Die Schule im digitalen Zeitalter. Wie verändern digitale Medien den Lernraum?


Examensarbeit, 2021

76 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das digitale Zeitalter

2.1 Die Digitalisierung

2.1.1 Eine Revolution

2.1.2 Geschwindigkeit und Versäumnisse der Revolution

2.2 Zu erwartende Veränderungen

2.2.1 Gesellschaftliche Veränderungen

2.2.2 Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt

2.2.3 Veränderungen in der Schule

2.2.4 Antworten der Medienkritik

2.2.5 Exkurs: Soll die Schule auf gesellschaftliche Veränderungen vorbereiten?

3 Die Bedeutung des Raums für die Schule

3.1 Raumtheorien

3.1.1 Raumbegriffe im Zwiegespräch

Absolutistischer Raumbegriff

Vom relativistischen zum relationalen Raumbegriff

3.1.2 Spezifizierung des Raumbegriffs

3.2 Der heutige Lernraum

3.2.1 Die Entwicklung des Schulgebäudes nach Michael Göhlich

3.2.2 Vom Raum zum Lernraum

3.2.3 Beispielhafte Darstellung der aktuellen Begriffsbestimmung des Lernraums

4 Erweiterung des Lernraums

4.1 Von der absolutistischen zur relationalen Raumbetrachtung

4.1.1 Durch Digitalisierung bedingte Entgrenzungsprozesse

4.1.2 Virtuelle Räume

4.2 Der Lernraum im digitalen Zeitalter

4.2.1 Entgrenzung des Lernraums

4.2.2 Digitale Lernräume

4.2.3 Medien im Lernraum: Aus analog mach digital?

4.3 Weiteres relationales Lernraumkonzept: Der außerschulische Lernraum

4.4 Wirksamkeit von Medien in Bildung

4.4.1 Individuelle Perspektive der Schülerinnen und Schüler

4.4.2 Perspektive des Unterrichtsprozesses bzw. der Lehrkraft

4.5 Beispiel: Schule im Fernunterricht

5 Diskussion: Entwicklungsschritte für die Schule

Erster Schritt: Die Akteurinnen und Akteure im Bildungssystem begreifen den Lernraum auf Grundlage eines relationalen Raumbegriffs.

Zweiter Schritt: Didaktische Konzepte passen sich den Prozessen und Anforderungen des digitalen Zeitalters an.

Dritter Schritt: Das neue Selbstverständnis von Lehrkräften sowie die Potenziale einer Veränderung des Lernraums sind elementare Bestandteile in der Aus- und Fortbildung.

Vierter Schritt: Das Schulgebäude ist flexibel und multifunktional gestaltet.

Fünfter Schritt: Der analoge Raum findet in Bildungsprozessen weiterhin Berücksichtigung.

Sechster Schritt: Die Weiterentwicklungen des Lernraums spiegeln sich auch in den Bildungsplänen wider.

Siebter Schritt: Datensicherheit und rechtliche Rahmenbedingungen entsprechen den dynamischen und neuen Entwicklungen.

6 Abschließende Bemerkung

7 Literaturverzeichnis


1                  Einleitung

 

„Ein Gespenst geht um in der globalisierten Gesellschaft – das Gespenst der Digitalisierung“ (Precht, 2018, S. 15). Gespenster sind bekannt aus Märchen oder Schauergeschichten, verbreiten Angst und Schrecken und wohnen meist in verlassenen Häusern oder Schlössern. Trotz der angsteinflößenden Eigenschaften wecken sie in gewisser Weise jedoch auch Interesse und Neugierde. Es scheint, als verhalte sich die Digitalisierung ähnlich. So mahnen Philosophen, wie zum Beispiel Harari, dass sich durch den Wandel, gemeint ist die Digitalisierung, „nicht nur die Wirtschaft veränder[t], sondern sogar die Bedeutung dessen, was es heißt, Mensch zu sein“ (2019, S. 402). Auch Precht mahnt Politiker und Wirtschaftsweisende, dass nun auf die gesellschaftliche Veränderung reagiert werden muss, damit die Zukunft gestaltet werden kann (2018, S. 22). Ein falscher Umgang mit der Digitalisierung, so scheint es, kann unser aller Leben zum Negativen verändern. Bei solchen Behauptungen kann mitunter Angst aufkommen. Nicht nur diese Prognosen beunruhigen, sondern auch die Undurchdringbarkeit der Materie. Genau wie bei Gespenstern sind das Verhalten und die Materialien der Digitalisierung nicht leicht zu greifen. Die Komplexität eines Computers, eines Softwareprogramms oder gar einer künstlichen Intelligenz übersteigen das Verständnis des durchschnittlich Nutzenden. Wie genau ein Computer funktioniert oder aus welchen Bestandteilen eine Festplatte besteht, wissen die Wenigsten. Digitalisierungsprozesse verhalten sich demnach in mancherlei Hinsicht wie ein Gespenst: Sie sind angsteinflößend und meist unerklärlich. Der große Unterschied besteht darin, dass Digitalisierungsprozesse real sind.

 

Auch wenn Gespenster Angst verbreiten, locken sie in Schauergeschichten immer wieder Schaulustige an und es bildete sich sogar eine Berufsgruppe der Geisterjäger. So ist auch die Digitalisierung attraktiv für Viele. Aus der JIM-Studie 2019 geht hervor, dass Jugendliche ein breites Repertoire an Mediengeräten in ihrem Haushalt nutzen und über 93% aller 12-19 Jährigen selbst ein Smartphone besitzen (2019, S. 7). In der alljährlichen Datenerhebung der Mediensituation in Deutschland wird bei den 14-19 Jährigen von einer täglichen Nutzung von audiovisuellen Medien (einschließlich PC) von über fünf Stunden berichtet (Hessischer Rundfunk, 2019, S. 70). Diese Zahlen zeigen, wie begehrt digitale Medien für insbesondere Jugendliche sind. Auch vor dem Schultor macht die Digitalisierung nicht halt. So beschloss die Kultusministerkonferenz Ende 2016 ein Strategiepapier mit dem Titel „Bildung in der Digitalen Welt“. Auch sie zeichnet in ihrer Präambel, ähnlich wie Precht und Harari, eine Welt des „stetigen Wandels“ mit „hoher Dynamik“ und vergleicht die durch digitale Medien ausgelösten Veränderungen mit der industriellen Revolution (2017, S. 3).

