Kunstfehler in der Psychotherapie, Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell und Anforderungen an das Erstgespräch

Rahmenbedingungen und Verfahren in der Verhaltenstherapie


Submitted Assignment, 2021

33 Pages, Grade: 1,0

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Kunstfehler in der Psychotherapie
1.1 Begriffsdefinition Kunstfehler
1.2 Arten von Kunstfehlern
1.3 Beispiele und Einschätzungen zur Vermeidung von Kunstfehlern

2 Horizontale Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell
2.1 Horizontale Verhaltensanalyse
2.2 Das SORKC-Modell
2.3 Fallbeispiel
2.3.1 Diagnostische Beurteilung nach ICD-10
2.3.2 Verhaltensanalyse am Fallbeispiel

3 Das Erstgespräch in einer Therapie
3.1 Allgemeine Anforderungen an das Erstgespräch
3.2 Ziele in einem Erstgespräch
3.3 Identifikation von Fehlerquellen
3.4 Mögliche negative Konsequenzen

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Horizontale Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell

Abbildung 2: Mechanismen der klassischen Konditionierung am Fallbeispiel

Abbildung 3: Ziele in einem therapeutischen Erstgespräch

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Das SORKC-Modell der Verhaltensanalyse

Tabelle 2: Horizontale Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell am Fallbeispiel

1 Kunstfehler in der Psychotherapie

1.1 Begriffsdefinition Kunstfehler

Da es sich in dieser Arbeit thematisch um Kunstfehler in der Psychotherapie handelt, wird zunächst darauf eingegangen, was Psychotherapie rechtlich bedeutet. Nach Pulverich (2000, S. 644) ist die Psychotherapie eine Intervention in die psychische und physische Verfassung des Patienten und einwilligungspflichtig.

„Auch die Psychotherapie gilt als Eingriff in die körperliche Integrität, da auf den seelischen Zustand eines Menschen eingewirkt wird. Die Einwilligung des Patienten muss daher vor jeder psychotherapeutischen Behandlung vorliegen" (Pulverich, 2000, S. 644).

Das hier aufgeführte Verständnis von Psychotherapie macht deutlich, wie weitreichend der Einfluss einer Behandlung gehen kann. Bereits aus dieser rechtlichen Bestimmung ergeben sich die ersten psychotherapeutischen Kunstfehlermöglichkeiten. In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs „Kunstfehler“, wobei psychotherapeutische Autoren auch häufig Bezeichnungen wie „Alltagsfehler“, „medizinische Fehler“, „Behandlungsfehler“, „Therapiefehler“, „Fehlhandlungen“, „therapeutisches Fehlverhalten“ oder „Fehler“ im Generellen nutzen (vgl. Bienenstein & Rother, 2009; Emmelkamp, 1988; Frenzl, Gawlytta, Schleu & Strauß, 2020; Hoffmann, Rudolf & Strauß, 2008; Hutterer-Krisch, 2001a, 2001b, 2007; Kottler, Blau & Hölscher, 1991; Märtens & Petzold, 2002; Sponsel, 2002). Klar abzugrenzen ist der Kunstfehler jedoch von der Nebenwirkung in der Psychotherapie. Darunter werden die „mögliche[n] negative[n] Effekte von Psychotherapie“ (Schwartze & Strauß 2018, S. 296) verstanden, die aus einer regelkonform verlaufenen Therapie erwachsen können.

Im Managementhandbuch für Psychotherapeuten werden Fehler definiert als „unangemessene Durchführung von Diagnostik oder Therapie oder eine falsche Indikationsstellung, wobei gegen anerkannte Richtlinien bzw. aktuelle Standards verstoßen wird oder Grundregeln des therapeutischen Verhaltens dem Patienten gegenüber missachtet werden“ (Behnsen et al., 2001).

Sponsel (2002) geht mit seiner Definition in eine ähnliche Richtung und setzt den Kunstfehlerbegriff in Zusammenhang mit der Integrität und Kompetenz des Therapeuten: „Ein Kunstfehler liegt vor, wenn bei zumutbarer und kundiger Analyse der Einzelfall-Sachlage, ein nach den allgemeinen1 oder zulässig individuell vereinbarten wichtigen Zielen und Zwecken der Behandlung gebotenes Tun oder Lassen nicht erfolgte.“ Der Autor betont in seiner Definition die stets gebotene Betrachtung im Kontext des Einzelfalls. Auch Strauß (2010) betont in seiner Arbeit zu den Risiken, Nebenwirkungen und Fehlbehandlungen in der Psychotherapie die Individualität und den unterschiedlichen Verlauf einer jeden Psychotherapie.

