Leseprobe
Inhalt
1. Analyse der Novelle ,La dot" von Guy de Maupassant
2. Bibliographie
2.1. Primarliteratur
2.2. Sekundarliteratur
1. ANALYSE DER NOVELLE „LA DOT“ VON GUY DE MAUPASSANT
„Je vois des choses farces, farces, farces, et d’autres qui sont tristes, tristes, tristes; en somme tout le monde est bête, bête, bête, ici comme ailleurs.“1 Guy de Maupassant an Gustave Flaubert (1879)
Die Novelle „La dot“ von Guy de Maupassant wurde erstmals im September 1884 veröffentlicht und erzählt die Geschichte eines frischverheirateten Paares. Voller Hoffnung auf eine glückliche Ehe wird die junge Frau bereits auf der Hochzeitsreise von ihrem Ehemann verlassen, da er es nur auf ihre Mitgift abgesehen hatte. In der folgenden narrativen Analyse wird erörtert, inwiefern Guy de Maupassant durch sein Werk Komik entfaltet und im weiteren Sinne auch Kritik an den menschlichen Fehlern und Schwächen der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts übt. Des Weiteren wird analysiert, ob seine Kritik auch auf die heutige Gesellschaft übertragbar ist.
Der Ehemann Simon Lebrument dient als Beispiel für Geldgier und Habsucht in einer von materiellen Gütern bestimmten Gesellschaft. Zentrales Thema der Novelle ist dabei die Mitgift. Guy de Maupassant thematisiert Selbstsucht und Skrupellosigkeit, wobei Werte wie Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit völlig verdrängt werden.
Guy de Maupassant beherrscht das Schreiben von naturalistischen Novellen und es gilt, nun seine narrative Novelle „La dot“ auf histoire- und discours-Ebene zu analysieren. Greift man auf die Erzähltheorie von Gérard Genette zurück, so sollte bei der Bestimmung der Erzählsituation in einer Novelle sowohl die Erzählinstanz als auch die Perspektive herangezogen werden. Nach dem Narratologen Genette tritt hier ein heterodiegetischer Erzähler auf, der nicht Teil der Geschichte ist und sich auf der ersten Ebene, der sogenannten extradiegetischen Erzählebene befindet. Die Novelle beginnt mit einer Einführung in distanzierter Erzählform, wohingegen das Geschehen im Handlungsverlauf in Form von Dialogen mit Nähe zu den Figuren erzählt wird. Eine Nullfokalisierung bestimmt die Perspektivierung der Novelle, wobei Weitblick und übergeordnetes Wissen des Erzählers klar erkennbar sind. Gemäß Stanzel verrät der auktoriale Erzähler mehr, als die Figuren selbst wissen. Folglich gibt der auktoriale Erzähler eine Wertung ab und kommentiert. Er berichtet, wie die Figuren denken, fühlen und handeln, wie im Falle von Simon, der „ouvrait la bouche avec confiance“.2 Es gibt eine klar berichtende Erzählweise. Guy de Maupassant schreibt in der Vergangenheitsform und wechselt in seiner Kurzgeschichte „La dot“ zwischen Erzählbericht, Passagen mit wörtlicher Rede und integriert außerdem innere Monologe von Jeanne. Er versteht es, den Blick von außen nach innen zu lenken, sodass der Leser sich bald in Jeannes Gedanken und Gefühlswelt hineinversetzen kann und letztendlich mitfühlt. Durch die Verwendung vieler Nebensätze wird der Lesefluss verbessert. Guy de Maupassant orientiert sich bei seinen Beschreibungen stark an der Sinneswahrnehmung. Auffallend in der Novelle ist, dass Guy de Maupassant an wichtigen Stellen im Handlungsverlauf Absätze einbaut, wie beispielsweise beim Übergang von der Einführung zum eigentlichen Geschehen sowie bei Szenenwechsel und Übergang zum reinen Dialog.
