Eine sinnvolle Gestaltung des Audience Development nach Pierre Bourdieu


Hausarbeit, 2020

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Pierre Bourdieu
2.1 Feldtheorie
2.2 Kapital
2.3 Habitus

3. Audience Development
3.1 Annäherung an den Begriff
3.2 Audience Development im Lichte Bourdieus

4. Fazit

5. Quellen und Literatur

1. Einleitung

Die Bevölkerung, welche sich aus potenziellen Zielgruppen von Kultureinrichtungen zusammensetzt, verändert sich und stellt sie vor konzeptionelle und strategische Herausforderungen. Zudem führen wandelnde politische und gesellschaftliche Diskurse zu immer neuen Anforderungen an den Bildungsauftrag, der vor allem öffentlich getragenen Kultur- und Bildungsinstitutionen immanent ist. Hierzu gehören beispielsweise der Umgang und die Auseinandersetzung mit gesellschaftsaktuellen Themen wie Flucht und Migration, Rechtsextremismus, Gendergerechtigkeit und Nachhaltigkeit, aber auch die Ermöglichung des Kulturerlebnisses für alle Gruppen der Gesellschaft. Gleichzeitig stehen fast alle Kultureinrichtungen vor der existenzbedrohenden Herausforderung, nicht nur ihr Stammpublikum zu halten, sondern vor allem auch neues Publikum zu gewinnen und langfristig zu binden.1 Dennoch mag einem die Homogenität der Besucherschaft bei einem Opernbesuch oder der Kunsthalle vermutlich nicht entgehen. Der vielzitierte französische Soziologe Pierre Bourdieu beschäftigte sich unter anderem mit diesem Phänomen und findet die Gründe hierfür in den einflussreichen sozialen Strukturen, die einen Zusammenhang zwischen der sozialen Position und bestimmten Lebensstilen herstellen lassen. Erläuterungen dieser Theorie werden insbesondere im zweiten Kapitel vorgenommen.

Ziel dieser Arbeit ist es, ausgehend von Bourdieus Feldtheorie und Habituskonzept, das Audience Development als Strategie von Kulturinstitutionen zur Zielgruppengewinnung in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Hiervon soll zumindest ansatzweise abgeleitet werden, wie KulturmanagerInnen Audience Development vor diesem Hintergrund sinnvoll gestalten können. Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht vorgesehen, ausdifferenzierte oder exemplarische Handlungsempfehlungen auszusprechen, da die Untersuchung nicht auf Mikroebene eines bestimmten Betriebes erfolgt, sondern vielmehr die Bedeutung gesamtgesellschaftlicher Strukturen für Kulturbetriebe hervorgehoben werden soll.

Zunächst werden die Grundlagen von Bourdieus Feldtheorie sowie seinem Habituskonzept dargelegt. Diese können als eine „problemsensible Hintergrundfolie“ für das Kulturmanagement bezeichnet werden2, was für die Gestaltung von Maßnahmen für Audience Development einen Ansatz bieten kann. Dies soll in diese Arbeit erarbeitet werden.

2. Pierre Bourdieu

Mit seinen empirischen Ansätzen und soziologischen Theorien hat Pierre Bourdieu die Sozialwissenschaften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in Europa maßgeblich beeinflusst. Sein Verständnis von Machtstrukturen und der gesellschaftlichen Reproduktion sozialer Ungleichheiten findet auch heute noch Anwendung.

Bourdieus Forschungsinteresse gilt weniger dem Individuum an sich, als dem Geflecht an Positionen und Relationen innerhalb des sozialen Raums. Insbesondere die Betrachtung der Relationen sind bei Bourdieu von Bedeutung, denn sie konstituieren die Dynamiken und Verschiebungen von Machtverhältnissen, welche wiederum soziale Klassen begründen. Auf Basis seiner empirischen Untersuchungen ist davon auszugehen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Lebensstilen und sozialen Positionen gibt. Der primäre Einflussfaktor ist hierbei der (Aus-)Bildungsgrad, gefolgt von der sozialen Herkunft.3 So lautet eine zentrale Fragestellung, wie es dazu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch sich für einen Museumsbesuch interessiert, mit der Höhe des Bildungsgrades steigt.4 Hier liegt auch die thematische Schnittstelle zu dieser Arbeit.