Schwartze und Strauß (2018, S. 296) verstehen unter Kunstfehlern nachteilige Therapiefolgen. die sich aus einer inkorrekt durchgeführten Therapie für die Patienten ergeben. Der Fokus liegt dabei auf den Umgangsformen des Therapeuten, weniger auf der Therapie an sich (Schwartze & Strauß 2018, S. 296).

Märtens und Petzold (2002) erwähnen, dass Behandlungsfehler eine Determination implizieren, die aufgrund der Vielzahl involvierter Variablen schwierig zu ermitteln ist. Gleichwohl lassen sich Risikofaktoren angeben, die Behandlungsfehler wahrscheinlich werden lassen. Zu ihnen rechnen Märtens und Petzold (2002) die angewendeten therapeutischen Ansätz, die eingesetzten Techniken, die Rahmenbedingungen des Settings und nicht zuletzt die Aufklärung über das Risikopotenzial der Behandlung selbst.

Andere Autoren wie Kottler et al. (1991) heben im Behandlungskontext Anfängerfehler und allgemein technische Fehler hervor. Anfängerfehler betreffen falsche Timing- und Tempo-Dispositionen, allgemein Fehleinschätzungen, aber auch den Rückgriff auf ungeeignete Methoden und Interventionen. Die technischen Fehler, die allen unterlaufen können, resultieren aus einer Fehlanwendung der therapeutischen Technik auf der Ebene von Blickkontakt, Fragestellung, Konfrontationsscheu und deplatziertem Bezug zu eigenen Lebensthemen. Außerdem können ein zu geringes Selbstvertrauen sowie die Verwechslung von Person und Diagnose zu Behandlungsfehlern führen.

Generell wird bislang in der Psychotherapie die Untersuchung von Kunstfehlern nicht systematisch betrieben. Eine Ausnahme bilden die extremen Vorkommnisse von sexuellem Missbrauch (Frenzl et al., 2020; Schwartze & Strauß, 2018, S. 296; Strauß, 2010). Der Fehlerthematik bezugnehmend zum sexuellen Missbrauch haben sich unter anderem die Autoren Egle, Joraschky, Lampe, Seiffge-Krenke und Cierpka (2016); Eichenberg, Dorniak und Fischer (2009) sowie Vogt, Arnold und Sonntag (1999) gewidmet. Barthe (2002) betrachtet insbesondere den Missbrauch der Position sowie die Überschreitung von Befugnissen durch den Psychotherapeuten oder des Personals von psychiatrischen Einrichtungen als problematisch, die für den Patienten und seine Angehörigen schädliche Folgen entwickeln. Kunstfehler und Verstöße gegen Menschenrechtsnormen sind in vielen psychiatrischen Einrichtungen auf der ganzen Welt verbreitet (Barthe, 2002).

Neben absichtlichen Kunstfehlern kommen in der Psychotherapie auch medizinische Fehler zum Tragen. Dieser Aspekt wird mit mangelnder Erfahrung und Kompetenz des Psychotherapeuten, dem Einfluss des psychiatrischen "Mainstreams" und einflussreicher psychiatrischer Schulen, aber auch der fehlerhaften Praxis lokaler medizinischer Einrichtungen in Verbindung gebracht (Barthe, 2002). Fehldiagnosen in der Psychotherapie haben häufig auch in den überlappenden Diagnosen (ICD 10) von Screening-Verfahren ihren Grund. Unter Überdiagnose wird insbesondere eine fehlerhafte medizinische Schlussfolgerung über das Vorhandensein einer Krankheit (oder deren Komplikationen) bei der untersuchten Person verstanden, die tatsächlich nicht existent oder weniger ausgeprägt ist als im medizinischen Bericht angegeben (Barthe, 2002).

In der Psychotherapie unterscheidet Barthe (2002) weiterhin zwischen fehlerhaften und voreingenommenen Diagnosen. Fälle des ersten Typs sind eine Folge unbeabsichtigter diagnostischer medizinischer Fehler, die in der Regel ohne externen Druck und ohne Begleitung eines schlechten Gewissens von Ärzten gestellt werden. Der Grund hierfür ist entweder der Mangel an Patienteninformationen oder die geringe fachliche Kompetenz des Arztes (Barthe, 2002), beispielsweise bei einer Verhaltensanalyse (Emmelkamp, 1988).

