Diese Arbeit befasst sich mit der wachsenden Bedeutung und Umsetzungen der arbeitsprozessbezogenen Qualifizierung im Dualen System an den Lernorten Betrieb und Berufsschule.
Das Ziel der Arbeit ist die Erforschung der arbeitsprozessbezogenen Didaktik mit ihren beiden Ausrichtungen der arbeitsprozessgebundenen und –orientierten Didaktik für die Gestaltung und Entwicklung von handlungsorientierten Qualifizierungsmaßnahmen (in Form von aufgabenbezogenen Lernformen der Arbeits- und Lernaufgaben sowie Lern- und Arbeitsaufgaben).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Relevanz und Ziel der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2. Entwicklungstendenzen beruflicher Bildung
2.1 Renaissance des Lernens in der Arbeit
2.2 Arbeits(-prozess)orientierte Wende
2.3 Handlungskompetenz - Das übergeordnete Bildungsziel
2.3.1 (Handlungs-)Kompetenzbegriff
2.3.2 Kompetenzentwicklung und ihre methodisch-didaktische
Unterstützung
3. Der Arbeitsprozessbezug in der beruflichen Bildung
3.1 Instrumente der berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung für die
Arbeitsprozessanalyse
3.2 Der Arbeitsprozess als analytische Kategorie
3.3 Arbeitsbezogenes Lernen - Arbeitsgebundenes, arbeitsverbundenes und
arbeitsorientiertes Lernen
3.4 Aufgabenbezogene Lernformen
4. Forschungsfrage und methodisches Vorgehen
4.1 Forschungsfrage
4.2 Methodisches Vorgehen
4.2.1 Durchführung des Literatur-Reviews
4.2.2 Auswahl der Analysekriterien
5. Arbeitsbezogene Lernformen
5.1 Arbeitsprozessbezogenes Lernen am Lernort Betrieb
5.1.1 Organisation, Rahmenbedingungen und Zuständigkeit
5.1.2 Kompetenzmodell für die betriebliche Ausbildung
5.1.3 Arbeiten und Lernanlässe in der Arbeit
5.1.4 Lerntheoretischer Hintergrund des Lernens in der Arbeit
5.1.5 Kompetenzentwicklung am Lernort Betrieb
5.1.6 Arbeits- und Lernaufgaben als arbeitsbezogene Lernform
5.1.7 Arbeitsplatzbezogene betriebliche Lernorganisation
5.2 Arbeitsprozessbezogene Didaktik am Lernort Berufskolleg
5.2.1 Rahmenbedingungen und Bildungsgangarbeit
5.2.2 Kompetenzmodell für die berufsschulische Ausbildung
5.2.3 Das Lernfeldkonzept und die arbeitsprozessorientierte Didaktik
5.2.4 Lerntheoretischer Hintergrund
5.2.5 Kompetenzentwicklung in der Berufsschule
5.2.6 Lern- und Arbeitsaufgaben
5.2.7 Berufsschulbezogene Lernorganisation
6. Ergebnis und Fazit
6.1 Ergebnisdarstellung
6.2 Ergebnisanalyse und -auswertung
6.3 Ausblick und Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gegenstandsbereich der Arbeit
Abbildung 2: Aspekte des Kompetenzbegriffs
Abbildung 3: Struktur eines Arbeitsprozesses
Abbildung 4: Dimensionen des Arbeitsprozesses/der Facharbeit
Abbildung 5: Kompetenzmodell für die kompetenzorientierte Gestaltung von Ausbildungsordnungen
Abbildung 6: Grundlegender Zusammenhang der Realität des Lernens in der Arbeit mit den adäquaten Unterstützungsleistungen
Abbildung 7: Betriebliche Lern- und Wissensarten
Abbildung 8: Bedingungsrahmen reflexiven Handelns
Abbildung 9: Verlauf der Arbeits- und Lernaufgaben im ITAQU-Projekt
Abbildung 10: Doppelte Infrastruktur der betrieblichen Bildungsarbeit
Abbildung 11: Aufgabe der Bildungsgangarbeit der Berufsschule
Abbildung 12: Übergang von Makro- auf Mikro-Ebene der didaktischen Planung durch die Bildungsgangarbeit
Abbildung 13: Handlungskompetenz der KMK
Abbildung 14: Planungs- und Abhängigkeitsschema
Abbildung 15: Verortung der arbeitsprozessorientierten Didaktik
Abbildung 16: Idealtypischer Kreislauf der vollständigen Handlung
Abbildung 17: Dependenzthese und Implikationszusammenhang
Abbildung 18: Klärung fachsystematischer Inhalte nach arbeitsprozessorientierter Didaktik 61 Abbildung 19: Gesamtkonzept der Kompetenzwerkst@tt
Abbildung 20: Struktur der Arbeitsprozessmatrix mit Variantenfeldern A, B und C
Abbildung 21: Handlungsfeld
Abbildung 22: Kompetenzförderung innerhalb einer Lern- und Arbeitsaufgabe
Abbildung 23: Handlungsfeld - Kompetenzprofil
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Typen arbeitsbezogenen Lernens
Tabelle 2: Kriterien lern- und kompetenzförderliche Arbeit
Tabelle 3: Gegensätze des Frontalunterrichts und der Handlungsorientierung
Tabelle 4: Ergebnistabelle
Tabelle 5: Was ist eine arbeitsprozessbezogene Didaktik?
Abkürzungsverzeichnis
Arbeits- und Lernaufgaben
Berufsbildungsgesetzt
Bundesinstitut für Berufsbildung
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Die Zeitschrift für Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis
Deutscher Qualifikationsrahmen
Handwerksordnung
Institut für Berufliche Bildung
Informationstechnologie und arbeitsprozessorientierte Qualifizierung
Kultusministerkonferenz
Lern- und Arbeitsaufgaben
Lehrerinnen und Lehrer
Schülerinnen und Schüler
1. Einleitung
1.1 Relevanz und Ziel der Arbeit
Die Ausbildung im Dualen System soll auf die kompetente Bewältigung von Herausforderungen in der beruflichen Praxis vorbereiten. Diese hat sich in den letzten Jahrzehnten vielfach verändert, wodurch die Ausbildung modernisiert und angepasst werden musste, um weiterhin den Bildungsauftrag zu erfüllen. Die alleinige Erneuerung der Ordnungsmittel reichten allerdings nicht aus, um die Auszubildenden auf die Praxis vorzubereiten. Untersuchungsergebnisse zeigten, „dass bei über 90% der Auszubildenden das in der Ausbildung erworbene Wissen und die berufstypische Handlung nach 18 Monaten mehr oder weniger beziehungslos nebeneinander stehen [sic!]. Eine inhaltlich sinnvolle Beziehung zwischen Wissen und Handeln konnten die meisten noch nicht herstellen" (Fischer, 2003, S. 7). Der Grund hierfür war das arbeitsferne Lernen in der dualen Ausbildung (vgl. Fischer, 2003, S. 1). Aus der Notwendigkeit heraus, dass „eine intentionale Kompetenzentwicklung [.] handlungsorientierte, individualisierte und ganzheitliche Lern- und Entwicklungskontexte erforderlich“ (Schröder, 2010, S. 164) macht, sollten arbeitsprozessbezogene und handlungsorientierte Lernformen für den betrieblichen und berufsschulischen Bereich entwickelt werden, um auf ein Arbeiten und damit verbundenes informelles Lernen - im Sinne eines lebenslangen Lernens1 (vgl. Molzberger, 2008, S. 30) - in der Arbeitswelt vorzubereiten. Allerdings wurden die nötigen Zusammenhänge der Arbeitsprozesse der beruflichen Realität bis auf die Ebene von methodisch-didaktischen Lernformen bis heute nicht vollständig aufgeklärt (vgl. Becker, 2013, S. 4). „Aus der gegenwärtigen Sichtweise ist festzustellen, dass es in den letzten Jahren [.] kaum nennenswerte Weiterentwicklungen für die didaktischen Theorien in der beruflichen Bildung gegeben hat" (Grantz, Schulte & Spöttl, 2013, S. 1). Die Suche nach tragfähigen Konzepten für die berufsschulische Bildung ist zudem von einer Unübersichtlichkeit geprägt (vgl. Becker, 2013, S. 4). Gründe hierfür sind „erstens das in den Vordergrund tretende Verständnis betrieblicher statt beruflicher Arbeitsprozesse, zweitens die nach allgemeindidaktischen Kriterien getroffene Auswahl der Inhalte und drittens die oft falsch verstandene Idee der Ableitung von Lernsituationen aus Lernfeldern" (Becker, 2013, S. 5) nach Bader. Um ein vollständiges Bild der beruflichen Ausbildung zu erhalten, muss im Zuge einer berufsschulischen Betrachtung auch der Ausbildungsbetrieb2 untersucht werden, da dieser zusammen mit der Berufsschule „die tragenden Säulen im Dualen System der Berufsausbildung" (Berben, 2008a, S. 78) bildet. Deswegen befasst sich diese Arbeit mit der wachsenden Bedeutung und Umsetzungen der arbeitsprozessbezogenen Qualifizierung im Dualen System an den Lernorten Betrieb und Berufsschule. Das Ziel der Arbeit ist die Erforschung der arbeitsprozessbezogenen Didaktik mit ihren beiden Ausrichtungen der arbeitsprozessgebundenen und -orientierten Didaktik für die Gestaltung und Entwicklung von handlungsorientierten Qualifizierungsmaßnahmen (in Form von aufgabenbezogenen Lernformen der Arbeits- und Lernaufgaben sowie Lern- und Arbeitsaufgaben) vor dem Hintergrund der Rahmenbedingungen des DualenSystems zu nutzen (vgl. Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gegenstandsbereich der Arbeit; eigene Darstellung
Dabei soll - soweit es der Rahmen dieser Arbeit erlaubt - eine Inventur arbeitsprozessbezogener Ansätze und deren Hintergründe erarbeitet werden, um die Forschungsfrage „Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben arbeitsprozessbezogene didaktische Ansätze in der beruflichen Bildungsarbeit an den Lernorten Betrieb und Berufsschule?“ zu bearbeiten. Hierbei werden Ergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen u.a. der berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung, Berufs(feld)didaktik, Berufswissenschaft, Berufsbildungsforschung, Erziehungswissenschaften, allgemeinen Didaktik und Lernpsychologie genutzt, um die arbeitsprozessbezogene Didaktik zu erfassen.
