Instrumentalisierte Erziehung ab 1933. Bildung nach der Weimarer Republik


Bachelorarbeit, 2021

46 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Thematischer Ausblick
1.2 DDS - Die Deutsche Schule
1.3 Forschungsstand

2. Hauptteil
2.1 Weimarer Grundschullehrplan 1926 im Abgleich mit dem Reichserlass von 1937
2.2 Diskussion des Erlasses von 1937 am Exempel der Zeitung Deutsche Schule
2.2.1 Erziehung
2.2.2 Judenfrage
2.2.3 Heimatkunde
2.2.4 Sprachen
2.2.5 Rechnen
2.2.6 Sport

3. Fazit

Abbildungsverzeichnis

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Thematischer Ausblick

Das 20. Jahrhundert werde "Das Jahrhundert des Kindes"1 postulierte die Päd­agogin Ellen Key 1902. Innerhalb dieser hundert Jahre verändern sich die Le­benswelten der Kinder in der Tat entscheidend.2

Mit dem 30.Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme, endeten in Deutschland für zwölf Jahre eine reiche Schultradition und ein tiefgreifender Versuch, Reformpädagogik genannt, Veränderungen in allen Einflussberei­chen der Pädagogik, mithin auch in der Schule zu erreichen und die beson­ders vom Neuhumanismus und Idealismus übernommenen Bildungsvorstel­lungen auf ihre weitere Aktualität und Relevanz zu überprüfen. Was die ein­zelnen Strömungen der Reformpädagogik [...] vielfältig diskutiert und in mannigfacher Form praktiziert hatten, nahmen die Nationalsozialisten 1933 zwar teilweise an, entwickelten es dann jedoch allenfalls unwesentlich wei­ter. Den größten Teil überkommener pädagogischer Vorstellungen indessen lehnten sie ab.3

Kinder waren immer ein Angriffsziel für Manipulationen und der ideologischen Be­einflussung für politische Zwecke unterworfen. Ab 1933 wurde die Volksschule beispielsweise als Instanz der Ideologievermittlung genutzt.4 „Die Volksschule hat nicht die Aufgabe, vielerlei Kenntnisse zum Nutzen des einzelnen zu vermitteln. Sie hat alle Kräfte der Jugend für den Dienst an Volk und Staat zu entwickeln und nutzbar zu machen“.5

Im Alltag der Schulkinder war die Schule der Bereich indem sie am meisten ge­prägt wurden. Reinhard Dithmar spricht auch von der Schule unterm Hakenkreuz.6 In dieser Arbeit steht vor allem das Geflecht aus Kontinuität und Brüchen im Schulalltag im Fokus. In einer Gesellschaft finden ständig Wandlungsprozesse statt, ohne dass sie Brüche mit den vorangegangenen Entwicklungen darstellen.7 Die Arbeit handelt von dem Leben in der Volksschule. Dabei steht die erste bis vierte Klasse im Mittelpunkt. Der Fokus liegt auf dem Erlass über die Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule von 1937, da dort eine entscheidende Schnittstelle im Erziehungssystem im Nationalsozialismus statt­fand. Diese Richtlinien werden mit den preußischen Richtlinien in einem separaten Kapitel verglichen.

Um die Thematik besser einzugrenzen, kann noch erwähnt werden, dass nach 1945 die Schulpolitik aus der Weimarer Republik restauriert wurde. Aus dem Grund könnte die Arbeit eigentlich in drei Phasen unterteilt werden -Schule in der Weimarer Republik, in der NS-Zeit und nach Kriegsende- unterschieden werden. Somit würde klargestellt werden, um welche Änderungen es sich ab 1933 handel­te und wie die Gesellschaft in Deutschland sich nach dem Zweiten Weltkrieg ent­wickelte. Doch diese Gliederung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, des­halb wird sich auf das Jahr 1937 mit Ausschweifungen in die Weimarer Republik konzentriert, denn das NS-Schulsystem basierte auf den Reichsschulgesetzen aus der Weimarer Zeit. Diese Gesetze wurden entsprechend der NS-Ideologie adaptiert und erhielten somit Einzug in den Schulen des Deutschen Reiches. Dar­aus leitet sich die Leitfrage für diese Bachelorarbeit ab: Welchen Wandel hat das deutsche Erziehungssystem mit dem Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus erlebt?

