Übertragung des Leistungsprinzips auf die Schule. In Bezug darauf erläutere ich, weshalb Leistung überhaupt erhoben wird und welche Rolle Normen und mögliche Rahmengegebenheiten Einfluss auf die Leistungsbeurteilung nehmen können. In einem letzten Schritt geht es darum, ob und wie Leistung und Leistungsprozesse (objektiv) gemessen werden können, welche Rolle Lehrer dabei in der Schule einnehmen und welcher Kritik diese Messungen ausgesetzt sind.

Die Relevanz des Themas ergibt sich unter anderem aus lange anhaltenden politischen Debatten, besonders, wenn es um Schule und Ausbildung geht. Auch aus eigenem Interesse im Hinblick auf das kommende Schulpraxissemester habe ich mir die Frage gestellt, was Leistung ist, wie ich einen Schüler objektiv beurteile und welche Verfahren es gibt, um Leistung nachvollziehbar messen zu können. Ebenso umfangreich wie das Thema selbst ist die Literatur, die sich mit der Leistung in all ihren Facetten befasst. Wie der Bibliographie zu entnehmen ist, gibt es Wissenschaftler, die sich seit vielen Jahren mit der Thematik beschäftigen, weshalb insbesondere der Name Werner Sacher für viele Textbelege herangezogen werden wird. Dieser hat verschiedenste Bereiche der Leistung untersucht und wird dementsprechend oft zitiert werden. In gleicher Weise verhält es sich mit Eiko Jürgens, der eine umfangreiche Einführung in das Thema verfasst hat.

II. Leistungsbegriff

2.1 Definition aus pädagogischer und psychologischer Sicht

Einer Definition des Begriffes Leistung kann nur Rechnung getragen werden, wenn man diesen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. In diesem Fall soll dies aus pädagogischer und psychologischer Sicht erfolgen. In der Pädagogik spricht man weniger von Leistung als vielmehr von einem Leistungsprinzip. Es stellt ein Ordnungsprinzip dar, welches aus vier Grundsätzen besteht:1

1.) Verteilungsfunktion
2.) Sicherung
3.) Leistungsorientierung
4.) Entwicklung von Fähigkeiten2

Die Verteilungsfunktion steht hierbei dafür, dass selbst erbrachte Leistungen mit gleichwertigen Gegenleistungen vergütet werden.3 Der zweite Grundsatz Sicherung meint die Tatsache, dass beispielsweise Lebensstandard und Fortschritt einer Gesellschaft gesichert werden, indem berufliche und soziale Positionen unter optimaler Nutzung der Ressourcen in einer Gesellschaft vergeben werden. Leistungsorientierung bedeutet im pädagogischen Ordnungsprinzip, dass jeder durch seine eigene Leistung einen Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommt. In diesem Konkurrenzkampf ist jedes Individuum dazu angehalten, diejenigen Fähigkeiten zu entwickeln, die am ehesten der eigenen Persönlichkeit und Begabung entsprechen.4

Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass ein pädagogischer Leistungsbegriff nur entstehen kann, wenn die Leitziele der Erziehung und des Schulwesens demokratischen Ursprungs sind5, da Leistung in diesem Sinne bedeutet, die "Fähigkeit des Einzelnen zu individuellem und gesellschaftlichem Leben, die Freiheit zu verwirklichen, die ihm die Verfassung gibt".6 Die Lernziele dieser Denkrichtung zielen auf kritisches, eigenes Denken, Ausdauer, Sozialverhalten und übernehmen von Verantwortung ab.7

Die Psychologie versteht unter Leistung primär die Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, die sich wiederum aus komplexen motivierenden Bedingungsgefügen ergeben.8 Man unterscheidet hierbei hauptsächlich zwischen intrinsischer9 und extrinsischer10 Motivation. Obgleich die Motivationen sich im Hinblick auf die Gründe des Handelns unterscheiden, beeinflussen doch beide die Leistungsbereitschaft bezüglich Ausdauer, Schnelligkeit oder Gründlichkeit. Dies beinhaltet ebenfalls die Arbeitsbedingungen und Anregungen für die zu erbringende Leistung.11