2.1 Feldtheorie

Bourdieu verwendet den Begriff „Feld“ oder „soziales Feld“ als ein autonomes System innerhalb der Gesellschaft (des sozialen Raums), denen jeweils unterschiedliche Funktionen zukommen, wodurch sie sich voneinander abgrenzen. Hierdurch wird ihnen eine (relative) Autonomie zugeschrieben, wobei es durchaus auch Wechselwirkungen zwischen Feldern geben kann. Als Feld sind also die unterschiedlichen und spezifischen sozialen Einheiten und Einrichtungen zu verstehen. Dazu gehören Individuen, kollektive Akteure sowie Institutionen, die ein Netz aus objektiven Relationen aufspannen.5 6 Als Beispiele hierfür können Wirtschaft, Kunst, Literatur, Bildung, Religion und Gesundheit genannt werden, die wiederum auch in Unterfelder differenziert werden können. Jedes Feld folgt hierbei seinen eigenen Funktionsweisen oder auch seiner eigenen Logik. Bourdieu verwendet hierfür auch die Metapher des Kartenspiels, welche die Mechanismen im sozialen Raum treffend veranschaulicht. Demnach gibt es im sozialen Raum bestimmte Spielprinzipien (doxa), denen es zu folgen gilt, um eine möglichst hohe Position im Spiel zu erlangen.7 Diese Spielregeln verankern sich im Habitus der im Feld aktiven Akteure, wodurch die Gegebenheiten unbewusst und unhinterfragt ständig reproduziert werden.8 Aus diesem Grund ist es nur sehr schwer möglich, soziale Gegebenheiten strukturell zu durchbrechen. Das Habituskonzept wird in Kapitel 2.3. näher erläutert.

Im Zentrum Bourdieus Forschungsinteresses stehen gesellschaftliche Mechanismen der Differenzierung sozialer Klassen, welche in den unterschiedlichen Lebensstilen zum Ausdruck kommen. So trägt sein wohl zentralstes Werk, welches erstmals 1979 erschien, den Titel Die feinen Unterschiede (im französischen Original La distincion).

Wenn Bourdieu von sozialen Klassen spricht, distanziert er sich jedoch gezielt vom traditionellen Verständnis der Klasseneinteilung, welche ausschließlich auf ökonomischen Aspekten fußt. Sein Verständnis von Gesellschaft als sozialen Raum setzt diesem ein stark differenziertes Klassenmodell entgegen. Einzelne Akteure und Institutionen des sozialen Raums definieren sich hierbei über ihre relationale Stellung im Raum (Position), die maßgeblich vom Kapitalvolumen sowie der Zusammensetzung der vorhandenen Kapitalsorten abhängig ist. Hierbei kann stets nur eine bestimmte Position im Raum belegt werden, welche sich im Laufe des Lebens jedoch verändern kann.9 Akteure mit ähnlichen Positionen im Raum können hierbei einer konstruierten Klasse bzw. einem Cluster zugeordnet werden, welche nicht durch ein bestimmtes Merkmal oder die Summe der Merkmale definiert sind, sondern durch „die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen“.10 Beziehungen in den sozialen Feldern sind von Macht- und Positionskämpfen bestimmt – die „Waffen“ sind hierbei der Umfang und die Zusammensetzung des Kapitals, gemessen an den im spezifischen Feld erforderlichen Kapitalsorten.11

