1 Das „finstere“ Mittelalter – eine schwindende Assoziation
Das `Mittelalter´ – bei genauerer Betrachtung ein wenig aussagekräftiger Name für eine Ära in der Geschichte, welche eine alles andere als kurze Zeit – nämlich etwa 1100 Jahre – umfasst. Doch nicht nur, dass diese despektierlich als „medium aevum“ (`mittleres Zeitalter´) bezeichnete Zeit in den Augen einiger Humanisten des 14., 15. und 16. Jahrhunderts, wie Poggius Florentinus (1380-1459) und Ludwig Vives (1492-1540), den „Niedergang der Literatur“ (Varga 1978, 87) repräsentierte und damit den Status einer „Überbrückungszeit“ zwischen der hoch verehrten Antike einerseits und der Renaissance andererseits einnahm – vielmehr erhielten die ersten fünf Jahrhunderte des Mittelalters den Beinamen „finster“, um die vermeintliche literarische Unproduktivität und den schwarzen Fleck auf der historischen Zeitleiste in eine Metapher zu fassen. Einige Humanisten sahen sich in diesem Zusammenhang selbst als „Vetreiber“ dieser Finsternis (Varga 1978, 88).
Erst schätzungsweise seit den letzten beiden Jahrhunderten genießt das Mittelalter – und es soll im Folgenden ausnahmslos wertungsfrei als Begriff gebraucht werden – durch das Zutun von Historikern wie August Potthast , Theodor E. Mommsen und Horst Fuhrmann wieder immer größer werdenden Respekt – obgleich es auch im 20. Jahrhundert die Konnotation des „Barbarentums“ noch nicht vollends abgelegt zu haben scheint (Le Goff 1984, 11). Doch auch der unwürdige Begriff `Dunkles Zeitalter´ verschwindet zusehends (Mommsen 1959, 107), und dies alles nicht zuletzt weil gerade das frühmittelalterliche Europa durchaus eine Vielzahl literarischer Meisterwerke hervorbrachte – man denke nur an das in altenglischer Sprache verfasste epische Heldengedicht Beowulf. Dieses von einem unbekannten Autor geschaffene Werk ist nicht nur deshalb so kostbar, weil es uns lediglich in einer einzigen Handschrift, der in der British Library in London aufbewahrten Cotton Vitellius A.XV, überliefert ist, sondern vor allem deshalb, weil es nicht nur eine faszinierende Geschichte erzählt, sondern auch sprachlich, metrisch und stilistisch von größter Bedeutung für die heutige Linguistik ist.
Inhaltsverzeichnis
- Das „finstere“ Mittelalter - eine schwindende Assoziation
- Der Mythos vom Mann im Mond
- Ursprünge
- Die griechische Mythologie als erste Quelle
- Vermischung der antiken Vorlagen mit einer Bibelepisode
- Englische Überlieferungen: Vom Mittelalter bis zu Shakespeare
- Alexander Neckam
- „Man in the Moon“
- Der Text in der Brook-Ausgabe
- Inhaltliche Erläuterungen zum Gedicht
- Sprachliche und metrische Gesichtspunkte
- Interpretationsansätze
- Das Motiv bei Chaucer und Henryson
- Shakespeares inhaltliches und idiomatisches Aufgreifen des Motivs
- Variantenreicher Mythos im deutschen Sprachraum
- Ursprünge
- Literarische Darstellungen von Himmel und Hölle in der mittelalterlichen Visions- und Immramliteratur
- Definition und Überblick über die Gattungen Vision und Immram
- Die Vision des Tundal
- Die Seereise des Heiligen Brendanus
- Die vier eschatologischen Räume in der mittelalterlichen Vision
- Fegefeuer und Hölle
- Das Reinigungsfeuer in der Vorstellung des Christentums
- Die Vorstellung der Hölle im jüdischen und christlichen Glauben
- Die Vermischung von Hölle und Fegefeuer in der Vision des Tundal und der Navigatio Sancti Brendani Abbatis
- Feuer, Wasser und Lärm als feste Bestandteile von infernum und purgatorium
- Die Unterwelt aufgeteilt in verschiedene „Aufenthaltsbereiche“
- Homers Hades als Vorbild für mittelalterliche Unterweltsbeschreibungen
- Die Höllenräume und Läuterungsstationen in Tundals Vision mit Hinblick auf Dante
- Paradies und Himmelreich in der mittelalterlichen Literatur
- Zusammenhänge, Überschneidungen und Abgrenzungen
- Lokalisierungsversuche im Mittelalter
- Die Paradiesbewohner und ihre Bezirke in der Vision Tundals
- Himmlisches Ambiente
- Fegefeuer und Hölle
- Die Prüfungen der Jenseitsreisenden
- Die Brücke in Tundals Unterwelt
- Die Feuerprüfungen
- Der Weg als Ziel in der Navigatio Sancti Brendani Abbatis?