In der zweiten Gruppe von Fehldiagnosen, die sich auf psychische Störungen beziehen (voreingenommene Diagnose), ist die Fehldiagnose aufgrund nichtmedizinischer Faktoren getroffen worden. In Anbetracht solcher Fälle betonen die 1991 verabschiedeten UN-Grundsätze zum Schutz von Menschen mit psychischen Störungen: „Niemand kann für psychisch krank erklärt werden, der aus politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, rassischen oder religiösen Gründen als solcher diagnostiziert wird, aus Gründen familiärer Konflikte oder aus anderen Gründen, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Zustand seiner geistigen Gesundheit stehen" (Barthe, 2002).

Die Pilotstudie von Frenzl et al. (2020), in der 555 therapeutisch Tätige zu 100 verschiedenen, potenziell schädigenden Verhaltensweisen aus 12 Beschwerdekategorien befragt wurden, zeigte sich, dass im Mittel 24 verschiedene (Kunst)Fehler mindestens einmal im Verlauf der Therapie vorkamen, insbesondere aus den Bereichen Verletzung therapeutischer Basisvariablen, mangelhafte Diagnostik/Technikanwendung und mangelhafte Rahmenbedingungen. Um auf die in diesem Kapitel einleitende Definition von Pulverich (2000) zurückzugreifen, gilt die Psychotherapie als ein Eingriff in den physischen und psychischen Zustand des Menschen. Umso mehr zeigt sich anhand der Pilotstudie die Dringlichkeit mit der Auseinandersetzung der Fehlerthematik in der Psychotherapie. Autoren wie etwa Bieda et al. (2018), Brakemeier (2019), Gawlytta, Schwartze, Schönherr, Schleu und Strauß (2019), Haupt, Linden und Strauß (2012), Ladwig, Rief und Nestoriuc (2014), Linden und Strauß (2018), Strauß und Linden (2018) sowie Strauß (2010) kritisieren an der Psychotherapieforschung die primäre Auseinandersetzung mit positiven Effekten und betonen die unvermeidliche Berücksichtigung von Fehlern in der Psychotherapie.

1.2 Arten von Kunstfehlern

Nach Mallach, Schlenker und Weiser (1993) gehören zu den häufigsten Kunstfehlern eines Psychotherapeuten:

- Selbstbestätigung während der Therapie;
- Arroganz gegenüber Patienten;
- Übertragung der eigenen Schwierigkeiten auf die Probleme des Patienten;
- Bewertung, Demütigung;
- doppelte (Mehrfach-, Rollen-) Beziehungen;
- die Probleme des Patienten als die eigenen erleben.

Kunstfehler, die das Überschreiten der "Grenzen" in der Beziehung zwischen Therapeut und Patient betreffen (Fliegel & Schlippe, 2005), können verschiedene Formen annehmen und werden unter den folgenden Kategorien systematisiert: "Zeit", "Ort und Raum", "Geld", "Geschenke", "Kleidung", "Sprache" sowie "physischer Kontakt".

Die entsprechenden Handlungen, die Grenzverletzungen darstellen und ethische Probleme nach sich ziehen, können beispielsweise in der folgenden Reihenfolge vorkommen: Im ersten Schritt erfolgt ein Übergang in der Kommunikation mit dem Patienten vom „Sie“ zum „Du“. Zweitens werden Gespräche persönlicher oder alltäglicher Art in den therapeutischen Dialog integriert. Des Weiteren wird Körperkontakt (z.B. Schulterklopfen, Umarmungen, Massage) aufgenommen. Im vierten Schritt werden Treffen außerhalb des Arbeitszimmers vereinbart. Dies können Sitzungen während des Mittagessens sein, mit und ohne Alkohol, oder Verabredungen zum Kinobesuch und zu anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen, wie etwa private Feiern des Patienten. Fünftens findet sexueller Kontakt statt (Fliegel & von Schlippe, 2005).

Zu den Beispielen für verwischende Grenzen zwischen Therapeut und Patient sind auch alle Arten von "Dreiecksbeziehungen“ zu rechnen (Fliegel & von Schlippe, 2005). Ein Beispiel hierfür wäre ein gemeinsamer Freund vom Therapeuten und des Patienten. Möglich wären auch komplexere Optionen, wenn beispielsweise ein Supervisor des Psychotherapeuten, der eine Gruppentherapiesitzung durchführt, einen jungen Therapeuten zusammen mit dessen Patienten zu einer Gruppe zusammenfasst (Behnsen et al., 2001).

