Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Forschungsstand und Quellenlage
1.3 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen
1.4 Aufbau der Arbeit
2 Problemfelder und Formen prekarer Arbeit unter Journalisten
2.1 Journalisten in Deutschland
2.2 Einkommen
2.3 Rechtliche Absicherung
2.4 Arbeitsvertrage
2.5 Freiberufliche Arbeit
3 Verbande und ihre Funktionen im politischen System
4 Theoretische Einordnung und Handlungslogiken
4.1 Mitgliedschaftslogik
4.2 Einflusslogik
4.3 Trittbrettfahrerphanomen
4.4 Selektive Anreize
4.5 Schwache Interessen randstandiger Gruppen
5 Fallauswahl
6 Vergleich
6.1 Organisationsstruktur
6.2 Finanzierung
6.3 Organisationsgrad
6.4 Mobilisierung und Mitgliedschaftsanreize
6.4.1 Immaterielle Anreize
6.4.2 Materielle Anreize
6.5 Erwartungen der Mitglieder an die Verbande
6.6 Kontrare Interessenlagen innerhalb der Verbande
6.7 Partizipation
6.8 Verbandsinterne Kommunikationsmittel
6.9 Verbandsexterne Kommunikationsmittel und Handlungsstrategien
6.10 Ziele und Forderungen der Verbande
6.11 Kampagnen
6.12 Freie Journalisten als randstandige Gruppe?
7 Fazit
8 Darstellungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
„Der Berufsstand der Journalisten steht vor enormen Herausforderungen.“ (Hanitzsch et al. 2019)
Die neuen Herausforderungen, mit denen sich Journalisten[I] konfrontiert sehen, liegen in der zunehmenden Ökonomisierung der Medienproduktion, der Hybridisierung und Boule- vardisierung journalistischer Inhalte, aber auch in den prekaren Arbeitsbedingungen von Journalisten begründet (ebd.). Mit der Veranderung des Berufsbilds der Journalisten andert sich auch der Geltungsbereich von Tarifvertragen, die deren Einkommen maBgeblich be- stimmen. Dass jedoch nicht nur die beruflichen Anforderungen an Journalisten, sondern auch die Anzahl prekarer Beschaftigungsverhaltnisse zunimmt, zeigen aktuelle Studien, wie die von Thomas Schnedler, der jüngst seine Dissertation zum Thema an der Universi- tat Hamburg publizierte (Schnedler 2020). Die Anzahl der Freien unter den hauptberufli- chen Journalistinnen und Journalisten in Deutschland nimmt zu. Sie sind jedoch meist starker von prekaren Beschaftigungsformen betroffen als Festangestellte, deren Zahl von 18.000 im Jahr 1993 auf aktuell rund 9.600 abgesunken ist (Steindl et al. 2017). Prekaritat im Berufsbild von Journalistinnen und Journalisten kann vielschichtig sein. Eine Möglich- keit, diesen Zustanden organisiert entgegenzutreten, ist die Mitgliedschaft in einem Be- rufsverband oder einer Gewerkschaft.
Interessenverbande ermöglichen Interessenvertretung, das heiBt, gebündelten Interessen einen Ausdruck zu verleihen und diese an politische Entscheidungstrager heranzutragen. Journalisten verfügen über Errungenschaften, die zum Schutz der Berufsgruppe entwickelt wurden. So werden sie etwa durch Tarifvertrage geschützt, vor allem im Bereich des öf- fentlich-rechtlichen Rundfunks und der Presse. AuBerdem sind viele Journalistinnen und Journalisten in der Künstlersozialkasse, kurz KSK, versichert. Dass unter den Mitgliedern der KSK und der Interessenverbande und Gewerkschaften von Journalisten noch viele Un- zulanglichkeiten bestehen, zeigen Studien und Umfragen aus den vergangenen Jahren, in denen von prekaren Arbeitsbedingungen betroffene Journalisten mehrere Problemfelder darlegten (Buckow 2011; Schnedler 2020; Steindl et al. 2018).
