Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abstract
1. Einführung^
1.1 Einleitung
1.2 Ziel
1.3 Forschungsfragen
2. Methodik
3. Berührung
3.1 Wissensstand
3.1.1 Geschichtlicher Hintergrund
3.1.2 Kulturelle Betrachtung
3.2 DefinitionvonBerührung
3.2.1 Physische Ebene der Berührung
3.2.2 Psychische Ebene der Berührung
3.3 Bindungsforschung
3.4 Studienlage
4 Depression
4.1 Definition
4.2 FormenderDepression
4.2.1 UnipolareDepression
4.2.2 Bipolare Depression
4.3 EntstehungvonDepression
5 Berührung in der Behandlung von Depressionen
5.1 Grundlagen der Psychotherapie
5.1.1 Die Bedeutung der Berührung in der Psychotherapie
5.1.1.1Berührung und verbale Komponenten
5.1.1.2 Berührung und nonverbale Komponenten
5.1.2 Funktionen der Berührung in der Psychotherapie
5.1.3 Studienlage
5.1.4 Auswirkungen auf die Symptomatik bei Depressionen
5.1.4.1 Zusammenhang von Depressionen und Berührungen
5.1.4.2 Studienlage
5.2 Komplementäre Therapien - Achtsame Berührungstherapie
5.2.1 Vorgehensweise bei der achtsamen Berührungstherapie
5.2.2 Auswirkungen auf die Symptomatik bei Depressionen
5.2.3 Studienlage
6 Berührung und Neurobiologie
7 Diskussion
7.1 Forschungsfragen
7.3 Zukünftige Forschungsfragen
8 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abkürzungsverzeichnis
bzw. beziehungsweise
bspw. beispielsweise
et al. et alii (übersetzt „und andere“)
FE. funktionelle Entspannung
Abstract
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Krankheiten, Tendenz steigend. Die klassische Behandlung besteht in der Regel aus der psychotherapeutischen und pharmakologischen Behandlung - nicht immer führt diese Form zum Erfolg. Aus diesem Grunde gewinnen komplementäre Behandlungsweisen immer mehr an Bedeutung.
In diesem Zusammenhang wurde das Organ Haut mit seiner positiven Wirkung auf die psychische Verfassung untersucht und festgestellt, dass das Hormon Oxytocin durch Berührungen ausgeschüttet wird, welchem man eine positive Wirkung nachsagt. Eine Oxytoxinausschüttung könnte somit ähnlich eines Antidepressivums wirken und alternativ zu den konven- tiellen Methoden zur Reduzierung der Symptomatik von Depressionen eingesetzt werden.
Ziel dieser Arbeit ist es, mithilfe einer systematischen Literaturrecherche den aktuellen Stand der Forschung zu den positiven Auswirkungen von Berührungen wiederzugeben und herauszuarbeiten, ob der Einsatz dieser Methodik zur Linderung der Depressionssymptomatik führen kann. Es werden Methoden und Vorgehensweisen von Berührungsarbeit vorgestellt, die im Rahmen einer Therapiesitzung zwischen Therapeut und Klient oder in Form von körperpsychotherapeutischen Maßnahmen stattfmden.
Die Ergebnisse der relativ dünnen Studienlage bestätigen den positiven Einfluss von Berührungen auf die Linderung von Depressionssymptomen. Hier bedarf es jedoch weiterer Forschungen, insbesondere mit einer größeren Stichprobenmenge, um evidenzbasierte Empfehlungen aussprechen zu können.
Die Macht der Berührung - Analyse der Möglichkeiten, Berührungen in der Behandlung von Depressionen einzusetzen?
1. Einführung
1.1. Einleitung
Berührungen gehören zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Sie sind Teil unseres biologisch-seelischen Urprogrammes. Die Haut ist unser Organ, an dem unser Selbstbewusstsein sowie Identität hängt und welches über eine eigene Intelligenz verfügt. Berührungen sind somit unentbehrlich für den Erhalt unserer Gesundheit und aktivieren unsere Selbstheilungskräfte (Müller-Oerlinghausen, 2018).
Depression ist die häufigste psychische Störung bei Erwachsenen und betrifft weltweit über 300 Millionen Menschen. Die Gefahr, im Laufe eines Lebens an einer Depression zu erkranken, liegt bei 16-20% (Hofmann et al., 2020). Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation stellen die Einschränkungen durch Depressionen die Hauptursache für verlorene Lebensjahre dar. In Deutschland konnte in den vergangenen Jahren stets eine Erhöhung der Diagnose Depression als Grund für Arbeitsunfähigkeit und als Diagnose einer stationären Behandlung beobachtet werden. Somit gehören Depressionen aktuell zu den wichtigsten Erkrankungen (Stoppe et al., 2016). Betroffene Patienten leiden unter Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Freudlosigkeit, Interessenverlust, Antriebsmangel, häufig begleitet von Ängstlichkeit und erhöhter Müdigkeit (Hautzinger, 2011).
