Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Uber das Spiel The Walking Dead
3. Was sind Computerspiele?
4. Analyse der Handlungsentscheidungen in The Walking Dead
4.1. Virtuelle Entscheidungen
4.2. Fiktionale Entscheidungen
4.3. Fiktive Entscheidungen
4.4. Computerspielentscheidungen und reale Entscheidungen
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
6.1. Primarliteratur
6.2. Sekundarliteratur
6.3. Internetquellen
1. Einleitung
Nach nur wenigen Wochen gehort die Welt, wie man sie kannte, der Vergangenheit an. Wenige Menschen sind nicht zu hirnfressenden Zombies mutiert und versuchen im Kampf gegen die Untoten zu uberleben.
Die Zombieapokalypse.
Links siehst du, wie dein Freund, den du erst vor kurzem kennengelernt hast, von den Untoten angegriffen wird. Rechts, wie ein kleiner Junge gegen die sogenannten BeiBer ankampft.
Wen rettest du?
Warum?
Bereust du es?
Dieses Szenario wird in dem Computerspiel The Walking Dead angetroffen, in welchem der Spieler dazu angehalten ist, stets Entscheidungen zu treffen. Mal betreffen diese Entscheidungen die Antworten, die gegeben werden, die Charaktere, mit denen gesprochen wird oder die Gegenstande, die ausgewahlt werden. Doch nicht selten betreffen die Entscheidung das Leben und den Tod der Charaktere in dem Spiel. Innerhalb von nur weniger Sekunden ist die Entscheidung zu treffen, wer gerettet wird und wer stirbt. Doch warum entscheidet man sich gerade so und nicht anders? Wenn der Spieler sein Handlungsmotiv reflektieren wurde, zu welchem Ergebnis wurde er kommen? Bereut er diese Entscheidung, weil sie ihm im Spiel zur Last fallt? Wurde er im realen Leben genauso entscheiden?
In vielen Computerspielen sind solche Handlungsentscheidungen ein oft genutztes Element, um dem Spieler das eigenstandige Handeln und Entscheiden zu ermoglichen. Dieser freie Wille, wenn man die begrenzten Optionen seiner Wahl auBer Acht lasst, erscheint attraktiv und interessant, um ein Gefuhl fur Macht und Wichtigkeit seiner Spielfigur zu erhalten. Die Moglichkeit der, nicht unbedingt unbegrenzten, freien Wahl seiner Handlungsentscheidungen fuhrt dennoch dazu, dass sich in das Spiel leicht hineinversetzt werden kann und sich auf die Spielhandlung schneller eingelassen wird. Sind jedoch Entscheidungen in Computerspielen mit den Entscheidungen im realen Leben gleichzusetzen? Wie fallt die Entscheidung in Computerspielen, im Vergleich zum echten Leben aus? Sind unsere Entscheidungen in Computerspielen gleich zu werten, wie in der Realitat? Diese Fragen sollen im Folgenden anhand des Spiels The Walking Dead untersucht und bestenfalls beantwortet werden.
Die vorliegende Analyse von Handlungsentscheidungen im Computerspiel The Walking Dead vollzieht sich in drei Schritten. Im ersten Schritt wird das zu untersuchende Spiel vorgestellt, indem eine padagogische Beurteilung von der Medienpadagogin Anne Sauer herangezogen wird. Dabei soll ersichtlich werden, warum gerade dieses Spiel fur eine Analyse von Handlungsentscheidungen passend ist und genau aus diesem Grund als Forschungsgegenstand zum Zwecke dieser Seminararbeit gewahlt wurde. Als nachstes wird der Begriff des Computerspiels bestimmt, um die Frage, wie Computerspiele zu definieren sind, beantworten zu konnen. Dazu werden vor allem die Begriffsbestimmungen herangezogen, die Samuel Ulbricht in seinem Buch Ethik des Computerspiels untersucht hat. Im dritten Schritt wird das Treffen von Entscheidungen in The Walking Dead naher erforscht, indem versucht wird, Ulbrichts Einteilung in virtuelles, fiktionales und fiktives Handeln auf eine Einteilung von virtuellen, fiktionalen und fiktiven Entscheidungen zu ubertragen. Dabei wird diese Einteilung auf das Spiel The Walking Dead angewendet, um die Frage nach dem Unterschied von Computerspielentscheidungen und realen Entscheidungen zu beantworten. AbschlieBend wird in einem Fazit darauf eingegangen, dass das Treffen von Entscheidungen in Computerspielen nicht nur komplexer ist als man erwartet, sondern auch einen Nutzen aus sich ziehen lasst.