Der Beitritt zu einem Interessenverband fallt vielen Journalisten aufgrund der Verbande- konkurrenz nicht leicht. So gibt es Journalisten, die in mehreren Verbanden gleichzeitig Mitglied sind, um die jeweiligen Vorteile der Verbande genieBen zu können. Andere hin- gegen fühlen sich von einem Verband besser vertreten, als von einem konkurrierenden Verband (vgl. Buckow 2011: 68f). Die Zahl der Interessenverbande im Journalismus ist übersichtlich. Namentlich gehören zu den wichtigen Verbanden der Deutsche Journalisten- Verband, nachfolgend DJV genannt und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten- union der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Für freiberufliche Journalisten ist jedoch auch der kleinere Verband Freischreiber interessant. Zwischen den Verbanden und den Interessen ihrer Mitglieder gibt es Unterschiede, die sich in verschiedenen Mit- gliedschaftsanreizen, selektiven Gütern für die Mitglieder und der Interessenartikulation in Form von Kampagnen und dem Austausch mit politischen Entscheidungstragern zeigen.
1.2 Forschungsstand und Quellenlage
Wahrend die sozialwissenschaftliche Erforschung des Journalismus auf eine lange Traditi- on zurückblicken kann (vgl. Buckow 2011), war der Forschungsstand zur Lage freier Journalisten lange Zeit eher übersichtlich und der Literaturbestand ist es weiterhin (Steindl, et al. 2018). Inzwischen gibt es jedoch einige Studien, Umfragen und andere Forschungsbe- strebungen zur sozialen Lage und Arbeitswelt von Journalisten (DJV 2014, Steindl et al. 2017, 2018; Schnedler 2020). Besonders die Studie von Thomas Schnedler, der in seiner Dissertation 27 problemzentrierte Interviews mit Journalisten aus verschiedenen Berufsbereichen und Redaktionen auswertete, ist für diese Arbeit sehr hilfreich. Die qualitativ geführten Interviews verdeutlichen die Formen und Problemfelder prekarer Arbeit unter Journalisten.
Immer wieder taucht in den Studien die Berufsgruppe der freien Journalisten als eine von schlechten Arbeitsbedingungen und fehlender rechtlicher Absicherung gepragte Gruppe auf. Der Forschungsstand zu dieser Gruppe ist im Gegensatz zur Sozialforschung im Journalismus sehr gering. Zwar führen Interessenverbande Befragungen unter ihren Mitgliedern durch (DJV 2014, 2020a) und es gibt bereits eine wissenschaftliche Studie, die sich explizit auf die Lage freier Journalisten im Verband Freischreiber bezieht (Buckow 2011), generell ist hier aber eher von einer „Blackbox“ auszugehen, da frühere Studien, wie die „Journalismus in Deutschland“ Studie aus dem Jahr 2005, freiberufliche Journalisten nur teilweise erfassten (Buckow 2011: 5).
Die Ergebnisse der Studie von Buckow aus dem Jahr 2011 beschreiben die Arbeitsbedin- gungen und -zufriedenheit, sowie die Arbeitsweise und das damit verbundene berufliche Selbstverstandnis von Mitgliedern des Interessenverbands Freischreiber. Sie ist jedoch die einzige wissenschaftliche Quelle, die Daten zu Mitgliedern, deren Mitgliedschaftsanreizen, zur innerverbandlichen Partizipation, den Interessenlagen der Mitglieder und zur Ver- bandsstruktur eines Verbands beinhaltet.
Zum Spektrum der Interessenverbande in Deutschland, ihren Funktionen im politischen System der Bundesrepublik gibt es einen gröBeren Bestand an Literatur (von Winter et al. 2007; Sebaldt/StraBner 2004). Speziell zu den Interessenverbanden im Journalismus jedoch nicht. Für diese Arbeit lassen sich also nur die öffentlichen Daten der Verbande, bereits erfolgte Umfragen der Verbande oder von Drittpersonen, sowie die Studie von Buckow aus dem Jahr 2011 verwenden. Eine Anfrage beim Berufsverband Freischreiber brachte einige zusatzliche Informationen für diese Arbeit ein, jedoch können die tatsachlichen Interessenlagen der Mitglieder und die innerverbandlichen Strukturen nur bedingt überprüft werden. Dafür ware es notwendig, neue qualitative und umfassende Umfragen unter den Mitgliedern der Verbande durchzuführen. Im Jahr 2019 erfolgte beim Verband Freischrei- ber eine solche interne Umfrage, welche die Erwartungen der Mitglieder an ihren Verband erforschen sollte (Freischreiber 2020h). Die Ergebnisse sind jedoch nicht für die Öffent- lichkeit zuganglich.
