Robert Baden-Powell. Stationen eines Lebens


Akademische Arbeit, 2021

35 Seiten


Leseprobe


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Sir Robert Baden-Powell1

„Versucht,

die Welt ein bisschen besser zurückzulassen,

als Ihr sie vorgefunden habt!“

Robert Baden-Powell

Vorwort

Robert Baden-Powells pädagogische Konzeption einer Jugenderziehung

kann sowohl zeitlich als auch hinsichtlich erzieherischer Grundsätze der Reformpädagogischen Bewegung zugeordnet werden. In Anbetracht seines theoretischen und praktischen Erziehungswerkes kann der Gründer der pfadfinderischen Selbsterziehungsbewegung als einer der vielseitigsten und einflussreichsten Pädagogen angesehen werden.

Wie viele Reformpädagogen (Maria Montessori, Ellen Key, Berthold Otto, Georg Kerschensteiner et al.) kritisierte er die vorrangige Wissens-vermittlung sowie die Vernachlässigung charakterlicher und gesundheitli-cher Erziehung an den Schulen. Die starke Betonung der Vermittlung eines Wissensstoffes zur Vorbereitung auf standardisierte Prüfungen waren nach Baden-Powells Meinung nicht mehr zeitgemäß; er schreibt: „Education still tends to prepare boys and girls for the standard of examination rather than for the needs of life (…) „ (B.-P. 1929, S. 12).

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Robert und Olave Baden-Powell2

Der Gründer der Pfadfinderbewegung sah im „Bildungskanon des engli-schen Schulwesens den Grundsatz „non scholae, sed vitae discimus“ nicht realisiert“ (vgl. Gerr ²1996, S. 158).

Robert Baden-Powell setzte den nicht kindgemäßen Unterrichtsmetho-den ein im weitesten Sinne „natürliches Lernen“ entgegen. Von seiner Grundeinstellung her kann man ihn vor allem zu den Reformpädagogen zählen, die eine „Pädagogik vom Kinde aus“ vertraten (vgl. Gerr ²1996, S. 161).

Das „Einpauken von Wissen“ ist für ihn nicht der geeignete Lernweg. Die Pfadfindermethode als Weg einer Selbsterziehung berücksichtigt die dem jeweiligen Alter entsprechenden Bedürfnisse. Sein psychologisches Einfühlungsvermögen zeigt sich unter anderem in den Aktivitätsprogram-men der entsprechenden Altersstufen.

So kommt er beispielsweise dem starken Bedürfnis der Kinder (Wölf-lingsstufe) nach gemeinsamem Spiel in einer Gruppe und nach Bewegung sowie der Lust am Entdecken entgegen (vgl. Gerr ²2009, S. 73).

Die für das Lernen so wichtige Förderung der Sinnesbereiche wird durch die Kimspiele und durch naturbezogene Aktivitäten erreicht. Die Be-deutung eines vielsinnigen Lernens (sehen, hören, tasten etc.) hatte bereits Maria Montessori erkannt; in Anlehnung an „Erfahrungsberichte von Itard und Séguin“ entwickelte sie zur Förderung benachteiligter Kinder ihr Sin-nesmaterial (vgl. von Oy 1987, S. 12). Beim Pfadfinden steht grund-sätzlich das „Doing“ vor aller Theorie. Damit werden Primärerfahrungen ermöglicht.

Den Bedürfnissen der Jugend entspricht das Pfadfinden (Scouting) unter anderem im Himblick auf gemeinschaftliche Abenteuerunternehmungen und auf ein selbstbestimmtes Leben in einer Gleichberechtigtengruppe, die für die Ablösung von den elterlichen Wertvorstellungen und für die selb-ständige Bildung eigener Werte von großer Bedeutung ist. In der pfadfin-derischen Kleingruppe erfährt der junge Mensch Anerkennung und kann Freundschaft leben.

Ein ganz besonderer Verdienst gebührt Baden-Powell, da er wie kein anderer Pädagoge es verstanden hat, junge Menschen zu einem Handeln anzuregen, das sich an Werten und Normen (Regeln) orientiert. B.-P. hatte erkannt, dass eine Selbsterziehung ohne Bezug zu Werten und das Handeln nach Normen (Verhaltensregeln) nicht möglich ist.

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1st Baron Robert Baden-Powell of Gilwell 3

Demokratische Werte (z. B.: Schutz des Lebens) werden durch ein Han-deln und durch das anschließende Überdenken (Reflektieren) des Handelns erfahren. Daraus ergibt sich ein bewusstes Verhalten im Alltag, das sich an demokratischen Werten orientiert. Pfadfinderinnen und Pfadfinder ver-pflichten sich freiwillig, nach den Pfadfinderregeln zu leben. Die Verbin-dung von „Wert-, Handlungs- und Reflexionsorientierung“ kann heute als wichtigstes didaktisches Prinzip bei einer systematischen Förderung demo-kratischer Lernprozesse an den Schulen angesehen werden (vgl. Gerr 2015, S. 30 ff.).

Im Hinblick auf ein Verständnis und die Einordnung des Erziehungsmo-dells Baden-Powells ist seine Lebensgeschichte von Interesse, da seine An-sichten und pädagogischen Einstellungen nicht von seiner Biografie zu trennen sind.

Die kleine Schrift enthält neben den wichtigsten biografischen Daten des Gründers der pfadfinderischen Selbsterziehungsbewegung auch eine um-fassende Zusammenstellung seiner Publikationen sowie Biografien über ihn.

Robert Baden-Powell

Stationen eines Lebens

Im Jahre 2007 beging die Pfadfinderbewegung ihr 100-jähriges Jubi-läum. Seit seiner Gründung haben viele Hundertmillionen von jungen Men-schen durch das Pfadfinden wertvolle Anregungen und Hilfen für ihre Selbsterziehung erhalten. Am 8.Januar 2021 gedachten weltweit viele Pfad-finderinnen und Pfadfinder seines Todes, der sich zum 80. Mal jährte. Wer war der Gründer dieser internationalen pädagogischen Bewegung, die heute einen bedeutenden Beitrag zur Kinder- und Jugenderziehung leistet?

Robert Stephenson Smyth Powellwurde am 22. Februar 1857 in Lon-don geboren. Sein Vater Baden Powell war anglikanischer Geistlicher und Geometrieprofessor an der Universität Oxford. Als Stephe – so wurde B.-P. in seiner Kindheit genannt – drei Jahre alt war, starb sein Vater; seine Mutter Henrietta Grace Powell hatte nun alleine für ihre sieben Kinder zu sorgen. Zur Erinnerung an ihren verstorbenen Mann ließ H. G. Powell im Jahre 1869 den Familiennamen „Powell“ in „Baden-Powell“ ändern (vgl. Hillcourt 1964, S. 17).

Stephe wurde sehr natürlich erzogen; seine Mutter legte bei der religi-ösen Erziehung Wert auf praktische Verhaltensregeln. Am 26. Februar 1865 verfasste Stephe als Achtjähriger „Regeln für sein Leben als Erwachsener“; unter anderem war da zu lesen: „(...) you cannot be good with only praying but you must also try very hard to be good“ (B.-P., zit. nach Hillcourt 1964, S. 15). Bereits in seiner Kindheit kommt in den von ihm formulierten Re-geln die Auffassung vom „Tatchristentum“ zum Ausdruck.

B.-P. genoss eine sehr gute Ausbildung. Ein Stipendium des Herzogs von Marlborough ermöglichte es dem Dreizehnjährigen von 1870 bis 1876 die Charterhouse-Schule zu besuchen. Stephe war kein besonders guter Schüler; Interesse zeigte er vor allem an den musischen Fächern, am Sport und am Theaterspiel. Als die Charterhouse-Schule im Jahre 1872 nach Goldaming verlegt wurde, entdeckte Stephe sein besonderes Interesse an der Natur, die hier reichlich vorhanden war und die für ihn einen aben-teuerlichen Charakter besaß. Unternehmungen wie das geräuschlose An-schleichen von Wild war für ihn bereits ein gutes Training für seine spätere Tätigkeit als Kundschafter in den englischen Kolonien (B.-P. 1933, S. 25).

Erzieherische Einflüsse gingen auch von den älteren Brüdern aus, die Stephe mit auf ihre abenteuerlichen Erkundungsfahrten mitnahmen. Hier wurden von ihm Qualifikationen wie Mut, Einsatzbereitschaft, Ausdauer, Disziplin oder Verlässlichkeit gefordert (vgl. B.-P. 1933, S. 27).

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Prof. Baden Powell (1796-1860)4

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Henrietta Grace Powell (1824-1914)5

Robert Baden-Powell

Stationen eines Lebens

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Nach Beendigung seiner schulischen Ausbildung im Charterhouse-College im Jahre 1876 entschied sich der Neunzehnjährige für den Beruf des Offiziers. Bei der Aufnahmeprüfung für den Militärdienst schnitt Stephe sehr gut ab; unter 718 Bewerbern erreichte er für die Infanterie den fünften Platz und für die Kavallerie sogar den zweiten Rang, so dass ihm der zweijährige Einführungskurs an der Militärakademie Sandhurst erlas-sen wurde. Noch im gleichen Jahr wurde er zum Unterleutnant ernannt und zum Regiment der 13thHussars nach Indien versetzt (vgl. Hillcourt 1964, S. 33 f.).

Robert Baden-Powell war vor allem in Indien und Afrika eingesetzt. Als junger Offizier gewann er grundlegende Erfahrungen im Umgang mit Men-schen. Sturer Drill und Kadavergehorsam erkannte er als wenig geeignet, um gute Soldaten auf ihre Tätigkeit vorzubereiten, bei denen „Mut, gesun-der Menschenverstand, List und Frohsinn“ gefragt waren (vgl. B.-P. 1914).

B.-P. lebte als Subalternoffizier sehr sparsam und asketisch. Interesse zeigte er an der Natur, wohin er sich in seiner Freizeit oft zurückzog, um frei lebende Tiere zu beobachten. Beliebte Freizeitbeschäftigungen waren für ihn das Polospiel und das „Pigsticking“ (Saustechen). Im Jahre 1883 gewann B.-P. im Pigsticking den „Kadir Cup“, der unter den englischen Offizieren die begehrteste Sporttrophäe darstellte (vgl. B.-P. 1889, S. 204). Über die Wildschweinjagd hat Baden-Powell im Jahre 1889 das Buch „Pig-sticking or Hoghunting“ veröffentlicht, das heute zur klassischen Jagd-literatur zählt.

Überhaupt entdeckte B.-P. bereits als junger Offizier seine Vorliebe am Zeichnen und Schreiben (vgl. Hillcourt 1964, S. 40). Auf seine ersten mili-tärischen Schriften „Reconnaissance and Scouting“ (1884) und „Cavalry Instruction“ (1885) erscheinen mehrere Bücher über militärische Unter-nehmungen in Afrika, so beispielsweise „The Downfall of Prempeh (1896) und „The Matabele Campaign“ (1897).

In Militärkreisen wurde Baden-Powell bald als hervorragender Kund-schafter bekannt, und bei der Kundschafterausbildung konnte er pädagogi-sche Einsichten gewinnen, die für ihn beim späteren Aufbau der Pfadfin-derorganisation eine wertvolle Hilfe bedeuteten. Durch seine Erfahrungen erkannte B.-P., dass sich die üblichen militärischen Methoden zur Ausbil-dung der militärischen Scouts nicht eigneten; er sah in der Anregung zur aktiven Selbsterziehung zum guten Staatsbürger den effektiveren Weg. Diese Erkenntnis kommt in seiner Pfadfindererziehung in der Anleitung der Jugend zu täglichen „guten Taten“ zum Ausdruck (vgl. B.-P. 1917, S. 5).

Von den Eingeborenen erhielt Baden-Powell den Namen „Impeesa – der Wolf, der nie schläft“ (vgl. Hansen 1985 et al.).

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B-P als Leutnant mit 21 Jahren6

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Wildschweinjagd (B-P)6

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B-P als Kundschafter im Matabeleland (1896)6

Zum Kriegshelden und zum Idol der englischen Jugend wurde Baden-Powell durch die erfolgreiche Verteidigung von Mafeking im Burenkrieg (1899-1900). Durch geschickte Täuschungsmanöver gelang es ihm, die in einer Steppe gelegene Stadt 217 Tage lang gegen eine militärische Über-macht zu halten. Während der Belagerung ließ B.-P. durch seinen Offizier Lord Edward Cecil die Knaben von Mafeking zu einem Kadettenkorps zu-sammenfassen und setzte sie zur Übermittlung von Botschaften ein; dies bedeutete eine spürbare Entlastung für die wenigen Verteidigungskräfte in der Stadt. Die Jugendlichen wurden von einem gleichaltrigen Jungen mit Namen Goodyear geleitet. Die Erfahrungen mit diesen Jugendlichen zeig-ten B.-P., dass bei Übernahme von Verantwortung auch junge Menschen fähig sind, wichtige Aufgaben zu erfüllen (vgl. Knobel 1962 et al.).

[...]


1 Foto: Baden-Powell 1925; im Privatarchiv des Verfassers

2 Karte: Baden-Powell 1929; im Privatarchiv des Verfassers

3 British Scout Association

4 Foto: Prof. Baden Powell; in: Wade 1931, S. 14

5 Foto: H. G. Powell; in: Wade 1931, S. 14

6 Foto: Baden-Powell 1878; in: Begbie 1900, S. 61

7 Illustration: Baden-Powell 1889; in: Baden-Powell 1889, S. 20

8 Foto: Baden-Powell 1896; in: Reynolds 1973, S. 4

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Robert Baden-Powell. Stationen eines Lebens
Autor
Jahr
2021
Seiten
35
Katalognummer
V1133540
ISBN (eBook)
9783346514295
ISBN (Buch)
9783346514301
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Robert Baden-Powell, Gründer der Pfadfinderbewegung, Reformpädagoge, Biografie
Arbeit zitieren
Dr. phil. Hans E. Gerr (Autor:in), 2021, Robert Baden-Powell. Stationen eines Lebens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1133540

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