1.2 Aufbau der Arbeit
In Kapitel 2 erfolgt die Darstellung der Entwicklungstendenzen betrieblicher und berufsschulischer Bildung (Kapitel 2.1/Kapitel 2.2). Der Begriff der (Handlungs-)Kompetenz ist für die Ausformulierung des Bildungsauftrages die zentrale Zielausrichtung (Kapitel 2.3). Die in Kapitel 3.1 dargestellten Instrumente zur Erforschung der Arbeitsprozesse sind notwendig, um den Arbeitsprozess als analytische Kategorie (Kapitel 3.2) zu erfassen. Aus den verschiedenen Bezügen zum Arbeitsprozess ergeben sich unterschiedliche Ausrichtungen der arbeitsprozessbezogenen Didaktik (Kapitel 3.3). Die für die arbeitsprozessbezogenen typischen Lernformen (Arbeits- und Lernaufgaben sowie Lern- und Arbeitsaufgaben) werden anschließend definiert (Kapitel 3.4). Angeschlossen an die für den Forschungsprozess notwendige Theorie erfolgt die Darstellung der Fragestellung (Kapitel 4.1) und des methodischen Vorgehens (4.2). Da eine alleinige Forschungsfrage für die Erforschung der arbeitsprozessbezogenen Didaktik nicht ausreichend ist, wird der in Kapitel 4.2 aufgestellte Fragenkatalog für die einzelnen Lernorte des Betriebs (Kapitel 5.1) und der Berufsschule (Kapitel 5.2) beantwortet. Die Ergebnisse der Forschung werden in Kapitel 6.1 dargestellt. Anschließend werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der arbeitsprozessgebundenen und -orientierten Didaktik analysiert, woraus sich eine Definition der beiden Ausrichtungen der arbeitsprozessbezogenen Didaktik ergibt (Kapitel 6.2). Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem Fazit für die arbeitsprozessbezogene Didaktik und der Darstellung von zukünftigen zu bewältigen Herausforderungen (Kapitel 6.3).
2. Entwicklungstendenzen beruflicher Bildung
Im Folgenden werden die Entwicklungstendenzen der betrieblichen (Kapitel 2.1) und der daraus resultierenden berufsschulischen Entwicklung (Kapitel 2.2) dargestellt. Der mit der Entwicklung der beruflichen Bildung zentrale Begriff der (Handlungs-)Kompetenz wird anschließend erläutert (Kapitel 2.3).
2.1 Renaissance des Lernens in der Arbeit
„Das Lernen in der Arbeit ist die älteste und am weitesten verbreitete Form beruflicher Qualifizierung“ (Dehnbostel, 2008, S. 5). Im 20. Jahrhundert wurde dem Lernen in der Arbeit jedoch eher eine Nebenstellung zugesprochen (vgl. Molzberger, 2008b, S. 38). Der hauptsächliche Grund hierfür war, dass die Arbeit durch ihre „tayloristisch[e] Arbeitsorganisation" (Schröder, 2010, S. 162) wenig Möglichkeiten zum Lernen bot. Deswegen war die betriebliche Weiterbildung bis 1990 fast ausschließlich formal außerhalb der Arbeitshandlung organisiert (vgl. Molzberger, 2008b, S. 21). Durch den Beginn der dritten industriellen Revolution Anfang 1970 (vgl. Dehnbostel & Schröder, 2017, S. 2) änderten sich „die Anforderungen, die sich aus den fortschreitenden technischen und organisatorischen Veränderungen der Arbeitswelt erg[a]ben“ (Spöttl, 2016, S. 102), sodass die Arbeit zunehmend komplexer wurde. Die Unternehmenskonzepte wandelten sich von arbeitsteiligen hin zu prozessorientierten Arbeitsstrukturen (vgl. Maurer & Rauner, 2011, S. 4), was mit „einer Rücknahme sowohl horizontaler als auch vertikaler Arbeitsteilung einher [ging]“ (ebd., S. 6). Unternehmen entwickelten sich zu lernenden Organisationen, „die zum Lernen auf allen Ebenen (individuell und kollektiv) an- reg[ten]“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2001, S. 34) und so den Arbeitnehmern Raum gaben, sich zu entwickeln (vgl. Schulte & Schulz, 2008, S. 27). In der Qualifizierung der betrieblichen Bildung zeigte sich, dass formal organisierte Bildungskonzepte die „Kluft zwischen beruflicher Bildung und realen beruflichen Handlungsanforderungen vergrö- ßert[en]“ (Dehnbostel, 2016, S. 346). Die Zeit des einmaligen Erwerbs von Qualifikationen für die Arbeit war vorbei, da die „Arbeitsanforderungen immer weniger antizipierbar“ (ebd., 2016, S. 346) wurden. Wenn sich die Anforderungen an den Arbeitenden ändern, muss das berufsbezogene Lernen in die Arbeit integriert werden, um handlungsfähig im Beruf zu bleiben (vgl. Berger & Gidion, 2010, S. 40). Berufliches Lernen ohne eine „Bindung an reale Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen [.] führt [jedoch] allenfalls zu einer eingeschränkten beruflichen Handlungsfähigkeit" (Dehnbostel, 2016, S. 346). Bildungspolitisch kehrte man sich von dem Begriff der (Schlüssel-)Qualifikation ab (vgl. Hahne, 2013, S. 31), welcher „durch das Konstrukt der ‘Beruflichen Kompetenz‘ abgelöst" (Becker, 2010, S. 54) wurde. Die Handlungskompetenz wurde 1974 erstmalig als Ziel der Berufsbildung vom deutschen Bildungsrat ausgegeben (vgl. Berben, 2008b, S. 6). Es wurde erkannt, dass Arbeitnehmer zum Lösen komplexer Probleme, wie sie in der prozessförmigen Arbeit vorkommen, nur in Situationen, welche der beruflichen Praxis sehr ähnlich sind, vorbereitet werden können (vgl. Hahne, 2013, S. 31). In der betrieblichen Bildung wurden mit der kompetenzorientierten Wende neue Qualifizie- rungs- und Bildungskonzepte gefordert (vgl. Spöttl, 2016, S. 102). Die Arbeitswirklichkeit sowie subjekt- und arbeitsorientierte Lernkonzepte wurden wieder in den Fokus der beruflichen Bildung gerückt.
Konzepte wie Lernen im Arbeitsprozess, Lernen am Arbeitsplatz, Lernen in der Arbeit, arbeitsplatznahes Lernen, Lernen am Kundenauftrag oder dezentrales Lernen wurden intensiv diskutiert als Antwort auf die Frage, wie Berufliche Bildung Beschäftigte nahezu aller Wirtschaftssektoren und Berufsfelder auf zum Teil grundlegend veränderte Qualifikationsanforderungen angemessen vorbereiten können.