- Definition und Überblick über die Gattungen Vision und Immram
- Ein irdisches Paradies geformt von Menschenhand: Das Schlaraffenland - The Land of Cokaygne
- Die historische Entwicklung des Topos und dessen Motive in Europa im Hinblick auf den mittelenglischen Harley-Text
- Die Idee der 'Utopia' seit Hesiod und Platon bis Thomas Morus
- Paradies und Schlaraffenland im Zeichen des Goldenen Zeitalters
- Die paradiesischen Inseln Atlantis und Meropis
- Das Augusteische Zeitalter
- Die Wunderländer von Lukian und Laktanz
- Hochzeit des Motivs im europäischen Mittelalter
- Darstellungen in Italien, Spanien und Frankreich
- Etymologie der romanischen Termini
- Ein Überblick über die bekanntesten Schlaraffenland-Texte des mittelalterlichen Europa
- „The Land of Cokaygne“ – ein mittelenglisches Gedicht über das Schlaraffenland der Mönche
- Etymologische Betrachtung der westgermanischen Terminologie
- Überlieferung und Gattung sowie sprachliche Beobachtungen in „The Land of Cokaygne“
- Die Verwendung der traditionellen Schlaraffenlandtopoi
- Die spezielle Bedeutung des Karnevalesken für das Schlaraffenlandmotiv
- Darstellungen in Italien, Spanien und Frankreich
- Die Vermischung der Schlaraffenlandtopoi mit Motiven aus den mittelalterlichen Vorstellungen von Paradies und Himmelreich
- Die Weiterentwicklung der Schlaraffenland-Motivik in der Neuzeit
- Die historische Entwicklung des Topos und dessen Motive in Europa im Hinblick auf den mittelenglischen Harley-Text
- Ein komparativer Rückblick mit Fokus auf intentionale und inhaltliche Gemeinsamkeiten in „The Man in the Moon“, „The Land of Cokaygne“ und der Vision des Tundal
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht verschiedene Topoi der mittelalterlichen englischen Literatur, die sich mit den Themen Himmel, Hölle, Mond und einem irdischen Paradies (Schlaraffenland) befassen. Ziel ist es, die jeweiligen literarischen Darstellungen zu analysieren und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herauszuarbeiten.
- Der Mythos vom Mann im Mond in der englischen Literatur
- Darstellungen von Himmel und Hölle in der Visions- und Immramliteratur
- Das Schlaraffenlandmotiv und seine Entwicklung
- Komparative Analyse der ausgewählten Topoi
- Sprachliche und literaturwissenschaftliche Analysemethoden
Zusammenfassung der Kapitel
Das „finstere“ Mittelalter - eine schwindende Assoziation: Dieses Kapitel dient als Einleitung und widerlegt das Klischee des „dunklen Mittelalters“, indem es auf die reichhaltige kulturelle und literarische Produktion dieser Epoche hinweist. Es bildet den Rahmen für die nachfolgende Analyse der ausgewählten Topoi, indem es die historische und intellektuelle Grundlage für das Verständnis der untersuchten Texte aufzeigt. Der Fokus liegt auf der Überwindung gängiger Vorurteile und der Aufwertung des Mittelalters als einer Zeit bedeutender literarischer Entwicklungen.
Der Mythos vom Mann im Mond: Dieses Kapitel verfolgt die Entwicklung des Mythos vom Mann im Mond von seinen antiken Ursprüngen bis zu Shakespeare. Es untersucht verschiedene literarische Quellen und analysiert die Transformation des Mythos über die Jahrhunderte hinweg. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der englischen Literatur gewidmet, beginnend mit Werken des Mittelalters, um die Weiterentwicklung des Motivs nachzuzeichnen. Der Vergleich verschiedener Interpretationen und die sprachliche Analyse ausgewählter Texte sind zentral.
Literarische Darstellungen von Himmel und Hölle in der mittelalterlichen Visions- und Immramliteratur: Dieses Kapitel befasst sich mit der Darstellung von Himmel und Hölle in mittelalterlichen Visions- und Immram-Texten. Es analysiert die literarischen Konzepte von Himmel, Hölle und Fegefeuer, ihre Beschreibungen und ihre Funktionen innerhalb der jeweiligen Texte. Die Kapitel untersuchen die Rolle dieser literarischen Darstellungen im Kontext des mittelalterlichen Weltbildes und des religiösen Glaubens. Der Vergleich von Texten wie „Die Vision des Tundal“ und der „Navigatio Sancti Brendani Abbatis“ dient dazu, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Darstellung des Jenseits herauszuarbeiten.
Ein irdisches Paradies geformt von Menschenhand: Das Schlaraffenland - The Land of Cokaygne: Das Kapitel analysiert den Topos des Schlaraffenlandes in der mittelalterlichen Literatur. Es untersucht seine historische Entwicklung, seine Motive und seine Verbreitung in Europa. Es werden verschiedene literarische Beispiele des Motivs behandelt, mit besonderem Augenmerk auf den mittelenglischen Text „The Land of Cokaygne“. Der Fokus liegt auf der Beziehung zwischen dem Schlaraffenland und den mittelalterlichen Vorstellungen vom Paradies sowie auf der Entwicklung dieses Motivs über die Jahrhunderte hinweg. Die sprachliche und literarische Analyse des ausgewählten Textes wird eingehend betrachtet.
Schlüsselwörter
Mittelalterliche englische Literatur, Mann im Mond, Himmel, Hölle, Fegefeuer, Visionsliteratur, Immram, Schlaraffenland, Toposanalyse, literarische Motive, Sprachvergleich, religiöses Weltbild.
Häufig gestellte Fragen zum Text "Mittelalterliche Topoi in der englischen Literatur"
Was ist der Gegenstand der Untersuchung in diesem Text?
Der Text untersucht verschiedene Topoi der mittelalterlichen englischen Literatur, die sich mit den Themen Himmel, Hölle, Mond und einem irdischen Paradies (Schlaraffenland) befassen. Die Analyse konzentriert sich auf die literarischen Darstellungen dieser Topoi und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Welche Topoi werden im Einzelnen betrachtet?
Im Einzelnen werden folgende Topoi untersucht: Der Mythos vom Mann im Mond, die literarischen Darstellungen von Himmel und Hölle in der Visions- und Immramliteratur, sowie das Schlaraffenlandmotiv. Ein komparativer Rückblick auf diese drei Topoi schließt die Arbeit ab.
Wie ist der Text aufgebaut?
Der Text gliedert sich in mehrere Kapitel. Einleitend wird das Klischee vom "finsteren Mittelalter" widerlegt. Es folgen Kapitel zum Mythos vom Mann im Mond (von den antiken Ursprüngen bis Shakespeare), zu den literarischen Darstellungen von Himmel und Hölle in mittelalterlichen Visions- und Immramtexten (z.B. Vision des Tundal, Navigatio Sancti Brendani Abbatis), und zum Schlaraffenlandmotiv ("The Land of Cokaygne"). Ein abschließendes Kapitel vergleicht die untersuchten Topoi.
Welche Quellen werden herangezogen?
Der Text bezieht sich auf diverse literarische Quellen, darunter mittelalterliche englische Texte wie "Man in the Moon", Werke von Chaucer und Henryson, Shakespeares Schriften, "The Land of Cokaygne", "Die Vision des Tundal" und die "Navigatio Sancti Brendani Abbatis". Die Analyse berücksichtigt auch antike und andere europäische Quellen (z.B. Homer, Dante).
Welche Methoden werden angewendet?
Die Analyse kombiniert literaturwissenschaftliche und sprachwissenschaftliche Methoden. Es werden Toposanalysen durchgeführt, Texte sprachlich und inhaltlich untersucht und verschiedene Interpretationen verglichen. Der Fokus liegt auf der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den literarischen Darstellungen.
Welche Zielsetzung verfolgt der Text?
Ziel des Textes ist die Analyse der ausgewählten literarischen Topoi, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und ein umfassendes Verständnis der mittelalterlichen englischen Literatur im Kontext des religiösen Weltbilds und der damaligen Vorstellungen von Kosmos und Jenseits zu entwickeln.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Textinhalt?
Schlüsselwörter sind: Mittelalterliche englische Literatur, Mann im Mond, Himmel, Hölle, Fegefeuer, Visionsliteratur, Immram, Schlaraffenland, Toposanalyse, literarische Motive, Sprachvergleich, religiöses Weltbild.
Welche Zusammenfassung der einzelnen Kapitel bietet der Text?
Der Text bietet für jedes Kapitel eine kurze Zusammenfassung, die die zentralen Themen und Ergebnisse des jeweiligen Kapitels beschreibt. Diese Zusammenfassungen geben einen Überblick über die behandelten Inhalte und deren Einordnung in den Gesamtkontext des Textes.
- Arbeit zitieren
- Moni Kirner (Autor:in), 2008, Der Mann im Mond, Himmel und Hölle und das Schlaraffenland in der mittelalterlichen englischen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112961