2. Uber das Spiel The Walking Dead
Das Spiel The Walking Dead, auch bekannt als The Walking Dead: The Game, gehort zum Computerspielgenre der Adventures. Hierbei handelt es sich um ein Episodenformat, das auf dem gleichnamigen Comic von Robert Kirkman, sowie auf der ebenfalls gleichnamigen, beruhmten US-amerikanischen Fernsehserie von Frank Darabont basiert. Das Spiel ist in vier Staffeln unterteilt, die wiederrum aus vier bis funf Episoden bestehen. Telltale Games veroffentlichte das Spiel, nach unerwarteten Verzogerungen, schlieBlich im Jahre 2012.
Um das Spiel und damit die Erzahlung voranzutreiben, muss der Spieler die Rolle des Lee Everett, einem ehemaligen Professor und verurteilten Morder, ubernehmen. Dieser befindet sich in der gleichen fiktionalen Welt, wie die des Comics sowie der US-Serie. Der Spieler erhalt bei der Uberfuhrung von Lee ins Gefangnis erstmals einen Einblick in das postapokalyptische Szenario:
„Untote wandeln durch die Stadte auf der Suche nach menschlicher Nahrung und verwandeln die Lebenden in ihresgleichen. Diejenigen, die bislang noch verschont wurden, versuchen sich zu Gruppen zu formieren und sich gegen die Bedrohung zur Wehr zu setzen.“1
Neben Lee, spielt auch die Figur der Clementine eine wichtige Rolle. Lee trifft auf das kleine Madchen namens Clementine und beschlieBt, fur sie zu sorgen und sie zu beschutzen. Gemeinsam treten sie den Kampf ums Uberleben an und treffen auf ihrer Reise vielerlei andere Charaktere. Der Spieler hat die Aufgabe mit diesen Charakteren zu sprechen, Gegenstande zu suchen, Ratsel zu losen und vor allem Entscheidungen dabei zu treffen.
Das Spiel besteht aber nicht nur aus dem Treffen von Entscheidungen unter Zeitdruck, sondern auch aus Action-Szenen im Kampf gegen Zombies, die per Quick-Time-Event getotet werden konnen. Als Quick-Time Events „bezeichnet man Zwischensequenzen, in denen die Spielenden moglichst reaktionsschnell eine vorgegebene Kombination von Tasten drucken mussen“.2 Das Spiel legt jedoch weniger Fokus auf Actionelemente, sondern viel mehr auf die Charakterentwicklungen der Figuren sowie den Handlungsstrangen, die durch das Treffen von Entscheidungen variieren.
Das Treffen von Entscheidungen in diesem Spiel, ist fur die hier vorliegende Seminararbeit jedoch von besonderer Bedeutung und wird im Folgenden naher erlautert. Die Geschichte des Spiels wird von den Entscheidungen und Handlungen des Spielers maBgeblich beeinflusst. Dementsprechend werden die Folgen und Konsequenzen dieser Entscheidungen in die nachsten Episoden ubernommen.