Bourdieus Modell unterscheidet sich vom traditionellen Klassenverständnis maßgeblich dadurch, dass für den Rang der eingenommenen Position nicht allein entscheidend ist, ob jemand viel oder wenig ökonomisches Kapital, vornehmlich in Form von Geld, besitzt. Ein Akteur kann auch eine hohe Position einnehmen, wenn zwar wenig ökonomisches Kapital, dafür aber viel kulturelles Kapital vorhanden ist. Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise HochschulprofessorInnen und KulturvermittlerInnen.12 Diese stehen dann zwar auch oben im Feld, jedoch auf der linken Seite der Achse, wie es in Abb. 1 zu erkennen ist. Diese visualisiert den sozialen Raum nach Bourdieu als Achsenmodell, dessen Pole sich nach dem Volumen der ökonomischen und kulturellen Kapitalsorten richtet. Die X-Achse bildet hierbei die Art des vorhandenen Kapitals, wobei links das kulturelle Kapital und rechts das ökonomische Kapital stehen. Die Y-Achse richtet sich nach dem Kapitalvolumen, also ob viel oder wenig Gesamtkapital vorhanden ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Achsenmodell des sozialen Raums (eigene Darstellung nach Bourdieu)

Akteure mit ähnlichen Positionen im Raum neigen dazu, über einen ähnlichen Habitus zu verfügen. Der Habitusbegriff lässt sich als die inkorporierten objektiven Strukturen verstehen und wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit genauer erläutert.

Wenn es nun um Audience Development im Kulturbereich geht, ist eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Feld notwendig. Dieses existiert neben anderen Feldern, insbesondere dem ökonomischen Feld und dem Bildungsfeld. Diese drei Felder sind zwar autonom, jedoch ist unter ihnen die Macht unterschiedlich verteilt. Das Feld der Kunst gilt ebenso wie das der Bildung als machtschwach, weshalb sie außerhalb des eigenen Feldes nur schwer Anerkennung finden. Das ökonomische Feld wiederum ist so stark, dass es seinen Nomos (Grundsatz) in andere Felder implementiert.13 So lässt sich der Grundsatz des Kunstfeldes „l’art pour l’art“ (Kunst um der Kunst Willen) in der realen Welt selten idealtypisch umsetzen, da auch das Kunstfeld von ökonomischen Prinzipien wie Massenproduktion und Verkaufszahlen beeinflusst wird.14 Dennoch wird die gesellschaftliche Relevanz seiner (relativen) Autonomie und Eigenlogik, die zumindest im Kern den ökonomischen Prinzipien wiederstrebt, als besonders wichtig betrachtet.15 So konkurrieren also nicht nur die einzelnen Akteure miteinander, sondern auch die Felder unter sich stehen in einem ungleichen Kräfteverhältnis.

2.2 Kapital

Der Kapitalbegriff ist in der Soziologie meist marxistisch geprägt und rein ökonomisch konnotiert. Bourdieu öffnet den Kapitalbegriff und bezeichnet damit zunächst „soziale Energie“, das nur in dem Feld Bestand hat, in dem es sich produziert und reproduziert.16 Hierbei kann Kapital durch Arbeit angeeignet, vererbt oder auf andere Weise übertragen werden und in materieller wie nicht materieller Form gegeben sein.17 Er unterscheidet zwischen drei Hauptkapitalsorten, denen alle weiteren feldspezifischen Kapitalsorten untergeordnet werden können – dem ökonomischen, kulturellen und dem sozialen Kapital.18 Eine Sonderstellung kommt dem symbolischen Kapital zu, welches jedoch unbedingt zu nennen ist.

Die Konstruktionsprinzipien des sozialen Raums bilden die Kapitalsorten, die den Feldern ihre Spezifik verleihen und bestimmen, welche in jenem spezifischen Feld als Währung oder – um zurück auf die Kartenspielmetapher zu kommen – als „Trumpf“ gilt.19 Die soziale Position eines Akteurs wird dabei in erster Linie durch das Kapitalvolumen bestimmt. Je höher das Kapitalvolumen, desto höher die Position in der Hierarchie innerhalb eines bestimmten Feldes des sozialen Raums. Es kommt jedoch auch auf die Zusammensetzung der Kapitalsorten an. Also die Anordnung der Verhältnisse und die Art des Kapitals, das in dem jeweiligen Feld als stärkste Währung gilt. Das bedeutet, dass beispielsweise der Erwerb von kulturellem Kapital Voraussetzung für den Erfolg im kulturellen Feld ist.20 Trotz der Öffnung des Kapitalbegriffs betont Bourdieu, dass das ökonomische Kapital in seinen unterschiedlichen Ausprägungen den anderen Kapitalsorten überlegen ist. Als nächstes folgen – in der Reihenfolge – das kulturelle, das soziale und das symbolische Kapital.21 Nachfolgend werden diese Kapitalarten näher erläutert.