Howe, 2008, S. 2
Durch die neuen prozessorientierten Arbeitsorganisationen wurde das Lernen im Prozess der Arbeit nicht nur ermöglicht (vgl. Schröder, 2010, S. 162), sondern auch benötigt. Das Lernen im Prozess der Arbeit weist eine „enge Verknüpfung zum Konzept des lebenslangen Lernens" (Molzberger, 2008b, S. 30) auf. „In Deutschland stellt die Wiederentdeckung des Lernens in der Arbeit eine Trendwende in der Entwicklung der Qualifizierung und betrieblichen Berufsbildung dar" (Dehnbostel, 2016, S. 345). Diese Trendwende wird auch als „Renaissance des Lernens in der Arbeit“ (Dehnbostel, 2011; Howe, 2008) bezeichnet. Seit den 80er Jahren ist eine Zunahme in der Theoriebildung und Praxis des Lernens im Prozess der Arbeit in der betrieblichen Bildungsarbeit sowie handlungsorientierte Qualifizierungsprozesse in der Berufsschule zu verzeichnen (vgl. Molzberger, 2008b, S. 40; vgl. Reetz & Seyd, 2006, S. 239; vgl. Georg, 1996, S. 637ff).
2.2 Arbeits(-prozess)orientierte Wende
Durch die Veränderungen hin „zu subjekt- und arbeitsorientierten Lernkonzepten“ (Berben, 2008b, S. 1) in der betrieblichen Ausbildung und dem damit verbundenen Ziel der Entwicklung der Handlungskompetenz „gingen auch die beruflichen Schulen vermehrt zu einer handlungsorientierten und fächerübergreifenden Unterrichtsgestaltung über“ (ebd., S. 3). Den Forderungen nach handlungsorientierten Lehr-Lernformen3 standen allerdings nach dem Wissenschaftsprinzip strukturierte und geschlossene Lehrpläne gegenüber (vgl. Spöttl, 2016, S. 77), bei denen die reine Wissensvermittlung im Fokus der Lehrpläne stand. Durch die geschlossenen Lehrpläne wurde der Einsatz von handlungsorientierten Lehr-Lernformen erschwert (vgl. ebd., S. 77). Die Lehrpläne mit ihrer fachwissenschaftliche Fülle und „systematische[n] Vollständigkeit“ (Reetz & Seyd, 2006, S. 234) orientierten „sich an den von den Wissenschaften hervorgebrachten Wissenssystemen" (Rauner, 2002, S. 3). Damit das Wissen vollständig von den Lehrerinnen und Lehrern behandelt bzw. angesprochen werden konnte, herrschte bei den Schülerinnen und Schüler (SuS) „eindeutig ein niedriges lerntheoretisches Anspruchsniveau bei Formen rezeptiven Lernens“ (Reetz & Seyd, 2006, S. 235) vor. Handlungskompetenz kann allerdings durch rezeptive Formen allein nicht aufgebaut werden, sondern benötigt aktive Handlungen der Lernenden (vgl. Schröder, 2010, S. 164). Dieser Gegensatz - die Forderungen nach handlungsorientierten Lehr-Lernformen mit ihrer Handlungssystematik auf der Mikro-Ebene (der Unterrichtsgestaltung) und die in der Vergangenheit entstandenen fachsystematischen Strukturen auf der Makro-Ebene (des Lehrplans) - wird in der Literatur als „Dualismus“ (vgl. z.B. Berben, 2008a, S. 16) bezeichnet. Die für die handlungsorientierten Methoden nötigen curricularen Änderungen und das Bildungsziel der Berufsschule der Beruflichen Handlungskompetenz wurden 1996 von der Kultusministerkonferenz (KMK) mit dem Lernfeldkonzept eingeführt (vgl. KMK, 2011, S. 10). Mit der Lernfeldeinführung wurden von der KMK u.a. folgende Ziele verfolgt:
- „die von der Wirtschaft angemahnte stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis“ (ebd., S. 10) zu fokussieren,
- „die Defizite der überwiegend fachwissenschaftlich orientierten Lehrpläne zu überwinden“ (Howe, 2008, S. 2),
- „handlungsorientierte und ggf. sogar lernortübergreifende Unterrichtsverfahren zu fördern“ (Howe, Hägele & Knutzen, 2010, S. 90),
- „eine ganzheitliche Förderung der beruflichen Handlungskompetenz zu erreichen und
- dem in der Rahmenvereinbarung formulierten Bildungsauftrag gerecht zu werden" (Berben, 2008b, S. 4) .
Die Lernfelder werden vorwiegend durch Arbeits- und Geschäftsprozesse strukturiert (vgl. Reetz & Seyd, 2006, S. 244), welche „aus dem beruflichen Handlungsfeld [der einzelnen Berufe] entwickelt und didaktisch aufbereitet werden“ (KMK, 2011, S. 10). Zum Ausgangspunkt und Lerngegenstand wird die Facharbeit (vgl. Berben, 2008b, S. 7) und die mit ihr verbundenen Problemstellungen und Herausforderungen (vgl. KMK, 2011, S. 10). Die Curricula haben somit eine neue Gestaltung: Durch das vorrangige Situationsprinzip tritt die Fachsystematik zugunsten der Handlungssystematik zurück (vgl. Reetz & Seyd, 2006, S. 244). Der Fokus auf die (Fach-)Arbeit in der Berufsschule wird als arbeitsorientierte Wende oder auch arbeitsprozessorientierte Wende bezeichnet (vgl. Fischer, 2003, S. 11; vgl. Berben, 2008b, S. 1). In der Berufsschuldidaktik wurde durch die „ situationsorientierte [n] Curricula“ (Clement, 2006, S. 263; H. i. O.) ein „Wechsel der Bezugswissenschaften erforderlich" (Berben, 2008a, S. 24). Die Fachwissenschaften der einzelnen Disziplinen wurden durch die Berufsfeldwissenschaften als Bezugswissenschaft ersetzt (vgl. ebd., S. 20). Zusätzlich erhielt der Kompetenzbegriff Einzug in berufsschulische Curricula.4 5 6 „Damit erfolgte eine Lehrplanreform für den schulischen Teil der dualen Ausbildung, die als paradigmatisch angesehen wird“ (Dilger & Sloane, 2012, S. 32). Berben (2008) bezeichnet die vorherrschende Systematik der Handlung in den Lernfeldern, welche durch Arbeits- und Geschäftsprozesse strukturiert sind, als Arbeitsprozessorientierung (vgl. Berben, 2008a, S. 15), welche sich auf der Ebene der Lehr-Lerngestaltung durch die Ausrichtung an der (Fach-)Arbeit bzw. dem Arbeitsprozess als Lerngegenstand fortführen soll (vgl. ebd., S. 10ff). Um die prozessförmige (Fach-)Arbeit, also „[d]as Fachliche der Berufstätigkeit“ (Becker, 2013, S. 2), in den Blickpunkt der Lehr-Lerngestaltung zu nehmen und mit handlungsorientierten Methoden zu verknüpfen, benötigt die Lehrkraft Gestaltungsfreiheit. Deswegen sind Lernfelder bzw. situationsorientierte Curricula offen formuliert (vgl. Bader, 2003, S. 210). Durch diese curricularen Reformen, die Arbeitsprozessorientierung und die handlungsorientierte Lehr-Lerngestaltung soll der Bildungsauftrag der Schule und das damit verbundene Ziel der Entwicklung der Handlungskompetenz umgesetzt werden.
2.3 Handlungskompetenz - Das übergeordnete Bildungsziel
Aus den in Kapitel 2.1 und Kapitel 2.2 beschriebenen Entwicklungen betrieblicher und berufsschulischer Bildung und dem zugrundeliegenden Wandel der Arbeitsorganisationen hat sich das Ziel und der Bildungsauftrag der Berufsbildung in den 90er Jahren verändert (vgl. Schröder, 2009b, S. 37). Der Bildungsauftrag kann mit der im Berufsbildungsgesetz (BBiG) „verankerte[n] Berufliche Handlungsfähigkeit bzw. die von der KMK beschriebene[n] Beruf- liche[n] Handlungskompetenz" (Becker, 2013, S. 3) formuliert werden. Da die Kompetenzentwicklung das zentrale Bildungsziel beruflicher Lernprozesse ist (vgl. Grantz, Schulte & Spöttl, 2013, S. 1) und die Kompetenzorientierung curricular sowie methodisch zu einem leitenden Prinzip erklärt wurde (vgl. Gillen, 2013, S. 4), soll zunächst der für die Berufspädagogik zentrale Begriff der Kompetenz (Kapitel 2.3.1) erörtert werden. Anschließend wird das Kapitel mit den lerntheoretischen Hintergründen der Entwicklung von Handlungskompetenz (Kapitel 2.3.3) abgeschlossen. Hiermit sollen die notwendigen Hintergründe erarbeitet werden, um die arbeitsbezogenen didaktischen Ansätze in den einzelnen Lernorten einordnen und nachvollziehen zu können.