Die Fragen der sexuellen Beziehungen im Prozess der Psychotherapie erregen besondere Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. So sah sich S. Freud, der eine äußerst klare berufliche Position einnahm, die die Möglichkeit der sexuellen Ausbeutung von Klienten nicht zuließ, den Tatsachen einer Verletzung dieser Grundsätze durch einige seiner Schüler gegenüber. Einer seiner Gründe für die Abkehr von der psychoanalytischen Gemeinschaft C. G. Jungs waren die zahlreichen Fälle von sexuellem Zwang und sexueller Ausbeutung von Klienten (Löhr & Schmidtke, 2002).

Sponsel (2002) legt den Fokus bei seiner Auflistung möglicher Kunst- und Behandlungsfehlerarten in der Psychotherapie auf die Behandlung in Gänze. Er unterteilt diese in:

1. Fehler zu Behandlungsbeginn,
2. Mangelhafte Diagnostik, Therapieplanung und therapiebegleitende Evaluation,
3. Mangelnde Abklärung oder Kooperation,
4. Fehler gegen die Therapeutische Beziehung,
5. Mangelnde Reflexion, Supervision und Fortbildung,
6. Fehler als Verstoß gegen die Ergebnisse allgemeiner Psychotherapieforschung,
7. Fehler gegen das Persönlichkeitsrecht/Abstinenzgebot,
8. Fehler gegen Effizienz und Wirtschaftlichkeit.

1.3 Beispiele und Einschätzungen zur Vermeidung von Kunstfehlern

Medau, Jox und Reiter-Theil (2014) eröffnen einen weitergespannten Überblick als die bisher angesprochenen Autoren, wenn sie vier Kategorien von Therapiefehlern bilden, die in der Praxis vorkommen: Technische Fehler, Einschätzungsfehler, normative Fehler und Systemfehler. In dieser Arbeit liegt der Fokus auf den Einschätzungsfehlern, die in zwei Unterkategorien aufgeteilt werden, den Fehlern bei der Einschätzung der Indikation und den Fehlern bei der Einschätzung der Beziehung. Im Folgenden werden zwei Fallbeispiele vorgestellt, die jeweils durch eine Einschätzung und Vorschläge zur Vermeidung der Fehler eingeordnet werden.

Fall 1: Eine 24-jährige, verheiratete, intelligente, sehr verantwortungsbewusste, und äußerst attraktive Frau wandte sich an einen Psychotherapeuten und klagte über einen depressiven Zustand, der kurz nach der Geburt eines Kindes auftrat. Von den ersten Treffen an befremdete das Verhalten des Psychotherapeuten die Patientin. Bei einem der Treffen wurde sie gebeten, sich bis zur Taille auszuziehen. Er begründete seine Handlungen mit therapeutischer Notwendigkeit und nahm eine Reihe erotischer Berührungen am Körper der Patientin vor. Die Patientin musste die Therapie mit diesem Therapeuten abbrechen und nach anderen Möglichkeiten, psychotherapeutische Hilfe zu erhalten, suchen (Löhr & Schmidtke, 2002).

Einschätzung: Eine Indikation aufgrund des geschilderten Problems „depressiver Zustand“ kann nicht erkannt werden. Stattdessen sind ethische Verhaltensprobleme des Psychotherapeuten in Bezug auf die Patientin zu erkennen. Angefangen von der Demütigung der Patientin (Kleidung ablegen) bis hin zum schwerwiegenden Grenzübertritt „physischer Kontakt“ (vgl. Fliegel & Schlippe, 2005). Es hat keine Basis für eine vertrauensvolle Therapeut-Patienten-Beziehung gegeben. Es liegt eine Fehleinschätzung auf der Ebene der Beziehung vor (vgl. Fliegel & Schlippe, 2005; Sponsel, 2002). Der Kunstfehler hätte nur durch Ablehnung der Patientin und Weiterverweisung an einen anderen Therapeuten vermieden werden können. Der Therapeut hätte nach dieser Fehleinschätzung einer Supervision und einer Aufarbeitung der Fehleinschätzung bedurft (Margraf, 2009).