Die häufigste verwendete Behandlungsform sind pharmakologische sowie psychotherapeutische Behandlungen sowie eine Kombination hieraus. Hierdurch erfolgt eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes. Einige essentielle Probleme sind jedoch bis heute nicht gelöst (Hofmann et al., 2020). Aus diesem Grund erfolgte eine alternative Forschung, um den Betroffenen Mut zu machen und um zur Linderung der Symptomatik beitragen zu können. In diesem Zusammenhang wurde das größte Organ des Körpers, die Haut, mit einer positiven Wirkung auf die Psyche näher beleuchtet. Die Haut enthält Millionen von Berührungsrezeptoren, über die wir Wärme und Kälte spüren. Von den Haut-Rezeptoren aus werden die Signale über Nervenbahnen an das Gehirn geschickt. Neben Struktur und Ort wird auch eine emotionale Bewertung der Berührung vorgenommen. Diese Verbindung besteht aus CT-Nervenbahnen und wird bei langsamen und sanften Streicheleinheiten aktiviert. Dies führt im Gehirn zur Ausschüttung des Glückshormons Oxytoxin, welches die Empfindlichkeit für Endorphine verändert und infolgedessen den Abbau des Stresshormons Cortisols aktiviert. Eine Oxytoxinausschüttung wirkt somit ähnlich eines Antidepressivums mit einer möglichen positiven Wirkung auf die Symptomatik bei Depressionen (Meyer, 2019).
1.2 Ziel
Das Ziel der Arbeit liegt darin, den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der positiven Einflussmöglichkeit von Berührungen bei der Diagnose Depressionen darzustellen sowie deren Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen. Hierbei erfolgt eine Betrachtung unterschiedlicher Behandlungsmethoden hinsichtlich Effizienz und Einsatzmöglichkeit. Darüber hinaus werden Berührungen aus neurologischer Sicht betrachtet und die Frage gestellt, ob eine erhöhte Ausschüttung des Hormons Oxytoxins durch Berührung in substituierter Form als essentielles Mittel zur Behandlung von psychischen Störungen eingesetzt werden könne.
Die Forschungsfragen ergeben sich somit wie folgt:
1.3 Forschungsfragen
Hauptfrage:
Welchen Einfluss haben Berührungen psychischer und physischer Natur auf die Symptome einer Depression?
Subfragen:
Wie können Berührungen in der Behandlung von Depressionen konkret eingesetzt werden?
Welche Bedeutung haben Berührungen in neurologischer Hinsicht?
2. Methodik;
Vorliegend handelt es sich um eine wissenschaftliche Literaturarbeit. Eine Literaturarbeit arbeitet vorhandene Wissensstände auf und fokussiert sich auf bereits zuvor festgelegte Fragestellungen. Mithilfe von systematischer Literaturrecherche werden vorwiegend wissenschaftliche Beiträge in Form von Fachartikeln, Büchern oder Zeitschriften deutsch- und englischsprachiger Quellen auf Aktualität und Relevanz geprüft. Für meine Literaturrecherche nutze ich überwiegend https://scholar.google.de, https://link.springer.com und https://pubmed.nc- bi.nlm.nih.gov. Hierfür wende ich die rückwärtsgerichtete Suche an: die Schneeballmethode. Das Schneeballsystem arbeitet nach dem Prinzip einer sich in Bewegung setzenden Lawine. Zu Beginn der Literaturrecherche genügt es, einige wenige passende Veröffentlichungen zu dem Thema zu finden. Über das Literaturverzeichnis der Arbeiten werden weitere Quellen entdeckt. Dieser Prozess setzt sich fort, da die Literaturverzeichnisse der recherchierten Quellen einen möglichen Fundort für weitere Quellen bieten. Mithilfe des Schneeballsystems kann somit in kurzer Zeit ein erster Überblick über die zur Verfügung stehende Literatur erstellt werden.
3. Berührung
„Es gibt Menschen, deren einmalige Berührung mit uns für immer den Stachel zurücklässt, ihrer Achtung und Freundschaft wert zu bleiben“ (Christian Morgenstern).
3.1 Wissenstand
3.1.1 Geschichtlicher Hintergrund
Geschichtlich betrachtet verbindet man die Berührung mit etwas Heilsamen. Aus alten Höhlmalereien geht ein Heilungsaspekt der Berührung hervor, der schon vor 15.000 Jahren entstanden ist. Sie zeigen, dass sie für Heilzwecke genutzt wurden (Steinbacher, 2014).