Reichserziehungsminister Rust erklärte 1934 nach seinem Amtsantritt, dass jene Generation heranzubilden sei, die das Erbe von Hitler antreten sollten.8 Zum ei­nen, wurde versucht die Lehrinhalte anzupassen und zum anderen benötigte das Deutsche Reich das Lehrerpersonal, um die Ideologie im Binnenraum der Schule zu verwirklichen. Der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) mit ihrer Zeitschrift „Die Deutsche Schule“ (DDS) spielte dabei eine wichtige Rolle.

Wie bereits erwähnt, steht ein Erlass aus der Zeitschrift „Deutsche Schule“ vom 20. April 1937, der vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbil­dung Bernhard Rust verabschiedet wurde, im Mittelpunkt. Außerdem werden als Basis dieser quellenbasierten Arbeit verschiedene ausgewählte Artikel aus der Zeitschrift „Deutsche Schule“ von 1937 benutzt. Diese Quellen sind in der Biblio­thek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin frei zugänglich. Dort sind unter anderem Lehrpläne/-inhalte der Fächer Geschichte, Leibeserziehung, Rechnen, deutsche Naturkunde und Erdkunde in der Volksschule enthalten. Erstens galt das Fach Geschichte als Fundament der Indoktrination und zweitens legte Adolf Hitler sehr viel Wert auf die Leibeserziehung. Es gilt die Übereinstimmung der Artikeln mit dem Erlass über die Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule von 19379 zu prüfen und um die Umsetzung der Ideologie Hitlers in der Schule zu bekräftigen. Wurden die Punkte aus dem Erlass berücksichtigt und in der Volksschule umgesetzt?

Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn neben den Unterrichtsfächern auch ein Blick auf die Erziehungsrichtlinien geworfen wird und welche Erziehung in der Schule vorgeschrieben wurde. Dabei wird auch die Judenfrage in einem se­paraten Kapitel betrachtet, da es auch nach 1933 für die Kinder Schulalltag war, von jüdischen Freunden getrennt zu werden.

Außerdem planten die Nationalsozialisten ein reichseinheitliches Schulwesen zu schaffen, womit sie die bildungspolitische Konsequenz aus der von ihnen propa­gierten Einheit Volk, Staat und Partei zogen10. Die Schulzeit wurde um ein Jahr gekürzt und betrug nur noch acht Jahre. Es ging nicht primär um Wissen und Können, sondern um Lehrformeln in denen aufgezeigt werden sollte, was der na­tionalsozialistische Staat seiner Jugend vermitteln will. Für das Regime war es von zentraler Bedeutung, die heranwachsende Generation in seiner Ideologie zu er­ziehen. Deshalb gab es große Anstrengungen, die Schule, die Lehrinhalte und die Kinder im Sinne des Nationalsozialismus zu beeinflussen. Der Verwirklichung die­ses Vorhabens stand die aus der Weimarer Republik stammende föderale Struktur der Schulverwaltung entgegen.11

1.2 DDS - Die Deutsche Schule

Im Jahr 2008 erschien die Zeitschrift „ Die Deutsche Schule“ (DDS) im 100. Jahr­gang. Rein rechnerisch irritiert das Gründungsdatum von 1897, das bei Hoffmann- Ocon angeben wird immer wieder.12 Der Grund dafür ist, dass die Zeitschrift an­sonsten immer mit dem Jahr 1908 als Gründungsjahr in Verbindung gebracht wird. Somit entsteht eine erklärungsbedürftige Lücke von mehreren Jahren. Nahelie­gend und wünschenswert wäre eine Diskontinuität während der Zeit des National­sozialismus. Doch der Druck wurde nicht Anfang der dreißiger Jahre aufgrund ih­rer Ferne zur nationalsozialistischen Ideologie oder gar ihrer dezidierten Kritik am faschistischen Regime eingestellt. Jedoch wurde die Zeitschrift in den letzten Kriegsjahren aus rein wirtschaftlichen Gründen eingestellt.

Die DDS und deren Autoren hatten als Motiv und Ziel, dass die Volksschule und die Fragen ihrer Erziehung wissenschaftlich betrachtet werden sollte.