1.3 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen
Die vorliegende Arbeit soll darstellen, mit welchen Ressourcen Journalisten sich in Interessenverbanden organisieren, um gegen die Problemfelder prekarer Beschaftigung in ihrer Arbeitswelt vorzugehen. Dafür kommt es im Hauptteil der Arbeit zu einem Vergleich des Interessenverbands Freischreiber mit dem DJV, da beide Verbande einige Unterschiede aufweisen. Sie unterscheiden sich in Alter, Mitgliederanzahl und der Berufsgruppe inner- halb des Journalismus, die sie vertreten. Der Deutsche Journalisten-Verband, kurz DJV, vertritt die Interessen aller hauptberuflichen Journalisten, wahrend der Verband Freischrei- ber ausschlieBlich die Interessen von freiberuflichen Journalisten vertritt. Anhand beider Verbande soll der Forschungsfrage nachgegangen werden, welche Handlungsstrategien sie hinsichtlich ihrer politischen Einflussnahme zur Veranderung der Arbeitsbedingungen, aber auch innerhalb der Verbande bezüglich der Mitgliederrekrutierung und -mobilisierung verfolgen.
Die Theorie von Mancur Olson beschreibt die Handlungslogik der Mitgliedschaftslogik (Olson 2004). Mit der Deskription der Ressourcen beider Verbande im Vergleich sollen anhand dieser Theorie folgende Fragen nach Olsons Mitgliedschaftslogik beantwortet werden:
- Welche Mitgliedschaftsanreize bieten die Verbande ihren Mitgliedern?
- Wirbt ein Verband, der seinen Mitgliedern selektive Anreize bietet, mehr Mitglie- der?
- Wie mobilisieren die Verbande ihre Mitglieder?
- Handelt es sich bei den Interessen freier Journalisten um sogenannte schwache Interessen einer randstandigen Gruppe nach Mancur Olson (2004) und Winter/Willems (2000)?
Neben Antworten auf diese Fragen sollen, soweit die Quellenlage es zulasst, die verbands- interne Partizipation, die Erwartungen der Mitglieder an ihre Verbande, eventuelle kontrare Interessenlagen unter den Mitgliedern und die verbandsinternen Kommunikationsmittel genauer beschrieben werden. Dabei stellt sich die Frage, ob ein kleiner Verband mit ver- mutlich weniger stark verteilten Interessenlagen unter den Mitgliedern diese besser aggre- gieren, selektieren und artikulieren kann, als ein groBer Verband, wie der DJV, der ver- schiedene Interessengruppen der Berufsgruppe vereint.
Neben der mitgliedschaftslogischen Ausrichtung der Verbande sollen zudem auch Fakto- ren nach der Einflusslogik (Streeck/Schmitter 1999) untersucht werden. Dabei soll die In- teressenartikulationsfunktion der Verbande mit Antworten auf folgende Fragen beschrie- ben werden:
- Welche verbandsexternen Kommunikationsmittel nutzen die Verbande für ihre po- litische Einflussnahme?
- Ist diese Einflussnahme konsens- oder konfliktorientiert?
- Auf welche Handlungsstrategien haben sich die Verbande festgelegt?
AuBerdem sollen aktuelle Ziele und Forderungen der Verbande, sowie ihre Kampagnen dargestellt werden. Die Frage nach der Mitgliedschaftslogik, ob es sich bei den Interessen freiberuflicher Journalisten um sogenannte schwache Interessen handelt, soll abschlieBend geklart werden, da eine Analyse hinsichtlich der Fragestellung erst möglich ist, nachdem freiberufliche Journalisten und die sie vertretenden Verbande im Vergleich untersucht wurden.
1.4 Aufbau der Arbeit
Zu Beginn sind einige begriffliche Definitionen zu klaren. Was ist unter prekarer Arbeit zu verstehen und welche Auspragungen können diese Beschaftigungsformen unter Journalisten annehmen? Um die Verbande und ihre Arbeit genauer untersuchen und darstellen zu können, müssen die Problemfelder zunachst aufgezeigt werden. Die Auspragungen werden anhand verschiedener Beispiele im Kapitel 2 dargestellt. Dafür wird das Einkommen der Verbandsmitglieder, die rechtliche Absicherung, unsichere Arbeitsbedingungen anhand befristeter Vertrage, Leiharbeit und Teilzeitarbeit beschrieben. Besonders der Unterschied zwischen festangestellten und freiberuflichen Journalisten wird hier in den Fokus genommen. AuBerdem wird auf geschlechterspezifische Unterschiede bei der Beschaftigung und beim Einkommen der Mitglieder eingegangen. Nachdem die Problemfelder erlautert wur- den, werden die Funktionen von Interessenverbanden im politischen System der Bundesre- publik unter Kapitel 3 dargestellt. Dabei wird genauer auf die Funktion von Gewerkschaf- ten eingegangen, da einer der zu untersuchenden Verbande ein tarifpolitischer Berufsver- band ist.