2.3.1 (Handlungs-)Kompetenzbegriff
Der Kompetenzbegriff hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt (vgl. Schröder, 2008, S. 37) und die bildungspolitische Landschaft stark geprägt (vgl. Gillen, 2013, S. 1). In der berufsbildungspolitischen Diskussion löste er den Begriff der (Schlüssel-)Qualifikationen ab. Unter Qualifikationen werden aus unternehmerischer Nachfrageperspektive verwertbare Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden (vgl. Schröder, 2008, S. 37). Dagegen „werden Kompetenzen [.] unter der Perspektive des Subjektes betrachtet" (Gillen, 2013, S. 2). Zweckdienlich soll an dieser Stelle die Abgrenzung des erziehungswissenschaftlichen von dem berufspädagogischen Kompetenzbegriff sein. Es gibt verschiedene Definitionen und Zugänge von (Handlungs-)Kompetenz (vgl. ebd., S. 2), von denen hier nicht alle behandelt werden können. Da für die Lernorte Betrieb und Berufsschule eigene Bildungsaufträge formuliert sind und somit auch eigene Kompetenzdefinitionen zugrunde gelegt werden können, bezieht sich, angelehnt an Gillen (2013), der in dieser Arbeit behandelte Kompetenzbegriff auf das Leitbild der beruflichen Handlungskompetenz, welcher zur Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit in beruflichen Situationen befähigt und nicht nur, wie im erziehungswissenschaftlichen Sinne des Kompetenzbegriffs, auf erlernbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten ohne einen konkret handelnden Anwendungsbezug (vgl.ebd.,S. 2f). Nach Brand und Hofmeister (2005), die sich mit der Abgrenzung des beruflichen Kompetenzbegriffs im berufspädagogischen Sinne befasst haben, wird dieser durch neun Aspekte charakterisiert (vgl. Abbildung 2):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Aspekte des Kompetenzbegriffs (Brand, Hofmeister & Tramm, 2005, S. 4; leicht veränderte Darstellung)
Beim Kompetenzbegriff steht die Entwicklung des lernenden Subjekts und die damit verbundene Leistung (Performanz) in privaten, alltäglichen und beruflichen Situationen zu leisten im Fokus. Die benötigte Wissensbasis wird lern-und erfahrungsabhängig in domänenspezifisch konkreten Problem- oder Handlungssituationen erworben. Die Kompetenz bezieht nicht nur die kognitive Entwicklung mit ein, sondern auch mehrdimensionale (motivationale, soziale und volitionale) Aspekte. Das Lernen (also die Kompetenzentwicklung) vollzieht sich in unterschiedlichen Entwicklungsstufen, sodass es verschiedene Niveaustufen von Kompetenzen gibt. Dabei gibt es verschiedene Kompetenzdimensionen, die es zu entwickeln gibt.
Durch die angesprochenen Kompetenzdimensionen stellt sich „die Frage nach einem Kompetenzmodell für die Berufliche Bildung“ (BiBB, 2009, S. 8). Diese Frage ist allerdings nicht leicht zu beantworten, da es kein einheitliches Kompetenzmodell für die duale Ausbildung gibt. Im Berufsausbildungsgesetz (BBiG), dem obersten Ordnungsmittel für die betriebliche Ausbildung im Dualen System, ist zwar die Entwicklung der beruflichen Handlungsfähigkeit als Bildungsauftrag enthalten, jedoch kein Modell wie diese zu strukturieren bzw. zu operationalisieren ist (vgl.ebd., S. 6). So stehen alle an der beruflichen Bildung beteiligten Personen vor dem Problem, dass es eine Reihe an verschiedenen Kompetenzmodellen gibt. So wurde
von der Kultusministerkonferenz in den Rahmenlehrplänen (vgl. KMK, 2011, S. 14f), vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) im Rahmen eines Projekts, die Ausbildungsordnungen kompetenzorientiert zu gestalten (vgl.BiBB, 2009, S. 11) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Zusammenarbeit mit der KMK im Rahmen des Arbeitskreises für den Deutschen Qualifikationsrahmen DQR (vgl. AK DQR, 2011, S. 3) ein jeweils eigenes Kompetenzmodell der Handlungskompetenz eingeführt. Auch wenn es verschiedene Kompetenzmodelle gibt, sind einige Kriterien der Entwicklung der Handlungskompetenz und ihrer methodisch-didaktischen Unterstützung in vielen Modellen zentral.
2.3.2 Kompetenzentwicklung und ihre methodisch-didaktische Unterstützung
Dieser Bezug des Kompetenzbegriffs legt nahe, „Handlungssituationen als Ausgangspunkt und Zielsetzung der Konzeption von Lehr-Lernprozessen zu nehmen“ (Gillen, 2013, S. 3). Durch diesen berufspädagogischen Kompetenzbegriff orientiert sich der Kompetenzerwerb in der betrieblichen Bildung mehr an einem arbeitsbezogenen Lernen, was mit einer Bedeutungszunahme des Lernprozesses in beruflichen Situationen verbunden ist (vgl. Molzberger, 2008b, S. 59f). In der berufsschulischen Bildung geht diese Auffassung mit einer Aufwertung der Eigentätigkeit im Sinne eines konstruktivistischen Lernbildes der SuS einher. Der Begriff des beruflichen Lernens wird in dieser Arbeit als die Entwicklung der beruflichen Handlungskompetenz verstanden (vgl. Dehnbostel & Schröder, 2017, S. 1). Da das berufliche Lernen in der Literatur für den Lernort Betrieb und Berufsschule synonym verwendet wird, sich die Konzeptionen des beruflichen Lernens an den beiden Lernorten jedoch durchaus unterscheiden, wird im Folgenden das berufliche Lernen begrifflich unterschieden in das Lernen am Lernort Betrieb (betriebliches Lernen) und am Lernort Berufsschule (berufsschulisches Lernen).
Resultierend aus der Tatsache, dass kein einheitliches Kompetenzmodell bzw. Kompetenzverständnis für die Berufliche Bildung existiert, lassen sich auch für die Kompetenzentwicklung verschiedene Modelle heranziehen. Uneinigkeit herrscht gerade deswegen, weil die einzelnen Elemente der Kompetenzentwicklung, ihre Wirkungsweise und ihr Verhältnis zueinander noch nicht vollständig geklärt sind. Als Beispiel wird an dieser Stelle der Kompetenzaspekt des „Wissens“ (Brand, Hofmeister & Tramm, 2005, S. 4) aufgeführt. In der Literatur wird nicht bestritten, dass das fachtheoretische Wissen, das in vielen Systematiken auch als deklaratives Wissen bezeichnet wird (vgl. z.B. Becker, 2008; Spöttl, 2010), einen Stellenwert in der beruflichen Bildung hat. Einigkeit besteht auch darin, dass Handlungskompetenz sich nicht allein aus Wissen entwickelt, da „wissensbasiertes Können [...] nicht lediglich eine Anwendung von Wissen ist“ (Fischer, 2009, S. 6). Es gibt verschiedene Ansätze, die den Stellenwert des Wissens für die Kompetenzentwicklung untersuchen. Angeführt wird an dieser Stelle der Ansatz Fischers basierend auf den Arbeiten von Neuweg und Polanyi.
Eine Modellvorstellung, die hierfür Anhaltspunkte liefert, hat Neuweg in Anlehnung an Polanyi herausgearbeitet. Neuweg unterscheidet zwischen einem 'Hintergrundbewusstsein' (Wissen um Sachverhalte, auf die der Handelnde nicht unmittelbar achtet, die aber maßgeblich zwingende Einflussgrößen auf sein Handeln darstellen) und einem 'Fokalbewusstsein' (dem, worauf der Handelnde seine Aufmerksamkeit richtet).
Fischer, 2010, S. 144
Dabei stehen Wissen und Können in einem Wechselverhältnis, „in welchem Wissen als Handlungsfolie fungiert, nicht aber sämtliche Elemente des Handelns determiniert" (Fischer, 2009, S. 5)7. Ungeklärt ist jedoch wie genau das Wissen (vgl. Fischer, 2014, S. 10) und das Verhältnis von Wissen - Handeln - Können (vgl. Becker, 2008, S. 4) oder Wissen - Können - Reflexion (vgl. Grantz, Schulte & Spöttl, 2013, S. 2) konstituiert ist. „Ab hier beginnt die Welt der schwarzen Löcher in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, und spätestens ab hier scheiden sich die Geister, [...] weil empirische und wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zum beruflichen Können von Fachkräften nur ausschnittsweise vorliegen" (Fischer, 2014, S. 2).