Ausdrücklich hob Schmidt hervor, „dass die DDS ein erziehungswissen­schaftlicher Wegweiser und Pfadfinder sein wolle. Obgleich sie auch über das wissenschaftliche Ziel hinaus den ,,Geist des Deutschen Lehrervereins“ - übersetzt: die berechtigten Interessen der organisierten Volksschullehr­personen fördern wolle, solle dies keine Einschränkung der Wissenschaft bedeuten: ,,Eine Erziehungswissenschaft des Deutschen Lehrervereins gibt es nicht [...] Sie wäre auch ein Unding und würde den Deutschen Lehrer­verein zu einer Partei stempeln. Er hat immer jenseits der Parteien gestan­den und verdankt sein Rüstzeug keiner von ihnen“. Damit sind die beiden historischen Hauptfunktionen der DDS benannt: Die Zeitschrift sollte sowohl im ,,Geist des Deutschen Lehrervereins [...] die Förderung der Volksbildung durch Hebung der Volksschule verlangen" als auch eine Plattform zum Aus­tausch zwischen Wissenschaft, Bildungspolitik und den Interessen von or­ganisierten Bildungs- und Kulturvermittlern sein.13

Während des Nationalsozialismus wurde die Zeitschrift jedoch größtenteils für po­litische Zwecke genutzt.

Zuständiger Schriftleiter von 1913 bis 1932 war Carl Pretzel. Im Nationalsozialis­mus erlangte Kurt Higelke das Sagen und die Zeitschrift wurde ideologisch gleich­geschaltet, denn er verfasste ideologische Artikel für den Nationalsozialismus. Pu­blizistisch hatte sich Higelke 1932 mit einem für die DDS ungewöhnlich umfang­reichen Artikel mit dem Titel „Pädagogisches Führertum“ als redaktionelle Spitze in einer neuen Epoche „empfohlen“. Higelke sehnte sich nach einem Führer in dem Artikel. Mit dialektischer Argumentationsweise, die in mehreren Passagen des programmatischen Grundsatzbeitrags hervortrat, maß Higelke der Führerfrage in einem demokratischen Staat größeren Belang bei als in einem Obrigkeitsstaat, da eine Führerwahl die Selbstbestimmung des Volkes voraussetzte. Mit dieser Über­legung griff Higelke sogar der tatsächlichen Entwicklung der politischen Wahl von 1933 voraus.14 So kann untermauert werden, dass Hilgelke eine Verstrickung mit dem NS praktizierte und diese wiederläufig auch in der DDS zu sehen war.

Es wird angenommen, dass die DDS als Verbandszeitschrift (Deutscher Lehrer­verein als Ausgangspunkt, später Fachschaftsorgan des NSLB) für Lehrpersonen oder Schüler*innen in der NS-Zeit zur Pflichtlektüre gehörte. Doch die enge Ver­bindung zwischen der Autor*innenschaft und den Hochschulen für Lehrerbildung (HfL) in der NS-Periode lassen vermuten, dass die DDS von den Dozierenden der HfL stark rezipiert wurden. Zu den Verkaufszahlen, Auflagen etc. konnten keine Informationen gefunden werden. Der Verlag hat zudem bestätigt, dass diese In­formationen nicht mehr verfügbar sind.

1.3 Forschungsstand

Es gibt viele ältere und neuere Werke über die Bildungseinrichtung Schule wäh­rend der Zeit des Nationalsozialismus. Doch bis auf Benjamin Ortmeyer, gibt es sehr wenige Autoren die ihr Augenmerk auf die Unterrichtsfächer in der Volksschu­le, wie in dieser Arbeit, legten. Hans-Jochen Gamm zitierte das Werk von Flessau folgendermaßen:

Kurt-Ingo Flessau führte mit seinem Buch „Die Schule der Diktatur“ in die Zeit zurück, die gerne verdrängt wird. Er lobte sein Werk, da es die erste ausführliche Übersicht über die fachlichen Ausrichtungen der Richtlinien - bearbeitete auch kurz den Erlass von 1937 - und Lehrpläne sei, die das Lehrgefüge in den deutschen Schulen nach 1933 untersucht. Flessau stellt klar, dass die Indoktrinationsprozesse genau zu erkennen sind, mit denen eine politische Partei Einfluß auf ein Bildungssystem genommen hat, um den deutschen „Herrenmenschen“ hervorzubringen, der doch nur als Be­fehlsvollstrecker des Führerwillens zu dienen hatte.15

In der Forschung ist noch Birgitta Fuchs mit ihrem Werk „Geschichte des pädago­gischen Denkens“ zu nennen, da sie auch von Diskontinuität nach 1933 spricht.