Unter dem folgenden Kapitel 4 werden die Handlungslogiken, mit denen Interessenver- bande arbeiten, erlautert. Der theoretische Rahmen der Arbeit, der sich an der Theorie von Mancur Olson (2004) orientiert, wird erlautert und Ausführungen und Zusatztheorien zu selektiven Anreizen, randstandigen Gruppen und sogenannten schwachen Interessen werden beschrieben, um diese Theorien in den darauffolgenden Punkten anhand der Daten und des Vergleichs beider Verbande anwenden zu können und die vorangegangenen Thesen in der Fragestellung der Arbeit überprüfen zu können.
Nachdem die Organisationsstruktur der Verbande erlautert wurde, werden die Kriterien für den Vergleich beider Interessenverbande in Tabellen und Gegenüberstellungen dargestellt. Der Vergleich ist das Herzstück der Arbeit. In ihm wird auf verschiedene Ressourcen beider Verbande eingegangen und in Bezug auf die Einflusslogik untersucht, wie sie ihre Interessen artikulieren, welche politischen Handlungsstrategien sie dabei anwenden und wel- che verbandsexternen Kommunikationsmittel sie verwenden. Ihre mitgliedschaftslogische Ausrichtung wird anhand der verbandsinternen Partizipationsmöglichkeiten der Mitglieder, innerverbandlicher Kommunikationsmittel und an den, für die Gruppenbildung besonders wichtigen, selektiven Mitgliedschaftsanreizen beschrieben. Die eingangs erlauterten theo- retischen Handlungslogiken und Theorien zur Bildung von Interessengruppen werden auf die Daten der Verbande angewendet. Dabei sollen die Thesen aus der Fragestellung über- prüft und die offenen Fragen beantwortet werden.
Letztlich werden aktuelle Kampagnen der beiden Verbande vorgestellt und die im Ver- gleich mit Bezug auf die Fragestellung und theoretische Einordnung gewonnenen Erkennt- nisse im Fazit dargestellt. Bei der Bearbeitung des Vergleichs und der Beantwortung der Fragen und Überprüfung der Thesen aufgetretene Probleme, beispielsweise aufgrund der Quellenlage, werden dabei erlautert.
2 Problemfelder und Formen prekarer Arbeit unter Journalisten
Prekaritat und somit auch der Begriff der prekaren Beschaftigungsformen sind als Abwei- chungen vom „Normalarbeitsverhaltnis“ zu verstehen. Gemeint sind damit Beschafti- gungsverhaltnisse, „die unbefristet sind und über Arbeit in Vollzeit ein existenzsicherndes Einkommen gewahrleisten.“ (Brinkmann et al. 2006: 5) Doch nicht jede dieser Abwei- chungen oder auch atypischen Beschaftigungsformen, wie etwa die Arbeit in Teilzeit oder Leih- und Zeitarbeit, sind für die Betroffenen automatisch prekar. Denn, „wer zwar atypisch beschaftigt ist, aber nach Tarif bezahlt wird, hat ein relativ gutes Einkommen“ (Schnedler 2020: 121). Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass das Geschlecht und das Alter der Erwerbstatigen, die strukturellen Merkmale der Erwerbstatigkeit, medienspezifi- sche Unterscheidungen zwischen den Mediensparten und Unterschiede zwischen der öf- fentlich-rechtlichen oder privatwirtschaftlichen Organisationsform des Unternehmens relevante EinflussgröBen sind (vgl. ebd. 2018: 80)
Die Gründe für prekare Beschaftigungsverhaltnisse sind vielfaltig. Zu benennen ist jedoch, dass „die marktgetriebene Flexibilisierung betrieblicher Arbeitsverhaltnisse immer weniger durch eine robuste sozialstaatliche Regulationsweise abgefedert wird“ (Brinkmann et al. 2006: 15). Auch der Deutsche Journalisten Verband schreibt von dieser Flexibilisierung und neuen Anforderungen an Journalisten, die das Berufsbild zunehmend verandern. Immer mehr technische und organisatorische Aufgaben gehören heute zum Arbeitsalltag von Journalisten. So produzieren beispielsweise Hörfunkjournalisten an digitalen Arbeitsplat- zen ihre Sendungen komplett selbst. Dieser Wandel sorgt dafür, dass Tarifvertrage nicht mehr gelten, was sich am Einkommen der Betroffenen bemerkbar macht. (vgl. DJV 2017a)
2.1 Journalisten in Deutschland
Die Grundgesamtheit der Journalisten in Deutschland ist schwer zu ermitteln. Im Jahr 2017 ging man von einer qualifizierten Schatzung von 41.250 hauptberuflichen Journalisten und 9.600 freiberuflichen Journalisten in Deutschland aus (Steindl et al. 2017). Diese Journalisten sind meist hoch gebildet. Denn „Journalismus in Deutschland wird vor allem von Aka- demikern betrieben.“ (Steindl et al. 2017: 414) In der Studie von Steindl et al. aus dem Jahr 2015, in der 775 Journalisten befragt wurden, verfügten 75,5 Prozent über einen Studienabschluss. Von den freiberuflichen Journalisten konnten sogar 82,0 Prozent ein abgeschlossenes Studium vorweisen (ebd.). Im Berufsfeld des Journalismus arbeiten in Deutschland zudem überwiegend Manner. Frauen machten im Jahr 2015 unter den haupt- beruflichen Journalisten in Deutschland einen Anteil von 40,1 Prozent aus. Unter den Freien waren 41,5 Prozent weiblich (vgl. Steindl et al. 2017: 413). Frauen sind besonders im Bereich der Nachrichtenagenturen mit einem Anteil von 27,5 Prozent und bei Tageszei- tungen mit 30,7 Prozent unterreprasentiert (vgl. ebd.: 416).
Zu den Formen der von Journalisten als unsicher empfundenen Arbeitsbedingungen zahlen befristete Vertrage, die Anstellung in Leiharbeit und Teilzeit, fehlende rechtliche Absiche- rung, sowie die freiberufliche Arbeit. Freie Journalisten machen einen bedeutenden Anteil der Berufsgruppe aus und weisen im Vergleich zu Journalisten in einem festen Arbeitsver- haltnis allerlei Besonderheiten auf (vgl. DJV 2012). Dass der hohe Akademisierungsgrad nicht automatisch auf eine besonders gute finanzielle Situation der Erwerbstatigen schlieBen lasst, zeigt sich an den Einkommen der in den Studien von Schnedler und Steindl et al. befragten Journalisten.
2.2 Einkommen
Das Erwerbseinkommen von Journalisten in Deutschland ist so unterschiedlich wie die Beschaftigungsformen. Bei einer atypischen Beschaftigung, ebenso wie bei vielen freien Journalisten, sind im Vergleich zum Normalarbeitsverhaltnis, etwa einer unbefristeten Festanstellung als Redakteur, EinbuBen beim Gehalt zu beobachten. Besonders am Anfang ihrer Karriere berichten viele Journalisten von geringen Einkommen. Unter den, aus ver- schiedenen Mediensparten stammenden, Befragten der Studie von Thomas Schnedler (2020) berichtet nur ein atypisch Beschaftigter über ein Brutto-Einstiegsgehalt von monat- lich 3300 Euro. Alle anderen Befragten Berufseinsteiger kamen auf Gehalter von 2500 Euro bis 2900 Euro brutto. (Vgl. Schnedler 2020: 122) Die Einkommen liegen damit weit unter dem deutschen Durchschnittseinkommen von 3880 Euro brutto (statista 2020). In der Studie von Steindl et al., die 2017 publiziert wurde, gaben die Befragten am haufigsten mit 25,5 Prozent ein Netto-Gehalt zwischen 1801 und 2400 Euro an. Von den befragten Frauen gaben sogar 31,4 Prozent ein Netto-Gehalt in diesem Bereich an. 17,4 Prozent der Befragten kamen nur auf Netto-Gehalter unter 1801 Euro (Steindl et al. 2017: 415).
Auch mit fortgeschrittener Berufserfahrung sind bei den meisten Befragten nur kleine Ge- haltssteigerungen eingetreten. In der Studie heiBt es dazu: „Dass die kontinuierlich wach- sende Berufserfahrung und dauerhafte Zugehörigkeit zu einem Unternehmen zu Gehalts- steigerungen führen, ist ein Prinzip, dass sich zwar in den Gehaltstabellen der Tarifvertra- ge, nicht aber zwingend in der Berufswirklichkeit der atypisch beschaftigten Redakteure findet.“ (Schnedler 2020: 120f)
Auch bei freien Journalisten gibt es gravierende Unterschiede. Überdurchschnittliche Ein- nahmen erhalten nach der Studie von Schnedler nur freie Journalisten, die für öffentlich- rechtliche Sender arbeiten. Schnedler führte in seiner Studie Interviews mit 30 Journalisten. Die meisten freien Journalisten werden mit Pauschalhonoraren entlohnt. Diese reichen in der Studie von einem Tagessatz in Höhe von 120 Euro an einem Werktag bis zu einem Tagessatz in Höhe von 294 Euro für die Pauschalisten. Einige Befragte gaben an, Brutto- stundenlöhne von 13,77 oder 15 Euro erhalten zu erhalten. Zudem stehen journalistischer Aufwand und Honorar nicht im Einklang. Befragte berichten von sehr geringen Einkom- men und unpünktlicher Bezahlung. Im Jahr 2014 lag das Durchschnittseinkommen freier Journalisten im DJV bei 2.180 Euro brutto (DJV 2014: 2). Eine Befragte der Studie von Schnedler berichtet davon, dass sie 20 Cent pro geschriebene Zeile erhalt. Der Verlag, bei dem sie beschaftigt ist, setzt die Vergütungsregel in Höhe von 47 Cent schlichtweg nicht um (Schnedler 2020: 123ff). Die journalistischen Berufsfelder, in denen diese Problemfel- der besonders auffallen, sind der Online-Journalismus und Lokaljournalismus. Auch bei der ausschlieBlichen Tatigkeit im Print-Journalismus gibt es diese Probleme. Als „nicht existenzsichernd“ beschreiben sieben Befragte der Studie ihre Arbeit, „so dass der Journa- lismus für sie in materieller Hinsicht prekar ist“ (ebd.: 131).
2.3 Rechtliche Absicherung
In rechtlicher Hinsicht zeigen sich atypische und prekare Arbeitsverhaltnisse zudem meist im Ausschluss tariflicher Standards. Die Festanstellung bei einem Redaktionsdienstleister (siehe 2.2.2) dient oft der Umgehung von Tarifvertragen. Drei von sieben atypisch be- schaftigten Redakteuren in der Studie von Schnedler berichten zudem von einer lückenhaf- ten rechtlichen Absicherung hinsichtlich ihrer Arbeitsvertrage (vgl. Schnedler 2020: 136). In sogenannten Rahmenvertragen binden beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Rund- funkanstalten freie Mitarbeiter an sich. Damit fallen einige von ihnen in einen Schutzbe- reich, der ihnen Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Zahlungen im Krankheitsfall, sowie ein relativ hohes Einkommen bietet (vgl. ebd.: 137f). Ein Graubereich entsteht hier aber dann, wenn im Vertrag kein Mindestbetrag oder eine Mindestzeit für die Beschaftigung festge- legt wird. Fehlen diese Zusicherungen vonseiten des Arbeitsgebers, kann die Beschafti- gung vom Finanzamt nach einer Statusüberprüfung als illegale Scheinselbstandigkeit ge- ahndet werden (vgl. ebd.: 138, 140).
Neben der arbeitsrechtlichen Absicherung gibt es oft Unstimmigkeiten bezüglich der ge- setzlichen Kranken- Pflege- und Rentenversicherung für Journalisten. Hier hat der Gesetz- geber bereits im Jahr 2004 reagiert. Nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz, kurz KSVG, werden Künstler und Publizisten über die Künstlersozialkasse in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung versichert. Als Publizist wird dabei einge- schlossen, wer als Schriftsteller, Journalist oder in ahnlicher Weise wie ein Schriftsteller oder Journalist und dabei selbstandig und erwerbsmaBig tatig ist. Versichert werden Personen jedoch nur, wenn das Einkommen jahrlich mit mindestens 3.900 Euro oder monatlich 325 Euro angegeben wird (KSK 2020a). Die versicherten Journalisten zahlen nur die Half- te der Versicherungsbeitrage, wahrend der andere Teil über die Künstlersozialversicherung aus einem Zuschuss des Bundes und aus einer Abgabe der Unternehmen finanziert wird. Die KSK bietet zudem die Möglichkeit, im Krankheitsfall früher als ab der sechsten Wo- che Krankengeld zu erhalten (KSK 2020b). Im Jahr 2014 waren über 70 Prozent der frei- beruflichen Mitglieder im DJV in der KSK und zwei Drittel der freiberuflichen Journalisten auch über diese krankenversichert (DJV 2014: 9).
2.4 Arbeitsvertrage
Einige sogenannte Redaktionsdienstleister bieten Journalisten Arbeitsvertrage in Form einer Leiharbeits-Konstruktion. Beispielsweise ehemalige Pauschalisten (siehe 2.2) wurden in der Vergangenheit bei diesen Redaktionsdienstleistern fest angestellt und dann an die jeweiligen Tageszeitungen entliehen (vgl. Schnedler 2020: 134). Neben dieser Form der atypischen Beschaftigung ist auch Teilzeitbeschaftigung unter festangestellten Journalisten ein Problem. Einige altere Journalisten wahlten diese Form der Beschaftigung in der Ver- gangenheit freiwillig, um beispielsweise mehr Zeit für ihre kreative Entfaltung zu haben. Meist jüngere Journalisten und Berufseinsteiger werden jedoch selten vor diese Wahl ge- stellt und Teilzeitbeschaftigung zahlt sich für sie, hinsichtlich ihrer Altersvorsorge und ihres Einkommens, nicht aus (vgl. ebd.: 135).
Ein weiteres Problemfeld sind befristete Arbeitsverhaltnisse. Sie weisen eine Zeitbefris- tung auf und enden mit dem Ablauf der Zeit. Befristete Arbeitsverhaltnisse gehörten für neun von elf Befragte der Studie von Thomas Schnedler zum Berufseinstieg. Begründet wird diese befristete Form der Anstellung beispielsweise mit der schwierigen wirtschaftli- chen Lage eines Verlags oder auch der Etablierung einer Art verlangerter Probezeit neuer Angestellter oder Berufsanfanger für den Arbeitnehmer. Von befristeten Arbeitsvertragen sind jedoch nicht nur Berufseinsteiger betroffen. Auch Journalisten, die bereits über viele Jahre für verschiedene Arbeitgeber tatig waren, berichten von sogenannten Kettenbefris- tungen, welche sich nur selten als Sprungbrett in eine unbefristete Stelle nutzen lassen (Schnedler 2020: 132f).
2.5 Freiberufliche Arbeit
In Deutschland arbeiteten laut DJV im Jahr 2012 von ca. 72.500 Journalisten ca. 26.000 als Freie (DJV 2012). Im Jahr 2017 schatzte man die Zahl inzwischen auf ca. 27.000 freie Journalisten (DJV 2017). Einer der Gründe für das haufige Auftreten und vermutlich auch den Anstieg dieser Form der Beschaftigung liegt in den ökonomischen Vorteilen für die Arbeitgeber. Es fallen für die Arbeitgeber weniger Nebenkosten und Sozialbagaben an und die Anstellung ist flexibler kündbar. Weiterhin dafür verantwortlich ist die fortschreitende Technisierung des Berufs und auch eine Ausbildung über den Bedarf hinaus wird als Grund angenommen (vgl. Buckow 2011: 25). Die zunehmende Konkurrenz am Markt macht den Freiberuflern zu schaffen. Sie müssen sich verstarkt selbst vermarkten und Redakteure von ihrer Arbeit überzeugen, damit diese ihre Produkte annehmen. (vgl. Steindl et al. 2018, zitiert nach Meyen/Springer 2009: 151)
Freie Journalisten weisen meist einen höheren Akademisierungsgrad auf, als ihre festangestellten Kollegen. In einer Umfrage unter den Mitgliedern des Interessenverbands Freischreiber, der ausschlieBlich die Interessen der Freien vertritt, hatten 74 Prozent der Befragten einen Hochschulabschluss. Acht Prozent der Befragten haben sogar promoviert (Buckow 2011: 49). Die Zahlen deuten auf eine kontinuierliche Bedeutungszunahme akademischer Abschlüsse hin. (vgl. Steindl et al. 2018). Trotz des meist hohen Grad an Bildung müssen freie Journalisten oft einer Nebentatigkeit nachgehen, um über die Runden zu kommen. Der GroBteil der in der Erhebung von Steindl et al. befragten Personen arbeitet in drei Redaktionen gleichzeitig. Über 30 Prozent der freien Journalisten gehen auBerdem einer Nebentatigkeit fern des Journalismus nach, was sich auch in einer Umfrage im Verband Freischreiber bestatigt (vgl. Buckow 2011: 56). Dabei sind die Anforderungen in ihrem Hauptberuf sogar höher, als jene an festangestellte Journalisten. Freie sind zum GroBteil mit speziellen Ressorts betraut, was auf einen höheren Grad an Spezialisierung deutet (vgl. Steindl et al. 2018). Die Altersstruktur unter den Freien lasst sich anhand von Daten aus der Umfrage von Buckow eingrenzen. Menschen unter 25 Jahren sind unter den Freien kaum anzutreffen. Der gröBte Teil ist zwischen 36 und 45 Jahren alt (Buckow 2011: 51).
Unterschiede im Einkommen zeigen sich zwischen den Geschlechtern der freien Journalisten besonders Stark. Die Ergebnisse der Umfrage von Buckow zeigen, dass Manner unter den Freien im Durchschnitt rund 700 Euro mehr verdienen als Frauen. Das könnte sich jedoch auch mit den Arbeitszeiten begründen lassen. Arbeiten Manner, die im Interessenverband Freischreiber Mitglied sind durchschnittlich 44 Stunden pro Woche, sind es bei Frauen nur 39 Arbeitsstunden. Die Einkommensunterschiede bestehen laut Buckow jedoch auch, wenn man Manner und Frauen mit gleichen Arbeitszeiten vergleicht (Buckow 2011: 53).
Wahrend der Corona Pandemie bis Juni 2020 sank das Einkommen freier Journalisten im Verband DJV von einem monatlichen Durchschnitt von 2.470 Euro auf 780 Euro. 30 Prozent der Freien kamen sogar auf nur bis zu 500 Euro monatlich, was eine Umfrage ergab (DJV 2020a).
3 Verbande und ihre Funktionen im politischen System
Das Funktionsspektrum deutscher Verbande ist umfangreich (Sebaldt/StraBner 2004). Ein Teil dieses Spektrums ist die Interessenaggregation, die mitsamt einer eindeutigen Formu- lierung eine notwendige Voraussetzung für die politische Handlungsfahigkeit eines Verbandes ist. Sie bezeichnet die „Bündelung einer Vielzahl zumeist heterogener Wünsche und Forderungen zu einheitlichen verbandspolitischen Zielen“ (vgl. Sebaldt/StraBner 2004: 59f). GroBe Verbande sind dabei komplizierteren Aggregationsprozessen ausgesetzt, als kleinere, da innerhalb der groBen Verbande verschiedene Interessenlagen verschiedener Gruppen bestehen können. „Was den Beschaftigten der einen Branche dienlich ist, kann für die Angehörigen des anderen Sektors schadlich sein.“ (ebd.: 60). Die aus der Aggregation resultierenden Wirkungen auf das politische System werden als Interessenselektion bezeichnet. Die Selektion besonders wichtiger Interessen geschieht, da nicht alle Einzelinteressen von staatlicher Seite berücksichtigt werden können (vgl. von Winter et al. 2007: 26). Als nachster Schritt bezeichnet die Interessenartikulation die Umformung von latenten Interessen in manifeste Interessen. Dabei wenden sich die Verbande „zur Durchsetzung der Mitgliederinteressen mit Vorschlagen und Forderungen an die Inhaber von Entschiedungspositionen im politischen System“ (ebd.: 63). AuBerdem wirken Verbande an der Integration der Bürger in den Staat mit, indem sie dem Individuum eine Möglichkeit geben, für seine Interessen zu streiten und ihm die Komplexitat rivalisierender Interessen vermitteln. Weiterhin ermöglichen Interessenverbande auch die Möglichkeit zur Partizipation und politischen Teilhabe (vgl. ebd.: 64f).
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[I] In dieser Arbeit wird das generische Maskulinum verwendet, um eine verbesserte Lesbarkeit zu gewahrleis- ten. Die verwendeten Begriffe beziehen sich auf alle Geschlechter gleichermaBen.