Um diese „Schwarzen Löcher“ in der Kompetenzentwicklungsforschung zu umgehen, wird sich in diesem Beitrag eher auf die methodisch-didaktische Unterstützung der Kompetenzentwicklung bzw. des Lehr-Lernprozesses und nicht auf die Wirkungszusammenhänge der Kompetenzentwicklung an sich fokussiert, da für die methodische Kompetenzentwicklung wissenschaftlich fundierte Kenntnisse vorliegen, welche von Gillen (2013) als Leitkriterien zusammengefasst wurden (vgl. Gillen, 2013, S. 7), die bei der Kompetenzentwicklung am Lernort Betrieb und Berufsschule beachtet werden sollen:
Der Subjektbezug (1) in der Kompetenzorientierung zielt darauf, dass Kompetenzen nicht losgelöst vom Subjekt, sondern selbst entwickelt werden (vgl. ebd., S. 7). Der Subjektbezug wird beispielsweise dadurch deutlich, dass der Selbststeuerung des Individuums im Lernprozess (vgl. Schröder, 2010, S. 164) oder der individuellen Urteilsbildung (vgl. Fischer, 2009, S. 6) einer großen Bedeutung zugemessen wird. „Das Kriterium [ Entwicklung (2)] gründet sich auf die Erkenntnis, dass sich Kompetenzen während der gesamten Lebens- und Arbeitszeit entwickeln" (Gillen, 2013, S. 7f). Die Interaktion (3) ist ein weiteres Gestaltungskriterium. Interaktion wird verstanden als ein Handeln in und Bewältigen von konkreten Situationen (vgl. ebd., 2013, S. 8). „Eine intentionale Kompetenzentwicklung macht handlungsorientierte, individualisierte und ganzheitliche Lern- und Entwicklungskontexte erforderlich“ (Schröder, 2010, S. 164), da Kompetenzen erst im Handlungsverlauf hergestellt werden können. Kooperation (4) - als viertes Kriterium - „mit anderen Personen sowie der situative Rahmen dieser Kooperation tritt in der kompetenztheoretischen Literatur als konvergenter Aspekt auf und wird als konstitutiv für die Entwicklung von Kompetenzen angesehen“ (Gillen, 2013, S. 8). Als weiteres Kriterium benennt Gillen Erfahrung (5). Dem Lernen aus Erfahrung wird eine große Bedeutung zugewiesen ( z.B. vgl. Grantz, Schulte & Spöttl, 2013, S. 1; vgl. Dewey, 2008, S. 135ff). Dieser Bedeutungszuwachs geht mit zunehmendem Ansehen vom Lernen im Prozess der Arbeit einher. „Als letztes Gestaltungskriterium der Kompetenzentwicklung ist das Kriterium der Reflexion (6) festzuhalten. Es zeigt sich, dass Reflexion einen zentralen Stellenwert bei der Entwicklung von Kompetenz einnimmt. Da sie die Möglichkeit schafft, informelle Lernprozesse bewusst zu machen und dadurch das Kompetenzniveau zu erhöhen, ist sie als zentraler Aspekt zur Kompetenzentwicklung zu begreifen" (Gillen, 2013, S. 8, Formatierung im Original).
Um die Kompetenzentwicklung in einer arbeitsprozessorientierten Didaktik erforschen zu können, ist es sinnvoll sich mit dem Verständnis, den Dimensionen, den Instrumenten zur Erforschung und der Art des Didaktikbezugs eines Arbeitsprozesses zu beschäftigen.
3. Der Arbeitsprozessbezug in der beruflichen Bildung
Wie in Kapitel 2.1. bereits angesprochen, kann das berufliche Handeln im Kontext Betrieb als ein Arbeiten im Prozess bezeichnet werden. Die Instrumente der Qualifikationsforschung (Kapitel 3.1) bilden für die Analyse eines Arbeitsprozesses (Kapitel 3.2) eine wichtige Grundlage. Nachdem die Charakteristika eines Arbeitsprozesses geklärt sind, werden in Kapitel 3.3 die verschiedenen arbeitsprozessbezogenen Lernformen unterschieden. Da Arbeits- und Lernaufgaben sowie Lern- und Arbeitsaufgaben konzeptionell ähnliche Merkmale einer arbeitsprozessbezogenen Lernform haben, jedoch durchaus unterschiedlich in ihrer Gewichtung sind, wird auf diese in Kapitel 3.4 näher eingegangen.
3.1 Instrumente der berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung für die Arbeitsprozessanalyse
„Zur Gestaltung zukünftiger Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen müssen die unterschiedlichen Arbeitsprozesse und die mit ihnen verbundenen Anforderungen genau analysiert werden" (Windelband, 2010, S. 134). Aus einer näheren Beschreibung von Arbeitsprozessen lassen sich Implikationen für das arbeitsbezogene Lernen und insbesondere für die aufgabenbezogenen Lernformen herleiten, sodass die Frage beantwortet werden kann „inwieweit Arbeitsprozesse im Sinne eins [sic!] didaktischen Hilfsmittels gestaltbar sind" (Grantz, Schulte & Spöttl, 2013, S. I). Die Erforschung und Analyse der Arbeitsprozesse ist Aufgabe der berufswissenschaftlichen (Qualifikations-)Forschung. Sie „kann dabei mit der Identifizierung grundlegender Arbeitsprozesse die Basis" (Windelband, 2010, S. 126) für eine arbeitsprozessbezogene Didaktik bilden. Um die Arbeits- und Lerninhalte zu analysieren, ist die Arbeitsprozessanalyse ein Instrument eines insgesamt vierschrittigen Analyseprozesses. Windelband (2010) hat sich näher mit der berufswissenschaftlichen Analyse eines Berufsfeldes zur Identifikation von Arbeits- und Lerninhalten (1. Sektoranalyse, 2. Fallstudie, 3.
Arbeitsprozessanalyse und 4. Experten-Facharbeiter-Workshops) auseinandergesetzt (vgl. ebd., S. 129ff). Diese kann im Rahmen dieser Arbeit hier nicht ausführlich und vollständig beschrieben werden, ist jedoch für eine Verortung der Arbeitsprozessanalyse wichtig. Grantz, Schulte und Spöttle (2013) haben diesen Prozess kurz und knapp wie folgt beschrieben8:
1. Ausgangspunkt ist eine Sektoranalyse, bei der mit Hilfe von Dokumentenanalysen, Quellenauswertungen und Interviews der Sektor erschlossen wird, um sich einen Überblick über den Arbeitsmarkt, die Aus- und Weiterbildung, die beteiligten Stakeholder und Zielgruppen zu verschaffen. 2. Das Ergebnis bildet die Grundlage für die Auswahl typischer und geeigneter Betriebe für den zweiten Schritt, die Fallstudien. Die Fallstudien ermöglichen einen Einblick in die Rahmenbedingungen und Abläufe der Betriebe und zeigen dabei auch die Auswirkungen auf die Fachkräfte bzw. ihre Arbeitsweise. 3. Die ausgewählten Betriebe werden auch für den Schritt der Arbeitsprozessanalysen herangezogen. Bei den Arbeitsprozessanalysen wird ein flexibles Beobachtungs- und Befragungsverfahren angewendet, um die Kernarbeitsprozesse und die dazu notwendigen Kompetenzen der Fachkräfte zu identifizieren und dokumentieren. 4. Das Ergebnis wird im abschließenden vierten Schritt der berufswissenschaftlichen Forschungsmethodik im Rahmen von Facharbeiter-Experten-Work- shops validiert. Hier bietet sich die Möglichkeit, die Kernarbeitsprozesse zu diskutieren und ggf. zu modifizieren und dabei in einer logischen Reihenfolge im Sinne von Schwierigkeitsgraden, die einer Kompetenzentwicklung vom Anfängern [sic!] hin zu Experten entsprechen, anzuordnen.
Grantz, Schulte & Spöttl, 2013, S. 7, veränderte Formatierung
Die Ergebnisse der Arbeitsprozessanalysen der berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung können genutzt werden, um arbeitsprozessbezogene Lehr-Lernarrangements zu gestalten. Bei der Erstellung von Arbeits- und Lehraufgaben werden anders als bei Lern- und Arbeitsaufgaben reale Arbeitsprozesse analysiert (vgl. Kapitel 3.4), sodass gewisse Schritte wie z.B. die Sektoranalyse und Auswahl des Betriebs entfallen, da der Arbeitsprozess im eigenen Betrieb analysiert wird. Vorbereitend für die arbeitsprozessbezogenen Lernformen wird sich nun mit dem Arbeitsprozess näher befasst.
