Nach dem mit der Wiedervereinigung Deutschlands einhergehenden gesellschaftlichen Umbruch trat auch der Erinnerungsdiskurs zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands in eine neue Phase. Aleida Assmann hat zurecht festgestellt: „noch nie zuvor hat sich eine Zeit, eine Nation, eine Generation so reflektiert und reflektierend mit sich selber und ihrer Herkunft befasst“ wie nach 1989/90. Seit den neunziger Jahren ist das Thema Nationalsozialismus medial präsenter und emotionaler umstritten als je zuvor, so dass Dan Diner mit Recht vom Nationalsozialismus als „gestauter Zeit“ gesprochen hat, einem Ereignis, das sich mit zunehmender zeitlicher Distanz immer weiter ausdehnt. In den Fokus des öffentlichen Erinnerungsdiskurses, in dessen Zentrum spätestens seit den achtziger Jahren die Judenvernichtung stand, trat vor der Jahrtausendwende ein weiterer Aspekt: die Thematisierung des eigenen, deutschen Leids.
Dieser Wandel ist jedoch weniger, wie zunächst scheinen mag, Manifestation neuer Souveränität in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Vielmehr knüpft er an bekannte Muster an, die bereits aus der Erinnerungstradition der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik bekannt sind, jedoch anschließend jahrzehntelang zwar den privaten Bereich dominierten, in der Öffentlichkeit jedoch wenig Aufmerksamkeit fanden. Der unmittelbaren Nachkriegszeit mit den Kriegsverbrecherprozessen der Alliierten folgte in den fünfziger Jahren die so genannte „Vergangenheitspolitik“, aus der diese Verinnerlichung hervorging. Norbert Frei beschreibt sie als „eine Phase größerer Milde für die Individuen, die gewissermaßen erst die Basis für einen offeneren Umgang mit der Vergangenheit schuf: die Phase der Amnestie- oder Vergangenheitspolitik, deren politische Fehler und moralische Versäumnisse das geistige Klima der Bundesrepublik nachhaltig prägten“. Hier wird bereits deutlich, dass die Form der Auseinandersetzung in dieser ersten Phase inzwischen eine radikale Neubewertung erfahren hat.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945
- Nach der Wiedervereinigung: Erneute Selbstwahrnehmung als Opfer
- Fazit
- Literaturangaben
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht den Wandel des deutschen Opferdiskurses im Kontext der NS-Vergangenheit, insbesondere im Vergleich der Nachkriegszeit und der Zeit nach der Wiedervereinigung. Sie analysiert die Präsenz und Entwicklung der Wahrnehmung eigenen Leids und des eigenen Opferstatus im öffentlichen Diskurs.
- Die Entwicklung des Opferdiskurses in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
- Die Rolle der „Vergangenheitspolitik“ in der Formierung des Opferdiskurses
- Die Wiederaufnahme des Opferdiskurses nach der Wiedervereinigung
- Die Parallelen und Unterschiede zwischen dem Opferdiskurs der Nachkriegszeit und der Gegenwart
- Die kritische Auseinandersetzung mit der Gefahr der Relativierung und Banalisierung der NS-Vergangenheit durch den Opferdiskurs
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Arbeit stellt den Wandel des deutschen Opferdiskurses im Kontext der NS-Vergangenheit dar und beleuchtet die Präsenz der Wahrnehmung eigenen Leids und des eigenen Opferstatus im öffentlichen Diskurs.
- Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945: Dieses Kapitel skizziert die Entwicklung des Opferdiskurses in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945, insbesondere die Rolle der „Vergangenheitspolitik“ und die Herausforderungen, die mit der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit verbunden waren.
- Nach der Wiedervereinigung: Erneute Selbstwahrnehmung als Opfer: Dieses Kapitel analysiert die Wiederaufnahme des Opferdiskurses nach der Wiedervereinigung und untersucht die Parallelen und Unterschiede zum Diskurs der Nachkriegszeit. Es beleuchtet die kritischen Aspekte der Thematisierung eigenen Leids im Kontext der NS-Vergangenheit.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Opferdiskurs, die NS-Vergangenheit, die deutsche Erinnerungskultur, die Wiedervereinigung, die Vergangenheitspolitik, die Wahrnehmung eigenen Leids, die Relativierung und Banalisierung der NS-Vergangenheit, die Rolle der Medien und die Bedeutung der historischen Kontextualisierung.
- Citar trabajo
- Theresia Knuth (Autor), 2008, Der aktuelle deutsche Opferdiskurs und seine Wurzeln in der Nachkriegszeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113528