Ein Zusammenhang zwischen Berührung und Heilung findet sich bereits in dem Wort ,,Be- Hand-lung“. Die Hand sei das edelste Werkzeug des Arztes, welches er besitzt und nicht entbehren kann (Groddeck, 2016). Seit jeher war die Berührung des Körpers, das Handauflegen und die körperliche Behandlung ein wesentlicher Bestandteil von Heilprozessen, die eingesetzt wurden, wenn sich der Körper, Geist oder Seele eines Menschen nicht im harmonischen Einklang miteinander und mit der Gemeinschaft befanden (Wagener, 2000).
Berührung wird zur Heilung durch Massagen, zum Trost und zur Vermittlung von Geborgenheit und Zuversicht sowie zur Entspannung und Schmerzreduktion eingesetzt (Steinbacher, 2014). Berührungen bewirken ein verringertes Schmerzempfinden, größere Ruhe, Sinken des Blutdrucks oder Stärkung des Immunsystems - insbesondere Massagen fördern den Heilungsprozess. Bei den Massagen handelt es sich um die wohl älteste Form der heilsamen Berührung. Es handelt sich um die natürliche, reflexartige und instinktive Handlung, eine schmerzende oder angeschlagene Körperstelle zu berühren, zu drücken und mehrfach darüber zu streichen. Erste Nachweise für Massagebehandlungen findet man in verschiedenen östlichen Ländern wie dem Irak oder Syrien. Im Mittelalter verbot die Kirchejedochjegliche körperliche Berührung. Naturheilkundliche Prozeduren wurden verboten und hart bestraft. Erst im späteren Mittelalter ab 1250 bis 1500 wird wieder von Behandlungen geschrieben.
Ein Blick in die Geschichte der Berührung und des Körperkontaktes im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts zeigt uns auch hier Veränderungen:
Der frühere Handschlag, der einen Geschäftsabschluss signalisierte, wich durch die Entwicklung des Buchdrucks dem Papier und der Unterschrift. Das Leben in der Familie im 18./19. Jahrhundert war eher bewegungsarm; dies galt insbesondere für den Kontakt zwischen Eltern und Kindern - an deren Stelle gaben Hebammen und Kinderfrauen den Körperkontakt. Es herrschte die Auffassung, dass zu viel Berührung bzw. Zärtlichkeit die Entwicklung des Kindes verzögere. Erotische Berührung glich im 19. Jahrhundert einer Vergewaltigung. Ein enges Verhältnis zwischen Mutter und Kind entwickelte sich erst am Ende des 19. Jahrhunderts, primär jedoch im Bürgertum - im Bauern- und Arbeitermilieu dominierte weiterhin die Prügelstrafe.
Um die Zeitenwende wich der sexuellen, schnellen Begegnung der romantische Flirt. Bevorzugt wurden die einfach gestrickten Dienstmädchen, die zu den bürgerlich gut gebauten Männern aufschauten. Die Entwicklung ging weiter über den Sport und der dazu assoziierten Freikörperkultur - das Gefühl der Natürlichkeit geriet in den Vordergrund. Der sich entwickelnde und bis heute anhaltende Körperkult hat viele Facetten. Das körperliche Erscheinungsbild spielt eine zunehmende Rolle, und die Pflege dessen nimmt mittlerweile sehr viel Zeit in Anspruch (Müller-Oerlinghausen & Kiebgis, 2018).
3.1.2 Kulturelle Betrachtung
Je nach Kultur und entsprechender Sozialisierung gibt es unterschiedliche Grenzen und Toleranzen für Berührungen und Stimulierungen. Es gibt „Rühr-mich-nicht-an“-Kulturbereiche, die die Interaktion der verschiedenen Menschen beherrscht. Auf der anderen Seite ist in anderen Kulturen das Berühren ein wichtiger Teil des Lebens - Umarmungen, Streicheln und Küssen sind derart selbstverständlich, dass es für Andere befremdlich ist (Montagu, 2019). Unterschiede in der Berührungsbefmdlichkeit sind jedoch nicht nur kulturspezifisch, sondern zeigen sich auch in den einzelnen Familien. Es gibt Familien, in denen eine unbefangene und häufige Berührung innerhalb aller Familienmitglieder zum Alltag gehört - in anderen Familien ist nur ein kleiner Berührungskontakt üblich ist und findet statt (Montagu, 2019).