3.2 Der Arbeitsprozess als analytische Kategorie
Berufliches Handeln im Betrieb hat das Ziel der Bewältigung einer betrieblichen Arbeitsaufgabe (z.B. Kundenauftrag) und der Erstellung eines Arbeitsergebnisses (vgl. Becker, 2013, S. 3). Der Arbeitsprozess dient „als ein analytisches Hilfsmittel zur Erfassung, inhaltlichen Konkretisierung, Beschreibung und Gestaltung beruflicher Facharbeit" (Howe, Hägele & Knutzen, 2010, S. 91). Der Arbeitsprozess verleiht arbeitsprozessbezogenen Lernformen die nötige Struktur und inhaltliche Orientierung (vgl. Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Struktur eines Arbeitsprozesses (Howe, Hägele & Knutzen, 2010, S. 92; veränderte Darstellung)
Dabei stellt die Bewältigung des Arbeitens im Arbeitsprozess eine „vollständige Arbeitshandlung (Informieren, Planen, Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren und Bewerten)“ (Howe, Hägele & Knutzen, 2010, 91f) dar. Die vollständige Arbeitshandlung kann gekürzt in einem Dreischritt aus Planen - Durchführen - Reflexion in jedem Teilprozess eines Arbeitsprozesses durchlaufen werden (vgl. Schröder, 2009b, S. 224). Ein Arbeitsprozess ist dabei aus der Perspektive des Subjekts (des Facharbeiters9 ) zu sehen und nicht aus der Perspektive des Betriebs (vgl. Becker, 2013, S. 3). Die Schritte der vollständigen Arbeitshandlung werden dementsprechend alle von demselben Facharbeiter durchlaufen (vgl. ebd., S. 3). „Dies hat entscheidende Bedeutung für den herzustellenden Zusammenhang zwischen Arbeitsprozess und Arbeitspro- zesswissen"10 (Becker, 2008, S. 8). Arbeitsprozesse sind damit nur dann bildungswirksam, wenn der Facharbeiter den kompletten Arbeitsprozess durchläuft. Becker (2013) unterscheidet somit subjektive bzw. berufliche Arbeitsprozesse von betrieblichen Arbeitsprozessen (vgl. Becker, 2013, S. 3). Arbeitsprozesse sind auch von Geschäftsprozessen zu unterscheiden, welche das unternehmerische Handeln darstellen (vgl. Becker, 2008, S. 7). Ein Arbeitsprozess bzw. die Facharbeit kann aus Sicht des Subjekts in den Dimensionen
- der Ausgangssituation,
- des Handlungsgegenstandes,
- der Anforderungen an die Facharbeit,
- der Werkzeuge, Methoden und Arbeitsorganisation und der Arbeitsergebnisse analysiert werden.
vgl. Becker, 2010, S. 59; vgl. Abbildung 4
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Dimensionen des Arbeitsprozesses/der Facharbeit (Becker, 2010, S. 60; leicht veränderte Darstellung)
Der Bezug des Arbeitsprozesses im Bildungsprozess unterscheidet berufliches Lernen in arbeitsgebundenes, arbeitsverbundenes und arbeitsorientiertes Lernen.
3.3 Arbeitsbezogenes Lernen - Arbeitsgebundenes, arbeitsverbundenes und arbeitsorientiertes Lernen
Da "[i]n der Berufsbildungsforschung […] kein einheitliches Verständnis über die Modelle von Lernen in der Arbeit" (Renger, 2016, S. 55), geschweige denn eine einheitliche Verwendung der Begriffe arbeitsorientiert oder arbeitsgebunden vorhanden ist, hat Dehnbostel mit seiner Systematisierung des arbeitsbezogenen Lernens in arbeitsbezogenes, arbeitsverbundenes und arbeitsorientiertes Lernen viel zur Abgrenzung der einzelnen betrieblichen Lernformen beigetragen (vgl. ebd., S. 55). Die Beispiele für Lernformen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind auch nicht immer nur einem Typen des arbeitsbezogenen Lernens zuzuordnen. Zum Beispiel wird das Coaching als Lernform zum arbeitsverbundenen Lernen (vgl. ebd., S. 56) oder zum arbeitsgebundenen Lernen (vgl. Schröder, 2009, S. 59) gezählt.
Dehnbostel unterscheidet verschiedene Typen arbeitsbezogenen Lernens: Arbeitsgebundenes9, arbeitsverbundenes und arbeitsorientiertes Lernen (vgl. Tabelle 1).
Das Lernen im Arbeitsprozess ist somit eine Lernform des arbeitsgebundenen Lernens und findet „im Rahmen von Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, Projektarbeit und Job Rotation statt, ebenso aber auch in einzelnen Arbeits- und Handlungssituationen, unabhängig von bestimmten Arbeitskonzepten und organisierten Arbeitsformen" (Dehnbostel, 2016, S. 347).
Dehnbostel verweist auch auf die begrifflich synonyme Verwendung von arbeitsintegriertem, arbeitsprozessorientiertem, arbeitsplatznahem und dezentralem Lernen (vgl. Renger, 2016, S. 55f). Um Verwechslungen zu vermeiden wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit deswegen entweder vom arbeitsgebundenen Lernen oder Lernen im Prozess der Arbeit, welches zur arbeitsprozessgebundenen Didaktik gezählt wird und eher im Betrieb stattfindet und vom arbeitsorientierten Lernen, welches zur arbeitsprozessorientierten Didaktik gezählt wird und eher in der Berufsschule vollzogen wird, gesprochen. Ähnlich der Systematik Dehnbostels (vgl. Tabelle 1) fasst somit die arbeitsprozessbezogene Didaktik die arbeitsprozessgebundene, -verbundene und -orientierte Didaktik und ihre Lernformen zusammen.
Tabelle 1: Typen arbeitsbezogenen Lernens (basierend auf Dehnbostel & Pätzold, 2004, S. 28 leicht veränderte Darstellung; ergänzt mithilfe Dehnbostel, 2016, S. 347; Renger, 2016, S. 56; Schröder, 2009b, S. 54ff)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die arbeitsgebundene Lernform der Arbeits- und Lernaufgaben im Lernort des Betriebs macht ein intendiertes informelles Lernen am Arbeitsplatz möglich. Die arbeitsorientierten Lernformen orientieren sich, wie der Name schon sagt, an Arbeitsprozessen, liegen jedoch keinen realen, sondern idealtypischen Arbeitsprozessen zu Grunde (vgl. Schröder, 2009b, S. 69. Das arbeitsorientierte Pendant zu den Arbeits- und Lernaufgaben sind Lern- und Arbeitsaufgaben. Beide Lernformen haben den Arbeitsprozess als zentrales Strukturelement, liegen beruflichen Arbeitsaufgaben zu Grunde und „können daher als aufgabenbezogene Lernformen zusammengefasst werden“ (Schröder, 2009a, S. 8).
3.4 Aufgabenbezogene Lernformen
Wie bereits erwähnt gibt es in der Literatur keine einheitliche Begriffsverwendung für berufliches Lernen und ihre Lernformen. Dies gilt auch für die aufgabenbezogenen Lernformen der Arbeits- und Lernaufgaben und Lern- und Arbeitsaufgaben (vgl. ebd., S. 8). Schröder (2009a) hat die aufgabenbezogenen Lernformen definitorisch unterschieden und die verschiedenen aufgabenbezogenen Konzepte in der Literatur der Berufspädagogik systematisch in die zugehörigen Definitionen eingeteilt (vgl. ebd., S. 8f) . Nach Schröder (2009b) wird nachfolgend unterschieden:
- „Arbeits- und Lernaufgaben werden im Prozess der Arbeit, d.h. am betrieblichen Arbeitsplatz eingesetzt. Strukturell liegen ihnen reale betriebliche Arbeitsaufgaben zugrunde. Die Gegebenheiten der betrieblichen Arbeitsorganisation werden berücksichtigt. Arbeits- und Lernaufgaben fördern das Erfahrungslernen und die Selbstständigkeit des Lernenden; sie regen den Lernenden zur Reflexion seines Arbeitshandelns an und bewirken eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsgestaltung und -organisation.
- Lern- und Arbeitsaufgaben ermöglichen eine realitätsnahe Simulation beruflicher Arbeitsaufgaben an einem institutionellen Lernort, wie z.B. der Berufsschule, dem überbetrieblichen Ausbildungszentrum oder einem privaten Bildungsanbieter. Sie fördern an den Lernorten die Verbesserung der Lernorganisation und der Kooperation der Lernorte. Sie basieren strukturell auf ideal- und berufstypischen Arbeitsaufgaben und -prozessen. Lern- und Arbeitsaufgaben verstärken neben dem formalen Lernen auch das erfahrungsbezogene Lernen über die Reflexion und Selbstständigkeit der Lernenden.“
Schröder 2009b, S. 98f, leicht veränderte Formatierung
Wie dargestellt sind Arbeits- und Lernaufgaben eine arbeitsgebundene Lernform für den Lernort des Betriebs und Lern- und Arbeitsaufgaben eine arbeitsorientierte Lernform u.a. für den Lernort der Berufsschule. Sie bilden für die arbeitsprozessgebundene und -orientierte Didaktik wichtige Lehr-Lernarrangements, um Kompetenzen zu entwickeln (vgl. Schröder, 2009b, S. 244f; Haselberger & Michenthaler, 2017, S. 18). Bei der Untersuchung von arbeitsprozessbezogenen Ansätzen für den Lernort Betrieb und Berufsschule kann ihnen deswegen ein besonderer Stellenwert zugeschrieben werden. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Arbeit bei der Untersuchung einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik näher auf aufgabenbezogene Lernformen eingegangen.