 

Wenn die Digitalisierung mit einem Gespenst zu vergleichen ist, fällt eine weitere Gemeinsamkeit auf: Wie ein Gespenst können Daten durch Mauern gehen und unterliegen keinen räumlichen Beschränkungen. Für Schülerinnen und Schüler, so zeigen es zum Beispiel die beiden erwähnten Studien, ermöglichen diese durch Wände gehenden Daten eine neue Art der Kommunikation. Nachrichten, Geschehnisse bei Bekannten oder Musik werden zunehmend nicht über analoge Wege bzw. persönliche Begegnungen ausgetauscht, sondern im digitalen Raum verschickt. Es entstehen ganz neue Orte und Räume, die die herkömmlichen Definitionen von Interaktion und Räumlichkeit erweitern. Auch der Lernprozess verändert sich aufgrund der neuen Möglichkeiten, Daten zu erheben und auszutauschen. Professorin Grell sieht neue Veränderungen auf die Gesellschaft zukommen, welche sich auch auf wahrgenommene Räumlichkeit beziehen. In der Einleitung zu „Neue digitale Kultur- und Bildungsräume“ stellt sie die Frage:

 

„In welcher Weise entstehen neue kulturelle Räume und soziale Vergemeinschaftungen im Kontext neuer Informationstechnologien und was bedeuten diese veränderten Optionen, sich zu inszenieren, zu kommunizieren und zu kooperieren, im Hinblick auf das Selbst- und Weltverständnis der (jungen) Menschen?“ (Grell et al., 2010, S. 8)

 

Wenn Philosophen wie Precht und Harari, aber auch Professorin Grell Recht behalten, wird sich unsere Gesellschaft grundlegend verändern bzw. hat sich schon grundlegend verändert und Menschen, die Anfang des 21. Jahrhunderts geboren werden, werden andere Kompetenzen benötigen, um sich in dieser Gesellschaft zurechtzufinden. Für die Bildung unterschiedlicher Kompetenzen ist auch die Schule mitverantwortlich. Im hessischen Schulgesetz § 2 Abs. 1 findet sich folgende Formulierung: Schulen „tragen dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Persönlichkeit in der Gemeinschaft entfalten können“. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, muss Schule die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen genau beobachten, analysieren und sich gegebenenfalls neu orientieren und anpassen.

 

Die vorliegende Arbeit befasst sich daher mit der Frage, wie sich der Lernraum aufgrund umfangreicher Veränderungen in der Gesellschaft durch die Digitalisierung verändert. Sie befasst sich nicht mit verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von unterschiedlichen digitalen Werkzeugen, sondern versucht die Charakteristika der Digitalisierungsprozesse zu beschreiben, die damit einhergehenden Veränderungen des Lernraums zu erörtern und Entwicklungsschritte für die Schule im digitalen Zeitalter abzuleiten.

 

Die Arbeit beginnt mit einer Betrachtung der aktuellen Digitalisierungsprozesse, einhergehend mit einer breiten Sammlung von Prognosen aus Wirtschaft, Pädagogik und Psychologie. Darauf folgt eine Analyse des Raumbegriffs und seiner Bedeutung für die Schule. Diese Ausführungen münden in einer Analyse und Weiterentwicklung des Lernraumbegriffs. Abschließend werden Entwicklungsschritte für den Lernraum unter dem Einfluss der Digitalisierung in der Schule aufgezeigt.

 

Im Rahmen der für diese Arbeit unerlässlichen Sichtung der einschlägigen Literatur sticht hervor, wie durchgängig die hohe Relevanz und Dringlichkeit der Thematik von unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren hervorgehoben wird. Matthias von Saldern stellt fest, dass die bildungspolitische Diskussion zum Thema Digitalisierung zwischen Übertreibung bzw. Euphorie und Ängstlichkeit bzw. Konservativismus schwankt (Saldern, 2019, S. 9). Es scheint, als würden zwei Sichtweisen miteinander ringen: Auf der einen Seite diejenigen, die dem Primat des Pädagogischen folgen und auf der anderen Seite diejenigen, die auf schnelle Veränderung drängen, weil es sonst zu spät sei. In der aktuellen Debatte sollten die Pole der vollkommenen Ablehnung und des absoluten Integrierens aber überwunden werden, damit eine tatsächliche Lösung für aufkommende Herausforderungen gefunden werden kann (Lovink, 2004, zitiert nach Selwyn, 2010, S. 14). Bei diesem Unterfangen versucht die vorliegende Arbeit einen Beitrag zu leisten und die Digitalisierung im Zusammenhang mit Schule weder zu „verurteilen“ noch zu „glorifizieren“. Es sollen fundierte Handlungsschritte aufgezeigt und somit eine gelingende Implementierung von Neuerungen im Schullalltag sichergestellt werden.

2                  Das digitale Zeitalter

 

Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) stellt in seinem Hauptgutachten klar, dass sich durch die Digitalisierung eine neue „Epoche der menschlichen Zivilisation“ öffnet (2019, S. 49). Auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Ulrich Kelber sieht in der Digitalisierung eine weltverändernde, „alle gesellschaftliche[n] Bereiche“ durchdringende Kraft (Kelber, 2019, S. 9). Daraus lässt sich schließen, dass es sich bei den Prozessen, die im Folgenden erläutert werden, durchaus um epochale Einschnitte handelt und die Begrifflichkeit „des Zeitalters“ für die Überschrift zutreffend ist, auch wenn sie etwas stark klingen mag. Die Thematik, so hält es Prof. Reinhart fest, ist „ohne Zweifel zu einem dominanten, wenn nicht gar zu einem alles beherrschenden Thema bildungspolitischer Debatten und schulpolitischer Initiativen avanciert“ (2018, S. 11). In dieser Arbeit meint digitales Zeitalter also eine neue, einschneidende Epoche der Menschheit, in der sich durch digitale Techniken Verhaltensmuster, Herausforderungen und Anforderungen verändern.

 

Nachdem in diesem Kapitel der Begriff der Digitalisierung definiert und seine Entstehung erläutert wurde, werden sich für die Zukunft möglicherweise abzeichnenden gesellschaftlichen Veränderungen skizziert und am Ende kritisch hinterfragt.