Anne Sauer, eine Medienpadagogin, schreibt bei der padagogischen Beurteilung des Spiels, dass einem beim Spielen indirekt moralische und ethische Grundsatzfragen gestellt werden, die schon bei einfachen Konversationen mit den Charakteren beginnen konnen:
„Wie viel darf man von sich selbst verraten? Wie viel sollte man verbergen, um nicht wegen seiner Vergangenheit belangt oder vorverurteilt zu werden? Wann verstrickt man sich in Lugen und verliert so Glaubwurdigkeit? Man hat nur begrenzt Zeit, um eine Auswahl fur das Gesprach zu treffen. Wurde keine Entscheidung getroffen, bleibt der Charakter stumm, was wiederum je nach Gesprachspartner und Situation unterschiedlich aufgefasst wird. Schwer fallen auch moralische Entscheidungen, in denen direkt das Leben anderer betroffen ist. Hilft man einer Person und setzt dafur das Leben einer anderen aufs Spiel? Sind zwei Personen gleichzeitig in Gefahr, welcher steht man bei und welcher fallt man in den Rucken? Manchmal muss man abwagen, wer einem moglicherweise in der Zukunft hilfreicher sein konnte. Jede Entscheidung - sei es die Wahl der Gesprachsfuhrung oder die der Taten - fallt fruher oder spater auf einen zuruck, im positiven oder negativen Sinne.“34
Doch die Wahl der Handlungen erfolgt nicht nur aus strategischen Grunden, sondern auch aus emotionalen. Durch die Interaktion mit den verschiedenen Charakteren und dem Schwerpunkt des Spiels auf die Beziehungen zu diesen, fuhrt es dazu, dass eine Handlung nicht nur aus vernunftbasierten Uberlegungen gewahlt wird, sondern auch aus Sympathie oder Empathie des Spielers gegenuber der anderen Charaktere.
Nach Sauer sorgt die Mischung aus 3D-Grafik und Cel Shading (Comic-Stil) fur eine gewisse Distanzierungsmoglichkeit zum Spielinhalt.3 4 5 Dennoch sind die Gewaltszenen und die durchgehende emotionale Anspannung der Grund fur die Altersfreigabe ab 18 Jahren, dem Sauer zustimmt.
Beim Spielen besteht die Moglichkeit, zuruckzugehen und vorherige Entscheidungen zu andern, indem verschiedene Speicherlots verwendet und dabei die Ruckspulfunktion genutzt wird. Auch gibt es die Moglichkeit einzustellen, als Spieler eine Mitteilung zu erhalten, um zu erfahren, wie jeweilige Charaktere auf eine Antwort reagieren und ob sie ihre Haltung gegenuber den Protagonisten Lee geandert haben oder nicht. Das Interessante fur die Ethik der Computerspiele ist aber, dass der Spieler pro Episode funf wichtige Entscheidungen zu treffen hat, die ihm nach der Episode aufgelistet werden. In einer Tabelle erhalt der Spieler nicht nur einen Uberblick uber seine Entscheidungen, sondern auch einen Einblick in die Entscheidungen der restlichen Spieler. Dabei werden Kategorien, wie Aufrichtigkeit, Loyalitat, Gnade und wen wurdest du retten aufgezahlt und die Prozentanzahl der Entscheidungen aller anderen Spieler mit der Entscheidung des Spielers verglichen (z.B. „Du und 30% der Spieler haben die Wahrheit gesagt“). Somit kann der Spieler am Ende jeder Episode seine Entscheidungen reflektieren und ist gezwungen, sich mit anderen zu vergleichen, die die gleiche Entscheidung zu treffen hatten.
Da der Fokus dieses Spiels auf den Handlungsentscheidungen liegt, scheint das Spiel als passender Forschungsgegenstand zum Zwecke dieser Seminararbeit zu dienen. Demnach sind strategische und, fur das Spiel relevante, technische Aspekte leicht in den Hintergrund zu stellen, was wiederrum ermoglicht, das Augenmerk auf die Entscheidungen an sich zu legen.