Ein Blick in die Berührungsregeln innerhalb der Weltreligionen verdeutlicht ebenso die Unterschiede in den Kulturkreisen. Im Judentum spielt das Thema der Berührung bereits zum Zeitpunkt der Beschneidung eine essentielle Rolle - im Christentum finden Berührungen in den verschiedensten Formen und Bedeutungen statt. Ein Ur-Bild der Berührung in der jüdisch-christlichen Religion ist die Erschaffung der ersten Frau Eva, die durch die göttliche Berührung von Adam entsteht. Erotische Berührungen wurden über eine lange Zeit abgelehnt - auch Küsse oder Umarmungen waren Sünde. Im Islam dürfen muslimische Männer und Frauen nur Mitglieder der eigenen Familie berühren.
Die dargelegten Beispiele zeigen große Unterschiede in der Wertung von und dem Umgang mit Berührung und verdeutlichen das Verständnis für die differenten sozialen Bedeutungen dieses Themas (Müller-Oberlinghausen & Kiebgis, 2018).
3.2 Definition
Berührung ist ein Grundbedürfnis von Mensch und Tier und tief in uns Menschen verankert (Müller-Oberlinghausen & Kiebgis, 2018). Der Wunsch nach Körperkontakt ist uns angeboren und entwickelt sich bereits in der Schwangerschaft. Berührungen verbinden, sie stellen automatisch Nähe zwischen zwei Menschen her und vermitteln ein Gefühl der Gemeinschaft (Bartens, 2014). Es handelt sich um eine natürliche Kommunikationsebene, die uns in vielen aktiven und passiven Berührungsformen zur Verfügung steht. Wir können berühren und berührt werden. Obwohl es sich hier um zwei verschiedene Handlungstypen handelt, verschmelzen sie häufig. Bei aktiver Berührung ist die Wahrnehmung des Ertasteten im Zentrum, bei passiver Berührung steht das eigene Körperempfinden im Vordergrund (Riedel, 2017). Berührungen können unterschiedliche Gefühle auslösen. Wir können uns hingerissen fühlen, glücklich, erstaunt oder getröstet. Eine Berührung kann neugierig machen, dankbar oder beruhigend wirken. Wir können somit Berührungen in den verschiedensten Bedeutungen wahmehmen und geben. Die Haut ist in der Lage, die empfangene wie auch die gebende Berührung in Ihrer Qualität zu erkennen (Müller-Oberlinghausen & Kiebgis, 2018).
Das Wort Berührung wird jedoch nicht nur im wörtlichen Sinne für Körperkontakt verwendet, sondern ebenso als Sinnbild für eine emotionale Berührung, für einen geistigen oder emotionalen Kontakt, der hergestellt wurde. Somit ist Berührung ein Ausdruck von Nähe und von Kontakt auf körperlicher und emotionaler Ebene (Wagener, 2000). Wir teilen den Begriff der Berührung in die Verständnisse physische und psychische Ebene.
3.2.1 Physische Ebene der Berührung
Für die Betrachtung der physischen Ebene ist es notwendig, den Begriff „physisch“ zu definieren. Der Begriff „physisch“ wird als „in der Natur begründet“ bzw. „natürlich“ bezeichnet (Biographisches Institut GmbH, Dudenverlag). Die physische Berührung wird ursprünglich mit dem Körper in Verbindung gebracht. Darüber hinaus wird die physische Berührung als taktile Sinneserfahrung verstanden - hier steht der Tastsinn im Vordergrund. Der Tastsinn schenkt menschlichen Berührungen eine besondere Beachtung. Dieser Nahsinn dient nicht nur dem unmittelbaren Begreifen der Welt, sondern steht ebenso für die Verbindung mit anderen Menschen. Diese „sozialen“ Berührungen gehen „tief unter die Haut“ - sie schaffen Nähe, schenken Geborgenheit, spenden Trost (GEO, 2018). Somit findet die Berührung über den Tastsinn an unserer Haut statt. Die Haut ist unsere äußere Grenze unseres Körpers. Hie- über findet ein enormer Teil des Kontaktes zu anderen Menschen und zur Umwelt statt. Mit der Haut nehmen wir Reize von außen auf, gleichzeitig schützt sie uns. Je nachdem, wie dünn- oder dickhäutig wir sind, geht uns dennoch etwas unter die Haut und kann uns verletzen. Die Haut hat somit etwas mit unserer eigenen Empfindsamkeit zu tun - im ungünstigen Fall mit Schutzlosigkeit. Unsere aktive Berührung findet vorwiegend mit der Hand statt. Sie ist der geschickteste Körperteil, um andere Menschen zu berühren. Die Hände haben darüber hinaus auch eine symbolische Wirkung und werden mit Sicherheit, Zusicherung und Versicherung in Verbindung gebracht (Wagener, 2000). Dies verdeutlicht, dass die Berührung im körperlichen Sinne eine wichtige Rolle spielt und somit als Körperkontakt und „taktile Kommunikation“ verstanden wird.