Fall 2: Der 18-jährige hübsche und gutmütige junge Mann, war verheiratet und hatte ein Baby. Vom behandelnden Arzt wurde er wegen einer psychosomatischen Erkrankung an einen Psychotherapeuten überwiesen. Nach der Sitzung bat der Psychotherapeut um eine Heimfahrt. Die Psychotherapie wurde im Auto fortgesetzt, auch dann noch, als das Auto bereits vor dem Haus des Therapeuten geparkt war. Während der Psychotherapie nahm der Patient den Therapeuten auf seinen Wunsch hin mit nach Hause. Ein anderes Mal wurde er in sein Haus eingeladen, wo er Wein angeboten bekam (Löhr & Schmidtke, 2002).

Einschätzung: Eine Indikation aufgrund des geschilderten Problems „psychosomatische Erkrankung“ kann anhand der Fallschilderung nicht erkannt werden. Stattdessen sind ethische Verhaltensprobleme der Psychotherapeutin in Bezug auf den Patienten zu erkennen. In diesem Fall wird zum einen die Behandlung außerhalb des Arbeitszimmers fortgesetzt (im Auto des Patienten) und in den Wohnräumen von Therapeut und Patient, in einem Fall ist Alkohol im Spiel (vgl. Fliegel & Schlippe, 2005; Sponsel, 2002). Alle Grenzübertritte verwischen die Grenze zwischen Therapeut und Patient, statt der professionellen Ebene wird eine private Ebene eingezogen. Die Grenzüberschreitungen sind von dem Therapeuten ausgegangen. Es liegt eine Fehleinschätzung auf der Ebene der Beziehung vor (vgl. Fliegel & Schlippe, 2005; Sponsel, 2002). Für die Vermeidung des Kunstfehles hätten zwei Wege offen gestanden: Die Ablehnung des Patienten und Weiterverweisung an einen anderen Therapeuten oder eine begleitende Supervision des Therapeuten mit dem Fokus darauf, die professionelle Ebene nicht zu verlassen und diesem Fehlverhalten mit entsprechenden Methoden zu begegnen. Im ersten Fall hätte es nach der Fehleinschätzung der Beziehung im Anschluss auch einer Supervision und einer Aufarbeitung der Fehleinschätzung bedurft (Margraf, 2009).

Den Fällen gemeinsam ist ein Verstoß gegen die Ethik professioneller psychotherapeutischer Beziehungen (Mallach et al., 1993). Die ethischen Probleme der Psychotherapie werden in drei große Gruppen unterteilt (Löhr & Schmidtke, 2002):

1) ethische Probleme der Interaktion zwischen Psychotherapeuten;
2) ethische Verhaltensprobleme von Psychotherapeuten in Bezug auf Patienten;
3) ethische Verhaltensprobleme von Patienten gegenüber Psychotherapeuten.

Jeder Verstoß gegen ethische Standards führt zu negativen und destruktiven Konsequenzen. Der Klient erhält nicht die nachgesuchte Hilfe vom Psychotherapeuten, es entstehen Konflikte, die die Autorität der Berufsgruppe der Psychotherapeuten untergraben (Löhr & Schmidtke, 2002). Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, ist für diese Berufsgruppe eine Aufsichtspraxis (Supervision) institutionalisiert.

Von vielen Fachgemeinschaften werden ethische Grundlagen der Psychotherapie entwickelt (Behnsen et al., 2001). Grundsätzlich schreiben sie alle vor, dem Patienten keinen Schaden zuzufügen; Suchtbeziehungen, die während der Therapie entstehen, nicht auszunutzen; nur im Rahmen der beruflichen Kompetenz zu handeln; sich nur auf die Zustimmung desjenigen Patienten zu verlassen, der die Essenz des Geschehens versteht und sich der möglichen Konsequenzen bewusst ist; sowie die Vertraulichkeitsbestimmungen einzuhalten. Allgemeine ethische Vorschriften werden beispielsweise bezüglich der Bedingungen einer Einzel- oder Gruppentherapie sowie der Forschung auf dem Gebiet der Psychotherapie weiter ausgearbeitet (Löhr & Schmidtke, 2002).

Um Fehler dieser ethischen Kategorien zu vermeiden, ist es notwendig, diese Vorkommnisse ständig zu analysieren und sie bei Besprechungen, Konferenzen usw. offen anzusprechen. Für die Vermeidung ist es wichtig, die Fehlerursachen zu finden und alle Maßnahmen zu ergreifen, um Wiederholungen zu vermeiden. Fehler zuzugeben erfordert Gewissenhaftigkeit und persönlichen Mut. Diese Eigenschaften sollten während der Ausbildung von Fachärzten an medizinischen Fakultäten gefördert werden wie auch eine Sensibilisierung für die Wichtigkeit ethischer Standards (Abeling, Müller, Stephan, Pollmann & Zwaan, 2018).

2 Horizontale Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell

2.1 Horizontale Verhaltensanalyse

Die Verhaltensanalyse (manchmal auch Problemanalyse genannt) ist ein Kernelement der kognitiv-behavioralen Verhaltenstherapie, welche die Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Erkrankung erklären möchte. Dieses Verfahren dient der Bestimmung der situativen und individuellen Merkmale sowie der biographischen Lernerfahrungen, welche das Auftreten eines (problematischen) Verhaltens begünstigen, außerdem der Bestimmung von Konsequenzen der Symptome/des problematischen Verhaltens und der verstärkenden aufrechterhaltenden Faktoren für die Symptomatik (Bockwyt, 2020; Schneider, Weber-Papen & Vernaleken, 2010).

Die Verhaltensanalyse basiert auf dem lerntheoretischen SORKC-Modell nach Kanfer und Saslow (1974) und analysiert nach Bockwyt (2020) das Problem (Was ist das Problem?), die Situation (In welchen Situationen tritt das Verhalten auf?), das Verhalten (Welche Reaktionen treten auf?), die Bedingung (Was geht dem Verhalten voraus bzw. folgt ihm?) sowie die Funktion (Wozu dient das Verhalten?). Das problematische Verhalten wird in einer konkreten Situation auf einem zeitlichen Kontinuum betrachtet, weshalb diese Art der Verhaltensanalyse auch als Mikroanalyse oder horizontale Verhaltensanalyse bezeichnet wird (Abbruzzese & Kübler, 2013). Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2012) nehmen an, dass jedes Problemverhalten durch ein komplexes Netz von Bedingungen ausgelöst und aufrechterhalten wird, das vorerst noch unbekannt ist und das es zu erschließen gilt.

Durch die Aufgliederung des Verhaltens und seines Kontextes in konstitutive Komponenten unterscheidet sich das horizontale Verhaltensmodell SORKC vom vertikalen Verhaltensmodell, das bei der Analyse der allgemeinen Ziele und Pläne ansetzt, um Verhalten zu beeinflussen. Hierbei stehen situationsübergreifende Verhaltensmuster und kognitive Schemata sowie die biographischen Lernerfahrungen im Vordergrund, die zu diesen Dispositionen geführt haben (Petermann, Reinecker & Bengel, 2005).

2.2 Das SORKC-Modell

Die zentralen Elemente der horizontalen Verhaltensanalyse sind nach Wälte und Borg-Laufs (2018) S ituation, O rganismus, R eaktion, K ontingenz und Konsequenz/ C onsequence, woraus sich die gängige Bezeichnung »SORKC-Modell« ableitet. Mit dem SORKC-Modell kann das Problemverhalten von Patienten untersucht werden, indem eine konkrete Situation in den Blick genommen wird, einschließlich der Voraussetzungen, die das beobachtete Verhalten auslösen und der Konsequenzen, die dem gezeigten Verhalten folgen (Schneider et al., 2010). Dabei wird nach Knappe und Härtling (2017) angenommen, dass das gezeigte Verhalten eine Funktion der vorausgehenden und nachfolgenden Bedingungen ist (s. Abb. 1).

[...]


1 „Hier sind die rechtlichen, berufsrechtlichen und berufsethischen Rahmenbestimmungen gemeint, die unabhängig von individuellen Vereinbarungen gelten, z.B. sind sexuelle Kontakte verboten, gelten nach dem Gesetz als schädlich und sind verboten, was auch durch eine individuelle Vereinbarung nicht aufgehoben werden kann“ (Sponsel, 2002).

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Details

Title
Kunstfehler in der Psychotherapie, Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell und Anforderungen an das Erstgespräch
Subtitle
Rahmenbedingungen und Verfahren in der Verhaltenstherapie
College
SRH - Mobile University
Grade
1,0
Year
2021
Pages
33
Catalog Number
V1134680
ISBN (eBook)
9783346513014
ISBN (Book)
9783346513021
Language
German
Keywords
Kunstfehler, Psychotherapie, Arten, Vermeidung, SORKC, SORKC-Modell, Horizontale Verhaltensanalyse, ICD-10, Erstgespräch, Therapie, Ziele, Fehlerquellen, Konsequenzen
Quote paper
Anonymous, 2021, Kunstfehler in der Psychotherapie, Verhaltensanalyse nach dem SORKC-Modell und Anforderungen an das Erstgespräch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1134680

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