Das ökonomische Kapital umfasst alles mittelbar oder unmittelbar in Geld Konvertierbare und eignet sich in erster Linie zur Institutionalisierung von Eigentumsrechten. Dies setzt voraus, dass es hierfür einen entwickelten Markt in der Gesellschaft gibt.22 Das ökonomische Kapital gilt als die wichtigste Kapitalsorte, da sie in aller Regel die Grundlage für den Erwerb anderer Kapitalsorten bildet, wenn auch andere Kapitalarten nicht immer unmittelbar auf ökonomisches Kapital zurückzuführen sind. Das ökonomische Kapital nimmt also eine dominierende Rolle ein, die in Feldern außerhalb des ökonomischen jedoch häufig zu verschleiern versucht wird.23

Das kulturelle Kapital ist etwas komplexer. Zum einen umfasst es eine Vielzahl an spezifischen Kapitalsorten, die jeweils einem bestimmten Unterfeld entspringen. Hierzu gehören beispielsweise literarisches, wissenschaftliches und künstlerisches Kapital. Zum anderen kann es in drei Ausprägungsformen unterteilt werden: seine objektivierte Form, die inkorporierte Form und die institutionalisierte Form.

In der objektivierten Form des kulturellen Kapitals wird die Nähe zum ökonomischen Kapital besonders deutlich. Hierbei handelt es sich um körperliche Güter, wie Bücher, Kunstwerke, technische Instrumente etc., die somit leicht in Geld bzw. ökonomisches Kapital konvertierbar sind. Doch hierbei gilt es zu unterscheiden zwischen dem juristischen Eigentum, welches direkt übertragbar ist, und der kulturellen Fähigkeit, jenes kulturelle Gut zu genießen.24 Für letzteres bedarf es den Werkzeugen, ein kulturelles Gut zu verstehen und die darin enthaltenen kulturell-symbolischen Codes zu entschlüsseln. Dies geschieht über das inkorporierte kulturelle Kapital.

[...]


1 vgl. Mandel 2012, S. 15.

2 vgl. Schnell 2010, S. 49.

3 vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005, S. 59 f.

4 vgl. Barlösius 2011, S. 29.

5 vgl. Barlösius 2011, S. 90.

6 vgl. Albright 2018, S. 4.

7 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 10.

8 vgl. Barlösius 2011, S. 27 f.

9 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 10.

10 Bourdieu 1984/2016, S. 182.

11 vgl. Barlösius 2011, S. 96.

12 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 533.

13 vgl. Barlösius 2011, S. 96.

14 vgl. ebd.

15 vgl. Schnell 2010, S. 44.

16 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 194.

17 vgl. Barlösius 2011, S. 157.

18 vgl. Barlösius 2011, S. 108.

19 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 10.

20 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 10.

21 vgl. Bourdieu 1984/2016, S. 11.

22 vgl. Barlösius 2011, S. 108.

23 vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005, S. 161.

24 vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005, S. 162.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Eine sinnvolle Gestaltung des Audience Development nach Pierre Bourdieu
Hochschule
Hochschule für Musik und Theater Hamburg  (Kultur- und Medienmanagement)
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
17
Katalognummer
V1132495
ISBN (eBook)
9783346504449
ISBN (Buch)
9783346504456
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Audience Development, Feldtheorie, Pierre Bourdieu, Kulturmanagement, Kulturvermittlung
Arbeit zitieren
Suna Yilmaz (Autor:in), 2020, Eine sinnvolle Gestaltung des Audience Development nach Pierre Bourdieu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1132495

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