In dem Werk „Schulwissen für und über Kinder“ von Margarete Götz und Michael Voigt, schrieb Götz einen interessanten Aufsatz „Neues Schulwissen durch neue Lehrpläne?“, der die unterschiedlichen Richtlinien von 1921 und 1937 untersuchte. Erwähnens- und lobenswert ist die „Forschungsstelle NS-Pädagogik“ unter der Leitung von Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer, die im Januar 2012 in Zu­sammenarbeit mit dem Fritz-Bauer-Institut gegründet wurde. Ausgangspunkt der Arbeit ist die These, dass das Wissen über die NS-Zeit zur Allgemeinbildung ge­hört und dieses Wissen, sowie die Auseinandersetzung mit der NS-Pädagogik fes­ter Bestandteil der Vorbereitung auf den Lehrberuf werden soll. Die „Forschungs­stelle NS-Pädagogik“ wurde zur Förderung der Verbindung von Forschung und Lehre und zur zentralen Sammlung bisheriger Studien und Materialien zum The­ma „Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit“ gegründet.16

Benjamin Ortmeyer und seine Forschung haben auch anhand von pädagogischen Zeitschriften rassistische und antisemitische Denkmuster untersucht. Antisemitis­mus und Rassismus waren zentrale Bestandteile der Erziehungsideologie im NS- Systems. Das Forschungsprojekt soll untersuchen, inwiefern eine Wechselwirkung zwischen politischen Vorgaben und erziehungswissenschaftlich-pädagogischen Zeitschriften nachzuweisen ist.17 Die Gemeinsamkeit zwischen meiner Arbeit und der NS-Pädagogik Forschung ist, dass in beiden Fällen ein Erlaß und eine Zeit- schrift verglichen werden. In dieser Arbeit, wie schon erwähnt, wird sich nicht aus­schließlich mit der Erziehung und der Judenfrage beschäftigt, sondern auch kon­trolliert wie Lehrpläne/-inhalte aus dem verabschiedeten Erlass umgesetzt wurden.

2. Hauptteil

2.1 Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule 1921 im Abgleich mit dem Reichserlass von 1937

Erstaunlich ist, dass das Datum an dem der Erlass zur Einführung der Richtlinien der unteren vier Schulgänge verabschiedet wurde, erst vier Jahre nach der Machtergreifung liegt. Auffallend ist, dass es in der Grundschule erst mit dem In­kraft treten des Reichserlasses einen tatsächlichen Bruch mit Folgen für die Kin­der im Unterricht gab. Vorher gab es keinen radikalen Schnitt zwischen dem Wei­marer Lehrplan und der NS-Pädagogik. Bis 1937 galt der Grundschullehrplan aus dem Jahre 1926, also aus der verhassten „Systemzeit“.18

Um den Bruch, der eine Übergangsphase im deutschen Schulwesen darstellte, noch besser erläutern und belegen zu können, liegen Auszüge aus der "Weimarer Reichsverfassung" vom 11. August 1919 vor. Darin steht in Artikel 148:

„In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persön­liche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben. Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht sind Lehrfächer der Schu- len.“19

Im Folgenden wird die These des Wandels mit Hilfe „der Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule20 “ und den Artikeln „Zur Gestaltung des Lehr­plans der Grundschule21 “ von Prof. Dr. Wilhelm Rein untersucht. Der am 26. Sep­tember 1921 veröffentlichte zweiteilige Aufsatz von Rein, resultierte aus den Richt­linien, vom 5. Mai desselben Jahres, zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule im 9. Heft des „Zentralblattes“. Rein kommentierte die Richtlinien nach seinen Ansichten der Schule und zeigte auf wie die Schulzeit in der Weima­rer Republik aussehen sollte. Der Dreiervergleich -die Richtlinien von 1921, der Kommentar von Rein und der Erlass von Bernhard Rust- bietet die Möglichkeit den Wandel nach 1933 zu konstatieren.