Unabhängig von der wissenschaftlichen Ausrichtung und Fragestellung ist es jedoch wichtig zu beachten, dass ein Leistungsbegriff immer als dynamisch angesehen werden muss, der einem ständigen Wandel unterworfen ist12, der sich meiner Meinung nach aus dem sozialen und gesellschaftlichen Kontext ergibt, wie auch in Kapitel 2.2 erläutert werden wird.

2.2 Historische Entwicklung in Deutschland

Betrachtet man Leistung aus historischer Perspektive, so ist der Begriff ein abstrakter, bei dem eine (auch zeitlich) allumfassende Definition nicht möglich ist, da er "mit jedem Schritt (...) komplexer und differenzierter wurde." 13 Das Prüfungs- und Beurteilungswesen begann in Deutschland im 16. Jahrhundert und wurde vor allem durch Jesuitenschule verbreitet.14

Mit dem Aufkommen der Aufklärung wurde Leistung zu einer Art Auswahlinstrument, da der Status wandelbar und unabhängig von der untergehenden Ständegesellschaft wurde.15 Die individuelle Leistung wurde zum Kriterium für die soziale Stellung und brachte das Leistungsprinzip auf breiter Basis in die Schulen ein.16 Diese Tatsache unterstreicht auch die Aussagen der vier Grundsätze des Leistungsprinzips in Kapitel 2.1. Mit dieser Etablierung kamen um 1850 auch Zensuren zur Beurteilung und Bewertung von Leistungen auf, die zur Kontrolle und schriftlichen Fixierung von Leistungen dienten.17 Dabei handelte es sich jedoch zunächst eher um freie Formulierungen und Schemata, die ab 1900 belegen sollten, dass die Schule ordnungsgemäß absolviert worden war.18

Im Nationalsozialismus wandelte sich der Leistungsbegriff zu einem ideologisch geprägten, der Erziehung als entscheidende Aufgabe von Gesellschaft und Staat sah und zu innerer Verbundenheit führen sollte und umfasste nicht ausdifferenzierte Ziele wie erzieherische Aufgaben, Methoden und Maßstäbe.19

Erst mit der sogenannten Epoche der Bildungsreform ab ca. 1950 hatte sich das Leistungsprinzip vollständig in die Schule integriert und reflektierte die gewandelten Ansprüche der Gesellschaft.20 Leistung bedeutete hier eine Forderung an die Schüler, die Tätigkeit der Schüler, deren Ergebnisse und Beiträge für Gesellschaft, Wirtschaft, Staat und Wissenschaft und sollte helfen, Schüler auf das Leben vorzubereiten.21

Heute gilt die Schule vor allem als Leistungsschule, die die soziale Rolle anhand der erbrachten Leistungen festlegt.22 Diese Problematik – wenn man dies so sehen möchte – wird in Kapitel IV genauer untersucht.

III. Das Leistungsprinzip in der Schule

3.1 Warum Leistung erheben?

Die Gründe, weshalb Leistung erhoben wird, sind vielfältig. In erster Linie sollen Informationen darüber gewonnen werden, wie der Unterricht aufgebaut und Aufgaben gestellt werden müssen. Dabei gilt es, auch die Interessen, Stärken und Schwächen der Schüler zu erkennen23 und in die Planung mit einzubeziehen. Hiermit lassen sich nach Felix Winter der Lernprozess, der Kompetenzstand der Schüler sowie die Qualität des Unterrichts besser beurteilen.24 Ergänzende Funktion haben Rückmeldungen der Schüler an die Lehrkraft in Bezug auf den selbst wahrgenommenen Lernprozess und die Lernergebnisse.25 Die Pädagogische Diagnostik gibt außerdem Auskunft über das Grundwissen, fachliche Arbeitsmethoden, sich verändernde Interessen der Schüler sowie Kompetenzen wie Transferwissen.26