Da die nötigen Grundlagen für die Erforschung einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik geschaffen sind, wird im nächsten Kapitel die Forschungsfrage dieser Arbeit erörtert.
4. Forschungsfrage und methodisches Vorgehen
Angeschlossen an die Forschungsfrage (Kapitel 4.1) wird in Kapitel 4.2 das methodische Vorgehen für die Bewältigung der Fragestellung vorgestellt.
4.1 Forschungsfrage
Wie bereits dargelegt, gibt es verschiedene Herausforderungen in der arbeitsprozessbezogenen Didaktik zu bewältigen. Eine unterschiedliche Nutzung und Verwendung berufspädagogischer Begriffe (vgl. Renger 2016) führt dazu, dass arbeitsprozessgebundene und arbeitsprozessorientierte didaktische Ansätze im Rahmen einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik miteinander vermischt werden. Ungeklärte Wirkungszusammenhänge wie z.B. die Auswirkung von Wissen auf Können (und umgekehrt) (vgl. Fischer, 2014, S. 10) erschweren die Forschung in der arbeitsprozessbezogenen Didaktik. Die arbeitsprozessbezogene Bildungsarbeit schneidet verschiedene Themengebiete (z.B. Kompetenzentwicklung, lerntheoretischer Hintergrund, Duales System, Konstruktion von Lern- und Arbeitsaufgaben, Lernfeldorientierung usw.) an, sodass verschiedenste Facetten durch unterschiedliche Disziplinen untersucht und erforscht werden können.
Das Ziel dieser Arbeit kann es somit nicht sein, eine umfassende Darstellung einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik zu geben. Dafür ist dieses Themengebiet zu komplex und umfangreich. Vielmehr geht es darum, die Idee, die hinter einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik steht, näher zu bringen, um aufzuzeigen, wie eine Didaktik mit einem Bezug zum Arbeitsprozess zur umfassenden Handlungskompetenzentwicklung an den verschiedenen Lernorten beitragen kann. Zudem soll dieser Beitrag Arbeit beim Ordnen und Systematisieren verschiedener arbeitsprozessbezogener Ansätze leisten. Dafür ist es notwendig, die verschiedenen Lernorte Betrieb und Berufsschule mit Hinblick auf die genutzten didaktischen Ansätze zu untersuchen. Aufgrund des Komplexitätsgrades des Forschungsgebietes wurden im Rahmen dieser Arbeit eine übergeordnete Forschungsfrage aufgestellt, welche durch einen konkreteren Fragenkatalog für beide Lernorte ergänzt wird (vgl. Kapitel 4.2). Die dem Fragenkatalog übergeordnete Forschungsfrage lautet:
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben arbeitsprozessbezogene didakti-
sche Ansätze in der beruflichen Bildungsarbeit an den Lernorten Betrieb und Berufs-
schule?
Bevor Gemeinsamkeiten und Unterschiede einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik herausgearbeitet werden können, werden im Vorfeld die arbeitsprozessbezogenen didaktischen Ansätze für die beiden Lernorte beschrieben (Kapitel 5.1 und Kapitel 5.2). Im folgenden Kapitel wird dargestellt, wie beim Herausarbeiten von arbeitsprozessbezogenen Ansätzen methodische vorgegangen wurde.11
4.2 Methodisches Vorgehen
4.2.1 Durchführung des Literatur-Reviews
Um den aktuellen Forschungsstand darzustellen, wurde ein Literatur-Review (vgl. Becker, 2012)12 mit dem Ziel die existierende Literatur zu dem Thema arbeitsprozessbezogene Didaktik übersichtlich zu beschreiben, durchgeführt. Dabei wurde sich auf eine repräsentative Abdeckung der Literatur beschränkt (vgl. Becker, 2012, S. 3), da die vorherrschende Literatur zu umfangreich für diese Arbeit ist. Für den Literatur-Review wurden zu aller erst Schlüsselbegriffe einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik herausgesucht. Besonders wurden Artikel und Beiträge mit Bezug zu den Begriffen: Arbeitsprozessorientierung, Lernen im Prozess der Arbeit, Arbeits- und Lernaufgaben, Lernaufgaben etc. als Einstiegsliteratur verwendet. Auch wurde nach etwaigen Synonymen gesucht. So beschränkte sich zum Beispiel die Literatursuche nicht nur auf Lernaufgaben, sondern auf Lern- und Arbeitsaufgaben, Entwicklungsaufgaben. Um die Artikel im Kontext einzuordnen, wurden notwendige Recherchen zu den zugehörigen Begriffen und Unterbegriffen wie z.B. informelles Lernen, Lernsituationen, Lernfeldansatz, arbeitsorientierte Wende, Renaissance des Lernens in der Arbeit durchgeführt. „Anhand dieser Einstiegslektüre sollten wichtige Terme ermittelt sowie Definitionen zu diesen Termen entwickelt werden“ (ebd., S. 3). Als Quelle der Literatur wurden u.a. die Datenbank der TU Dortmund (Katalog plus), Google Scholar und das Online-Archiv der Berufs- und Wirtschaftspädagogik (bwp) online genutzt. Mit der Schneeball-Forschungsmethode anhand der Literaturverzeichnisse der Beiträge wurden nach Arbeiten zu der arbeitsprozessbezogenen Didaktik gesucht, auf die in den Texten verwiesen wurde. Damit das Literatur-Review repräsentativ ist (vgl. Becker, 2012, S. 3), wurde darauf geachtet, dass möglichst viele Artikel aktuell sind und es wurde nach Beiträgen von für die arbeitsprozessbezogene Didaktik wichtigen Autoren wie z.B. Becker, Dehnbostel, Fischer, Howe & Knutzen, Schröder, gesucht. Die Wichtigkeit der Autoren spiegelte sich in der Anzahl ihrer verfassten Artikel zu dem Thema arbeitsprozessbezogene Didaktik sowie in der Anzahl der Referenzen in Artikeln zum Thema beruflicher Bildung mit Arbeitsprozessorientierung wieder13. Auch wurden nach Veröffentlichung von Projekten des Bundesministeriums für Bildung gesucht [Z.B. Kompetenzwerkst@tt (Kompe- tenzwerkst@tt, 2017d)], die eine arbeitsprozessbezogene Didaktik anstreben, um aktuelle Projekte miteinzubeziehen. Die zum großen Teil digitale Literatur wurde mit dem Literaturverwaltungssystem Citavi bearbeitet.
4.2.2 Auswahl der Analysekriterien
Nach der Durchsicht der Literatur wurde die Eignung der Artikel für diese Arbeit überprüft und es wurden Ein- und Ausschlusskriterien für die Artikel festgelegt. Ausschlusskriterien waren zum Beispiel für den Lernort Berufsschule didaktische Konzeptionen, die nicht mit den didaktischen Richtlinien zur Unterrichtsgestaltung der KMK übereinstimmten . Deswegen wurden nach Möglichkeit nur Beiträge verwendet, die sich auf die Entwicklungen (z.B. Lernfeldansatz, arbeitsintegriertes Lernen), ergebend aus der Renaissance des Lernens in der Arbeit und der arbeitsorientierten Wende, beziehen. Aufgrund des Rahmens dieser Arbeit wurde sich für den Lernort Berufsschule auf arbeitsorientierte und für den Lernort Betrieb auf arbeitsgebundene Ansätze begrenzt. Zu den übrig gebliebenen Beiträgen wurde eine umfassende Literaturanalyse durchgeführt. Becker (2012) stellt verschiedene Möglichkeiten für eine Literaturanalyse vor, auf die an dieser Stelle verwiesen werden.