Wilhelm Rein, deutscher Pädagoge, einflussreichster und zugleich letzter Vertreter des Herbartianismus, verfasste neben zahlreichen Werken auch ein siebenbändi­ges enzyklopädisches Handbuch der Pädagogik.22

Seine stark am Begriff des Volkes orientierte nationale und antiparlamentarische Haltung ließen ihn zu einem scharfen Kritiker der Weimarer Republik werden, wo­bei er sich auf der Linie der Jungkonservativen bewegte.23 Doch die Jungkonser­vativen standen in einem Widerspruch zu was?

Die bisherigen Arbeiten über die Jungkonservativen in der Weimarer Repu­blik befassen sich ausschliesslich mit deren Ideenwelten. Dabei haben sich zwei entgegengesetzte Positionen entwickelt. Die eine sieht die Jungkon­servativen in entschiedenem Gegensatz zum Nationalsozialismus, während die andere sie als den geistigen und theoretischen Wegbereiter des NS- Regimes betrachtet.24

Diese kontroverse Diskussion wird in dieser Arbeit nicht weiter thematisiert. Es wird sich ausschließlich auf Reins These über den Wandel zum Nationalsozialis­mus gestützt.

Die Richtlinien von 1921 sprachen von einer grundlegenden Bildung für alle Kin- der.25 Friederike Heinzel präzisierte in ihrem Forschungsbericht:

„Nachdem das Grundschulgesetz von 1920 in § 1 festlegte, die Volksschule „in den untersten vier Jahrgängen als die für alle gemeinsame Grundschu­le, auf der sich das mittlere und höhere Schulwesen aufbaut“26 einzurich­ten, wurde in den Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grund- schule in Preußen 1921 konkretisiert, dass die Grundschule die Aufgabe habe, „den sie besuchenden Kindern eine grundlegende Bildung zu vermit- teln“27, wobei die Auswahl der Unterrichtsinhalte „in erster Linie durch die Fassungskraft und das geistige Wachstumsbedürfnis der Kinder“28 zu be­stimmen sei. Die Grundschule wurde damit ebenso als grundlegend bilden­de „Schule für alle“ wie als „kindgemäße Schule“ konzipiert. Seit ihrer Ent­stehung wird ihr demgemäß die individuelle Entfaltung der kindlichen Per­sönlichkeit und die egalisierende Reproduktion der Gesellschaft als Doppel­funktion zugeschrieben - eine nicht zwingend konfrontative Entgegenset­zung, aus deren Unbestimmtheit zahlreiche konfligierende Ansprüche abge­leitet werden können.“29

Um die These von Heinzel zu bestätigen, verwies Rein auf den Artikel 146 der Reichsverfassung und bekräftigte, dass die Schule, für alle Kinder des Volkes gleichmäßig grundlegend, keine Rücksicht auf die wirtschaftliche und soziale Stellung der Eltern und keine Schulunterschiede kennt. [...] Die Grundschule sei aber auch eine Stätte des Friedens. Sie weiß nichts von den Gegensätzen der Konfessionen, der politischen Parteien, der sozialen Unterschiede.30

Damit kann klar ein demokratisches System in der Weimarer Zeit erkannt werden, da jeder in der Schule geduldet und akzeptiert wurde. Im Erlass von Rust stand zwar nicht explizit, dass eine Bevölkerungsgruppe ausgeschlossen und aus der Schule verbannt wurde, doch im Kapitel „Judenfrage“ werden wir näher auf diese Thematik eingehen. Im Nationalsozialismus gab es keine demokratische Schule und keine Schule für alle.