Das Erheben von Leistungen an Schülern ist identisch mit der Beurteilung eines solchen, weshalb sich die Frage nach dem Sinn der Leistungsbeurteilung zusammenfassend mit einem Zitat gerafft ausdrücken lässt:

"Schülerbeurteilung ist eine wertende Stellungnahme zur Gesamtpersönlichkeit des Schülers, zu seiner Begabungsstruktur, seinen Interessen, Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen."27

3.2 Leistungsbeurteilung: Normen und Perspektiven

Ein pädagogischer Leistungsbegriff sollte nach Eiko Jürgens anthropologisch und kulturell sein, wobei die Eigenständigkeit der Schülerinnen und Schüler gestärkt werden muss. Der Erkenntnisgewinn, auch durch eigenes Gestalten der Lernumwelten, führt diese neben Eigenständigkeit zu Initiativdenken und Erfahrungsreichtum.28 Diese Tatsache führt mich nun zum Begriff der Leistungsbeurteilung – wie ist solch eine Leistung zu beurteilen? Es gibt verschiedene Normen und Schemata, die hierbei eine Stütze geben sollen. Ich beginne die Erläuterungen mit der Individualnorm. Lernen steht hierbei für individuelle Leistungen, die die Lernentwicklungen von Schülern anhand von Leistungsvoraussetzungen abbilden.29 Neben der Betrachtung des individuellen Lernzuwachses des Schülers über einen bestimmten Zeitraum, wird großer Wert auf die Bewertung und bewusste Reflektion dieser Entwicklung durch den Lehrer zusammen mit dem Schüler gelegt.30 Des Weiteren unterscheidet man noch zwischen Sozialnorm und Sachnorm. Bei der Sozialnorm werden einzelne Schülerleistung im Vergleich mit einer ganzen Gruppe, in der Regel die Schulklasse, betrachtet und analysiert31 – wie ist der Leistungsstand zum Durchschnitt? Besteht möglicherweise Handlungsbedarf in Bezug auf Nachhilfe oder sonstige Förderung? Mit Hilfe von Fach- und Sachaspekten arbeitet die sogenannte Sachnorm, die fachliche Lernziele als Grundlage der Bewertung zugrunde legt.32 Jedoch stoßen diese drei eher auf das Individuum ausgerichteten Bezugsnormen noch immer an Grenzen, da häufig veraltete Vorstellungen vom Lernen und der Vermittlung im Schulalltag zu finden sind, was bedeutet, dass die Schwierigkeiten nicht in der Theorie, sondern in der schulpraktischen Realisierung entstehen.33 Auch das Wettbewerbsdenken der Gesellschaft ist ein Hindernis. Ziel der Erziehung sollte es sein, Schülern intrinsische Motivationen zu vermitteln, das heißt, eigenes Lern- und Leistungsbestreben zu wecken. Wichtiger sind jedoch, gerade was den Zugang zu Universitäten und Dualen Hochschulen betrifft, die Noten, die im Zeugnis stehen und eine Rangordnung aller Bewerber abbilden. Dadurch werden Schüler umso mehr angehalten, gute Noten zu schreiben - dieses Verhalten fördert aber lediglich die extrinsische Motivation.34 Um diese Gegebenheiten zu verbessern, gibt es in der Theorie verschiedene Möglichkeiten, die von Lehrern bei der Beurteilung herangezogen werden können.

[...]


1 Jürgens, Eiko: Leistung und Beurteilung in der Schule. Eine Einführung in Leistungs- und Bewertungsfragen aus pädagogischer Sicht, Sankt Augustin 1992, S. 9.