Guy de Maupassant versteht es, durch Andeutungen und Vorahnungen in seiner Novelle beim Lesen von Anfang an Spannung aufzubauen. In der Exposition der Geschichte stellt er die Protagonisten und die Ausgangssituation vor. Er betont die Wichtigkeit der Mitgift. Schon jetzt vermittelt der Erzähler dem Leser, dass Simon Lebrument Jeanne nicht aus Liebe, sondern nur wegen ihrer Mitgift geheiratet hat, um von dem Geld das Notarbüro von Papillon zu kaufen. Im Folgenden erfährt der Leser, dass die Heirat von Lebrument eiskalte Berechnung ist. Die Aussage von Lebrument „tout vient à point à qui sait attendre“ lässt bereits darauf schließen3, dass er etwas im Schilde führt. Bereits zu diesem Zeitpunkt bekommt der Leser eine Vorahnung, dass sich eine Katastrophe anbahnen wird. Hartnäckig arbeitet er an der Umsetzung seines Plans, indem er Jeanne bittet, ihren Vater dazu zu bringen, ihm die Mitgift vor Antritt ihrer Reise nach Paris auszuhändigen. Die Bedenken des Schwiegervaters, dass die Mitnahme von so viel Geld gefährlich sei, räumt er mit den Worten „ne vous inquiétez de rien, beau papa, j’ai l’habitude de ces choses-là“ aus dem Weg.4 Schließlich habe er von Berufswegen manchmal mehr als eine Million bei sich, um unnötige Formalitäten zu vermeiden, so Lebrument. Hier will Simon Lebrument den Schwiegervater beeindrucken. Schon hier lässt sich vermuten, dass er nicht die Wahrheit sagt, sondern hochstapelt. Konflikte zeichnen sich ab durch die gegensätzlichen Erwartungen von Jeanne und Simon. Während sich Jeanne nach Liebe sehnt, scheint ihn nur die Mitgift zu interessieren. Als er seine Frau fast gewaltsam in den Innenraum des Buses schiebt, um auf dem Oberdeck eine Zigarette rauchen zu gehen, ahnt der Leser bereits nichts Gutes. Durch ein retardierendes Moment steigert Guy de Maupassant die Spannung, indem er die Mitfahrer im Bus detailliert beschreibt. Damit zögert er den Zeitpunkt hinaus, bis der Leser über das Vorhaben von Lebrument die Wahrheit erfährt. Die angekündigte Fahrzeit von „cinq minutes de route“ zieht sich ewig.5 Erst als Jeanne, bald alleine im Bus sitzt, kündigt sich eine Katastrophe an, denn Lebrument hat seine Frau im Stich gelassen. Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als Jeanne schließlich bewusst wird, dass sie sich alleine in einem weit entfernten Stadtviertel befindet. Der Dialog zwischen Jeanne und dem Busfahrer, bestehend aus einer Reihe von kurzen Fragen und direkten, unbeschönigten Antworten, stellt den Wendepunkt der Novelle dar. Jeanne bekommt Panik. Die Vermutung des Lesers, dass Lebrument seine Frau mitsamt dem Geld verlassen hat, bestätigt sich. In ihrer Verzweiflung sucht Jeanne Zuflucht bei ihrem Cousin Henry, der Verständnis für ihre Situation aufbringt und sich ihrer annimmt. Das Ende wird jedoch offen gelassen.
Auffällig ist, dass sich die Geschichte in einem sehr kurzen Zeitraum von ca. einer Woche abspielt. In seinem Werk „La dot“ verwendet Guy de Maupassant vielfältige narrative Methoden zur Entfaltung von Milieu und Atmosphäre. Die verschiedenen Chronotopoi charakterisieren den Zusammenhang von Ort und Zeit seiner Novelle und stehen in engem Zusammenhang mit den Figuren seiner Geschichte. Die Stadt Paris spielt als Chronotopus eine wichtige Rolle in der Handlung. Einerseits ist Paris die Stadt der Liebenden, dort treffen aber andererseits auch die unterschiedlichsten Figuren verschiedener Bevölkerungsschichten aufeinander. Bei der Personenkonstellation der Protagonisten wählt Guy de Maupassant klischeehaft Mann und Frau, die im Charakter und von ihrem Wesen her nicht unterschiedlicher sein könnten. Simon Lebrument wird als ein „beau garçon qui avait du chic, chic notaire“ geschildert.6 Jeanne, die Ehefrau von Simon, verfügt über „de la grâce et de la fraîcheur, de la grâce un peu gauche“.7 Außerdem wird sie als „une belle fille désirable et fêtable“ beschrieben.8 Gleich zu Beginn der Novelle lässt uns der Erzähler wissen, dass Fräulein Jeanne Cordier aus einer wohlhabenden Familie stammt und „trois cent mille francs liquides“ in die Ehe mitbringt.9 Somit ist sie eine gute Partie für Simon Lebrument, der Kapital benötigt. Naiv und blind vor Liebe vertraut sie ihrem Ehemann, der gleichzeitig „patient et énergique“ ist und seine Frau nicht zu schätzen weiß,10 bereits nach vier Tagen und bittet ihren Vater um Aushändigung der Mitgift. Voller Begeisterung stimmt sie eine Woche nach der Hochzeit Simons Vorschlag zu, eine Parisreise „comme les amoureux“, zu machen.11
Schon am „mardi suivant“12 begleiten ihre Eltern das frischverheiratete Paar zum Bahnhof. Sie fahren eine Stunde mit dem Zug und steigen am „gare Saint-Lazare“ in Paris aus. Laut Simon achtet Jeanne nicht auf das Geld und will mit der Pferdekutsche fahren, was er aber ablehnt. Sie entscheiden sich letztendlich für eine Fahrt mit dem Bus. Diese Textstelle ist eine Schlüsselszene in der Novelle, da sich Jeannes Gemütsverfassung vollkommen verändert. Guy de Maupassant beschreibt Jeanne vor der Reise als überglücklich mit ihrem Mann, von dem sie „ne pouvait plus se passer de lui“.13 Doch nun folgen Verwunderung und Enttäuschung bei Jeanne darüber, dass Simon nicht mit ihr in den Bus steigt, sondern sich auf das Oberdeck begibt. Völlig niedergeschlagen nimmt sie zwischen den anderen buntgemischten Passagieren aus allen sozialen Klassen Platz. Der Omnibus steht für den Ort, an dem höchst unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen und permanent ein- und aussteigen. Es ist erwähnenswert, dass Guy de Maupassant für die Passagiere wenig schmeichelhafte Worte hat. Der Leser nimmt durch die Beschreibung der Szenerie im Omnibus mit allen Sinnen am Pariser Leben Teil. Sogar der Geruchssinn des Lesers wird angesprochen, wenn Guy de Maupassant beispielsweise die hart arbeitenden kleinen Leuten beschreibt und unter anderem von der Köchin spricht, die „rouge, essoufflée [...] une forte senteur d’eau de vaisselle“ im Omnibus verbreitet.14
Er vermittelt in Perfektion, dass die bewegungslose Jeanne sich in Mitten der fremden Menschen verloren fühlt. Viele Passagiere bilden einen starken Kontrast zur Person von Jeanne und sie fühlt sich zunehmend unwohl in der Umgebung, die ihr noch dazu völlig fremd ist. Im übertragenden Sinne stehen die Passagiere im Omnibus auch als Metapher für das Kommen und Gehen von Menschen im Leben von Jeanne und es lässt sich erahnen, dass eine Veränderung in ihrem Leben bevorsteht. Mit der Frage, „pourquoi n’est-il pas venu avec moi?“,15 überkommt sie ein Gefühl von Traurigkeit darüber, dass Simon das Zigarettenrauchen dem Zusammensitzen mit ihr im Bus vorzieht. Sie kämpft mit den Tränen und gerät in Panik, als sie von dem gefühlskalten Busfahrer schonungslos erfährt, dass ihr Ehemann sie in einer unbekannten Stadt ohne Geld allein gelassen hat. Die geraubte Mitgift steht an dieser Stelle für Jeannes gebrochenes Herz. In Gegenwart von Jeanne spricht der Busfahrer in dritter Person über sie als „une dame que son époux a lâchée en route“ und möchte sie schnell loswerden,16 um seine Route fortzusetzen. Ihr Dialog mit dem Busfahrer kann sozialkritisch verstanden werden, da der Busfahrer kein Mitgefühl mit Jeanne zeigt und ihr keinerlei Hilfe anbietet. Instinktiv wirft sie beim Aussteigen aus dem Bus in Vaugirard, einem weit abgelegenen Viertel, noch einen Blick auf das leere Oberdeck. Niedergeschlagen und völlig ratlos macht sie sich weinend mit „deux francs dans sa poche“ in einer Pferdekutsche auf den Weg zu ihrem Cousin Henry.17 Er ist die einzige Person, die sie in der Metropole Paris kennt. Bewusst hat Guy de Maupassant, wie bereits erwähnt, in seiner Novelle Paris, die Stadt der Liebe und Kultur, als Ziel der Hochzeitsreise ausgewählt. Paris steht in Kontrast zu Jeannes Herkunftsort Boutigny-le-Rebours und das Gefühl des Verlorenseins und der Hilflosigkeit in der Großstadt werden bei Jeanne verstärkt. Der Leser fühlt mit ihr. Indirekt wird auch hier Guy de Maupassants Kritik spürbar an der Gesellschaft, da sich Jeanne ganz alleine und im Stich gelassen fühlt von ihrem Mann und dem Busfahrer, der die Gesellschaft repräsentiert. Nur der sich kümmernde Cousin hat eine gute Seele und macht Jeanne klar, dass Simon ein Hochstapler ist. Die Novelle endet abrupt und der Leser wird im Unklaren gelassen, wie es im Leben von Jeanne weitergeht.
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1 Mahn, Paul: Guy de Maupassant Sein Leben und seine Werke, Berlin, Egon Fleischel und Co. 1908, 5.
2 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
3 Maupassant, Guy De: „La dot“ in Contes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
4 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 327.
5 Maupassant, Guy De: „La dot“ in Contes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 328.
6 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
7 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
8 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
9 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
10 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
11 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 327.
12 Maupassant, Guy De: „La dot“ in Contes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 327.
13 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 326.
14 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 329.
15 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 329.
16 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 331.
17 Maupassant, Guy De: „La dot“ inContes Et Nouvelles II, Paris, Gallimard 1979, 331.