Bei Durchsicht der Literatur haben die Autoren besondere Merkmale/Elemente einer arbeitsprozessbezogenen Didaktik für die einzelnen Lernorte herausgestellt. Nach Erfassung eines Merkmals wurde dieses als Fragestellung an die arbeitsprozessbezogene Didaktik formuliert. Als Beispiel soll hier die Aussage Beckers zur Bedeutung des subjektiven Arbeitsprozesses bei Lern- und Arbeitsaufgaben dienen. Becker (2013) sagt, dass bei der Konstruktion von Lern- und Arbeitsaufgaben der subjektive Arbeitsprozess mit seinen Dimensionen und nicht der betriebliche Arbeitsprozess die Struktur für die Lern- und Arbeitsaufgabe vorgeben soll (vgl. Becker, 2013, S. 19). Das Merkmal „subjektiver Arbeitsprozess“ aus der arbeitsorientierten Didaktik wurde anschließend bei der arbeitsgebundenen Didaktik überprüft. Wie an dem Beispiel beschrieben, wurden die zentralen Elemente, die ursprünglich teilweise nur für einen Lernort formuliert waren, anschließend als allgemeine Fragestellung an die arbeitsprozessbezogene Didaktik gestellt. So wurde, um bei dem Beispiel zu bleiben, aus dem Element „subjektiver Arbeitsprozess“ aus der arbeitsorientierten Didaktik die Fragestellung: „Welcher Arbeitsprozess wird bei der Konstruktion von aufgabenbezogenen Lernformen in der arbeitsprozessbezogenen Didaktik herangezogen?“. Analog wurde aus den anderen Elementen Fragestellungen entwickelt. Anschließend wurden die Fragestellungen zusammengefasst und inhaltlich geordnet. Bei der Darstellung des Forschungsgebietes nach den einzelnen Elementen der arbeitsbezogenen Didaktik wurde darauf geachtet, dass es nach Konzepten und nicht nach Autoren dargestellt wird, um die verschiedenen Ansätze beider Lernorte miteinander vergleichen zu können und eine reine Aneinanderreihung verschiedener Ideen und Konzepte von Autoren zu vermeiden (vgl. Becker, 2012, S. 4). Die Beantwortung der Fragestellungen, welche kurz dargestellt werden sollen, gaben die Kapitelstruktur in Kapitel 5.1 und 5.2 vor.
Kapitel 5.1.1/5.2.1: Nach Spöttl (2016) müssen spezielle Regelungen bei der Ausbildung im Lernort Betrieb berücksichtigt werden (vgl. Spöttl, 2016, S. 52). Nach Dehnbostel (2011) gibt es einen speziellen Bereich, der für die Organisation des Lernens innerhalb des Betriebs zuständig ist (vgl. Dehnbostel 2011, S. 1). Hieraus folgte die Fragestellung:
(1) Wer ist für die Organisation und Beachtung der Rahmenbedingungen für ein Lernen in der arbeitsprozessbezogenen Didaktik verantwortlich und wie sehen diese Rahmenbedingungen aus?
Kapitel 5.1.2/5.2.2: Es gibt in der Beruflichen Bildung verschiedene Kompetenzmodelle (vgl. Kapitel 2.3.1). Dabei stellt sich die Frage:
(2) Welche Kompetenzmodelle werden für die einzelnen Lernorte in der Beruflichen Bildung zugrunde gelegt?
Kapitel 5.1.3/5.2.3: Die Grundlage für arbeitsgebundene Lernformen bildet das Lernen in der Arbeit, da das Lernen fest in den Prozess eingebunden ist. Berger und Gidion (2010) haben für den Lernort Betrieb untersucht, „in welcher Weise das Lernen [in der Arbeit] an sich stattfindet“ (Berger & Gidion, 2010, S. 37). Da in der Berufsschule nicht in der Arbeit gelernt werden kann, wird sich mit der Orientierung an der Arbeit bzw. dem Arbeitsprozess beholfen. Da für den Lernort Berufsschule meist formuliert wird, wie das Lernen in der Schule auszusehen hat, da bestimmte berufspädagogische Prinzipien berücksichtigt werden müssen, wurde sich mit normativen Elementen berufsschulischer Bildung auseinandergesetzt. Da an dieser Stelle Ist-Zustände der beruflichen Realität mit Soll-Zuständen der berufsschulischen Didaktik verglichen werden, wurden für die Kapitel 5.1.3/5.2.3 zwei Fragestellungen formuliert.
(3.1) Wie wird in der Arbeit bzw. in arbeitsgebundenen Lernformen gelernt? & (3.2) Wie orientiert sich eine Berufliche Bildung am Lernort der Berufsschule an der Arbeit bzw. dem Arbeitsprozess?
Kapitel 5.1.4/5.2.4: Nach Dehnbostel (2016) gibt es verschiedene lerntheoretische Formen des betrieblichen Lernens (vgl. Dehnbostel, 2016, S. 349ff). Auch in der Berufsschule gibt es verschiedene Formen des schulischen Lernens. Demnach wurde folgende Frage formuliert:
(4) Welche lerntheoretischen Lernformen gibt es in der arbeitsprozessbezogenen Didaktik und welche sind für sie besonders bedeutsam?
Kapitel 5.1.5/5.2.5: Nach Schröder (2009b) und Gillen (2013) soll sich die Kompetenzentwicklung der Lernenden nach bestimmten Kriterien richten. Es stellt sich die Frage:
(5) Wie wird die Kompetenzentwicklung beim arbeitsbezogenen Lernen umgesetzt?14
Kapitel 5.1.6/5.2.6: Wie in Kapitel 3.4 beschrieben, sind aufgabenbezogene Lernformen zentrale Lehr-Lernarrangements in der arbeitsprozessbezogenen Didaktik. Es kommt dabei die Frage auf:
[...]
1 "Einschlägige Untersuchungen zeigen, dass rund zwei Drittel der Erwerbstätigen [.] den Zuwachs ihres beruflichen Wissens und Könnens hauptsächlich in der informellen Weiterbildung erwerben" (Dehnbostel, Ewald & Linderkamp, 2013, S. 4).
2 Da Über- und außerbetriebliche Ausbildungs-/Lehrwerkstätten in vielen Bereichen von Lehr-Lernkonzeptionen den Lehr-Lernarrangements von Betrieben oder von der Berufsschule ähneln bzw. übereinstimmen (z.B. in der Erarbeitung von Problemlösungen) (vgl. Euler, 2015, S. 7), wird sich in dieser Arbeit auf diese beiden Lernorte beschränkt.
3 Eine Auflistung dieser handlungsorientierter Lehr-Lernformen findet sich bei Reetz und Seyd (2006).
4 Neben dem Prinzip der Situationsorientierung in den Curricula lässt sich in den Rahmen
lehrplänen noch das Persönlichkeitsprinzip finden, welches durch die Entwicklung der Handlungskompetenz der einzelnen Individuen berücksichtigt wird (vgl. Reetz & Seyd, 2006, S. 244) und regulierend zwischen dem Wissenschafts- und dem Situationsprinzip wirkt (vgl. Reetz
5 Fischer hat sich in seinen Beiträgen vertiefend mit dem Verhältnis von Wissen und Können auseinandergesetzt (vgl. Fischer, 2003; 2009; 2010; 2014) auf die an dieser Stelle verwiesen wird.
6 Seyd, 2006, S. 244).
7 Fischer hat sich in seinen Beiträgen vertiefend mit dem Verhältnis von Wissen und Können auseinandergesetzt (vgl. Fischer, 2003; 2009; 2010; 2014) auf die an dieser Stelle verwiesen wird.
8 Mehr zur berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung findet sich unter Windelband (2010).
9 Ein Facharbeiter ist eine Person, die sich den verschiedenen Herausforderungen in den Handlungsfeldern und den dazugehörigen Arbeitsprozessen stellen und diese erfolgreich bewältigen kann (vgl. Howe, 2008, S. 7f).
10 Der Begriff des Arbeitsprozesswissens stellt „eine Verbindung von theoretischen Kenntnissen, theoretischer Reflexion und Arbeitserfahrung dar“ (Howe, 2008, S. 5). Der Begriff des Arbeitsprozesswissens beantwortet die Frage, was an einem Arbeitsprozess bzw. der Facharbeit gelernt werden muss, um handlungskompetent zu sein (vgl. Howe, 2008, S. 5). Das Arbeitsprozesswissen stellt somit einen Teil der umfassenden Handlungskompetenz dar.
11 International gibt es verschiedene Auffassungen vom arbeitsgebundenen Lernen (im Englischen: Work-Based-Learning). Einen Überblick über die verschiedenen Auffassungen liefert die Literaturübersicht von der Bejing Normal University (Shen, 2016). Als Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Verständnissen vom Work-Based-Learning (WBL) wurden folgende Merkmale herausgearbeitet (Shen, 2016, S. 16; eigene Übersetzung):
12 Becker stellt in seinem Artikel u.a. die Taxonomie von Literatur-Reviews nach Harris Cooper (1998) vor.
Anmerkung: Der in Kapitel 4.2 zitierte Michael Becker ist nicht mit Matthias Becker aus der Berufspädagogik zu verwechseln.
13 Darüber hinaus wird Dehnbostel in der internationalen Studie von Shen (2016) „Final Report of Mapping the research about work-based learning from a global TVET perspective. - A literature review“ (Shen, 2016, S. 16) erwähnt, was die Bedeutung der Arbeiten Dehnbostels für die Forschung von arbeitsbezogenem Lernen unterstreicht.
14 Die Ergebnisse werden anschließend nach den methodisch-didaktischen Kompetenzentwicklungskriterien (vgl. Kapitel 2.3.2) nach Gillen (2013) ausgewertet.
- Quote paper
- Marius Boch (Author), 2018, Arbeitsprozessbezogene didaktische Ansätze in der berufsschulischen und betrieblichen Bildungsarbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1132128
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