3. Was sind Computerspiele?
Beim Versuch Ulbrichts, eine Definition fur den Begriff des Computerspiels zu finden, wird schnell deutlich, dass sich dieser Versuch als schwieriger erweist, als es zunachst zu sein scheint. Um dem Begriff naher auf den Grund zu gehen, versucht Ulbricht als erstes den Begriff des Spiels genauer zu bestimmen. Durch die fehlenden konstanten Wesensmerkmale aller Spiele, erweist sich dieser Versuch jedoch als vergeblich.6 7 Demnach seien die Computerspiele, die „einen digitalen Typus herkommlicher Spiele bilden“ genau so schwierig zu definieren.7 Ulbricht erwahnt, dass in einer Debatte uber die Definition dieses Begriffs, zwei Bestimmungen Anklang fanden: der narratologische Ansatz, der Computerspiele als digital und spielerisch umgesetzte Erzahlungen versteht und der ludologische Ansatz, nach dem Computerspiele als digital und manchmal erzahlerisch umgesetztes, regelbasiertes Spiel verstanden werden.8 Mit den Spielbeispielen Tetris und Detroit: Become Human, macht Ulbricht aber schnell klar, dass sich beide Bestimmungen nicht ausschlieBen und je nach Spiel eine der beiden Bestimmungen passender zu sein scheint. Im Hinblick auf das in dieser Arbeit zu untersuchende Spiel, scheint der narratologische Ansatz passender zu sein, zumal das Spiel viele herkommliche Erzahlformen aufweist, da es auf der gleichnamigen US-Serie basiert.
Bei der Definition des Begriffs des Computerspiels ist wohl auch die Perspektive, aus denen solche Spiele betrachtet werden, grundlegend. Dazu schreibt Ulbricht:
„Analog konnte man als Computerspiel genau das bezeichnen, was man auf die ein oder andere Weise (je nach Hardware) startet und als Computerspielen das, was man im Anschluss daran mit dem Spiel tut. Physikalisch lasst sich ein Computerspiel als Gegenstand auf eine Software als Programmcode reduzieren, wahrend das Spielen als Ereignis aufgefasst werden muss.“9
Doch hier ist es wieder die Handlung, die es Computerspielen ermoglicht, sich von anderen Programmen abzugrenzen, denn „[e]in Computerspiel ohne Handlung ist (uberspitzt) kein Spiel, sondern ein Film“.10 Dabei soll in dieser Arbeit, genau wie bei Ulbricht, das Computerspielen als Handlungsform von dem Computerspiel als Gegenstand abgegrenzt werden, weil es einen Unterschied zwischen einem Spiel und dem Spielen gibt. Der Unterschied dieser beiden Begriffe wird jedoch erst bei der Betrachtung der Verwendungsweise deutlich.
Demnach seien Spiele Handlungsanweisungen, aber eben nicht die Handlung selbst. Hier sei Ulbrichts FuBnote zu erwahnen, die den Begriff der Anweisung, naher umschreibt:
„Es ist nicht gemeint, dass jedes Spiel konkrete Anweisungen zum Handeln enthalt [...]. Es geht vielmehr darum, dass es konstitutiv fur jedwedes Spiel als Spiel ist, Anweisung zum Handeln zu sein [.].“11
Somit entwickeln Spielentwickler Computerspiele als Gegenstand, die Spielgegenstande wiederrum enthalten Handlungsanweisungen, sind aber nicht die Handlung oder Tatigkeit selbst. Das, was beim Ausdruck Computerspielen als Handlungsform gemeint ist, ist aber genau diese Handlung oder Tatigkeit an sich.
Damit ist die Ethik von Computerspielen als Gegenstande von der Ethik von Computerspielen als Handlungen stark zu unterschieden. Letztere sind, am Beispiel von The Walking Dead, der genaue Forschungsgegenstand dieser Seminararbeit. Es geht bei der Analyse der Handlungsentscheidungen dieses Spiels somit nicht um das Beurteilen der Handlungsentscheidungen des Spiels, sondern um die Beurteilung der Handlungsentscheidungen in dem Spiel.
[...]
1 Sauer, Anne: The Walking Dead. Spielbeurteilung. 2013. https://www.spielbar.de/spiele/145605/the-walking- dead (letzter Zugriff am 03.05.2021).
2 Ebd.
3 Anne, Sauer: The Walking Dead. (siehe Internetquellen).
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Vgl. Ulbricht: Ethik des Computerspiels, S. 2.
7 Ebd. S. 2.
8 Vgl. Ebd. S. 2.
9 Ebd. S. 3.
10 Ebd. S. 3.
11 Ulbricht: Ethik des Computerspiels, S. 4-5.