3.2.2 Psychische Ebene der Berührung
Das Wort „Berührung“ kannjedoch auch einen psychischen Kontakt ausdrücken. Wir werden berührt, ohne dass eine Hand uns berührt. Es sind Handlungen, Bilder oder Wörter, die uns angenehm erscheinen, oder auch unangenehm, sie machen uns lebendig oder bringen uns emotional in Bewegung. Einiges berührt uns an der Oberfläche - wie ein Streicheln - anderes geht tief unter die Haut, berührt uns in der Tiefe und weckt Gefühle und Emotionen. Was uns berührt, bewegt uns. „Rühren“ und „Berühren“ geht auf Bewegung zurück oder in Bewegung setzen - wir sind innerlich bewegt und berührt. Diese innere Bewegung wird vorliegend mit dem Begriff der psychischen Berührung gleichgesetzt. Innere Bewegung wiederum steht im Zusammenhang mit Emotionen. Emotionen sind Gefühle bzw. innere Gemütsbewegungen, auf die der Körper reagiert (Steinbacher, 2014). Für die Veranschaulichung von Gefühlen bedienen wir uns Metaphern, die mit der betreffenden Situation verbunden sind. Es geht hier nicht um das Wortwörtliche - wir sprechen vielmehr von den Berührungsmöglichkeiten durch die bildhafte erfahrungsnahe Sprache (Steinbacher, 2014).
3.3 Bindungsforschung
Bezugspunkt der Bindungsforschung ist bis heute die Bindungstheorie, eine ab den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte Theorie des Psychiaters Bowlby. Als Psychoanalytiker war er mit der inneren Welt eines Menschen aus Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Handeln befasst und von der Bedeutung frühkindlicher psychischer Prozesse überzeugt. (Ah- nert & Spangier, 2013). Er gab an, dass eine enge Bindung zu anderen Menschen ein angeborenes und zwingendes Bedürfnis sei (Deutscher Bundestag, 2018). Das lebenslange Streben nach emotionalen Beziehungen liegt in der Natur des Menschen - es beginnt beim Neugeborenen und besteht bis in das hohe Alter. Als Bindungsverhalten wird jedes Verhalten definiert, welches zum Ziel hat, die Nähe eines vermeintlich fähigen Menschen zu suchen und zu erhalten - ein Verhalten, welches bei Angst oder einem entsprechendem Zuwendungs- oder Versorgungsbedürfnis sehr deutlich wird. Menschliches Bindungsverhalten wird durch einen Regelkreislauf im Gehirn gesteuert, vergleichbar mit der Regulierung von Körpertemperatur und Blutdruck (Goddemeier, 2015).
Auch im Rahmen der Bindungsforschung ist die Berührung von Bedeutung - im Säuglingsalter ist die körperliche Berührung sogar von essentieller Bedeutung. Untersuchungen zeigen, dass Berührungen auch bei Erwachsenen eine regulierende Wirkung auslösen können. Fraglich ist, ob Berührung ursächlich zu einer Beziehung beitragen kann, oder sie ein Hinweis dafür ist, dass eine solche Beziehung bereits existiert, oder möglicherweise beides darstellt (Kepner, 1987). Er geht davon aus, dass das therapeutische Berühren die Entwicklung von Unterscheidungsvermögen und Aufmerksamkeit fördert, hierdurch psychophysische Veränderungen ausgelöst werden und somit die therapeutische Beziehung unterstützt und das Energiesystem des Klienten beeinflussen kann. Sein Fazit ist, dass Berührung weder etwas Magisches oder erforderliches sei, jedoch im Zusammenhang einer sensiblen und verantwortungsbewussten therapeutischen Beziehung die Bindung stärkt und somit eine hilfreiche Form der Interaktion sein kann (Kepner, 1987). Durch die Art und Weise der Berührungsarbeit wird dem Patienten ein berührender Schutz zur Verfügung gestellt, damit er lernen könne, verletzte Grenzen erneut zu ziehen (Marlock & Weiss, 2006).
3.4 Studienlage
Einen Beweis für die Wirksamkeit von Berührung liefern die Resultate einer naturalistischen Studie einer einmaligen Massageanwendung. Hier wurde bei 100 Probanden die subjektive Wirkung einer einstündigen psychoaktiven Massage untersucht. Nach der Massage stellte sich direkt ein stark erhöhtes Allgemeinwohlgefühl im Vergleich zum Ausgangsniveau ein - darüber hinaus wurden weniger Ängstlichkeit und depressive Stimmung festgestellt. Dies verdeutlicht, dass Massagen verstärkt als eine Form der therapeutischen Berührung bei psychosomatischen Störungen angewandt werden können (Kiebgis etal.,2018).
In einer weiteren Studie wurde untersucht, ob Berührungen Schmerzen lindem können. Diese Studie zielte darauf ab, herauszufinden, wie und wo genau Berührung die Schmerzwahrnehmung moduliert. Auf segmentaler Ebene kann die taktile Stimulation zu einer Reduktion von Schmerzen führen. Unklar war bislang, wie genau die Interaktion zwischen Berührung und Schmerz innerhalb eines Segments abläuft. Hierfür führten acht gesunde Probanden jeweils zwei Experimente mit Laserstimuli durch. Die Untersuchungen zeigten, dass die Berührungen Schmerzen in einer lokalisationsabhängigen Weise beeinflussen und Schmerzen hemmen können (Mancini etal.,2014).
Aghabati et al. (2010) untersuchten randomisiert und kontrolliert den Einfluss von Therapeutic Touch, einer Entspannungsmethode, die die Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus anstrebt, auf Schmerz und chronische Erschöpfung. Es wurde eine Versuchs- und eine Placebogruppe beobachtet. Die Anwendungen dauerten jeweils 30 Minuten über fünf Tage. In der Versuchsgruppe kam es bei den Parametern Schmerz und chronischer Erschöpfung zu einer signifikanten Verminderung, in der Placebogruppe zu einer leichten Verbesserung. Hier wird davon ausgegangen, dass der soziale Kontakt und die mitfühlende Berührung zu einer positiven Wirkung in der Placebogruppe beitrugen.
Eine weitere Studie zeigt ebenso positive Veränderungen hinsichtlich des Einsatzes psychodynamischer Körpertherapie bei Schmerzstörungen. Hier wurden vierzig Patienten mit psychodynamischer Körpertherapie behandelt - das Resultat waren deutlich reduzierte Schmerzen. Weiterhin traten signifikante und substanzielle Veränderungen auf dem Niveau von So- matisierung, Depression, Angst oder sozialem Rückzug auf (Monsen & Monsen, 2000).
Eine Studie von Field gibt einen Überblick zu den drei Formen der Berührungen, die das Wohlbefinden förderten. Hierzu gehören die soziale Berührung, CT Berührung und die Massagetherapie. Die leichteste Form der Berührung ist wichtig für die Eltem-Säuglingbeziehung sowie für Liebesbeziehungen und Schmerzsyndromen. Soziale Berührungen wie Umarmungen sind ebenso wichtig für Beziehungen - und die tiefste Form der Berührung, die Massagetherapie mit mäßigem Druck, hat sich als besonders bedeutsam für den Stressabbau erwiesen (Field, 2019).
Einen Überblick über die Studienlage von therapeutischer Berührung gab Monroe (2009). Fünf der sieben relevanten Forschungsarbeiten, die der Frage nachgingen, ob therapeutische Berührung Schmerzen behandeln könne, zeigten mehrfach signifikant positive Ergebnisse.
4. Depression
„In der Depression lebe ich ohne Sinn und Bewusstsein.
Ich sehe, ohne wahrzunehmen.
Ich fühle ohne Empfindung und Gefühl.
Ich schmecke ohne Genuss.
Ich rieche ohne Empfindung.
Ich denke ohne Geist und Sinn und Phantasie und Kombinationsfähigkeit.
Ich lache ohne Freude.
Ich weine ohne Schmerzensstachel.
Ich bewege mich ohne motorische Harmonie und Ausdrucksvermögen.
Ich kenne weder Hoffnung noch Maß noch Ziel.
Schlaf und Tod sind mir das Erstrebenswerteste.
Ich freue mich nicht, ich begeistere mich nicht, ich liebe nicht, ich trauere nicht.
Ich male nicht, ich spreche nicht, ich dichte nicht, ich singe nicht, ich tanze nicht, und wenn ich es dennoch tue, dann ohne Ausdruck und Phantasie und ohne dabei zu sein, ohne Leben“, vonWoltersdorf (1994, S. 1).
4.1. Definition
Die Begrifflichkeit „Depression“ stammt aus dem lateinischen Wort „deprimere“ und heißt übersetzt „herunter- oder niederdrücken“ und beschreibt den Zustand psychischer Niedergedrücktheit (Hegerl et al., 2006). Depressionen gehören zur Gruppe der internalisierenden Störungen und sind somit von außen schwer zu erkennen. Häufig ist eine Beeinträchtigung des inneren Lebens sowie ein passives, vermeidendes und defensives Verhalten festzustellen (Haarig & Schade, 2019). Es handelt sich um eine schwere, oft lebensbedrohliche und häufige Erkrankung, die das Denken, Handeln und Fühlen der Betroffenen beeinflusst und körperliche Auswirkungen zeigt - es besteht somit seelisches sowie körperliches Leid - in Deutschland gibt es allein vier Millionen Betroffene (Hegerl & Niescken, 2013). Abzugrenzen hiervon ist ein Krankheitsbild, bei dem temporäre Gefühle depressiver Verstimmung für den Menschen völlig normal sind. Es werden Sätze wie: „Ich fühle mich heute depressiv“ geäußert, jedoch handelt es sich hier um einen Ausdruck des Unbehagens. Die Unterscheidung zwischen einer depressiven Verstimmung und einer Depression kann somit sehr schwierig sein, da die Übergänge sehr weich sind. In einem depressiven Zustand fühlt sich der Betroffene hoffnungslos, traurig und antriebslos. Die Passivität erschwert die Verrichtung alltäglicher Dinge - häufig sind kognitive Fähigkeiten wie die Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt (Baade, 2007).
4.2. Formen der Depression
Bei den Depressionen handelt es sich um psychische Störungen aus dem Bereich der affektiven Störungen, zu denen neben den unipolaren Störungen auch manische bzw. manisch-depressive Störungen, sogenannte bipolare Störungen, gehören.
4.2.1 Unipolare Störungen
Zu den unipolaren Störungen gehören depressive Episoden, rezidivierende depressive Störungen und Dysthymien. Die unipolaren depressiven Erkrankungen lassen sich durch drei HauptSymptome wie niedergeschlagene, traurige Stimmung, Freudlosigkeit sowie eine Antriebsund Aktivitätsminderung mit den einhergehenden Kognitionen erklären. Es herrscht eine deutliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens, in der Lebensführung und in der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben. Es herrscht ein hoher Leidensdruck und eine deutlich eingeschränkte Lebensqualität (Mohr etal., 2017).
Für die Behandlung unipolarer Depressionen unterscheiden wir vier Behandlungsstrategien:
- aktive Beobachtung
- pharmakologische Behandlung
- psychotherapeutische Behandlung
- Kombinationsbehandlung
Zusätzlich stehen weitere komplementäre Verfahren zur Verfügung. Die Wahl der richtigen Behandlung orientiert sich hauptsächlich an der Therapiephase, dem Schweregrad der Symptome, dem Verlauf der Erkrankung sowie dem persönlichen Wunsch des Patienten (Mohr et al., 2017).
4.2.2 Bipolare Störungen
Depressive Störungen zeigen sich in Form einer niedergeschlagenen Stimmung, Interessen- und Aktivitätsminderung. Auf der anderen Seite des Pols befindet sich die Manie, die sich durch eine besonders freudig-euphorische Stimmung oder Reizbarkeit sowie einem stark erhöhten Aktivitätslevel auszeichnet. Den Wechsel dieser beiden Störungen nennt man bipolare Störungen (Caspar etal.,2018).
Es handelt sich bei den bipolaren Störungen um rezidivierende, in der Regel episodisch verlaufende Erkrankungen mit einem lebenslangen Rückfallrisiko; sie gehören zu den schwersten psychischen Erkrankungen. Man geht von einer multifaktoriellen Genese aus; hier spielen genetische, psychosoziale und neurobiologische Faktoren eine maßgebende Rolle. Die Erkrankung verläuft häufig chronisch oder mit häufig wiederkehrenden Krankheitsphasen, unzureichendem Therapieerfolg und deutlichen psychosozialen Beeinträchtigungen (Haack et al., 2010).
Die psychologische Therapie beschäftigt sich primär mit der Rückfallprophylaxe. Hierbei spielt die Psychoedukation eine sehr essentielle Rolle - Medikationsmanagement sowie die Verringerung von Belastungsquellen stehen im Vordergrund (Caspar et al., 2018).
4.3 Entstehung
Eine monokausale oder letztendlich klärende Ursache für die Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Störungen ist komplex und bis heute nicht abschließend geklärt (Kölch et al., 2020). Es wird von einer multikausalen Krankheitsentwicklung und einem multifaktoriellen, biopsychosozialen Erklärungs- und Krankheitsmodell ausgegangen. Es wird angenommen, dass durch eine Wechselwirkung von biologischen, psychologischen, sozialen und anderen Risikofaktoren depressive Erkrankungen ausgelöst oder aufrechterhalten werden können (Mohr etal., 2017).
Aus neurobiologischer Sicht existiert eine genetische Disposition für depressive Erkrankungen. Hier wirdjedoch davon ausgegangen, dass erst im Zusammenwirken mit psychosozialen Faktoren eine Depression entsteht. Durch eine Dysfunktion in den serotonergen und norad- renergen Transmittersystemen erfolgt eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen, Müdigkeit, Schlafstörungen oder eine Verringerung von Energie. Die Gesamtheit der psychologischen Faktoren umfassen kognitive, emotionale, behaviorale und sozial-interaktive Faktoren, die sich in Freudlosigkeit, negativen Gedanken oder Überzeugungen äußern - die Ursachen liegen häufig in fehlenden persönlichen oder sozialen Kompetenzen.
Bei den sozialen Faktoren handelt es sich um Stressfaktoren wie aktuelle Belastungssituationen oder Lebensveränderungen, die zu einer unangenehmen Stresssituation geführt haben (Mohr etal.,2017).
Neben diesen Einflussfaktoren gibt es weitere Risikofaktoren, die eine Depression begünstigen - niedriger sozioökonomischer Status, Substanzmissbrauch, chronischer Stress oder mangelnde soziale Unterstützung.
5. Berührung in der Behandlung von Depressionen
5.1 Grundlagen der Pschotherapie
5.1.1 Die Bedeutung der Berührung in der Psychotherapie
Psychotherapie ist eine besondere Form der Heilbehandlung, die als Hilfe der zwischenmenschlichen Kommunikation gekennzeichnet ist (Dorsch, 1994). Die Heilung bzw. Behandlung besteht aus der Kommunikation mit dem Klienten. Hierbei wird häufig an die verbale bzw. sprachliche Kommunikation gedacht, da die meisten psychotherapeutischen Verfahren vor allem sprachlich arbeiten. Dies könnte an der kulturellen Vorprägung liegen, dass alle körperlichen Kontakte erotisch seien (Frank, 1981).
Die von Freud verlautete Abstinenzregel „Die Kur muss in der Abstinenz durchgeführt werden“ beinhaltete auch ein Verbot für Berührungen. Die Abstinenzregel besagt, jede über die persönlichen Ziele im Rahmen der Therapie hinausgehende Kommunikation zu vermeiden und Körperkontakt möglichst zu unterlassen. Das Verhalten des Therapeuten solle passiv und gefühlsneutral sein (Dorsch, 1994). Berührung bedeute Sexualisierung und damit auch Missbrauch am Patienten. Der Patient sei durch die Berührung in dem Reichtum seiner Phantasien eingeschränkt, die den eigentlichen Stoff der tiefenpsychologischer Arbeit leistet (Wagener, 2000).
Im Rahmen der Individualpsychologie, entwickelt 1911 von einem Schüler Freuds, ist der Körperkontakt ebenso verbotenjedoch eine emotionale Berührung gewünscht. Eine körperliche Berührung stelle einen Eingriff in die Intimsphäre des Patienten dar. Dies blockiere die Übertragungsarbeit (Bartsch, 2017). Emotionale Berührung seijedoch essentiell für die therapeutische Beziehung, um sensible Themen bearbeiten zu können.
Die analytische Körperpsychotherapie stellt eine Sonderform der psychoanalytischen Körperpsychotherapie dar. Tilman Moser ist der bekannteste Vertreter der körperorientierten Psychoanalyse. Hier werden körperorientierte Verfahren eingesetzt, die auf den Prinzipien bzw. Grundvoraussetzungen von Sympathie, Anpassung an die Erfordernisse des Patienten, Bescheidenheit, Taktgefühl und Authentizität beruhen (Bartsch, 2017). Aus einer Ein-Perso- nen-Psychologie wurde eine Zwei-Personenpsychologie. Hier gibt der Therapeut nicht mehr ein festes Behandlungs-Setting vor, sondern es entsteht ein Produkt eines zwischen beiden Partnern ständig ablaufenden Aushandlungsprozesses (Geissler, 1997). Die Frage, welchen Anlass es für die Berührung gibt, ist ebenso wichtig. Darüber hinaus muss die Form der Berührung, die Absicht des Therapeuten sowie die Interpretation des Klienten festgelegt werden. Dies ist keine Frage des „Ob“, sondern wann und wie die Berührung eingesetzt werden kann und wann es angebracht ist, diese nicht einzusetzen (Steinbacher, 2008).
Die Behandlung dauert in der Regel einige Jahre. Dabei istjede Form von körperlicher Positionierung erlaubt. Die Selbstwahmehmung des Patienten werde gefördert, indem der Therapeut ihn auf sein körperliches Geschehen und dessen emotionalen Bezug hinweise.
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