2.1   Die Digitalisierung

 

„Digitalisierung klingt simpel: Aus analog mach digital“ so beschreibt Pousttchi, ehemaliger Professor für Digitalisierung, das engere Begriffsverständnis von Digitalisierung (2018, S. 32f). Er meint damit die Überführung eines Papierdokuments durch Einscannen in ein digitales Dokument, welches dann elektronisch abgespeichert und verarbeitet wird. Pousttchi stellt aber klar, dass Digitalisierung schon längst deutlich mehr meint und erweitert den Begriff. Digitalisierung im weiteren Sinne bedeute, die gesamte Welt mit digitalen Techniken zu scannen und zu verarbeiten, aber auch wieder analog erfahrbar zu machen. Ein Beispiel wäre, dass ein Reisebus durch Sensoren Hindernisse erkennt und eine Zwangsbremsung durchführen kann, was für die Insassen eine sehr spürbare Erfahrung wäre. Der Bus übernimmt eine Aufgabe, die eigentlich eine Busfahrerin oder ein Busfahrer übernehmen sollte. So kann das Überführen in digitale Prozesse auch bedeuten, dass „Aufgaben, die bisher vom Menschen übernommen wurden, auf den Computer“ übertragen werden (Ries, 2018, S. 45). Dies stellt erneut eine Begriffserweiterung dar. Volkens & Anderson fassen in diesem Sinne Digitalisierung wie folgt zusammen:

 

„Unter Digitalisierung verstehen wir die Konversion von Produkten und Dienstleistungen, Strukturen, Prozessen und Geschäftsmodellen unter Nutzung neuer Technologien und Arbeitsweisen.“ (2018, S. 26)

 

Diese Definition betrifft, so Volkens & Anderson, vier Dimensionen, die von der Digitalisierung neu geprägt werden. Zunächst beschreiben sie die Dimension der Wertschöpfungskette (zum Beispiel von der Baumrodung bis hin zur Buchherstellung), die in besonderem Maße durch die Digitalisierung und einhergehende Automatisierung beschleunigt wird. Die zweite Dimension betreffe den Kontakt zwischen Dienstleistenden und Anwendenden, der sich durch digitale Prozesse stark verändere. Auf der dritten Dimension entstände aufgrund von Digitalisierung neue Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel Uber, ein Beförderungsunternehmen mit App-Einsatz. Als letztes nennen sie die grundlegende Dimension des menschlichen Schaffens. Damit meinen sie, dass anhand der Digitalisierung menschliches Handeln verändert wird. Wie sich dieses verändern könnte und auch schon hat, soll im folgenden Kapitel herausgearbeitet werden.

2.1.1        Eine Revolution

 

Die beschriebene Definition weist auf Veränderungen hin, die einer Revolution gleichkommen Eine Revolution „bezeichnet eine schnelle, radikale […] Veränderung der gegebenen (politischen, sozialen, ökonomischen) Bedingungen“ (Schubert & Klein, 2005, S. 254). Oft wird zum Beispiel an die Französische Revolution oder auch die Novemberrevolution gedacht. In der Regel steht eine Revolution für einen Neuanfang, der eine alte, vorherrschende Kraft ersetzt (ebd.). In den letzten Jahren wird in diesem Sinne immer wieder von der vierten industriellen Revolution gesprochen, wenn es um Prozesse der Digitalisierung geht.

 

Zurückblickend begann die erste industrielle Revolution im 18. Jahrhundert mit der Erfindung der Dampfmaschine in Großbritannien (Deppe, 2020). Diese führte unter anderem auch zur Entstehung des Kapitalismus und der Arbeiterbewegung (Kühner, 2020, S. 10f). Darauf folgte die zweite Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Einführung von elektrischer Energie und dem Beginn der Massenproduktion. Henry Ford, so Kühner, begann Arbeitsschritte zu spezialisieren und Stück für Stück wurden einzelne Schritte automatisiert (Stichwort: Taylorismus). Die dritte industrielle Revolution startete in den 1970er Jahren mit dem Einsatz des Computers in der Arbeitswelt; die Einführung von elektronischer Datenverarbeitung in Banken und Versicherungen sind hier beispielhaft zu nennen. In der vierten und zurzeit laufenden industriellen Revolution beschleunigt das Internet durch Verknüpfung von Produktionen und Prozessen die meisten Abläufe (Deppe, 2020). In diesem Sinne werden nahezu alle Bereiche digitalisiert bzw. miteinander verknüpft, „von der Beschaffung der Rohstoffe über die Produktion, das Marketing, den Vertrieb, die Logistik bis hin zum Service“ (Precht, 2018, S. 18).

 

Diese vier industriellen Revolutionen zeigen sich auch in didaktischen Konzepten, die in dieser Zeit entstanden. Saldern beschreibt drei passende Phasen der Digitalisierung in der Schule. In der ersten Phase entstand in den 60er Jahren der Ansatz der kybernetischen Didaktik, welche als ein Resultat der ersten und zweiten industriellen Revolution gesehen werden kann (Saldern, 2019, S. 10f). Im Grunde ließe sich der Lernprozess mit gesteuerten Abläufen vergleichen: Der Schülerin bzw. dem Schüler wird eine Frage gestellt, er oder sie antwortet und erhält Feedback. Die zweite Phase begann 1990 mit der Einführung des Personal Computers im Klassenzimmer in Verbindung mit dem Internet. In dieser Phase, so Saldern, wurde viel über Medien im Klassenzimmer diskutiert, da der Einsatz teuer ist, Computer gepflegt werden müssen und sich Medienkritik parallel zur Medienpädagogik entwickeln muss. Nach dem sogenannten PISA-Schock geriet diese Phase allerdings ins Stocken, so dass in den acht Maßnahmen der Kultusministerkonferenz aufgrund der PISA-Ergebnisse der Einsatz von digitalen Medien im Unterricht gar nicht behandelt wurde (ebd.). Aktuell erhalten digitale Medien neue Aufmerksamkeit, womit, nach Saldern, die dritte und aktuelle Phase der Digitalisierung in der Schule startet.

 

Es ist auffällig, dass jede dieser Phasen, sowohl in der Schule als auch gesellschaftlich, maßgeblich durch technologische Erfindungen bzw. Erweiterungen gestartet und durch sie geprägt wird (WBGU, 2019, S. 58). Wie alle Entdeckungen und Erfindungen prägt die Digitalisierung den Menschen und verändert ihn bzw. „entwickelt [ihn] weiter“ (Volkens, 2018, S. 66). Nichtsdestotrotz zeichnet sich bei der vierten industriellen Revolution eine Andersartigkeit ab. Im Gegensatz zur den anderen industriellen Revolutionen verändern sich diesmal, so Precht, nicht die Produktionsmaschinen, sondern die Informationsmaschinen (2018, S. 18). Die Art und Weise wie Informationen gesammelt und eingesetzt werden können, führe zu einer drastischen Beschleunigung. Da bis jetzt kein „Megatrend unsere Gesellschaft so schnell und fundamental verändert wie die Digitalisierung,“ sind deutlich stärkere Umbrüche zu erwarten (Martensen & Schwind, 2018, S. 77).

2.1.2        Geschwindigkeit und Versäumnisse der Revolution

 

Bei den bisherigen Betrachtungen fällt sowohl auf, dass der verstärkte Einsatz des Internets in den unterschiedlichen Prozessen nicht weiter als 20 Jahre zurückgeht, als auch dass die meisten Überlegungen bezüglich der Digitalisierung innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte entstanden. Wie rasant die Entwicklung und steil der Einstieg in die Digitalisierung war bzw. ist, zeigen unterschiedliche Studien[1]. Alle im Rahmen dieser Arbeit gesichteten Studien zur Nutzung von digitalen Medien zeigen, dass die Nutzung nach derer Einführung generell stärker zugenommen hat, als bei vielen anderen technologischen Neuerungen wie zum Beispiel dem Buchdruck. So besaßen gegen Ende des Jahres 2019 ungefähr 89% aller Deutschen ein Smartphone (Deloitte, 2019, S. 7). Wenn hinzugezogen wird, dass ein Smartphone im Schnitt 76-mal am Tag und insgesamt 145 Minuten genutzt wird und ein durchschnittlich nutzende Person somit „mehr als zwei Stunden am Tag für etwas auf[bringt], dass vor etwa mehr als zehn Jahren noch gar nicht existierte“, wird der angesprochene rasante und steile Einstieg sehr deutlich (Volkens & Anderson, 2018, S. 75).

 

Ray Kurzweil erklärt diese Geschwindigkeit in seinem Buch „Homo S@apiens“ anhand des Moorschen Gesetzes. Dieses sei ein Phänomen, welches Gordon Moore, der Erfinder des integrierten Schaltkreises und Intel-Gründer, entdeckte, als er erkannte, dass sich „alle zwei Jahre ungefähr die doppelte Menge an Transistoren auf einen integrierten Schaltkreis“ anbringen ließen (Kurzweil, 2000, S. 45f). Dies verdopple die Arbeitsgeschwindigkeit sowohl eines Arbeitsspeichers als auch eines Prozessors. Kurzweil vermutet, dass unter anderem das Moorsche Gesetz dazu beitrage, dass ein exponentielles Wachstum von Rechenleistungen innerhalb der letzten 100 Jahre festgestellt werden kann. Eine ausführliche mathematische Erläuterung ist in seinem Buch dargelegt. Stefan Ries, der bis zum Sommer 2020 im Vorstand eines der führenden Unternehmen im Bereich Digitalisierung war (SAP), fasst diese Erkenntnisse zusammen, indem er die Digitalisierung nicht mehr als Zukunftstheorie beschreibt, sondern im Hier und Jetzt erkennt: „Die Zukunft ist jetzt: Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind nicht nur Zukunft, sondern sie sind schon hier“ (Ries, 2018, S. 54).

 

Es scheint, als hätte die Digitalisierung alle Gesellschaftsbereiche erreicht. Dennoch zieht Eickelmann, unter anderem Professorin für Digitale Schul- und Unterrichtsentwicklung, den Schluss, dass „der technologische Wandel in Deutschland an den Schulen größtenteils spurlos vorübergegangen“ ist (2018, S. 63). Auch wenn es natürlich einzelne „Leuchtturmschulen“ gebe, hätte sich noch keine flächendeckende Entwicklung abzeichnen können. Dies scheint nicht verwunderlich, wenn Deutschland im Digital-Index[2] im Jahr 2020 nur auf 58 Punkte kommt (Initiative D21, 2020, S. 11). Deutschland erreicht somit nur knapp über die Hälfte der Punkte. Eickmann zeigt weiterhin auf, dass nur wenige Jugendliche (ca. 1,5%) Spitzenleistungen im Bereich Medienkompetenz aufweisen, was bedeutet, dass nur ein kleiner Teil digitale Daten angemessen bewerten und organisieren bzw. Informations- oder Medienprodukte erstellen kann (2018, S. 63). Noch schwerer haben es Jugendliche aus sozial benachteiligten Milieus (ebd.).

 

Der medienpädagogische Forschungsverbund Südwest stellt in der JIM-Studie weitere Ergebnisse zur aktuellen Lage der Mediennutzung von Jugendlichen im Jahr 2019 fest. Bei einer telefonischen Befragung von 1200 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren konnte festgestellt werden, dass:

 

·        93 Prozent von ihnen ein eigenes Smartphone besitzen.

·        89 Prozent täglich online sind und nach eigener Einschätzung 205 Minuten im Internet verbringen, wobei die zwei Hauptanliegen Kommunikation und Spielen sind.

·        die Nutzerinnen und Nutzer von WhatsApp im Schnitt 27 Nachrichten pro Tag erhalten.

·        87 Prozent täglich/mehrmals die Woche die Suchmaschine Google nutzen.

·         90 Prozent täglich/mehrmals die Woche YouTube nutzen. (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2019)

 

Diese Zahlen zeigen, dass sich Schülerinnen und Schüler viel mit ihrem Smartphone, aber auch generell mit den digitalen Medien und dem Internet beschäftigen. Eine gewisse Zeit lang, so Eickelmann, wurde gehofft, dass durch einen Generationenwechsel die Schulen automatisch digitalisiert werden. Das dem nicht so ist, zeigen Studien, lasse sich aber auch durch theoretische Überlegungen erklären: In der Schulentwicklung wird festgestellt, dass nicht Berufsanfängerinnen bzw. Berufsanfänger Veränderungen anstoßen, sondern erfahrene Lehrkräfte. Außerdem fehlt es an konzeptionellen Ansätzen und nicht an Medienerfahrung (Eickelmann, 2018, S. 65). Eickelmann schließt, dass aufgrund der rasanten und steilen Veränderungen bedingt durch den technologischen Wandel eine umfangreiche Aufgabe der Modernisierung auf das Bildungs- und Schulsystem zukommt, welche voraussichtlich nie vollständig abgeschlossen sein wird (ebd., S. 70).

 

Welche zu erwartenden Veränderungen auf die Gesellschaft und die Schule zukommen und welche Gefahren diese auch mitbringen können, soll im nächsten Kapitel zusammengefasst werden.

2.2   Zu erwartende Veränderungen

 

An einer Studie des World Economic Forums (WEF) nahmen 2015 ungefähr 800 Entscheidungsträgerinnen bzw. Entscheidungsträger und Fachleute teil. Sie sollten ihre Zukunft aufgrund des technologischen Fortschrittes im Jahr 2025 prognostizieren. Die Ideen, die nun innerhalb von ungefähr 5 Jahren umgesetzt werden sollten, beschrieben die Autorinnen und Autoren der Studie als „optimistisch“ (Brüssel & Land, 2019, S. 33). Unter anderem entstanden folgende Prognosen:

 

-         Über 90 Prozent der Befragten glaubten, dass mindestens 10 Prozent der Menschen mit dem Internet verbundene Kleidung tragen werden.

-         86 Prozent glaubten, dass es erste Roboter als Apotheker geben wird.

-         Knapp über 85 Prozent der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger glaubten, dass zehn Prozent aller Lesebrillen mit dem Internet verbunden sein werden.

-         Über 70 Prozent hofften auf die erste im 3D-Drucker gedruckte Leber, die einem Menschen eingesetzt werden kann.

-         Fast 70 Prozent hofften, dass bereits mehr Fahrten über das Carsharing vorgenommen werden als mit dem privaten Auto.

 

Teilweise klingen diese Prognosen wie Science-Fiction Filme und teilweise lässt sich ein deutlicher Trend zu Erfüllung dieser Vorstellungen erkennen.

2.2.1        Gesellschaftliche Veränderungen

 

Dass die Betrachtung des gesellschaftlichen Wandels für die Schule relevant ist, liegt auf der Hand: Schülerinnen und Schüler bewegen sich innerhalb dieser Gesellschaft und sind durch sie geprägt. Vernetzung ist ein Kernthema des digitalen Zeitalters. Volkens beschreibt, dass Digitalisierung insbesondere auch unser soziales Leben weiterentwickelt und weist beispielhaft auf das Soziale Netzwerk Snapchat hin: In diesem Dienst vereinen sich mindestens 160 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, die meist mehrmals täglich kommunizieren. Augenscheinlich seien Menschen über ihre Endgeräte stärker miteinander verbunden (2018, S. 67). Menschen, so Martensen & Schwind, verändern die Kanäle, mit deren Hilfe sie Kontakt aufnehmen und in Verbindung stehen (2018, S. 79). So gebe es heute schon mehr vernetzte Endgeräte als Menschen auf der Erde. Eine vollkommene Abwendung von einer analogen Kommunikation kann trotz stetiger Digitalisierung aber nicht festgestellt werden. So zeigen Martensen & Schwind auch auf, dass die Entwicklung eher in Richtung einer „Koexistenz von digital und analog“ geht (ebd., S. 82f.). Als Beispiel seien der „Hype“ um Brettspielabende und Vinylplatten zu nennen.

 

Aus dieser Vermischung von analogem und digitalem heraus, entwickelte Prenksy schon im Jahr 2001 den Gedanken, dass die heranwachsende Generation durch den dauerhaften Gebrauch von digitalen Medien als „digital natives“ aufwächst und somit einen einfacheren Umgang mit digitalen Medien hat (2001, S. 1f). Die Menschen, die neue Medien und den Umgang mit diesen erst kennenlernen müssen, nennt Prensky „digital immigrants“. Es entsteht das Bild, dass eine ganze Generation durch das digitale Zeitalter anders sei. Eine solche Unterscheidung ist aber nach aktuellen Befunden nicht nachzuweisen. So zeigen Bennett et al. auf, dass das Verhältnis von jungen Menschen zu Technologien viel komplexer ist, als die von Prensky angeführte Charakterisierung (Bennett et al., 2008, S. 783). Das Leben in einem digitalen Zeitalter, so Bennett et al., führt zwar dazu, dass junge Menschen anders handeln, aber es gibt keine Evidenz dafür, sie als andersartig oder fremd (im englischen Original „alien“) zu beschreiben. Die Ergebnisse von Bennett et al. konnten in späteren Erhebungen auch repliziert werden (vergleiche hierfür S. Bennett & Maton, 2010). Nichtsdestotrotz erscheint Prenskys Aussage nachvollziehbar, denn die Art und Weise wie hinsichtlich des digitalen Wandels gelebt wird, verändert sich deutlich, aber eben für alle Generationen.

 

Es zeichnen sich also Veränderungen im sozialen Miteinander ab, die aber nicht unbedingt so dramatisch ausfallen, wie sie Prensky oder auch Ray Kurzweil beschreiben. Das solche Veränderungen trotzdem nicht unbeachtet bleiben dürfen, zeigen zum Beispiel Studien, die durch die zunehmende Nutzung eines Smartphones eine Veränderung der Form des Daumens feststellen und somit verdeutlichen, dass das digitale Zeitalter sogar Einfluss auf unsere soziale und physische Natur haben kann (Volkens, 2018, S. 70).

2.2.2        Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt

 

Das vorliegende Kapitel widmet sich nun der Frage, wie sich der Arbeitsmarkt verändert. Diese Betrachtung ist relevant, da sich Schülerinnen und Schüler später auf diesem Arbeitsmarkt wiederfinden und er gleichzeitig unsere Gesellschaft maßgeblich prägt. Wenn Burckhardt feststellt, dass auf die Frage „Was kann man seinem Kind als Gewissheit mit auf den Weg geben?“ meist betretendes Schweigen die Antwort ist (2014, S. 19), bedarf es einer Analyse der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, sprich der Zukunft der Schülerinnen und Schüler, im digitalen Zeitalter. Ob und inwiefern die Schule als Institution tatsächlich auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen vorbereiten kann, soll in einem späteren Exkurs geklärt werden.

 

Schon im Jahr 1933 prognostizierte der Ökonom John Maynard Keynes, dass der technologische Fortschritt in den Industrieländern zu einer Massenarbeitslosigkeit führen würde (Precht, 2018, S. 22). Er begründet dies, so Precht, in der Möglichkeit, Arbeit schneller effizient gestalten zu können, als neue Arbeitsstellen für überflüssig gewordene Arbeitskräfte zu schaffen. Auch wenn sich diese Befürchtung bislang noch nie bewahrheitet habe (Harari et al., 2019, S. 49), lässt sich in der aktuellen Debatte feststellen, dass zwei Arten von Fähigkeiten, die den Menschen ausmachen, nämlich körperliche Fähigkeiten und kognitive Fähigkeiten, von Maschinen zum ersten Mal im digitalen Zeitalter besser ausgefüllt bzw. ausgeführt werden können (ebd., S. 50ff).

 

Der Arbeitsmarkt, so Harari, ist für das Jahr 2050 zwar nicht vorhersehbar, aber es sei sicher, „dass maschinelles Lernen und Robotik fast jedes Metier verändern werden, von der Joghurtproduktion bis zum Yogaunterricht“ (ebd., S. 49). Auch Christoph Keese, der Geschäftsführer von Axel Springer hy GmbH, prognostiziert starke Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und sieht einige Arbeitsplätze durch Digitalisierungsprozesse verschwinden (2018, S. 11). Der Prognose, dass automatisierungsfähige und monotone Arbeitsplätze aufgrund von Digitalisierung verschwinden werden, folgt auch Bettina Volkens, Vorständin von Lufthansa (2018, S. 66). Kai Anderson, der im Vorstand von Promerit sitzt, der führenden Unternehmensberatung für Digitalisierung von HR, spricht davon, dass sogar „gut ausgebildete Menschen, Facharbeiter und Akademiker“ erleben werden, dass ihre Tätigkeit von Computern übernommen werden kann und wird (2018, S. 17). Er zeigt auf, dass Arbeit in Summe weniger geworden sei und weist auf die Erfindung des Webstuhles hin, die dazu führte, dass auf einmal 3000 Weber ihre Arbeit verloren und es zu Aufständen kam (ebd., S. 16). Die Erfindung des Webstuhles deckte nur einen kleinen Wirtschaftsbereich ab und vollzog sich relativ langsam. Bei einer so steilen und schnellen Revolution wie der Digitalisierung, verschärft sich Hararis Forderung, dass „wir uns heute besser schlagen [müssen] als damals im Umgang mit der industriellen Revolution“ (2019, S. 72).

 

Keese folgert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Recht verunsichert sind. Diese Verunsicherung führt allerdings auch dazu, dass unabdingbare Prozessveränderungen verlangsamt werden und die Wirtschaft geschwächt wird (2018, S. 11). Aus diesem Grund, so Keese, müssten Unternehmen erneut den Menschen in den Mittelpunkt stellen und Grundbedürfnisse wie Anerkennung, Sicherheit und Geborgenheit sichern. Mit dieser Blickrichtung lässt sich auch ein Potenzial für den Arbeitsmarkt feststellen. Volkens sieht in der Möglichkeit, weniger Routinetätigkeiten ausführen zu müssen auch gleichzeitig einen größeren Raum für soziale Interaktion und Innovation (2018, S. 71). Durch neuen Freiraum sei ein Anstieg an Kreativität und Innovationsgeschwindigkeit festzustellen. Innovation beschleunige sich durch „starke Vernetzung und den schnellen digitalen Zugriff auf Daten, die auch ein vollständigeres Gesamtbild jeglicher Situationen und Ansprüche liefern als zu rein manuellen Zeiten“ (ebd.). Außerdem widerspricht sie Harari deutlich, wenn sie Fähigkeiten der Empathie und emotionaler Intelligenz als nicht von Maschinen ersetzbar bezeichnet (ebd., S. 72). Ries schließt daraus, dass es nicht mehr um eine Abwägung, ob Digitalisierung ein Fluch oder ein Segen sei, geht, sondern darum, adäquat auf die digitale Revolution zu reagieren und sie so in Unternehmen zu etablieren, dass qualifizierte Fachkräfte neu ausgebildet werden können (2018, S. 53). Besonders im Hinblick darauf, dass neue Geschäftsmodelle oft disruptiv sind, das heißt altbewährte Serviceleistungen nicht erneuern, sondern ersetzen, müssen sich Unternehmen relativ schnell umstellen (Precht, 2018, S. 18). Als Beispiel kann Uber oder auch Amazon als disruptives Geschäftsmodell aufgezeigt werden. Taxiunternehmen und Buchhandlungen haben sich nicht weiterentwickelt, sondern werden durch digitalisierte Geschäfte ersetzt. Diese disruptiven Geschäftsmodelle zeigen meist einen Paradigmenwechsel hin zur Partizipation, den auch andere Unternehmen bedingt durch die Digitalisierung erleben: Ein hierarchisches Führungsverständnis wird aufgelöst (Anderson, 2018, S. 20). Der Einsatz digitaler Technologien wird Tätigkeitsschwerpunkte und Berufsbilder in den nächsten Jahren massiv verändern (ebd.). Dies führt außerdem dazu, dass sich die Art und Weise, wie gearbeitet wird, verändert: Das Acht-Stunden-Tag Modell macht einer räumlichen und zeitlichen Entgrenzung Platz (Ries, 2018, S. 45). Im weiteren Verlauf der Arbeit wird dargelegt, dass sich eine solche Entgrenzung auch in der Schule wiederfinden lässt, welche im Grunde auf raumtheoretischen Überlegungen beruht, wie im folgenden Kapitel ausgeführt wird.

 

Bei all diesem Wandel wird trotzdem deutlich, dass Führungskräfte wie Volkens philosophischen Gedanken folgen. So fragt Volkens zu Beginn ihrer Ausführungen zur Digitalisierung: „Was ist das Einzigartige am Menschen, das ihn in seiner täglichen Arbeit und seinem Leben auszeichnet? Was ist der Mensch?“ (2018, S. 66), und unterstreicht, dass in einer Zeit der (vierten) Industrialisierung, der Wert des Menschens nicht unter dem des Produkts eingereiht werden dürfe (ebd., S. 68).

2.2.3        Veränderungen in der Schule

 

Im digitalen Zeitalter stehen alle Bereiche der Gesellschaft einem Phänomen gegenüber, das sie aktiv oder passiv verändern wird. In den vorherigen Kapiteln wurde aufgezeigt, dass sich Schülerinnen und Schüler in einer anderen Gesellschaft wiederfinden und in einer anderen Zukunft arbeiten werden. Dass auch die Schule vor Veränderungen steht, ist daher unstrittig. Martin Burckhardt finalisiert in seinem Buch folgenden Gedanken und hält ihn in seinem digitalen Manifest fest:

.

 „Unsere Schulen und Universitäten sind so überflüssig wie die Kopisten zur Zeit des Buchdrucks. Die Bildung der Zukunft wird darauf beruhen, dass man nicht auswendig, sondern inwendig lernt. Wissensakkumulation wird durch Neugierde, unveränderliche Wahrheiten werden durch Gedankenspiele ersetzt. Ein Gedanke, der den Denkenden ausgrenzt oder zu eliminieren versucht, ist per se wertlos. Auch die Naturwissenschaft (unsere Außenwelt) muss inwendig werden (Geisteswissenschaft).“ (Burckhardt, 2014, S. 205)

 

Er zeichnet damit ein düsteres Bild für die Schule im digitalen Zeitalter, denn seiner Ansicht nach ist Schule überflüssig, da sie auf reiner Wissensvermittlung beruht und nicht genug auf eigenes Denken setzte. Dass einer solch radikalen Sicht einige Stimmen entgegenstehen, ist selbstverständlich. Aus Burckhardts Analyse wird allerdings deutlich, dass die Schule nicht mehr nur als reine Wissensvermittlungsanstalt gesehen werden darf und sich ihr Selbstverständnis verändern wird. Denn, und so zeigen es auch Martensen & Schwind auf, Wissen ist jederzeit über unterschiedliche Internetanbieter abrufbar. Für Schülerinnen und Schüler wird es demnach wichtiger zu lernen, wie diese Fülle an Informationen und Dateien interpretiert, kombiniert und angewandt werden kann (2018, S. 80). In diesem Sinne zeigt sich das Internet eher als Erweiterung für den Zugang zu, die Debatte um und die Transparenz von Wissensvermittlung (Wales, 2008, zitiert nach Selwyn, 2010, S. 15). Auch Werner Reinhart hält in „Die Digitalisierung der Welt – Herausforderungen für Schule und Lehrerbildung“ fest, dass digitaler Unterricht nicht per se besser ist und ermahnt gleichzeitig die Schule sich darum zu bemühen, „digitale Kompetenzen aktiv zu vermitteln, zu fördern und zu fordern“ (Reinhart, 2018, S. 12). Gleichzeitig verweben sich digitale Technologien mit unserem Alltag, so dass Selwyn, Professor für Pädagogik, es für angebracht hält, nicht mehr über „digitale Bildung“, sondern einfach nur über „Bildung generell“ zu sprechen (2016, S. 133).