2 Ebd., S. 9.

3 Im weiteren Sinne kann man von "Gerechtigkeit" sprechen.

4 Ebd., S. 9.

5 Ebd., S. 13.

6 Vgl. Jürgens, Leistung und Beurteilung, S. 14.

7 Ebd., S. 14.

8 Schmidt-Atzert, Lothar: Leistungsrelevante Rahmenbedingungen/Leistungsmotivation, S. 227, in: Schweizer, Karl (Hrsg.): Leistung und Leistungsdiagnostik, Heidelberg 2006, S. 223-267.

9 z.B. Macht, Leistung, Ansehen etc.

10 z.B. Zwang, Bezahlung, Drohung etc.

11 Ebd., S. 226ff.

12 Fiegert, Monika: Der Leistungsbegriff in histor.-systemat. Perspektive, S.19, in: Solzbacher, Claudia/Freitag, Christine: Anpassen – Verändern – Abschaffen. Schulische Leistungsbewertung in der Diskussion, Bad Heilbrunn 2001, S. 19-38.

13 Ebd., S. 21.

14 Sacher, Werner: Lernstandsbeurteilung: Tests, Zensuren, Zeugnisse, S. 648, in: Arnold, Karl Heinz (u.a., Hrsg.): Handbuch Unterricht, Bad Heilbrunn 2006, S. 648-656.

15 Fiegert, Leistungsbegriff, S. 22.

16 Ebd., S. 22f.

17 Ebd., S. 23f.

18 Sacher, Lernstandsbeurteilung, S. 648f.

19 Fiegert, Leistungsbegriff, S. 26f.

20 Ebd., S. 28.

21 Ebd., S. 29.

22 Ebd., S. 32f.

23 Winter, Felix: Aufgaben und Perspektiven einer reformierten Leistungsbeurteilung, S. 208, in: Sacher, Werner/Winter, Felix (Hrsg.): Diagnose und Beurteilung von Schülerleistungen. Grundlagen und Reformansätze (Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer, Bd. 4), Baltmannsweiler 2011, S. 197-216.

24 Ebd., S. 208.

25 Zu diesen Instrumenten der Pädagogischen Diagnostik gibt Paradies, Liane (u.a., Hrsg.): Leistungsmessung und -bewertung, Berlin 42012, Beispielbögen unter anderem auf S. 148ff, S. 152 und S. 154f.

26 Winter, Aufgaben und Perspektiven, S. 209.

27 Vgl. Köck, Peter: Handbuch der Schulpädagogik für Studium – Praxis – Prüfung, Donauwörth 22005, S. 434.

28 Vgl. Jürgens, Leistung und Beurteilung, S. 30.

29 Paradies, Liane, Leistungsmessung, S. 7.

30 Ebd., S. 37.

31 Ebd., S. 39.

32 Ebd., S. 38. Sacher nennt dies auch die kriteriale Norm und gibt einen Erwartungshorizont des Lehrers (der an die Schüler ausgegeben wird) als Grundlage der Bewertung an, vgl. Sacher, Werner: Prüfen – Beurteilen – Benoten. Grundlagen, Hilfen und Denkanstöße für alle Schularten, Bad Heilbrunn 21996, S. 45.

33 Jürgens, Leistung und Beurteilung, S. 19ff.

34 Ebd., S.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Leistungsmessung in der Schule. Entwicklung, Anforderungen und Bewertung
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Bildungswissenschaft)
Note
1,5
Autor
Jahr
2012
Seiten
18
Katalognummer
V1129193
ISBN (eBook)
9783346493743
ISBN (Buch)
9783346493750
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Leistung, Leistungsmessung, Noten, Zensuren, Notengebung, Schule, Schulnoten
Arbeit zitieren
Christian Mucare (Autor:in), 2012, Leistungsmessung in der Schule. Entwicklung, Anforderungen und Bewertung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1129193

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Leistungsmessung in der Schule. Entwicklung, Anforderungen und Bewertung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden