Der Souveränitätsbegriff bei Carl Schmitt und Georg Jellinek


Epreuve d'examen, 2005

47 Pages, Note: 1,5


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Zum Begriff der „Souveränität“
1. Jean Bodin als Urheber

III. Zum Souveränitätsbegriff Georg Jellineks
1. Jellineks Staatsverständnis
2. Souveränität als Staatsgewalt?
3. Souveränität als Rechtsbegriff

IV. Zum Souveränitätsbegriff Carl Schmitts
1. Norm und Ordnung
2. Diktatur – Entscheidung – Souveränität
3. Dezision und Personalität

V. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Souveränität „scheint der Fels der Geschichte“[1] zu sein. So drückt es zumindest Thomas Assheuer in der Wochenzeitung DIE ZEIT aus. Dabei ragt dieser Fels bis in den alltäglichen Sprachgebrauch hinein, wie ein Blick in die Zeitung oder das Internet verrät. Die Verwendung des Begriffs begegnet dem Leser in unterschiedlichsten Formulierungen. Es wird von „voller“, „nationaler“ Souveränität oder von einer „Wiederherstellung“ beziehungsweise einer „Zurückgabe“ der Souveränität gesprochen. Diese stellt sich zumeist mit einem Staat oder einem Volk ein. Bemüht man zusätzlich die Internetsuchmaschinen, die alleine für den deutschen Begriff etwa 350.000 Ergebnisse anzeigen, wird schnell deutlich, dass der Begriff der Souveränität im modernen Leben präsent ist.

Souveränität wird im Jahr 2004 auf sehr unterschiedlichen Ebenen gedacht. So sieht Georg Vobruba Souveränität in Verbindung mit Unterlegenheit auf sozialer Ebene als Problem von Herrschen und Beherrschen.[2] Am Hamburger Institut für Sozialforschung hingegen behandelt ein Projekt die globale Ebene von Souveränität im Streit um Problemlösung über Staatsgrenzen hinweg.[3] Auf staatsrechtlichem Terrain vertritt Utz Schliesky die These, dass sich aus Sicht der „überkommenen Konzeptionen der Staats(rechts)lehre“ nur „Auflösungserscheinungen“ konstatieren lassen was den Souveränitätsbegriff anbelangt.[4]

Diese drei Ebenen (sozial, politisch und staatsrechtlich) sollen nur exemplarisch das anhaltende Interesse am Souveränitätsbegriff widerspiegeln. Ich möchte mich in dieser Arbeit auf die ebenfalls immer wiederkehrenden Ansätze Jellineks und Schmitts begrenzen.[5] Georg Jellinek soll Aufschluss über die Sichtweise auf die Souveränität des ausgehenden 19. Jahrhunderts geben. Der europäische Nationalstaat auf seinem Höhepunkt ist dabei der historische Boden auf dem er agiert. Die Erfassung aller gesellschaftlichen Räume durch den Staat wird sich in Jellineks Souveränitätsverständnis ausdrücken.[6]

Carl Schmitts Vorstellungen sind hingegen Ausdruck einer durch Ausnahme und Notfälle gekennzeichneten Staatlichkeit während der Weimarer Republik. Das Ende des ersten Weltkrieges und die revolutionären Zustände der jungen deutschen Republik werden prägnant für Schmitts Souveränitätsbegriff sein.

Beide sind in diesem Sinne „Kinder ihrer Zeit“ und argumentieren dementsprechend. Es soll in dieser Arbeit nicht geklärt werden, inwieweit die gesellschaftspolitischen Charakteristika der jeweiligen Epoche Einfluss auf die Arbeiten beider genommen haben, vielmehr sollen diese als Hintergrund fungieren.

Im Zentrum der Fragestellung sollen die unterschiedlichen Sichtweisen zweier so bedeutender Staatsrechtler stehen. Ich möchte der Frage nachgehen, wie sie den seit der frühen Neuzeit gebräuchlichen und mit Jean Bodin eingeleiteten Begriff der Souveränität für ihre Zeit und für spätere Generationen fruchtbar machen.

Ziel der Arbeit soll es sein, die Begriffsbestimmung beider zu erfassen. Den Ausgangspunkt dabei bildet Bodin, der gleichsam als Urheber des Begriffs für die Staatswissenschaft gilt. Es soll ermittelt werden, ob sich Jellinek und Schmitt von der über 400 Jahre alten Definition lösen oder diese beibehalten. Bei Jellinek, der von Anter als der „Doyen der Staatsrechtslehre seiner Zeit“[7] charakterisiert wird, kreist das Interesse um die duale Betrachtungsweise ein und desselben Begriffs.

Ich möchte versuchen, sowohl der von ihm benannten juristischen als auch der sozialen Ebene gerecht zu werden und fragen, ob Jellinek beide auf einen Punkt bringt. So werden Fragen bezüglich seines Staatsverständnisses als Basiselement zuerst behandelt. Dabei sollen die unterschiedlichen Staatsbegriffe Jellineks (der juristische und der soziale), seine Zwei-Seiten-Theorie und die Vorstellung einer Staatspersönlichkeit mit einbezogen werden.

Bei Schmitt stellt sich zwar ebenfalls der juristische Blick ein, jedoch ist sein Ausgangspunkt nicht der Staat mit seiner allumfassenden Wirkung, sondern das genaue Gegenteil. Schmitt rückt die Un-Staatlichkeit, „ein normatives Nichts und eine konkrete Unordnung“[8], ins Zentrum seiner Betrachtung. Daher wird zum Verständnis des Schmitt’schen Ansatzes eine kurze Betrachtung des Ausnahmezustandes nötig sein.

Sein Denken kreist immer wieder um das Thema des Paradoxons der „Unordnung“ als konstitutives Element der Ordnung. Norm und Ordnung dienen ihm gleichfalls als Orientierungspunkte seines Souveränitätsbegriffs. Daher soll im Zentrum der Darstellungen zu Carl Schmitt die Frage nach seiner Verknüpfung von Dezision, Norm und Souveränität stehen. Interessant dabei ist die Sprengung des verfassungsrechtlichen Rahmens; wie Adam es ausdrückt, führt Schmitt „dorthin, wo das kodifizierte Recht in die Gewalt des Politischen umschlägt“.[9]

II. Zum Begriff der „Souveränität“

Zu Beginn soll ein kurzer Blick ins Wörterbuch den Ursprung des Begriffs um den es hier geht, erhellen. Die etymologische Bedeutung des Wortes „Souveränität“ wie wir es heute kennen, wird von dem französischen Wort souverain abgeleitet, was so viel heißt wie oberst, höchst, vortrefflich. Dieses findet wiederum seinen Ursprung in dem lateinischen Wort superanus (über anderen stehend).[10] Der Term wurde wahrscheinlich zuerst als Adjektiv auf bestimmte Herrschaftsbeziehungen im späten Mittelalter verwendet. In der politischen Literatur wird der Souveränitätsbegriff mit Jean Bodin eingeführt. Hier taucht er zunächst als Kompetenz- und Gesetzgebungsbefugnis auf und kennzeichnet in Frankreich die Herrschaft über Land und Leute.

Den Siegeszug den der Begriff der Souveränität von der frühneuzeitlichen Welt bis in die heutige Zeit antrat, wurde vor allem durch die Schriften Bodins vorbereitet. Insbesondere sein Werk Les six livres de la République prägte die zukünftige Rezeption des Begriffs. Daher soll an dieser Stelle eine kurze Betrachtung seiner Konzeption stehen, die sowohl Jellinek als auch Schmitt als wichtiger Katalysator für ihre Theorien diente.

1. Jean Bodin als Urheber

Der französische Staatstheoretiker Jean Bodin (1529/30 – 1596) gilt als der Schöpfer des Souveränitätsbegriffs. Bodins Souveränitätslehre, die wohl aus der Schwäche des französischen Königtums entstanden ist, sollte schon nach kurzer Zeit die europäische Staatstheorie beherrschen. Das offensichtliche Bedürfnis nach Steigerung und Konzentration der staatlichen Herrschaft nach innen (aufgrund der religiösen Bürgerkriege) lieferte einen wichtigen Beweggrund für die Thesen Bodins.[11]

„Unter Souveränität ist die dem Staat eignende absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt zu verstehen.“[12] Mit diesen wenigen Worten beschreibt Bodin eines der umstrittensten Phänomene der neuzeitlichen Staatswissenschaften.

Absolutheit und Beständigkeit werden als die beiden kennzeichnenden Merkmale dieses neuen Begriffs verstanden. Will man jedoch Bodins Souveränitätsbegriff verstehen, muss vorher geklärt sein, was er unter dem „Staat“ versteht. Auch hier leistete er Grundlegendes, wenn man betrachtet, dass er unter Staat eine „am Recht orientierte, souveräne Regierungsgewalt über eine Vielzahl von Hausordnungen und das, was ihnen gemeinsam ist“[13], versteht. Das Neue an seinen Ansichten, war die Überlegung das Gemeinwesen (der Staat) als „eine Form der Herrschafts- und Machtausübung“[14] zu begreifen.

Zunächst ist zu sehen, dass der Staat bei Bodin (für Jellinek) einer Negativdefinition unterliegt, da er schlechthin unabhängig von jeder anderen Macht wird.[15] Dadurch ist die Staatsgewalt dann (und nur dann!) unabhängig, wenn die gesamte Staatsordnung – der Staat an sich – zur Disposition steht.

Zeitlich begrenzte Herrschaft ist für Bodin keine souveräne Herrschaft genauso wenig ist der Begriff „absolut“ hier einschränkbar.

„Ein Volk oder die Herren in einem Staat können wie erwähnt die souveräne, zeitlich unbegrenzte Gewalt schlicht und einfach einem anderen dazu übertragen, über die Menschen, ihr Eigentum, den ganzen Staat nach Belieben zu verfügen und ihn schließlich anderen zu überlassen. […],Souveränität’ die einem Fürsten unter Auflagen und Bedingungen verliehen wird, ist also eigentlich weder Souveränität noch absolute Gewalt […].“[16]

Definiert sich die Souveränität nun durch ihre Absolutheit und zeitliche Unbegrenztheit, so zeichnet sie sich laut Bodin durch wichtige Eigenschaften aus. Die allererste, die Bodin nennt, nämlich die Rechtssetzungsbefugnis, ist zugleich die wichtigste. Aus ihr wird er alle weiteren Eigenschaften ableiten.

„Daraus folgt, daß das Hauptmerkmal des souveränen Fürsten darin besteht, der Gesamtheit und den einzelnen das Gesetz vorschreiben zu können und zwar, so ist hinzuzufügen, ohne auf die Zustimmung eines Höheren oder Gleichberechtigten oder gar Niedrigeren angewiesen zu sein. […] Diese Befugnis von Erlass und Aufhebung von Gesetzen umfaßt sämtliche anderen Hoheitsrechte und Souveränitätsmerkmale […], weil sie eben alle anderen in sich einschließt […].“[17]

Bodin nennt darauf folgend die anderen Souveränitätsmerkmale. Diese sind: das Recht Krieg zu erklären, die Ernennung der wichtigsten Beamten, das Recht der höchstrichterlichen Entscheidungsgewalt, das Begnadigungsrecht, das Abverlangen des Treuegelöbnis, das Münzrecht, die Regelung des Geldwesens und die Befugnis der Besteuerung.[18] Sowohl Jellinek als auch Schmitt verweisen auf Bodin, jedoch mit unterschiedlichem Schwerpunkt. So ist für Jellinek wichtig, dass die Staatsgewalt im öffentlichen Recht durch nichts gebunden wird[19], während Schmitt auf den Notfall verweist, der eintritt wenn über die Versprechungen eines Fürsten befunden wird, die im Notfall gebrochen werden müssen.[20] Der Souverän als Gesetzgeber ist Herr über die Norm. Der Wille des Gesetzgebers äußert sich mittelbar über das Gesetz. So wird die Entscheidung über Recht und Ordnung zum Dreh- und Angelpunkt der Definition Bodins. Rosin hält hierzu fest:

„Entscheidend bei Bodin ist in diesem Punkt die faktische Macht in Form der Vorstellung einer generalisierten Fähigkeit, Gehorsam für Weisungen zu erreichen. Alle puissance publique wird als vom Souverän abgeleitet gedacht, auch die Gewalt der Korporation und anderer Selbstverwaltungsangelegenheiten beruht auf der des Souveräns.“[21]

Da „Unabhängigkeit“, „höchste“ und „absolute Gewalt“ dem Souveränitätsbegriff Bodins eben nicht gerecht werden, muss dieser erweitert werden. So kommt Quaritsch ebenfalls zu dem Schluss:

„Souveränität bedeutet für Bodin mehr, nämlich die Existenz einer nicht nur höchsten und rechtlich unabhängigen, sondern einer zugleich einzigen, juristisch nicht weiter ableitbaren und schlechterdings weltlichen ,Gewalt’ innerhalb eines begrenzten Raumes, die durch ihr Dasein den Staat konstituiert und erhält […]. Die Zerlegung des Souveränitätsbegriffs und die Isolierung seiner Elemente hat Bodin durch die Abstrahierung und Systematisierung der Souveränität, durch seine komprimierten Definitionen und ausgebreiteten Kommentierungen und vor allem dadurch erleichtert, daß er der ,puissance souveraine’ zeitlose Gültigkeit zumaß.“[22]

Diese zeitlose Gültigkeit scheint Bodin in der Tat geglückt zu sein, wenn man sich die eingangs erwähnte Vielzahl an Erscheinungen „seines“ Begriffs vor Augen führt. Im Folgenden wird deutlich, wie die prägende Kraft seiner Definition auch die in dieser Arbeit zu betrachtenden Theoretiker beeinflusst hat.

III. Zum Souveränitätsbegriff Georg Jellineks

1. Jellineks Staatsverständnis

Der von Georg Jellinek (1851 – 1911) geprägte Begriff der „Staatssouveränität“[23] setzt neben der Bestimmung des Begriffs der Souveränität überhaupt erst einmal den Staatsbegriff voraus. Nun wäre es vermessen eine Definition dieses Begriffs an dieser Stelle zu finden, da sich dieser Kernpunkt der Staatswissenschaften hier ganz sicher nicht bewältigen lässt. Nichtsdestoweniger ist es zum Verständnis der Argumentation Jellineks dringend notwendig, seine Überlegungen über den Staat darzulegen. Letztlich fügt er die Begriffe Staat und Souveränität aneinander, um beiden die Gewichtung zu geben, die sie nach seinem Verständnis dringend benötigten.

Er selbst war sich der Gefahr von Definitionen und vor allem Nicht-Definitionen wohl bewusst, denn „es wäre eine wichtige Untersuchung, den Einfluss unklarer Terminologie auf die Geschichte menschlichen Denkens und Handelns einmal im Zusammenhang nachzuweisen“[24].

Hier möchte ich zunächst die Eckpfeiler der Jellinek’schen Staatsauffassung beschreiben. Dazu soll zu Beginn der Begriff der Zwei-Seiten-Theorie des Staates kurz erläutert werden.[25] Die Auffassung einer dualen Betrachtung des Staatswesens setzt Jellinek gleich an den Anfang seiner Allgemeinen Staatslehre. „Der Staat ist demnach einmal gesellschaftliches Gebilde, sodann rechtliche Institution.“[26]

Es geht Jellinek hier nicht um die Teilung des Phänomens Staat in zwei Teile, vielmehr möchte er gerade mit der Sichtweise aus zwei Richtungen auf den gleichen Gegenstand dessen Einheitlichkeit verdeutlichen. Die Trennung in eine juristische und soziale Sphäre ist vielmehr eine „methodologische Konsequenz“[27]. Es ist die Charakteristik des Staatsbegriffs, die Jellinek zu dieser Unterscheidung führt. Er war dahingehend sehr realistisch und hielt es für abwegig „eine einzige richtige Erklärungsart“[28] des Staates finden zu wollen. Die juristische Aufgabe des Staates ist die Feststellung des Inhalts der Rechtssätze. Die angewandte und praktische Wissenschaft vom Staat (bei Jellinek die „Politik“), soll hingegen einen „kritischen Maßstab für die Beurteilung der staatlichen Zustände und Verhältnisse liefern“[29]. So war er als Jurist bestrebt, die rechtliche Dimension zu ergründen ohne jedoch den sozialen Hintergrund des Staats zu vernachlässigen.[30]

Jellinek erschafft so einen Staatsbegriff, der bis in die heutige Rechts- und Sozialwissenschaft hineinreicht. Ausgehend von der Idee einer „physischen Art von Funktion“[31] des Staates, wird das Substanzielle auf den Menschen an sich übertragen[32]. Diese Menschen bilden in ihrer Mehrheit ein „Willensverhältnis“[33], welches wiederum den Staat bestimmt. Kommt hierzu noch die „größte Fülle konstanter Zwecke“ spricht Jellinek von einer „teleologischen Einheit“[34] des Staates, die zu einer Verbandseinheit zusammengeschlossen wird. Am Ende kommt er so zu seiner berühmt gewordenen Definition des sozialen Staatsbegriffs: „Der Staat ist die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit seßhafter Menschen“[35].

Um jedoch die soziale Dimension des Staates für die juristische greifbar zu machen, suchte Jellinek nach einer neuen Formulierung. Indem er den Staat sich selbst an sein Recht binden ließ, konnte er dieses Gebilde als ein Rechtssubjekt auffassen. Diese Idee übertrug er auf seine vorherige Definition und ersetzte die „Verbandseinheit“ durch „Körperschaft“. So konnte er den Staat als „die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Gebietskörperschaft eines seßhaften Volkes“[36] juristisch erklären.

Bei Jellinek erscheint der Staat als körperschaftlicher wie auch als anstaltlicher Verband. So heißt es:

„Das Volk in seiner subjektiven Qualität bildet vermöge der Einheit des Staates eine Genossenschaft, d.h. alle seine Individuen sind miteinander als des Staates Genossen verbunden, sie sind Mitglieder des Staates. Der Staat ist somit zugleich herrschaftlicher und genossenschaftlicher Verband. Das herrschaftliche und genossenschaftliche Element ist in der staatlichen Körperschaft zur notwendigen Einheit verbunden.“[37]

Hier zeigt sich das Dilemma Jellineks am deutlichsten. Anstalts- und Subjektbegriff versucht er miteinander zu verbinden, wobei es unmöglich ist einen Herrschaftsbegriff (den er unbedingt für den Staat reserviert) bzw. einen Herrschaftsverband „ohne personales Substrat“ zu konstruieren.[38] Möllers versucht Jellineks Bemühungen, den Staatsbegriff auf einen einheitlichen Nenner bringen, damit zu retten, indem er auf einen „Ursprungsdefekt des in der frühen Neuzeit auftauchenden Staatsbegriffs“[39] hinweist. Diese Unvollkommenheit, so Möllers weiter, und die sich im Staatsbegriff verbindenden Elemente Herrschaft, Macht und Recht machen es letztlich so schwer, eine Definition zu finden.

2. Souveränität als Staatsgewalt?

Die Dualisierung der Begriffe in Jellineks Theorien setzt sich mit der Subjekt – Objekt – Beziehung[40] fort. Da der Souveränitätsbegriff bei Jellinek immer wieder auf diese verweist und um die Idee der Staatsgewalt richtig einordnen zu können, ist es wichtig einen kurzen Exkurs hierhin zu unternehmen.

In Jellineks Staatsauffassung treten drei konstituierende Elemente auf. Diese sind das Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Staatsgewalt. Letzteres spielt dabei die entscheidende Rolle, da die Staatsgewalt das wichtigste Element des Staatsbegriffes ist.[41] Diese drei „werden zugleich als Elemente des Staatssubjekts und als Objekte des Staatswillens verstanden“[42].

So bindet sich die Staatsgewalt selbst „als Staatswille des Staatssubjekts verobjektivierend durch das Recht.“[43] Die Staatsgewalt ist „das einzige der drei Elemente, welches sich unmittelbar selbst zum Gegenstand hat“[44].

Durch diese Stellung im Subjekt-Objekt-System der Elemente findet die Staatsgewalt einen wichtigen Anschluss in der Selbstbindungslehre Jellineks. Ziel dieser Argumentation soll es nach Kersten sein, die Souveränität als nicht notwendige Eigenschaft der Staatsgewalt zu beweisen.[45]

Es stellt sich also nunmehr die Frage, was Jellinek unter der Staatsgewalt versteht. Wie oben gesehen, kommt dieser eine außerordentliche Funktion innerhalb der Elementetrias zu. Jellinek ist der Ansicht, die Staatsgewalt unterscheide sich von allen anderen Gewalten durch das Kriterium des Herrschens[46]. Dort wo eine Macht „Herrschergewalt ausübt, ist sie Staatsgewalt“.[47] Herrschen indes bedeutet „unbedingt befehlen und Erfüllungszwang üben können.“[48]

Der moderne Staat und dessen Souveränitätsvorstellung lebt vom „Gegensatz der Staatsgewalt zu anderen Mächten“[49]. Daher ist die Frage nach der souveränen Staatsgewalt immer wieder aufs Neue mit der Frage nach dem Träger dieser Gewalt verbunden. So ist bereits bei Bodin der Wunsch nach der Lokalisierung dieser Gewalt zu erkennen, der jedoch nicht ein einziges, sondern mehrere in Frage kommende Subjekte ausmacht. Nach Landmann sind dies entweder das gesamte Volk, ein Teil davon oder ein Einzelner.[50] Hierin findet Jellinek einen Ausgangspunkt für seine Idee einer Staatspersönlichkeit.[51] Vorwiegend jedoch stellte sich die Idee des Trägers der Staatsgewalt, als unabhängige Macht insoweit dar, als dass „die ganze Staatsordnung zu seiner [des Fürsten] Disposition steht“[52]. Somit war die Monarchie nicht die einzig mögliche Staatsform, aber als Sicherungsmacht der Lebensverhältnisse die einzige den Zeitgenossen glaubhafte Erscheinungsform. Die Idee der souveränen Gewalt geht einher mit den Vorstellungen über den Ursprung dieser Gewalt. Für Jellinek gibt es in der historischen Betrachtung lediglich zwei Quellen. Zum einen die göttliche, welche aber im Laufe des Mittelalters an Bedeutung verliert und zum anderen die weltliche Herkunft.

Letztere wird vor allem durch die Macht der Volksgemeinde begründet, deren Vorstellungen bereits bei Römern und Germanen angelegt waren, so Jellinek.[53]

Volkssouveränität als „die letzte Basis aller Staatsgewalt“[54] zu sehen, ist für Jellinek ein Irrtum in der Begründung. Er ist der Meinung, das „bloße“ Volk könne nicht als Quelle der Macht fungieren, denn nach seinen Vorstellungen kann die „Staatsgewalt nicht einem dem Staat äußeren Subjekt entspringen“[55]. So ist „nicht das Volk vor dem Staate, […] sondern das bereits zum Staate organisierte Volk – mit einem Worte [der] Staat“[56] selbst Quelle der Macht.

Letztlich ist es die Fähigkeit des Staates zur Selbstorganisation und Selbstherrschaft[57], sowie die Notwendigkeit der normativen Selbstbindung der Staatsgewalt, die den Begriff Staatsgewalt bei Jellinek hinreichend ausfüllen.

Zurückgreifend auf Bodin, zeigt Jellinek einen weiteren Irrtum in der Begriffsgeschichte der Souveränität auf. Indem er die Bodin’schen Hauptmerkmale der Souveränität[58] einer kritischen Prüfung unterzieht, postuliert er eine Gleichstellung von Staatsfunktion und Souveränitätsrechten. Auf gleiche Art und Weise prüft er die Argumentationen von Hobbes und Locke und kommt auf das dasselbe Ergebnis: Aufgaben der jeweiligen Staatsgewalt werden als Eigenschaften der Souveränität genannt.

[...]


[1] Assheuer, Thomas in: DIE ZEIT Nr. 40 vom 25.09.2003.

[2] Vobruba, 2003: S. 305ff.

[3] Kastner, Fatima, 2004: http://www.his-online.de/arbeitsb/nation/souveraenitaet.htm am 03.11.2004.

[4] Vgl. Utz Schliesky, 2004: Souveränität und Legitimität von Herrschergewalt.

[5] Gerade Jellinek taucht als „Klassiker“ der Staatsrechtlehre in juristischen und politikwissenschaftlichen Seminaren immer wieder auf.

[6] Vgl. zu den biographischen Prägungen Jellineks den Beitrag von Klaus Kempter in: Georg Jellinek. Beiträge zu Leben und Werk, hrsg. v. Stanley L. Paulson und Martin Schulte, Tübingen, Mohr Siebeck, 2000.

[7] Anter, 2004a: S. 7.

[8] Schmitt, 1934: S. 24.

[9] Adam, 1992: Vorwort; An dieser Stelle sei auch kurz auf die Kontroverse um Schmitts Ansichten verwiesen. Als „Kronjurist des Dritten Reichs“ oder Vertreter des „antidemokratischen Denkens“ in der Weimarer Republik ist Schmitt immer wieder Thema von Auseinandersetzungen. Seine umstrittene Position zum Dritten Reich soll hier erwähnt, aber keiner weiteren Diskussion unterzogen werden.

[10] Etymologisches Wörterbuch, 1993: S. 1312.

[11] Erler, Adalbert und Kaufmann, Ekkehard, 1990: S. 1717.

[12] Bodin, 1981: S. 205.

[13] Bodin, 1981: S. 98.

[14] Rosin, 2003: S. 119.

[15] Jellinek, 1922: S. 454; Quaritsch sieht hierin eine Verengung des Souveränitätsbegriffs, die besonders durch Jellinek gefördert wurde. Vgl. Quaritsch, 1970: S. 41 Fußnote 102.

[16] Bodin, 1981: S. 210.

[17] Bodin, 1981: S. 292 und 294.

[18] Eine ausgiebige Diskussion der Eigenschaften der Souveränität findet sich bei Quaritsch, 1970: S. 255ff.

[19] Die Selbstbindung des Staates beziehungsweise der Staatsgewalt bleibt aufgrund der Formulierung „im öffentlichen Recht“ bestehen.

[20] Schmitt, 2004: S. 15 sieht Bodins wichtigsten Einfluss auf die Souveränitätstheorie darin, „dass er die Dezision in den Souveränitätsbegriff hineingetragen hat.“

[21] Rosin, 2003: S. 123.

[22] Quaritsch, 1970: S. 41.

[23] Siehe vertiefend hierzu S. 17 und 18.

[24] Jellinek, 1922: S. 458.

[25] Zu eingehenderen Diskussion der Zwei-Seiten-Theorie vgl. Kersten, 2000: S. 145ff; Albert, 1988: S. 66ff; Lepsius, 2004, S. 63ff; Koch, 2000: S. 371ff.

[26] Jellinek, 1922: S. 11.

[27] Lepsius, 2004: S. 66.

[28] Jellinek, 1922: S. 12.

[29] Koch, 2000: S. 374.

[30] Zu der Entwicklung der unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Staatsbegriffs bei Jellinek vgl. Kersten, 2000: S. 229ff.

[31] Jellinek, 1922: S. 174.

[32] Nicht auf den Staat als „ein sittlicher oder geistiger Organismus.“ Diese Auffassung wird von Jellinek abgelehnt. Vgl. Jellinek, 1922: S. 153.

[33] Jellinek, 1922: S. 176.

[34] Ebd.: S. 179.

[35] Ebd.: S. 180 und 181.

[36] Ebd.: S. 183.

[37] Jellinek, 1922: S. 408.

[38] Möllers, 2000: S. 161.

[39] Ebd.

[40] Zur eingehenden Diskussion der Problematik siehe Jellinek, 1922: S. 394 ff, 427 ff.

[41] Jellinek, 1922: S. 221 und 489; ders., 1896: S. 12.

[42] Kersten, 2000: S. 281.

[43] Ebd.: S. 294.

[44] Kersten, 2000: S. 294.

[45] Ausführlicher zur Subjekt-Objekt-Diskussion siehe Kersten, 2000: S. 281ff und in dieser Arbeit S. 17ff.

[46] So kommt Pasquino zu einem Schluss ganz im Sinne Jellineks, wenn er sagt, „daß der Staat […] sich ganz allgemein als nicht eliminierbarer Sitz der Herrschaft […] darstellt.“ In: Pasquino, 1988: S. 192.

[47] Jellinek, 1922: S. 430.

[48] Ebd.: S. 428.

[49] Ebd.: S. 440.

[50] Landmann, 1978: S. 88.

[51] Jellinek, 1922: S. 457.

[52] Ebd.: S. 455.

[53] Jellinek, 1922: S. 456.

[54] Ebd.: S. 459.

[55] Albert, 1988: S. 120.

[56] Jellinek, 1922: S. 459.

[57] Ebd.: S. 489ff; vgl. auch Kersten, 2000: S. 294 und 297ff.

[58] Ausführlich dazu Landmann, 1978: S. 67 ff.

Fin de l'extrait de 47 pages

Résumé des informations

Titre
Der Souveränitätsbegriff bei Carl Schmitt und Georg Jellinek
Université
University of Leipzig  (Institut für Politikwissenschaften)
Cours
Examensarbeit
Note
1,5
Auteur
Année
2005
Pages
47
N° de catalogue
V113401
ISBN (ebook)
9783640135769
ISBN (Livre)
9783640135929
Taille d'un fichier
587 KB
Langue
allemand
Mots clés
Souveränitätsbegriff, Carl, Schmitt, Georg, Jellinek, Examensarbeit
Citation du texte
Stephan Weser (Auteur), 2005, Der Souveränitätsbegriff bei Carl Schmitt und Georg Jellinek, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113401

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