 

Die Digitalisierung verändert nicht nur die Schule als solche, sondern auch den Umgang mit Unterrichtsmaterialien. Bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich, dass sich „die als neu konstatierten Anwendungsformen der digitalen Medien“, noch sehr ähnlich zu den Print- und Filmmedien verhalten und eher deren Verknüpfung miteinander eine wirkliche Veränderung für die Schule bedeuten würden (Pietraß, 2020, S. 332). Pietraß beschreibt, dass meist auf zwei Vorteile der digitalen Medien hingewiesen wird, diese aber auch bei Printmedien zu finden sind und somit nicht als revolutionär eingestuft werden können. Zum einen wird auf ein „flexibles, zeit- und ortsunabhängig Lernen“ hingewiesen (ebd.). Ein Buch sei allerding genauso zeit- und ortsunabhängig wie ein Tablet, auf dem das Buch gelesen wird. Nicht zu vergessen hierbei ist allerdings, so Pietraß, die kostengünstigere und schnellere Herstellung von Angeboten. Zum anderen sei die Digitalisierung ein Schub für den individuellen Unterricht. Aber auch dies, so Pietraß, ist nicht „gänzlich neu, sondern lediglich eine Steigerung bisheriger Anwendungsformen“ und so kann auch mit unterschiedlichen Texten eine Lerndifferenzierung stattfinden (ebd.). Auch Thomas Ferber, Schulleiter, weist darauf hin, dass häufig Digitalisierung bedeute, statt eines Bücherregals ein E-Book und statt Aktenordner einen Server zu benutzen (Bücheler & Ferber, 2020). Eine solche Anwendung zeigt allerdings noch keine großen Veränderungen für die Schule.

 

Eine „kategorial neue Anwendungsmöglichkeit“ zeigt sich, so Pietraß, erst wenn Medien und Inhalt inter- und intratextuell verknüpft werden. Ein dynamisches Zusammenspiel von zum Beispiel Texten, Querverweisen, Videos und analytischen Daten zeigt, welche Verknüpfungen durch digitale Technologien möglich sind (Pietraß, 2020, S. 333). Aus dieser Erkenntnis schlussfolgert Pietraß drei didaktische Potenziale von digitalen Medien:

 

·        Learning analytics: Informationen und Dokumente können als Prozess aufgezeichnet und erfasst werden.

·        Interaktive bildbasierte Handlungswelten: Anders als beim Film lassen sich in Simulationen unterschiedlichen Möglichkeiten nicht nur beobachten, sondern selbst erfahren.

·        Digitales kollaboratives Lernen: Die Möglichkeit die gegenseitige Kommunikation aufzuzeichnen und das einhergehende Verständnis zu erweitern. (ebd., S. 334)

 

Nach Pietraß vereint diese drei didaktischen Potenziale, dass durch eine starke Verknüpfung von Medien, Inhalten und Kommunikation neue Wirklichkeiten erkannt werden können. Schülerinnen und Schüler lernen, dass weder Sprache noch Bild/Ton die Wirklichkeit abbilden, sondern erleben in der Verknüpfung neue Wirklichkeiten, in diesem Sinne auch Lerneinheiten (ebd.). Schon längst entstehen solche Wirklichkeiten anhand von Ton- oder Filmaufnahmen, die nicht die Realität abbilden, hier sei zum Beispiel auf vielfältige Science-Fiction Filme hingewiesen. Für den Unterricht an Schulen bedeutet dies, dass sich die Digitalisierung „sowohl als Treiber dieser Entwicklung als auch als Mittel zur Bewältigung“ zeigt (Kerres, 2017, S. 86). So erschaffen digitale Technologien neue Zugänge und sind auch nur durch diese erfahrbar (Stichwort: Simulation). Diese neuen Möglichkeiten, Verknüpfungen herzustellen und Wirklichkeiten wahrzunehmen, ist wohl die größte Veränderung für die Schule.

2.2.4        Antworten der Medienkritik

 

Einer der größten Erfolge der Digitalisierung ist die vermehrte und vereinfachte Verknüpfung von Inhalten, Medien und Menschen. Aus dieser Verknüpfung folgen auch die meisten Veränderungen auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und pädagogischer Ebene. Es wird deutlich, dass diese erhöhte Verknüpfung zu einem erhöhten Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen führt, was auch immer wieder kritische Stimmen laut werden lässt. Im Folgenden soll kurz auf diese eingegangen werden, eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Thema würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit übersteigen. Aus diesem Grund soll beispielhaft aufgezeigt werden, worum es in der Medienkritik geht. Die Ausführungen gehen hauptsächlich auf Manfred Spitzer zurück, der unter anderem Bücher wie „Digitale Demenz“, „Die Smartphone-Epidemie“ und „Vorsicht Bildschirm!“ geschrieben hat. Es gibt zahlreiche weitere Stimmen, die vor den Digitalisierungsprozessen warnen, wie zum Beispiel Yvonne Hofstetter, die ein Ende der Demokratie bedingt durch digitale Steuerung fürchtet (Burow, 2019b, S. 14) oder Jaron Lanier, der vor sozialen Medien im Allgemeinen warnt. Da Manfred Spitzer jedoch aus lernpsychologischer Sicht argumentiert und damit am relevantesten für pädagogische Veränderungen scheint, wird auf seine Thesen genauer eingegangen.

 

Manfred Spitzer beginnt seine Analyse mit der Erkenntnis, dass vor allem in Industriestaaten mit führender Informationstechnik bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen „immer häufiger Gedächtnis-, Aufmerksamkeit- und Konzentrationsstörungen sowie emotionale Verflachung und allgemeine Abstumpfung“ festgestellt werden können (2012, S. 8). Dies sei insbesondere problematisch, da es immer schwerer wird, die „Übersicht im Dickicht der Informationsflut“ zu behalten (ebd., S. 18). Wenn nun der Computer noch die geistige Eigenleistung von Schülerinnen und Schülern übernimmt (wie zum Beispiel das Schreiben), könnte der Einsatz einen negativen Effekt auf das Lernen haben (ebd., S. 80).

 

Außerdem stellt Spitzer anhand unterschiedlicher Studien fest, dass soziale Medien, genau wie Alkohol, Nikotin oder andere Drogen, ein sehr hohes Suchtpotenzial haben (ebd., S. 20). Hinzu kommt, dass neue Medien manchmal nicht zu kontrollieren seien und es zu ungewollten Nebenwirkungen in Bildungseinrichtungen kommen könne. So wurde schon vom Auftauchen von Falschmeldungen bis hin zur Verbreitung von pornografischen Inhalten über Schulrechner berichtet (ebd., S. 74). Aus diesem Grund fordert Spitzer einen vorsichtigeren Umgang mit neuer Technologie, da Erkenntnisse über potenzielle Auswirkungen oft erst viel später festgestellt werden können. Als Beispiel führt er die Einführung von Röntgenstrahlen an und berichtet, dass, besonders in den USA, Röntgengeräte in Schuhgeschäften anzutreffen waren, damit man den perfekten Schuh finden kann. Zu dieser Zeit ahnte jedoch niemand, dass Röntgenstrahlen gefährlich sein können (ebd., S. 20ff).

 

Zusammenfassend geht es Spitzer darum, dass ein Sachverhalt immer geistig zu bearbeiten ist und er nur so gelernt werden kann (ebd., S. 95). Bei Digitalisierungsprozessen müssen also immer auch nach der Wirkung gefragt und die Gefahren abgeschätzt werden. Wie dies möglich sein kann, soll im Kapitel 4.4 „Wirksamkeit von Medien in Bildung“ aufgezeigt werden.

2.2.5        Exkurs: Soll die Schule auf gesellschaftliche Veränderungen vorbereiten?

 

Im Kontext der vorliegenden Arbeit stellt sich immer wieder die Frage, ob die Institution Schule auf gesellschaftliche Veränderungen vorbereiten soll bzw. es überhaupt kann. Schülerinnen und Schüler stellen nur zu gerne die Frage: „Wofür brauche ich [beliebiger Lernstoff] später?“ Im Grunde fragen sie, ob dieser Wissensinhalt für sie später noch wichtig sein wird und wenn nicht, warum sie ihn überhaupt lernen sollen. Diese Frage verdichtet sich, wenn Schülerinnen und Schüler in einem digitalen Zeitalter aufwachsen, in dem Fakten über bestimmte Internetdienste immer und zur jederzeit verfügbar sind. Philosophen wie Harari fordern daher, dass Schule unter anderem verstärkt Kreativität fördern soll (2019, S. 402). Aber ist es überhaupt die Aufgabe der Schule auf solche gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren und unter Umständen Schülerinnen und Schüler auf diese sogar vorzubereiten?

 

Wie Burckhardt sagt, lässt sich auf die Frage, was man seinem Kind als Gewissheit mit auf den Weg geben könne, nicht adäquat antworten. Hinzu kommt, dass schon Bernfeld 1925 feststellte, dass die Schule eine sozialkonservative Institution und ihr zentrales Merkmal ein gewisser „Modernitätsrückstand“ sei (Blömeke & Herzig, 2009, S. 17). Es gehe der Schule vielmehr um die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Hierarchien und so folgert Bernfeld, dass Erziehung nicht auf gesellschaftliche Veränderungen vorbereiten kann (Blömeke & Herzig, 2009, S. 17). Die Schule, so scheint es, gebe Schülerinnen und Schüler rückständige Antworten auf Zukunftsfragen und bilde somit Menschen für die Vergangenheit aus.

 

Das dem nicht so ist, lässt sich durch eine Frage von Saldern aufzeigen: „Wie konnten die Menschen […] Roboter und KI-Steuerungen entwickeln, ohne selbst je ein Tablet in der Schule benutzt zu haben […]?“ (2019, S. 21). Saldern folgert, dass Bildungsprozesse „offenbar zumindest teilweise unabhängig […] von kurzatmigen und aktionistischen Entscheidungen“ sind (ebd.). Diese Haltung bestätigt Andreas Schleicher, Bildungsforscher und Direktor des Direktorats für Bildung bei der OCED und damit Mitgestalter der PISA-Befragungen, mit seiner Argumentation gegen das Schulfach Informatik. Es geht im Bildungsprozess, so Schleicher, nicht darum, den Schülerinnen und Schülern die neueste Technik bzw. die neuesten gesellschaftlichen Veränderungen zu erklären, sondern kreatives und kritisches Denken, sowie Selbstständigkeit zu schulen (2018, S. 13, zitiert nach Saldern, 2019, S. 20).

 

In diesem Sinne folgt die vorliegende Arbeit der Einschätzung von Eickelmann, dass es der Schule im Kern darum gehen soll, den Lernprozess und die Lernergebnisse von Kindern und Jugendlichen optimal zu unterstützen und zu fördern, sodass sie selbstbestimmt und partizipativ zur Stabilität der Gesellschaft beitragen können (2018, S. 70). Damit bereitet Schule zwar nicht unbedingt und mittelbar auf alle möglichen zukünftigen Herausforderungen vor, soll aber Schülerinnen und Schüler so fördern, dass sie durch Selbstbestimmung und Partizipation selbst in einer ungewissen Zukunft die Gesellschaft aktiv mitgestalten können.

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Die Schule im digitalen Zeitalter. Wie verändern digitale Medien den Lernraum?
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Erziehungswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
76
Katalognummer
V1133506
ISBN (eBook)
9783346503114
ISBN (Buch)
9783346503121
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit Academic Plus bietet GRIN ein eigenes Imprint für herausragende Abschlussarbeiten aus verschiedenen Fachbereichen. Alle Titel werden von der GRIN-Redaktion geprüft und ausgewählt. Unsere Autor:innen greifen in ihren Publikationen aktuelle Themen und Fragestellungen auf, die im Mittelpunkt gesellschaftlicher Diskussionen stehen. Sie liefern fundierte Informationen, präzise Analysen und konkrete Lösungsvorschläge für Wissenschaft und Forschung.
Schlagworte
Digitalisierung, Lernraum, Raum, Didaktik, Lehren, Schule, Unterricht, Medienkompetenz, Medienpädagogik
Arbeit zitieren
Viktor Holst (Autor:in), 2021, Die Schule im digitalen Zeitalter. Wie verändern digitale Medien den Lernraum?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1133506

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