Rein stimmte zu, dass es die Aufgabe sei, die geistigen und körperlichen Kräfte der Kinder zu wecken. Zudem sollten nach Veröffentlichung der Richtlinien eine allgemeine Übereinstimmung herrschen. Rein stimmte den Richtlinien zu. Dazu führte er aus, dass die Kenntnisse und Fertigkeiten, die für jede Art von weiterfüh­render Bildung unerlässlicher Erfordernis sind, selbsttätig erworben werden sollen.31

Eine Selbstständigkeit und Individualität der Kinder wurde im Jahr 1937 nicht an­gesprochen. Die Kenntnisse und Fertigkeiten, insbesondere die Fertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens, sind durch dauernde Übung sicherzustellen und dienen der späteren Teilnahme am Arbeits- und Kulturleben des deutschen Volkes.32

Unverkennbar verpflichteten diese Vorgaben die Arbeit in der Grundschule auf die von den Nationalsozialisten politisch erwünschten und ideologisch favorisierten kollektiven Werte, sei es die geforderte Diensthingabe an Füh­rer, Volk und Nation oder die gesellschaftlich nutzbringende Vermittlung von Wissen und Können.33

Die Kinder werden in eine Richtung gedrängt, denn das Ziel, dass sie zum Einsatz für Führer und Nation erzogen werden sollten, stand schon fest.

Einen Unterschied zu den Richtlinien 1921 forderte Rein, indem er den Gesin­nungsunterricht gegenüber dem Anschauungsunterricht bevorzugte, der sowohl im Nationalsozialismus als auch in der Weimarer Schule seine Anwendung fand.34 Doch 1937 und 1921 wurde in den Richtlinien von einem Anschauungsunterricht gesprochen. Dies scheint jedoch nicht von großer Bedeutung da es sich nur um eine Art der Unterrichtshaltung handelte und nicht um Lehrinhalte, was von größe­rer Bedeutung gewesen wäre.

Der Begriff Erziehung kam in den Richtlinien von 1921 nicht vor, im Gegensatz zu dem aufgestellten Erlass von Rust. Der Reichsminister für Wissenschaft, Erzie­hung und Volksbildung sprach von einem erzieherischen Unterricht im Sinne der nationalsozialistischen Erziehung. Besonders hatten die Unterrichtsfächer Heimat­kunde und Deutsch diesem Zweck zu dienen, wobei Rust jedoch erwähnt, dass auch alle anderen Fächer nach Möglichkeit der Indoktrination dienen sollten.35 Dadurch konnte nicht wie Rein und das Ministerium 1921 einsahen, der Anfangs­punkt in der Grundschule gelegt werden. Das Ziel war es, dass die Kinder sich geistig und gemütlich entfalten und wertvollen Anlagen und Kräfte bilden, die in ihnen schlummern.36

Die Selbstbestätigung der Schüler in Spiel, Im Beobachten von Natur und Lebensvorgängen, namentlich auf Lehrspaziergängen und Wanderungen, ferner in Ausübung von Handtätigkeiten, wie formen von Plastilin oder Ton, Stäbchenlegen, malendem Zeichnen, Ausschneiden, ist ausgiebig für die Zwecke des Unterrichts nutzbar zu machen.37

In der NS-Schule gab es keinesfalls Platz für die individuelle und freie Selbstent­faltung des Kindes38. An Spielen in der Schule war nicht zu denken. Der Lehrer, auch Erzieher genannt, sollte die Klasse führen und den Kindern die NS-Ideologie nahebringen, so war der Unterricht Zweck zur Indoktrination. Der Unterricht sollte zwar den Lernenden unterschiedliche Arbeits- und Lernformen näher bringen, aber er sollte grundsätzlich unter der durchgängig dominanten Führung des Klas­senlehrers stehen.39

Wenn von Gemeinsamkeiten gesprochen werden kann, dann liegen diese eventu­ell bei den Stundentafeln. Dazu ist die folgende Abbildung40 sehr hilfreich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Stundentafeln fur die Grundschule (Richtlinien Preußen 1921, 188)

Die beiden Stundentafeln haben eine thematische und zeitliche, auch wenn weni­ger Unterrichtsstunden ab 1937, gemeinsame Ordnung. Dabei ist anzumerken, dass der Religionsunterricht nicht im Stundenplan erscheint und Rust nur erwähnt, dass diese Stunden noch fehlen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Stundentafeln für die Grundschule (Richtlinien 1937, 200)

Um auch die Unterrichtsfächer zu analysieren, gab es zuerst mal eine Überein­stimmung in der Unterrichtsart bei der Heimatkunde, denn diese sollte als An­schauungsunterricht abgehalten werden. Die Heimat als Thematik stand im Mittel­punkt. Im ersten und zweiten Schuljahr sollte der heimatkundliche Anschauungs­unterricht aus der nächsten Lebenswelt (1937) und aus der näheren Erfahrungs­welt (1921) seine Stoffe nehmen. Im Nationalsozialismus sollte der Stoff erziehlich fruchtbar41 gemacht werden. In der Weimarer Schule sollte den Kindern, z.B Haus, Hof, Garten, Wiese, Wald42 usw. nähergebracht bekommen. In der NS-Schule soll­te die Vermittlung des Stolzes auf den Führer, die Sippe, den Stamm, die Heimat und die Heimat im Vordergrund stehen.

[...]


1 Sabine Andresen: "Das Jahrhundert des Kindes" als Vergewisserung. Ellen Keys Echo im pädagogischen Diskurs der Moderne, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 20 (2000) 1, S. 22

2 https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/236625/das-jahrhundert-der- kinder-kaiserreich-und-weimarer-republik-doku (5.08.2021)

3 Kurt-Ingo Flessau: Schule der Diktatur. Lehrpläne und Schulbücher des Nationalsozia­lismus, München 2018, S.19.

4 Margarete Götz: Die öffentliche Ideologie und die Ideologisierung der Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Oelkers, Jürgen; Osterwalder, Fritz (Hg.): Bildung, Öf­fentlichkeit und Demokratie, Weinheim 1998, S. 209.

5 A. Kluger: Die Deutsche Volksschule im Großdeutschen Reich. Handbuch der Gesetze, Verordnungen und Richtlinien für Erziehung und Unterricht in Volksschulen nebst den ein­schlägigen Bestimmungen über Hitler-Jugend und Nationalpolitische Erziehungsanstalten, 1940, S. 108, in: Klöcker, Michael (Hg.): Die Schule im NS-Staat. Ihre Rechtsgrundlagen am Beispiel der Volksschule, in: Recht der Jugend und des Bildungswesen 61 (2013), S. 390.(Vorname unbekannt)

6 Dithmar Reinhard: Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuwied 1989, S. VII.

7 Heidi, Rosenbaum: “Und trotzdem war's 'ne schöne Zeit“. Kinderalltag im Nationalsozia­lismus, Frankfurt a. M. 2014, S.13.

8 BAK NS 12/8, in: Götz, Margarete: Die öffentliche Ideologie und die Ideologisierung der Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Oelkers, Jürgen; Osterwalder, Fritz (Hg.): Bildung, Öffentlichkeit und Demokratie, Weinheim 1998, S. 209.

9 Bernhard Rust: Erlass zur Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule, in: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Heft 8 (1937), S. 199. URL: https://scripta.bbf.dipf.de/viewer/image/991084217_0003/218/LOG_0270/ (14.07.2021)

10 Margarete Götz: Die Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus: eine Untersu­chung der inneren Ausgestaltung der vier unteren Jahrgänge der Volksschule auf Grund­lage amtlicher Maßnahmen, Bad Heilbrunn 1997, S. 21.

11 Götz: Die Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 21.

12 Andreas Hoffmann-Ocon: Die Deutsche Schule im Nationalsozialismus. Unter Mitarb. v. Dominique Oesch. (Die Deutsche Schule, 10. Beiheft), in: Erziehungswissenschaftliche Revue (EWR) 9 (2010), Münster 2009, S. 5.

13 vgl Schmidt 1921, S.535-539, in: Hoffmann-Ocon, Andreas (Hg.): „Die Deutsche Schu­le“. 100 Jahrgänge im Spannungsfeld von Bildungspolitik, Wissenschaft, Gesellschaft und pädagogischer Praxis, S. 479-480. URL: https://phzh.ch/MAP_DataStore/178811/publica- tions/AHO_2008_DDS_100_Jahrgänge.pdf (13.08.2021)

14 Hoffmann-Ocon: Die Deutsche Schule, S.13.

15 zitiert nach Hans-Jochen Gamm, in: Flessau, Kurt-Ingo (Hg.): Schule der Diktatur. Lehrpläne und Schulbücher des Nationalsozialismus, München 2018, S. 11.

16 https://forschungsstelle.wordpress.com/grundung-geschichte/ (8.08.2021)

17 https://forschungsstelle.files.wordpress.com/2012/06/zur-grc3bcndung-forschungsstel-le.pdf (08.08.2021)

18 Sylvelin Wissmann: Es war eben unsere Schulzeit. Das Bremer Volksschulwesen unter dem Nationalsozialismus, Bremen 1993, S. 60.

19 http://www.verfassungen.de/de19-33/verf19-i.htm (9.08.2021)

20 Anmerkung: verabschiedet am 16. März 1921/ veröffentlicht am 5. Mai 1921 im Zentral- baltt

21 Anmerkung: erschienen in der Zeitschrift „Deutsche Blätter für erziehenden Unterricht“ im Jahr 1921.

22 Marnie Schlüter: Rein Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 342 f. URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz105050.html (14.08.2021)

23 https://www.deutsche-biographie.de/sfz105050.html (15.08.2021)

24 https://www.peterlang.com/view/title/32861 (15.08.2021)

25 Minister für Wissenschaft, Kunst, Volksbildung: Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplä­nen für die Grundschule, in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preu­ßen Heft 9 (1921), S. 186. https://scripta.bbf.dipf.de/viewer/image/985843438_0063/237/ LOG_0259/ (18.08.21)

26 Wolfgang Schreibe: Zur Geschichte der Volksschule. Bd. 2., Bad Heilbrunn (1974), S. 58, in: Heinzel, Friederike (Hg.): Zur Doppelfunktion der Grundschule, dem Kind und der Gesellschaft verpflichtet zu sein. Die generationenvermittelnde Grundschule als Konzept, in: Zeitschrift für Grundschulforschung 12 (2019), S. 276.

27 Schreibe: Zur Geschichte der Volksschule, S. 59.

28 ebd., S. 60.

29 Friederike Heinzel: Zur Doppelfunktion der Grundschule, dem Kind und der Gesell­schaft verpflichtet zu sein. Die generationenvermittelnde Grundschule als Konzept, in: Zeitschrift für Grundschulforschung 12 (2019), S. 275-287.

30 Wilhelm Rein: Zur Gestaltung des Lehrplans der Grundschule, in: Deutsche Blätter für erziehenden Unterricht Heft 44 (1921), S. 346. URL: https://scripta.bbf.dipf.de/viewer/ image/027110176_0048/348/LOG_0223/ (18.08.2021)

31 Rein: Zur Gestaltung des Lehrplans der Grundschule, S. 345.

32 Rust: Erlass zur Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule, S. 200.

33 Götz Margarete: Neues Schulwissen durch neue Lehrpläne?, in: Götz, Margarete; Vogt, Michael (Hg.): Schulwissen für und über Kinder. Beiträge zur historischen Primarschulfor- schung, Bad Heilbrunn 2016, S. 233.

34 Rein: Zur Gestaltung des Lehrplans der Grundschule, S. 345.

35 Rust: Erlass zur Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule, S. 200.

36 Rein: Zur Gestaltung des Lehrplans der Grundschule, S. 346.

37 Minister für Wissenschaft, Kunst, Volksblidung, Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplä­nen für die Grundschule, S. 186.

38 Brigitta Fuchs: Geschichte des pädagogischen Denkens, Opladen 2019, S. 217.

39 Michael Klöcker: Die Schule im NS-Staat. Ihre Rechtsgrundlagen am Beispiel der Volksschule, in: Recht der Jugend und des Bildungswesen 61 (2013), S. 389.

40 Götz: Neues Schulwissen durch neue Lehrpläne?, S. 235.

41 Rust: Erlass zur Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule, S. 200.

42 Minister für Wissenschaft, Kunst, Volksbildung: Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplä­nen für die Grundschule, S. 187.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Instrumentalisierte Erziehung ab 1933. Bildung nach der Weimarer Republik
Hochschule
Universität Trier
Note
1,2
Autor
Jahr
2021
Seiten
46
Katalognummer
V1130557
ISBN (eBook)
9783346499226
ISBN (Buch)
9783346499233
Sprache
Deutsch
Schlagworte
instrumentalisierte, erziehung, bildung, weimarer, republik
Arbeit zitieren
Ben Schuster (Autor:in), 2021, Instrumentalisierte Erziehung ab 1933. Bildung nach der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1130557

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Instrumentalisierte Erziehung ab 1933. Bildung nach der Weimarer Republik



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden